Mythen, Legenden, Märchen

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Mythen, Legenden, Märchen
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Joachim Stiller

Mythen, Legenden, Märchen

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Horkrux

Meine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte

Meine Skulpturprojekte

Meine liebsten Gegenstände

Prometheus - Nacherzählt von Joachim Stiller

Phaethon - Nacherzählt von Joachim Stiller

Ikaros und Dädalos - Nacherzählt von Joachim Stiller

Die neue Gruppentheorie - Für die Herren Philister

Das Märchen vom grünen Frosch und dem stolzen Adler

Das Märchen vom Jüngling, der auszog, das Glück zu suchen

Das Märchen vom weisen König

Der Eisvulkan

Das Treppauf-Treppab-Triptrap

Impressum neobooks

Der Horkrux

Der Ausdruck „Horkrux“ stammt eigentlich von J.K. Rowling. Er bezeichnet Gegenstände, an denen Lord Voldemort, der Gegenspieler von Harry Potter, Teile seiner Seele gebunden hat, um so die Unsterblichkeit zu erlangen.

Für mich sind Horkruxe Gegenstände, die ein Eigenleben führen, Gegenstände, die psychisch so aufgeladen sind, dass man sie nicht wieder los wird, wenn man sie ein Mal gesehen oder berührt hat. Sie lassen sich daher gut mit den sogenannten „Zahiren“ vergleichen, denen Paulo Coelho einen ganzen Roman gewidmet hat. (2007)

Meine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte

Wie war das denn noch, mit meiner Weihnachtsgeschichte? Ach ja, ich hatte meinen Schlüssel verloren. Also, es war Donnerstag, der 14. Dezember. Ich räumte gerade meine Wohnung auf, brachte die Tüten mit dem Müll raus, ging dann aber noch einmal zu den Containern, um die dicken Packen mit der Briefkastenwerbung wegzubringen, die sich im Hausflur stapelten. Ich schloss das Haus auf, ging zum Briefkasten, nahm die Post heraus und ging – so etwas mache ich sonst nie – zum Flurfenster, legte den Schlüssel hin und öffnete die Post. Es war nichts Wichtiges dabei, und so steckte ich die drei Briefe ein und ging wieder in meine Wohnung. Ich war etwas müde – die Tage wurden nicht mehr richtig hell. Also kochte ich mir erst einmal eine Tasse Kaffee, legte mich danach aber trotzdem noch einmal für eine Stunde aufs Bett. Ich schlief bis etwa sechs Uhr abends.

Nachdem ich aufgestanden war, griff ich wie zufällig in meine Hosentasche, aber ich konnte den Schlüssel nicht finden. Vielleicht lag er im Bett. Ich suchte das Bett ab und schüttelte die Federn auf, aber nichts. Auch im Sessel und auf dem Teppich – nichts. Sofort überlegte ich, wo ich nachmittags gewesen war. Ich hatte die Post geholt und den Müll rausgebracht, also musste ich den Schlüssel im Hausflur liegengelassen haben. Ich ging also auf den Flur um nachzusehen, aber auch dort und auf dem Fenstersims, wo ich die Briefe geöffnet hatte, war kein Schlüssel zu finden – er blieb verschwunden.

Ich war mir aber ganz sicher, dass ich ihn auf dem Fenstersims liegengelassen hatte. Was sollte ich tun? Ich überlegte, dass einer der Hausbewohner – ich wohne zusammen mit vierundzwanzig Mietparteien – den Schlüssel an sich genommen haben könnte. Also klingelte ich bei jedem Hausbewohner, doch nur wenig waren gerade da und machten auf. Einer auf meiner Etage – ich wohne par terre – sagte mir, jemand von oben hätte überall gefragt, wem der Schlüssel im Flur gehören würde. Leider konnte er nicht sagen, wie die Person hieß. Jedenfalls war ich schon einmal erleichtert, dass jemand den Schlüssel gesehen hatte, bestätigte dies doch meine Vermutung. Ja, der Schlüssel hätte tatsächlich auf dem Fenstersims gelegen.

Ich fragte nun zwei Tage lang jeden, der kam oder das Haus verließ. Didi, der mein Nachbar von gegenüber ist, sagte, ein gewisser K hätte den Schlüssel. Es war bereits Freitag abend, als ich bei K klingelte. Er öffnete die Tür und erteilte mir Auskunft. Ja, der Schlüssel hätte im Flurfenster gelegen, aber auch er hätte den Schlüssel nicht. Er wüsste nichts über seinen Verbleib. Mist!

Als nächstes klingelte ich bei P. Er ist so etwas, wie das Sprachrohr des Hausmeisters. Beide hatten am Donnerstag noch die Container vor dem Haus mit Holzabfällen gefüllt. Aber auch P wusste nichts über den Verbleib meines Schlüssels.

Als ich wieder vor meiner Wohnung stand, kam Didi heraus, und sagte, er hätte ein Zylinderschloss, das könne ich haben. Er bräuchte nur einen Zweitschlüssel von mir, um das Schloss austauschen zu können. Nun ist es aber, so, dass die Hausverwaltung noch immer meinen Zweitschlüssel hat, den ich seinerzeit abgetreten hatte, nachdem die Handwerker aufgrund eines Kellerbrandes in meine Wohnung mussten, denn der Kabelschacht musste geöffnet werden, und der verläuft genau durch meine Küche. Doch es war bereits zu spät, um noch die Hausverwaltung anzurufen. Vorsorglich schrieb ich einen Zettel, den ich in den Flur hing, auf dem ich bat, der ehrliche Finder des Schlüssels möge ihn bei P abgeben. Genau so gut hätte ich meinen eigenen Namen angeben könne, denn inzwischen wusste jeder im Haus, dass ich es war, der den Schlüssel verloren hatte. Eines war aber klar, ich musste so schnell, wie möglich das Zylinderschloss von meiner Wohnungstür austauschen, denn andernfalls hätte ich die Wohnung nicht mehr verlassen könne, und Weihnachten wollte ich bei meiner Mutter und im Kreise unserer Familie verbringen.

Am Samstag, dem 16. Dezember rief ich dann den Hausmeister an, schilderte ihm mein Missgeschick, und fragte vorsorglich nach dem Zweitschlüssel. Doch der Hausmeister hatte nur einen Zweitschlüssel für den Briefkasten. Ich solle mich mit der Hausverwaltung direkt in Verbindung setzen.

Am Sonntag passierte dann nur sehr wenig, denn ich konnte an diesem Ruhetag weiter nichts in meiner Angelegenheit erreichen.

Am Montag, dem 18. Dezember rief ich als erstes die Hausverwaltung an. Doch auch dort war kein Zweitschlüssel zu finden. Die Hausverwaltung hatte ihn verklüngelt, oder ihn sich schlicht und ergreifend nicht von den Handwerkern zurückgeben lassen. Wie dem auch sei, Plan A war gescheitert, und nun trat Plan B in Kraft.

Ich rief umgehend beim nächstbesten Schlüsseldienst an, der im Telefonbuch ganz vorne unter AAA zu finden ist. Eine junge Frau am anderen Ende der Leitung meinte, der Fachmann könne jeder Zeit vorbeikommen. Sei bräuchte nur eine Rückrufnummer. Ich sagte, dass ich von der Telefonzelle anrufen würde, da ich mir kein Telefon leisten könne. Dann solle ich zu einem Nachbarn gehen. Darauf sagte ich der Frau, dass das ja wohl eine wirklich unglückliche Regelung sei. Ich fragte sie weiter, ob ich vielleicht von der Tankstelle gegenüber anrufen könne. Sie zeigte sich mit meinem Vorschlag einverstanden, und ich verabschiedete mich von ihr.

Dann ging ich zur Tankstelle und bat um ein Telefon. Da es sich um einen Notfall handelte, ließ man mich telefonieren. Ich rief also erneut beim Schlüsseldienst an. Die junge Frau von der Telefonzentrale hatte nun meine Telefonnummer auf dem Display und gab sich zufrieden. Es würde sofort ein Wagen rausgeschickt, ich solle bei meiner Wohnung warten.

Nach etwa zehn Minuten kam dann der Schlüsseldienst. Es klingelte, und ich öffnete einem Italiener die Tür. Als erstes schilderte ich ihm mein Problem. Ich sagte, das Schloss müsse ausgetauscht werden. Ich sagte ihm auch, dass ich leider keinen Zweitschlüssel mehr hätte, und dass er das Schloss daher aufbrechen müsse. Der Italiener versicherte mir, dass das für ihn kein Problem sei, die ganze Sache würde sich auf etwa 150,- Euro belaufen. Ich fragte ihn, ob seine Firma denn eine Rechnung schicken würde. Natürlich nicht, sagte der Italiener völlig überrascht, er würde ausschließlich gegen Barzahlung arbeiten. Ich sagte, dass das ganz ausgeschlossen sei, ich sei Sozialhilfeempfänger, und hätte nie so viel Bargeld im Haus. Da wurde der Italiener vielleicht böse. Er rief: „Was, sie können nicht bezahlen, aber das hat man Ihnen doch gesagt, dass wir ausschließlich Bargeschäfte machen.“ Ich entgegnete: „Mir hat niemand etwas von Barzahlung gesagt, sonst hätte ich Sie ja nicht kommen lassen. Als nächstes rief der Italiener bei seiner Zentrale an, und sagte, dass ich nicht zahlen könne. Gleichzeitig ließ er sich von der Telefonistin bestätigen, dass ich über die geänderten Geschäftsbedingungen ausführlich informiert worden sei. Ich sagte, dass dies nicht stimmen würde und wurde schon wütend. Der Italiener reichte mir daraufhin den Hörer und die junge Frau von der Zentrale sagte mir ganz frech, sie hätte mich drei mal darauf hingewiesen, dass ich bar zahlen müsse. Da wurde bei mir die Wut plötzlich zum Zorn. Ich rief in den Hörer, was ihr denn einfallen würde, mich so dreist zu belügen. Von Barzahlung sei nie die Rede gewesen, und am Ende solle ich wohl die Anfahrtkosten bezahlen, was sie vergessen könne. Mit dieser Masche seien sie bei mir an der falschen Adresse. Die beiden setzten mich richtig unter Druck, doch dann gab der Italiener überraschend nach, als er merkte, dass er bei mir auf Granit biss. Er sagte, er würde mir eine Rechnung schicken, und machte sich aus dem Staub. Ich rief ihm noch hinterher, wenn er mir sowieso eine Rechnung schicken würde, dann könne er ja auch gleich das Schloss austauschen, aber da war er bereits aus der Haustür und auf und davon. Ich habe letztendlich nie wieder etwas von dieser Verbrecherfirma gehört. Nun ja, Plan B war also auch gescheitert, und einen Plan C hatte ich noch nicht. Ich wollte erst einmal eine Nacht darüber schlafen.

 
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