"Die Jagd, die Beute und der Tod"

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"Die Jagd, die Beute und der Tod"
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Jochen Polanski

"Die Jagd, die Beute und der Tod"

Psycho-Thriller

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

1. Teil STROM

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Epilog

2. Teil DIE WIEDERKEHR; DIE BESESSENHEIT, UND DAS UNAUSWEICHLICHE

Prolog

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Impressum

Vorwort

„Die meisten Menschen sind viel zu sehr mit sich beschäftigt, um boshaft zu sein.“

Friedrich Nietzsche

Für meine Mutter und meinen Vater

1. Teil STROM

1

Sie wartete am verabredeten Treffpunkt. Es war kalt an diesem Novemberabend 2007, starke Windstöße wirbelten ihren langen blonden Locken über den rot-schwarzen Rucksack. Ihr Haar schimmerte goldglänzend auf ihren Schultern im Licht der Straßenlaternen. Sie hätte doch ein Haarband tragen sollen! Böen peitschten lästig ihre Strähnen auf den Wangen, und ihr nicht unschweres Gepäck auf dem Rücken brachte sie aus dem Gleichgewicht. Es hielt sich noch in Grenzen.

Lange musste sie sicherlich nicht mehr warten. Ein Blick auf ihr Handy zeigte. 17 Uhr 58.

Um 18 Uhr wollte ihre Mitfahrgelegenheit eintreffen. Nicole Stürmer hatte vor, ihre Freundin in Mainz zu besuchen. Sandra wurde morgen 22 Jahre alt; und Nicole hatte ein schon ein heftiges Wochenende im Auge, Stunden voller Ausgelassenheit und Spaß, eine wilde Party, bei der nichts zu kurz kommen würde.

Während Nicole Sozialarbeit in Köln studierte, war Sandra in Mainz in BWL immatrikuliert. Nicht nur die unterschiedlichen Fakultäten und Universitätsstädte unterschieden sie, auch ihre Temperamente glichen sich ganz und gar nicht. Sandra war ihrem Freund gefolgt, es war eine Amour fou, wie man sie sich nicht besser vorstellen konnte. Und doch meisterten sie ihre Zeit an der Uni! Was hatten sie sich gewandelt, seitdem sie Köln verlassen hatte!

Köln-Bayenthal. Nicole hielt Ausschau nach einem schwarzen Opel Astra Kombi. So langsam könnte er kommen! Die Rheinuferstraße war wie immer stark befahren, eine Karosserie klebte sich an die nächste. Sie hatte Schwierigkeiten beim Auseinanderhalten der verschiedenen Fahrzeugtypen, es kostete sie Konzentration, ihre Augen permanent auf die Fahrbahn zu fokussieren. Jetzt sah sie ein schwarzes Auto sich dem Seitenstreifen nähern. Eine Lichthupe folgte. Nicole winkte. Der Wagen hielt an. Der Fahrer stieg aus, ein Mittdreißiger in Bluejeans und schwarzer Lederjacke, dessen Kragen hochgezogen waren. Sein dunkelbrauner Bürstenhaarschnitt und seine blassblauen großen Augen wirkten auf Nicole im ersten Moment eigenartig: eine Mischung aus Müdigkeit und unverhohlener Neugier.

„Ich bin Bernd Neumann,“ er nickte freundlich, „ du willst nach Mainz? Na dann steig ein, den Rucksack kannst du im Kofferraum legen.“

„Ich nehme ihn mit auf den Beifahrersitz. Er stört mich dort nicht ,“ erwiderte sie.

„Einverstanden,“ er grinste, als sie platz nahm, blickte sie durch die Windschutzscheibe lächelnd an und setze sich dann in den Fahrersitz, startete das Auto.

„Angeschnallt hast du dich ja schon. Gut!“ Er beschleunigte rasant, fuhr aber sicher.

„Und was schaffst dich nach Mainz?“ fragte sie ihn.

„Ich habe dort geschäftlich zu tun. Schon spät abends fahre ich wieder zurück.“

Geschäftliches! Was sonst! Das konnte sie sich denken.

.„Wie lange bleibst du in Mainz?“

„Das Wochenende. Eine Freundin feiert Geburtstag, da will ich nicht fehlen!“

„Schade, ich würde dich gerne wieder zurückfahren. Aber das geht nicht.“

„Machen sie sich keine Gedanken. Ich weiß schon, wie ich zurückkomme.“ Nicole sah zuerst geradeaus, dann zum Rhein, drehte dann den Blick leicht zu dem Mann. Seine sportliche Statur wirkte selbstsicher. Er griff mit der rechten Hand in die linke Brustinnentasche, holte sich Zigaretten raus, zündete eine an. Nach dem ersten Zug trafen seine blassblauen, großen Augen ihren Mund, ihren Augen, ihren Hals. Ihre Windbreakerjacke war zugezogen. Nicole rauchte zwar auch, doch sie hatte jetzt keinen Schmacht. Er rauchte ziemlich hastig, es dauerte keine fünf Minuten, da drückte er sie aus.

„Nicht mehr lange, dann sind wir auf der Autobahn.“ Seine Stimme klang fremd, so als wäre es gelogen. Sie sagte nur. Ja.“ schwieg dann…

Das Schweigen hielt an. Eigenartig, er ließ keine Musik laufen, obwohl er eine geile Anlage im Auto hatte. Musik täte ihr jetzt gut. Doch sie fragte ihn nicht danach, sie wusste nicht warum.

Sie griff in ihre rechte Jackentasche, umfasste ihr Handy. Jetzt Sandra anrufen. Wozu? Sie wusste ja ungefähr, wann sie käme. Ein Auto wäre schon nicht schlecht! Wie teuer das Autofahren heute geworden ist. Von ihren Eltern wollte sie keins. Sie sparte schon. Wenn sie ihr Diplom hatte, würde sie sich einen Gebrauchtwagen kaufen. Den Lappen hatte sie schon.

 

Merkwürdig, er grinste sie schon wieder so an. Dann fuhr er in eine Straße links rein.

„Das ist nicht der richtige Weg!“ sie waren mittlerweile in Sürth. „Wo wollen sie denn hin?“ Bei diesen Worten spürt sie deutlich ihren Herzschlag im Brustbereich, ihr Solarplexus strömte einen bedrohlichen Druck aus.

„Keine Sorge, ich habe noch was zu erledigen.“ Bernd Neumann gab in der kleinen, nicht beleuchteten Straße Gas. Nicole sah weg, als er sie von der Seite musterte. Neumann machte eine Vollbremsung. Weit rissen sich ihre Augen auf, dann ein Schrei, vor Schrecken starr. Mit einem unnatürlichen Wimpernschlag schlossen sich ihre Augen.

Jetzt musste es schnell gehen. Es ging schnell. Er packte den Rücklehnengriff, riss ihren Kopf nach hinten, so dass ihr Handy aus der Jackentasche flog. Er schnappte es sich, entfernte die SimCard und steckte es ins Handschuhfach. Der Sicherheitsgurt löste sich von ihrem Körper. Ein Streifen bildete sich an ihre Jacke. Versengt. Der Gurt hatte sein Gutes getan. Neumann zog ihre sämtliche Kleider vom Leib. Ein rotes Brandmal, 8 Zentimeter breit, ging von links unten nach rechts oben, die Brustwarze war verkohlt. Mit einer Mullbinde stopfte er ihren Mund, klebte ihn mit Tesaband zu. Die Ohren stöpselte er mit Tampons zu.

Gierig grapschte er nach ihrer Vagina, fuchtelte mit vier Fingern durch ihre Schamlippen. Neumann öffnete seine Hose, stieß seinen erigierten Schwanz in ihre junge Vulva. Mit entsetzlichen Stößen rammte er sein Ding in ihr hilfloses Geschlechtsorgan.

Da riss sie wieder ihre Augen auf. Noch nicht ganz tot, erwachte sie aus einem wahren Albtraum. Der teuflische Schmerz in ihrer rechten Brustwarze, ein Brennen, das nicht aufzuhalten war. Das abartige Penetrieren ihres Körpers mit dieser unaufhaltsamen Gewalt. Als sie in seine Augen sah, spürte sie seine grenzenlose Gier, das dunkle Funkeln eines Raubtieres. Das waren keine Augen eines Menschen, keine eines Mannes.

Nicole konnte nicht mehr hinsehen. Ihre Angst, ihre endlosen Schmerzen steigerten sich ins Unermessliche. Seine starke Hand packte die heile Brust und rieb sie an der verletzten. Spuren von Blut verschmierten ihren Busen. Sie keuchte nach Luft, doch es ging nicht. Ihre Nasenflügel blähten sich verkrampft auf. Sie verdrehte ihre Augen. Er packte sie am Bauch, unterhalb des Bauchnabels, drückte fest zu. Alabasterfarbige Anatomiefragmente zuckten in Wellen zitternder Bewegungen. Sein Schwanz wütete weiter in ihr. Sie schlug den Kopf nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Neumann begann immer lauter tierische Töne von sich zu geben. Sie hörte es nicht. Sie konnte es nicht hören.

Neumann holte einen Müllsack aus dem Handschuhfach. Dann öffnete er die Tür, schmiss ihre Kleidung in den Beutel. Er griff unter ihre Arme, zog sie aus dem Auto und steckte sie in den Sack. Er verschnürte sie mit einem Bindfaden und trug sie wieder auf den Beifahrersitz. Er schloss die Tür, setzte sich wieder ins Auto. Es war nicht mehr weit bis zum Rhein, er war nahe dem Ufer. Bäume säumten den Rand des Flusses. Jetzt hielt er an. Vor ihm floss der Strom. Er packte sich die umhüllte Leiche, schleppte sie zum fließenden Wasser. Eine steile Böschung führte zum Fluss. Der stürmische Wind erschwerte das Tragen des leblosen Frauenkörpers, er spürte das Tosen. Er konnte den Rhein hören. Dann kippte er sie herunter in die Tiefe, in den Fluss. Ein Platschen folgte, ein Verlorensein, ein Verlassensein.

2

Simone war noch auf. Sonntagabend, 22 Uhr 32, der 11 November 2007. Sie tippte die Tasten ihres Handys. Jetzt konnte sie nicht mehr warten, bei Sandra anzurufen. Nicole hatte sich bei Sandra nicht mehr gemeldet, und sie war noch immer nicht wieder zu Hause.

„Hallo Sandra! Ich bin es, Simone. Du, ist Nicole noch bei dir?“

„Nein, Simone! Nicht nur das nicht. Sie war gar nicht hier! Sie hatte mich doch Freitagnachmittag angerufen und gesagt, wann sie in Mainz ankommt.“ Ein Stöhnen. Dann ein kurzes Schweigen.

„Dass ist unfassbar!“ sagte Simone, hoffentlich ist ihr nichts passiert.“ Ihre Stimme zitterte, sie stand vor der Balkontür rauchend, blickte in die Nacht der Kölner Südstadt, umhüllt von kaltem Novemberhauch.

„Da stimmt was nicht, Simone. Irgendwas muss da vorgefallen sein! Sie ist nicht mehr erreichbar, ihr Handy ist tot. Ich wollte schon früher bei dir anrufen. Hätte ich das bloß getan! Auf der Party kam keine Stimmung auf.“ Sandra schluchzte.

„Das glaube ich dir. Du sagst, sie sei mit dem Handy nicht zu erreichen. Was hat das nur zu bedeuten?“

„Auf alle Fälle nichts Gutes. Du musst unbedingt ihre Eltern benachrichtigen.“

„Das mache ich morgen, heute Abend nicht mehr. Ich möchte die beiden nicht jetzt schon beunruhigen.“ – „Gut, was meinst du, Simone, steckt nicht vielleicht der Fahrer dahinter, der sie mitnahm?“

„Wie kommst du darauf? Das kann zwar sein, aber...“

„Hör mal, das ist doch naheliegend. Sie hätte gegen 20 Uhr am Bahnhof sein müssen, dann mit Straßenbahn zu mir. Sie wäre so um halb 9 bei mir gewesen. Wer oder was kommt da sonst in Frage?“

„Du kannst da Recht haben, wirklich. Wenn ich mir das so überlege. Ich ahne Böses!“

„Ich auch. Pass auf, Simone. Ich rufe dich morgen Abend mal an, und du erzählst mir, wie der Stand der Dinge ist.“

„Ja, mach ich. Die Eltern werden sich die Polizei benachrichtigen, „Simone seufzte, - „Gut, dann lass uns jetzt Schlussmachen, sonst wird es zu teuer. Machs gut.“

„Du auch.“

Morgen früh musste sie wieder zur Uni. Auch sie studierte Sozialarbeit, war aber zwei Semester weiter. Es war bedrückend still in der Altbauwohnung. Nicole fehlte. Sonst saßen die beiden zu dieser Zeit in der Küche, tranken grünen Tee, rauchten und quatschten. Sie verstanden sich gut. In den zwei Jahren, die sie hier zusammen wohnten, lief alles bestens.. Nicole und Simone hatten dieselbe Wellenlänge, sie mochten die die gleiche Musik: Alternativ und Indie mit all seinen geilen Vibes. Und sie tranken gerne ein Gläschen Wein zusammen, gingen in ihre Stammkneipe, wo sie Pool-Billard spielten, was beide mit gekonnter Sicherheit brachten, und dabei ab und wann mit Kerlen flirteten.

Simone hatte noch ein Vollbad nehmen wollen, doch sie war nicht in die Wanne gestiegen. Ihr war nicht danach. Sie trank noch etwas Tee, rauchte, bis sie ihre Abendtoilette erledigte.

Im Bett stiegen finstere Bilder in ihr hoch. Beklommen wälzte sie sich hin und her, versuchte auf andere Gedanken zu kommen. An Schlafen war nicht zu denken.

Es war schon 1 Uhr nachts durch, sie hatte noch kein richtig zugedrückt. Was war geschehen? War sie das Opfer einer Vergewaltigung geworden? Sie malte sich das Schlimmste aus. Irgend so ein Triebtäter, ein Perverser hat sie in die Finger bekommen...Sie ging auf Toilette. Dann rauchte sie eine, trank dazu zur Beruhigung ein Glas italienischen Rotwein.

Irgendwann musste sie dann doch eingeschlummert sein, denn als der Wecker klingelte, es war 7 Uhr morgens, schlief sie noch.

Sie wollte erst zur Uni fahren, an ihren Kursen teilnehmen. Erst danach würde sie Nicoles Eltern anrufen.

In der Hochschule kam sie auf andere Gedanken. Mit anderen Studenten zusammen zu sein, wurde sie abgelenkt,.

Als ihr erster Kurs beendet war, sprach sie Nils an.

„Nicole ist verschwunden. Sie wollte auf eine Geburtstagsparty in Mainz und kam nie dort an.“

„Das ist sehr rätselhaft. Hast du schon die Bullen angerufen?“

„Wieso ich? Das sollen ihren Eltern machen. Ich rufe nach der Uni an.“

„Mach das.“ Nils stand mit am Mensaeingang, rauchten eine, tranken Kaffee aus Pappbechern. Er überragte sie um Kopfeslänge, seine breiten Schultern, sein markantes Gesicht mit den knisternden Augen hatten es ihr angetan.. Wenn er sie ansprach, sah sie oft zu ihm auf seinem Mund seine Augen.

„Du, ich muss gleich weiter, in den nächsten Kurs. Was haltest du davon, wenn wir uns mittags in der Mensa treffen?“

„Gerne!“ Simone strahlte.

Dann in der Mensa, sie aßen ihr Stammessen: „Du, Nils, wir habe schlimme Befürchtungen, wir, das heißt, Sandra, das Geburtstagskind und ich. Sie war mit einer Mitfahrgelegenheit nach Mainz unterwegs, und seitdem sie dort eingestiegen ist, bricht der Kontakt zu ihr ab. Über ihr Handy ist sie nicht mehr zu erreichen und in Mainz kommt sie scheinbar nicht mehr an.!“

„Du denkst, der Fahrer hat ihr was angetan!“ seine rechte Augenbraue zuckte hoch. „Wenn das der Fall ist, wenn er Nicole auf dem Gewissen hat, dann...“

„Seit drei Tagen vermisse ich sie, sie weg, verschwunden!“ Simones Tonfall war gestiegen. Sie war mit dem Essen fertig, stand mit dem Tablett auf und sah Nils an.

„Der Kerl hat seine Daseinsberechtigung verloren. Wenn der das war, muss er für immer hinter Gittern, für immer.“ Nils ging vor, sie folgte ihm. In der Cafeteria tranken sie einen Kaffee. Sie sagten kaum etwas.

„Und du rufst nachher ihre Eltern an!“

„Ja!“

„Warum wartest du noch. Mach es gleich jetzt!“

„Du hast Recht. Ich habe die Nummer gespeichert.“ Simone griff ihr Handy rief an.

„Stürmer!“

„Hallo, hier ist Simone Mertens. Ich rufe an, weil Nicole nicht aus Mainz zurückgekehrt ist. Sie wissen doch sicherlich, dass sie auf eine Geburtstagsparty wollte?“

„Ja, aber das kann doch nicht sein! Ist ihr etwas passiert? Wissen Sie Näheres?“ Frau Stürmer stockte.

„Ich weiß, dass sie gar nicht in Mainz eingetroffen ist. Sandra hatte am Freitag Geburtstag und sagte mir das. Und was noch schrecklicher ist, Nicoles Handy ist nicht mehr aktiv, seit sie mit der Mitfahrgelegenheit losgefahren ist.“

„Sie machen mir ja richtig Angst. Ich muss unbedingt die Polizei anrufen.“ Frau Stürmers Stimme klang verbittert. Die Sorge, das ihrer Tochter etwas zugestoßen sein konnte, bereitete ihr Angst, eine gereizte Stimmung nahm von ihr Besitz.“

„Ja, das müssen sie unbedingt tun. Kann ich sie heute Abend anrufen, um zu erfahren, was alles ergebe hat?“

„Ja, das dürfen sie, Simone.“ Gabi Stürmer kannte Simone, Nicole und sie waren seit dem Gymnasium befreundet, auch wenn sie eine Stufe höher war. Schon zu jener Zeit, als Nicole noch zu Hause wohnte, besuchten sie sich oft. Sie gab ihr Trost beim ersten Liebeskummer, und sie hielten zusammen, wie es beste Freundinnen taten. Frau Stürmer mochte sie.

„Danke, Alles Gute. Frau Stürmer.“

„Auf Wiedersehen.“

Die beiden saßen an Tischen mit wenig Studenten, sie konnte ungestört ihr Gespräch führen.

„Siehst du, das hast du schon mal geschafft.“

„Ja, stimmt. Besser als wenn ich das zu Hause allein hätte erledigen müssen. Du bist eine große Hilfe, Nils.“

„Das ist doch klar, dass ich dir helfe. Komm, wir rauchen draußen noch eine, bevor unser Kurs anfängt.

Simone verließ dann die Hochschule und fuhr zur 2-WG.

Es war kurz nach 16 Uhr, als sie die Wohnung in der Altenberger Straße betrat. Im Briefkaste war nichts. Sie schaltete erstmal die Heizung an, machte sich eine Instant-Cappuccino und flätzte sich aufs Sofa im Wohnzimmer.

Wie würde die Polizei reagieren? Ob sie was veranlassten, Ermittlungen aufnahmen? Noch fehlte jede Spur. Sie war gespannt, was Nicoles Mutter ihr mitteilen würde! Und sie würde Sandra anrufen.

Nicoles war ihr einziges Kind. Gabi hatte noch Nachwuchs gewollt, am liebsten ein Brüderchen für die Kleine, die sie damals noch war. Doch Frank wollte das nicht. Sie hatte das geschluckt mit Toleranz gemischt aus Na-gut-wenn-du-es-so-willst und Dass-du-kein-zweites-Kind-willst-hätte-ich-nicht-von-dir-erwartet.

Gabi Stürmer stand in der Küche der 4-Zimmer-Wohnung, in gemütlich eingerichteten Wänden in Köln Nippes. Frank war noch am arbeiten, jedoch wollte sie nicht mehr warten mit dem Anruf. Vielleicht machte er sogar Überstunden, das war gut möglich. Die Auftragslage erlaubte es, und er, der zuverlässige Energieanlagenelektroniker.

Gleich war es 17 Uhr. Sie ging zum schnurlosen Telefon im Flur und wählte die Nummer der Kripo Köln und wurde mit dem Präsidium verbunden.

„Guten Tag, Stürmer ist mein Name. Ich muss eine Vermisstenanzeige machen. Meine Tochter ist seit Freitagnachmittag spurlos verschwunden.“

„Kriminalpolizei Köln, Hauptkommissar Brand. Sagen Sie bitte Genaues zum Vorgang, Frau Stürmer. Name, Alter der Tochter, was sie getan hat zu jener Zeit.“

 

„Meine Tochter heißt Nicole Stürmer, ist 22 Jahre alt. Sie wollte eine Freundin mit Namen Sandra Berger in Mainz besuchen, die hatte Geburtstag. Sie nahm eine Mitfahrgelegenheit. Sie hatte mir das telefonisch mitgeteilt; sie wohnt nicht zu Hause. Um 18 Uhr sollte sie mitgenommen werden.“

„Ich muss Sie unterbrechen, Frau Stürmer. Sie hat keinen Führerschein und Auto?“

“Doch doch, einen Führerschein schon, aber noch kein Auto. Wissen Sie, sie studiert noch, da hat sie nicht so viel Geld. Und heutzutage ist Autofahren fast schon Luxus.“

„Frau Stürmer, kommen Sie morgen früh um 8 Uhr ins Polizeipräsidium und verlangen Sie nach Hauptkommissar Brand. Wir nehmen die Personalien und ein Protokoll auf, damit Sie Anzeige erstatten können.“

„In Ordnung, morgen um 8 Uhr bin ich im Präsidium.“

„Auf Wiedersehen, Frau Stürmer.“

Sie verabschiedete sich, legte den Hörer auf. Bald musste Frank von der Arbeit kommen. In der Regel hatte er um 17 Uhr Feierabend. Sie konnte sich schon denken, was er für eine Miene machte. Und sie würde ihn vorwurfsvoll anblicken! Warum hast du ihr keinen Wagen gekauft, als sie die Führerscheinprüfung geschafft hatte?

Dann öffnete sich auch schon die Wohnungstür auf. Sie ging gleich auf ihn zu.

„Na, Gabi! Wie geht’s? Was ist los? Was siehst du mich so an?“

„Nicole ist spurlos verschwunden! Seit Freitagabend! Keiner weiß, wo sie geblieben ist!“

„Sie wollte doch nach Mainz zu Sandras Geburtstag! Und dann?“

„Frank, das hatte sie vor, sie ist aber nie in Mainz angekommen. Simone, Nicoles Mitbewohnerin, rief mich heute Nachmittag an. Sie hatte das von Sandra gehört. Mensch, Frank! Hoffentlich ist ihr nichts passiert!“

Frank nahm sie in seine Arme, klopfte sie sanft auf die Schulter.

„Wir wollen das Beste hoffen.“

„Die Kripo habe ich schon informiert. Ich soll morgen um 8 Uhr ins Polizeipräsidium. Und, weißt du was, ihr Handy ist nicht aktiv!“

„Das kann viele Ursachen haben, denk nicht gleich an das Schlimmste Vielleicht ist es kaputt gegangen. Es war ganz schön stürmisch am Freitag und es kamen einige Schauer herunter.“

„Ach ja, du.“ Dann schwieg sie, ging ins Wohnzimmer. Frank holte sich eine Flasche Kölsch aus dem Kühlschrank. Sie fing an zu rauchen, er setzte sich zu ihr, nahm einen Schluck und zündete sich auch eine an.

Auf einmal kam sie sich mit ihren 45 Jahren allein vor. 2 Jahre war Nicole aus dem Haus, ab und zu kam sie zu Besuch, doch nicht all zu oft in der letzten Zeit.

„Ich bin sprachlos,“ sagte er nach einem kräftigen Hieb Kölsch, hastig zog er zweimal an der Zigarette. Ihm wurde bewusst, dass Nicole verschwunden war, dass ihr mit großer Wahrscheinlichkeit etwas zugestoßen war. Konnte es anders sein?

Er sah Gabi an, sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Nur kurz schaute sie ihn an, leicht verstört und voll erledigt. Sie ging in die Küche, holte Mineralwasser, goss es in einem großen dickwandigen Glas ein, nahm einen Schluck, ging wieder zu ihm. Sie wollte was sagen, doch Zweifel traten in ihr hervor. Sie strich über ihr kurzes blondes Haar, glatt wie es war, - die Locken hatte Nicole von ihr, sie entfernte sie sich seit geraumer Zeit -.sie sah ihr goldiges Gesicht vor Augen, ihr strahlenden Augen, die das lodernde Feuerwerk in ihr und die mentale Zielstrebigkeit offenbarten. Warum sagte er nichts?. Sie saß neben ihm auf der Couch, vor ihnen der Fernseher, der unberührt blieb; und auch Musik wollte keiner hören.

Es dauerte nicht lange und Simone rief an. Natürlich sagte sie nicht viel. Das was noch zu sagen war.

Frank war so ruhig. Warum sagte er nichts?

„Du bist so still.“ Sie legte ihre Hände auf seinen Wangen, streichelte sanft seine Bartstoppeln.

„Du auch. Weißt du was, morgen nehme ich mir frei. Allein lasse ich dich nicht ins Präsidium gehen. Ich will dabei sein.“

Gabi hauchte ihre vollen warmen Lippen an seinem Mund, saugte an seiner Unterlippe und züngelte zaghaft fordernd. Traurig-verträumt sah sie ihn an.

„Du bist ein Schatz.“ Sie kraulte ihm sein Haar.

Am nächsten Morgen rief er gleich bei der Firma an, schilderte die Sache. Gabi hatte schon den Frühstücktisch gedeckt. Es war 7 Uhr 12. Sie aßen Toast mit Honig, dann Käse, tranken Milchkaffe aus der Espressomaschine.

„Wir haben noch ein bisschen Zeit, bevor dahin fahren.“ Er bot ihr eine Zigarette an, auch wenn sie sonst leichtere rauchte. Sie machten sich auf den Weg ins Präsidium. Gabi war aufgeregt wie nie zuvor. Frank fuhr wie immer sicher die Neusser Strasse runter Richtung Zentrum.

„Glaubst du, dass sie noch lebt?“

„Gabi, sag so was nicht!“

Als sie das Polizeigebäude erreicht hatten, alle Sicherheitsmassnahmen beim Betreten durchlaufen und vor dem Beamten, der die Personalien aufnahm, gesprochen hatten, nannte man ihnen das Büro des zuständigen Hauptkommissars. Sie betraten den Raum.

„Guten Morgen, ich bin Hauptkommissar Brand. Wie ich sehe, sind beide Elternteile der vermissten Person anwesend. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Brand saß vor dem Rechner, Kollege Paulsen neben ihm.

„Morgen, Stürmer mein Name.“ Stürmer und seine Frau setzten sich.“ Das übliche Prozedere nahm seinen Gang.

„Meine erste Frage: Seit wann genau wissen sie, dass ihre Tochter vermisst wird?“

Es war Montagmittag, so gegen 13 Uhr, da rief mich Simone Mertens an. Nicole und sie wohnen zusammen in der Südstadt, Altenberger Strasse 44. Durch sie habe ich erfahren, dass Nicole nicht zu der Geburtstagsfeier von Sandra Berger gekommen ist.“

„Gut,“ unterbrach Brand seinen gepflegten Kinnbart kratzend. „Seit Freitag, den 09.11.2007 vermissen sie ihre Tochter. Sie kam nicht zu der Party. Sie sagten, ihre Tochter sei mit einer Mitfahrgelegenheit oder wollte mit einer nach Mainz fahren.“

„Ja, das stimmt. Und Simone Mertens teilte mir telefonisch mit, dass ihr Handy nicht mehr aktiv sei.. Sandra Berger hatte versucht, sie zu erreichen, nachdem sie zum vereinbarten Zeitpunkt nicht in ihrer Wohnung erschienen war.“

„Frau Mertens. Ihre Tochter will mit einer Mitfahrgelegenheit nach Mainz, sie kommt dort nicht an, ihr Handy ist deaktiviert und seitdem fehlt jede Spur.“

HK blickte zu Paulsen, der alles kontrollierte, der dann beide Handflächen zusammendrückte. „Wir werden die Mitfahrzentralen befragen und die Person ermitteln. Es könnte ein Problem werden, festzustellen, wer der Fahrer war, das sage ich ihnen gleich.“

„Was wollen sie damit sagen?“ schob Frank Stürmer ein.

„Nehmen Sie einmal an, der Fahrer suchte ein Opfer. Er wird mit Sicherheit versucht haben, alle personenbezogenen Daten zu fälschen, verstehen Sie?“

Brand sah, wie Stürmer die linke Hand seiner Frau nahm, mehrmals kopfschüttelnd, dann beide Hände ergriff.

„Wir müssen die Möglichkeiten, die In Frage kommen, in Erwägung ziehen.“ Werner Brand war 52 Jahre alt, ein Kriminalkommissar, der im Laufe der Jahre Mordfälle bearbeitet hatte, die ihm von der Realität keine Illusionen machte. Er kannte die Kaltblütigkeit, die gewissenslose Gier nach Gewalt, nach der Täter trachteten. Soziopathen und Psychopathen – und noch gefährlicher: die Mischform beider Arten, die unberechenbar, und doch intelligent ihre Taten vollstreckten. Ein sicherer, aus vielen Straftatbeständen erfahrener Verdacht kam in ihm hoch, kurze Gedankenfetzen, Bilder aus vergangenen ermittelnden Morden mit nicht nachvollziehbaren Beweggründen, fatalen Motiven, zogen in Bruchteilen einer Sekunde durch sein Bewusstsein.

Als Gabi Stürmer das hörte, wie er sagte das mit dieser klaren offenbarenden Stimme, wurde ihr bewusst, dass sie mit allem rechnen musste. Wenn er gleich, nachdem sie ihre Aussagen gemacht hatten, mit solchen Mutmaßungen kam, dann nicht von ungefähr. Hier sprach ein Mann mit Erfahrung und Wissen, der ohne etwas zu beschönigen die Sache so nannte, wie sie waren. Zwiespältige Situation, die Tatsache, das hier was vorlag, war einsichtig und beklemmend zugleich.

„Rauchen ist hier verboten?“ fragte sie.

„Ja, Sie können gleich, wenn die Vernehmung beendet ist, rauchen.“ Er lächelte. Ein angedeutetes Augenzwinkern konnte Gabi in seinen Augen erkennen.

„Frau und Herr Stürmer, wir müssen noch die Personalien von Simone Mertens und Sandra Berger aufnehmen. Nur zur Sicherheit. Das Beste ist, sie teilen den beiden Frauen vorab mit, dass wir sie befragen wollen . In Mainz ist die erforderliche Stelle zuständig.“

Gabi Stürmer kannte auch Sandra. Schließlich hatte sie noch in Köln gewohnt, bevor sie mit ihrem Freund nach Mainz umzog, um dort zu studieren.

„Wenn wir definitiv Neues in Erfahrung gebracht haben, lassen wir es sie wissen.“

„Haben Sie Dank,“ sagte Frank Stürmer. “Ich will hoffen, dass sie sie wiederfinden. Es kann doch sein, dass sie lebt, dass sie unbeschadet ist, Hauptkommissar Brand.“

„Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Wir werden alle Möglichkeiten durcharbeiten. Auf Wiedersehen.“

Gabi und Frank Stürmer verließen das Kriminalkommissariat. Vor dem Auto steckten sich beide eine Zigarette an.

„Frank, unser Leben ist nicht mehr so, wie es war.“ Ihr Gesicht zitterte, der nasskalte Westwind gab das Übrige.

„Sag das nicht , wir geben unsere Hoffnung nicht auf, hörst du?“

Gabis rote Winterjacke, die sie über dem Fleece-Shirt, dem T-Shirt und BH trug, reichten nicht aus, sie fror wie nie zuvor. Sie zog von der Zigarette, ihre Finger blau gefärbt von der Kälte. Sie zitterte, ein frostiger Schauer lief über ihrem Rücken. Frank griff sie am rechten Oberarm „Komm, fahren wir los.“