Free

Das adelige Nest

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Dreizehntes Kapitel

Warwara Pawlowna’s Vater, Pawel Petrowitsch Korobiin, Generalmajor außer Diensten, hatte sein ganzes Leben in Petersburg gedient; in seiner Jugend galt er für einen guten Tänzer und Offizier, befand sich, weil er arm war, als Adjutant bei zwei oder drei ziemlich häßlichen Generälen, heirathete die Tochter eines derselben und bekam als Mitgift fünfundzwanzigtausend Rubel, begriff bis in die grüßten Feinheiten die Geheimnisse des Exercierens und der Revue, diente in den unteren Graden und brachte es endlich, nach einigen zwanzig Jahren, bis zum General und bekam ein Regiment.

Hier hätte er ausruhen und ohne Uebereilung sich ein Vermögen machen sollen; darauf hatte er auch gerechnet, aber er führte die Sache etwas unvorsichtig; er erfand ein neues Mittel, die Regimentsgelder in Umlauf zu bringen – das Mittel war vortrefflich, nur geizte er zur Unzeit. Es fand sich ein Angeber, und er gerieth in etwas, was mehr war als eine Unannehmlichkeit, er gerieth in eine äußerst schmutzige Geschichte. Mit genauer Noth entschlüpfte der General derselben, seine Carrière aber war vernichtet; man rieth ihm, seinen Abschied zu nehmen; ein paar Jahre trieb er sich in Petersburg herum, in der Hoffnung, daß irgend eine warme Civilversorgung ihn aufsuchen würde; doch die Civilversorgung wollte ihn nicht aufsuchen, seine Tochter verließ das Institut, die Ausgaben vergrößerten sich mit jedem Tage . . . so schwer es ihm auch fiel, entschloß er sich, nach Moskau überzusiedeln, um dort billig leben zu können, miethete sich in der alten Stallhofstraße ein kleines niedriges Haus mit einem klafterlangen Wappenschild auf dem Dache und lebte als moskauischer verabschiedeter General, zweitausendsiebenhundert Rubel Silber jährlich verzehrend.

Moskau ist eine ganz freundliche Stadt, bereit, den ersten besten freundlich aufzunehmen, – warum nicht um so mehr Generäle? Die schwerfällige, aber militairisch stramme Gestalt Pawel Petrowitsch’s war bald in den besten Salons von Moskau zu erblicken. Sein nackter Scheitel, auf welchem Zöpfchen gefärbter Haare hingen, und das schmutzige rothe Band des Annenordens auf einem blauschwarzen Halstuche wurde bald allen sich langweilenden und bleichen Jünglingen, die sich finster während der Tänze um die Spieltische bewegen, bekannt; Pawel Petrowitsch Verstand es, sich eine Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen; er sprach wenig, näselte aber, aus alter Gewohnheit, – freilich nicht mit höher stehenden Leuten; spielte vorsichtig, aß zu Hause mäßig, war aber zu Gaste für Sechs.

Von seiner Frau ist fast nichts zu reden: sie hieß Kalliope Carlowna; ihr linkes Auge schwamm immer in Thränen, woher Kalliope Carlowna (sie stammte von deutschen Aeltern) sich selbst für eine gefühlvolle Dame hielt; schien fortwährend Jemanden zu fürchten, sich niemals satt gegessen zu haben, trug enge sammt’ne Kleider und trübe, getriebene Armbänder.

Die einzige Tochter von Pawel Petrowitsch und Kalliope Carlowna, Warwara Pawlowna, hatte eben das siebzehnte Jahr zurückgelegt, als sie das Institut verließ, wo sie, wenn auch nicht für die erste Schönheit, doch auf jeden Fall für die klügste Schülerin und die beste Musikerin galt, und wo sie die Chiffre bekam;2 sie war noch nicht neunzehn Jahre, als Lawretzky sie zum erstenmal erblickte.

Vierzehntes Kapitel

Dem Spartaner schlotterten die Knie, als Michalewitsch ihn in den ziemlich schlecht möblirten Solon der Korobiin einführte und den Wirthsleuten vorstellte, doch das Gefühl der Schüchternheit verschwand bald. Beim General gesellte sich zu der allen Rassen eigenthümlichen Gutmüthigkeit noch die, allen etwas befleckten Leuten eigene Freundlichkeit. Die Generalin trat bald in den Schatten; was Warwara Pawlowna betrifft, so war sie so ruhig und mit so vielem Selbstvertrauen freundlich, daß Jedermann sich in ihrer Gegenwart heimisch fühlte; auch wehte von ihrer ganzen, reizenden Gestalt, aus ihren lächelnden Augen, von ihren unschuldigen, gewölbten Schultern und blaßrosafarbenen Händen, von ihrem leichten, und doch scheinbar müden Gange, aus dem Klange selbst ihrer Stimme, die so süß, so bedächtig war – ein unerklärlicher, dem feinen Dufte ähnlicher, einschmeichelnder Reiz, eine noch verschämte Wollust, etwas, was in Worten nicht auszudrücken ist, aber was rührte und aufregte, – und auf jeden Fall Einen nicht zur Schüchternheit stimmte.

Lawretzky lenkte die Unterhaltung auf das Theater, auf die gestrige Vorstellung; sie begann sofort unaufgefordert von Motschaloff zu sprechen und begnügte sich nicht mit Seufzern und Ausrufungen, sondern machte einige, von Fraueuscharfsinn durchdrungene Bemerkungen über sein Spiel. Michalewitsch sprach von Musik und sie setzte sich, ohne sich zu genieren, an’s Clavier, und spielte mit Gefühl einige Mazurken von Chopin, die damals eben in Aufnahme kamen.

Die Mittagsstunde schlug; Lawretzky wollte sich entfernen, doch man ließ ihn nicht fort; beim Mittag bewirthete ihn der General mit gutem Lafitte, welchen Letzterer durch einen Diener, der einen Miethwagen hatte nehmen müssen, von Depré3 holen ließ.

Spät am Abend kehrte Lawretzky nach Haus zurück und saß lange, ohne sich auszukleiden und seine Augen mit der Hand bedeckend, in einer Art von bezauberter Erstarrung. Ihm schien es, er begreife erst jetzt, warum man lebe. Alle seine Vorsätze, Absichten, all’ dieser Unsinn und nutzloses Zeug waren mit einem Male verschwunden; seine ganze Seele verschmolz in ein Gefühl, in ein einziges Sehnen, das Sehnen nach Glück, nach Besitz, nach Liebe, süßer Frauenliebe. Seit jenem Tage besuchte er die Korobiins oft. Nach sechs Monaten erklärte er sich gegen Warwara Pawlowna und bat um ihre Hand. Der Antrag ward angenommen; der General hatte längst, ich glaube, den Tag vor dem ersten Besuche Lawretzky’s, Michalewitsch gefragt, wie viel er Leibeigene hätte; auch Warwara Pawlowna, welche während der ganzen Zeit, als ihr der junge Mann die Cour machte und selbst im Augenblicke der Liebeserklärung ihre gewöhnliche Ruhe und Helle der Seele bewahrte, auch Warwara Pawlowna wußte sehr wohl, daß ihr Bräutigam reich sei, und Kalliope Carlowna dachte: »meine Tochter macht eine gute Partie,« und kaufte sich ein neues Barett.

Fünfzehntes Kapitel

Also wurde sein Antrag angenommen, mit einigen Bedingungen jedoch. Erstens sollte Lawretzky sofort die Universität verlassen; denn wer heirathet einen Studenten? Und was fürs ein sonderbarer Einfall auch für einen reichen Rittergutsbesitzer, in seinem sechsundzwanzigsten Jahre, gleich einem Schüler, Stunden zu nehmen? Zweitens übernahm Warwara Pawlowna selbst die Mühe, die Mitgift zu bestellen und zu kaufen, selbst die Geschenke des Bräutigams auszuwählen. Sie hatte sehr viel praktischen Verstand, viel Geschmack, viel Liebe zum Comfort und große Geschicklichkeit, sich diesen Comfort zu verschaffen.

Besonders erstaunte Lawretzky über diese Kunst, als er mit seiner Frau in einem sehr bequemen, von ihr gekauften Wagen nach Lawriky reiste. Wie war Alles bedacht, vorausgesehen, errathen; an Alles hatte Warwara Pawlowna gedacht. In den verschiedenen Ecken waren reizende Reisenecessaires, Toiletten, Kaffeemaschinen eingebracht und wie reizend kochte Warwara Pawlowna des Morgens eigenhändig den Kaffee!l Uebrigens hatte damals Lawretzky zu Beobachtungen keine Zeit; er schwamm in Seligkeit, gab sich ihr, einem Kinde gleich, hin, ging über vor Glück. . . . Er war unschuldig gleich einem Kinde, er, dieser junge Herkules. Nicht vergebens wehte der Reiz aus dem ganzen Wesen der jungen Frau, nicht vergebens versprach sie dem Gefühle den verborgenen Reichthum nie gekannten Genusses; sie hielt noch mehr, als sie versprochen hatte. Nach Lawriky mitten im Sommer gekommen, fand sie das Haus schmutzig und dumpf, das Gesinde komisch und alt, hielt es aber für unnöthig, irgend ein Wort darüber zu äußern; hätte sie die Absicht gehabt, in Lawriky einen dauernden Wohnsitz aufzuschlagen, so hätte sie freilich alles umgewandelt, aber der Gedanke, sich in dieser Steppeneinsamkeit niederzulassen, kam ihr auch nicht einen Augenblick in den Kopf; sie lebte hier, wie in einem Feldlager, ertrug geduldig alle Unannehmlichkeiten und spaßte witzig über dieselben. Martha Timotheewna kam, um ihren Zögling zu sehen, sie gefiel Warwara Pawlowna sehr, aber Warwara Pawlowna gefiel ihr ganz und gar nicht. Mit Glaphira Petrowna befreundete sich die junge Wirthin auch nicht; sie hätte sie in Frieden gelassen, doch fiel es dem alten Korobiin ein, sich in die Angelegenheiten seines Schwiegersohnes mischen zu wollen.

Das Vermögen solch eines nahen Verwandten zu verwalten, sei, sagte er, selbst für, einen General keine Schande; man kann mit Recht vermuthen, daß Pawel Petrowitsch auch das Vermögen eines ihm ganz fremden Mannes zu verwalten sich nicht geschämt hätte. Warwara Pawlowna führte ihren Angriff sehr geschickt; sich nicht verrathend und anscheinend ganz in die Seligkeit des Honigmondes versunken, sich ganz der ländlichen Ruhe, der Musik und der Lectüre hingebend, brachte sie nach und nach Glaphira Petrowna dahin, daß diese eines Morgens wie wahnsinnig in’s Cabinet Lawretzky’s gerannt kam und ihm verkündete, sie wolle auch nicht einen Augenblick länger bei ihm bleiben, sie hätte keine Kraft mehr, sich mit seiner Wirthschaft zu beschäftigen und wolle auf ihr eigenes Gut zurückkehren. Der auf gehörige Weise vorbereitete Lawretzky gab zu ihrer Abreise sofort seine Zustimmung.

 

Das hatte Glaphira Petrowna nicht erwartet; gut, sagte sie, ich weiß es, wer mich von hier vertreibt, aus meinem väterlichen Neste. Doch erinnere Dich, Neffe, meiner Worte: nirgends wirst Du Dir ein Nest bauen; wirst Dein Leben lang herumirren. Dieses mein Vermächtniß. Sie kehrte in ihr Dorf zurück und eine Woche später kam der General Korobiin an und übernahm, mit einer angenehmen Melancholie, in Blicken und Gesten als opfere er sich für seinen Schwiegersohn auf, die Verwaltung von dessen Gütern.

Im Septembermonat überredete Warwara Pawlowna ihren Mann, den Winter in Petersburg zu verbringen. Zwei Winter verbrachte sie in Petersburg, im Sommer siedelte sie sich nach Czarskoie Selo über, wo sie eine sehr schöne, elegant möblierte Wohnung inne hatte. Sie hatten viele Bekanntschaften in den mittleren und sogar in den höheren Kreisen der Gesellschaft; die jungen Eheleute fuhren viel aus, gaben reizende musikalische Soireen und kleine Bälle. Warwara Pawlowna zog die Gäste an, wie das Feuer die Schmetterlinge. Solch ein zerstreutes Leben gefiel Feodor Iwanitsch nicht ganz. Seine Frau rieth ihm, in Dienst zu treten, er aber, aus väterlicher Tradition und nach seinen eigenen Begriffen, wollte nicht dienen, blieb aber seiner Frau zu Gefallen in Petersburg. Uebrigens sah er bald, daß ihn Niemand störte, sich der Einsamkeit zu ergeben, daß er nicht umsonst das ruhigste und comfortabelste Cabinet in ganz Petersburg hatte, daß seine besorgte Frau ihm selbst half, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, und seitdem ging alles vortrefflich. Er unternahm es wieder, seine, seiner Ansicht nach unvollendete Erziehung zu vervollständigen, fing wieder zu lesen an und lernte selbst englisch. Sonderbar war es, seine kräftige, breitschultrige Gestalt immer über den Schreibtisch gebeugt, sein volles, haarbedecktes, rothes Gesicht immer halb in den Seiten eines Heftes oder eines Wörterbuches versteckt zu sehen.

Den ganzen Morgen verbrachte er arbeitend, aß vortrefflich (Warwara Pawlowna war eine ausgezeichnete Hausfrau), und des Abends trat er in eine zauberisch duftende helle Welt, die mit fröhlichen jungen Gesichtern bevölkert war, – und das Centrum dieses Zauberkreises war wieder dieselbe besorgte Wirthin, seine Frau. Sie erfreute ihn mit einem Sohne, aber der arme Knabe lebte nicht lange; er starb im Frühjahr und im Sommer reiste Lawretzky nach dem Rathe der Aerzte mit seiner Frau in’s Ausland, in die Bäder.

Zerstreuung war ihr nach solch einem Verluste unumgänglich nothwendig, und ihre Gesundheit bedurfte eines milden Klima’s. Den Sommer und Herbst verbrachten sie in Deutschland, zum Winter, wie man’s doch erwarten konnte, reisten sie nach Paris.

In Paris blühte Warwara Pawlowna auf wie eine Rose, und verstand es, so schnell und geschickt, wie in Petersburg, sich ein Nest zu bauen. Sie fand eine äußerst hübsche Wohnung in einer der stillen und doch modischen Straßen von Paris; nähte ihrem Mann einen Schlafrock, wie er niemals einen getragen hatte, nahm ein elegantes Stubenmädchen, eine vortreffliche Köchin, einen geschickten Diener; kaufte einen reizenden Wagen, ein ausgezeichnetes Pianino. Und es verging keine Woche, daß sie einer Pariserin von reinem Blute in der Kunst über die Straße zu gehen, einen Shawl zu tragen, ihren Sonnenschirm zu öffnen und die Handschuhe auszuziehen, nicht nachstand. Auch Bekannte fand sie sehr bald. Im Anfang kamen zu ihr nur Russen, dann zeigten sich auch Franzosen, alle sehr liebenswürdig, artig, ledig, mit ausgezeichneten Manieren und hochklingenden Namen; Alle sprachen schnell und viel, grüßten sehr geschickt, kniffen auf angenehme Weise ihre Augen zusammen; unter ihren rothen Lippen glänzten ihre weißen Zähne, – und wie verstand sie zu lächeln!

Jeder von ihnen brachte seine Freunde mit und la belle madame de Lavretzky ward bald bekannt von der chaussée d’Antin bis zur Rue de Lille. Damals (es war im Jahre 1836) war die Race der Feuilletonnisten und Chroniker, die jetzt so häufig sind, wie die Ameisen in einem aufgeworfenen Haufen, noch nicht so zahlreich; doch auch damals war im Solon Warwara Pawlowna’s oft ein gewisser Herr Jules, ein Herr von uneinnehmendem Aeußern und scandalösem Rufe, von frechem und niedrigem Character, wie alle Duellisten und geprügelten Leute, zu sehen.

Dieser Mr. Jules mißfiel Warwara Pawlowna sehr; sie empfing ihn aber, weil er seinen Namen in vielen Zeitungen unterschrieb und fortwährend von ihr sprach, sie bald Mme. de L. . . tzky, bald Mme. De ***, cette grande dame russe, si distingué, qui demeure rue de P. . ., nennend; er erzählte der ganzen Welt, d. h. einigen hundert Abonnenten, denen Mmm de L. . .tzky ganz und gar nichts anging, wie diese Dame, eine wahre Französin an Geist (une vraie francaise par I’esprit – einen größeren Lobspruch kennen die Franzosen nicht), hübsch und liebenswürdig, was sie für eine gute Musikerin sei und wie sie wunderbar walze; (in der That walzte Warwara Pawlowna so, daß sie alle Herzen hinter dem Saume ihres leichten fortflatternden Kleides nachriß) . . . mit einem Worte, man sage da, was man wolle, angenehm.

Fräulein Mars hatte die Bühne schon verlassen, die Rachel dieselbe noch nicht betreten; nichtsdestoweniger besuchte Warwara Pawlowna häufig das Theater. Die italienische Musik versetzte sie in Extase,Odry’s Ruinen machten sie lachen, sie gähnte fleißig im französischen Theater und weinte beim Spiel von Madame Dorval in irgend einem ultraromantischen Melodram; was die Hauptsache aber war, Liszt hatte zweimal bei ihr gespielt, und zwar so liebenswürdig, so einfach, daß es reizend war! Angenehm verging für Warwara Pawlowna der Sommer, zu Ende desselben wurde sie sogar bei Hofe vorgestellt. Feodor Iwanitsch seinerseits langweilte sich auch nicht, obgleich ihm das Leben zuweilen schwer auf den Schultern lastete, – schwer, weil es leer war.

Er las die Zeitungen, besuchte die Vorlesungen in der Sorbonne und im Collège de France, folgte den Debatten der Kammern, und begann die Uebersetzung eines berühmten gelehrten Werkes über Bewässerung. »Ich verliere nicht meine Zeit,« dachte er, »dies Alles ist nützlich; doch nächsten Winter muß ich durchaus nach Rußland zurückkehren und dort etwas Ernstes beginnen.« Es ist schwer zu entscheiden, ob er sich selbst Rechenschaft davon gab, was dieses Ernste eigentlich sei, und – Gott weiß, ob er zum Winter nach Rußland zurückgekehrt wäre. Ein unerwarteter Vorfall aber zerstörte alle seine Pläne.

Sechzehntes Kapitel

Einst kam Lawretzky, in ihrer Abwesenheit, in das Boudoir von Warwara Pawlowna und sah auf der Diele ein kleines, sorgsam gefaltetes Papier. Ohne sich etwas dabei zu denken. hob er es auf, entfaltete es und las folgenden französischen Brief:

»Mein theurer Engel Betty!

»Ich kann mich nicht entschließen, Dich Barbe oder Warwara zu nennen. Vergeblich habe ich auf Dich an der Ecke des Boulevards gewartet; komme morgen um halb zwei in unsere Wohnung Dein guter Dicker ( ton gros bon homme de mari ) verscharrt sich gewöhnlich um diese Zeit in seine Bücher. Wir werden wieder jenes Lied Eures Dichters Puschkin: »Alter Mann, grauser Mann!« das Du mir gelehrt hast, singen. Tausend Küsse Deinen Händchen und Füßchen. Ich erwarte Dich.«

Ernst.

Nicht gleich begriff Lawretzky, was er gelesen hatte; er las zum zweiten Male und ihm schwindelte. Die Diese unter seinen Füßen bewegte sich, wie das Deck eines Schiffes während des Sturmes. Er schrie auf, er verlor den Athem und fing zu gleicher Zeit an zu schluchzen; er verlor die Sinne. So blind vertraute er seiner Frau, daß die Möglichkeit eines Betruges, eines Verrathes, ihm niemals in den Sinn gekommen war. Dieser Ernst. dieser Liebhaber seiner Frau. war ein hübscher blonder Knabe von dreiundzwanzig Jahren, mit einer Stumpfnase und kleinem Schnurrbart, der nichtssagendste von allen Bekannten seiner Frau.

Einige Minuten vergingen, es verging eine halbe Stunde; Lawretzky stand noch immer, sinnlos auf den Boden blickend, den Brief in seiner Hand zerknitternd; in einem trüben Wirbelwinde zogen ihm bleiche Gesichter vorüber, sein Herz preßte sich krampfhaft zusammen; ihm schien es, er fiele, fiele, fiele . . . in eine bodenlose Tiefe. Ein bekanntes leichtes Rauschen eines seidenen Kleides weckte ihn aus seiner Erstarrung; im Hut und Shawl kehrte Warwara Pawlowna vom Spaziergang zurück; Lawretzky fuhr zusammen und eilte fort, er fühlte, daß er in diesem Augenblick im Stande sei, sie zu zerreißen, sie, wie einen Bauer, halbtodt zu prügeln, – sie mit eigenen Händen zu erwürgen. Die erstaunte Warwara Pawlowna wollte ihn aufhalten; er konnte nur lispeln: »Betty, Betty,« – und eilte fort.

Lawretzky nahm einen Wagen und ließ sich vor das Thor fahren; den Rest des Tages und die ganze Nacht irrte er umher, auf jedem Schritt stehen bleibend und die Hände zusammenschlagend; bald überkam ihn Wahnsinn, bald schien ihm Alles so lächerlich, so fröhlich zu sein. Am Morgen fröstelte es ihn, und er ging in ein elendes Wirthshaus außerhalb der Stadt, verlangte ein Zimmer und setzte sich an’s Fenster. Ein Krampfhaftes Gähnen überkam ihn, er hielt sich mit Mühe auf den Füßen, sein ganzer Körper war wie zerschlagen – und doch fühlte er keine Müdigkeit. Die Müdigkeit aber trat in ihre Rechte: er saß, blickte vor sich und begriff nichts; begriff nicht, was mit ihm geschah, warum er jetzt allein war, mit Bitterkeit im Munde, einen Stein auf der Brust, in einer leeren, unbekannten Stube; er begriff es nicht, was sie, seine Waria, bewogen hatte, sich diesem Franzosen hinzugeben, und wie sie, sich untreu wissend, wie früher mit ihm ruhig, kosig und vertrauensvoll sein konnte. »Ich begreife es nicht,« murmelten seine trockenen Lippen. – »Wer bürgt mir jetzt dafür, daß in Petersburg . . . « Er beendete den Satz nicht und ging wieder, zitternd und am ganzen Körper zuckend. Helle und dunkle Erinnerungen quälten ihn zugleich; da erinnerte er sich plötzlich, daß sie an einem dieser Tage sich in seiner und Ernst’s Gegenwart ans Clavier gesetzt und »Alter Mann, grauser Mann« gesungen habe! Er erinnerte sich des Ausdrucks ihres Gesichtes, wie ihre Augen sonderbar glänzten und die Wangen glühten, – und er wollte aufstehen und zu ihnen gehen und sagen: »wehe Euch, die Ihr mit mir habt spielen wollen; mein Urgroßvater hing die Bauern an den Rippen auf, mein Großvater war selbst ein Bauer!« – und sie tödten. Und wieder schien es ihm, daß Alles, was ihm geschah, nur ein Traum sei und selbst kein Traum, sondern ein Unsinn; er brauche nur sich aufzurütteln und um sich zu blicken; und er rüttelte sich auf und blickte um sich, und, wie der Habicht die gefangenen Vöglein krallt, so grub sich der Schmerz immer tiefer in sein Herz; was ihn am Tiefsten schmerzte, war, daß er hoffte in einigen Monaten Vater zu werden. Vergangenheit, Zukunft, sein ganzes Leben war ihm vergiftet. – Er kehrte nach Paris zurück, blieb in einem Gasthaus und schickte seiner Frau Ernst’s Billet mit folgendem Briefe:

»Das beigelegte Papier wird Ihnen Alles erklären. Beiläufig gesagt« erkenne ich Sie nicht; Sie, die stets so accurat, so vorsichtig sind, lassen so wichtige Papiere fallen!« (Der arme Lawretzky hatte stundenlang diese Antwort vorbereitet und gefeilt«) »Ich kann Sie nicht mehr sehen; ich glaube, Sie können auch kein Zusammentreffen mit mir wünschen. Ich setze Ihnen fünfzehntausend Franken des Jahres aus; mehr kann ich nicht geben. Schicken Sie Ihre Adresse meinem Verwalter. Thuen Sie, was Sie wollen; leben Sie, wo Sie wollen; ich wünsche Ihnen viel Glück. Eine Antwort brauche ich nicht.«

Lawretzky hatte seiner Frau geschrieben, es sei keine Antwort nöthig . . . er wartete aber auf eine Antwort, er dürstete nach ihr, nach einer Erklärung dieser, für ihn unbegreiflichen Angelegenheit Warwara Pawlowna schickte ihm an demselben Tage einen langen französische Brief. Dieser Brief gab ihm den Rest; seine letzten Zweifel verschwanden, – und er schämte sich, daß ihm kein Zweifel mehr geblieben sei. Warwara Pawlowna rechtfertigte sich nicht: sie wünschte nur ihn zu sehen, sie flehte, sie nur nicht unwiderruflich zu verdammen. Der Brief war kalt und gezwungen, obgleich hier und da Thränenspuren sichtbar waren.

Lawretzky lächelte bitter und ließ durch den Abgesandten sagen, es sei schon Alles gut. Drei Tage später war er nicht mehr in Paris. Warum er gerade Italien gewählt hatte. wußte er nicht. Auch war es ihm ganz einerlei, wohin er reiste, wenn es nur nicht nach Hause war. Er schickte seinem Schulzen einen Befehl, die Pension seiner Frau auszuzahlen, und befahl ihm zugleich, alle die Verwaltung seiner Güter betreffenden Papiere in Empfang zu nehmen, ohne die Rechnungsablegung abzuwarten und seine Excellenz sofort aus Lawriky fortzuschicken. Lebhaft stellte er sich die Verwirrung, die vergeblich stolzen Mienen des verjagten Generals vor, und trotz seines Schmerzes fühlte er eine bittere Genugthuung. Er schrieb auch an Glaphira Petrowna und bat sie, nach Lawriky zurückzukehren, schickte ihr sogar eine Procura; aber Glaphira Petrowna kehrte nicht nach Lawriky zurück und ließ in den Zeitungen, was völlig unnöthig war, die Vernichtung der Procura publiziren.

 

Sich in einer kleinen italienischen Stadt verbergend, konnte Lawretzky sich lange nicht überwinden, den Lebenslauf seiner Frau nicht zu verfolgen. Aus den Zeitungen erfuhr er. daß sie, wie sie es auch beabsichtigte, aus Paris nach Baden-Baden gereist sei; ihr Name erschien bald in einem kleinen Artikel, der von demselben Mr. Jules unterschrieben war. In diesem Artikel blickte durch die gewöhnlichen Wortspiele ein freundschaftliches Mitleid; widerlich ward es Lawretzky um’s Herz, als er diesen Artikel las. Dann erfuhr er, ihm sei eine Tochter geboren, zwei Monate später erfuhr er von seinem Schulzen, Warwara Pawlowna hätte ihre Pension auf drei Monate gefordert. – Dann kamen immer schlechtere und schlechtere Gerüchte; endlich ging durch alle Zeitungen mit großem Lärm eine tragi-komische Geschichte, in welcher seine Frau eine nicht beneidenswerthe Rolle spielte . . . Alles war beendigt, Alles war aus, Warwara Pawlowna war zu einer »Berühmtheit« geworden.

Ihren Lebenslauf verfolgte Lawretzky nicht mehr, doch noch lange konnte er nicht Herr seiner selbst werden. Zuweilen erfaßte ihn eine solche Sehnsucht nach seiner Frau. daß er Alles hätte hingeben können, ja sogar . . . ihr verziehen hätte, um nur aufs Neue ihre freundliche Stimme zu hören, um auf’s Neue ihre Hand in der seinigen zu fühlen. Doch nicht vergebens floh die Zeit dahin; zum Dulder war er nicht geboren, seine gesunde Natur trat in ihre Rechte. Vieles wurde ihm klar, der Schlag selbst, der ihn traf, schien ihm nicht mehr unvorhergesehen; er begriff seine Frau, – Jemanden, der uns nahe steht, begreifen wir nur dann, wenn wir uns von ihm trennen. Wieder konnte er sich beschäftigen, arbeiten, obgleich lange nicht mehr mit demselben Eifer. Der Scepticismus, dem die Bahn schon durch die Erfahrung des Lebens und durch die Erziehung gebrochen war, nistete sich in seinem Herzen ein; ihm ward Alles gleichgültig. Vier Jahr verflossen und er fühlte in sich die Kraft, in sein Vaterland zurückzukehren, seine Verwandten wieder zu sehen. Ohne sich in Petersburg oder Moskau aufzuhalten, kam er in die Stadt O., wo wir uns von ihm getrennt haben und wohin wir den geneigten Leser bitten, mit uns zurückzukehren.

2Dies ist eine goldene Chiffre oder der Namenszug der Kaiserin, der auf blauem Bande auf der linken Schulter getragen und den besten Schülerinnen der Kroninstitute verliehen wird. Anmerkung des Übersetzers.
3Berühmter Weinhändler in Moskau. Anmerkung des Übersetzers.