Du bist das Placebo

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Wie die Forscher annahmen, beeinflusst Lachen viele Gene, die mit der Immunreaktion zu tun haben, was wiederum bei diesen Diabetikern zu einer besseren Blutzuckerkontrolle beigetragen hatte. Die gesteigerte Emotion, die durch das Gehirn der Patienten ausgelöst worden war, aktivierte die genetischen Veränderungen, welche wiederum die Killerzellen des Immunsystems aktivierten und auch irgendwie die Glukosereaktion – wahrscheinlich nur einer unter vielen weiteren positiven Effekten.

Oder wie Cousins 1979 über Placebos sagte: »Der Prozess funktioniert nicht aufgrund irgendeines Zaubers in der Tablette, sondern weil der menschliche Körper sein eigener, bester Apotheker ist und weil der Körper sich selbst die besten und erfolgreichsten Rezepte ausstellt.«13

Inspiriert von Cousins’ Erfahrung und angesichts des Aufblühens der Naturheilkunde und der Körper-Geist-Medizin, untersuchte Bernie Siegel, Chirurg an der Yale-Universität, warum manche seiner Krebspatienten, die keine guten Chancen hatten, dennoch überlebten, und andere, deren Chancen besser standen, verstarben. Siegel definierte Krebsüberlebende weitestgehend als Menschen mit einer couragierten Kämpfernatur; seinen Schlussfolgerungen nach gibt es keine unheilbaren Krankheiten, sondern nur unheilbare Patienten. Siegel schrieb auch über Hoffnung als starke Heilkraft sowie über bedingungslose Liebe und ihre natürliche Apotheke an Heilmitteln als mächtigstes Stimulans des Immunsystems.14

Placebos wirken besser als Antidepressiva

Ende der 1980er- und in den 1990er-Jahren kamen jede Menge neuer Antidepressiva auf den Markt, wodurch letztlich (wenn auch nicht sofort) auch der Respekt vor der Macht der Placebos stieg. Der Psychologe Irving Kirsch, Ph.D., damals an der Universität von Connecticut, untersuchte 1998 eine Metaanalyse von veröffentlichten Studien über Antidepressiva, und zu seinem Entsetzen verbesserte sich der Zustand von über 2300 Patienten, die an 19 randomisierten Doppelblindstudien teilgenommen hatten, hauptsächlich aufgrund von Placebos und nicht durch Antidepressiva.15

Anhand des Gesetzes zur Informationsfreiheit verschaffte sich Kirsch Zugang zu Daten aus unveröffentlichten klinischen Studien der Pharmahersteller, die gesetzlich zur Meldung an die Nahrungsmittel- und Arzneimittelbehörde verpflichtet waren. Kirsch führte mit Kollegen an 35 klinischen Studien eine zweite Metaanalyse durch. Die Studien befassten sich mit vier der sechs am häufigsten verschriebenen Antidepressiva, die zwischen 1987 und 1999 zugelassen worden waren.16 Diesmal lagen Daten über mehr als 5000 Patienten vor. Und wieder stellte sich heraus, dass die Placebos genauso wirkungsvoll waren wie die beliebten Antidepressiva Prozac, Effexor, Serzone (bzw. Nefazodon) und Paxil, und zwar in überwältigenden 81 Prozent der Fälle. Und beim Rest der Probanden, bei denen das Arzneimittel tatsächlich besser abschnitt, waren die Vorteile minimal und damit statistisch nicht relevant. Nur bei Patienten mit schweren Depressionen wirkten die verschreibungspflichtigen Medikamente deutlich besser als das Placebo.

Kirschs Studie sorgte für ziemliches Aufsehen, was ja kein Wunder war. Dennoch waren viele Forscher bereit, das Placebo-Baby sozusagen mit dem Badewasser auszuschütten. Bei dem ganzen Aufruhr ging es zwar hauptsächlich darum, dass diese Medikamente nicht besser abschnitten als das Placebo, doch der Zustand der Probanden besserte sich ja auch tatsächlich, wenn sie Antidepressiva einnahmen. Die Arzneimittel wirkten; doch das galt auch für die Placebo-Vergleichsgruppe. Anstatt Kirschs Arbeit als Beleg für das Versagen von Antidepressiva herzunehmen, betrachtete man das Glas als halbvoll und sah die Daten als Beleg für den Erfolg von Placebos.

Immerhin aber erbrachten die Studien den überwältigenden Beweis, dass die Überzeugung, die Depression könne gelindert werden, genauso heilend wirkt wie die tatsächliche Einnahme von Medikamenten. Die Probanden, die Placebos erhielten und damit eine Besserung erreichten, stellten ihre eigenen, natürlichen Antidepressiva her, so wie Levines Patienten in den 1970er-Jahren, denen die Weisheitszähne gezogen wurden, ihre eigenen natürlichen Schmerzmittel erzeugten.

Kirsch erbrachte weitere Belege für die angeborene Intelligenz des Körpers, dank derer er uns eine ganze Reihe von natürlichen Heilmitteln bereitstellen kann. Interessanterweise erreichten mit der Zeit immer mehr Probanden von klinischen Studien über Depressionen sowohl durch Placebos als auch durch wirksame Medikamente Besserungen. Manche Wissenschaftler führen dies darauf zurück, dass die Öffentlichkeit inzwischen höhere Erwartungen an Antidepressiva hat, wodurch wiederum auch die Wirksamkeit von Placebos in solchen Doppelblindstudien steigt.17

Die Neurobiologie des Placebos

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Neurowissenschaftler anhand von komplizierten Gehirnszintigrafien die neurochemischen Abläufe bei Einnahme von Placebos anschauten. Im Jahr 2001 gab es beispielsweise eine Studie über Parkinson-Patienten, die nach einer einmaligen Injektion einer Salzlösung, die sie für ein Arzneimittel hielten (wie in Kapitel 1 beschrieben), ihre motorischen Fähigkeiten zurückgewannen.18 Der italienische Forscher Fabrizio Benedetti, M.D., Ph.D., ein Pionier der Placebo-Forschung, führte ein paar Jahre später eine ähnliche Parkinson-Studie durch und konnte erstmals die Wirkung eines Placebos auf einzelne Neuronen aufzeigen.19

In seinen Studien untersuchte er nicht nur die Neurobiologie der Erwartung, wie bei den Parkinson-Patienten, sondern auch die Neurobiologie klassischer Konditionierung – worauf Ader zuvor mit seinen unter Übelkeit leidenden Laborraten schon einen Blick geworfen hatte. In einem Experiment verabreichte Benedetti Studienteilnehmern das Medikament Sumatriptan, um die Produktion eines Wachstumshormons anzuregen und die Kortisolausschüttung zu hemmen; ohne Wissen der Patienten ersetzte er dann das Arzneimittel durch ein Placebo. Wie sich herausstellte, zeigte sich auf den Gehirn-Scans der Patienten auch weiterhin an denselben Stellen eine erhöhte Aktivität wie bei der Einnahme von Sumatriptan – ein Beweis dafür, dass das Gehirn tatsächlich von sich aus dieselbe Substanz produzierte, in diesem Fall das Wachstumshormon.20

Das galt auch für andere Medikamente in Kombination mit Placebos. Die im Gehirn produzierten chemischen Verbindungen orientierten sich stark an den von den Probanden ursprünglich über Medikamente eingenommenen Substanzen gegen Störungen des Immunsystems, motorische Störungen und Depressionen.21 Wie Benedetti nachweisen konnte, verursachten die Placebos sogar dieselben Nebenwirkungen wie das jeweilige Medikament. Bei einer Studie über Narkosemittel litten die Probanden, die das Placebo erhielten, ebenso unter langsamer, flacher Atmung, weil das Placebo die physiologischen Wirkungen des Medikaments so stark nachahmte.22

Die Wahrheit ist: Unser Körper kann tatsächlich eine ganze Reihe an biologischen Chemikalien produzieren, die heilen können, uns vor Schmerzen schützen, zu einem tiefen Schlaf verhelfen, unser Immunsystem stärken, uns Lust empfinden lassen und uns sogar dazu bringen, uns zu verlieben.

Wir wollen einmal folgende Überlegung anstellen: Wenn die Expression eines bestimmten Gen bereits einmal stattgefunden hat und wir zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben diese speziellen chemischen Verbindungen hergestellt haben, dann aber aufgrund von Stress oder Krankheit, durch die das Gen abgeschaltet wurde, damit aufhörten, ist es vielleicht auch möglich, dieses Gen wieder einzuschalten, denn unser Körper weiß durch frühere Erfahrungen bereits, wie das geht (was die Forschung sicherlich bald beweisen wird).

Jetzt wollen wir uns einmal anschauen, wie das geschieht. Neurologische Forschungen zeigen etwas Bemerkenswertes auf: Wenn ein Mensch immer wieder dieselbe Substanz einnimmt, dann aktiviert sein Gehirn auch immer wieder dieselben Schaltkreise – erinnert also das, was diese Substanz macht. Diese Person kann ganz leicht auf die Wirkung einer bestimmten Pille oder Spritze konditioniert werden, denn sie assoziiert sie aufgrund früherer Erfahrung mit einer ihr vertrauten inneren Veränderung. Wenn die Person dann ein Placebo einnimmt, feuern aufgrund dieser Konditionierung dieselben fest verdrahteten und vernetzten Schaltkreise wie bei der Einnahme des Medikaments. Eine assoziative Erinnerung ruft eine unterbewusste Programmierung auf, die einen Zusammenhang zwischen der Pille bzw. Spritze und der Hormonveränderung im Körper herstellt, und dann sendet dieses Programm dem Körper automatisch ein Signal zur Herstellung der entsprechenden chemischen Verbindungen, wie sie im Arzneimittel enthalten sind … Ist das nicht toll?

Benedettis Forschungsarbeiten machen auch etwas anderes deutlich: Je nach Ziel scheinen verschiedene Arten von Placebo-Behandlungen zu funktionieren. Als den Probanden der Sumatriptan-Studie die Wirksamkeit des Placebos zunächst verbal mitgeteilt wurde, löste dies keine Produktion von Wachstumshormonen aus. Will man durch Placebos durch assoziative Erinnerungen unbewusste physiologische Reaktionen bewirken (beispielsweise die Ausschüttung von Hormonen oder eine veränderte Funktionsweise des Immunsystems), zeitigt eine entsprechende Konditionierung Ergebnisse, während beim Versuch, durch Placebos eher bewusste Reaktionen zu verändern (beispielsweise Schmerzmilderung oder den Rückgang von Depressionen) auch einfache Suggestion oder eine entsprechende Erwartung funktioniert. Es gibt also, so Benedettis Behauptung, nicht nur eine Placebo-Reaktion, sondern mehrere.

»Priming«

2010 machte die Placebo-Forschung eine erstaunliche Wende durch. Wie eine Pilotstudie unter der Federführung von Ted Kaptchuk, Professor der Medizin an der Harvard-Universität, nachwies, wirken Placebos auch, wenn bekannt ist, dass es sich um ein Placebo handelt.23 Kaptchuk und seine Kollegen behandelten 40 Patienten mit Reizdarmsyndrom mit einem Placebo. Jeder Patient erhielt ein Fläschchen, auf dem klar und deutlich »Placebo-Pillen« stand; den Patienten wurde zudem gesagt, in der Flasche seien »Placebo-Pillen aus einer nicht wirksamen Substanz, so etwas wie Zuckerpillen, die in klinischen Studien bei Reizdarm aufgrund der Selbstheilungsprozesse von Körper und Geist zu erheblichen Verbesserungen geführt haben«. Eine zweite Patientengruppe, die keine Pillen einnahm, fungierte als Kontrollgruppe.

 

Nach drei Wochen waren in der Placebo-Gruppe die Symptome bei doppelt so vielen Patienten zurückgegangen wie in der Kontrollgruppe, die nicht behandelt worden war – für Kaptchuk war diese Differenz vergleichbar mit den besten Ergebnissen mit echten Medikamenten.

Diesen Patienten war nichts vorgetäuscht worden, damit sie sich selbst heilten. Sie wussten ganz genau, dass sie keine Medikamente einnahmen – aber nachdem ihnen suggeriert worden war, die Placebos könnten die Symptome mildern, und sie an einen Erfolg, unabhängig von der Ursache, glaubten, waren ihre Körper so beeinflusst worden, dass eben dieser Erfolg sich einstellte.

Es gibt wegweisende Parallellstudien, die die Auswirkung von Einstellungen, Wahrnehmungen und Überzeugungen untersuchten, denen zufolge sogar etwas scheinbar so Konkretes wie die positiven körperlichen Auswirkungen von Sport durch Glauben beeinflusst werden kann. 2007 führten die Psychologinnen Alia Crum, Ph.D., und Ellen Langer, Ph.D., von der Harvard-Universität eine Studie mit 84 Zimmermädchen durch, die dies perfekt illustriert.24

Zu Beginn der Studie wusste keines dieser Zimmermädchen, dass ihre tägliche Routinearbeit über der 30-minütigen Bewegung lag, die der Direktor des öffentlichen Gesundheitsdienstes in den USA als gesundes tägliches Sportprogramm empfahl. 67 Prozent der Frauen sagten den Wissenschaftlern, sie würden nicht regelmäßig Sport treiben, und 37 Prozent behaupteten, sie würden sich gar nicht sportlich betätigen. Nach dieser anfänglichen Einschätzung teilten Crum und Langer die Zimmermädchen in zwei Gruppen ein. Der ersten Gruppe erklärten sie, wie viele Kalorien sie mit ihrer Tätigkeit verbrannten, und sagten, allein durch ihre Arbeit würden sie mehr als genug Sport treiben. Der zweiten Gruppe wurden diese Informationen vorenthalten (diese Teilnehmerinnen arbeiteten in anderen Hotels als die Teilnehmerinnen der ersten Gruppe, damit sie sich nicht über dieses Thema unterhalten konnten).

Nach einem Monat hatten die Teilnehmerinnen der ersten Gruppe durchschnittlich ein knappes Kilo Gewicht verloren; auch der Körperfettanteil war zurückgegangen, und ihr systolischer Blutdruck lag durchschnittlich zehn Punkte niedriger – obwohl sie außerhalb der Arbeit weder Sport betrieben noch ihre Essgewohnheiten verändert hatten. Bei der anderen Gruppe, die derselben Arbeit nachgingen, hatte sich so gut wie nichts verändert.

Das spiegelte die Ergebnisse einer ähnlichen Studie wider, in deren Rahmen in Quebec 48 junge Erwachsene an einem zehnwöchigen Aerobic-Gymnastikprogramm teilnahmen und pro Woche dreimal jeweils 90 Minuten trainierten.25 Auch diese Probanden waren in zwei Gruppen unterteilt. Die Trainer erzählten der ersten Gruppe, den Testpersonen, die Studie sollte insbesondere die aerobe Kapazität und das psychologische Wohlbefinden verbessern. Der zweiten Gruppe, also der Kontrollgruppe gegenüber, war nur von den körperlichen Vorzügen des Programms die Rede. Nach zehnwöchigem Training hatten beide Gruppen ihre aerobe Kapazität verbessert, aber nur bei den Testpersonen war auch das Selbstwertgefühl erheblich gestiegen (ein Maß für das Wohlbefinden), nicht aber bei der Kontrollgruppe.

Wie diese Studien zeigen, können wir allein durch Bewusstheit erhebliche körperliche und gesundheitliche Veränderungen bewirken. Was wir lernen, wie unsere Erfahrungen sprachlich ausgedrückt werden und wie wir den uns angebotenen Erklärungen Bedeutung zumessen – all das wirkt sich auf unsere willentliche Absicht aus, und mit stärkeren Absichten hinter unserem Tun erzielen wir natürlich bessere Ergebnisse.

Kurz gesagt: Je mehr man über das »Was« und »Warum« lernt, desto einfacher und effektiver wird das »Wie«. (Das ist genau das, was ich mit diesem Buch zu erreichen hoffe: Je mehr Sie darüber wissen, was Sie tun und warum Sie es tun, desto bessere Ergebnisse können Sie erzielen.)

Auch den eher subtilen Faktoren weisen wir eine Bedeutung zu, beispielsweise der Farbe der eingenommenen Arznei und der Anzahl an eingenommenen Pillen; das zeigt eine schon etwas ältere, aber klassische Studie der Universität von Cincinnati auf. 57 Medizinstudenten wurden entweder eine oder zwei pinkfarbene bzw. blaue Kapseln verabreicht – alle chemisch unwirksam, aber den Studenten hatte man gesagt, die pinkfarbenen Kapseln seien anregende Mittel, und die blauen seien Beruhigungsmittel.26 Wie die Forscher berichteten, produzierten zwei Kapseln mehr bemerkbare Veränderungen als eine, und die blauen Kapseln wurden stärker mit beruhigenden Wirkungen assoziiert als die pinkfarbenen Kapseln. Die Studenten bewerteten die blauen Pillen als zweieinhalbmal so beruhigend wie die pinkfarbenen Pillen – obwohl alle Pillen Placebos waren.

Neuere Forschungen zeigen die Wirkung von Überzeugungen und Wahrnehmungen auf die Punkteanzahl für die mentale Leistung in standardisierten Prüfungen. 2006 lasen 220 Studentinnen in Kanada gefälschte Forschungsberichte, in denen behauptet wurde, Männer seien in Mathematik fünf Prozent besser als Frauen.27 Die Gruppe wurde unterteilt; einer Untergruppe gab man Unterlagen, in denen zu lesen stand, dieser Vorteil sei auf vor Kurzem entdeckte genetische Faktoren zurückzuführen. Die Unterlagen der anderen Gruppe besagten, der Vorteil ergebe sich aus den klischeehaften Vorstellungen der Lehrer über Mädchen und Jungen in der Grundschule. Dann wurde den Probandinnen ein Mathetest vorgelegt. Die Frauen, die über die genetischen Vorteile der Männer gelesen hatten, erreichten weniger Punkte als diejenigen, denen vermittelt worden war, diese Vorteile seien auf Klischees zurückzuführen. Anders ausgedrückt: Frauen, die darauf getrimmt worden waren, zu denken, ihre Nachteile seien unumgänglich, schnitten so ab, als wenn sie tatsächlich benachteiligt wären.

Ein ähnlicher Effekt wurde bei afrikanisch-amerikanischen Studenten dokumentiert, die bei Vokabel-, Lese- und Mathematik-Tests in der Vergangenheit regelmäßig schlechter abschnitten als Weiße, unter anderem beim Studierfähigkeitstest, in dem die sozioökonomische Klasse keine Rolle spielt. Bei den meisten standardisierten Tests erreicht der durchschnittliche schwarze Student unter 70 bis 80 Prozent der Punktzahl von weißen Studenten im gleichen Alter.28 Laut Claude Steele, Ph.D., Sozialpsychologe an der Stanford University, ist daran die sogenannte »Bedrohung durch Stereotypen« schuld. Seinen Forschungsarbeiten zufolge bringen Studenten, die mit negativen Stereotypen bzw. Klischees belegten Gruppen angehören, weniger Leistung, wenn sie denken, ihre Punktzahl bzw. Leistung werde unter Berücksichtigung dieses Stereotyps bewertet, als wenn sie diesem Druck nicht ausgesetzt sind.29

Im Rahmen von Steeles wegweisender Studie, die er in Zusammenarbeit mit Joshua Aronson, Ph.D., durchführte, legten Forscher Studenten der Stanford University im zweiten Jahr Tests zum sprachlogischen Denken vor. Einem Teil der Studenten wurden Anweisungen erteilt, die das Klischee anstießen, Schwarze würden schlechter abschneiden als Weiße; ihnen wurde gesagt, der Test sollte ihre kognitiven Fähigkeiten messen. Den anderen Studenten sagte man dagegen, der Test sei lediglich ein unwichtiges Forschungsinstrument. In der Gruppe, der durch »Priming« das Klischee vom schlechteren Abschneiden von Schwarzen eingeimpft wurde, schnitten die schwarzen Studenten tatsächlich schlechter ab als die weißen Studenten mit ähnlicher Leistung im Eignungstest. Bei den Studenten, die nicht auf diesen Stereotyp eingestellt worden waren, war die Leistung von schwarzen und weißen Probanden mit ähnlicher Eignungsbewertung gleich – was beweist, dass das Priming einen wesentlichen Unterschied ausmachte.

Das sogenannte Priming bzw. Bahnung bedeutet im Grunde, dass irgendetwas in unserem Umfeld (Personen, Orte, Dinge oder Situationen wie beispielsweise die Teilnahme an einer Prüfung) alle möglichen Assoziationen auslösen, die fest in unserem Gehirn vernetzt werden (im obigen Beispiel dachten die Leute, die die Prüfung benoteten, schwarze Studenten würden schlechter abschneiden als weiße); daraufhin agieren wir auf bestimmte Weise (wir erreichen nicht so viele Punkte), ohne uns dessen bewusst zu sein, was wir da tun. Der Begriff Priming (dt. »ansaugen«) deutet an, dass das so ähnlich funktioniert wie das Ansaugen in einer Pumpe: Damit die Pumpe mehr Wasser hochpumpt, muss im Pumpsystem bereits Wasser vorhanden sein. In diesem Beispiel entspricht die Vorstellung, schwarze Studenten würden schlechter abschneiden als weiße Studenten, sozusagen dem Wasser, welches bereits die ganze Zeit im System ist. Wenn das System dann irgendwie angeregt wird (mit dem Pumpenschwengel bzw. der Teilnahme an der Prüfung), kommen alle diesbezüglichen Gedanken, Verhaltensweisen oder Emotionen hoch, und man produziert genau das, was bereits die ganze Zeit im System darauf gewartet hat, zum Vorschein zu kommen – ob das nun Wasser bei einer Pumpe ist oder schlechtere Noten, wenn es um eine Prüfung geht.

Man stelle sich also vor: Die meisten automatischen Verhaltensweisen, die durch Priming hervorgerufen werden, werden durch unbewusste oder unterbewusste Programmierungen erzeugt, was wiederum größtenteils ohne bewusste Wahrnehmung stattfindet. Sind wir also darauf »getrimmt«, uns die ganze Zeit unbewusst zu verhalten – ohne etwas davon zu wissen?

Steele erzielte dieselbe Wirkung auch mit anderen klischeebehafteten Gruppen. Bei einer Matheprüfung, die Steele für weiße und asiatische Männer abhielt, die gut in Mathematik waren, schnitten die weißen Männer, denen gesagt worden war, Asiaten würden diesen Test etwas besser hinbekommen als Weiße, tatsächlich nicht so gut ab wie die Männer in der Kontrollgruppe, denen das nicht gesagt worden war. Steeles Experimente mit guten Mathematikstudentinnen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Auch diese Studentinnen erreichten weniger Punkte, wenn sie genau das unbewusst erwarteten.

Die Ergebnisse von Steeles Forschungsarbeit sind von weitreichender Bedeutung: Unsere Leistung und unser Erfolg werden durch das beeinflusst, was wir aufgrund von Konditionierungen über uns selbst denken und was angeblich, wie uns einprogrammiert wurde, andere Leute über uns denken. Mit Placebos ist es dasselbe: Was wir aufgrund unserer Konditionierungen glauben, was nach Einnahme einer Pille passiert, und was unserer Meinung nach alle anderen (auch unsere Ärzte) glauben, was dann passiert, wirkt sich auf die Reaktion unseres Körpers auf die Pille aus. Wirken viele Medikamente oder sogar Operationen vielleicht deshalb besser, weil wir immer wieder entsprechend konditioniert und darauf »getrimmt« werden, an ihre Wirkung zu glauben – obwohl diese Arzneien ohne den Placebo-Effekt unter Umständen nicht so gut oder gar nicht wirken?

Können Sie Ihr eigenes Placebo sein?

Zwei neuere Studien der Universität von Toledo erhellen vielleicht am besten, wie der Geist unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen bestimmt.30 Für beide Studien teilten die Forscher eine Gruppe gesunder Probanden in zwei Kategorien ein: Optimisten und Pessimisten, und zwar aufgrund der Antworten dieser Studienteilnehmer auf einen diagnostischen Fragenkatalog. In der ersten Studie gaben sie den Probanden ein Placebo, sagten ihnen aber, es sei ein Medikament, durch das sie sich schlecht fühlen würden. Die Pessimisten reagierten negativer auf die Pille als die Optimisten. Auch in der zweiten Studie wurde den Teilnehmern ein Placebo verabreicht, doch diesmal verhalf es angeblich zu einem besseren Schlaf. Und die Optimisten schliefen laut eigener Aussage viel besser als die Pessimisten.

Die Optimisten reagierten also aller Wahrscheinlichkeit nach positiv auf eine Suggestion, sie würden sich durch etwas besser fühlen, weil sie auf das beste Zukunftsszenario hofften. Und die Pessimisten reagierten eher negativ auf eine Suggestion, sie würden sich durch etwas schlechter fühlen, weil sie bewusst oder unbewusst den schlechtesten potenziellen Ausgang erwarteten. Es scheint, als ob Optimisten unbewusst bestimmte chemische Verbindungen herstellen, durch die sie dann besser schlafen können, während die Pessimisten unbewusste Substanzen erzeugen, durch die sie sich schlecht fühlen.

 

Anders ausgedrückt: Im selben Umfeld tendieren Menschen mit positiven geistigen Einstellungen dazu, positive Situationen zu kreieren, und diejenigen mit eher negativen Haltungen erzeugen eher negative Situationen. Das ist das Wunder unseres auf unserem freien Willen basierenden, individuellen biologischen »Ingenieurs«.

Wir wissen zwar vielleicht nicht genau, wie viele medizinische Heilungen auf den Placebo-Effekt zurückzuführen sind (Beecher sprach in seinem Artikel aus dem Jahr 1955 von 35 Prozent, doch wie modernere Forschungen belegen, könnten es zwischen 10 und 100 Prozent sein31), doch auf jeden Fall handelt es sich um einen äußerst relevanten Anteil. Und so müssen wir uns fragen: Wie hoch ist der prozentuale Anteil an Krankheiten und Leiden, die auf das negative Denken über den Nocebo verursacht werden? Angesichts neuester wissenschaftlicher psychologischer Studien, die von 70 Prozent an negativen, sich wiederholenden Gedanken ausgehen, könnte der Anteil an unbewusst kreierten, Nocebo-ähnlichen Krankheiten durchaus beeindruckend hoch sein – und ganz sicher höher, als wir erkennen.32 Dieser Ansatz gewinnt an Bedeutung, wenn man bedenkt, wie viele mentale, körperliche und emotionale gesundheitliche Probleme scheinbar aus dem Nichts entstehen.

***

Die Vorstellung, unser Geist habe enorme Macht über unser Befinden, scheint unglaublich zu sein, doch Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte stärken eindeutig diese Sichtweise: Was wir denken ist das, was wir erleben, und in Bezug auf unsere Gesundheit geschieht das durch die erstaunliche innere Apotheke des Körpers, die sich automatisch und fein auf unsere Gedanken ausrichtet. Diese wunderbare Apotheke aktiviert natürlich auftretende Heilmoleküle, die bereits im Körper vorhanden sind – und stellt dann unterschiedliche Mittel zur Verfügung, die unter allen möglichen Umständen unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie machen wir das?

In den nachfolgenden Kapiteln wird erklärt, wie sich das auf einer biologischen Ebene abspielt und wie wir uns mit dieser uns angeborenen Fähigkeit bewusst und mit Absicht Gesundheit und das Leben kreieren können, das wir gerne hätten.

***

1 H. K. Beecher, »The Powerful Placebo«, Journal of the American Medical Association, Bd. 159, Nr. 17: S. 1602–1606 (1955).

2 W. B. Cannon, »Voodoo Death«, American Anthropologist, Bd. 44, Nr. 2: S. 169–181 (1942).

3 Der Begriff Placebo wurde erstmals im Psalm 116 verwendet, der die katholische Totenmesse einleitet. Im Mittelalter heuerten Familien eines Verstorbenen oft Klageweiber an, die diese Verse sangen; und da ihre vorgetäuschte Trauer manchmal gar zu weit ging, wurde dem Wort Placebo die Bedeutung »Schmeichler« bzw. »Speichellecker« verliehen. Anfang des 19. Jahrhunderts begannen Ärzte, wirkungslose Stärkungsmittel, Pillen und andere Behandlungen zu verabreichen, um Patienten zu beschwichtigen, denen sie nicht helfen konnten oder die wegen eingebildeter Leiden ärztliche Hilfe suchten. Diese Ärzte übernahmen den Begriff Placebo für ihre Zwecke und verliehen ihm seine jetzige Bedeutung.

4 Y. Ikemi und S. Nakagawa, »A Psychosomatic Study of Contagious Dermatitis«, Kyoshu Journal of Medical Science, Bd. 13: S. 335–350 (1962).

5 T. Luparello, H. A. Lyons, E. R. Bleecker u.a., »Influences of Suggestion on Airway Reactivity in Asthmatic Subjects«, Psychosomatic Medicine, Bd. 30, Nr. 6: S. 819–829 (1968).

6 J. D. Levine, N. C. Gordon und H. L. Fields, »The Mechanism of Placebo Analgesia«, Lancet, Bd. 2, Nr. 8091: S. 654–657 (1978); J. D. Levine, N. C. Gordon, R. T. Jones u.a., »The Narcotic Antagonist Naloxone Enhances Clinical Pain«, Nature, Bd. 272, Nr. 5656: S. 826–827 (1978).

7 R. Ader und N. Cohen, »Behaviorally Conditioned Immunosuppression«, Psychosomatic Medicine, Bd. 37, Nr. 4: S. 333–340 (1975).

8 H. Benson, The Relaxation Response (New York: Morrow, 1975).

9 N. V. Peale, The Power of Positive Thinking (New York: Prentice-Hall, 1952).

10 N. Cousins, »Anatomy of an Illness (as Perceived by the Patient)«, New England Journal of Medicine, Bd. 295, Nr. 26: S. 1458–1463 (1976).

11 N. Cousins, Anatomy of an Illness as Perceived by the Patient: Reflections on Healing and Regeneration (New York: W. W. Norton and Company, 1979).

12 T. Hayashi, S. Tsujii, T. Iburi u.a., »Laughter Up-Regulates the Genes Related to NK Cell Activity in Diabetes«, Biomedical Research (Tokyo, Japan), Bd. 28, Nr. 6: S. 281–285 (2007).

13 Siehe Endnote 11 von Kapitel 2, S. 56.

14 B. S. Siegel, Love, Medicine, and Miracles: Lessons Learned About Self-Healing from a Surgeon’s Experience with Exceptional Patients (New York: Harper and Row, 1986).

15 I. Kirsch und G. Sapirstein, »Listening to Prozac but Hearing Placebo: A Meta-analysis of Antidepressant Medication«, Prevention and Treatment, Bd. 1, Nr. 2: Artikel 00002a (1998).

16 I. Kirsch, B. J. Deacon, T. B. Huedo-Medina u.a., »Initial Severity and Antidepressant Benefits: A Meta-analysis of Data Submitted to the Food and Drug Administration«, PLOS Medicine, Bd. 5, Nr. 2: S. e45 (2008).

17 B. T. Walsh, S. N. Seidman, R. Sysko u.a., »Placebo Response in Studies of Major Depression: Variable, Substantial und Growing«, Journal of the American Medical Association, Bd. 287, Nr. 14: S. 1840–1847 (2002).

18 R. de la Fuente-Fernández, T. J. Ruth, V. Sossi u.a., »Expectation and Dopamine Release: Mechanism of the Placebo Effect in Parkinson’s Disease«, Science, Bd. 293, Nr. 5532: S. 1164–1166 (2001).

19 F. Benedetti, L. Colloca, E. Torre u.a., »Placebo-Responsive Parkinson Patients Show Decreased Activity in Single Neurons of the Subthalamic Nucleus«, Nature Neuroscience, Bd. 7, Nr. 6: 587–588 (2004).

20 F. Benedetti, A. Pollo, L. Lopiano u.a., »Conscious Expectation and Unconscious Conditioning in Analgesic, Motor und Hormonal Placebo/Nocebo Responses«, Journal of Neuroscience, Bd. 23, Nr. 10: S. 4315–4323 (2003).

21 F. Benedetti, H. S. Mayberg, T. D. Wager u.a., »Neurobiological Mechanisms of the Placebo Effect«, Journal of Neuroscience, Bd. 25, Nr. 45: S. 10390–10402 (2005).

22 F. Benedetti, M. Amanzio, S. Baldi u.a., »Inducing Placebo Respiratory Depressant Responses in Humans via Opioid Receptors«, European Journal of Neuroscience, Bd. 11, Nr. 2: S. 625–631 (1999).

23 T. J. Kaptchuk, E. Friedlander, J. M. Kelley u.a., »Placebos Without Deception: A Randomized Controlled Trial in Irritable Bowel Syndrome«, PLOS ONE, Bd. 5, Nr. 12: S. e15591 (2010).

24 A. J. Crum und E. J. Langer, »Mind-Set Matters: Exercise and the Placebo Effect«, Psychological Science, Bd. 18, Nr. 2: S. 165–171 (2007).

25 R. Desharnais, J. Jobin, C. Côté u.a., »Aerobic Exercise and the Placebo Effect: A Controlled Study«, Psychosomatic Medicine, Bd. 55, Nr. 2: S. 149–154 (1993).

26 B. Blackwell, S. S. Bloomfield und C. R. Buncher, »Demonstration to Medical students of Placebo Responses and Non-drug Factors«, Lancet, Bd. 299, Nr. 7763: S. 1279–1282 (1972).

27 I. Dar-Nimrod und S. J. Heine, »Exposure to Scientific Theories Affects Women’s Math Performance«, Science, Bd. 314, Nr. 5798: S. 435 (2006).

28 C. Jencks und M. Phillips, Hrsg., The Black-White Test Score Gap (Washington, D.C.: Brookings Institution Press, 1998).

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