Er lebte noch; sein Lenksteuer, scheint es, war unversehrt und seine Maschinen arbeiteten. Er schoss geradeaus auf einen zweiten Marsmann los und war noch hundert Yard von ihm entfernt, als der Hitzestrahl seine Wirkung tat. Mit einem heftigen Getöse und unter blendenden Blitzen flogen sein Verdeck und seine Schornsteine in die Luft. Der Marsmann wankte bei der Heftigkeit des Zündschlages und im nächsten Augenblick schoss das flammende Wrack mit der ganzen Wucht seines stürmischen Laufes vorwärts, warf den Marsmann nieder und zermalmte ihn, wie ein Stückchen Papier. Mein Bruder schrie unwillkürlich auf. Kochende Dampfwolken hüllten alles wieder ein.
»Zwei!«, jubelte der Kapitän.
Jedermann jauchzte und schrie; der ganze Dampfer hallte von einem Ende bis zum anderen von den wilden Freudenrufen wieder, die zuerst vom nächsten und dann von allen, den unzähligen Booten und Schiffen aufgenommen wurden, die das offene Meer zu gewinnen suchten.
Der Dampf hing viele Minuten hindurch über dem Wasser und hüllte den dritten Marsmann und die Küste vollständig ein. Und während dieser ganzen Zeit arbeitete sich das Dampfboot stetig auf die hohe See hinaus, fort von dem Schauplatz jener Schlacht. Und als sich endlich der Dampf verzogen hatte, da traten die treibenden Wolken des schwarzen Rauches dazwischen, und vom »Thunder Child« konnte nichts mehr gesehen werden; auch der dritte Marsmann war verschwunden. Aber die Panzerschiffe, die seewärts lagerten, waren jetzt ganz nahe und standen gegen die Küste zugekehrt hinter dem Dampfboot.
Das kleine Fahrzeug fuhr fort, sich seinen Weg seewärts zu erkämpfen; die Panzerschiffe traten langsam gegen die Küste zurück, die noch immer von der gefleckten Rauchwand, halb Dampf, halb schwarzem Gas, in den abenteuerlichsten Gestalten auf- und niederwallend, eingehüllt war. Die Flotte der Flüchtlinge zerstreute sich nach Nordosten; einige Fischerbarken segelten zwischen den Panzerschiffen und dem Dampfboot. Nach einiger Zeit, bevor sie den sinkenden Wolkenzug erreichten, wandten sich die Kriegsschiffe nach Norden und mit einer unvermuteten Schwenkung verschwanden sie in südlicher Richtung, in dem sich immer mehr verdichtenden Abendnebel. Die Küste verblasste und verschwand endlich völlig in den langen Wolkenzügen, die sich um die sinkende Sonne lagerten.
Plötzlich scholl aus dem goldenen Nebelschleier des Sonnenuntergangs das Getöse von Geschützen; und schwarze Schatten tauchten auf und nieder. Alles stürzte wieder an das Geländer des Dampfers und spähte nach dem blendenden Feuerherd des Westens; aber es konnte nichts deutlich unterschieden werden. Eine Menge dichten Rauches stieg schräg auf und verbarg das Antlitz der Sonne. Das Dampfboot keuchte seinen Weg weiter; und bange Erwartung lastete auf allen.
Die Sonne versank in graue Wolken; der Himmel zuckte auf und verfinsterte sich wieder, und oben zitterte der Abendstern. Es war schon dunkles Zwielicht, als der Kapitän aufschrie und nach aufwärts deutete. Mein Bruder strengte seine Augen an. Aus dem Grau fuhr etwas hoch auf in die Luft, zuckte in reißender Schnelligkeit schief hinüber zu dem glänzenden Licht über den Wolken des westlichen Himmels, ein flacher, breiter und sehr großer Körper; er raste in einer ungeheuren krummen Linie weiter, wurde kleiner, sank dann langsam und verschwand endlich in dem grauen Geheimnis der Nacht. Und während er so hinflog, ergoss sich die Finsternis über das Land.
Ende des ersten Buches
1 Wörtlich »Donnerkind«. Name eines englischen Kriegsschiffes <<<
2 Big Ben <<<
3 Landspitze in Essex <<<
4 Seeungeheuer <<<
Im ersten Buch schweifte ich so weit von meinen eigenen Abenteuern ab, um die Erlebnisse meines Bruders zu berichten; während der Ereignisse der letzten beiden Abschnitte hielten ich und der Kurat uns auf der Lauer, in dem leeren Haus in Halliford versteckt, in das wir uns flüchteten, um dem schwarzen Rauch zu entrinnen. Hier will ich den Faden der Erzählung wieder aufnehmen. Wir blieben während der ganzen Nacht des Sonntags und den ganzen nächsten Tag — dem Tag der Londoner Panik — in dem Haus, dem einzigen Eiland voll Tageslicht, durch den schwarzen Rauch von der übrigen Welt abgeschnitten. Wir konnten während dieser zwei trostlosen Tage nichts tun, als in schmerzlicher Untätigkeit warten.
Mein Gemüt war von Sorgen um meine Frau erfüllt. Ich malte mir aus, wie sie voll Angst und in Gefahr in Leatherhead weilte und mich bereits als einen Toten beklagte. Ich schritt in den Zimmern auf und nieder und weinte laut bei dem Gedanken, durch welche Abgründe ich von ihr getrennt war, wenn ich mir vorstellte, was ihr alles während meiner Abwesenheit zustoßen konnte. Ich wusste, mein Vetter würde jeder ihr drohenden Gefahr mutig entgegentreten, aber er gehörte nicht zu jener Gattung von Männern, welche rasch eine Gefahr begreifen und sich rechtzeitig gegen sie schützen. Was jetzt nottat, war nicht Tapferkeit, sondern Umsicht. Mein einziger Trost war die Vermutung, dass die Marsleute gegen London vorrückten, also fort von Leatherhead. Solche unbestimmte Angstgefühle machen die Gemütsverfassung eines Menschen reizbar und leidend. Bei den unausgesetzten Klagerufen des Kuraten wurde ich ärgerlich und gereizt, und der Anblick seiner selbstsüchtigen Verzweiflung ermüdete mich. Nach einigen wirkungslosen Vorstellungen hielt ich mich abseits von ihm, und zog mich in ein Zimmer zurück, das Globen, Schulbücher und Hefte enthielt, also offenbar ein Klassenzimmer von Kindern war. Als er schließlich mir auch dahin folgte, floh ich in ein Kofferzimmer auf dem Boden des Hauses, in dem ich mich einschloss, um mit meinem nagenden Kummer allein zu sein.
Wir waren durch den schwarzen Rauch den ganzen Tag und den Morgen des nächsten hoffnungslos eingesperrt. Am Sonntagabend waren Anzeichen wahrzunehmen, dass im Nachbarhaus noch Leute waren — ein Gesicht am Fenster, hin- und herflackernde Lichter, und später das Zuschlagen einer Tür. Aber ich weiß nicht, wer diese Leute waren, noch was aus ihnen wurde. Am nächsten Tag erblickten wir keine Spur mehr von ihnen. Der schwarze Rauch trieb langsam dem Fluss zu, den ganzen Montagmorgen hindurch; er kroch näher und näher an uns heran und wälzte sich endlich die Landstraße entlang, außerhalb des Hauses, das uns verbarg.
Ein Marsmann kam gegen Mittag über die Felder gefahren, und vernichtete den Rauch durch einen Strahl überhitzten Dampfes, der gegen die Mauern zischte, alle Fenster, die er traf, zerschmetterte, und die Hand des Kuraten verbrühte, als er sich aus dem Straßenzimmer flüchtete. Als wir uns endlich durch die durchnässten Zimmer schlichen und hinausblickten, sah das gegen Norden zu gelegene Land aus, als wäre ein schwarzer Schneesturm darüber hingebraust. Und als wir gegen den Fluss hinblickten, waren wir nicht wenig erstaunt, wie dort eine unerklärliche Röte sich mit dem Schwarz der versengten Wiesen vermengte.
Eine Zeit lang erfassten wir nicht, ob diese Veränderung unsere Lage günstiger gestalten würde, wir sahen nur, dass wir von unserer Furcht vor dem schwarzen Rauch erlöst waren. Aber später begriff ich, dass wir nicht mehr aufgehalten seien, und dass wir unsern Weg weiter verfolgen könnten. Sobald ich mir klar wurde, dass der Weg zur Flucht offen stand, kehrte meine Fähigkeit, zu handeln, wieder zurück. Aber der Kurat war wie in einer Erstarrung und keinen Vernunftsgründen zugänglich.
»Wir sind hier ja sicher«, rief er unaufhörlich, »ganz sicher.«
Ich beschloss, ihn zu lassen, wo er war. Hätte ich es nur getan! Durch die Lehren des Artilleristen klüger gemacht, suchte ich jetzt nach Speise und Trank. Ich hatte Öl und Linnen für meine Brandwunden gefunden; auch nahm ich einen Hut und ein Flanellhemd mit mir, das ich in einem der Schlafzimmer gefunden hatte. Als es dem Kuraten aufdämmerte, dass ich willens war, allein fortzugehen, dass ich mich mit dem Gedanken, allein zu sein, völlig ausgesöhnt hatte, da raffte er sich plötzlich zu dem Entschluss auf, mich zu begleiten. Und da während des ganzen Nachmittags alles ruhig blieb, brachen wir, wie ich vermute, um fünf Uhr auf, um die rauchgeschwärzte Straße nach Sunbury einzuschlagen.
In Sunbury und in gelegentlichen Zwischenräumen längs der Straße lagen tote Körper in verzerrten Stellungen — Pferde sowohl wie Menschen — ferner umgestürzte Karren und Kisten, alles mit einer dicken Schicht schwarzen Rauches bedeckt. Diese Schichten von Aschenpulver erinnerten mich an alles, was ich über die Zerstörung Pompejis gelesen hatte. Ohne weiteren Unfall gelangten wir nach Hampton Court; unsere Gedanken waren erfüllt von allen den seltsamen und ungewohnten Bildern, die wir unterwegs erblickten. In Hampton Court wurden unsere Augen geradezu von einem Bann erlöst, als wir einen grünen Rasenfleck entdeckten, der dem erstickenden Qualm entgangen war. Wir gingen durch den Bushey Park, sahen das Wild unter den Kastanienbäumen auf- und abgehen und einige Männer und Frauen, die in weiter Ferne gegen Hampton zu eilten. Das waren die ersten Leute, die wir sahen. So kamen wir nach Twickenham.
Als wir über die Straße hinwegblickten, sahen wir, dass das Gehölz jenseits von Ham und Petersham noch brannte. Twickenham war sowohl vom Hitzestrahl, wie vom schwarzen Rauch verschont geblieben, und so fanden wir hier herum schon mehr Leute, von denen aber niemand uns Neues mitteilen konnte. Zum größten Teil befanden sie sich in derselben Lage wie wir; sie benützten eine augenblickliche Ruhe vor den Marsleuten, um weiter zu fliehen. Ich gewann den Eindruck, dass viele Häuser noch von eingeschüchterten Menschen bewohnt waren, die zu erschreckt waren, um nur die Kraft zur Flucht zu besitzen. Auch hier waren die Anzeichen eines hastig fliehenden Menschenhaufens in Fülle längs der Straße vorhanden. Sehr lebhaft erinnere ich mich eines Gewirres von drei zertrümmerten Fahrrädern, die von den Rädern nachfolgender Karren in die Erde gestampft worden waren. Um halb neun Uhr etwa kamen wir bei der Richmond Bridge an. Wir eilten selbstverständlich, so rasch wir konnten, über die allen Angriffen sehr ausgesetzte Brücke; dennoch bemerkte ich eine Anzahl roter Gegenstände, die einige Fuß von mir entfernt, den Fluss hinabtrieben. Ich wusste nicht, was jene Gegenstände bedeuteten — ich hatte keine Zeit, sie genau zu untersuchen — aber ich legte ihnen eine viel grauenhaftere Bedeutung bei als sie verdienten. Hier, auf der Surrey-Seite, sah ich wieder schwarzen Staub, der einmal Rauch gewesen war und Leichen — einen großen Haufen beim Eingang zum Bahnhof — aber nirgends war ein Marsmann zu erblicken, bis wir uns in ziemlicher Nähe von Barnes befanden.
Wir sahen in der verdunkelnden Ferne eine Gruppe von drei Leuten, welche eine Seitenstraße hinab dem Fluss zulief; sonst aber schien alles verödet. Im oberen Hügelviertel brannte die Stadt Richmond lichterloh; außerhalb Richmonds war keine Spur des schwarzen Rauches zu entdecken.
Plötzlich, als wir uns schon Kew näherten, kam uns eine Anzahl Leute entgegengelaufen, und, nicht hundert Yard von uns entfernt, sahen wir die Oberteile der Kriegsmaschine eines Marsmannes über die Hausdächer aufragen. Angesichts dieser drohenden Gefahr standen wir wie versteinert da, und hätte der Marsmann herabgeblickt, wären wir rettungslos verloren gewesen. Wir waren so entsetzt, dass wir nicht wagten, weiter zu gehen, sondern uns seitwärts wandten und uns in dem Verschlag eines Gartens versteckten. Leise vor sich hin weinend verkroch sich der Kurat und weigerte sich, wieder weiterzugehen.
Aber ich hatte mich so fest in den Gedanken, Leatherhead zu erreichen, eingesponnen, dass ich mir keine Rast erlaubte; und im Zwielicht wagte ich mich wieder hinaus. Ich schlug mich durch ein Gebüsch, das einen Laubengang entlang auf dem Grundstück eines großen Hauses lief und tauchte so auf der Straße, die nach Kew führte, wieder auf. Den Kuraten ließ ich im Verschlag, aber er hastete mir eilends nach.
Dieser zweite Aufbruch war das Aberwitzigste, was ich je unternahm. Denn es war offenbar, dass die Marsleute hier um uns herumschwärmten. Kaum hatte der Kurat mich eingeholt, als wir entweder dieselbe Kriegsmaschine, die wir früher gesehen hatten, oder eine andere, in ziemlich großer Entfernung, über die Wiesen in der Richtung nach dem Parkhause von Kew fahren sahen. Vier oder fünf kleine, schwarze Gestalten liefen über die grünlichgraue Fläche des Feldes vor ihr davon, und im Nu war es mir klar, dass der Marsmann sie verfolgte. Mit drei Schritten war er mitten unter ihnen und sie stoben nun nach allen Richtungen auseinander. Er gebrauchte nicht den Hitzestrahl, um sie zu vernichten, sondern las sie, einen nach dem anderen, auf. Ich glaubte zu erkennen, wie er sie in den großen, metallischen Behälter schleuderte, der hinter ihm vorragte, ganz so, wie ein Tragkorb, der über der Schulter eines Arbeiters hängt.
Zum ersten Male kam mir jetzt der Gedanke, dass die Marsleute noch andere Zwecke verfolgten, als die Vernichtung der besiegten Menschheit. Wir standen einen Augenblick lang wie versteinert da, dann kehrten wir um und flüchteten uns durch ein hinter uns befindliches Tor in einen von Mauern umgebenen Garten. In einem Graben, der sich zu unserem Glück dort vorfand, und in den wir mehr hineinstürzten, als hinabstiegen, hielten wir uns versteckt. Bevor nicht die Sterne am Himmel standen, wagten wir kaum flüsternd miteinander zu sprechen.
Ich glaubte, dass es nahezu elf Uhr nachts war, ehe wir genug Mut fassten, um abermals aufzubrechen. Diesmal aber wagten wir uns nicht mehr auf die Straße hinaus, sondern schlichen uns an Hecken entlang, oder durch Baumpflanzungen hindurch; dabei spähten wir scharf in die Dunkelheit nach den Marsleuten aus, die rings um uns herumzuschwärmen schienen. Der Kurat wachte zur Rechten und ich zur Linken. Einmal stolperten wir über eine versengte und rauchgeschwärzte Rasenfläche, die aus ausgekühlter Asche bestand, und taumelten über eine Anzahl menschlicher Leichname, deren Köpfe und Leiber grauenhaft verbrannt, deren Beine und Stiefel aber in den meisten Fällen unversehrt geblieben waren; dann stießen wir auf tote Pferde, die etwa fünfzig Fuß hinter einer Gruppe von vier zertrümmerten Geschützen und zerschellten Lafetten tagen.
Das Dorf Sheen war offenbar von der Zerstörung verschont geblieben, aber der Ort war still und verlassen. Hier trafen wir auf keine Toten, doch war die Nacht zu dunkel, um uns einen Einblick in die Seitengassen des Dorfes zu erlauben. In Sheen klagte mein Gefährte plötzlich über Schwäche und Durst; und so beschlossen wir, in eines der Häuser einzudringen.
Das erste Gebäude, das wir, nach einigen Schwierigkeiten mit dem Fenster, betraten, war ein kleines, halb freistehendes Landhaus; aber im ganzen Haus war nichts Essbares übriggeblieben, als etwas schimmliger Käse. Doch fanden wir Wasser, um unseren Durst zu löschen. Ich nahm noch ein Beil mit mir, das bei unserem nächsten Hauseinbruch von Nutzen zu sein versprach.
Nach einer Wegkreuzung gelangten wir an einen Platz, von dem die Straße nach Mortlake abbiegt. Hier nun stand ein weißes Haus in einem eingefriedeten Garten. In der Speisekammer dieses Hauses fanden wir Essvorräte — zwei Brotlaibe, in einer Schüssel ein rohes Stück Fleisch und einen halben Schinken. Ich gebe dieses Verzeichnis deshalb so genau an, weil es sich fügte, dass wir in den nächsten zwei Wochen von diesem Vorrat unser Leben zu fristen verurteilt waren. Einige Flaschen Bier standen in einem Fach, in dem wir auch zwei Säcke welscher Bohnen und etwas welken Salat fanden. Diese Speisekammer führte in eine Art Waschkammer, in der sich gespaltetes Holz vorfand; wir entdeckten auch einen Verschlag, in dem wir fast ein Dutzend Flaschen Burgunderwein, einige Zinnbüchsen mit Suppenwürzen und Lachs und zwei Zwiebackbüchsen fanden.
Wir saßen in der anstoßenden Küche ganz im Finstern — denn wir wagten nicht, Licht zu machen — aßen Brot und Schinken und tranken Bier aus einer Flasche. Diesmal war es der noch immer verschreckte und rastlose Kurat, der wunderlich genug, zum augenblicklichen Aufbruch drängte. Ich redete ihm eben dringend zu, durch eine Mahlzeit seine Kräfte zu sammeln, als sich der Vorfall ereignete, der uns zu Gefangenen machte.
»Es kann noch nicht Mitternacht sein«, sagte ich; und während ich noch sprach, zuckte ein blendender Schein auf, der von einem lebhaften grünen Licht begleitet war. Jeder Gegenstand in der Küche trat blitzschnell und ganz deutlich grün und schwarz heraus, um sofort wieder zu verschwinden. Und dann erfolgte eine derartige Erschütterung, wie ich sie weder vorher noch nachher je erlebt habe. So unmittelbar darauf, dass es fast gleichzeitig schien, hörte ich hinter mir einen Aufschlag, ein Klirren von Glas, ein Krachen und Prasseln rings um uns einstürzenden Mauerwerks; gleich darauf fiel der Mörtel der Decke auf uns herab, und zerschellte auf unsern Köpfen in eine Unzahl kleiner Bruchstücke. Ich stürzte der Länge nach auf den Boden, fiel mit dem Kopf gegen die Ofentüre und verlor mein Bewusstsein. Wie mir der Kurat erzählte, war ich lange Zeit besinnungslos und als ich wieder zu mir kam, beugte sich mein Gefährte mit einem Gesicht, das, wie ich später fand, in Folge einer Stirnwunde von Blut durchnässt war, über mich und besprengte mich mit Wasser.
Einige Zeit lang konnte ich nicht begreifen, was geschehen war. Aber allmählich dämmerte es mir. Eine Beule an meiner Schläfe trug das Ihre dazu bei.
»Fühlen Sie sich besser?«, fragte der Kurat flüsternd.
Endlich konnte ich ihm antworten. Ich setzte mich auf.
»Rühren Sie sich nicht«, sagte er. »Der Boden ist mit Splittern des Geschirrs bedeckt, das aus diesem Schrank fiel. Sie können sich auch unmöglich bewegen, ohne Lärm zu machen. Und ich glaube, sie sind draußen.«
Wir saßen beide ganz still da, sodass einer kaum des anderen Atem hörte. Alles schien totenstill, nur einmal fiel etwas, vielleicht Mörtel oder gebrochenes Ziegelwerk, neben uns mit ziemlich starkem Geräusch zu Boden. Draußen, aber ganz in unserer Nähe, hörten wir ein stellenweise aussetzendes, metallisches Geklirr.
»Hören Sie?«, flüsterte der Kurat, als es gleich wieder vernehmlich war.
»Ja«, sagte ich. »Aber was ist es?«
»Ein Marsmann!«, sagte der Kurat.
Ich lauschte wieder.
»Es sah nicht wie der Hitzestrahl aus«, sagte ich und eine Zeit lang gab ich mich der Vermutung hin, eine der großen Kriegsmaschinen wäre gegen das Haus angerannt, so ähnlich, wie ich eine gegen den Kirchturm von Shepperton anrennen gesehen hatte.
Unsere Lage war so wunderlich, so unbegreiflich, dass wir drei oder vier Stunden lang, bis es dämmerte, uns kaum rührten. Zögernd flutete das Licht herein, nicht durch das Fenster, sondern durch eine dreieckige Öffnung zwischen einem Balken und einem Haufen zerbröckelter Ziegel in der Mauer hinter uns. Zum ersten Male sahen wir in grauer Dämmerung das Innere der Küche.
Das Fenster war durch eine Masse Gartenerde eingedrückt worden, die über den Tisch, auf den wir saßen, herabrieselte und sich um unsere Beine legte. Draußen war der Boden hoch gegen das Haus zu aufgeworfen. Am oberen Ende des Fensterrahmens konnten wir eine ausgerissene Dachrinne bemerken. Der Boden war von gebrochenem Gerümpel aller Art dicht bedeckt. Ein Teil der gegen die Hausmauer zu gelegenen Küchenwand war eingestürzt; und nun, da das Tageslicht voll hereinsah, wurde es uns klar, dass der größere Teil des Hauses zertrümmert war. Einen lebhaften Gegensatz zu dieser Verwüstung bot der zierliche Anrichtetisch, der nach der Mode blassgrün gestrichen war und eine Anzahl Kupfergeschirre und Zinnkrüge enthielt. Die Tapete bestand in einer Nachahmung blauer und weißer Ziegel und ein paar farbige Bögen flatterten von den Wänden über dem Küchenherd herab.
Als die Dämmerung fortschritt, sahen wir durch den Spalt in der Mauer die Gestalt eines Marsmannes, der, wie ich vermute, bei dem noch glühenden Zylinder Wache stand. Bei diesem Anblick krochen wir, so behutsam wie möglich, aus dem Zwielicht der Küche in die Dunkelheit der Waschkammer zurück.
Ganz unvermittelt dämmerte in mir nun die richtige Auslegung der nächtlichen Vorfälle auf.
»Der fünfte Zylinder«, flüsterte ich, »das fünfte Geschoss vom Mars hat dieses Haus gestreift und uns unter seinen Trümmern begraben!«
Einige Zeit blieb der Kurat still, dann flüsterte er:
»Gott, erbarme dich unser!«
Dann hörte ich, wie er still vor sich hin wimmerte.
Von diesen Lauten abgesehen, lagen wir ganz still in der Waschkammer. Ich für meinen Teil wagte kaum, zu atmen, und saß da, mit meinen Augen unverwandt nach dem schwachen Licht der Küchentür starrend. Ich konnte gerade noch das Gesicht des Kuraten unterscheiden, eine undeutliche, ovale Fläche; außerdem noch seinen Kragen und seine Manschetten. Draußen begann jetzt ein Hämmern, wie auf Metall, dann ein heftiges Geheul, und dann nach einer kurzen Stille ein Zischen, wie das Zischen einer Maschine. Diese zum größten Teil rätselhaften Geräusche setzten sich mit geringen Unterbrechungen fort, und schienen womöglich im Lauf der Zeit an Zahl zuzunehmen. Jetzt hörte man ein gemessenes Aufschlagen und die Erschütterung, die folgte, ließ alles um uns herum erbeben. Das Geschirr in der Speisekammer klirrte und tanzte. Das dauerte lange so fort. Einmal erlosch das Tageslicht völlig, und der geisterhafte Kücheneingang tauchte in vollständige Dunkelheit unter. Viele Stunden lang müssen wir dort schweigend und fröstelnd gekauert sein, bis endlich unsere ermattete Aufmerksamkeit erlahmte.
Endlich erwachte ich, von nagendem Hunger gequält. Ich muss wohl annehmen, dass der größere Teil eines Tages vor jenem Erwachen vergangen war. Mein Hunger war mit einem Male so heftig, dass er mich zum Handeln trieb. Ich sagte dem Kuraten, dass ich nach Nahrung suchen wolle, und tastete mich leise nach der Speisekammer durch. Er gab keine Antwort, aber sobald ich zu essen begann, veranlasste ihn das leise Geräusch, das ich machte, auszustehen und mir nachzukriechen.