Mnais und Ginevra

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Mnais und Ginevra
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Heinrich Mann

Mnais und Ginevra

Heinrich Mann

Mnais und Ginevra

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

EV: R. Piper, München und Leipzig, 1906

1. Auflage, ISBN 978-3-962818-47-0

null-papier.de/713


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Inhaltsverzeichnis

Mnais

Gi­nevra deg­li Amie­ri

I.

II.

III.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Mnais

Soll ich her­ab­stei­gen? Wür­dest du sehr er­schre­cken, wenn ich’s täte? Ja, horch, ich bin’s, zu der du im ge­hei­men be­test, wenn wie jetzt der Mond um mein Ge­büsch her­f­lim­mert. Du meinst, ich wüss­te nicht um dich, ar­mer Kna­be, und nennst mich dei­ne tote Nym­phe. Ich bin kei­ne Göt­tin und nicht tot, Mnais bin ich, eine Si­ku­le­rin, seit lan­ger, schlimm­lan­ger Zeit in Mar­mor ge­fes­selt, einst aber mei­ner sü­ßen Glie­der froh und der Son­ne, die Gold­rei­fen um sie bog, und des Quells, der sie kühl und hart mach­te, und des Schat­tens, der die aus­ge­streck­ten mit den Ab­bil­dern klei­ner Blät­ter spren­kel­te. Hir­tin war ich; und am Grun­de des Ta­les, un­ter Far­nen saß ich, und mei­ne Hand drück­te die Eu­ter des ge­dul­di­gen Mut­ter­scha­fes in den ir­de­nen Krug aus. Nun ward es Abend; kla­gend rie­fen die Hir­ten von den Kup­pen der Ber­ge ein­an­der zu; und ich trieb, den Milch­krug hoch auf mei­nen blon­den Flech­ten, die Her­de heim. Sie um­dräng­ten mei­ne Füße; die Lei­ber der al­ten schau­kel­ten wol­lig; die jun­gen er­ho­ben blö­kend ihre hel­len Mäu­ler zu mir; und ich war mit­ten in ei­nem Ge­trip­pel wie von vie­len Re­gen­trop­fen, und in ei­nem war­men, be­freun­de­ten Duft. Den Wan­de­rern bot ich einen Trunk aus mei­nem Kru­ge. Der gab mir eine Mün­ze da­für und je­ner ein Stück Mais­ku­chen. Ein Hir­te aber, Kru­pas, der nach Bö­cken riecht und dem ihr Fell um die Knö­chel zot­telt, griff in mein Ge­wand. Ich riss mich los, wie schon oft, und sprang über den Steg. Wa­rum aber schüt­tel­te dies­mal mich Zorn? Ich reck­te über mei­ne Her­de hin­weg, denn sie ver­sperr­te ihm den Weg, die Hän­de nach dem Be­gehr­li­chen und rief ihm Schmä­hun­gen zu. Er lach­te, und ge­kränkt dreh­te ich ihm den Rücken. Am Ran­de des Oli­ven­fel­des aber hielt ich den Fuß an und be­dach­te, dass der Krug, mein schö­ner, rot­ge­brann­ter, mit der flie­gen­den Nike, mir vom Kopf ge­stürzt und zer­bro­chen war. Hin fiel ich da und schrie Wehe und ver­wünsch­te, die Arme zum Him­mel er­ho­ben, den Ver­der­ber. Ach! nicht hat ihn, wie ich’s er­fleh­te, der Blitz hin­ge­streckt, und si­cher war er von ei­ner nei­di­schen Gott­heit ab­ge­sandt – denn mit dem Zer­bre­chen des Kru­ges be­gann die Stra­fe mei­nes har­ten Ge­schickes.

Zwi­schen den sanf­ten Öl­bäu­men stürz­te ich die Erd­stu­fen hin­an und klag­te es den gu­ten Gott­hei­ten der Bäu­me, wie viel ich ver­lo­ren habe. Auch mei­nen Scha­fen jam­mer­te ich’s vor. Der Krug, den der Va­ter aus Sy­ra­kus mit­brach­te! Die Mut­ter wird mich schla­gen, sie wird mich ver­flu­chen! Da trat aus ih­rer Hüt­te, un­ter dem wei­ßen, un­be­kann­ten Baum her­vor, Rhus, die Hexe, und rief:

»Ei, hole dir einen neu­en beim Ti­man­der!«

Schrei­end floh ich; naht ihr doch nie­mand ohne Ban­gen; kein Bur­sche der Ge­gend, mag sie im­mer­hin eine schö­ne Frau sein, tritt in ih­ren Dienst, aus Furcht, dass sie ihn ver­zau­be­re; und nie­mals auch bleibt ein frem­der Knecht ihr lan­ge im Hau­se. Ei­nes Ta­ges fehlt er, und statt sei­ner ist ein Esel da oder ein Bock, den vor­her nie­mand ge­se­hen hat­te. Sie aber rief mir nach:

»Zum Ti­man­der geh’, dem Künst­ler, dro­ben in der Vil­la des Faus­tus!«

Wa­rum muss­te ich ge­hen? Groß war die Furcht vor der Mut­ter. Die Her­de schick­te ich heim und am Ber­gab­hang durch­schritt ich die Obe­lis­ken des Rö­mers. Zwi­schen den stei­len Cy­pres­sen eil­te über die stei­ner­nen Trep­pen das Was­ser, schwemm­te Nym­phen mit, von Tri­to­nen ver­folgt, und be­spritz­te die grü­nen Fau­ne, die im Schat­ten lach­ten. »Wo ist Ti­man­der?« rief ich, und »Ti­man­der!« ant­wor­te­te hin­ter den düs­ter glän­zen­den Laub­mau­ern eine Drya­de. Ich such­te, und ich ver­lor mich in den lan­gen dunklen Lau­ben, wo über­all Bil­der der Gar­ten­göt­ter mich er­schreck­ten und ver­spot­te­ten. Der Aus­gang end­lich brann­te, ja, ihn um­stan­den rote Flam­men, und in wil­der Angst wen­de­te ich den Fuß. Wie aber auch das Ende des nächs­ten Blät­ter­gan­ges rot be­leckt war, woll­te ich lau­fend hin­durch, und lau­fend und in mei­nem Her­zen be­tend, ge­lang­te ich auf eine Wie­se, die ganz voll ro­si­gen Him­mels hing. Stein­bil­der la­gen um­ge­stürzt im Gra­se, und tö­ner­ne Krü­ge und – ihr Göt­ter! – der da glich ganz dem mei­nen! Nimmst du ihn, Mnais? Nimmst ihn und schleichst zu­rück? Ich späh­te um­her: Da ent­deck­te ich zwi­schen den Bü­schen ein nied­ri­ges Haus und im Dun­kel der Tür einen Jüng­ling, der mich an­sah. Mei­ne Arme san­ken her­ab, die lie­ben Knie zit­ter­ten mir.

Er trat auf die Schwel­le; Ti­man­der war’s; und er sag­te lä­chelnd:

»Nimm dir den Krug, da du ihn dir ja wün­schest, und geh nur!«

Ich bück­te mich nach dem Kru­ge; aber an­statt zu ge­hen, frag­te ich:

»Was tust du? Du bist Ti­man­der? Und dies ist dein Haus?«

Er lä­chel­te noch; oder war’s der ro­si­ge Him­mel auf sei­nem Ge­sicht? Ja, viel­leicht war sein Lä­cheln der Him­mel selbst. Und er ant­wor­te­te:

»Ich su­che in die­ser Ton­er­de den Gott.«

Rasch beug­te ich mich dar­über.

»Drücke dei­ne Hand hin­ein«, sag­te er, und dann:

»Nun wird eine Göt­tin dei­ne Hand be­kom­men, und viel­leicht wer­den große Her­ren sie mit den Lip­pen be­rüh­ren.«

Da ich ihn nur an­sah:

»Freut dich’s? Was du für Au­gen hast! Wild und wirr von Frei­heit, wie die Au­gen ei­ner Wald­frau, die hier ein­ge­bro­chen wäre. Ge­wiss bist du eine? So neu­gie­rig stehst du da und so scheu! Rasch muss ich dich fest­hal­ten und dir dei­nen war­men Ab­druck rau­ben!«

Da­bei späh­te er in mein Kleid, und ich merk­te mit Schre­cken, dass sich’s vom Lau­fen ver­scho­ben hat­te.

»O lass!« sag­te er, und be­weg­te gleich­mü­tig die Hand, wand­te sich, ging pfei­fend hin­ein und hol­te ein Brett und Lehm. Beim Kne­ten sah er her und weg, her und weg, aber sein Auge war so streng und al­lein, als sähe es gar nicht mich, als wäre mein Ge­sicht, das er doch ab­bil­de­te, nicht Mnais’ Ge­sicht. Mir ward es selt­sam kalt.

»Lass dein Kleid fal­len!« sag­te er zwi­schen den Zäh­nen, und als ich er­schreckt zau­der­te, stampf­te er mit dem Fuß. Da warf ich, be­vor ich’s be­dacht hat­te, al­les von mir. Ich fühl­te, wie mir das Blut zu den Au­gen stieg, wag­te nicht, die Hän­de da­vor zu he­ben und muss­te las­sen, dass Trä­nen ka­men. »Was wird er den­ken!« Aber er sah es gar nicht.

Plötz­lich seufz­te er tief auf, sei­ne Hän­de be­ru­hig­ten sich; lä­chelnd strich er sich die Lo­cken aus der Stirn.

»Hüte dich, Mnais«, sag­te er, »dass nicht das Auge ei­nes Got­tes auf dich fällt, wenn du nach dem Bade ru­hest und schläfst.«

Und da ich er­staun­te:

»Denn die Nym­phe, die ihn liebt, wür­de nei­disch wer­den und sich an dir rä­chen.«

»So schön fin­dest du mich?« frag­te ich und mein­te, er müs­se mein Herz po­chen se­hen. Er be­trach­te­te aber das, was er ge­macht hat­te. Auf ein­mal ward mir der Atem schwer.

»Dich selbst«, sag­te ich, »wer­den ge­wiss Göt­tin­nen be­su­chen?« Und ich späh­te in sein Haus, nach dem Herd und der Bank. Er warf ir­gen­det­was mit der Schul­ter weg.

»Ich ver­schmä­he sie. Nur Athe­ne: sie, viel­leicht, habe ich schon auf mei­ner Schwel­le er­blickt. Aber sie war – be­ru­hi­ge dich! – hart und schwer be­klei­det, und die ge­ra­den Fal­ten um sie her schau­kel­ten nicht ein­mal.«

»Liebst du denn ein sterb­li­ches Mäd­chen?« frag­te ich und lach­te.

»Ich lie­be nur mei­nen Herrn.«

»Wie? Ein Skla­ve wä­rest du?«

»Du meinst wohl, ich wünsch­te mir’s an­ders? Ein Künst­ler bin ich, ge­ehrt und gut be­zahlt. Was habt ihr Frei­en? Ihr frohn­det den­noch mei­nem Herrn, – der mich nährt und liebt … Da bist du, Cras­sus!« rief er. »Freund!« Und er und der Jüng­ling, der aus der Lau­be trat, brei­te­ten bei­de die Arme aus. Der an­de­re war ein Brau­ner, Ha­ge­rer, mit ei­nem Lor­beer­kranz über der Stirn. Er zeig­te auf mich.

»Sie hat«, er­klär­te ihm Ti­man­der, »einen Krug von mir ge­kauft und mir ihr Bild da­für ge­las­sen.« Dann gin­gen sie bei­de be­gie­rig um das Bild her­um, eine lan­ge Wei­le; und ich stand und dach­te be­klom­men, wie ich ent­kom­me. Wie in einen Brand war ich einst auf die­se Wie­se ge­stürzt; und nun war der Him­mel er­lo­schen und die Luft so matt.

»Dürs­tet dich nicht, Freund?« sag­te Ti­man­der. »Mir hat die Ar­beit Durst ge­macht. Nimm, Mnais, dei­nen Krug, geh’ hin­ein und mi­sche uns Wein!«

Ich brach­te ih­nen den Trunk; mir war’s, wie wenn die Mut­ter mich hart ge­schol­ten hät­te. De­mü­tig blieb ich ste­hen.

 

»Sieh doch«, sag­te sein Freund, »sie hat eine Flö­te am Hal­se hän­gen: eine Hir­ten­flö­te. Be­fiehl ihr doch, dass sie uns ein Lied spielt.«

»Spie­le«, sag­te gleich­gül­tig Ti­man­der und streck­te sich aus. Ich spiel­te, in­des sie plau­der­ten und sich kühl­ten, bis sie im Ei­fer ih­res La­chens ein­an­der die Arme um die Schul­tern leg­ten: da schlich ich mich, im­mer noch spie­lend, in die Lau­be und, kaum ih­ren Bli­cken ent­rückt, rann­te ich, von Angst bren­nend, durch den Gar­ten, aus dem die Göt­ter fort wa­ren, und hin­aus, hin­weg, wo ir­gend ein Ver­steck wäre.

In ei­nem Fels­s­palt näch­tig­te ich, denn nicht woll­te ich der Mut­ter mei­ne Au­gen zei­gen, und vor Tag stieg ich in den Quell Ar­ge­nos und bat ihn, er sol­le mich schön ma­chen, schö­ner als Bil­der, schö­ner als Ti­man­ders Freun­de. Er lach­te, Ar­ge­nos, hell, wie er im­mer lacht. Mit sei­nem Spie­gel trös­te­te er mich. Und wie ich in die Vil­la des Faus­tus zu­rück­kehr­te, stan­den die lie­ben Göt­ter alle wie­der da. In den ho­hen He­cken schweb­te die Mor­gen­rö­te; tau­send zwit­schern­de Stim­men reg­ten sich dar­in, und ein se­li­ger Tau fiel. Das Gras küss­te mir die Füße. »Ich will ihm die Füße küs­sen«, dach­te ich, »und ihn so aus dem Schla­fe we­cken.« Nun fand ich die Wie­se, nun lug­te ich ins Haus. Wie? Leer war’s. Ban­gend be­trat ich’s, zau­der­te, strich mit dem Fin­ger über ein Stück Ton, das von sei­ner Hand die Run­dung hat­te, leg­te die Wan­ge auf sei­ne Bank. Da schreck­te lau­tes Gäh­nen mich auf. Ti­man­der kam über die Wie­se. Er schwank­te, blick­te fahl, und die Ro­sen zer­blät­ter­ten in sei­nem zer­zaus­ten Ge­lock.

»Was willst du?« frag­te er mit schwe­rer Zun­ge.

Und da ich er­schreckt ver­harr­te: »Es gibt kei­nen Krug mehr. Hast du ihn wie­der zer­bro­chen? Aber ich brau­che dich nicht: das da ist fer­tig.«

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