Helmut Lauschke
Flüsterstimmen hinter der Pforte
Ruf an einen guten Freund
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Glut, Zorn und Zecken
Das erste Morgenlicht
Das Bild des Menschen ist verzerrt
Wert des Lebens und die Verantwortung
Am Tor der alten Heimat
Ethik und was dazugehört
Studenten finden sich auf dem Platz ein
Sophon spricht zu Schülern und Studenten
Ruf und Beruf
Ethik in der Unvollendung
Sophon setzt sich an den Schreibtisch zurück
Die Relativität der Lebensdauer
Vom Wissen
Es klopft an die Tür
Morgendlicher Spaziergang
Sonderliche Nachmedidation
Impressum neobooks
Ruf an einen guten Freund
Otto Jahrreiß (1936 [Dresden] – †1964 [Köln]), dem herzlich guten, musikliebenden Freund und hilfsbereiten, motivierten und hochbegabten Menschen und Kollegen (1961-1963 im selben Arbeitsraum) im Institut für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Universität Köln
Seine Mutter:
Stolperstein für Ruth Jahrreiß auf der Schurichtstraße 3 in Dresden (ausgeführt: 1. Dezember 2012)
Hier wohnteRuth Jahrreiss geb. Mannheim Jg. 1902 „Schutzhaft“ 1942 deportiert 1942 Auschwitz ermordet 23.12.1942 | Ruth Jahrreiß, auch Jahreiß, wurde am 2. Januar 1902 in Berlinchen geboren. Sie war Zeichenlehrerin. Mit ihrem Ehemann Robert Otto Jahrreiß, der kein Jude war, hatte sie zwei Söhne. Sie wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet und vermutlich nach einer Denunziation 1942 verhaftet und in das KZ Auschwitz deportiert. |
Meine tiefste Verbeugung vor dieser Mutter, die die furchtbarsten Grausamkeiten des aberwitzigen rassistischen Systems durchlitt. L
Glühend steigt der Sonne Feuerball,
drückt zurück die Nacht ins dunkle Weltenall,
schlaflos waren die nächtlichen Stunden,
Menschen kommen ohne Krach nicht über die Runden.
Gerötet sind die Augen und trocken die Lippen,
leer sind die Mägen und raus stehen die Rippen,
auch Wasser gab es nicht, nicht zum Verrecken,
stattdessen gab es Moskitos und beißende Zecken.
Die, die das Wasser tranken, waren fett und rund,
sie waren ständig am Zanken mit vollem Mund,
denn auf ihre Bäuche ließen sie nichts kommen,
da schlugen sie manches Bewusstsein unbenommen.
Es waren Politiker und ihre gehorsamen Schergen
mit dem Wohlstand und den Hirnen von Zwergen,
sie spuckten den Rest Wasser den Durstigen ins Gesicht,
die öffneten die Münder, als stünden sie vor Gericht.
So ist es in der Welt mit dem verfluchten Geld,
dass sich mancher blind, ein anderer taub sich stellt,
wenn es drauf ankommt mit dem Stückchen Brot
und dem Geben, dann sehen viele die Fahne mit dem Rot.
Darüber hinaus kommt es vor und nicht nur am eisernen Tor,
dass Menschen statt Brot den Stein überreichen wie zuvor,
weil sie den Stein als Ausdruck der Herzenshärte sehen,
den der Wind nicht wegblasen kann und nicht verwehen.
Um das zu verstehen, braucht’s mehr Hunger und Verstand,
dann liegen Köpfe, Arme, Beine und Rippen im Sand,
die keiner wegholt, wegräumt, ordnet und begräbt,
weil der Name fehlt und keiner die Ursache versteht.
Man sollte es den Herren des Hauses sagen,
lauter sollte man es ihnen in die Ohren blasen,
die als Funktionäre die großen Reden schwingen,
doch schweigen, wenn die in der Not ihr Liedchen singen.
Da ballen sich tausend Fäuste in leeren Taschen
bei denen, die chronisch hungern und husten,
weil ihnen die Tuberkulose nicht nur im Nacken sitzt,
die ihnen den Tag grau macht und das Leben kürzt.
Sie standen Schlange fürs Brot und bekamen Steine,
viele fielen und waren tot, jeder dachte das seine
vom Leben fürs Leben, das Mütter der Zukunft geben,
wenn Generationen nach vorn schreiten und streben.
Wenn Steine schlagen statt menschlich gebender Herzen,
dann stehen Städte in Flammen und Kinder in Schmerzen,
denn die Familien sind zerbrochen im Fehlen der Väter
und aus klaffenden Gräben und Löchern ruft der Verräter.
Aus den Tiefen kommen die Rufe und von allen Seiten
von denen, die schliefen und träumten in den Weiten,
dass das Leben anders sei mit den duftenden Wiesen
in den sonnigen Hängen der Almen bergiger Riesen.
Der Morgen im nächtlichen Tau der Blätter und Gräser
hebt in der Berührung der Finger die vollen Gläser
mit den Säften aus wilden Früchten und Blütenhonig
zu neuen Kräften, den Tag zu erkennen im Lichte des Jonisch.
Was Jugend betrifft, sie braucht die führende Hand
zur Disziplin und zum Lernen im ruinierten Land,
dass sie nicht vergammelt schon in jungen Jahren,
um Intelligenz und ihre Aufbaukräfte zu bewahren.
Es muss gesprochen werden in klaren Sätzen,
Vision, Fleiß und Stärke braucht’s auf diesen Plätzen,
damit es mit dem Wiederaufbau vorwärts geht
und das Bauwerk der Zeit der Wind nicht verdreht.
Die Fremden kommen, man nennt sie Immigranten,
die bekommen Essen und Schlafplatz als Asylanten
kostenlos gestellt und das für nichts und wieder nichts,
weil sie die Heimat verlassen und verloren haben.
Sie kommen mit Frauen und Kindern und bringen
noch die alten Menschen mit.
Dazu sprechen sie eine unbekannte Sprache
und krümmen keinen Finger,
dass sie ohne Arbeit das bessere Leben haben.
Der Mensch muss das Helfen wieder lernen,
wenn es um die Hungernden und Kinder geht,
die das Zuhause und als Kinder die Eltern
verloren haben. So spricht ein hiesiger Politiker
vom übervollen Tisch im Haus seiner Heimat.
Max und Otto:
Das verstehen wir nur zu gut,
denn auch uns fehlen der Vater oder
die Mutter, der Bruder oder die Schwester
und legen uns krumm, ihr seht’s an unserer Magerkeit.
Wir hungern uns durch Tag und Wochen,
und sind Menschen wie du und er,
wir sind Asylanten im eigenen Land,
das ist dir, du Politiker, doch lange bekannt.
Paul:
Wir sind hier, uns beißen die Hunde,
der Hunger schwächt uns mehr mit jeder Stunde,
dabei sind wir verwandt um die nächsten Ecken,
haben als Kinder geteilt das Brot und die Decken.
Die Nachbarhilfe, die gute, stand jedem zu,
Einer sorgte für den andern und dessen innere Ruh
ob bei Tage oder Nacht, stets hielt einer Wacht,
denn das Leben braucht den andern wohlbedacht.
Wer andern im Geheimen die Zunge raussteckt,
Ist einer von vielen, der nur an sich selber denkt
und den Mut nicht hat, über sich hinaus zu blicken,
um das Kind mit den großen Augen zu beglücken.
Ein Herr aus der Menge:
Immer das Gerede, und es tut sich nichts.
Es ist schon schlimm, wie voll sich das Mundwerk nimmt
mit den abgedroschenen Sprüchen von Gleichheit und Recht,
das ist, wenn es in die Praxis geht, doch nicht echt.
Denn in Wahrheit gilt die Gleichheit nur unter den Armen,
die das Dauerproblem mit dem fehlenden Brot und Geld haben,
dass da keiner dem andern auf den Teller sieht,
weil der meist leer und ohne eine Krume ist.
Diese Gleichheit sieht man den Armen von weitem schon an,
so den Kindern mit den schmalen Gesichtern,
dass da nichts zu verstecken ist, weil es nichts zu verstecken gibt,
was nur der notorische Rechthaber in Zweifel zieht.
Arme dünn, Beine dünn, nicht anders sind die langen Hälse,
das Leben quält die Armen, deren Schuld die Armut ist.
Dazu zählen, zur großen Schande sei’s gesagt, das Kind,
das in der Ecke hockt mit aufgebissener Lippe und schweigt.
Es sind die alten Unterschiede in so vielen Dingen,
dass sich der Wohlstand auf die Wenigen beschränkt,
während Hunger und Härte die Vielen bedrängt,
die mager und wehrlos ums nackte Dasein ringen.
Die Sprache von oben ist hart und rücksichtslos,
von unten kommt das Stöhnen zwischen Wort und Ruf.
Es ist das Bangen um den Erhalt des Provisoriums,
weil in ihm die Matratze für Kopf und Körper ist.
Hinzu kommt, dass die Gutgenährten sich tragen lassen
von den Mageren mit den dünnen Armen und Beinen,
den Ausgemergelten quasi auf den Schultern sitzen,
die sich unter den Lasten krümmen und zu Tode schwitzen.
Dass sich die Menschen von Armut und Elend plagen,
sind schon Geschichten, die es aus dem Altertum bekagen,
wenn die Plebejer die langen Straßen pflastern,
während die Patrizier vom hohen Ross herab lästern.
Die Welt ist geblieben, was sie war, vom gleichen Schlag,
das spüren Menschen der harten Arbeit Tag füt Tag.
Dafür danken die Wenigen auf den Höhen der Geburt,
dass ihnen die Härte der Lasten abgenommen wurde.
Andere sind’s, sie sprechen von Vernunft und Gerechtigkeit,
was immer das ist, das der gründlichen Erklärung bedarf,
weil von Gerechtigkeit so wenig und vom Gegenteil so viel
zu sehen ist, dass der Zweifel viel mehr als nur möglich ist.
Sieht man die Toten, Menschen, die für’s Gute ihr Leben gaben,
dann glaubt man den Geboten: Du sollst nicht töten,
doch zweifelt am Menschen, dem es gilt, warum er’s weiter tut,
anstatt den Krieg und nicht den Menschen zu hassen.
Aus den Lehren erwächst die Forderung der Jugend,
die junge Brücke der Verständigung nicht wieder zu sprengen,
sondern zu festiigen, zu beleuchten und gehsicher zu machen,
damit Menschen von beiden Seiten aufeinander zugehen und sich umarmen.
Versöhnung ist dringendst vonnöten, dass Wert und Würde
ins Leben kommen, denn das Leben ist nur zeitlich
und von kurzer Dauer, die nicht noch weiter zu verkürzen ist,
dass sich der Geier in Menschengestalt am Profit überfrisst.
Max, Otto und Paul:
Das haben wir gelernt:
Die Jugend irrt in ihrem Streben,
dass der Meister ruft: Man sollt’ euch eine kleben,
denn für’s Leben, wie es ist, seid ihr noch zu dumm,
denn wenn’s drauf ankommt, bleibt ihr stumm.
Schlägt der Hammer die Schwere auf den Amboss,
dann schallt die Macht des Augenblicks tief ins Gehör.
Die Furcht brennt zur Angst und türmt sich hoch,
dass Meißelschläge die Form des Tages prägen.
Politiker:
Gebt endlich Ruh,
ich muss an den Schreibtisch zurück,
um an der Rede zu arbeiten,
die ich vor den Menschen der Verwaltung
zu halten habe.
Der Herr:
Ihr hört’s: Die Politik wird in
die Verwaltung getragen,
denn an die harte Arbeit kommt sie nicht heran.
Man kann sagen: Politik ist für die Sitzenden,
den Stehenden mit dem Meißel in der Hand
und den anderen mit den schlagenden Hämmern
hat sie nichts zu sagen.
Dem neuen Tag brennen die Augen entgegen,
macht schon das Gestern im Denken verlegen,
wie das Leben heute und morgen werden kann,
wenn nichts mehr steht, was jahrhundertelang stand.
Aus der Dämmerung steigt das Licht in den Morgen,
wieviel mehr wär aus der Wahrheit in den Tag zu borgen,
um Fehler und Verfehlung von gestern zu meiden
und den Stolz zu spüren, wenn Jungtiere weiden.
Es sollen Wiesen sein im frischen Nachttau,
dass sich junges Leben im Wohlbefinden stellt,
es sind die Tropfen an Blättern und Gräsern,
sie fallen im All der Unschuld und rollen herab.
Ich sehe die frühen Menschen mit ihren Sorgen
in den von Müdigkeit tief geröteten Augen,
denn ihnen geht die Arbeit bis in die späten Stunden,
kaum einer, der über die Jahre es schafft mit den Runden.
Menschen blicken ernst und dunkel,
nicht einer sprüht Freude im Augenfunkel.
Gekrümmt gehen sie schon in jungen Jahren
und andere am Stock, wie alte Menschen waren.
Was geht denn an in dieser lauten Welt,
wenn sie den Menschen nicht gefällt?
Sie werden Opfer der Gier nach Macht
und führen ein Leben, das für andere schafft.
So ist vieles anders, wie es einmal war,
die Hände sind ungeschickt geworden,
sie brechen Dinge der feineren Art,
dass man ihnen nicht mehr trauen kann.
Hinzu kommt die Verbiegung von Wahrheit und Moral,
manches geht verloren, anderes wird zur Qual.
Da bleibt an diesem Morgen keine weitere Wahl,
als den Weg nach Norden oder Süden zu nehmen.
Menschen sagen Dinge, die nicht immer stimmen,
ob am Morgen oder Abend oder zwischendrin,
so bei Tische oder auf den Plätzen und den Straßen,
wenn die Zigaretten noch glimmen über die Maßen.
Nicht alles dient der unbedingten Sauberkeit,
weniges nur verbindet sich in der Höhe der Moral,
dass das Bild von Hand und Kopf die Wahrheit spricht,
das Wort in den Silben den Charakter nicht verdreht.
Dabei mühen andere sich ab, die Arbeit ordentlich zu tun,
sie schaffen mit den Händen und wollen nicht ruhn,
solange es mit der Sauberkeit in den Straßen nicht stimmt
und sich der Mensch auf den Plätzen unsauber benimmt.
Es geht ums Füllen der Löcher und Schließen der Dächer,
damit der Regen nicht weiter in die Zimmer kommt,
auch wenn die Granate das Mauerwerk zerbombt,
dass zu den Seiten sich öffnen die Buch- und Kleiderfächer.
Keine Frage ist’s, das Leben ist schwerer geworden
für die Familien mit Kindern, wo der Vater fehlt,
und für die Alten, wo das Leben arm und ruhelos vergeht,
die in Mänteln und abgegriffenen Mützen den Tag durchsitzen.
Da ist der Mond, er schickt sein letztes Licht
mit in den Tag, es ist der leuchtende Anhang
aus der letzten Nacht mit dem letzten Traum,
dem verworfenen Garten mit dem gefallenen Baum.
Der Pfad hat sich geweitet, den viele Füße gingen,
wo meine Füße fühlten den nächtlichen Tau.
Vergangenheit ist’s, die sich wieder meldet,
wenn Sonnenlicht die Blätter wellt und trocknet.
Der Morgen hebt, der Morgen klafft, er schafft,
erwacht und öffnet weit die Menschenaugen.
In ganzer Weite legt der Tag sich vor euch aus,
so schafft, geht nicht unverrichteter Dinge nach Haus.
Die Seelen toben, andere schmerzen,
innere Stimmen loben bis zum Herzen,
Gewalten sind’s, die an ihnen reißen,
den Menschen zu achten und nicht zu beißen.
Die Stunden gehen weiter und das unbemerkt
durch Tag und Woche und durchs ganze Jahr,
Freud’ und Liebe haben die Jugend gestärkt,
die begibt sich auf den Weg die Hoffnung, das ist wahr.
Zeichen kommen, die nicht aus den Blicken weichen,
sie heben und senken und den alten Zeichen gleichen,
wenn sich der Natur die Kräfte entstülpen
und Blüten und Blumen sich formen zu Tulpen.
Weitende Öffnungen sind’s hin zu den Taten,
was sollt’ man der Jugend da noch raten,
als die Kräfte einzusetzen am stechenden Spaten,
um den Boden zu wenden für die neuen Saaten.
So liegt, wie so oft, die Bedeutung im Morgenrot,
wenn die Welt aufs Neue zum Ganzen sich dichtet
und der Kosmos nach seinen Kräften sie richtet,
dass Quellen das Leben berauschen mit neuem Brot.
Auf den Schwingen frühmorgendlicher Flügelschläge
erwachen die Erwartungen der ausgehenden Nacht,
sie werden ins Licht an die Grenzen der Hoffnung getragen,
wo sie stoßweise im Crescendo-Widerhall sich schlagen.