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„Paul, wir wissen doch gar nicht, ob unser Mord etwas mit dem Unfall zu tun hat. Du bist doch nur über den Namen Bréhat gestolpert, als Guillem den Namen erwähnt hat. Trotzdem gehen wir der Spur nach, so gut wir es können. Sieh dir doch einmal diese Papiere hier an, ich habe sie in dem Ordner gefunden, den Dustin uns mitgebracht hat aus dem Büro von Courtain. Drei Personen scheinen hier ein Projekt geplant zu haben, unter dem Namen Kermorbras. Zum einen ist der Architekt Guillem dabei, der Tote Courtain und ein dritter Mann, von dem ich nur den Vornamen David habe, könnte David Roudaut sein? Welch ein Zufall, der Mann wohnt direkt am Park von Trévarez.“

„Du meinst, dass David Roudaut den Toten gekannt und mit ihm zusammengearbeitet hat?“

„Es könnte doch sein. Jedenfalls sollten wir uns mit dem Mann unterhalten.“

„Gut, ich kümmere mich jetzt zuerst einmal um die Übernachtunsgäste von Bréhat. Dann sollten wir uns den David Roudaut vornehmen.“

Gerade als Paul das Büro von Ewen verlassen wollte, kam Dustin herein.

„Gut euch beide hier zu treffen, dann seid ihr gleich auf demselben Wissensstand. Wir haben uns das Projektil aus der Leiche von Courtain angesehen, das uns Yannick übergeben hat. Die 9 mm Kugel zeigt deutlich 6 Züge mit einem Rechtsdrall. Wir vermuten daher, dass es sich um eine Beretta M951 handeln könnte. Diese Aussage ist natürlich mit entsprechender Vorsicht zu genießen. Sollte es aber eine Beretta M951 sein, dann wäre es interessant. Es ist eine relativ alte Waffe. Sie wurde zwischen 1953 bis Anfang der 80er Jahre hergestellt, und jetzt wird es interessant, hauptsächlich in Italien, Israel, Irak, Niger und?...“

„Jetzt mach es nicht so spannend, Dustin.“

„…Ägypten eingesetzt. Das würde mit der Zigarettenmarke Cleopatra, die wir am Tatort gefunden haben, gut zusammenpassen.“

„Das ist eine wirklich interessante Information, Dustin. Du bist und bleibst der Größte.“

„Danke für die ständigen Lorbeeren. Wie wäre es zur Abwechslung mit einem Glas Wein zum Feierabend?“

Ewen musste herzhaft lachen und nickte zustimmend, hatte Dustin ihn nicht bereits bei der Durchsuchung des Hauses von Courtain auf ein Glas Wein hingewiesen, wegen seiner Belehrung?

„Das geht klar, Dustin, heute Abend bist du mein Gast.“

Paul machte sich auf den Weg in sein Büro, um die Nachforschungen zu den Übernachtungsgästen auf der Insel Bréhat voranzutreiben, während Ewen die neuesten Erkenntnisse an seiner Pinnwand notierte.

Jetzt gab es nicht nur ägyptische Zigaretten, sondern auch eine Waffe, die aus genau dem Land stammen könnte. Umso wichtiger war es jetzt zu klären, wer in den letzten Monaten in Ägypten gewesen war, derjenigen Personen, die auf seiner Liste der möglicherweise involvierten Leute stand.

Kapitel 7

Claudine Kerneis war sehr beunruhigt und ging unentwegt in ihrem Wohnzimmer auf und ab. Robert hatte ihr am letzten Mittwoch versprochen sich zu melden, sobald er seine Geschäftstermine abgearbeitet hatte. Er wollte spätestens in vier Tagen wieder bei ihr in Lorient sein. Das wäre am vergangenen Sonntag der Fall gewesen. Jetzt waren aber schon sechs Tage vergangen und immer noch hatte sie keine Nachricht von ihm. Sein Handy war ausgeschaltet und eine andere Nummer hatte sie nicht. Was wusste sie denn überhaupt von Robert?

Sie war vor einigen Wochen für ein paar Tage auf die Île-de-Bréhat gefahren, um sich von ihrer nervenaufreibenden Tätigkeit als Arbeitsvermittlerin im Pôle de l´emploit in Lorient zu erholen. Dort hatte sie Robert Courtain kennengelernt, in ihrem Hotel Belle-Vue.

Sie saß am ersten Abend beim Abendessen alleine am Tisch und sah Robert an einem Nachbartisch sitzen, ebenfalls alleine. Er sah immer wieder zu ihrem Tisch herüber und lächelte ihr zu. Sie lächelte zwar freundlich zurück, bemühte sich aber, nicht weiter zu ihm hinüberzusehen. Zwischen den einzelnen Gängen las sie in ihrem Buch über die erstaunlichen Möglichkeiten, mittels Feng Shui ein Leben in völliger Harmonie zu erreichen. Irgendwie war sie aber nicht richtig bei der Lektüre und verstand einiges nicht, machte sich aber auch nicht die Mühe nochmals nachzulesen. Sie erwischte sich dabei, dass sie doch immer wieder einmal zu dem Mann am Nachbartisch sah. Auch er erwiderte ihre kurzen Blicke regelmäßig.

Am nächsten Morgen spazierte sie wie am ersten Tag wieder über dieses wunderbar duftende Stückchen Land. Neben den zahlreichen Rosen und Rhododendren, Strandnelken und Schmucklilien wuchsen hier auch zahlreiche Pflanzen aus dem klimatisch wärmeren mediterranen Umfeld. Neben der Madeira-Geranie waren es vor allem die bis zu 4 Meter hohen Blütenstände des Riesen-Natternkopfs, oder l´Echium, wie die Botaniker dazu sagen würden, die auf Bréhat wuchsen und zu denen Claudine sich hingezogen fühlte. Ursprünglich in den Lorbeerwäldern der Kanaren-Insel La Palma heimisch, hatte man sie auch auf Bréhat gepflanzt. Die Hortensien waren da schon eine Selbstverständlichkeit und brauchten keine besondere Erwähnung. Die Insel bot den Pflanzen aus dem Süden ein nahezu identisches Klima, so dass sie hier wunderbar gedeihen konnten. Die Insel kannte keinen Frost wegen des Golf-Stroms und schien den Pflanzen aus den wärmeren Regionen gut zu bekommen. Schnee gab es im Winter höchstens alle 30 oder 40 Jahre einmal.

Claudine brauchte nicht 1000 Kilometer in den Süden zu reisen, wenn sie die Pflanzen bewundern wollte. Die Île-de-Bréhat war für sie so etwas wie die Côte d´Azur im Kleinformat und das unmittelbar in ihrer vertrauten Umgebung. Anstelle der hunderttausend Touristen im Süden waren hier auf der Insel, neben den wenigen Einwohnern, vielleicht tausend Besucher am Tag, die sich aber auf dem 290 Hektar großen Eiland verteilten. Sie hatte bis jetzt noch nicht den Eindruck gehabt, dass die Insel überfüllt gewesen wäre. Andererseits war sie auch nicht auf absolute Ruhe erpicht. Auf ihrem Spaziergang zur Gezeitenmühle und zur Kapelle Saint Michel begegnete sie zwar zahlreichen Fußgängern, fand aber auch ruhige, menschenleere Ecken, die sie zum Verweilen einluden. Auf dem Hügel, auf der die Kapelle Saint Michel stand, genoss sie den 360° Rundblick über die Insel und blieb fast eine Stunde auf einer Bank sitzen, um das Panorama auf sich wirken zu lassen. Den ganzen Tag über war sie dem Mann vom Vortag nicht begegnet.

Am Abend betrat sie den Speisesaal des Hotels und wurde vom Kellner zu ihrem Tisch geleitet. Der Mann vom Vorabend war nicht anwesend. Claudine bedauerte es, sie hätte es gerne gesehen, wenn er noch auf der Insel gewesen wäre. Sie hatte am gestrigen Abend eine gewisse Zuneigung verspürt. Der Kellner brachte ihr den bestellten Aperitif und stellte ein Körbchen Baguette und gefüllte Oliven auf den Tisch.

„Guten Abend, Madame, bitte erschrecken sie nicht, ich darf mich Ihnen vorstellen. Mein Name ist Robert Courtain, und ich verbringe, so wie Sie wohl auch, einige Tage alleine auf der Insel. Würde es Sie sehr stören, wenn ich mich zu Ihnen setze? Es ist immer etwas frustrierend alleine zu essen, ohne die Möglichkeit sich ein wenig zu unterhalten.“

Claudine war leicht zusammengefahren, als der Mann sie angesprochen hatte. Dann sah sie zu ihm auf und erkannte den Tischnachbarn vom gestrigen Abend. Mit einem strahlenden Lächeln zeigte sie auf den freien Stuhl.

„Aber bitte, nehmen Sie doch Platz. Sie haben völlig recht, alleine an einem Tisch zu sitzen ist schon ein wenig frustrierend. Mein Name ist Claudine Kerneis.“

Claudine registrierte den betörenden Duft seines Rasierwassers. Unter Hunderten konnte sie das Eau d´oranges verte von Hermes herausriechen. Der Duft bezauberte sie und weckte schlafende Sinne.

„Sind Sie schon länger auf der Insel?“, fragte Monsieur Courtain Claudine und lächelte sie an.

„Erst seit gestern und das auch nur noch bis übermorgen.“

„Genauso lange wie auch ich hier sein werde. Ich bin gestern am frühen Nachmittag hier eingetroffen und habe einen ersten Spaziergang über die Insel gemacht. Als ich dann gestern Abend etwas müde ins Restaurant gekommen bin und ihr bezauberndes Lächeln erblickt habe, ist meine Müdigkeit sofort verflogen.“

Claudine bemerkte, dass sie leicht errötete. Auch wenn diese Bemerkung von dem fremden Mann vielleicht nur so dahingesagt worden war, so schmeichelte sie ihr dennoch. Claudine war inzwischen beinahe 40 Jahre alt und den Mann fürs Leben hatte sie noch nicht gefunden. Ihr Gegenüber schätzte sie auf Mitte 40. Seine gepflegte Erscheinung unterschied sich wohltuend von den Männern ihrer Arbeitsstelle.

„Vielleicht darf ich Ihnen beim Abendessen Gesellschaft leisten?“

„Ich habe keine Einwände.“

Der Kellner trat an ihren Tisch und fragte auch Courtain nach seinem Getränkewunsch.

„Für mich bitte ein Glas Champagner.“ Dann wandte Robert Courtain sich wieder an Claudine.

„Was haben Sie sich von diesem kleinen Paradies bis jetzt angesehen?“

„Ja, es ist wirklich ein kleines Paradies. Ich könnte mir jedoch nicht vorstellen, für immer hier zu leben. Ich habe mir bis jetzt den unteren Teil der Insel angesehen. Die verrerie, die Glasbläserei, und die Zitadelle habe ich mir gestern angesehen und am heutigen Tag haben die Gezeitenmühle und die Kapelle Saint Michel auf meinem Plan gestanden. Wissen Sie, Monsieur Courtain, ich lasse mir Zeit und möchte, dass die einzelnen Orte auf mich wirken können und mir etwas von ihren Geheimnissen verraten.“

„Das hört sich interessant an. Ist das ein Hinweis aus ihrem Feng Shui Buch? Ich habe Sie gestern darin lesen sehen?“

„Nein, das hat nichts damit zu tun. Ich lasse die Stimmungen und die Natur gerne auf mich wirken, wenn ich einen neuen Ort aufsuche. Ich versuche die Gerüche aufzunehmen, das Licht zu spüren und meine Gefühle und Empfindungen wahrzunehmen.“

„Ich sollte mich mit Ihrer Art des Kennenlernens einer neuen Umgebung einmal näher beschäftigen. Es hört sich jedenfalls interessant an. Was hat die Insel Ihnen bis jetzt verraten?“

„Eine ganze Menge! Gestern hat mir die Zitadelle von den Zeiten erzählt, als man sie beschossen hat und ich habe den Kanonendonner gehört. Heute habe ich gehört, wie die Menschen das wenige Getreide der Insel zu der Gezeitenmühle gebracht haben und konnte das Knarren und Quietschen des Mahlwerks, das ihnen das Mehl gemahlen hat hören. Manchmal bekomme ich auch mit, wie sich die Menschen bemüht haben ihr tägliches Brot zu verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Es kann sehr aufregend sein, die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin Immobilienmakler in Quimper und gleichzeitig auch Bauunternehmer. Ich kaufe ältere Häuser auf und renoviere sie, um sie anschließend mit entsprechendem Gewinn zu veräußern. Vermietungen gehören natürlich auch zu meinem Metier. Gemeinsam mit zwei Kollegen bin ich gerade in der Planung eines größeren Bauprojektes.“

„Sie sind also ein Immobilien-Hai?“

„Wenn Sie alle Immobilienhändler so nennen, dann ja. Ich habe mir bis jetzt immer vorgenommen, möglichst fair mit meinen Kunden umzugehen. Ich glaube, dass ich einen durchaus guten Ruf in Quimper inne habe.“

„Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten. Aber der Ruf von Immobilienhändlern ist nun nicht gerade der allerbeste.“

„Das ist mir durchaus bewusst, dennoch gebe ich mir große Mühe, meinen Beruf vernünftig und für beide Seiten gewinnbringend auszuführen.“

„Sie wohnen in Quimper, haben Sie gesagt? Ich bin noch nie in Quimper gewesen. Das können Sie sich bestimmt nicht vorstellen?“

„Wenn Sie aus der westlichen Bretagne stammen, dann würde es mir in der Tat schwerfallen das zu glauben.“

„Ich wohne in Lorient, bis Quimper sind es gerade einmal 60 Kilometer.“

„Darf ich Ihnen auch ein Geheimnis verraten? Ich war noch nie in der Cité de la Voile Tabarly in Lorient, auch nicht in den riesigen U-Boot-Bunkern aus dem zweiten Weltkrieg. Sie sehen, es ist keine Schande, wenn man das eine oder andere seiner näheren Umgebung noch nicht besucht hat.“

Claudine musste lachen.

„Die beiden Sehenswürdigkeiten meiner Heimatstadt habe ich ebenfalls noch nicht besucht. Für das Segeln interessiere ich mich nicht und für die Bunker des zweiten Weltkrieges schon gar nicht.“

Inzwischen war ihre Vorspeise vom Kellner gebracht worden. Claudine erhielt den Tartare de Dorade et Homard en mille feuilles und Courtain die Foie Gras maison au Piment d’Espelette, gelée de Chouchen.

Courtain mochte Foie Gras und konnte selten genug davon bekommen. Immer wieder probierte er neue Variationen aus. Er konnte nicht sagen auf welche Art und Weise er sie am liebsten aß. Jede Zubereitung hatte ihren besonderen Charme.

„Dann lassen Sie es sich schmecken“, sagte Robert Courtain zu Claudine und begann zu essen. Claudines Hauptgang war ein Filet de Saint Pierre à la crème d’Andouille, purée de coco et tagliatelles de Sarrazin. Robert genoss eine Lotte au curry comme un Maki, riz à Sushi.

Zwischen den Gängen unterhielten sie sich über die Insel Bréhat.

„Wissen Sie eigentlich, dass es ohne die Insel Bréhat keine Entdeckung Amerikas gegeben hätte?“ Courtain sah Claudine fragend an.

„Ich bin Bretonin und mir ist durchaus bewusst, dass wir Bretonen in vielen Bereichen zu den Größten gehören. Aber die Entdeckung Amerikas?“

„Doch, doch, Sie dürfen es mir glauben. Es gibt unwiderlegbare Beweise.

Im Jahre 1484 hat ein gewisser Pirat Coatanlem, die Insel Bréhat verlassen müssen. Der Weg hat ihn nach Lissabon geführt. Dort hat er Christoph Columbus getroffen, sich mit ihm angefreundet und ihm von der Existenz einer Neuen Welt erzählt, von der er auf seinen Reisen erfahren hat. So ist es gekommen, dass ein Bretone, von der Insel Bréhat, bedeutenden Einfluss auf die Weltgeschichte genommen hat.“

„Eine schöne Geschichte.“

„Unsere Bretagne ist doch voll von solchen Geschichten. Ich finde sie immer wieder herrlich.“

Der Kellner, der in der Zwischenzeit die Teller des Hauptganges abgeräumt hatte, brachte nun das Dessert. Sie hatten Beide die tartelettes Fraises et Pistache, coulis de Poivrons rouge caramélisés gewählt.

Courtain genoss den gemeinsamen Abend mit Claudine. Er, der bis jetzt noch nie Anstrengungen unternommen hatte eine Frau kennenzulernen, war zum ersten Mal in seinem Leben von einer Frau fasziniert und fühlte sich zu ihr hingezogen. Wie aus dem Nichts war dieses Gefühl am gestrigen Abend aufgetaucht, als er ihr am Tisch gegenübergesessen hatte. Den ganzen Tag über, während seines Spaziergang über die Insel bis zum Phare du Paon, hatte er an nichts anderes denken können, als an diese Frau. Er musste sie unbedingt kennenlernen. Er hatte sich vorgenommen, sie am Abend im Restaurant anzusprechen, sollte sie wieder alleine am Tisch sitzen. Jetzt saß er ihr gegenüber, genoss ein gemeinsames Abendessen mit ihr und würde versuchen, sie nach dem Essen zu einem kleinen Spaziergang einzuladen.

Der Kellner räumte die Teller des Desserts ab und fragte nach einem Kaffee. Beide bejahten die Frage und sie erhielten zwei Espressi.

„Würden Sie mir die Freude machen und mit mir noch einen kleinen Verdauungsspaziergang machen?“, fragte Robert Claudine, nachdem sie ihre Tasse geleert hatte.

„Ganz gerne“, antwortete sie.

Sie verließen das Hotel Belle-Vue und folgten dem Weg Chrech Kerio zum Zentrum, dem sogenannten Bourg. Nach wenigen Minuten erreichten sie das Ortszentrum, das von kleinen Bistros und Bars umgeben war. Tische standen auf dem Platz und Kinder fuhren mit ihren Rädern und Skatebords trotz der späten Stunde hin und her. Sie überquerten den Platz und nahmen den Weg, den Robert bereits am Morgen zurückgelegt hatte. Sie kamen an den riesigen Natterköpfen vorbei und Claudine bestaunte sie von Neuem. Hinter der Vauban-Brücke bogen sie links ab und kamen an einer Bank vorbei, die einen freien Blick auf das Meer erlaubte. Claudine schlug vor hier etwas zu verweilen.

Robert war sofort einverstanden und sie setzten sich auf die Bank. Sie unterhielten sich über Claudines Arbeit und ihre Vergangenheit und über die wunderschöne Umgebung hier. Vorsichtig hatte Robert seinen Arm auf die Rückenlehne der Bank gelegt und berührte jetzt etwas zaghaft Claudines Arm. Sie ließ es zu und unternahm keinerlei Anstalten sich der Hand zu entziehen. Nach einer weiteren halben Stunde näherte sich Robert mit seinen Kopf Claudines Gesicht und auch Claudine drehte sich ihm zu. Der erste Kuss war ganz zaghaft, der zweite schon intensiver und der dritte….

Sie verbrachten die Nacht gemeinsam im Zimmer von Robert. Am nächsten Morgen war für sie ein neues Leben angebrochen.

Robert war sicher, in Claudine die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Sie verbrachten die letzten beiden Tage in inniger Gemeinsamkeit, bevor sie zusammen die Insel verließen. Von da an sahen sie sich regelmäßig. Jedes Wochenende verbrachten sie gemeinsam und nach zwei Wochen bat Robert um Claudines Hand. Claudine brauchte keine lange Bedenkzeit und sagte spontan zu. Sie würden in Roberts Haus in Quimper wohnen. Ihre Arbeitsstelle würde sie kündigen und entweder eine neue Stelle in Quimper suchen oder einfach ganz zuhause bleiben. Robert sagte, dass sie auf das Geld verzichten könnten. Sein Einkommen war mehr als ausreichend. Claudine wollte ihre Kündigung aussprechen, sobald sie den Hochzeitstag festgelegt hatten. Das war für den vergangenen Sonntag geplant gewesen. Aber Robert war nicht gekommen und war auch nicht zu erreichen gewesen.

Claudine entschied eine Vermisstenanzeige bei der Polizei in Quimper aufzugeben. Sie verließ ihre Wohnung und fuhr nach Quimper, in die Stadt, die sie immer noch nicht besucht hatte, weil Robert bisher zu ihr nach Lorient gekommen war. Als sie das Kommissariat in Quimper erreicht und dem Polizisten am Empfang ihr Anliegen vorgetragen hatte, wurde sie an die zuständige Abteilung verwiesen.

„Bonjour Monsieur“, begrüßte Claudine den Beamten. „Ich möchte eine Person als vermisst melden.“

„Seit wann wird die Person vermisst?“

„Seit drei Tagen. Ich habe die Hoffnung gehabt, dass er sich noch meldet. Ich kann ihn telefonisch auch nicht erreichen. Robert wollte sich spätestens am Sonntag wieder mit mir treffen.“

„Langsam, Madame, ich darf Sie zuerst nach Ihrem Namen fragen?“

„Mein Name ist Claudine Kerneis, ich wohne in Lorient.“

„Ihr Adresse?“

„Ich wohne in der Rue du Manio“.

„Wen vermissen Sie?“

„Monsieur Robert Courtain, er wohnt hier in Quimper.“

„Wie sagen Sie heißt der Mann? Courtain?“

„Ja, Robert Courtain, so hat er sich mir vorgestellt. Er ist Immobilienhändler in Quimper.“

„Oh ja, da haben Sie recht, der Mann ist bekannt in Quimper.“

Der Polizist erinnerte sich sofort an den Mordfall am vergangenen Sonntag. Er hatte Bereitschaft und musste daher für Kommissar Kerber einige Kollegen zur Fundstelle der Leiche schicken, um dort den Zaun des Parks zu untersuchen. Er überlegte nicht lange und bat Claudine um einen Augenblick Geduld. Er verließ sein Büro und telefonierte vom Nachbarbüro aus mit Kommissar Kerber.

„Monsieur Kerber, bei mir sitzt Frau Claudine Kerneis, die Robert Courtain als vermisst meldet. Ich denke, das interessiert Sie.“

„Und wie mich das interessiert. Bringen Sie die Frau sofort zu mir ins Büro.“

Der Polizist legte auf und ging in sein Büro zurück. Claudine Kerneis wartete geduldig auf den Polizisten.

„Darf ich Sie bitten mich zu begleiten?“, sagte der Beamte und führte Claudine über den Gang zur Treppe, um Sie in die zweite Etage zu Ewen Kerber zu bringen.

Neben der Bürotür von Kerber stand auf einem Schild Commissaire Kerber darunter service d´assassinat. Claudine erschrak, als sie las, dass sie zur Mordabteilung geführt wurde. Der Polizist öffnete nach einem kurzen Anklopfen die Tür und ließ Claudine Kerneis an sich vorbei ins Büro gehen.

Ewen war von seinem Stuhl aufgestanden und auf die Frau zugegangen.

„Mein Name ist Ewen Kerber, bitte kommen Sie herein und setzen Sie sich.“ Er bemerkte, dass sein Jackett wie immer über dem Besucherstuhl hing, nahm es schnell und hing es an den Kleiderhaken neben der Tür.

„Danke Monsieur, le Commissaire, aber warum hat man mich zu Ihnen gebracht. Ich vermisse meinen“, Claudine stockte einen Moment und sagte dann, „meinen Verlobten, Monsieur Robert Courtain.“

„Madame Kerneis, habe ich das richtig verstanden, Sie sind die Verlobte von Monsieur Courtain?“

„Ich denke, dass ich es so bezeichnen darf. Wir wollten am letzten Wochenende über unser Hochzeitsdatum sprechen.“

„Madame Kerneis, ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen. Monsieur Courtain ist am Sonntag im Park von Trévarez ermordet aufgefunden worden.“

Claudine Kerneis wurde bleich.

„Robert ist tot? Ermordet? Aber wieso? Wer macht so etwas?“ Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.

Ewen wartete und ließ sie den Schock der Nachricht verarbeiten. Es dauerte einige Minuten, bis Claudine Kerneis sich wieder gefangen hatte und Ewen seine Fragen stellen konnte.

„Können Sie mir etwas mehr über die Beziehung zwischen Ihnen und Monsieur Courtain sagen. Sie haben eingangs erwähnt, dass sie ihren Verlobten vermissen?“

„Nun ja, wir sind nicht wirklich verlobt gewesen, aber wir haben an diesem Wochenende unsere Hochzeit planen wollen.“

„Seit wann kennen Sie sich?“

„Wir haben uns vor einigen Wochen auf der Île-de-Bréhat kennengelernt, und es hat sofort zwischen uns gefunkt. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch gewesen und haben uns ineinander verliebt. Seither haben wir uns regelmäßig getroffen und alle Wochenenden miteinander verbracht. Am letzten Wochenende hat Robert einige geschäftliche Termine gehabt und wollte erst am Sonntag zu mir nach Lorient kommen. Aber er ist nicht erschienen, und als ich auch am Montag nichts von ihm gehört habe, er auch nicht über sein Handy zu erreichen gewesen ist, da habe ich mir Sorgen gemacht.“

„Ich weiß, dass dies alles jetzt nicht einfach für Sie ist, aber ich muss von Ihnen noch einiges über Robert Courtain erfahren. Wir haben keinerlei Ausweispapiere, kein Telefon und kein Portemonnaie gefunden. Jede Kleinigkeit kann uns helfen seinen Mörder zu finden.“

„Gerne helfe ich Ihnen, aber ich bezweifle, dass ich relevante Informationen habe. Wenn wir uns getroffen haben, dann haben wir kaum über seine Arbeit gesprochen oder über sein geschäftliches Umfeld. Wir sind spazieren oder etwas essen gegangen und haben uns viel über Kunst und klassische Musik unterhalten und was man sonst so alles unternimmt wenn die Lebensfreude im Vordergrund steht.“

„Sie sagen, dass Sie kaum über Geschäftliches gesprochen haben? Den Namen Kermorbras hat er ihn in Ihrem Beisein nicht erwähnt?“

„Über Geschäftliches haben wir wirklich nicht gesprochen, allerdings ist der Name Kermorbras einmal gefallen. Ich kann mich erinnern, dass Robert bei unserem letzten Zusammensein gesagt hat, dass er das Projekt Kermorbras beenden wird und es nicht weiter verfolgen will. Es würde zu viel Zeit kosten und wir seien beide nicht mehr so jung, dass man die Zeit einfach vergeuden kann. Robert hat sich aus diesem, ich nehme an größeren Projekten, zurückziehen wollen, um mehr Zeit für uns zu haben.“

Ewen notierte die soeben erhaltene Information. Ihm schien die Aussage von Claudine Kerneis von Bedeutung zu sein. Darin konnte durchaus ein Motiv für seinen Tod liegen. Sein Rückzug aus dem Projekt konnte zu finanziellen Konsequenzen für die beiden anderen Beteiligten geführt haben.

„Hat Monsieur Courtain von Anfeindungen gesprochen?“

„Nein, ich habe nichts von ihm gehört. Im Gegenteil, ich habe eher das Gefühl gehabt, als ob er mit seiner Umwelt im Reinen sei. Er hat über keinen Menschen schlecht gesprochen.“

„Haben Sie zufällig einen Schlüssel zu seiner Wohnung?“

„Nein, Monsieur le Commissaire, ich weiß nicht einmal genau wo er wohnt. Wir haben uns bisher bei mir in Lorient getroffen. Robert hat mich an diesem Sonntag zum ersten Mal mit nach Quimper nehmen wollen, damit ich sein Haus kennenlerne. Wir haben den Plan gehabt, nach unserer Hochzeit in das Haus zu ziehen. Ich habe meine Arbeit in Lorient aufgeben und mit ihm in Quimper leben wollen.“

„Haben Sie vielen Dank für Ihre Auskünfte, Madame Kerneis. Wenn Sie mir bitte Ihre Anschrift und Telefonnummer hinterlassen, damit ich Sie erreichen kann, falls es noch einmal nötig ist.“

Claudine Kerneis notierte beides und verabschiedete sich von Ewen.

„Bitte lassen Sie mich wissen, wenn Sie den Mörder von Robert gefasst haben.“

Ewen nickte wortlos und geleitete Claudine zur Tür.

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