7000 und 1 Nacht

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Die Krankenstation befand sich im vierten Stock des Hauses. Wieder musste ich mich nackt ausziehen. Dann wurde ich in einen Raum gebracht, der, wie ich erleichtert feststel te, ein großes Fenster hatte.

Zu früh gefreut, erblickte ich daraufhin eine Art Gitterbett, welches fest in der Wand verankert war und einen seitlichen Einstieg besaß.

Dies war die nächste Absonderung für Selbstmörder. Auch davon hatte ich zuvor schon mal gehört, doch ich hätte liebend gerne darauf verzichtet, sie in natura zu erleben.

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Immer noch komplett nackt, musste ich in dieses Bett hineinsteigen. Hinter mir fiel zuerst die Klappe zu und kurze Zeit später die Tür. Ich kauerte mich nun auf den Gitterrost aus Flacheisenbändern, welche sich ungefähr 30 Zentimeter über dem Boden befanden, zusammen. In diesem, wie ein Kinderbett mit Deckel konzipierten Folterinstrument, in dem sich viel eicht ein Sechsjähriger ausstrecken konnte, musste ich nun verharren.

Von Zeit zu Zeit verlagerte ich mein Gewicht auf diesem flachen, schmalen Eisen, gequält und darauf wartend, dass man mich bald wieder daraus befreien würde.

In der Nähe des Gebäudes stand eine Kirche und die Turmuhr schlug nicht nur zur vol en Stunde, sondern auch im 15-Minuten-Takt.

So hatte ich etwas, auf das ich mich konzentrieren konnte.

Es ist nicht in Worte zu fassen, wie lange 15 Minuten werden können, wenn der Körper in eine Stellung gezwungen wird, in der man nur den Wunsch hegt, sich endlich ausstrecken zu dürfen –

und das noch dazu nackt.

Irgendwann fühlt es sich einfach nur mehr so an, als drohten alle Gliedmaßen abzusterben.

Nach Stunden musste ich dringend auf die Toilette. Quälend versuchte ich den Harndrang zu bändigen. Es dauerte ewig, bis man auf meine Rufe reagierte und zwei Beamte die Klappe meines Gitterbettes öffneten und ich mich unter Schmerzen aus meiner unangenehmen Lage befreien durfte.

Sobald ich, immer noch so, wie mich Gott geschaffen hatte, am WC

angelangt war, konnte ich al erdings nicht mehr „Wasser lassen“.

Die lange Zeit, in welcher ich mein Bedürfnis zurückgehalten hatte, bewirkte, dass ich nun zuerst meine inneren Verkrampfungen lösen musste.

Dass neben mir eine Aufsichtsperson wartete, machte das ganze Unterfangen keineswegs leichter.

Man ließ mir keine Zeit. Stattdessen wurde ich angeschrien, was ich mir einbilde, Aufsehen zu erregen, wenn ich gar nicht auf die Toilette müsste.

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Mit einem schroffen „Ab, hinein!“ beförderte man mich wieder so unsanft wie möglich ins Gitterbett.

Kaum war die Tür ins Schloss gefal en, überfiel mich erneut das Gefühl, dass meine Blase gleich platzen würde. Wieder schrie ich mir die Seele aus dem Leib, aber diesmal umsonst.

Niemand erhörte mein Flehen und so musste ich schließlich dem Drang nachgeben. Nicht nur, dass ich damit den Boden unter mir versaute – die Demütigung, welche ich durch dieses Erlebnis erfuhr, trieb mir Tränen der Scham in die Augen.

Bis am Abend das Essen verteilt wurde, war alles bereits verdunstet. Nur ein großer Fleck deutete noch auf das schreckliche Geschehen hin.

Ich lehnte das Essen ab und meldete einen Hungerstreik an.

Das setzte offenbar dem Fass die Krone auf und es folgte eine wüste Schimpftirade der Wärter.

Derartig ungehaltene Worte verschlugen mir die Sprache.

Wiederum stel te ich mir die Frage, was ich diesen Menschen getan haben musste, dass sie mich so behandelten? „Ich wil hier raus!“, war das Einzige, was ich darauf zu entgegnen wusste.

Aufgrund des Lärms kam die 'Flügelschwester' herbei, die in diesem Stock ihre Unterkunft hatte. Sie klärte mich darüber auf, wie lange ich in diesem Albtraumzimmer noch bleiben müsse. Es war Freitagabend und die Dame erteilte mir die Auskunft, dass ich Montagmorgen raus dürfe. Erst dann würde der Anstaltsarzt entscheiden, was mit mir geschehen würde.

Ich konnte es nicht glauben. „Bitte geben Sie mir eine Decke! Ich möchte sie als Unterlage benützen. Ich habe Schmerzen!“, bat ich sie inständig.

„Ein Selbstmörder darf keine Decke haben!“, war die Antwort. Ich könne diese ja wieder „zum Aufhängen“ benutzen. Verzweifelt schrie ich sie an: „Das darf nicht wahr sein! Sie sind auch mit dem Teufel im Bunde!“ Wortlos wandte sich die Schwester um und die Türe fiel hinter ihr laut ins Schloss.

Dann wurde es stil und ich hörte nur noch das Schlagen der Kirchturmuhr.

Im 15-Minuten-Takt.

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Immer mehr konnte ich jetzt die Menschen verstehen, die aus Ausweglosigkeit und Hass auf dieses System eine kriminel e Laufbahn eingeschlagen hatten. So wie es aussah, war ich nun entgültig einer von ihnen geworden. Hass ruft Hass hervor - damit musste ich jetzt leben.

Ich hörte jedes Geräusch, an Schlaf war in dieser Kauerstel ung nicht zu denken.

Es war schon dunkel, als die Türe leise aufging. Da stand plötzlich neben meinem Käfig - wie eine Erscheinung - die 'Flügelschwester'.

Sie hatte mir eine Decke geholt und ein Stück Schokolade.

„Ich hole die Decke am Morgen wieder. Machen Sie keine Dummheiten!“, äußerte sie sich knapp.

„Ja, Schwester, keine Dummheiten“, wiederholte ich überrascht.

Wie habe ich mich über diese Decke gefreut und als Draufgabe noch Schokolade!

Ein gequälter Mensch braucht nicht viel, um glücklich zu sein -

wenigstens für einen kleinen Moment, denn wer ist schon auf Dauer glücklich?

So viele Fragen quälten mich - die Turmuhr liebte ich.

Kurz um, ich überdauerte dieses unendlich lange Wochenende in diesem Gitterbett.

Brav aß ich, - mit den Fingern - was man mir „zum Fressen“

entgegen schob. Nachts bekam ich von meiner 'Komplizin' eine Decke und Schokolade.

Nachdem ich versprochen hatte, keinen Selbstmordversuch mehr zu unternehmen, entließ mich der Arzt wieder in die Kel erzel e, in welcher ich mich richtig ausstrecken konnte. Immerhin hatte ich nun jegliche Abneigung und Ekel verloren, ich musste nur aufgrund des Rattenalarms darauf achten, den WC-Deckel zu schließen.

„Warum sind Sie geflüchtet?“, fragte der Kommandant bei der Anhörung.

„Ich wol te nur mal den Tag genießen, im Grünen spazieren gehen.

Ich hörte, die Flucht stehe jedem frei. Deshalb habe ich ganz spontan zu laufen begonnen.“

Zwei mal 14 Tage Kel er, dazwischen eine Woche Normalvol zug zur

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Erholung, brummte man mir auf.

Auch diese Zeit ging vorüber und als ich in Normalhaft verlegt wurde – allerdings immer noch mit einem „roten F“ auf den Rückseite meiner Kleidung versehen – hatte man mich zum

„Helden“ ernannt.

Franz, für den ich diesen Fluchtversuch unternommen hatte, bekam ich nicht mehr zu Gesicht, da ich in einen anderen Trakt verlegt worden war. Nur über die Hausarbeiter konnten wir uns verständigen. So wusste er, was ich in der Zwischenzeit durchgemacht hatte.

Vor allem wusste er aber auch, dass ich dicht gehalten hatte, was den wahren Grund meiner Flucht anbelangte. Auch das sprach sich herum. Al e versuchten Kontakt zu mir aufzunehmen, vertrauten mir Geheimnisse an.

Kurz gesagt, ich hatte mir somit Respekt verschafft und wurde in den Kreis der ‚schweren Jungs‘ aufgenommen.

Ich war naiv und durch den Tod meiner Christl lahm gelegt. Die Vorkommnisse, in denen mir so viel Hass entgegen gebracht worden war, hatten mich offen für alles gemacht. Die Kriminel en zeigten mir nun neue Möglichkeiten und Perspektiven auf und wollten mich als Komplizen an ihren Plänen teilhaben lassen. Es war, als trüge ich auf einmal zwei Herzen in meiner Brust.

Das eine schlug für meine Familie, der ich tagaus tagein meine Gedanken schenkte. Das andere wiederum für jene Menschen, die durch Schicksalsschläge mit dem Gesetz in Konflikt und somit mit einem System zu tun bekommen hatten, was statt Hilfe nur Demütigung und Ausschließung zur Folge hatte.

Meine ursprünglichen Zukunftspläne schwanden immer mehr dahin und das Hier und Jetzt hatte mich vol im Griff.

Noch während der Haft musste ich zu der Musterung für den Wehrdienst beim österreichischen Bundesheer, bei der man mich nach meiner Entlassung sofort als Gebirgsjäger nach Kärnten einberief. Die Grundausbildung absolvierte ich in Klagenfurt. Nach drei Monaten wurde ich in das Gebirgsjäger-Kommando nach Spital an der Drau verpflichtet.

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Es war teilweise eine schöne Zeit und wir verbrachten davon viel in den Bergen. Die Ausbildung war hart, tat al erdings gut - ich war fit.

Viel blieb mir nicht von meiner wiedergewonnen Freiheit – wieder erfuhr ich eine Art von Demütigung. Meine Vorgesetzten ließen mich spüren, dass ich vorbestraft und gerade erst aus dem Knast gekommen war.

Da ich mit mehreren Mithäftlingen Heimatadressen ausgetauscht hatte, blieb es nicht aus, dass man mit mir sehr rasch Kontakt aufnahm.

Es war bei meinem ersten Urlaub, als ganz überraschend Heinz vor der Tür stand.

Heinz war ein Einzelkind aus gutem Hause. Er hatte sehr früh seinen Vater durch einen Unfal verloren und kam mit dem neuen Partner seiner Mutter nicht zurecht. So wurde er straffäl ig, stahl Autos und fuhr diese schließlich zu Schrott. Außerdem war er war ein begnadeter Kletterer. In der Haft hatte er einen Deutschen kennengelernt, welcher den ganzen Sommer nichts anderes tat, als sich in Hotelzimmer einzuschleichen und den Gästen alles zu stehlen, was nicht niet- und nagelfest war.

Er besuchte mich mit einem fast neuen, roten Sportwagen, den er, wie er mir lang und breit erklärte, von seinem Stiefvater erhalten hatte. Al erdings besaß er keinen Führerschein.

 

Er wolle nach Italien und dort wie dieser Deutsche in Hotels einsteigen und sich so Geld verschaffen, um ein besseres Leben führen zu können und nicht mehr nach Hause zurückkehren zu müssen. Den Führerschein dürfe er ohnehin noch nicht machen. Er blieb über Nacht bei mir und fuhr mich tags darauf nach Spital an der Drau, wo wir uns verabschiedeten.

Doch am Abend stand er wieder vor der Kaserne. Er hatte sich nicht getraut, ohne Führerschein über die Grenze zu fahren. Wir fuhren zum naheliegenden See und er schlich um die Hotels herum, um sie zu besehen.

Die Türen der Balkone standen bis zu den obersten Stockwerken im Sommer offen – also leichte Beute für ihn. Am Abend musste ich wieder in meine Kaserne. Heinz wartete die Nacht ab und stahl wie eine Elster alles, was sich ihm bot.

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Am nächsten Tag stand er wieder davor und meinte, er müsse den Schmuck bei mir verstecken. Als Gegenleistung würde er mir sein Auto überlassen und mit dem Zug nach Italien weiterreisen. Wenn dann dort die Sommersaison zu Ende ginge, würde er zurückkehren.

Da aber auch ich keinen Führerschein besaß, vergaß ich, nach den Autopapieren zu fragen. Ich versteckte seinen erbeuteten Schmuck in meinem Spind und war fast jeden Abend mit seinem Auto unterwegs.

Sogar nach Hause fuhr ich damit. Mein Vater sprach mich darauf an, dass ihm zu Ohren gekommen war, dass so ein Wagen vor kurzem als gestohlen gemeldet worden sei und wollte die Papiere sehen. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Heinz hatte mir offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt.

Ich wol te das Auto in der Nähe der Kaserne abstel en und dort sol te Heinz es wieder übernehmen. Außerdem wollte ich die Papiere sehen.

Zunächst musste ich aber nach Kärnten.

Es war Hochsommer und ich fuhr auf der Bundesstraße - die Tauernautobahn war 1971 noch in Bau.

Im Radio wurde von zwei Ausbrechern berichtet, welche aus dem Landesgericht in Klagenfurt getürmt waren und sich angeblich in dem Tal aufhielten, in dem ich gerade unterwegs war. Mir wurde ganz schlecht vor Angst, in eine Kontrol e zu geraten. Ich sah mich schon wieder in Haft. Total verunsichert, führte ich mir al den Wahnsinn vor Augen, was nach alldem, was ich bereits hinter mir hatte, erst noch auf mich zukommen würde.

Als hätte ich es vorausgeahnt, stand nach einer Ortsdurchfahrt plötzlich eine Polizeisperre vor mir. Langsam fuhr ich darauf zu, öffnete mein Seitenfenster. Als allerdings die Beamten, die alle Waffen trugen, seitlich zu meiner Türe kamen und ich vor mir freie Bahn hatte, trat ich bis zum Anschlag ins Gaspedal und raste mit Höchstgeschwindigkeit davon.

Ich wusste, dass ich von der Straße runter musste. Über Funk würde sofort die nächste Ortschaft verständigt und hinter mir nahm man schon die Verfolgung auf. Ich befand mich erneut in einer

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Ausnahmesituation, wie sie mir zuvor noch niemals widerfahren war

- ich wurde verfolgt.

Dort, wo die Tauernautobahn damals gerade in Bau war, gab es für Lkws Schotterpisten und da es Sonntag war, keine Arbeiter auf der Baustel e.

Wie ein Rallye-Fahrer düste ich nun mit hohem Tempo über diese Schotterstraße. Ich sah in meinem Rückspiegel, welch riesige Staubwolke ich hinterließ. Dieser Weg verlief kilometerweit auf einer dammartigen Aufschüttung. So musste ich folglich eine drei bis vier Meter hohe Böschung überwinden, wenn ich die Fahrbahn verlassen wollte. Hierbei ging ich al erdings das Risiko ein, dass sich der Wagen dabei überschlug. Schon von weitem sah ich das Ende der Schotterstraße und riss das Auto nach rechts. Wie befürchtet überschlug es sich und durch das geöffnete Seitenfenster drang eine Lawine aus Schotter, Sand und Staub in das Innere des Wagens. Schlagartig sah ich überhaupt nichts mehr - aber der Motor lief weiter. Auf einem kleinen Seitenweg war das Auto wieder auf den Rädern zu stehen gekommen.

Die Scheiben waren herausgeflogen und das Dach hing schief, aber es war fahrtüchtig. Ich gab wiederum Gas in der Hoffnung, bald wieder eine Straße zu finden, die mich weiterbrachte. Über etliche kleine

Wege,

die

ich

von

Übungsausfahrten

beim

Jagdschutzkommando schon kannte, fuhr ich bis zu einer Autowerkstätte, in welcher viele zertrümmerte Wagen standen und stel te dieses dazu.

Nervös sah ich mich um - keine Menschenseele war zu sehen.

Es war ja Sonntag. Ich nahm meine Tasche und kontrol ierte, ob mich irgendetwas verraten könnte. In den Ohren und der Nase –

beinahe überal konnte ich Staub und Steinchen ausmachen.

So klopfte ich mich ab und ging eine kurze Strecke zu Fuß, bis ich per Anhalter zu meiner Kaserne mitgenommen werden konnte.

Obwohl diese Sache anscheinend doch noch gut ausgegangen war, kam in mir kein Gefühl von Sicherheit auf - mein Gewissen konnte und wol te sich nicht beruhigen. Wir hatten Tage später einen 70

km langen Marsch mit vol er Ausrüstung hinter uns zu bringen. Als ich abends total fertig auf mein Zimmer kam und nur mehr duschen

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und ins Bett fal en wollte, standen plötzlich zwei Männer in Zivil vor mir und erklärten, dass ich verhaftet sei. Sie hielten mir den Schmuck unter die Nase und zeigten mir das Foto von dem total beschädigten Sportwagen - so wie ich ihn kurz zuvor zurückgelassen hatte.

Nun begriff ich erst, dass sie meinen Spind durchsucht und dabei diesen Schmuck gefunden hatten. Wie man auf meine Spur gekommen war, wollte mir al erdings nicht einfal en.

Ich wurde umgehend auf die Polizeistation gebracht. Man wol te von mir ein lückenloses Geständnis, welches ich ihnen nicht liefern konnte, da ich Heinz auf keinen Fall belasten wol te. Daher tischte ich den Beamten eine Geschichte auf, die man mir aber nicht so einfach abnehmen wollte.

Von dem einen Polizisten bekam ich Essen und Trinken und vom anderen Schläge verabreicht.

Doch ich blieb bei meiner Version:

Ich hätte in Vil ach einen Mann kennengelernt, der mir den besagten Sportwagen geliehen hatte und den Schmuck hätte ich in einer Bar gekauft. Kein Wunder, dass die Beamten bissig reagierten und mich daraufhin nach Klagenfurt überstel ten.

Dort blieb ich ebenfal s bei meiner Aussage.

Erst bei der Verhandlung erfuhr ich, dass bei der genauen Untersuchung des Autos eine kleine Streichholzpackung mit der Werbung eines Cafés in der Nähe meiner Kaserne gefunden worden war. Genau in diesem Cafè hatte ich einer Kellnerin den Hof gemacht, die den roten Sportwagen sofort mit mir in Verbindung gebracht und der Polizei somit den entscheidenden Hinweis gegeben hatte.

Mein Urteil lautete 18 Monate schweren Kerkers zur Abschreckung in der Karlau - eines der gefürchtetsten Gefängnisse Österreichs.

Jeden Monat sol te ich Absonderung bei Brot und Wasser erfahren.

Auch damals gab es das noch.

Dieses Mal nahm ich al erdings die Haft ganz anders an. Ich ging mit mir hart ins Gericht, denn ich hatte mir alles selbst zuzuschreiben. Ich wol te auch von Anfang an diese Haft in einer

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Einzelzel e verbringen, um an mir zu arbeiten.

Ich wol te mich selber finden.

Die Haftanstalt befand sich mitten in Graz und war allein schon an den hohen Mauern erkennbar. Hier gab man alles ab, wurde mit Anstaltskleidung versorgt und dann einem Trakt zugeteilt. Meiner Bitte nach Einzelhaft konnte nicht entsprochen werden – so wurde ich in eine Zweimannzel e gesteckt.

In diesem Trakt stank es fürchterlich und mir wurde dabei angst und bange. Als ich die Zel e betrat, lachte mich ein attraktiver, etwa 60-jähriger Mann an und begrüßte mich freundlich. Bevor ich meine Habseligkeiten auspackte, erzählte man sich erstmals, weshalb man da sei.

Hier saß ich einem Heiratsschwindler gegenüber. Er verhielt sich wie ein Schauspieler und seine Lebensgeschichte wäre es wert gewesen, ein ganzes Buch zu füllen.

Mir taten allerdings jene Frauen leid, die auf diesen Charmeur reingefal en waren. Auf all die leeren Versprechungen, die alle nur einem Zweck dienten: an ihr Kapital zu kommen, um sein Leben zu finanzieren.

In diesem Raum gab es kein WC, sondern Holzkübel mit Deckeln.

Diese standen auf einer langen Stange und wurden durch eine Öffnung zur Entleerung entnommen. Der Gestank dieser Holzkübel erinnerte mich an meine Absonderung in Salzburg, wo der ganze Kanal unter mir vorbeigeleitet worden war. Aber auch hier zeigte sich, dass man sich schnel an vieles gewöhnen kann.

Um aus dem Fenster zu sehen, musste man auf den Stuhl steigen.

Da ich im 4. Stock untergebracht war, hatte ich eine herrliche Aussicht über den Mauerring hinweg in eine Wohnsiedlung. So konnte man am Treiben der dortigen Bewohner ein bisschen teilhaben.

Ich hatte mir für diese Haftzeit vorgenommen, in meinem chaotisches Leben ordentlich aufzuräumen und war daher sehr erleichtert darüber, dass der Heiratsschwindler nach kurzer Zeit entlassen wurde. Er hatte nichts dazu gelernt - seine Pläne waren wieder nur krimineller Natur.

Ich wol te nicht mehr so weiter machen, ich wol te auf die Suche

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nach den wesentlichen Dingen in die Tiefe gehen.

Wie konnte das alles nur so mit mir geschehen?

Wohin wol te ich, woher kam ich?

Man versprach mir, mich so lange wie möglich allein zu lassen und so begann ich, mich darauf zu konzentrieren, was ich aus dem Bereich Religion aus meiner Schulzeit noch bei mir behalten hatte.

Ich war christlich-katholisch getauft und gefirmt worden, aber mir fehlte es an jeglichem Wissen.

So besuchte ich den hauseigenen Gottesdienst. Dort fragte ich nach einer Bibel und verschlang sie geradezu. Das Alte Testament, die Bücher Moses - die Geschichte eines Volkes, welche den Abstieg einer Menschheit widerspiegelt, die unfähig scheint, Gottes Ansprüchen gerecht zu werden.

Das ganze Alte Testament gab mir Einblicke in das schreckliche Versagen vieler Könige und Persönlichkeiten. Ihre Chronisten zeugen davon. Aber sie legt auch Zeugnis von „Männern nach Gottes Herzen“ ab, die in den Psalmen ihre Worte an Gott in tiefster Sehnsucht aus dem Innersten ihres Herzens richten.

Mir fehlte es an Austausch - es gab niemanden, mit dem ich über dieses Thema, welches mich so brennend interessierte, unterhalten konnte.

Ich hatte auch zu den Geistlichen ein angespanntes Verhältnis, was auf meine frühe Kindheit zurückzuführen war.

In den ersten Jahren meiner Volksschulzeit musste ich zu verschiedenen Anlässen die Kirche besuchen.

Während einer Andacht wurde hinter mir geschwätzt und ich sah mich um, wer wohl den Unfrieden hier veranstalten mochte.

Dies musste auch der Pfarrer getan haben und beschuldigte mich, der Unruhestifter zu sein und ließ mich zur Strafe vorne knien.

Diese Ungerechtigkeit baute in mir als Kind geistlichen Vertretern gegenüber eine derartige Distanz auf, dass ich mich ihnen nicht mehr anvertrauen wollte.

Meine Bemühungen, Gott näher zu kommen, schienen also zum Scheitern verurteilt. Die Versuche aus der Stil e auszubrechen in solch einer Einsamkeit, galten meiner Zukunft.

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Ich wol te mich immer noch in der Gastronomie selbständig machen. Die große Garage, welche früher als Platz für das Transportunternehmen meines Vaters gedient hatte, stand nach dessen Verkauf leer.

So zeichnete ich Pläne, wie ich mir darin ein kleines Lokal einrichten würde und entwarf Speisekarten.

Immer öfter sah ich aus meinem Fenster zu den Wohnhäusern hinüber, in welchen sich das pure Leben abspielte, welches mir so sehr fehlte.

Durch die ständige Beobachtung fielen mir in diesem begrenzten Blickfeld immer die gleichen Menschen auf, wie sie lebten und verschiedenen Tätigkeiten nachgingen.

Aber mein Hauptaugenmerk richtete sich bald auf eine ganz bestimmte Person.

Dabei handelte es sich um ein bildhübsches Mädchen, das ich etwa auf 18 Jahre schätzte. In Kürze wusste ich, wann sie nach Hause kam, und dass sie wohl ein Brüderchen haben musste, das sie jeden Tag liebevol begrüßte, wenn es vor dem Gemeindebau spielte.

Über Wochen beobachtete ich dieses Geschehen vor meinem Fenster und allmählich verliebte mich in diese attraktive junge Frau.

 

Dies ging so weit, dass ich nachts sogar von ihr träumte.

Eines Tages begann ich damit, ihr einen Brief zu schreiben über alles, was mich bewegte und erklärte ihr darin, wie meine Geschichte ihren Anfang genommen hatte.

Nach meiner Entlassung wol te ich diese Zeilen dem Jungen, wenn er wieder vor dem Haus mit anderen Kindern spielte für seine Schwester übergeben. Unterdessen wurde mein Schreiben länger.

Ganz überraschend wurde mir nach einem Jahr die restlichen sechs Monate Haft wegen guter Führung erlassen. Allerdings musste ich danach aufgrund des Fahrens ohne Führerschein noch 30 Tage im Polizeigefängnis absitzen. Dies bereitete mir al ein beim Gedanken daran Bauchweh.

Über diese berüchtigte Polizeistation, in der es größtenteils nur Kurzstrafen sowie Ausnüchterungstage gab, hatte man mir bisher nur Horrorgeschichten erzählt.

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Nun war mir bei den täglichen Hofspaziergängen untergekommen, dass man, wenn man krank oder verletzt sei, Haftantritten gleich nach der Entlassung entgehen könne.

Ich wol te einfach raus - noch in diesem Jahr - und dabei jede Konfrontation meiden.

Nur einmal gab es einen Zwischenfal mit einem homosexuel en Schwarzen.

Dieser arbeitete in der Schneiderei und war aufgrund eines Banküberfal s zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden.

Er hatte al e Rechte bei den Beamten, zog mit seinem Nähkästchen durch das Gebäude und versuchte bei allen jungen Insassen in Einzelzel en es auf einen sexuel en Annäherungsversuch ankommen zu lassen.

Eines Tages stand er plötzlich auch in meiner Zel e. Mir wol te er damals ein maßgeschneidertes Hemd anfertigen, sowie eine Hose plus Jacke und dafür Maß nehmen.

Da ich von ihm schon gehört hatte, ging ich auf Distanz und erklärte ihm, dass ich seine Hilfe nicht benötigen würde.

Meine schlimmste Erinnerung an diese Zeit habe ich allerdings daran, dass ich eines Nachts von Schreien geweckt wurde, welche nicht im Entferntesten mehr Menschliches an sich hatten und sich über Stunden zogen und schließlich in ein herzzerreißendes Wimmern übergingen. Zwei Häftlinge hatten einen Fluchtversuch unternommen und dabei einen Beamten schwer verletzt. Nach wenigen Stunden hatte man sie wieder aufgegriffen. In der Absonderung wurden sie halb totgeschlagen.

Nun kam es jedoch endlich zu meiner Entlassung.

Das war Sommer 1972 und ich wäre wirklich glücklich gewesen –

hätte es da nicht noch diese Polizeistrafe gegeben.

So fasste ich einen Plan. Ich faltete aus Silberpapier die Attrappe einer Rasierklinge und verwahrte diese in meiner Bibel. Nach der Entlassung wurde ich von zwei Polizeibeamten zum Wagen begleitet und fand mich kurze Zeit später in einer fürchterlich verkommenen Achtmannzel e wieder. Dort kramte ich bloß meine Bibel aus den

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wenigen Habseligkeiten, welche man mir ließ, hervor. Daraus entnahm ich die Attrappe der Rasierklinge, ging zur Türe und läutete nach den Beamten.

Daraufhin riss ich mit meinem Fingernagel eine kleine Wunde in mein Zahnfleisch, sodass ich blutete. Von diesem Blut spuckte ich dann in ein Taschentuch.

Jetzt begann mein großer Auftritt.

Als sich die Tür öffnete und ein Beamter nach meinem Anliegen fragte, hielt ich dem Uniformierten kurz meine Attrappe hin und schob mir diese in den Mund. Das Taschentuch ins Gesicht gepresst schrie ich:“ Ich habe eine Rasierklinge verschluckt!“, und lief zurück zu dem mir zugewiesenen Bett, um Zeit zu schinden, in der ich diese Attrappe verschlucken konnte und zeigte dann mein Taschentuch.

Alle konnte ich damit in die Irre führen - alle sahen mich erstaunt an. Ich nahm meine Habseligkeiten und wurde sofort abgeführt.

Seinem Vorgesetzten machte der Beamte wahrheitsgetreu Meldung, was er selbst gesehen hatte, und ich wurde gefragt, warum ich das tat.

Um nach einem Jahr Haft in Freiheit zu kommen, erklärte ich zynisch.

Doch so leicht, wie ich es mir vorgestel t gehabt hatte, war es natürlich nicht. Ich wurde zum Amtsarzt gebracht und dieser ordnete eine Röntgenuntersuchung an. Hierbei konnte man logischerweise nichts erkennen. Zu meinem Erstaunen wurde ich deshalb in die Irrenanstalt eingeliefert. Da ich meine Aktion ja nicht mehr rückgängig machen konnte, wol te ich mit der Wahrheit punkten, aber niemand hörte mir zu.

Am ersten Tag fand ich mich in gestreifter Jacke und Hose in einem großen Saal wieder, in dem man mir einen Platz zuteilte. Durch eine Trennscheibe sah ich viele Gitterbetten - al e waren sie besetzt.

Ein Mann nahm mich bei der Hand und begleitete mich in einen Aufenthaltsraum, in dem alle Menschen genauso angezogen waren wie ich. Es war ein Albtraum – ich wollte nur noch schnel stens von hier fort. Mein Begleiter erzählte mir, dass er von der eigenen Familie hier hereingebracht worden war, weil sie es auf sein Haus

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abgesehen gehabt hatten. Seine ganze Lebensgeschichte schilderte er mir - ich glaubte ihm jedes Wort. Es war nichts Auffäl iges an diesem Mann zu erkennen, er schien lediglich froh zu sein, sich mit jemandem unterhalten zu können.

Am Nachmittag gab es die Möglichkeit im Hof einige Runden zu drehen. Ich entwickelte erneute Fluchtgedanken und sah mich um, ob sich - sol te dieser Wahnsinn noch länger dauern - mir die Gelegenheit dazu bot.

Als der Mann mir allerdings geheimnisvoll ins Ohr flüsterte, obwohl sich keiner in unserer Nähe befand, dass man ihn nachts oft hole, um ihn heiß und kalt zu baden, kamen bei mir Zweifel auf und ich zog mich immer mehr zurück.

Erst nach Tagen wurde ich einem Ärzteteam gegenübergestel t und konnte mich rechtfertigen, weshalb ich diesen Versuch gestartet hatte. Ich erklärte, dass ich ein paar Tage Freiheit nach einem Jahr Haft und die Möglichkeit, meine Polizeistrafe in der Nähe meiner Heimatgemeinde anzutreten, gesucht hätte, um Besuche und Lebensmittelpakete entgegennehmen zu können.

Nach einer Weile wurde ich auch endlich entlassen.

Mit einem Taxi fuhr ich zurück in die große Strafanstalt Karlau und ging dort die Mauer entlang.

Ich suchte die Häuser, welche ich von meiner Zel e im 4. Stock hatte einsehen können.

Es war ein bewegender Augenblick - jetzt, da ich aus dieser Perspektive meine Zel e betrachten konnte. Noch erfreulicher war es, als ich den kleinen Jungen vom Gemeindebau erkannte und ihm den dicken Brief für seine Schwester mitgeben konnte.

Erst danach fuhr ich mit dem Zug in meine Heimat.

Es war aufregend, nachhause kommen. Das vertraute Wohnzimmer, dieses heimelige Licht - die herrlichen Gerüche in der Küche und mein Zimmer - unverändert, als hätte ich es nie verlassen.

Tränen der Freude schossen mir in die Augen, als ich mein Bett erblickte.

Doch schon am nächsten Tag musste ich zurück zum Bundesheer -

dorthin, wo man mich verhaftet hatte. An der schwarzen Tafel fand ich einen vergilbten Zeitungsausschnitt meines Urteils und wie ich

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dem Ansehen Österreichs geschadet hätte.

Den Rest meiner Wehrzeit musste ich in Einzelhaft im Kasernenknast verbringen.

Wenigstens bekam ich Besuch von meinem Vater. Er brachte mir Post von dem Mädchen aus Graz, der ich über Monate hinweg meine innigsten Gefühle anvertraut hatte. Ein Foto hatte sie ebenfal s beigelegt. So entstand eine wunderbare Brieffreundschaft zwischen uns, die mir eine Menge Kraft in dieser schweren Zeit spendete. Irgendwann wurde ich dann doch endlich unehrenhaft entlassen und war wirklich frei.

Ich sprach mit meinen Eltern über meine Pläne, die große Garage im Haus in ein Lokal zu verwandeln und legte ihnen meine Skizzen vor, die ich in der Haft entworfen hatte.

Mein Vater war ganz angetan von meinen Vorschlägen, meine Mutter al erdings dagegen. Ihr genügten die wenigen Fremdenzimmer, mit denen sie ihr Einkommen bezog und daran sol te auch nichts geändert werden. Mein Vater unterbreitete mir den Vorschlag, sich im Tal nach leer stehenden Räumlichkeiten umzuhören.

Vorerst besuchte ich an der Wirtschaftskammer Kurse in allen Gastronomie-Bereichen.

Dennoch war ich auf Hilfe angewiesen. Als Vorbestrafter und ehemaliger Häftling blieben mir die Türen für Vorstellungsgespräche verschlossen. Mir war es jedoch enorm wichtig, Erfahrungen in einem erlesenen Haus zu sammeln, da man meiner Meinung nach nur dort die Kunst der hohen Gastronomie erlernen konnte.

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