Das nationalsozialistische Wien

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Die Indoktrinierung der Kinder und Jugendlichen

Wie jedes totalitäre Regime richtet auch der Nationalsozialismus sein besonderes Augenmerk auf die Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen. Ihre Erziehung soll im Geist der „revolutionären“ braunen Ideologie erfolgen, sie soll Überzeugungen und Haltungen vermitteln, die sie später im „Großdeutschen Reich“ benötigen werden: Das sind etwa Treue und Gehorsam gegenüber dem „Führer“ und das opferbereite Bekenntnis zur „Volksgemeinschaft“. Hitler selbst sieht in Mein Kampf die „Krönung“ der Erziehung im Bestreben, dass „sie den Rassensinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt“, „kein Knabe und kein Mädchen“ solle die Schule verlassen, ohne „zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit“ geführt worden zu sein. Damit stellt er die Weichen: Nicht das Faktenwissen, nicht praktische Kenntnisse und Fähigkeiten sind das Entscheidende, sondern die Haltung zu Rasse, Volk und „Führer“, alles andere ist nachrangig. Sein Parteiideologe Alfred Rosenberg wird später im Mythus des 20. Jahrhunderts von „Charakterbildung“ sprechen, von jenen Werten, wie „sie zutiefst im germanischen Wesen schlummern und sorgfältig hochgezüchtet werden müssen“. Die Erziehung im NS-Staat gewinnt eine Perspektive konträr zum gewohnten bürgerlichen Bildungsideal:

Nicht die individuelle Vervollkommnung, die Ausbildung der persönlichen Talente, steht im Vordergrund, sondern der Nutzen für das „Volksganze“. Die jungen Menschen, so das Ziel der Indoktrinierung, sollen sich mit Freude als Teil dieses „Volksganzen“ verstehen – bis hin zur Bereitschaft, für „Führer und Vaterland“ auch in den Tod zu gehen.


Beliebtes Sujet der NS-Propaganda: die Trommel.

Spielzeugwelt Krieg

Die Ideologie des Nationalsozialismus und der Krieg erobern auch die Wiener Kinderzimmer. Ideales Instrument dafür ist das Spielzeug. Ob kleine Plastikfiguren Hitlers oder technisch raffiniert ausgestattete U-Boote, Flugzeuge oder Schlachtschiffe, ob ein Wehrmachtsquartett oder eine Biografie des „Führers“ für Kinder – der Nachwuchs kann dem Geist der braunen Revolution kaum entkommen. Da es sonst kaum Attraktionen gibt, gewinnt das Spielzeug in den Kriegstagen enorm an Bedeutung: Man freut sich auch über ganz banale Dinge: ein kleines Spielzeugauto, eine Puppe oder über den aus Stoffresten zusammengenähten Teddybären. Diese Schätze werden auch bei einem Fliegerangriff nie in der Wohnung zurückgelassen. Erin der Hand hält man das heiß geliebte Spielzeug, man weiß, die Kinder würden darauf nie verzichten!


„Jugend“ und „Zukunft“ sind zentrale Schlagworte: Ankündigung einer Rede von „Reichsjugendführer“ Baldur von Schirach auf dem Rathausplatz, nunmehr „Adolf-Hitler-Platz“.

Überwacht wird die ideologisch-politische Korrektheit der Spielsachen vom 1933 gegründeten „Reichsverband der deutschen Spielwaren-, Korbwaren- und Kinderwagenhändler“, was nicht in das Weltbild passt, wird mit dem Bann belegt.

Mit den Siegen der Wehrmacht in den „Blitzkriegen“ 1939 bis 1941 setzt ein Boom bei Kriegsspielzeug ein, von dem vor allem die Buben begeistert sind. Waffen und Fahrzeuge im Miniformat lassen sie von den Heldentaten träumen, die in der NS-Presse und im Goebbels-Rundfunk gefeiert werden. Genau das ist das zynische Kalkül der Spielzeugmacher: In den heranwachsenden jungen Menschen soll die Bereitschaft wachsen, für „Führer“ und Deutschland hinauszuziehen an die Front, von deren wahren Schrecken man sich im Kinderzimmer keine Vorstellung machen kann. Im spielerischen Umgang mit den technischen Finessen der Todesmaschine wird ihnen die Welt des Krieges vertraut, der Krieg wird zum großen Abenteuer stilisiert.

Viele Zeitzeugen, mit denen wir gesprochen haben, sehen ihre Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus als durchaus erfüllte Zeit. Man traf sich in der Gruppe; Kameradschaft und die Zugehörigkeit zum „Reich“, gemeinsame Abende am Lagerfeuer mit Singen und Musizieren sind vielen als positive Erlebnisse in Erinnerung geblieben. Aus ihrer Sicht war es eine wunderbare, glückliche Zeit. Entscheidend, so sagen sie, war die elementare Erfahrung des „Dazugehörens“.

Einen ganz besonderen Einblick in ihre Lebenswelt geben Kinder, wenn sie zu zeichnen beginnen. Wenn sie zu Papier bringen, was sie bewegt. In ihren Zeichnungen wird der Erfolg der Indoktrinierung sichtbar. Ein Zeitzeuge, der seine Kinderzeichnungen bis heute aufbewahrt hat, ist Heinz Düringer, geboren am 9. November 1930. Er zeichnet in seiner Kindheit mit Bleistiften und Buntstiften das, was seine tägliche Wahrnehmung bestimmt – und das ist der Krieg. Schon bald lässt sich sein Talent fürs Zeichnen erkennen, als begnadeter Architekt wird er später eine erfolgreiche Berufslaufbahn einschlagen. Für diesses Buch hat er uns einige seiner Kinderzeichnungen zur Verfügung gestellt.

Bei uns in Wien

Der Vermittlung ihrer Ideologie durch Kinder- und Jugendbücher widmen die Nazis, die lieber von „Weltanschauung“ sprechen, erhebliche Anstrengungen. Bücher, so ein gängiges Wort der Zeit, sind „Schwerter des Geistes“ oder auch einfach „Waffen“, entsprechend massiv führt man sie zur gewünschten Bewusstseinsbildung ins Gefecht. So werden Schulbücher geschickt mit Ideologie aufgeladen, auch dort, wo man es im ersten Augenblick nicht erwarten würde, z. B. etwa in Mathematikbüchern. Vom einfachen Zählen und Bestimmen von Mengen bis hin zu anspruchsvollen Textaufgaben: „Führer“ und Deutschland und ihre Symbole wie das Hakenkreuz sind allgegenwärtig.

Der Krieg in allen Facetten beherrscht die kindliche Vorstellungswelt: Zeichnungen des 1930 geborenen Heinz Düringer.

Das Buch als „Waffe“: Die Ideologie wird als Teil der kindlichen Erlebniswelt inszeniert. Umschlagillustration des 1943 erschienenen Kinderbuches „Bei uns in Wien“.

Die Beeinflussung der Jugendlichen erstreckt sich in alle Lebensbereiche. Oft nur sehr im Hintergrund gehalten, jedoch ständig präsent, wird die Bewusstseinsbildung zum richtigen, dem „Führer“ treu ergebenen Menschen angebahnt. Es wird dabei nichts dem Zufall überlassen. Ein einfaches Kinderbuch aus dem Jahre 1943 trägt den Titel Bei uns in Wien und soll uns veranschaulichen, mit welchen Bildern ein Kind in Wien aufwächst. Die Titelseite des Buches zeigt zwei Kinder, die dem Treiben an der Donau ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Im Hintergrund sind der Kahlenberg und der Leopoldsberg zu sehen. Eine Dampflokomotive überquert auf einer weiteren Brücke den Donaustrom. Das Mädchen winkt mit einem Taschentuch den Passagieren, die sich auf einem unter ihnen durchfahrenden Dampfschiff mit dem Namen Donau befinden. Am Heck des Schiffes sehen wir bereits auf dem Titelbild die Hakenkreuzfahne im Wind wehen! Spielerisch sollen die Kinder auf die vor ihnen liegende Zukunft vorbereitet werden. Wir spielen Arbeitsdienst!

Noch einmal sind wir an der Donau und entdecken hier nun ein ganz anderes Schiff, einen Schaufelraddampfer, der ebenfalls die Hakenkreuzfahne am Heck aufgezogen hat!

Das Zeltlager als gemeinsame Erlebniswelt: Die Aktivitäten unter freiem Himmel mit Lagerfeuer, Musizieren und Singen sollen die Zusammengehörigkeit fördern und die Gruppe im Willen stärken! Wie immer ist die Hakenkreuzfahne mit dabei.

Der Begriff Vaterland soll gepflegt und die deutsche Fahne soll als Symbol für das Deutsche Reich in den Köpfen der Kinder fest verankert werden! Bereits im Vorsatz und im Nachsatz werden wichtige Bilder und vor allem Bezeichnungen angeführt.

Das Gauhaus der NSDAP und die Fahnen werden zum immer präsenten Symbol in mitten der vielen anderen Sehenswürdigkeiten welche Wien auch noch zu bieten hat!

Wir lernen lesen und schreiben mit dem „Führer“

Am 16. März 1938 ernennt Landeskulturleiter Hermann Stuppäck den Parteigenossen Karl Alexander Wilke (1879 – 1954) zum kommissarischen Leiter des Österreichischen Bundesverlages. Wilke ist Maler und Illustrator, bekannt sind seine Beiträge für die Zeitschrift Die Muskete und diverse Bücher des Staackmann-Verlags. Mit dem Verlagsgeschäft hatte er bislang wenig zu tun, doch das tut wenig zur Sache – er ist in der Wiener NS-Szene bestens vernetzt, befreundet u. a. mit Mirko Jelusich, einem alten Weggefährten in der Muskete. Wilkes erste Amtshandlung: Er benennt den Österreichischen Bundesverlag in „Österreichischen Landesverlag“ um, in einer ganzseitigen Annonce im Börsenblatt am 22. März 1938 wird die „Firmenänderung“ bekannt gegeben, mit einem markigen „Heil Hitler!“ versichert Wilke der Buchhandelsbranche, dass der Verlag nun auf dem „glücklich eroberten Boden des Nationalsozialismus“ stehen werde und „nationalsozialistisches Gedanken- und Bildungsgut namentlich auf dem Gebiete der Pädagogik und des Jugendschrifttums pflegen und durchsetzen“ werde.

 

Musizieren und Singen im Zeltlager sollen das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken: Seite aus dem 1941 erschienenen Lesebuch „Wir lernen lesen“.

„Bücher aus der Ostmark“ werden nun im „Österreichischen Landesverlag“ verlegt – eine Inkonsequenz, die jedoch niemand zu stören scheint. So erscheint 1941 bereits in der 12. Auflage als Ausgabe B für Stadtschulen das erfolgreiche Lesebuch Wir lernen lesen, in Inhalt und Ausstattung auf dem letzten Stand der NS-Richtlinien für den Unterricht in den Volksschulen.

Bas Buch ist reichhaltig illustriert, es werden Szenen aus dem Alltag der Leseanfänger beschrieben. Mit einfacher Symbolsprache und bunten Bildern führt es von A-–Z durch das Alphabet, um danach über die Wort- und Satzbildung zu fließendem erzählerischem Text überzuleiten. Nach dem Einkauf beim Fleischhacker und einem kurzen Aufenthalt in der Küche folgt auf Seite 22 ein Zeltlager, das Kinder bei Ausübung des Hitlergrußes zeigt. Der „Führer“ selbst darf da nicht fehlen:

Krieg, Hitlerjugend, Bund deutscher Mädchen und auch der „Führer“ darf nicht fehlen: Die Schulbücher sind exakt auf die Leitlinien der Propaganda abgestimmt.

Appell an die Solidarität der Jugendlichen: das „Hilf mit!“-Buch, ein Projekt des Jahres 1938.

Nach idyllischen Szenen aus Garten und Park, Bauernhof und Stall kommt auf Seite 78 das obligate Hitlerbild. Die Schülerinnen und Schüler erfahren hier, dass sie stolz darauf sind, dass Adolf Hitler in der „Ostmark“ geboren ist. Gott erhalte unseren Führer noch viele, viele Jahre gesund und froh!

Die Realität des Krieges hält eine Seite später Einzug im Buch: Ich werde ein Soldat! Es beginnt die Verherrlichung des Soldatentums, die auf den nächsten Seiten mit dem Kapitel Wir ziehen in den Krieg fortgesetzt wird.

Auf Seite 108 marschiert dann „unser Jungvolk“ in Schritt und Tritt, das Buch appelliert an Pflichtbewusstsein und Kameradschaft und versteckt dahinter die böse Absicht, bereits die Schüler auf ihr Opfer für die „Volksgemeinschaft“ einzustimmen. Voraussetzung dafür ist der unbedingte Glaube an den „Führer“, und so widmet man ihm gleich noch einen Abschnitt: Einmal vom „Führer“ eingeladen zu werden und ihm persönlich begegnen zu dürfen, so wird suggeriert, sei das höchste Glück.

Ideologie wird geschickt mit den „Lockangeboten“, die das Regime bietet, verbunden: Zuallerletzt, passend zum Ferienbeginn, findet sich unter der Überschrift „Die Schule ist aus“ noch ein Hinweis auf die von der „Deutschen Arbeitsfront“ ins Leben gerufene Aktion „Kraft durch Freude“. Auch Menschen mit wenig Einkommen können nun auf das Land fahren oder eine Reise absolvieren – mit dem „Führer“, so die Botschaft, ist die neue, bessere, moderne Zeit angebrochen.

Arische Kinder auf die rechte Seite

Für die Schülerinnen und Schüler Wiens beginnen die Tage der NS-Herrschaft ausgesprochen erfreulich: Es ist schulfrei und viele nützen die Gelegenheit, um bei den aufregenden Inszenierungen der neuen Machthaber dabei zu sein – manche jubeln ihnen schon in HJ-Uniform oder in der Bluse der „Jungmädel“ zu. Die Schule beginnt erst wieder am 21. März und als sie in ihre Klassen kommen, erwartet sie so manche Überraschung: Vielerorts ist der Direktor durch einen „kommissarischen Leiter“ abgelöst worden und so manche jüdische Lehrer sind ebenfalls nicht mehr da. Auch von den Schülern sind nicht mehr alle willkommen: „Unser Lehrer, leider kann ich mich nicht an seinen Namen erinnern, sagte gleich in der Frühe, alle jüdischen Schüler auf die linke Seite im Klassenzimmer und arische Kinder auf die rechte Seite. Er sagte das mit Tränen in den Augen, und hätte er dem Befehl nicht gefolgt, so hätte er sicher seinen Posten verloren.“ (Zitiert nach Renate Göllner, Schule und Verbrechen.) Ja, das Lernen ist in diesen Tagen nicht mehr wichtig, die Schule wird zum Schauplatz hasserfüllter Aktionen. Der entmachtete Stadtschulrat für Wien findet sich damit ab, wenn er im Verordnungsblatt vom 15. April 1938 verkündet: „Von einer geregelten Unterrichts- und Lernarbeit konnte daher in diesen Tagen und kann voraussichtlich auch in den nächsten Wochen nicht die Rede sein.“ Manche Schulen wie das Piaristengymnasium in der Josefstadt nutzen den ersten Schultag nach dem „Anschluss“ für eine würdige Feier des „Umbruchs“: Lehrer und Schüler versammeln sich im Festsaal, dann zieht die illegale HJ unter den Klängen des markigen Fehrbelliner Reitermarsches ein, befehligt vom „Schulführer“ Karl Schmied aus der 7 b. Stolz halten die Schüler ihre Hakenkreuzwimpel hoch. „Es war, als hätten diese tapferen Jungen das alles seit Monaten vorbereitet und geübt, so marschierten und standen sie“, liest man im Jahresbericht 1937 / 38 der Schule.


Zählen lernen mit der Hitlerjugend. Seite aus einem Rechenbuch für Volksschüler der ersten Klasse.

Am 22. März soll wieder normaler Unterricht beginnen, doch bald kündigen sich neue Sensationen an: Am 26. März kommt Hermann Göring nach Wien und am 29. wirft sich Joseph Goebbels in die Propagandaschlacht für den 10. April, den Tag der Volksabstimmung. Vorher, am 9. April, soll aber noch einmal der „Führer“ in Wien erscheinen. Die ganze Stadt ist darob in Aufregung, ab dem 2. April gibt der Stadtschulrat daher wieder frei, aus den Klassenzimmern werden Wahllokale und so mancher Lehrer meldet sich als Wahlhelfer. Nach dem 10. April beginnen die Osterferien, der nächste Schultag ist daher erst der 20. April – und das ist der Geburtstag des „Führers“, also wieder ein Tag zum Feiern. Egon Schwarz, damals 16 Jahre alt und jüdischer Schüler des Gymnasiums Stubenbastei, erinnert sich: „Tatsächlich lähmten und überschatteten die neuen Verhältnisse jeden Lehr- und Lernvorgang. Die Unterrichtsstunden wurden so weit wie möglich mit gegenstandsfernen Dingen hingebracht und in stillschweigender Übereinkunft wurden die Aufgaben weder von den Schülern präpariert noch von den Lehrern abgehört. […] Als man erfuhr, daß der Vater eines jüdischen Mitschülers, ein bekannter Rechtsanwalt, Selbstmord verübt hatte, quittierte ein Lehrer die Nachricht mit einem gemurmelten Hinweis auf die ‚Härten einer jeden neuen Zeit‘ […]“ (Zitiert nach Egon Schwarz, Keine Zeit für Eichendorff.)

Die Schülerzahlen in den Klassen sinken, da die jüdischen Mitschüler vertrieben werden, dafür wird jetzt beim Betreten der Klasse vom Lehrer stramm mit dem „Hitlergruß“ gegrüßt, die Parolen des „Führers“ zieren die Wandtafeln. Dafür müssen die Kreuze aus den Klassenzimmern verschwinden, die Nazis dulden neben ihrem Abgott keinen anderen Gott und keine „andere Erziehungsmacht“ (Herbert Dachs) als die NS-Ideologie. Kaplan Heinrich Zeder (1903 – 1985), der Kontakte zur „Österreichischen Freiheitsbewegung“ um Roman Karl Scholz hat und dafür auch ins Visier der Gestapo gerät, hat zwar, wie er später erklärt, nichts gegen die Nazis, das Entfernen der Kreuze treibt aber auch ihn zu einer Reaktion: Er hält eine sogenannte „Kreuzpredigt“ und schlägt in dieser den Eltern vor: „Kauft’s statt irgendwelcher anderer Dinge euren Kindern ein Kreuzerl. Hängt es ihnen um den Hals, und wenn sie in der Schule sitzen, haben sie auch das Kreuz bei sich und sogar noch näher.“

Nicht nur die Kreuze, sondern die vielen konfessionellen Schulen generell sind den Nazis ein Dorn im Auge. Nachdem Hitler am 22. Mai 1938 das österreichische Konkordat für erloschen erklärt hat, sind seine Beamten handlungsfähig: Im Herbst 1938 werden alle konfessionellen Schulen und Internate aufgehoben, der Religionsunterricht wird zu einem „Freigegenstand“ herabgesetzt und durch bürokratische Schikanen an den Rand gedrängt. Nur mehr eine „einzige Schule“ soll in Zukunft existieren: die „nationalsozialistische Schule des Staates“. Betroffen von den Schulschließungen ist etwa auch das traditionsreiche Realgymnasium Luithlen, Tuchlauben 14, das im Schuljahr 1936 / 37 noch von 241 Schülerinnen besucht wird, darunter überwiegend jüdische Mädchen. Bereits am 29. April 1938 muss das Institut zusperren, die nichtjüdischen Schülerinnen werden in das Realgymnasium in der Kalvarienberggasse im 17. Bezirk umgeschult. Wenig später, im August 1938, muss auch die berühmte Schwarzwald-Schule schließen, die Begründung: Die Schule sei vor dem „Umbruch verjudet“ gewesen. Die Sammlungen und die Bibliothek der Schwarzwald-Schule werden konfisziert.

Im März 1939 werden im Theresianum, dem ehemaligen Lustschloss „Neue Favorita“ der Habsburgerkaiser, und im Kommandogebäude Theodor Körner in Wien-Breitensee, Hütteldorfer Straße 126, zwei „Nationalpolitische Erziehungsanstalten“ eröffnet, sie sollen auch in Wien für die Ausbildung der jungen NS-Führerelite sorgen. Die Schüler dieser als Internate geführten Anstalten sind „Jungmänner“, ein Schwerpunkt des Unterrichts ist die vormilitärische Ausbildung.


Auch die Schule beginnt mit dem Hitlergruß. Seite aus einem Lesebuch für Volksschüler.

Lehrbücher und Lehrpläne werden „gesäubert“, jüdische Schriftsteller aus den Lesebüchern eliminiert, der Unterricht konzentriert sich auf ein Ziel: „alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat“ zu entwickeln. Die Devise, die jungen Lehrerinnen bei einem „Erziehungs- und Schulungslager“ verkündet wird, lautet: „Lassen Sie alles Denken beiseite, seien Sie nichts als Nationalsozialistinnen!“ (Zitiert nach Renate Göllner, Schule und Verbrechen.)

Am 13. Juni 1938 wird die „endgültige Regelung“, die ab dem Schuljahr 1938 / 39 für jüdische Schüler zu gelten hat, erlassen. Für Wien gelten laut „Erlass Z. 20394-III/9“ nun folgende Bestimmungen:

„Jüdische Schüler unterliegen der Schulpflicht. Für die Pflichtschulen (6- bis 14-Jährige) gilt:

a) in Stadtgebieten, in denen nach den bestehenden Verhältnissen die Zusammenziehung schulpflichtiger jüdischer Kinder in eigenen allg.öff. Schulen möglich ist, sind die hierfür erforderlichen Vorkehrungen in der Weise zu treffen, daß eine dem rassischen Gesichtspunkte entsprechende Neufestsetzung der Schulsprengel vorgenommen wird;

b) sollte es in einzelnen Stadtgebieten nicht möglich sein, für die jüdischen Schüler eigene öffentliche Pflichtschulen zu führen, so sind bei mindestens 20 solcher Schüler an den öffentlichen Pflichtschulen Sammelklassen für diese jüdischen Schüler einzurichten. In diesen Sammelklassen können auch mehrere Schulstufen zusammengefaßt werden;

c) auch an den privaten Volks- und Hauptschulen ist die Unterrichtsführung nach den vorstehenden Richtlinien zu gestalten; Privatschulen, die von einer überwiegenden Zahl jüdischer Schüler besucht werden, sind künftighin zu Privatschulen für ausschließlich jüdische Kinder umzubilden.“

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