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Hermann Gutmann

Schmunzelgeschichten

»Dreimal ist Bremer Recht«

und andere Geschichten

aus fernen Tagen

Titelillustration: Henry Dieckmann

5. Auflage 2020

© Edition Temmen e.K.

28209 Bremen – Hohenlohestr. 21

Tel. 0421-34843-0 – Fax 0421-348094

info@edition-temmen.de

www.edition-temmen.de Alle Rechte vorbehalten Ebook ISBN 9978-3-8378-8055-7

Print ISBN 978-3-86108-165-4

Inhalt

Dreimal ist Bremer Recht

Weihnachten 1488

Enricius Cordes

Auch ein Vorteil

La Vache – die Wäsche

Gesche Plaß – die verlassene Soldatenbraut

Martin Husch

»Vater Biedermann«

Nei ut, Moll kommt!

Die Herren vom »Frischeluft-Kontor«

Der Herr, der »auf dem Strich« ging

Der alte Sprachlehrer mit der Rose

Schabernack

Hewwt Se Peymann nich sehn?

Im 20. Jahrhundert

Gottlob Bünte Gastwirt und Heimatdich­ter

Automobilzeitalter

Fremdsprache

Zu gewagt

Fahrgeld

Mutterkreuz

Einsam

Die Obstbude von Dora Weber

Zu spät

Rasur

Fahne und Flagge

Hein Mück

Sterne

»Wat? Wullt du all wedder na Huus?«

Sprachgenie

Liebe

Gott sei Dank!

Seemannsberuf

Luv und Lee

Gatt und Balje

Wo fließt das Wasser bei Ebbe hin?

Schlaf

Siegestrophäe

Käpten als Smutje

Versprechen gehalten

Dreimal ist Bremer Recht

Es war im Sommer des Jahres 1307, als sich zwei Bürger, Hinrik Bersing aus Bremen und Tylo Bo­dendorp aus Lübeck, zufällig in einer Ham­burger Herberge in der Deichstraße trafen und sich in ein anregendes Gespräch vertieften.

Sie hockten einträchtig beisammen, tranken Ham­burger Bier, weil es, wie Hinrik Bersing bedauernd feststellte, in Hamburg, zumindest aber in dieser Herberge, kein Bremer Bier gab, das doch zu jener Zeit weit über Bremen hinaus bekannt und beliebt war. Und wie sie da so saßen, beim Hamburger Bier, schnackten sie über ihre Vaterstädte, die sie, wie es sich gehörte, über alles liebten.

Bei dieser Gelegenheit nahm Hinrik Ber­sing, was eigentlich gar nicht seine Art war, den Mund ein bißchen zu voll, was den Lübecker maßlos ärgerte, zumal er nicht so flink mit der Zunge war und ihm die besten Argumente für seine Heimat im Munde stecken blieben. Schließlich fing er an, weil ihm nichts besseres einfiel, die Bremer Ratsherren zu beschimpfen und sie als hoffärtig zu bezeichnen.

Und als Hinrik Bersing ärgerlich fragte, was ihn zu dieser absonderlichen Feststellung veranlaßt haben könne, meinte Tylo Boden­dorp, man wüßte doch, daß sich die Bremer Ratsherren anmaßten, Gold und Pelzwerk zu tragen, was ihnen – auf Grund ihrer Bürgerlichkeit – nicht gebühre.

Bersing blieb ganz ruhig und entgegnete: »Doch, doch, sie haben das Recht, Gold und Pelzwerk zu tragen. Der Kaiser hat es ihnen erlaubt – und zwar zu einer Zeit, da es in Lübeck noch gar keine Ratsherren gab.« Dabei konnte er sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen, was nun wie­derum dem Lübecker zu Kopf stieg.

Und weil sie einander eigentlich recht gut leiden konnten, meinte Bersing schließlich, er könne ja auch nichts dafür, aber die Bremer seien unter ihren Ratsherrn mit Herzog Gottfried von Bouillon ins Heilige Land gezogen. Gut hundert Jahre seien es her, derweil, so merkte er an, die Lübecker, viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, zu Hause geblieben seien.

Und er fuhr fort: »Darum erhielten die Bremer bei ihrer Heimkehr drei herrliche Stücke der Hoheit vom Römischen Kaiser, deren sie sich ewig freuen werden: Zum ersten, daß sie eine eigene Gerichtsbarkeit haben; zum anderen, daß sie die Weser, des Reiches freie Straße, verteidigen dürfen gegen jede Unbill bis in die See; zum dritten, daß Bremer Ratsherren an ihrer Kleidung Gold und Pelzwerk tragen dürfen wie die Ritter.«

Der Lübecker war mißtrauisch und glaubte das nicht.

Ein Wort gab das andere, wobei auch Bersing sich nicht enthalten konnte, seiner schlechten Meinung über Lübeck Ausdruck zu verleihen. Am Ende landeten die beiden Streithähne vor dem Rat der Stadt Hamburg, der sich nun wand wie ein Aal, weil er es weder mit den Lübeckern noch mit den Bremern verderben wollte.

Einer der Ratsherrn, Johann Franzoiser mit Namen, war ein lustiger und gewandter Herr, ein typischer Hamburger. Er redete auf die beiden ein, zupfte so ergötzlich den verwirrten Streit auseinander und fädelte die Versöhnung geschickt ein. Schließlich widerrief Tylo Bodendorp seine Schmähung und erklärte ernsthaft, er wisse vom Rat und der guten Stadt Bremen nichts als Erfreuliches zu sagen. Da bekannte auch Hinrik Bersing, daß er vom Rat und der Stadt Lübeck nur Liebes und Gutes vernommen habe.

Nach dieser Versöhnung geleitete Herr Fran­zoiser die beiden freundlich zum Rathaus hinaus und riet ihnen, die Aussöhnung durch ein gutes Hamburger Essen zu besiegeln. Man gab einander die Hand, und Herr Franzoiser atmete erleichtert auf.

Und während der Bremer und der Lübecker durch Hamburg spazierten, stellten sie fest, daß Hamburg auch so übel nicht sei, nicht so schön, wie Bremen, sagte Bersing, und Boden­dorp meinte, was Lübeck beträfe, da käme keine andere Stadt mit, was Bersing großzügig überhörte.

Danach betraten die beiden Herren eine bekannte und gute Schänke der Stadt und setzten sich an einen gedeckten Tisch.

Der Wirt servierte ihnen eine kräftige Suppe mit fünferlei Kraut, viererlei Gemüse, dreierlei Klößen, zweierlei Obst und einerlei Fisch, nämlich Aal, nebst Süß und Sauer.

Nach diesem Hamburger Nationalgericht gab es Hamburger Rauchfleisch, und zum Trinken wurde das beste Hamburger Bier serviert, das natürlich längst nicht so gut war, wie das Bremer Bier, und schon gar nicht, wie Bodendorp meinte, an den Lübecker Wein heranreichte, der in Fässern aus dem Rheinland herangekarrt werde.

Aber der Lübecker und der Bremer waren sich einig: »Vom Essen verstehen die Hamburger eine ganze Menge.«

Genau das kommt ja auch in einem alten hansischen Sprichwort zum Ausdruck, das unsere zwei Freunde allerdings noch nicht kannten. Es lautet:

»Die Lübecker trinken über ihre Verhältnisse, die Hamburger essen über ihre Verhältnisse, die Bremer wohnen über ihre Verhältnisse.«

Bersing brauchte das Sprichwort auch gar nicht zu kennen. Er war jedenfalls froh, als er wieder zu Hause in Bremen war – denn »Nord, Ost, Süd, West – Bremen best!«

Weihnachten 1488

In der großen Politik hatte es im Jahre 1488 einige Aufregung gegeben, was aber die etwas abseits gelegenen Bremer gelassen hinnahmen.

Die von Brügge, hinten in Flandern gelegen, hatten doch tatsächlich den jungen König Ma­-

xi­milian I. gefangengesetzt und ihn erst freigelassen, nachdem die deutschen Fürsten mit Krieg gedroht hatten. Krieg konnte Brügge nicht gebrauchen.

In Esslingen hatten sich der Adel und die Städte zum Schwäbischen Bund vereinigt, um stark zu sein gegen mächtige Nachbarn – zum Beispiel gegen die Bayern.

In Schottland war König Jakob III. im Kampf gegen seine rebellierenden Adeligen gefallen. Das bekamen die Bremer aber erst sehr viel später mit – wenn überhaupt.

Die Bremer waren sowieso am liebsten mit sich selbst beschäftigt und rieben sich zufrieden die Hände. Die Querelen mit Herzog Johann von Sachsen-Lauenburg waren einigermaßen glücklich für die Bremer zu Ende gegangen. »Dschohann war dscha man auch’n büschen schwach auffe Brust«, würde der Bremer heute sagen. Und wenn die Bremer nicht soviel Schulden gehabt hätten, wären die Jahre von 1485 bis 1494 von geradezu paradiesischer Glückseligkeit gewesen.

Na ja, gut, in diesem Paradies störten wie üblich die Oldenburger, weil die ja immer etwas zu quaken hatten. Aber die Bremer waren sich aus­nahmsweise einmal alle einig, daß sie zusammenhalten müßten, was sie denn auch taten.

Im Jahre 1488 schlossen die Stände des Erzstifts einen Vertrag über die gemeinsame Wahrnehmung ihrer Rechte für die nächsten zwanzig Jahre.

Unter diesen Umständen konnte man dem Weihnachtsfest in aller Ruhe entgegenblicken, wobei allerdings gesagt werden muß, daß das Weihnachtsfest im Jahre 1488 mehr innerlich gefeiert wurde, und für die Kinder war es ein lästiger Tag, weil sie – feingemacht – mit in die Weihnachtsmesse gehen mußten.

Das Fest der Kinder war der Nikolaustag, und wir dürfen wohl davon ausgehen, daß er in Bremen grad so gefeiert wurde wie anderswo in Nord­westdeutschand.

Der heilige Nikolaus ist immerhin der Schutzpatron der Kaufleute und der Schiffer. Aber er ist auch der Schutzpatron der Schüler.

Und so werden die Schüler der Domschule in Bremen einen Umzug durch die Straßen der Stadt veranstaltet haben. Ihnen voran ritt der Erzbischof auf einem Pferd. Und irgendwann um diese Zeit mag sich auch der Brauch durchgesetzt haben, die Kinder zu beschenken, wenngleich der vor die Haustür gestellte Teller erst im 16. Jahrhundert nachweisbar ist.

Es ist anzunehmen, daß die Geschenke, mit denen die Kinder am Nikolaustag bedacht wurden, vor allem nützlichen Charakter hatten. Aber es gab auch damals schon Spielzeug – selbst für die Armen.

Eine Rassel, zum Beispiel, wurde aus dem abgeschnittenen Schlund einer Gans hergestellt. Der Schlund wurde zu einem Ring geformt und mit ineinandergesteckten Enden getrocknet. Im Innern befanden sich kleine Steine, die das rasselnde Geräusch besorgten.

Flöten gab es aus Holz und Knochen. Kreisel und Peitsche, mit denen die Älteren unter uns ja noch als Kinder gespielt haben, waren damals schon sehr beliebt. Es gab Murmeln, Tierfiguren, Puppen und – selbstverständlich – Kriegsspielzeug.

Aber der Nikolaustag war am Weihnachtsfest längst vergessen. Die Weihnachtsmesse stand bevor. Und da mußte man hin, ob man wollte oder nicht, was übrigens auch für die Erwachsenen nicht immer ein Vergnügen war. Denn die Bremer Innenstadt war außerordentlich fußgängerfeindlich, wie man heute sagen würde.

Selbst bei trockenem Wetter flossen die Abwässer durch die Straßen, in denen sich obendrein die Schweine tummelten. Es stank, schlicht gesagt, was aber auch damit zusammenhing, daß der Bremer, was seine Körperpflege betraf, nicht eben ein Ausbund an Sauberkeit war.

Man muß sich vorstellen, daß damals allenfalls in wohlhabenden Haushalten ein Badezuber stand, in dem die Familie ein erfrischendes Bad nehmen konnte. Vadder zuerst und dann der Reihe nach und nach Rangfolge alle Familienmitglieder. Und alle im selben Wasser, versteht sich. Denn das Wasser mußte ja extra beim großen Wasserrad aus der Weser geschöpft und ins Haus geschleppt werden.

Für die einfacheren Leute gab es keine privaten Badezuber. Sie waren – wenn überhaupt – auf die öffentlichen Bäder angewiesen. Immerhin gab es im Jahre 1488 vier öffentliche Badestuben in Bremen. Sie lagen am Stavendamm – was der Name noch heute sagt.

Aber wenn man dort hineinging, wurde man meist von dem Gedanken an ein reinigendes Bad abgelenkt, allein durch die Tatsache, daß manchmal schon jemand im Badezuber saß – und zwar vom anderen Geschlecht, was wir jetzt aber nicht weiter ausführen wollen.

Wir dürfen also davon ausgehen, daß nicht alle Bremer im Jahre 1488 frisch gebadet in die Weih­nachtsmesse gegangen sind. Aber daß sie gegangen sind, steht außer Frage. Im übrigen hatten wir in Bremen ja noch katholische Zeiten. Luther stand vor der ersten Einschulung und dachte noch lange nicht an seine 95 Thesen.

Nach dem Besuch der Weihnachtsmesse war dann allerdings das Weihnachtsfest auch vorbei. Abgesehen davon, daß es selbst­ver­ständlich ’ne anständige Portion Braunkohl und Pinkel zu essen gab – aus­nahmsweise mit einem riesigen Stück Speck.

Enricius Cordes

Enricius Cordes, Professor der Medizin in Mar­burg, reiste im Jahre 1533 nach Bremen, weil er gehört hatte, daß dort der »englische Schweiß« ausgebrochen sei, eine scheußliche Krankheit, an der viele Bremer starben.

Dazu sollte man wissen, daß der »englische Schweiß« an einem rauhen und regnerischen Au­gusttag des Jahres 1525 von England her nach Bremen »eingewandert« war und die Bremer in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Es war eine tödliche Krankheit, die sich mit heftigem Fieber ankündigte, das bis zu zwei Tage dauerte. Der Kranke lag wie in Schweiß gebadet, litt unter schrecklichem Durst, hatte fürchterliche Angst­zustände und starb nach kurzer Zeit an Erschöpfung.

Wer das Fieber 24 Stunden aushielt, was aber sehr selten geschah, war gewöhnlich gerettet. Er lag zu­nächst wie tot da. Doch allmählich kehrten, oft nach Tagen und Nächten, seine Lebensgeister zurück.

Die Krankheit konnte alle befallen, Kinder und Greise, Arm und Reich. Und meistens wütete sie in den Städten. Gegen Endes des Jahres 1525 verschwand sie aus Bremen, aber sie kehrte im Jahre 1533 zurück, wütender denn zuvor.

Zu den Erkrankten gehörte auch Bürgermeister Hoyenborch, ein ritterlicher Herr, der von einem Tag zum anderen auf dem Krankenbett lag, triefend vor Schweiß, gequält vom Durst, röchelnd und angstvoll nach Atem ringend. Hilflos umstanden ihn die Seinen und seine Freunde, unter denen sich auch der alte Stadtarzt Doktor Johann Caspar und der Meister Stadtbader Peter Schröder befanden. Sie hielten ihm einen Schwamm mit Essig unter die Nase und erfrischen ihn mit roten Rosen, die sie in Essig gelegt hatten, und Schröder kam mit lauwarmen Bier, in der Hoffnung, es könne helfen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Krankensaales, und ein Fremder trat ein. Es war ein kleiner, feiner, älterer Herr mit großen prüfend blickenden Augen. Er stellte sich vor und bezog sich auf Pastor Probst, einen seiner Verwandten, der ihm von dem Leid in Bremen erzählt hatte.

Als der Doktor Johann Caspar hörte, daß der Mann Enricius Cordes hieß und aus Marburg kam, brauchte er keine Fragen mehr an den Fremden zu richten. Er wußte, daß Rettung gekommen war, denn der Name En­ricius Cordes war in der Fachwelt bekannt.

Cordes verabreichte dem Patienten eine wasserklare Medizin und sie warteten. Minute um Minute zerrann, das Röcheln und Keuchen des Bürgermeisters wurde leiser, hörte nach einer Viertelstunde ganz auf, und der Kranke fiel in einen erlösenden Schlaf.

Anschließend hat Cordes dann noch viele Menschen in Bremen vom »englischen Schweiß« geheilt, und Bremen zeigte sich dankbar. Er wurde mit einem Geschenk belohnt, außerdem wurde ihm die Stelle des Stadtarztes angeboten, weil der bisherige Arzt, der Doktor Caspar, aus Altersgründen nicht mehr praktizieren wollte. Darüber hinaus wurde Cordes Professor der Arzneikunde am Lyce­um in der Ca­tha­rinenstraße und erhielt den Titel Stadtphysikus.

Im Jahre 1534 nahm Cordes den Posten und die Ehrungen an. Bald war er in ganz Bremen populär und beliebt.

***

Cordes hatte einen feinen Witz, und so manche Anekdote wurde über ihn erzählt:

Ein reicher Bremer, der dem Professor auf der Straße begegnete, klagte über seine Mutter, die ein bißchen kränkelte, und er meinte: »Sie will durchaus nicht, Herr Professor, daß ich Euch rufen lasse.«

»Das kann ich ihr nicht verdenken«, sagte Cordes lächelnd, »wenn sie mit dem Arzt nichts zu tun haben mag, dann hat sie auch noch keine Lust zu sterben.«

***

Sehr erschwert wurde Cordes der Umgang mit den Landleuten, deren Sprache er nicht so recht verstand.

Einmal schärfte er einem Krankenboten ein: »Hört zu! Ihr bekommt in der Rathsapotheke eine Buddel Medizin, von der erhält der Kranke alle zwei Stunden einen Holzlöffel, wie Ihr sie zum Essen benutzt. Vor dem Einnehmen müßt Ihr sie tüchtig durchschütteln und an einer möglichst kalten Stelle aufbewahren. Übermorgen komme ich, um nach dem rechten zu sehen.

Der Bote ging und versicherte, daß er alles genau bestellen und verrichten wolle.

Als Cordes zwei Tage später bei dem kranken Bauern erschien, erklärte ihm die Dienstmagd, daß die Bäuerin und ihr Sohn eben jetzt in der Scheune seien, um den Kranken tüchtig durchzuschütteln und ihm die Medizin einzutrichtern.

Cordes eilte in die bezeichnete Scheune, welche ganz offene Wände hatte und weder Kälte noch Durchzug den Eintritt verwehrte, während Mutter und Sohn den schrecklich stöhnenden Patienten fürchterlich schüttelten.

Cordes beendete die Radikalkur und erfuhr, daß der Bote die Begriffe verwechselt hatte. Statt die Medizin kalt zu stellen, war der Patient den Unbilden des Wetters ausgesetzt worden, und statt die Medizin gut durchzuschütteln, hatte man sich den Kranken vorgenommen und ihn kräftig geschüttelt.

***

Professor Enricius Cordes, der am 24. Dezember 1538 gestorben ist, pflegte zeitlebens zu sagen:

»Ein Arzt hat drei Gesichter – das eines Engels, das eines Gottes und das eines Teufels. Ein Engel ist er, wenn er am Bette eines Kranken erscheint, ein Gott, wenn er den Kranken gesund gemacht hat. Ein Teufel aber ist er, wenn er seine Bezahlung verlangt.

Auch ein Vorteil

Es war in der Zeit, als Bremen eine französische Provinzstadt war – im Jahre 1811.

Die Witwe eines Ratsherrn hatte sich, was sie niemals in ihrem Leben für möglich gehalten hätte, in einen französischen Offizier verguckt, der ihr allerdings auch über Gebühr den Hof machte.

Am Ende stellte sich heraus, daß der Franzose der nicht eben unbegüterten Dame einen Heiratsantrag gemacht hatte, was in der Bremer Gesellschaft mit Eiseskälte zur Kenntnis genommen wurde.

Es soll der Bürgermeister oder – wie es damals hieß – der Maire Dr. Wilhelm Ernst Wichelhausen gewesen sein, der die Dame auf einer Gesellschaft beiseite nahm und ihr im Hinblick auf ihre Lebenspläne an der Seite eines Mannes, den sie kaum kannte, ins Gewissen redete.

Er sagte in Gedenken an den verstorbenen Ratsherrn, den er als einen etwas flatterhaften Herrn in Erinnerung hatte: »Denken Sie bitte daran, daß es sehr angenehm ist, den Namen eines Mannes zu tragen, der keine Dummheiten mehr machen kann.«

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73 p. 6 illustrations
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9783837880557
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