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Read the book: «Eine verworrene Geschichte», page 2

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Mit einem schmerzlichen Seufzer ließ der junge Mann den Kopf auf die Brust sinken, doch antwortete er nicht. Sein Vater blickte ihn eine Zeitlang schweigend an, er kämpfte mit dein eignen Herzen, doch die Vernunft siegte, denn er murmelte in sich hinein:

»Es kann, es darf nicht sein.«

Da vernahm man plötzlich vor der Tüt einen seltsamen Laut.

»Cilia kommt!« rief Frau Coutermann, »o Gott sie sie scheint bitterlich zu weinen! Was mag geschehn sein?«

Und bevor sie noch ausgesprochen hatte, trat ein junges Mädchen ein, mit nassen rothgeweinten Augen.

»O rettet mich vor Verzweiflung und Tod!« rief sie, dem alten Coutermann um den Hals fliegend »wenn Ihr mich verlaßt bin ich verloren.«

»Beruhige Dich mein Kind,« versetzte er, sich sanft aus ihrer Umarmung lösend, »welch’ neuen Kummer bereitet man Dir?«

»Ach, ich muß die Frau des Markus werden, meine Mutter hat es fest beschlossen,« klagte Cilia und ein tiefes Entsetzen sprach aus ihren Zügen. »In einer Stunde kommt der Amtmann, dann wird mein Urtheil unwiderruflich gefällt. Markus ist ein gottloser Mensch, er flucht, schwört, ist auffahrend, grob und hartherzig, ich hasse und verabscheue ihn, ich fürchte ihn wie den bösen Feind! Seine Frau, seine Sclavin will ich nicht werden, will nicht leben mit ihm; wenn ich auch alle Nahrung von mir weisen und Hungers sterben muß, er soll an meiner Seite nicht den Platz einnehmen, der Urban allein gebührt! Markus, der übermüthige Trunkenbold sollte mit seinen widerwärtigen Lippen den ersten Kuß auf meine Stirn drücken dürfen? Gott o Gott dann laß mich lieber sterben!«

Entkräftet sank sie auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Frau Coutermann und Urban traten auf sie zu und wollten sie trösten; Cilia aber sprang auf, kniete vor dem Pächter nieder und flehte mit gefalteten Händen:

»Habt Erbarmen! Ihr allein könnt mich retten! Gebt Meiner Mutter nach und fürchtet nichts, Ihr sollt Herr hier bleiben nach wie vor. Einer Magd gleich will ich Euch arbeiten, für Euch allein; Eure Wünsche will ich errathen, in Euren Augen zu lesen suchen, was Euch erfreuen kann, will Euch lieben wie einen Vater, Euch dankbar sein, als meinem größten Wohltäter. Ihr wollt nicht? Ihr verurtheilt mich zum Tode? O Gnade! Gnade!«

Urban und seine Mutter waren gleichfalls niedergekniet und stimmten ein in ihren Ruf.

Kinder, Kinder, Ihr könnt einen Stein erweichen, murmelte der Pächter und trocknete sich verstohlen eine Thräne aus dem Augen. Steht alle auf und fasst Muth, ich will einen letzten Besuch wagen. In wenigen Minuten kehre ich mit einer Antwort zurück; wer weiß, vielleicht bringe ich gute Nachricht.«

Damit ging er zur Thür hinaus der Mühle zu.

Kurz darauf trat er in die Stube, wo Frau Roosen, welche gelähmt war, in einem Lehnstuhl saß; drei kleine Mädchen spielten still in der Nähe, während ihr Mann den Kopf auf den Arm gestützt, am Fenster stand. Sie mußte im Streit mit ihm gewesen sein, denn als Coutermann eintrat hielt sie noch drohend die Finger erhoben.

»Kinder, geht hinaus,« befahl sie setzt und eilig entfernten sich die drei Kleinen.

»Ei sieh da, Baas Coutermann, schon wieder da? Ich meinte Ihr wolltet nie wieder einen Fuß über meine Schwelle setzen!« rief sie höhnisch dem Pächter zu. »Was bedeutet denn das? Habt Ihr Euch eines Bessern besonnen? Nun, seid willkommen und nehmt Platz.«

»Base Roosen,« versetzte der Andre traurig, »Eure Tochter ist in meinem Hause, und ein solches Bild des Jammers, daß mir fast das Herz brach, als ich sie ansah und ihre Klagen hörte.«

»O wir kennen das, laßt Euch dadurch nicht anfechten, morgen ist es vorbei,« sagte Frau Roosen lächelnd.

»Nein, nein, Ihr seid im Irrthum, Base; Cilia ist kein gewöhnliches Mädchen; wenn Ihr sie zwingt den Markus zu heirathen, so kann sie darüber zu Grunde gehn, denn schon der Name allein macht sie zittern wie das Espenlaub. Ich bin zwar nicht ihr Vater, aber um sie von dem ihr drohenden Unheil zu retten, erkläre ich mich zu den größten Opfern bereit.«

»Ei, ei, wie meint Ihr das? Laßt doch einmal hören.«

»Ich will meinen Pachtbrief dahin verändern lassen, daß mein Sahn zu drei Vierteln in denselben eintritt, während nur der vierte Theil mir verbleibt; auch mein ganzen übriges Besitzthum übertrage ich ihm in demselben Verhältniß.«

»So, nun kommen wir der Sache schau näher,« murmelte Frau Roosen mit triumphierendem Lächeln, »aber unsere Cilia wird gleichwohl nicht die eigentliche Herrin auf dem Hofe sein.«

Ihr Mann wandte sich hastig um und rief ihr halb bittend, halb im Tone der Entrüstung zu:

»Aber Catharina, hast Du denn gar kein Herz? Wie kannst Du unsern alten Freund so beleidigen? Was er Dir bietet, ist wahrhaftig aller Ehren werth und Du willst noch Einwendungen machen?«

»Schweig doch, bis Du gefragt wirst,« klang es zurück, »was verstehst Du von solchen Dingen. Ich mache keine Einwendungen, sondern bleibe einfach bei meinem Beschluß: wenn der Pächter meinen Vorschlag, genau so wie ich ihn gestellt habe, nicht annimmt, bekommt der Amtmann heute noch einen endgültigen Bescheid, dahin gehend, daß Cilia die Braut seines Neffen wird. Es ist vergebliche Mühe, andere Bedingungen anzubieten, ich habe keine Lust mich länger damit zu befassen.«

Dem alten Coutermann traten die hellen Thränen in

die Augen; er schüttelte eine Zeitlang schweigend den Kopf und sagte dann mit einem tiefen Seufzer:

»Gott verzeihe mir, wenn ich eine Thorheit begehe . . . Gesetzt den Fall, daß ich Euren Vorschlag annahme, Base Roosen?«

»Vollständig?«

»Ja, vollständig.«

»Ohne Vorbehalt?«

»Ohne den geringsten Vorbehalt.«

»Ja Pächter, dann wurde Urban unser Schwiegersohn.«

»Ich gebe Euch mein Wort darauf.«

»Aber der Amtmann?«

»Was scheert uns der Amtmann? Sind wir nicht freie Leute? Und wenn wir das Gesetz nicht verletzen und unsere Pflicht thun, ist dann unser Herr Baron nicht da, um uns nöthigenfalls vor Unrecht zu schützen?«

»Gut denn, Frau Roosen, meinem Sohne und Cilia zu Liebe willige ich ein, und übertrage auf sie meinen Pachthof. Es kostet mich viel, aber nun das Opfer einmal gebracht ist, soll kein Wort des Bedauerns über meine Lippen kommen.«

»Das lasse ich mir gefallen, Ihr seid ein braver Mann,« jubelte die Base Roosen siegesstrahlend, »kommt Coutermann, gebt mir die Hand darauf.«

»Seht, Baas Coutermann,« fuhr sie fort, nachdem der Pächter die dargebotene Hand kräftig gedrückt hatte, »Ihr werdet es mir vielleicht nicht glauben, aber es that mir aufrichtig leid Euch betrüben zu müssen. Warum habt Ihr Euch auch so lange geweigert? Gott sei tausendmal Dank, daß nun Alles wieder aus dem richtigen Wege ist, denn ich gestehe es offen ein, Eurem guten Urban gebe ich mein Kind tausendmal lieber, als dem rohen Markus. Nun sind wir wieder gut Freund zusammen wie früher, nicht wahr?«

»Mir ist nichts lieber als das; ohne Freundschaft hat das Leben wenig Werth,« sagte der Pächter.

»Laßt uns ein Glas auf das Glück unserer Kinder trinken,« erlaubte der Müller sich vorzuschlagen.

»Ja, da hast Du Recht, Jan, hol eine gute Flasche,« versetzte seine Frau, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben ihm zustimmend.

»Laßt es gut sein für heute, Roosen,« wehrte der Pächter, »ich muß eilig nach Hans; unsere Kinder harren gespannt der Nachricht, welche ich ihnen zu bringen versprochen. Es wäre grausam, sie länger leiden zu lassen.«

»Freilich,« bestätigte Frau Roosen; »so geht nur schnell und holt sie beide her, damit ich sie als Braut begrüße, vergeßt es auch nicht, Eure Frau mitzubringen. Heut soll Kirmes hier im Hause sein, ich will Kaffee kochen und Kuchen holen lassen, auch Wein wollen wir trinken . . . Lauft, Lauft!«

»Wart’, ich gehe mit,« rief der Müller seinem alten Freunde folgend.

Urban stand am Hufthor. Als er seinen Vater lachen, den Müller freudig den Hut schwenken sah, senkte eine selige Hoffnung sich ihm in’s Herz. Er eilte seinem Vater entgegen, fiel ihm um den Hals und fragte:

»Vater, Vater, was bringst Du Neues?«

»Du kannst heirathen, mein Sohn, Alles ist geordnet,« lautete die Antwort.

»Cilia ist Deine Braut,« fügte der Müller bei; »umarme nun auch Deinen Schwiegervater, Urban.«

Der Jüngling folgte der Aufforderung.

»O, so seid Beide gesegnet!« rief er aus, »wie glücklich wird Cilia sein! Wie wird meine liebe Mutter sich freun!

Und schnell wie ein Pfeil lief er laut jubelnd über den Hof dem Hause zu, stürzte in die Stube und rief wie außer sich:

»Mutter ich darf heirathen, die Uebereinkunft ist geschlossen! Cilia, Cilia, Du wirst meine Frau, ich bin Dein Bräutigam! O Gott, kann ein Mensch ein solches Maaß der Freude ertragen, ohne den Verstand zu verlieren? Ich muss singen, springen, tanzen, oder ich ersticke!«

Die That zum Worte fügend lief er wie von Sinnen im Hause umher. An der Hinterthür stehenbleibend rief er:

»Heda, Blasius,Therese! Kommt einmal her! Schnell, schnell! Cilia ist meine Braut!«

Inzwischen erreichten auch die beiden Väter das Haus. Viele Umarmungen wurden nun gewechselt, viele Freudenthränen wurden vergossen.

Urban tanzte mit seiner Mutter, mit Cilia, mit dem Knecht und der Magd und erfüllte mit seinem Jubelgeschrei die Luft, bis Alle das Haus verließen, um die angesagte Kirmeß in der Mühle zu feiern und auch die Base Roosen an ihrer Freude Theil nehmen zu lassen.

II

Einige Tage später ging Cilia mit schnellen Schritten durch das Dorf, und lenkte dann in einen Pfad ein, der durch die grünenden Wiesen den Windungen eines rauschenden Baches folgte.

Das reinste Glück sprach aus ihren Zügen, um ihre Lippen spielte ein seliges Lächeln:

»Wenn das Bäschen mir nur ihr Hochzeitskleid leihen will,« murmelte sie leise vor sich hin, »sonst werde ich noch herausgeputzt wie eine alte Großmutter aus der alten Zeit. Und warum sollte sie mir es nicht leihen? Ich hafte dafür, daß nichts daran verdorben wird. Sie ist zwar im Allgemeinen nicht gerade sehr gefällig, doch war sie stets meine Freundin und kann es nicht wohl abschlagen . . . «

Sie wurde in ihren Erwägungen plötzlich gestört durch helle Stimmen die aus der Ferne ihren Namen riefen.

Sich umwendend gewahrte sie zwei Mädchen, welche eilig hinter ihr herliefen, es waren zwei ihrer Freundinnen aus dem Dorfe, Elisabeth, die Tochter des Schulmeisters und Clara, die des Leinenwebers.

»Cilia, Cilia!’« rief die Erstere athemlos, »wir erkannten Dich von Weitem . . . und da wir desselben Weges gehn, mochten wir Dich gern begleiten.«

»Gewiß,« fügte die Andere bei, »es ist gegenwärtig viel von Dir die Rede, daß wir gern aus Deinem eigenen Munde hörten, wie es denn eigentlich um Dich steht, und Du läßt Dich im Dorfe seit acht Tagen nirgendwo mehr sehn. Du bist Sonntag nicht einmal zur Kirche gewesen.«

»O warum nicht gar, ich habe Cilia in der frühmesse gesehn,« sagte Elisabeth, »aber sie muß rasch nach Hause gegangen sein, denn ich sah mich auf dem Kirchhofe vergebens nach ihr um . . . Und nun laß einmal hören, Cilia, ist es wahr, daß Du Urban Coutermanns Braut bist.«

»Gewiß, gewiß,« bestätigte Cilia, »in fünf Wochen ist die Hochzeit.«

»So bald schon! Da habt sehr gewiß alle Hände voll zu thun, es ist doch keine Kleinigkeit, alles anzuschaffen, und einen neuen Hausstand tu gründen. Und dann der Hochzeitsstaat! Ich weiß noch, wie meine älteste Schwester heirathete, da stand auch unser ganzes Haus auf dem Kopf, zwei Monate lang, es war zum toll werden!«

»Wohin gehst Du eigentlich Cilia?« fragte Elisabeth.

»Nach Plattenstein, auf den Nomaderhof, wo ich bei meiner Base etwas zu thun habe,« war die Antwort.

»Das trifft sich herrlich! Wir müssen nach Kapellenbusch, um Garn zu holen zu einem Stück Leinen, das mein Vater weben will, das ist derselbe Weg und da können wir behaglich mit einander Plaudern,« sagte Clara. »Wie schön das Wetter heute ist, nicht wahr? Laß uns doch nicht so rasch gehn, man kommt ja außer Athem.«

»Hast Du denn auch schon an Dein Brautkleid gedacht, Cilia?« fragte Elisabeth; »es gibt jetzt wieder ganz neue Moden. Zu Hal habe ich am letzten Markttage eine Braut gesehn, die trug ein Unterkleid von schlichtem gelben Stoff und darauf ein langes, vorn offenes Ueberkleid, grün mit rothen Blümchen. Das Mieder war enganschließend, mit rundem Ausschnitt, die Ärmel kurz und mit faltiger Spitze besetzt, das Käppchen war klein und wenig verziert, aber um den Kopf lag ein Kranz von weißen Atlasschleifchen, der wie eine Krone aus weißen Blumen aussah. Dass Ganze war so schön, so prächtig, daß ich mich nicht satt daran sehen konnte.«

»Und nun erzähle uns was Du anziehen wirst, Cilia,« bat Clara, »es wird ja doch kein Geheimniß sein, nicht wahr? Uns darfst Du es jedenfalls sagen.«

»Das war eine wichtige Angelegenheit,« antwortete Cilia, »während der letzten fünf Tage ist in unserm Hause nicht wenig darüber verhandelt worden, aber Gott sei es gedankt, endlich habe ich doch den Sieg davon getragen. Denkt Euch nur, meine Mutter wollte mich in ein schweres, großblumiges Kleid stecken mit Falten auf dem Rücken, als hätte man einen Höcker, und langen Nonnenärmeln, dazu eine Flügelmütze aus dem vorigen Jahrhundert, ich hätte darin ausgesehen wie ein uraltes Mütterchen.«

Die Mädchen brachen in ein lustiges Lachen aus.

»Ja, ja, die alten Leute, sie können nicht leiden, daß Unsereins sich ein wenig hübsch macht,« scherzte Clara; »es fehlte Dir dann nichts mehr als eine große Schnupftabaksdose und allenfalls eine Krücke.«

»Ich weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt,« sagte Elisabeth, »Mutter Roosen hält bekanntlich die Sachen zusammen und hat gewiß ihr eigenes Brautkleid noch einmal für ihr Töchterchen benutzen wollen.«

»Nein nein, das nicht,« fiel Cilia ein, »sie sagt im Gegentheil, daß sie keine Kosten scheue, es ist einfach Geschmackssache.«

»Und wie soll es denn nun werden?«

»Mein Anzug wird nach dem meiner Base zu Plattenstein angefertigt, die vor zwei Monaten den Bauer Dalings geheirathet hat; nur die Farben sind verschieden, ich habe noch helleres Grün und kleinere Blumen gewählt: Gestern haben wir zu Hal den Stoff gekauft und heute ist die Näherin bei uns, sie wird mit dein Zuschneiden und Einrichten beginnen, so bald ich mit dem Kleide der Base aus Plattenstein zurück bin. Ihr habt sie doch gesehn, als sie zur Kirche ging; war sie nicht hübsch, und hat man nicht allgemein rühmend von ihrem Hochzeitsstaat gesprochen?«

»Gewiß, gewiß,« bestätigten die Andern, »das Kleid ist zu Brüssel gemacht und hat eine Menge Geld gekostet.«

Der Weg wurde jetzt so schmal, daß die Mädchen einzeln gehn, und darum ihre Unterhaltung unterbrechen mußten.

»Also in fünf Wochen ist Deine Hochzeit? Und Du fürchtest nicht, daß sie verschoben werden könnte.« fragte Clara, als sie wieder nebeneinander gingen.

»Verschoben? Wie so?« fragte Cilia. »Unsere Eltern sind über Alles einig, welches Hinderniß sollte da entstehn?«

»Ja, das weiß ich nicht,« murmelte die Tochter des im Webers, »aber wenn man den Markus Corfs sprechen hört . . . «

»Was sagt er denn?« fragte Cilia.

»Er versichert Jeden, der es hören will, daß Urban Dich nun und nimmermehr haben soll und das; er Mittel und Wege wisse, Euch zu trennen; vorgestern bin ich noch selbst dabei gewesen.«

»Sinnlose Worte, leere Drohungen,« antwortete Cilia. »Unsere Eltern haben bereits einen schriftlichen Contract gemacht. Den Markus fürchten wir nicht, was will er auch machen? Mein Hochzeitstag ist festgesetzt, und nichts kann ihn hindern oder verzögern.«

»Schade ist es doch, dass Du Dich schon so früh dem Urban verlobt hattest und darum den Markus nicht lieb haben konntest;« bemerkte Clara.

»Lieb haben? Den Trunkenbold, der seine Mutter zu Tode quält?« rief Cilia lebhaft.

»Den gottlosen Flucher, den Raufbold, der vor nichts zurückscheut?« setzte Elisabeth hinzu. »Erst kürzlich bat er meinen Bruder geschlagen, als dieser Urban zu gefallen, Euren Knecht Blasius beschützen wollte. Er glaubt ungestraft Alles thun zu dürfen, weil der Amtmann sein Onkel ist.«

»Aber er hätte sich bessern können, denn seine Liebe zu Cilia ist so heiß, so tief, daß sie an Wahnsinn grenzt, ich weist das von der Magd seiner Mutter,« versicherte Clara. »Der Amtmann hatte seinem Neffen die besten Hoffnungen gemacht, der arme Junge versprach auch, ein anderer Mensch zu werden, und ich glaube er hatte Wort gehalten, denn schon jetzt trank er beinah gar nicht mehr, kam zeitig des Abends nach Haus und war gut und freundlich gegen seine Mutter. Seit er nun aber gehört hat, daß Du den Urban heirathen sollst, ist im Goldenen Apfel nichts mehr als Schmerz und Verzweiflung. Markus treibt sich ganze Tage und halbe Nächte in den Schenken herum; und kommt er einmal zu seiner Mutter, so macht er ihr das Leben zur Hölle: er flucht, schlägt um sich, wirft Alles in Stücke, was ihm in die Hand kommt . . . «

»Und ist betrunken von Morgens bis Abends, oder bis in die Nacht,« ergänzte Elisabeth.

»Es ist wirklich ein Jammer,« fuhr Clara fort, »der schmuckste Bursche aus dem Ort und dabei so reich! Herrlich und in Freuden könnte er leben und gebt nun unter um seiner Liebe willen.«

»Unsinn, er ist immer ein Trinker gewesen,« wandte Elisabeth ein.

»O nein, das ist er nicht,« widersprach Clara, »er trank wohl hin und wieder etwas zu viel, wie das dem Sohne aus einem Wirtshause ja leicht passiren kann, aber er war fleißig im Geschäft und seine Mutter konnte nicht über ihn klagen. Seit er aber ein Auge auf Cilia geworfen und erfahren hat, daß sie nichts von ihm wissen will, ist er außer Rand und Band, er weist nicht mehr, was er sagt oder thut. Einmal ruft er, daß er sich todt trinken, dann daß er Soldat werden will, dann wieder daß er ein Unglück anrichten will, ja gestern versicherte er seine Mutter, er würde am Galgen sterben. Mit einem Wort, der arme Schelm ist ganz von Sinnen und es wäre fast ein Glück zu nennen, wenn er ins Irrenhaus käme, denn Gott weiß, wie es sonst noch mit ihm enden mag. Niemand würde sich wundern, wenn man ihn eines schönen Tages todt aus dem Mühlenteich zöge.«

»Das lautet betrübt genug,« sagte Elisabeth, »aber was läßt sich daran ändern.«

»Jedenfalls ist es doch ein hartes Loos, so jung zu sterben oder den Verstand verlieren zu müssen,« fuhr Clara fort. »Wer eine solche Liebe im Herzen trägt ist nicht ganz verdorben und ich gestehe es frei, wenn Markus mich geliebt und meine Hand begehrt hätte, ich würde ihn nicht zurückgewiesen haben, in der Hoffnung, ihn noch retten und einen braven Mann aus ihm machen zu können. Sein Schicksal flößt mir tiefes Mitleiden ein . . . Aber Du sagst ja gar nichts, Cilia, fühlst Du denn nicht auch einiges Erbarmen mit dem armen Markus, der doch nur deshalb so unglücklich ist, weil er Dich zu sehr liebt?«

»Was soll ich dazu sagen?« antwortete die Gefragte mit einem Seufzer. Ich bedaure ihn von Herzen, und wenn ich ihn in anderer Weise trösten könnte, thäte ich es gewiß. Urban aber liebe ich seit Jahren, während ich zu Markus nicht den Schatten einer Neigung empfinde, – vielmehr das Gegentheil. Meine Schuld ist das doch sicher nicht.«

»Keineswegs Cilia; die Liebe kommt von selbst, sie läßt sich nicht erzwingen.«

»Hier müssen wir scheiden,« sagte Clara, als die an einem Kreuzwege stehn blieben; »wir gehen gerade aus nach Capellenbusch, Du, Cilia mußt rechts über den Bach . . . Sonntag ist Kirmes zu Beersel; gehst Du nicht auch hin?«

»Natürlich,« versetzte Cilia, »es wäre ja das erste Mal, daß ich meinen Ohm zu Beersel nicht zur Kirmes besuchte. »Ich bleibe gewöhnlich bis Dienstag.«

»Ja, aber nun Du so bald schon heirathen willst?« . . . bemerkte Elisabeth.

»Was schadet das, wenn Urban auch hingeht? Außerdem wird nicht getanzt, das hat der Pastor verboten. Das Fest fällt aber doch gewiß schön aus; es sind feine Preise für die Bogenschützen zu gewinnen.«

»Adieu denn bis Sonntag spätabends,« riefen die Mädchen einander noch zu und schlugen dann die bezeichneten Richtungen ein.

Cilia schritt über die kleine Brücke, welche über den Bach führte, und setzte dann ihren Weg durch das offene Feld fort. Sie ließ allmählich den Kopf aus die Brust sinken und verlor sich in traurigen Gedanken. Claras Worte, die sie schweigend und wie im Traum angehört, hatten doch ihr Mitleiden geweckt, sie war nicht mehr abgeneigt zu glauben, daß des Markus leidenschaftliche Liebe zu ihr die Ursache seines schlechten Verhaltens und seines Unglücks sei, und es regten sich sanftere Empfindungen gegen ihn in ihrem Herzen, sie wiederholte es sich, daß sie alles Mögliche aufbieten möchte, um Markus aus der Verzweiflung zu retten, aber ihn lieben, das war unmöglich, wäre auch dann unmöglich gewesen, wenn sie Urban nicht gekannt hätte.

Den Blick zur Erde gerichtet kam sie jetzt zu einer Stelle wo der Feldweg sich in einem Gehölze verlor und an beiden Seiten von hohen Bäumen beschattet war.

Da hörte sie plötzlich ihren Namen aussprechen; sie erkannte die Stimme, noch bevor sie den Kopf erhoben hatte, erbleichte und hemmte ihren Schritt, wie von einem unsichtbaren Schlage getroffen. Im nächsten Augenblick stand Markus vor ihr.

Er war ein schlanker kräftiger Jüngling; seine Züge hätte man schön nennen müssen, wären nicht die Spuren einer wüsten, ausgelassenen Lebensweise ihnen ausgeprägt gewesen; auch seine Kleidung war vernachlässigt und befleckt.

Markus sah das zitternde Mädchen mit einer Art von Begeisterung an. Ein Lächeln schwebte auf seinen Lippen, seine Augen glänzten vor Bewunderung und Freude.

»Gott sei gepriesen für das unverhoffte Glück, Dir hier in der Einsamkeit zu begegnen, Cilia,« rief er aus. »Nun kann ich Dir doch sagen, welche Hölle Du in meinem Herzen entzündet hast.«

Das Mädchen versuchte weiter zu gehn.

»Laß mich vorbei, Markus,« sagte sie, »ich habe eine eilige Besorgung.«

Er aber vertrat ihr den Weg.

»Zuerst höre mich an ich bitte Dich,« antwortete er; »Du willst fort? Ich lasse Dich nicht, ach verweigerte mir nicht diesen letzten Trost, oder Du unterzeichnest mein Todesurtheil, das meiner Mutter und vielleicht noch Anderer. Du zitterst, Cilia? Du fürchtest Dich vor mir? Bleib stehn, nur einen Augenblick, Du hast von dem unglücklichen Markus keine Beleidigung zu erwarten . . . ich bin ja jetzt nicht betrunken, höre was ich Dir zu sagen habe, aus Mitleiden.«

»Nun so sprich rasch,« murmelte sie.

»Cilia, Cilia,« begann er darauf mit gefalteten Händen, »wenn Du wüßtest, wie ich Dich liebe. Worte sprechen es nicht aus, es ist Wahnsinn, Raserei! Ich hatte mir das Glück geträumt, Dich besitzen zu können, ich wollte mich bessern, um Deiner werth zu sein, wollte Dich und meine Mutter glücklich machen, Euch umgeben mit allem was der Reichthum schaffen, die Liebe erfinden kann. Wie ein Sclave wollte ich zu Deinen Füßen knien, um auch nur Deine Freundschaft zu erwerben, Du solltest meine Heilige, mein Schutzengel sein, die Erlöserin meiner armen Seele, die Retterin meiner Mutter . . . Du wendest Dich ab, Cilia, vergönnst mir selbst keinen Blick des erbarmens? Du willst also, daß ich sterbe? Du willst den Tod meiner Mutter?«

»Nein, nein Markus, das will ich nicht,« stammelte sie tief bewegt, »könnte ich Dich trösten, Dir helfen, ich thäte es mit Freuden, aber . . . «

»Du kannst es, wenn Du Urbans Hand ausschlägst, und meine Frau wirst, meine endlose Liebe annimmst und das glücklichste Leben, den Reichthum, den ich Dir zu Füßen lege . . . «

»Armer Mensch,« seufzte sie mit einem stillen Lächeln, das mehr als Worte bezeugte, wie sinnlos das Begehren des Markus ihr erschien.

»O ich sehe ein, daß Du nicht plötzlich mit Urban brechen kannst,« fuhr er fort, »aber um Gotteswillen Cilia laß mich hoffen . . . «

»Hoffen? Was kannst Du hoffen?«

»Verschiebe die Hochzeit.«

»Das geht nicht, Markus? und was sollte es auch nützen?«

»Es würde wenigstens mein Leben verlängern; und wer weiß, später bist Du vielleicht weniger grausam gegen mich.«

»Schlage Dir die thörichten Gedanken aus dem Sinn,« versetzte sie, indem sie einige Festigkeit in ihre Stimme zu legen suchte. Ich liebe Urban seit meiner Kindheit und so lange ich lebe werde ich Ihn lieben; laß daher alle dahin gehenden Hoffnungen fahren.«

Ein dumpfer Fluch trat auf die Lippen des jungen Mannes, er rang verzweiflungsvoll die Hände.

»Dein Leiden schmerzt mich, Markus,« fuhr sie fort, »aber das Herz läßt sich nicht zwingen . . . Länger als es sich geziemt habe ich Deinen Worten Gehör geschenkt, nun muß ich meinen Weg fortsetzen . . . Wie, Du willst mich hindern, Du wagst es, mich gewaltsam aufzuhalten?«

»Ja, gewaltsam wenn es sein muß,« rief er und faßte sie kräftig am Arm. »Schrei nur um Hilfe, ich bin gerade in der Stimmung, dem Ersten, der hinzuläuft, den Kopf einzuschlagen. Bleib, ich will es, ich befehle es Dir!«

»Cilia verhielt sich still; jetzt hatte sie wirklich Ursache, sich vor Markus zu fürchten, denn seine Augen glühten und seine Lippen verzogen sich zu einem irrsinnigen Grinsen.

»Es steht also unwiderruflich fest?« fragte er düster; »selbst bei der vollen Überzeugung, daß Dein Hochzeitstag der Tag meines Todes sein wird, willst Du den Sieg Urbans um keine Stunde hinausschieben, willst zugleich meine arme Mutter ins Grab stoßen? In fünf Wochen, nicht wahr? Antworte Cilia!«

»Ich darf Dich nicht täuschen,« erwiederte sie mit einem Seufzer.

»Du würdest mich täuschen, aus Mitleiden würdest Du mich täuschen, wenn Du mich nicht haßtest,« rief er, »aber ich weiß es nur zu gut, Du wünschest daß der arme Markus von der Welt verschwinde, um Dich ungestört Deines Glückes an Urbans Seite zu freuen! Wohlan Dein Wunsch soll erfüllt werden! Ich will trinken jeden Tag und Nacht bis mir nur eben noch die Kraft bleibt, den Tod und die Hölle im Wasser zu suchen! . . . Und wenn Du dann die Leiche des armen Thoren auf dem Schindanger verscharren, wenn Du auch seine Mutter zu Grabe tragen siehst, so mußt Du Dir sagen: Dies ist mein Werk, ich habe sie ermordet . . . Lebe wohl, Cilia, Du hast es so gewollt, lebe wohl! . . . Aber bis es so weit kommt, wirst Du noch von mir hören! Du bist noch nicht getraut, nein bei dem Teufel, dem ich meine Seele übergebe, Du bist noch nicht getraut!«

Schreckliche Flüche ausstoßend, schlug er dann den Weg nach Dworg ein und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Cilia, dir beinah bewußtlos vor Schrecken auf eine Rasenbank niedergesunken war, hatte glücklicher Weise seine letzten Worte nicht gehört.

Eine Weile noch lag sie still da, ohne sich zu bewegen, dann blickte sie ängstlich umher, und als sie sich überzeugt hatte, daß Markus fort war, verbarg sie das Gesicht in beiden Händen und begann bitterlich zu weinen.

»Armer Markus, flüsterte sie, »sein Loos ist schrecklich, aber bin ich Schuld daran?« Ach daß der liebe Gott ihn auf andere Gedanken brächte . . . «

»Wie entsetzlich die Flüche klangen aus seiner heiseren Kehle! Gewiß er ist wahnsinnig und zu Allem fähig!«

Sie stand auf und trat in die Mitte des Pfades, wie um ihren Weg fortzusetzen, doch hielt sie zögernd inne; sie glaubte die Stimme des Markus gehört zu haben und konnte ihm also noch einmal begegnen.

Dieser Gedanke machte sie zittern; mit einem tiefen Seufzer wandte sie sich um und lief raschen Schrittes ihrem Dorfe wieder zu.

Als sie das heimathliche Dorf erreicht hatte und die Mühle ihres Vaters liegen sah, eilte sie zuerst dahin, doch noch einmal besann sie sich eines andern. Ihre Mutter und die Näherin warteten ungeduldig auf das Kleid der Base; wenn sie ohne das Kleid zurückkehrte, so würde ihre Mutter daraus Veranlassung nehmen, den Brautstaat doch nach altmodischem Schnitt anfertigen zu lassen, und das wollte Cilia nicht.

Sie ging an der väterlichen Wohnung vorbei, dem Coutermann’schen Hofe zu.

Urbans Mutter war gerade von Hal zurückgekommen und die ganze Familie bewunderte eben ein Stück bunten Baumwollstoffes, das sie von dort mitgebracht hatte, um neue Bettgardinen daraus zu machen.

Urban bemerkte die eintretende zuerst, und rief erfreut:

»Ei sieh da Cilia, Du kommst, wie immer zur rechten Zeit! Betrachte doch nur das hübsche Zeug mit den vielen Blumen darin! Meine Mutter schmückt das Hans, wie ein kleines Schloß, zu Ehren des herannahenden Hochzeitstages . . . Doch wie siehst Du aus? Du hast geweint? Deine Mutter wird doch nicht . . . «

Cilia begann ihre Erlebnisse mit Markus zu berichten, und wiewohl sie sich alle Mühe gab, die ärgsten Dinge abzuschwächen, rückten doch Urban und sein Vater vor Entrüstung unruhig hin und her und unterbrachen mehr als einmal ihre Erzählung.

»Ruhig, Urban,« sagte der Vater, »laß Cilia doch wenigstens fortfahren. Bis jetzt sehe ich noch kein großes Unrecht in der Sache. Bezwinge Deinen Verdruß, Du bist zu auffahrend.«

Und gleich darauf sagte Urban bittend:

»Aber lieber Vater, Du läßt Cilia nicht aussprechen! Rege Dich doch nicht auf, ich bin ja der zunächst Betheiligte.«

Als aber dann das Mädchen erzählte, wie sie hatte fliehen wollen und von Markus gewaltsam zurückgehalten sei, sprangen Vater und Sohn gleichzeitig aus und riefen mit den Füßen stampfend:

»Was! er hat gewagt, Dich anzurühren? Deinen Arm festgehalten, Dich gezwungen, seine trunkenen Reden anzuhören? Das übersteigt alle Grenzen, es ist zu arg . . . So was darf nicht wieder vorkommen, dem müssen wir dem ein Ende machen . . . noch heute, ja noch heute!«

Urban holte einen dicken Knotenstock aus der Ecke und wollte damit aus dem Hause; sein Vater aber hielt ihn zurück und sagte in befehlendem Ton:

»Was soll das heißen? Was hast Du vor, Unvorsichtiger? Setze sofort den Stock auf seine Stelle und Dich auf Deinen Stuhl! Hörst Du nicht was ich sage?«

Langsam und widerstrebend gehorchte der junge Bauer; als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, sagte der Pächter, der den eignen Zorn bezwang, um seinen Sohn, zu beruhigen:

»Man soll sich niemals von seinem Aerger hinreißen lassen, Urban, die Reue bleibt sonst selten aus kommt aber meist zu spät. Wohin wolltest Du mit dem Stock?«

»Ich wollte Markus aufsuchen und ihn zur Rechenschaft ziehn, auch nöthigenfalls . . . Doch bin ich schon etwas ruhiger, Vater, und ich sehe ein daß ich Unrecht hatte.«

»Gewiß hattest Du Unrecht, warst thöricht obendrein. Markus ist weit stärker als Du und nichts wäre ihm lieber, als wenn Du ihm Gelegenheit bötest, Dich zu mißhandeln. Ich selbst gehe heut Nachmittag zum »goldenen Apfel« und sage dem Burschen, daß ich ihm den Hals umdrehe, falls er Cilia noch einmal zu belästigen wagt.«