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Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück

Eben derlei „Werte“ gilt es zu hinterfragen. Ansonsten landen wir abermals bei Franz Schubert: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“ Uns plagt die Sucht nach dem Sehnen, die im Stück „Der Wanderer“ ihren Widerhall findet. Ewig getrieben von einer unbändigen Gewissheit, wonach überall die Wiesen grüner sind, nur nicht im eigenen Garten. Sei es nun beim Schamanen im peruanischen Urwald oder in einem Tempel im Himalaya. Wir machen uns bereitwillig zum Spielball unserer eigenen Projektionen.

Es ist absolut in Ordnung, Weisheitslehren aus Fernost zu importieren, doch müssen wir deshalb auch deren spirituell-aristokratische Hierarchien mitbejubeln? Es ist okay, sich dann und wann dem Irrationalen hinzugeben, doch müssen wir deshalb gleich höhere Wahrheiten mit ins Boot holen? Karma-Religionen und irrationale Erklärungsmodelle eröffnen einen Kosmos, in dem jeder alles behaupten kann und darf. Wenn wir dahin zurücksteuern, liegt jede Beweislast fortan beim hilflosen Kritiker. Dann können wir gleich wieder Hexen verbrennen. Der sehnsüchtig Suchende läuft hier Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und ehe man sich’s versieht, verwirft man alles, was Denker, Künstler und Schreibende aller Art über Jahrhunderte an Freiheit für uns erkämpft haben.

Doch Freiheit scheint heutzutage nicht mehr viel wert. Für manche wirkt sie geradezu wie ein Feindbild. Apolitisch, antiintellektuell und antimodern. Wenn es um die bereitwillige Aufgabe aufklärerischer Werte geht, liefert die Esoterik 2.0 ein umsatzträchtiges Exempel. Von Frauenrechten keine Spur, inszeniert frau sich als Engel oder „Weisse Priesterin“ [13] – narzisstische Aufwertung mit dem Etikett einer neu gefundenen Reinheit. Doch tatsächlich geht es hier um eine groteske Form von „Ent-freiung“, welche das Gefühl von Freiheit verkauft – ein Rückschritt ins dunkle Spätmittelalter und nichts anderes.

Es bleibt, was es ist, ein New Cage.

Die Epidemie

Voodoo lebt weiter – vom Kult zur Kultur

Laut führenden Trendforschern glauben 40 Prozent der Deutschen ihr Leben von magischen Kräften durchwirkt [14]. So wie das „Entgiften“ des eigenen Körpers zum selbstverständlichen Ritus einer neuen Gesundheitskultur geworden ist, säubert beziehungsweise „entstört“ man dieser Tage selbstredend seinen Wohn- und Arbeitsbereich. Nicht nur sauber, sondern energetisch rein soll nun alles sein. Lokalisierte man ehemals noch irgendwelche Geister oder verlorene Seelen als Quelle seines Unbehagens, geht man nun daran, sein Dasein wieder an das „astrale Magnetgitter“ anzubinden. Das alles im Namen der Ganzheitlichkeit, das Universum als lebender Organismus. Re-Connection an die kosmische Ordnung und laufende Rekalibrierung sind die magischen Einflussnahmen der Esoterik 2.0.

So wie alle anderen Bereiche unseres Lebens unterliegt auch das Magische bestimmten Moden. Die neuen Labels sprechen nicht nur die Sprache ihrer Zeit, vor allem bedienen sie die Sehnsüchte eines weitaus größeren Publikums als je zuvor.

Realpolitik einmal anders

„Warum geraten Parlamentarier in Rage?“, fragte die österreichische Kronen Zeitung im Jänner 2012. Die Antwort scheint einfach: „Erdstrahlen und Wasseradern“. Und diese wurden bald ausfindig gemacht: von einem Mitglied des Parlaments – seines Zeichens „Energethiker“ – und seinem Team. Mittels Wünschelrute, Weihrauch und Truthahnfeder erfolgte ein eigenwilliger „Energie-Check“ im großen Plenarsaal des Hohen Hauses, in Anzug und Krawatte versteht sich. Das Ergebnis: Kanzler und Vizekanzler säßen auf energetisch „guten“ Plätzen, am Rednerpult hingegen wirke „das härteste Störfeld des ganzen Saales“. Diese Belastung könne „aufwühlen und aggressiv machen“!

Folgt man dem Ergebnis dieser Untersuchung, bedürfen gesellschaftliche Spannungen weniger politischer Lösungen als viel eher energetischer Säuberungen. Quelle: [15]

Es sind schon lange nicht mehr die Spinner

Die Marketingfachleute haben den allgemeinen Trend längst aufgegriffen. Man spricht vom Entstehen einer „neuen Bewusstseinsindustrie“, und das in einer „Gesellschaft der Sinnsuchenden“ [16]. Die sogenannten „Sinntouristen“ werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren an die „40 Prozent aller Urlauber“ ausmachen, konstatiert Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut Kelkheim. Dazu passen Berechnungen der Dresdner Bank, wonach die deutschen Bundesbürger bereits jetzt pro Jahr „an die neun Milliarden Euro in Lebenshilfe, Orientierung, Selbstverwirklichung und Sinnsuche“ investieren. Von einem Industriezweig zu sprechen scheint da wohl kaum übertrieben. In diesem Umfeld gereicht so etwas wie „yogisches Fliegen“ nicht mehr zur Besonderheit. Ganz im Gegenteil: Ehemals „Esoterisches“ wird zusehends zu einer Art Volkssport. Wer hier nicht mitmacht, stellt sich geradewegs ins Aus.

Schon Georg Lukács (1916) ortete ein Zeitalter „transzendentaler Obdachlosigkeit“ [17]. Und von einem Rückgang des religiösen Hungers will wohl niemand ernsthaft reden. Umso vielversprechender demnach die Frage, welche Form die spirituellen Einhausungen dieser Tage angenommen haben. Eines kurz vorweg: Esoterisches Gedankengut ist uns keineswegs fremd. Es ist vielmehr zum selbstverständlichen Geistesgut unserer Gesellschaft geworden.

Von rosaroten Panthern

Wer hat an der Uhr gedreht? Theologen wie Paul M. Zulehner bemerken vor allem seit den Neunzigerjahren einen „Megatrend zur Respiritualisierung“ [18] unserer Lebensweise und damit einhergehend eine kontinuierliche Verfärbung unserer sozialen Wahrnehmung. Ehemals Exotisches wird nicht mehr als solches identifiziert. Und wenn uns das Rosa der Esoterik nicht mehr ins Auge sticht, mag das auch folgende Gründe haben:

 Vielleicht tragen wir alle bereits rosarote Brillen. Paulchen Panther wäre demnach für unser Auge kein Verdächtiger mehr. Er erschiene ganz einfach wie einer von vielen. Um ihn zu finden, müssten wir den Filter aus unserem Blick entfernen, aber wie soll das gehen?

 Angenommen unsere Landschaft hätte sich inzwischen rosarot verfärbt: Wiesen und Blumen, alles pink. Paulchen und seine Freunde wären demnach kaum sichtbare Phantome, Ton in Tönchen mit ihrer Umwelt. Dann täten wir gut daran, wenigstens ihren Fußspuren nachzugehen.

 Möglicherweise hat Paulchen auch sein Fell gewechselt. Nach einem rosaroten Zeitgenossen zu fahnden erwiese sich nicht nur sinn-, sondern auch chancenlos. Womöglich ist Indigo der neue Trend? Doch dazu noch später.

Was, wenn sich herausstellt, dass wir überhaupt keine Paulchen finden können? Und das vor allem deshalb, weil wir selbst bereits zu rosaroten Panthern mutiert sind? Vielleicht sehen wir nur deshalb keine esoterische (Massen-)Bewegung, weil wir schon selbst in Bewegung sind. Vielleicht sind es vielmehr wir selbst, die wir suchen oder doch eher untersuchen sollten.

Vermutlich ist es, wie so oft, eine Mischung, die der Wahrheit am nächsten kommt. Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaft an der FU Berlin, thematisiert diese Schwierigkeiten in unserer Wahrnehmung. Die Esoterik dringt zunehmend in den ganz normalen Alltag ein“, erklärt der Religionswissenschaftler. Ursprünglichkeitssehnsucht, Apparateglaube, Technikfaszination und die Begeisterung für Magisches werden bedient. Esoterische Angebote wirken für Zinser wie „schwankende Gestalten“ zwischen Wissenschaft und Religion. Spiritistische Produkte und energetische Dienstleistungen etablieren sich zusehends zu fixen Bestandteilen der täglichen Konsumation. Der Szenekenner fasst zusammen: „Viele nehmen sie schon gar nicht mehr als esoterisch wahr. Und das macht es so problematisch.“ [19]

Keiner ist Esoteriker, aber der Markt ist da: die Zahlen der Zahlenden

Esoterik hat was von „Modern Talking“, jeder findet sie dämlich, doch das Geschäft boomt trotzdem. Von „Schamanismus“ über „Okkultismus“ bis hin zu „Kohlemachismus“ reichen die Headlines, „zehn Milliarden Euro“ generiere der Handel mit magischen Erzeugnissen und Diensten Jahr für Jahr in Deutschland. So eine vorsichtige Expertenschätzung aus dem Jahre 2004 [20]. Aber dennoch, „wie groß der Esoterik-Markt wirklich ist, weiß niemand – zumal schon Volkshochschulen Handauflegen in ihren Katalogen haben“, schreibt Die Welt. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass es immer mühsamer wird, Magisches und Nicht-Magisches auseinanderzuhalten. Denn, „die Esoterik ist längst keine Spielwiese mehr für ein paar Spinner, sondern hat sich tief in die Gesellschaft eingeschlichen“, bemerkt die Kult- und Sektenexpertin Ursula Caberta [20]. Wir haben es also mit einem Unschärfeproblem zu tun. Doch wie verschwommen unsere Sicht der Dinge auch immer sein mag, es geht hier in jedem Fall um einen Milliardenmarkt, der stetig wächst.

So gehören Neo-Spiritualität und das Faible für Übersinnliches zu den Kerngebieten der Konsumforschung, und das nicht von ungefähr. Spricht der Spiegel noch im Jahr 1994 von einem Marktvolumen von circa 18 Milliarden DM jährlich [21], so schätzt Eike Wenzel die Umsätze in diesem Segment 2010 bereits auf 18 bis 20 Milliarden Euro [22]. Und das in einem Jahr, wo uns allen noch die Finanzkrise im Nacken saß. Ein Abflauen des Hypes ist nach Wenzel nicht in Sicht. Bis 2020 soll der Umsatz mit spirituell-esoterischen Angeboten auf ganze „35 Milliarden“ Euro ansteigen [19]. Nur zum Vergleich: Die deutsche Brauwirtschaft setzt aktuell gerade einmal knappe acht Milliarden Euro um [23]. Und wehe dem, der auf diesen Zug nicht aufspringt. Denn beim „Konsum zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab“ [24]. Fernab von schnöden Statussymbolen etabliert sich „Sinnsuche als neue Wirtschaftsgröße“. Die Flyer der Wirtschaftsberater sprechen von „gigantischen Zukunftsmärkten“. Nicht umsonst gehören Transzendenz, Selbstfindung und Esoterik schon längst in jede bessere Marketingschulung. Vom mystischen Waschmittel oder dem „Balance-Kaugummi“ bis hin zur Partnervermittlung im Dienste der Selbstvervollkommnung: Unsere Produkt- und Dienstleistungswelt erfährt zusehends eine spirituelle Aufladung.

Doch auch klassische Magie kann an diesem Kuchen mitnaschen. „Eine Viertelmilliarde“ sollen die rund 10.000 haupt- und nebenberuflichen Wahrsager und Handaufleger einnehmen. 150 Millionen Euro erwirtschaftet die Astrologiebranche, „mehrere hundert Millionen der seit Jahren zum Teil zweistellig wachsende esoterische Buchmarkt“, so die Zahlen in der Welt [20]. [20]

Dass auch noch altgediente Hellseherei durchaus profitabel vermarktet wird, beweist beispielsweise das Berliner Unternehmen „Questico AG“. Astrologie-Shows der Marke „Astro TV“ im Fernsehen und Telefonberatungen zählen zu seinen Einnahmequellen. Matthias Pöhlmann und die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (Berlin) beziffern den Umsatz bei Questico auf jährlich 70 bis 80 Millionen Euro [25]. Rund eine Million Questico-Kunden gelten als registriert. Über die Questico-Hotlines laufen täglich mehr als 20.000 Gespräche. 2600 „Experten“ – ihres Zeichens Kartenleger, Wahrsager, Astrologen, Hellsichtige und Sensitive – bieten „liebevolle, kompetente Lebensberatung“, natürlich gegen Geld, minutengenau abgerechnet versteht sich.

Esoterik im Buchladen

Ein noch deutlicheres Bild zeichnet der Büchermarkt. Wer sein Geld noch dem Laden im Stadtzentrum anvertraut, der rufe sich den letzten Besuch des Selbigen noch einmal ins Gedächtnis. Wie viele Quadratmeter verschlingen inzwischen die Abteilungen Lebenshilfe, Esoterik, Spiritualität, Astrologie, Bewusstsein und Co.? In welcher Relation stehen diese zu den Bereichen Politik, Kochen oder gar Sprachen? Wie war das früher? Lässt sich hier eine Tendenz erkennen?

Zumindest wohl dieselbe, die auch in den Geschäftsbüchern ihren Niederschlag findet. So lag 2005 der Anteil esoterischer Veröffentlichungen im Bereich „Sachbuch“ bei 13,4 Prozent. 2007 betrug der Umsatz mit Werken dieses Genres schon 500 Millionen Euro [25]. Ergab die Stichwortsuche „Esoterik“ beim Onlinehändler Amazon im Jahr 2004 noch 6072 [14] Titel, so finden sich 2013 an die 100.000 Treffer. Meinungsforscher konstatieren 20-prozentige Umsatzzuwächse in Sachen Metaphysik, und das in einem stagnierenden Buchmarkt [14].

Wenn klassische Eso-Shops ihre Pforten schließen, dann wohl nur deshalb, weil viele herkömmliche Buchläden ihnen in Sachen Runenorakel und Seelenbotschaften sprichwörtlich das Weihwasser abgraben. Engelsfigürchen, Abwehr-Essenzen und Heilkristalle, alles, was man für das spirituelle Erwachen so braucht, aber mit Literatur herzlich wenig gemein hat. Die ehemalige Esoterikecke nimmt mancherorts derartige Ausmaße an, als stünde man mitten in einem New-Age-Supermarkt. Dabei bleibt dem klassischen Händler gar nichts anderes übrig, denn der Löwenanteil in Sachen Lebenshilfe findet zweifelsohne mittels der übermächtigen Online-Bookseller seine Käufer. Schließlich versteht sich Spiritualität heute vielmehr als eine Angelegenheit des Selbst-Wählens, des Sichselbst-Aussuchens. Wer braucht da noch Beratung? Hier fühlt sich jeder selbst schon als Experte. Man folgt seiner Intuition und bestellt diskret online.

Die zunehmende Spezialisierung in der Esoterik 2.0

Und genau diese Kursrichtung schlägt sich in vielen verschiedenen Marktsegmenten nieder. Gemeint ist die zunehmende Spezialisierung vonseiten der Anbieter als auch der Abnehmer. Man beginnt sich zu positionieren, und das innerhalb der Szene. Vergleichbar hierzu der Weg vom Web 1.0 zum interaktiven Getriebe des Web 2.0.: Den Einstieg haben die meisten schon hinter sich, nun geht es darum, sein Insiderwissen zu vertiefen. Schließlich verstehen sich esoterische Prinzipen für breite Teile der Gesellschaft schon als gelebte Praxis. Hier also immer mehr Fach-Communitys innerhalb digitaler sozialer Netzwerke, da immer extravagantere Zirkel innerhalb einer rosarot durchfärbten Geisteskultur. In diesem Zusammenhang liefern gerade die Entwicklungen am Zeitschriftenmarkt ein Spiegelbild davon, wohin uns die Esoterik 2.0 führt.

Der esoterische Blätterwald

Es sind zunächst die Klassiker, welche schon seit Jahrzehnten das magische Feld bestellen. Altbewährte Astrologie à la Astrowoche zieht da mit einer Auflagenhöhe von 100.000 [25] Exemplaren ins Feld. „Einmalige Lebensberatung, hochwertige Horoskope, Mondkalender und viele weitere Themen“ finden hier ihren Leser. Astrowoche Plus-Abonnenten erhalten zudem „einen individuell programmierbaren Mondpausenwarner“ [26] sowie ihre Tageshoroskope per E-Mail. Überboten wird die Zeitschrift aus der Bauer Media Group dennoch von Zukunftsblick aus dem Hause Questico. Und das nicht nur in Sachen Füllmenge – immerhin 268 Seiten für nur 1,40 Euro –, sondern auch im Vertrieb. 250.000 Stück [25] sollen monatlich in diversen Haushalten landen. Seitenweise finden sich Annoncen der Channel-Medien und Hellfühlenden, großteils via Telefon. Kontaktmagazine im spirituellen Format. Nur diesmal sind es nicht Sexhotlines, sondern jenseitige Tuchfühlungen, die da vermittelt werden. Und umgekehrt ist nun das Publikum durch die Bank weiblich.

Magazine für esoterische „Insider“

Mehr phantastischen Tiefgang beweist da schon der florierende Markt esoterischer Fachzeitschriften. Denn aus dem magischen Garn der ersten Generation häkelt nun jeder Kult seine ganz eigenen Muster. Die Rede ist von vielen verschiedenen Fangemeinden unterschiedlicher metaphysischer Labels. Jede Community besetzt ihr ganz eigenes Ressort und kommuniziert wiederum über ihr eigenes Medium. So zum Beispiel das Magazin Lichtfokus (Auflage circa 12.000) [25] mit den Schwerpunkten Lichtarbeit, Channeling und aufgestiegene Meister. Hier dreht sich alles um die Themen „Erwachen, Spiritualität, Neues Bewusstsein“, das Wörtchen „Esoterik“ sucht man in diesem Blatt allerdings vergebens. Wozu auch? Die Adressaten sind hier nicht „Esoteriker“, sondern schlicht die „Lichtarbeiter der Neuen Zeit“.

Seit April 2008 erfährt auch der Engelspiritismus mediale Unterstützung. Das Engelmagazin spricht dem Leser aus dem Herzen: „Du verdienst es, geliebt zu werden“, versichert das Cover [27]. Immerhin 75.000 Stück verlassen alle zwei Monate die Druckerpresse und versorgen Erwachsene mit flauschigen Engelsgeschichten, um „der Sinnsuche und Sinnfindung mehr Raum im Leben“ zu geben [25]. „Spirituelle Lebenshilfe und Engelbotschaften für jeden Tag“ werden darin geboten, bis hin zu „Tiere, unsere Seelenpartner“ [28]. Aber auch hier wieder dasselbe Bild: von „Esoterik“ oder gar „New Age“ keine Spur.

Das Wellnessmagazin als Türöffner

Als etwas weniger exklusiv und somit für eine breitere Leserschaft konzipiert erweist sich das Monatsmagazin Visionen. „Spiritualität, Bewusstsein, Wellness“ [25] lauten hier die Themenschwerpunkte. 90.000 Stück informieren Monat für Monat in Sachen Zen-Buddhismus, Intuition und Gehirnforschung bis hin zu Tarot und Seelenpartnerschaft. Visionen liefert ein gutes Bespiel für das Ineinandergreifen von Esoterik- und Wellnessbewegung. Die Sehnsucht nach innerer Mitte und bewusstem Leben wird hier genauso angesprochen wie der Wunsch, „Engel und Sterne als Seelenführer“ [29] zu etablieren. So fungieren spirituell angehauchte Wellnessmagazine gewissermaßen als Steigbügelhalter für den oben erwähnten Insiderhandel. Sie sichern das Feld nach hinten ab und sorgen mithilfe einer marktgerechten Mixtur aus Vernunft und Unvernunft für einen tragfähigen ideologischen Unterbau, der spezialisierteren Zirkeln eine Abflugbasis bietet. Gerade also ein Streifzug durch den Blätterwald der Wellnessindustrie versinnbildlicht, wo die Themenschwerpunkte der Neuzeit anzusiedeln sind. Denn die „Zukunft steht nicht nur in den Sternen“, sie findet sich „auch zwischen den Beinen“, steht da in Body & Mind, dem Blatt für „Wellness und Wohlfühlen“ [30]. Schließlich hat die hier beworbene georgische Astrologin ihr Wissen bereits an über 4000 Genitalien erproben können. Doch intimes Handanlegen sei für eine „Prophezeiung“ nicht nötig, ein Foto genügt. Der Eros im Dienste des Spirit.

Die Zukunft heißt „Mindstyle“

Dass gerade dem gigantischen Markt der Frauenzeitschriften eine intensive Transformation bevorsteht, illustriert die Geburt der sogenannten „Mindstyle-Magazine“. Das Bauch-Beine-Po-Postulat erfährt hierbei eine trendgerechte Erweiterung. Body, Fitness und Sex bekommen Gesellschaft von Aura, Chakren und Lichtkörpern. Vormals Esoterisches avanciert stillschweigend zum neuen Life- oder eben Mindstyle. Dementsprechend pflegt man „einen bewussten Lebensstil“ [31] und schmückt sich zugleich mit spirituellem Aufputz. Genau deshalb gehört die Zeitschrift Happinez aus dem Heinrich Bauer Verlag selbstredend zur Welt der „New Luxury“-Magazine [32].

Selbstverbesserung und „emotionale Weiterentwicklung“ [33] in „hochwertigster Haptik und Optik“ [34] versinnbildlichen in den Worten der Trendforscher einmal mehr, „wie das Übersinnliche die gesellschaftliche Mitte erobert“ [14]. Auffallend hier die Überlagerung weltlicher Themen mit einem spirituellen Nimbus. Job, Gesundheit, Ernährung, Lifestyle, Reise oder Kultur: Alles wird um eine bedeutende Dimension erweitert. Die eigene Vervollkommnung mit allem, was dazugehört, lautet wohl die Devise des Blattes für 35- bis 50-Jährige. Das Magazin, das „Weisheit, Psychologie und Spiritualität“ anvisiert, propagiert neben dem Gang zum Schamanen auch Kristallwasserstäbe zum Übertragen von Heilkräften und vermiest seinem Publikum Nicht-Tantra-Sex als „eine nackte, kalte Form von Sexualität“ [35]. Themen, welche vor einigen Jahren noch in reinen Eso-Heftchen zu finden waren, bilden nun das Konsumgut einer breiten Leserschaft.

Das Magazin erschien erstmals 2010, ist Partner der Plattform „Wunderweib“, umfasst 145 Seiten, und das in Hochglanz. Mit einem Preis von 4,95 Euro will man sich gezielt zwischen InStyle & Co. ansiedeln. Bei einer Auflage von 150.000 Stück kann man durchaus mit Zeitschriften wie Vogue mithalten. Von einem gesellschaftlichen Randbereich dürfte da kaum mehr die Rede sein. Und die Sterne stehen günstig: Denn Happinez ist keine deutsche Erfindung, sondern eine Lizenzausgabe eines gleichnamigen niederländischen Titels. Dieser hat sich seit dem Launch 2003 bereits zur auflagenstärksten monatlichen Frauenzeitschrift der Niederlande entwickelt. Und das mit einer Verkaufsauflage von knapp 200.000 Exemplaren [36] bei circa 16,5 Millionen Einwohnern. Umgerechnet auf Deutschland entspräche das einem Leserpotenzial von knapp einer Million Menschen.

Fazit: Der Zeitschriftenmarkt bringt es klar zutage. Im Zuge einer zunehmenden Ausdifferenzierung präsentiert sich esoterisches Geistesgut vermehrt als hip und trendy. Analog zur so kolportierten Hochglanz-Spiritualität besucht man folglich auch nicht mehr eine schmuddelige Esoterik-Messe, sondern bucht ein Wochenende auf einem Bewusstseins- oder gar „Zukunftskongress“ [37]. Die Zielgruppe: Manager mit Anzug und Krawatte, genächtigt wird im Grandhotel.

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