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Der Oberst

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VII

Ich versuchte, mit dem Oberst ein Gespräch anzukniipfen . . . doch Narkiß hatte die Wahrheit gesagt: der arme Alte war wirklich schwach von Begriffen geworden. Er erkundigte sich nach meiner Familie, und nachdem er sie sich zweimal hatte nennen lassen, dachte er nach und sagte endlich:

»Ich glaube, wir hatten einen Richter hier, der so hieß – Gurke, hatten wir einen solchen Richter? – wie?«

»Ja, ja, lieber Herr Wassilij Thomitsch, Euer Hochwohlgeboren,« antwortete Gurke, der ihn sonst wie ein Kind behandelte. »Es war wirklich hier ein solcher Richter. Reichen Sie mir Ihre Angel, das Würmchen ist da wahrscheinlich abgefressen . . . Ja! – so ist es auch.«

»Mit der Familie Lomoff waren Sie nicht bekannt?« fragte mich plötzlich und mit sichtlicher Anstrengung der Oberst.

»Was für eine Familie?«

»Lomoff! Theodor Iwanitsch, Ewstignej Iwanitsch, Alexej Iwanitsch der Jude, Theodulia, Iwanowna, die Räuberin und dann noch . . .«

Der Oberst schwieg und sank zusammen.

»Diese Leute standen dem Herrn am nächsten,« flüsterte, sich zu mir neigend, Narkiß mir zu – »durch sie, namentlich durch Alexej Iwanitsch, den er Jude genannt, und durch die Schwester desselben, Agrafena Iwanowna, hat er sein ganzes Vermögen verloren.«

»Was sprichst Du da von Agrafena Iwanowna!« rief plötzlich der Oberst, und sein Kopf erhob sich, seine weißen Augenbrauen zogen sich zusammen . . . »Nimm Dich bei mir in Acht . . . Und was ist das für eine Agrafena? Agrippina Iwanowna – so hieß sie.«

»Schon gut, schon gut, lieber Herr«, beschwichtigte Gurke.

»Weißt Du denn nicht, was der Dichter Melonoff von ihr gedichtet?« fuhr der Alte fort, in ein mir unbekanntes Pathos gerathend. »Nicht Hymens Leuchter brannten,« fing er an, alle Vocale durch die Nase ziehend und die Silben »en« und »an« wie die gleichlautenden französischen Endungen aussprechend – und sonderbar genug klangen diese Worte aus seinem Munde: »nicht dessen Fackeln . . .«

 
»So ist es nicht, aber:
Nicht der Vergänglichkeit eitler Götze,
Nicht Amaranthos, noch Porphyros
, Nur Ein‘s ergötzet sie . . .
 

»Das ist von uns gesagt – hörst Du!«

 
Nur Eins ergötzet sie beständig,
So minniglich und so lebendig:
Die gegenseit’ge Gluth im leichten Blut.
 

»Und Du sagst Agrafena?«

Narkiß lächelte, halb verächtlich, halb gleichgültig.

»Ach! Du Sonderling«, flüsterte er vor sich hin. Doch der Oberst war schon wieder zusammengesunken, die Angel entglitt seinen Händen und fiel in’s Wasser.

VIII

»Betrachte ich es genauer, so steht es mit unseren Angeln schlimm,« sprach der Küster, »die Fische wollen gar nicht mehr anbeißen. Es ist auch schon zu heiß geworden, und meinen Herrn hat Melancholie befallen. Wir wollen nach Hause gehen, das wird besser sein.« Er zog behutsam ein Fläschchen von Blech ans der Tasche, nahm den hölzernen Stöpsel heraus, schüttelte sich Schnupftabak auf die Finger und führte dieselben mit einer Bewegung an beiden Nasenlöchern vorüber . . . »das ist ein Tabak,« stöhnte er, zu sich kommend, »der greift durch wie der Gram! Nun, lieber Wassilij Thomitsch, belieben Sie aufzustehen, es ist Zeit!« . . .

Der Oberst stand von der Bank auf.

»Wohnen Sie weit von hier?« fragte ich Gurke.

»Weit ist es nicht – kaum eine Werst.«

»Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten,« wandte ich mich zum Oberst – ich wollte ihn nicht so schnell verlassen.

Er sah mich an – und nachdem er mit jenem besonderen, wichtig thuenden, höflichen, ein wenig gezierten Lächeln, welches, ich weiß nicht, ob auch Andere, aber mich stets an Puder, französische Röcke und Straßknöpfe, kurz an das achtzehnte Jahrhundert erinnert – angelächelt, sagte er mit altmodischen Unterbrechungen; daß es ihm sehr . . . angenehm . . . sein . . . würde und sank dann abermals in sich zusammen. Der Cavalier aus Katharinas Zeiten erschien in ihm für einen Augenblick – und verschwand dann wieder.

Narkiß wunderte sich über mein Vorhaben, doch ich achtete nicht auf das mißfällige Wackeln seiner Mütze und ging mit dem Oberst, den Gurke unterstützte, aus dem Garten. Der Alte bewegte sich ziemlich schnell, wie auf Stelzen.

IX

Wir gingen «an einem kaum eingetretenen Pfade durch ein grasreiches Thal, mitten durch ein Birkenwäldchen.

Die Sonne brannte, die Goldamseln schrien in dem grünen Dickicht, die Wachtelkönige schnarrten beim Pfade selbst, blaue Schmetterlinge flogen haufenweise über die weißen und rothen Blumen des niedrigen Klees – die Bienen verbargen sich, wie schläfrig und summten träge in dem unbeweglichen Grase. Gurke rüttelte sich, er schien aufzuleben; er hatte Angst vor Narkiß – er lebte ja vor dessen Augen – ich aber war ihm fremd, eben angekommen – mit mir wurde er bald vertraut . . . »Ja,« fing er an, »unser Herr ist allerdings an’s Fasten gewöhnt! Aber von einem Barsch wird man doch nicht satt. Vielleicht werden Sie, Euer Wohlgeboren, etwas opfern wollen? Hier in der Schänke, gleich um die Ecke des Wäldchens gibt es ganz ausgezeichnete Semmeln. Auch ich, der ich unter meiner Sündenlast erliege, würde gern, wenn Euer Gnaden es erlaubt, ein Gläschen Schnaps auf Ihre Gesundheit, Ihr langes Leben und Wohlergehen genießen!« Ich gab ihm einen Viertel-Rahel und hatte kaum Zeit, die Hand, welche er küssen wollte, zurückzuziehen. Er hatte erfahren, daß ich ein leidenschaftlicher Jäger sei, und erzählte mir, daß er einen Freund habe, einen Officier, der eine schwedische Mindindenherr-Flinte habe, mit kupfernem Laufe – eine Kanone sei nichts dagegen – wenn man schießt, so falle man in Ohnmacht; er habe sie von den Franzosen bekommen – und einen Hund – reines Wunder der Natur! daß auch er stets große Leidenschaft für die Jagd gehabt und der Pfarrer sie ihm gestatte – selbst Rebhühner mit ihm gefangen hätte – doch der Oberpfarrer, der sei ein Tyrann gewesen, wollte es nicht dulden, »was aber Narkiß Semenitsch betrifft,« sagte er in singenden Tone, »so bin ich zwar nach dessen Meinung ein ganz werthloser Mensch für diese Welt, doch ich will mir zu bemerken erlauben, daß er sich die Augenbrauen wie eine Eule wachsen läßt und deshalb alle Weisheit gefressen zu haben glaubt.« Unterdessen waren wir zur Schänke gekommen – einer alten baufälligen Hütte ohne Vorgarten und Hintergebäude; ein abgemagerter Hund lag in einem Loche vor dem Fenster, vor ihm wühlte ein Hahn im Staube.

Gurke setzte den Oberst auf eine an der Thür stehende Bank und verschwand dann augenblicklich im Innern der Hütte. Während er Semmeln kaufte und sich mit einem Gläschen Schnaps gütlich thats wandte , ich meine Augen nicht von dem Obersten ab, welcher mir, Gott weiß warum, wie ein Räthsel vorkam. »In dem Leben diesen Menschen«, dachte ich mir, »ist ganz sichtlich etwas Außerordentliches vorgefallen!« Er aber schien mich gar nicht zu bemerken, saß gebückt auf der Bank und spielte mit einigen Nelken, die er sich im Garten meines Freundes gepflückt hatte. Endlich erschien Gurke mit einem Bündel Semmeln in der Hand, er war ganz roth und schwitzte stark, sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer freudigen Verwunderung, als ob er eben etwas Angenehmes und Unerwartetes gesehen hätte, er bot dann dem Oberst die Semmeln an, der sie kostete; wir gingen weiter.