Moby Dick

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Moby Dick
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Is reading Janusz Zadura
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Moby Dick
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Is reading Staff Audiolibros Colección
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Zwölftes Kapitel

Mehrere Tage, seitdem wir Nantucket verlassen hatten, ließ sich Kapitän Ahab an Bord nicht sehen. Die Maate lösten sich gegenseitig in der Wache ab, und allem Anschein nach waren sie allein die Herren des Schiffes. Nur wenn sie manchmal mit Befehlen, die plötzlich und mit Entschiedenheit gegeben waren, aus der Kabine herauskamen, war es klar, daß sie nur als Stellvertreter ihre Befehle gaben. Der höchste Herr und Diktator war dort unten, obwohl ihn bisher nur die zu sehen gekriegt hatten, die die Erlaubnis bekommen hatten, in den geweihten Ort der Kajüte einzudringen.

Jedesmal, wenn ich von der Wache unten auf Deck kam, sah ich nach dem Achterdeck, ob nicht ein neues Gesicht zu sehen war. Auf der abgeschlossenen See wurde meine anfängliche Besorgnis über den unbekannten Kapitän fast zum Entsetzen. Dieser Eindruck wurde seltsamerweise verstärkt durch die teuflischen Bemerkungen des zerlumpten Elias. Es war merkwürdig, daß die Erinnerungen manchmal so unaufgefordert auf mich einstürmten und mit einer Macht, der ich mir vorher nicht bewußt geworden war. Mochte es nun Angst oder Unbehaglichkeit sein, jedesmal wenn ich mich auf dem Schiffe umsah, so hatte ich eigentlich keinen Grund, solchen Befürchtungen Raum zu geben. Die Harpuniere, wie die übrige Schiffsmannschaft, waren ja ein barbarischer, heidnischer und kunterbunter Menschenhaufen, wie man ihm auf einem harmlosen Kauffahrteischiff nicht begegnet. Aber der Anblick der drei Offiziere des Schiffes, der Maate, konnte solche sinnlose Befürchtungen nur verdrängen und einen mit Vertrauen und Heiterkeit erfüllen.

Drei gute und in ihrer Art so verschiedene Seeoffiziere und Menschen hätte man so leicht nicht finden können. Jeder von ihnen war ein Amerikaner, einer von Nantucket, einer von Vineyard und einer vom Kap. Zu Weihnachten war das Schiff aus dem Hafen hinausgeschossen. Wir hatten beißend kaltes Polarwetter, wenn wir auch die ganze Zeit nach Süden steuerten und mit jedem Breitengrade und jedem Längengrade den erbarmungslosen Winter und das scheußliche Wetter hinter uns ließen. Wir hatten die grauen und immerhin noch düsteren Morgen des Übergangsklimas. Das Schiff hatte günstigen Wind und wurde mit hüpfender und melancholischer Geschwindigkeit durch das Wasser getrieben. Als ich, durch den Wachruf aufgefordert, auf Deck stieg, um die Vormittagswache zu übernehmen und über das Heckbord sah, wurde ich von einem ahnungsvollen Schauder ergriffen. Die Wirklichkeit war schneller als die Besorgnis: der Kapitän Ahab stand mit einemmal auf dem Achterdeck!

Von einer Krankheit oder von einer Genesung sah man ihm nicht die Spur an. Er sah aus, wie ein Mann, den man noch vom Pfahl abgeschnitten hat, wenn das Feuer schon über alle Glieder gelaufen ist, ohne ihm etwas anhaben zu können. Seine hohe und breite Gestalt schien wie aus Bronze gegossen und der unzerstörbaren Plastik von Cellinis gegossenem »Perseus« nicht unähnlich zu sein. Von den grauen Haaren ging eine Narbe über Gesicht und Nacken, bis sie in seinem Gewand verschwand. Es war wie bei einem hohen Baumstamm, wenn der Blitz von oben hinunterschießt und ohne einen Zweig oder einen Ast zu verletzen, die Rinde von der Spitze bis zum Boden hinuntergeht und kurz zuvor noch eine Spur hinterlässt, wenn auch der übrige Baum mit seiner grünen Rinde am Leben bleibt. Man konnte nicht sagen, ob die Narbe ihm angeboren war oder ob sie von einer gefährlichen Wunde herrührte. Aber ein alter Indianer aus Gay Head erzählte, daß Ahab die Narbe nicht vor seinem vierzigsten Jahre bekommen hätte. Sie käme nicht von einer gefährlichen Schlägerei, sondern von einem Kampf auf hoher See.

Ahab machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Die große Narbe und dann auch das weiße Bein, auf dem er stand, erhöhten diesen Eindruck nicht wenig. Ich hatte kurz vorher gehört, daß das künstliche Bein aus dem Kieferknochen eines Pottwals gemacht wäre.

»Er hat auf der Höhe von Japan seinen einen Mast verloren«, sagte der alte Indianer von Gay Head einmal. Wie sein Schiff, das auch den Mast verloren hatte, hat er auch einen anderen Mast angemustert, ohne erst nach Hause zu kommen. Er spricht nur ungern davon.

Seine merkwürdige Stellung fiel mir auf. Auf jeder Seite des Achterdecks und dicht an den Bagientauen war ein Loch von einem halben Zoll Weite in die Schiffsplanke eingebohrt. Mit dem künstlichen Bein stand er in dem Loch, streckte einen Arm hoch und hielt sich an einem Haken fest. Er stand aufrecht da und sah über den auf- und abwogenden Bug in die Ferne. Aus seinem Blick sprach eine unerschrockene Tapferkeit und ein fester Wille, der sich durch nichts beugen ließ. Er sprach kein Wort. Auch sagten die Offiziere kein Wort zu ihm, wenn auch in ihren kleinsten Bewegungen und in den Falten ihres Gesichts das peinliche Gefühl zum Ausdruck kam, daß das unruhige Auge des Herrn auf ihnen ruhte. Der schwermütige Ahab stand mit der namenlosen Würde eines unsäglichen Wehs, das mit königlicher Haltung ertragen wurde.

Bald darauf zog er sich nach seinem ersten Besuch in der freien Luft wieder in die Schiffskabine zurück. Aber nach diesem Morgen zeigte er sich jeden Tag der Mannschaft. Er stand entweder an der bestimmten Stelle oder saß auf seinem Schemel aus Walfischbein. Manchmal ging er auch mit seinem schweren Schritt auf dem Deck herum. Als der Himmel sich aufklärte und weniger schwermütig aussah, wurde er mehr und mehr ein Einsiedler, als ob der bleiche Schein des Winters ihn auf der See abgesondert hätte. Und so geschah es nach und nach, daß er fast immer draußen war. Aber was er sagte oder was er auf Deck tat, auf dem schließlich die Sonne leuchtete, schien keinen besonderen Sinn zu haben. Der »Pequod« machte jetzt nur eine Überfahrt, er war noch nicht auf einer richtigen Kreuzerfahrt. Den Maaten waren fast alle Vorbereitungen zur Walfischjagd überlassen. Für den Kapitän Ahab war also nichts zu tun, auch brauchte er nichts zu befehlen. So hingen denn die Wolken auf der Stirn des Kapitäns, Schicht auf Schicht, so wie sich die Wolken immer den höchsten Gipfel aussuchen.

Trotzdem schien das eindrucksvolle, warme, heitere Ferienwetter, in das wir kamen, ihn allmählich aus seiner Schwermut aufzurütteln. Wenn der April und der Mai wie zwei rotbäckige, tanzende Mädchen in die winterlichen, griesgrämigen Wälder kommen, so wird auch schließlich die alte, raue, von Blitzen heimgesuchte Eiche einige grüne Sprösslinge treiben, um den lustigen Besuch willkommen zu heißen. So reagierte auch Ahab schließlich ein wenig auf das lustige Treiben der jungfräulichen Lüfte. Mehr als einmal leuchtete sein Blick auf, und bei einem anderen würde auf demselben Gesicht ein Lächeln sichtbar geworden sein.

Dreizehntes Kapitel

Einige Tage vergingen und das Eis und die Eisberge verschwanden am Achterdeck. Da fuhr der »Pequod« durch den leuchtenden Frühling von Quito, der an der Schwelle des August in der tropischen Zone seit ewiger Zeit nahezu zur Herrschaft kommt. Die warmen, wenn auch noch ein wenig kühlen, klaren, duftenden und von aller Pracht überquellenden Tage waren wie kristallene Becher, die mit persischem Sorbet gefüllt sind, und in die man Schneewasser von Rosenduft getan hat. Die sternbedeckten und herrlichen Nächte waren wie stolze Damen in Samtkleidern, mit Juwelenschmuck, die daheim in Stolz und Einsamkeit an ihre fernen Grafen, an die mit Goldhelmen versehenen Sonnen denken, die auf Abenteuer ausgezogen waren. Für einen Schlafenden war es schwer, sich zwischen solch lieblichen Tagen und solch herrlichen Nächten zu entscheiden. Aber aller Zauber des nicht nachlassenden wundervollen Wetters beeinflusste nicht nur die äußere Welt, er gab auch der Seele neue Spannkraft, besonders wenn die milden Abendstunden kamen. Dann trieb die Erinnerung ihre Kristalle, wie sich an stillen Dämmerabenden das helle Eis am leichtesten bildet. Und ganz besonders zeigte sich dieser Einfluss bei Ahab.

Das Alter findet nie rechten Schlaf und ist immer auf dem Posten. Je länger man mit dem Leben verknüpft ist, um so weniger hat man mit dem zu tun, was wie der Tod aussieht. Unter den Kommandanten verlassen die alten Graubärte am häufigsten ihre Koje, um das in den Mantel der Nacht gehüllte Deck zu besuchen. Bei Ahab war es genau so. Er schien sich nun sehr viel in der freien Luft aufzuhalten, und zwar galten seine Besuche mehr der Schiffskabine, als dem offenen Deck, das er von der Kajüte aus betreten musste. »Es kommt einem so vor, als ob man in sein eigenes Grab marschierte,« brummte er vor sich hin, »wenn ein alter Kapitän wie ich zu diesem engen Loch heruntersteigt.«

Wenn die Nachtwachen bestimmt waren, lösten die Leute an Deck die anderen, die unten im Schlaf lagen, ab. Wenn ein Tau am Vorderdeck hochgezogen werden musste, so warfen es die Matrosen nicht rücksichtslos wie am Tage herab, sondern ließen es mit der allergrößten Vorsicht an den bestimmten Platz herabfallen, um ja nicht den Schlaf ihrer Schiffskameraden zu stören. Als dies zur allgemeinen Regel wurde, saß auch der stille Steuermann in aller Ruhe da und sah nach dem Kabinenloch. Und bald darauf tauchte auch der Alte auf und hielt sich an dem eisernen Geländer fest, um seinem lahmen Bein etwas nachzuhelfen.

Eine gewisse Menschlichkeit musste man ihm zuerkennen. Er legte keinen Wert darauf, zu solchen Zeiten das Achterdeck zu kontrollieren. Die müden Maaten hätte das Klappern seines elfenbeinernen Ganges schwere Träume gekostet, und sie hätten an die zermalmenden Zähne des Haies gedacht. Aber einmal dachte er in seiner Schwermut nicht an solche alltäglichen Dinge. Als er das Schiff vom Heck bis zum Hauptmast mit seinem schweren Tritt durchmaß, kam Stubb, der alte zweite Maat, von unten herauf. Mit seinem unbedachtsamen und geringschätzigen Humor wies er darauf hin, daß man nichts dagegen haben könne, wenn der Kapitän Ahab auf den Planken an Deck spazieren ginge. Aber das Geräusch ließe sich doch leicht dämpfen, und er wies etwas undeutlich und zögernd auf ein Stück Hanf vom Schiffstau hin, das man leicht um den elfenbeinernen Fuß wickeln könnte. Stubb, da hast du unseren Ahab aber schlecht gekannt!

 

»Bin ich denn eine Kanonenkugel, Stubb,« sagte Ahab, »daß du mich auf diese Weise in Watte wickeln willst? Aber kümmere dich um deine Sachen! Mach, daß du in dein Loch kommst! Da könnt ihr euch eure Bettdecke mit Watte vollpacken. Los, Hund, kusch dich!«

Der Zornesausbruch des Alten, der so ganz unerwartet kam, machte Stubb einen Augenblick sprachlos. Da sagte er in der Erregung: »Ich bin es nicht gewohnt, Kapitän, daß man mir gegenüber solche Ausdrücke gebraucht.«

»Weg!« knurrte Ahab zwischen den Zähnen und ging fort, um einem Zornesausbruch aus dem Wege zu gehen.

»Bis jetzt hat man mich noch nicht einen Hund genannt«, sagte Stubb, der nun etwas Mut gefasst hatte.

»Dann laß dir gesagt sein, daß du ein Affe, ein Maultier und ein Esel bist, und daß du dich fortscheren sollst!«

Bei diesen Worten ging Ahab mit einem solchen Ausdruck des verhaltenen Zornes auf ihn zu, daß Stubb unwillkürlich ein paar Schritte zurückging.

»Ich habe immer noch jedem tüchtig herausgegeben«, brummte Stubb, als er wieder in das Kabinenloch herabstieg. »Das kommt mir ja seltsam vor. Halt! Ich weiß nicht, was ich tun soll, soll ich zurückgehen und ihm eins zwischen die Zähne schlagen, oder soll ich – was für ein blödsinniger Einfall! – vor ihm niederknien und ihn um Verzeihung bitten. Das wäre denn das allererste Mal! Es ist wirklich seltsam! Vorn und hinten betrachtet, ist das der merkwürdigste Alte, mit dem ich jemals zur See gefahren bin. Wie er mich ansah, als ob ihm Blitze aus den Augen schössen. Ist er am Ende wahnsinnig? Sicher ist da etwas nicht in Ordnung. Er liegt nur drei Stunden im Bett, und dann schläft er noch nicht einmal. Hat der Lausejunge, der Steward, mir nicht gesagt, daß seine Hängematte alle Morgen zerknüllt und durcheinandergebracht ist, daß das Bettuch an das Fußende getreten und die Bettdecke auf einen Haufen zusammengeknüllt ist, daß das Kissen schrecklich heiß ist, als ob ein heißer Backstein darauf gelegen hätte? Das muss ja ein merkwürdig heißblütiger Alter sein.

Das reine Rätsel! Ich möchte bloß mal wissen, warum er jede Nacht, wie der Junge erzählt, hinten in den Kielraum geht, was er da nur zu suchen hat? Ist das nicht merkwürdig?«

Vierzehntes Kapitel

Als Stubb weg war, stand Ahab noch eine Zeitlang da und sah über die Reling. Dann rief er einen Matrosen von der Wache und schickte ihn nach unten, damit er den Schemel aus Walfischbein und die Pfeife hole. Er zündete die Pfeife an der Lampe im Kompasshäuschen an und stellte den Schemel an der Schlagseite des Decks auf, setzte sich hin und fing an zu rauchen.

Wie die alten Schriften sagen, wurden die Throne der seefahrenden dänischen Könige in altnordischer Zeit aus den Hauern des Narwals hergestellt. Wenn man Ahab auf seinem Dreifuß aus Walfischbein dasitzen sah, wirkte er wie ein leibhaftiger König! Wie ein Khan in seinem Zelt und ein König des Meeres, so saß Ahab, der Herrscher der Leviathans, da! Einige Minuten vergingen. Der dicke Rauch kam in schnellen Zügen aus dem Munde und ging ihm wieder ins Gesicht. »Was ist denn los?« sagte er schließlich für sich hin und nahm das Rohr aus dem Munde. »Das Rauchen bekommt mir nicht mehr. Meine schöne Pfeife! Wie schlecht muss es mir gehen, wenn du mir nicht mehr schmeckst! Hier habe ich mich abgequält, ohne ein Vergnügen dran zu finden, und habe gegen den Wind, ohne es zu merken, die ganze Zeit geraucht. Gegen den Wind, und habe so nervös gezogen, als ob die letzten Züge einem wie bei einem sterbenden Wal die allergrößte Mühe kosteten. Was ist denn nur mit meiner Pfeife los? Sie soll einen heiter stimmen und milde weiße Wolken auf die milden weißen Haare wehen und nicht auf so graue und altersschwache Spiere, wie ich sie habe. Ich will das Rauchen lassen.«

Damit warf er die noch brennende Pfeife ins Meer. Das Feuer zischte in den Wogen, und im selben Augenblick fuhr das Schiff durch die Wasserblase, die von der sinkenden Pfeife ausgegangen war. Wankenden Schrittes ging Ahab über das Deck, und der Hut hing ihm weit herab.

Fünfzehntes Kapitel

Es ist Mittag. Der Steward, der junge Bursche, steckt sein bleiches Gesicht durch die Kajütenluke und sagt seinem Herrn und Meister das Mittagessen an. Der Herr sitzt in einem Achterdeckboot auf der Leeseite und hat gerade eine Sonnenmessung vorgenommen. Er rechnet die Breite auf dem glatten Täfelchen mit dem Medaillon aus, das für den täglichen Gebrauch oben auf seinem künstlichen Bein liegt. Er gibt anscheinend gar nicht mal acht auf die Meldung, und man könnte meinen, der düstere Ahab hätte gar nichts gehört. Aber dann fasst er an die Kreuzwanten und schwingt sich auf Deck und sagt mit gleichmütiger unfreundlicher Stimme: »Essen, Starbuck.« Damit verschwindet er in der Kabine.

Als das letzte Geräusch von dem Schritt des Sultans verklungen ist und Starbuck, sein erster Emir, die Gewissheit hat, daß der Alte Platz genommen hat, erwacht er aus seiner Gleichgültigkeit, geht ein paarmal auf den Planken hin und her, sieht noch mal nach dem Kompass und sagt ziemlich freundlich: »Essen, Stubb!« und geht auch in die Kajüte.

Der zweite Emir kommt schlendernd auch aus der Takelage hervor, packt die Brasse, um zu sehen, ob auch alles in Ordnung ist, nimmt die alte Last auf und folgt mit der Aufforderung: »Essen, Flask!« den anderen nach.

Nun kommt sich auch der dritte Emir, als er auf dem Achterdeck allein ist, merkwürdig erleichtert vor. Er winkt nach allen Richtungen freundlich um sich, stößt die Schuhe von den Füßen und lässt mit der Hornpfeife einen scharfen Ton gerade über dem Kopf des Sultans ertönen. Dann befestigt er die Mütze oben an den Kreuzmars und geht ausgelassen nach unten. Aber bevor er in die Tür der Kajüte eintritt, bleibt er einen Augenblick stehen und setzt ein neues Gesicht auf. Dann tritt der sonst so unabhängige muntere kleine Flask vor den König Ahab in der Haltung von Abjectus, seines Sklaven. Unter den vielen Seltsamkeiten der erkünstelt wirkenden Seemannsbräuche ist auch zu erwähnen, daß die Offiziere auf dem freien Deck ihre Haltung gegenüber dem Kommandanten wahren und ihm Trotz bieten, wenn sie herausgefordert werden. Aber es ist zehn zu eins zu wetten, daß sie demütig und unterwürfig ihm gegenübertreten, wenn sie im nächsten Augenblick in die Kajüte des Kommandanten hinuntergehen und ihre gewöhnliche Mahlzeit mit ihm einnehmen, und er oben am Tische sitzt. Das ist eine wunderbare und manchmal reichlich komische Geschichte.

Ahab saß an dem Tisch, der mit Walfischbein ausgelegt war, wie ein stummer Seelöwe mit Mähne am weißen Korallenstrand im Kreise seiner kriegerischen, wenn auch ehrfurchtsvollen Jungen. Jeder Offizier wartete, bis er drankam. Vor Ahab waren sie wie kleine Kinder, und doch war bei ihm nicht die Spur einer Überhebung zu entdecken. Sie waren alle eines Sinnes, und ihre Blicke hingen an dem Messer des Alten, als er ihnen das Fleisch auf der Schüssel zuschnitt. Der Teller von Starbuck wurde ihm gereicht, und der Maat bekam sein Stück Fleisch wie ein Almosen. Er schnitt es sorgfältig in kleine Stücke und wurde etwas nervös, wenn das Messer auf dem Teller knirschte. Er kaute es, ohne zu schwatzen und schluckte es herunter mit einer gewissen Andacht. Wie der Deutsche Kaiser beim Krönungsmahl in Frankfurt mit den sieben Kurfürsten in aller Ehrfurcht zu Tisch saß, so ging es auch bei diesen Mahlzeiten in der Kajüte sehr feierlich und ernst zu. Der alte Ahab verbot zwar nicht die Unterhaltung, aber er selbst war so gut wie taub. So war es denn dem abgeschreckten Stubb eine Erleichterung, als sich unten im Schiffsraum plötzlich eine Ratte zu schaffen machte.

Am wenigsten zu sagen hatte der kleine Flask. Er war der jüngste Sohn und in dieser ernsten Familie ein kleiner Knirps. Er bekam die Knochen des eingesalzenen Rindfleisches, und er hätte doch die Oberschenkel haben müssen. Man durfte nicht annehmen, daß Flask sich hätte selbst bedienen können. Das wäre ja so viel gewesen, wie der allerschwerste Diebstahl. Wenn er sich bei Tisch selbst bedient hätte, hätte er unter den anständigen Leuten nicht mehr den Kopf aufrechthalten dürfen. Es war merkwürdig, daß Ahab ihm nie ein Verbot erteilte. Und wenn Flask sich selbst bedient hätte, so hätte es Ahab möglicherweise gar nicht einmal bemerkt. Am allerwenigsten wäre es Flask eingefallen, Butter aufzustreichen. Wie er dazu kam, kann man nicht recht sagen. Vielleicht glaubte er, die Besitzer des Schiffes verwehrten es ihm, oder seine helle und sonnige Gesichtsfarbe könnte dadurch entstellt werden. Oder aber es geschah darum, weil er annahm, daß die Butter im Ozean, wo es keine Märkte gab, eine Prämie vorstellte und einem Mann im subalternen Dienstverhältnis nicht zukam. Jedenfalls nahm der arme Flask keine Butter!

Dann noch etwas anderes: Flask musste als letzter zu Tisch gehen und als erster aufstehen. Dadurch war ihm die Zeit arg beschnitten. Starbuck und Stubb standen zuerst auf, und sie durften sich auch aufs Ohr legen. Wenn Stubb, der nur ein klein wenig mehr als Flask war, zufällig nur wenig Appetit hatte, und es ihm einfiel, mit dem Essen aufzuhören, so musste Flask sich beeilen und bekam nur sehr wenig zu essen; denn es widersprach einem geheiligten Brauch, daß Stubb vor Flask auf Deck ging.

Seit Flask zur Würde eines Offiziers aufgestiegen war, wußte er, was richtiger Hunger war. Wenn er etwas aß, so war er nicht gesättigt und schleppte einen ewigen Hunger mit sich herum. Frieden und Ruhe, dachte Flask, kennt mein Magen nicht mehr. Ich bin Offizier, aber wie gern möchte ich in der Vorderkajüte ein gehöriges Stück Rindfleisch der alten Sorte essen, wie ich es früher zu tun pflegte, als ich noch vor'm Mast war. Das hat man von der Beförderung. Das ist der Ruhm mit seiner Eitelkeit und das ist der Irrsinn des Lebens!

Ahab und seine drei Maate gehörten zum sogenannten ersten Tisch in der Kabine. Wenn sie gingen, wobei sie sich in umgekehrter Reihenfolge wie bei der Ankunft aufstellten, wurde das Tischtuch aus Segelleinwand gesäubert oder auf eilige Anforderung von dem bleichen Steward wieder gebrauchsfähig gemacht. Darauf wurden die drei Harpuniere zur Tafel gebeten.

Im merkwürdigen Gegensatz zu dem schwer zu ertragenden Zwang und unsichtbaren Despotentum am Tisch des Kapitäns stand die ungenierte Freiheit und Behaglichkeit der niedergestellten Burschen, der Harpuniere. Während ihre Herren vor dem Geräusch ihrer eigenen Gaumen Angst zu haben schienen, kauten die Harpuniere ihr Essen mit einer Wollust, daß es ein Vergnügen war. Sie saßen wie Lords zu Tisch. Sie füllten ihre Bäuche wie die Schiffe in Indien, die den ganzen Tag Gewürze laden. Queequeg und Tashtego hatten solch blendenden Appetit, daß der bleiche Schiffsjunge verschiedene Male ein großes Lendenstück, das man anscheinend aus dem besten Teil eines mächtigen Ochsen herausgeschnitten hatte, heranschaffen musste, um die leeren Räume, die von der früheren Mahlzeit zurückgeblieben waren, auszufüllen. Einmal fiel es Daggoo ein, dem Gedächtnis des Jungen dadurch etwas nachzuhelfen, daß er ihn anpackte und ihn mit dem Kopf gegen eine große leere Tonne stieß. Und Tashtego zeichnete mit dem Messer den Kreis ab, wo er ihn skalpieren wollte. Der bleiche Junge war reichlich nervös, und man konnte diesem Milchgesicht leicht einen Schrecken einjagen: dieser Mischung von bankrottgegangenem Bäcker und Krankenschwester! Sein ganzes Leben lang war er in ständiger Aufregung, er musste den schrecklichen Ahab ertragen und ebenso die lärmenden, regelmäßig auf Besuch kommenden drei Wilden. Wenn er sah, daß die Harpuniere alles hatten, was sie brauchten, entwich er ihren Schlingen und kroch in die kleine Pantry nebenan. Von dort aus schaute er dann hinter den Vorhängen der Tür angstvoll hervor, bis alles vorbei war.

Es war ein prächtiger Anblick, Queequeg Tashtego gegenüber sitzen zu sehen, wie er seine gefeilten Zähne denen des Indianers gegenüberhielt. Schräg gegenüber saß Daggoo auf dem Boden; denn eine Bank würde für seinen Kopf mit der schwarzen Feder schlecht gepasst haben. Bei jeder Bewegung mit den kolossalen Gliedern wurde die niedrige Kabine in Erschütterung versetzt, als ob ein afrikanischer Elefant als Passagier aufs Schiff gegangen wäre.

Aber trotz alledem war der große Neger unglaublich mäßig, wenn nicht gar bescheiden. Es schien beinahe unmöglich, daß man bei so wenig Essen einen so breiten, herrenhaften und prächtigen Menschen am Leben erhalten könnte. Aber ohne Zweifel sog der edle Wilde die Luft in großen starken Zügen ein. Durch seine weiten Nasenlöcher schlürfte er das herrliche Leben dieser Welt in vollem Maße. Mit Fleisch oder Brot kann man keine Riesen schaffen oder ernähren.

 

Queequeg schmatzte beim Essen auf barbarische Weise mit den Lippen – es hörte sich schrecklich an –, so daß der ängstliche Schiffsjunge hinsah, ob auch nicht ein Abdruck von seinen Zähnen in seinen mageren Armen zu sehen wäre. Und wenn er hörte, wie Tashtego nach ihm langte, um seine Kunststücke zu zeigen, so hätte der einfältige Steward beinahe das Geschirr in seiner Speisekammer zerschlagen bei einem plötzlich auftretenden Ohnmachtsanfall. Die Harpuniere hatten für ihre Lanzen und sonstige Waffen Schleifsteine in den Taschen. Wenn es ihnen einfiel, bei Tisch in besonders auffälliger Weise die Messer zu schleifen, so war der knirschende Laut nicht dazu angetan, dem armen Küchenjungen Vertrauen einzuflößen. Wie konnte auch Queequeg vergessen, daß er früher, als er noch auf der Insel war, von dem Messer auf ganz besondere Weise Gebrauch gemacht hatte! Ja, armer Küchenjunge, man hat es als weißer Kellner schwer, wenn man Menschenfresser bedienen soll! Er hätte nicht eine Serviette auf dem Arm haben sollen, sondern einen Schild!

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