Wegverlust

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Wegverlust
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Jana Schrödter

Wegverlust

Die Reise ins Ungewisse

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Impressum neobooks

Kapitel 1

Sie hörte seine schweren dumpfen Schritte auf der Holztreppe im Hausflur des 3-stöckigen Mietshauses. Kurz hob sie ihren Kopf, um den Verlauf seiner Schritte besser folgen zu können. 6-5-4-3-2-1 flüsterte sie die Stufen, die ihn noch von der Wohnungstür trennten, vor sich hin.

An einem Sonntag waren sie Hand in Hand langsam die Treppe hinuntergegangen, um die Anzahl der Stufen zu zählen. Ihr kindergleiches Lachen hatte laut durch den Hausflur gehallt. Ihr Untermieter, ein Junggeselle Mitte 40 mit Halbglatze und einem nicht zu übersehenden Bauchansatz, den er vergeblich unter einem weiten Pullover zu verstecken suchte, hatte den Kopf aus der Tür gesteckt. Seine stechend blauen Augen hatten sie böse angefunkelt, als er sie anfuhr, ob sie nicht leise sein könnten, er wäre gerade aus der Nachtschicht gekommen und versuche zu schlafen. Prustend vor Lachen waren sie aus der Haustür gestürmt und ließen ihren Untermieter kopfschüttelnd zurück.

Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Das Rasseln riss sie jäh aus ihren Gedanken. Mit einem lauten Poltern wurde die Haustür aufgestoßen. Er streifte seine klobigen Arbeitsstiefel von den Füßen, richtete seine verschwitzten Socken und kündigte seine Heimkehr an: „Schatz, ich bin zu Hause!“

Doch eine Antwort blieb aus. Auf dem Weg in die Küche stolperte er. Fluchend kickte er das Kinderspielzeug durch die Diele, das sich mit einem verzerrten Quietschen bedankte. Er stellte die Einkaufstüten auf den großen Holztisch in der Mitte des Raumes. Sie waren so schwer, dass er für einen Moment das Gleichgewicht verlor und sein Kopf mit der Küchenlampe kollidierte. Er vergaß jedes Mal, dass sie zu tief hing und er den Kopf einziehen musste, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Die Lampe schwenkte noch nach links und rechts und verteilte ihr karges Licht über den Tisch. Er ließ sich auf den nebenstehenden Stuhl sinken und rieb seine schmerzende Stirn. Sein Blick wanderte durch die Küche, vorbei an der Vitrine passend zum Tisch im Kolonial Stil, hinter deren gläsernen Türen Krüge in unterschiedlichen Größen standen. Eine alte Truhe, in der sie Tischtücher für festliche Anlässe aufbewahrten, schloss sich an. Als sie sie auf dem Flohmarkt entdeckten, verliebten sie sich beide sofort in dieses Prachtstück. Die Beschläge, die schon leicht Rost angesetzt hatten, verliehen der Truhe einen besonderen Charme. Unter dem gewölbten Küchenfenster, in dem ein Traumfänger hing, stand ein brauner Ledersessel mit breiten Armlehnen, die an der Vorderseite mit silbernen Nieten verziert waren. Das schmutzige Geschirr der letzten drei Tage thronte in der Spüle. Als sein Blick auf den Abwaschberg fiel, entrann ihm ein lautes Stöhnen. Er wünschte die sich stapelnden Teller und Tassen würden bereits bei den Sauberen stehen, die der wellige bordeauxrote Samtvorhang entlang der dunklen Holzplatte, verbarg. Schließlich hafteten seine Augen wieder auf den zwei großen Papiereinkaufstüten, die noch immer auf dem Tisch darauf warteten, ausgepackt zu werden. Er breitete den Inhalt der Tüten auf dem Tisch aus, um ihn nach den Lebensmitteln zu sortieren, die in den Kühlschrank gehörten und nach solchen, die sich mit einem Platz im Unterschrank der Vitrine begnügten. Der geschwungene Kühlschrank im 50iger Jahre Stil war der Blickfang der sonst eher rustikalen Kücheneinrichtung. Durch einen großen silberfarbenen Längsgriff ließ er sich bequem öffnen und als er die Lebensmittel darin verstaute, schien es fast, als würde er darin verschwinden. Er knüllte die Tüten zusammen und warf sie in den Mülleimer. Die Küchendielen verabschiedeten ihn mit einem ächzenden Knarren, als er wieder in die Diele trat.

„Schatz ich bin zu Hause!“, wiederholte er seinen Willkommensgruß, doch auch diesmal wollte ihm niemand antworten.

„Schatz?“ Stille.

Er ging die frisch gebohnerte Wendeltreppe hinauf, auf deren glatten Stufen er mit seinen Socken ausrutschte und beinahe gefallen wäre, hätte er sich nicht gerade noch am Geländer festgeklammert. Fluchend nahm er die restlichen Stufen, die ihn ins Wohnzimmer im Dachgeschoss führten. Er streifte die Socken von seinen Füßen und ließ sie auf dem Treppenabsatz fallen. Mit seinen nackten Füßen betrat er den flauschigen weißen Teppich, der sich durch das gesamte Wohnzimmer erstreckte und ihn an seinen Füßen kitzelte.

„Schatz, bist du hier?“

Das Gebälk teilte das geräumige Zimmer in zwei gemütliche Hälften. Das Geländer der Wendeltreppe zog sich durch den Anfang des Raumes. An der Wand darüber hing ein Bild, dessen Rahmen mit dem Bild zu verschwimmen schien. Vier große Fenster ließen genug Licht in den Raum. An einem der Fenster hinter dem Treppengeländer bildete sich eine kleine Nische. Hier stand ein alter Sekretär auf dem sich eine Schreibmaschine befand. Daneben lag ein großer Stapel Blättern.

Sie war Schriftstellerin, doch das Schreiben ging ihr in letzter Zeit nicht mehr so gut von der Hand. Am anderen Ende des Raumes, unter einem zweiflügligen Giebelfenster, kurz über dem Boden, stand ein alter Korbschaukelstuhl, in dem sie früher oft saß. Hier beobachtete sie die Vögel, wie sie sich dem Wind entgegenstellten oder sich mit ihm fallen ließen. Ihr flogen die Gedanken nur so zu. Auf ihrem Schoß lag ein Block, auf dem sie die Ideen, die aus ihr heraussprudelten eilig notierte, bevor sie ihr wieder entgleiten konnten.

Ein Schatten zeichnete sich über ihr an der Wand. Doch sie bemerkte ihn nicht.

Erst als er zu sprechen begann, schreckte sie zusammen. „Wie geht es dir Schatz?“, fragte er.

„Gut. Ich war nur in Gedanken.“, erwiderte sie noch ein wenig geistesabwesend.

Er ging in die Küche, um das Essen zuzubereiten. Sie folgte ihm und ließ sich scheinbar erschöpft in den Ledersessel sinken. Er deckte den Tisch mit farbigen Tassen und Tellern. Auf dem Herd brodelte es bereits. Leckerer Essensgeruch durchströmte die Küche und ließ ihren Magen knurren.

„Willst du mir nicht helfen?“, fragte er sie.

Sie bemerkte den Unmut in seiner Stimme und quälte sich widerwillig aus dem Sessel, um das Besteck auf dem Tisch zu verteilen. Er füllte zwei Teller mit Spargelcremesuppe, deren heißer Dampf in Richtung Küchenlampe aufstieg. Sie schnitt derweil das Brot in Scheiben, um dann den Brotkorb zwischen die Teller zu platzieren.

„Möchtest du Pfefferminztee oder schwarzen Tee Liebling?“ Er stöberte im Küchenschrank nach der Tee Box, konnte sie jedoch nicht finden.

„Ich glaube, wir haben keinen Tee mehr. Hab ich wohl vergessen, auf die Einkaufsliste zu schreiben.“, murmelte er vor sich hin. „Ah, da sind ja noch welche! Wir haben nur noch Pfefferminze.“

Hinter den Gewürzen hatten sich noch zwei Teebeutel versteckt. Er setzte das Wasser an. Sie nahm den silberfarbenen dreiarmigen Kerzenleuchter von der Vitrine und stellte ihn auf den Tisch. Während er den Tee aufbrühte, kramte sie in der Schublade nach einem Feuerzeug, konnte aber keines finden. Er hatte vor kurzem das Rauchen aufgegeben, aber Feuerzeuge hatten sie noch immer im Haus.

„Weißt du, wo die Feuerzeuge sind?“, fragte sie ihn.

„Schau mal in die Truhe! Da hast du sie doch das letzte Mal vor mir versteckt.“, erwiderte er mit einem breiten Grinsen.

Jetzt fiel es ihr wieder ein. Die Truhe öffnete sich quietschend. Da lagen sie, 20 Stück auf einen Haufen. Sie zündete die roten Kerzen an, die eine angenehm behagliche Atmosphäre zauberten. Sie saßen sich schweigend am Tisch gegenüber. Die Stille wurde nur durch sein Schlürfen und einem Knacken in der Heizung getrübt. Sie bröselte ihr Brot und dippte es in die Suppe. Ihr Hungergefühl war plötzlich verschwunden. Sie spürte seinen strengen Blick prüfend auf sie gerichtet. Wie sie es hasste, wenn er sie so anschaute. Er beobachtete jeden Bissen, den sie zu sich nahm.

„Jetzt iss endlich etwas und hör auf nur mit dem Essen herumzuspielen. Das kann man ja nicht mit ansehen.“, platzte es aus ihm heraus.

„Wenn du mich so anschaust, kann ich nichts essen.“, erwiderte sie kleinlaut.

 

„Jetzt sag nur noch, es liegt an mir? Du isst doch so oder so nichts. Das ist doch nicht normal. Du wirst mir noch wegsterben. Irgendwann muss man doch mal vergessen können…“, wütend knallte er den Löffel auf den Tisch.

„Wenn du es so einfach vergessen kannst, dann scheint es für dich ja keine Bedeutung gehabt zu haben.“, entgegnete sie ihm trotzig und mit weinerlicher Stimme.

Sie spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals und sprang vom Stuhl auf. Sie wollte mit ihrer Wut und ihrer Enttäuschung allein sein und lief ins Badezimmer. Er sollte sie so nicht sehen.

Im nächsten Moment tat es ihm schon wieder leid, dass er sie so angefahren hatte. Er war mit seiner Geduld am Ende. Um alles musste er sich kümmern. Den Einkauf, den Haushalt und nebenbei auch noch arbeiten. Er fühlte sich überfordert.

Karl, sein Chef hatte ihm aufgrund der Angelegenheit eine gewisse Schonfrist gegeben. Aber seine dauernde gedankliche Abwesenheit blieb ihm nicht unbemerkt. Karl suchte das Gespräch mit ihm und gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er einen fähigen Mitarbeiter wie ihn auf Dauer ungern entbehren würde.

Er würde noch seinen Job verlieren, wenn das so weiterginge. Es war an der Zeit nach vorn zu blicken.

Sie schluchzte noch immer vor sich hin. Mit dem Handtuch trocknete sie schließlich ihre Tränen. Als sie in den Spiegel blickte, schauten ihr zwei trübe schwarz umränderte Augen müde entgegen. Sie wusste selbst, dass sie schlecht aussah. Er brauchte sie nicht noch ständig darauf hinzuweisen. Für ihn ging der Alltag schlichtweg weiter, aber sie hatte seitdem einfach nicht mehr die Kraft zu kämpfen.

Als sie aus dem Badezimmer trat, erblickte sie das Kinderspielzeug, das verlassen am Boden lag. Sie hob es auf und streichelte es liebevoll. Er stand an der Küchentür und beobachtete sie nachdenklich. Dann trat er auf sie zu und nahm sie in den Arm. Erschrocken zuckte sie zusammen. Schließlich löste sie ihren verkrampften Körper und gab sich seiner Umarmung hin.

„Es tut mir leid Schatz, du sollst nicht glauben, es wäre mir egal, was geschehen ist. Aber wir können nicht ewig trauern. Das Leben muss doch weitergehen.“, flüsterte er ihr ins Ohr. Er strich ihr Haar beiseite und liebkoste zärtlich ihren Nacken. Sie legte ihren Kopf auf seine Schultern und genoss entspannt seine sanften Küsse auf ihrer Haut. Ihre Nackenhärchen begannen sich aufzustellen. Ja, er verstand es noch nach all den Jahren noch immer, sie zu trösten. Ihre Tränen waren für einen Moment vergessen.

„Ich liebe dich!“, hauchte er ihr voller Hingabe ins Ohr.

Sie erschauerte. Über ihren Körper prickelte eine Gänsehaut nach der anderen. Seine Hand wanderte ihren Rücken hinab. Sie bog sich von Leidenschaft gepackt in seinen Armen. Er küsste erneut ihren Nacken. Seine Lippen wanderten über ihr Dekollete. Ihre Brustwarzen zeichneten sich unter ihrer dünnen Bluse ab, die sie unter ihrem schwarzen Hausanzug trug. Sanft strich er mit seinen Händen darüber. Angenehme Schauer jagten über ihren Rücken. Instinktiv griff sie ihm in den Schritt und entlockte ihm ein Stöhnen. Er warf seinen Kopf zurück. Eine kräftig pulsierende Ader, die seine Erregung widerspiegelte, zeichnete sich auf seinem markant gewölbten Hals. Leidenschaftlich knabberte sie an seinem Hals. Seine Männlichkeit erwachte zum Leben und rieb sich an ihrem Unterleib.

„Ich bin so scharf auf dich!“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie erwiderte sein Verlangen mit einem intensiven Zungenkuss. Er nahm sie auf den Arm und trug sie ins Schlafzimmer. Gemeinsam fielen sie auf das große weiße Doppelbett. Der von der Wand herabfallende Betthimmel legte sich wie ein Schleier über sein Gesicht und versperrte ihm die Sicht. Er fuchtelte wild mit den Armen, konnte sich jedoch nicht befreien. Stattdessen riss er nur die Verankerung aus der Wand, die mit einem lauten Knall zu Boden fiel. Nun war er komplett im Tüllstoff eingehüllt. Sie lachte schallend.

„Willst du mich heiraten?“, scherzte er, um die Situation aufzulockern und stimmte in ihr Lachen ein.

Ein Stück Putz fiel von der altrosafarbenen Wand auf ihre Stirn. Sie wälzten sich von Lachkrämpfen geschüttelt übers Bett.

„Danke Schatz, ich habe schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht.“, stieß sie atemlos hervor.

„Das wurde auch höchste Zeit. Du bekommst nämlich schon Falten durch deine ständig heruntergezogenen Mundwinkel.“

Er spreizte Zeige- und Mittelfinger, um ihren Lippen zu einem erneuten Lächeln zu verhelfen.

„Ich liebe dich Baby und egal, was auch geschieht, es wird sich daran nie etwas ändern.“

Er besiegelte sein Geständnis mit einem langen intensiven Kuss, der ihr den Atem nahm.

„Ich liebe dich auch.“, entgegnete sie ihm und zog ihn wieder zu sich heran, um seine Lippen zu berühren.

Ihre Leidenschaft entfachte von neuem. Ihrer Kleidung entledigt, liebten sie sich lang und innig, bis sie schließlich vor Erschöpfung ihren Schlaf fanden.

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