Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf

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Da Mangolf ihn nur ansah:

»Das würdest Du nicht denken, wenn Du es um mich her klingeln und jauchzen hörst. Eben dies aber –« er flüsterte durchdringend – »wünschen die Herren, die hinter mir stehen. Es lenkt ab, es schläfert den Argwohn ein. Man kommt in vertrauter Begleitung, man fährt im Kreise, und ahnt nicht, daß an verborgener Stelle ein Bericht einläuft. Hier stellt das geheime Wesen unseres deutschen Staates mit seinen tiefen Beziehungen zu der Weltenunvernunft sich bildhaft dar. Jeder Einzelne, so frei er seine Schritte zu lenken glaubt, gilt dem unsichtbaren Auge, das ihm folgt, nur gerade, insofern er brauchbar scheint.«

Mangolf, mit gefalteten Brauen und gesenkten Mundwinkeln, wandte sich schon ab, da brachte Terra ihn nochmals zum Stehen. »Mache die Probe! Ich verrate zu viel, ich tue es um Deiner Achtung willen. Geh' ins Hotel Karlsbad, sieh die Tafel beim Portier nach großen Herren durch. Du findest keinen, Du wirst hören, auch angemeldet sei keiner. Morgen aber um fünf –«

Terra betonte alles.

»Punkt fünf kannst Du durch die Halle den Höchsten Deiner geheimen Gönner schreiten sehen.«

Terra sah ihm bezwingend in die Augen, ein Schauer überlief Mangolf.

»Daß Du ihn nicht ansprichst!« flüsterte Terra. »Alles wäre verloren.«

Mangolf wartete noch, er hob die Schultern, wollte etwas hervorbringen, – aber dann ging er wortlos, wie verzaubert, durch eine große Stille von dannen.

Terra, völlig aufgeheitert, setzte sich händereibend vor seinen Verschlag. Der Junge brachte ihm das Mittagessen und lief weiter. Der Festplatz stand für eine Stunde leer, das große Karussell sogar hatte sein Flirren und Dröhnen eingestellt. Aber die schwüle Luft roch weiter nach Menschen.

Terra stellte grade den Topf weg, da vernahm er ein Schnaufen, und hinter ihm ward der hölzerne Boden erschüttert. Er sah sich um. Verdammt, der Athlet! Der Stärkere der beiden, sein Feind! Terra gab sich eine eherne Maske, er wartete. Der starke Mann kam schaukelnd herbei, jeder Schritt ein schweres Ereignis. Er schnaufte nicht nur vor Hitze, auch von den Vorsätzen, die in seiner Miene standen. »Jetzt wird Schluß gemacht«, sprach er aus. »Du gibst Ruhe oder –«

»Nehmen Sie eine Zigarette?« fragte Terra kalt. »Übrigens wen meinen Sie? Ich bin mir nicht bewußt –«

Der starke Mann nahm plötzlich seinen Hut ab. Als Terra ihn eingeschüchtert sah, wies er leutselig auf einen Stuhl. Gehorsam setzte sich der starke Mann. »Herr Hähnle«, begann Terra. »Sie sehen, Sie sind mir nicht fremd. Ich kenne Sie durch Ihren Freund Schunk.«

»Schunk ist mein Freund nicht«, murrte Hähnle, mit verhaltener Kraft. »Ich kann ihn nur nicht loswerden.«

»Das ist eben Freundschaft, Herr Hähnle.«

»Fein reden kann ich nicht« – immer verhalten. »Ich rede gradezu. Sie sollen dem Schunk kein Geld mehr geben, Herr.« »Ich gebe ihm keins.«

»Wem Sie es geben, ist gleich. Er kriegt es.«

»Er ist ein kranker Mann, er macht schlechte Geschäfte.«

»Wer krank ist, soll fort«, entschied Hähnle, »und mir das Brot nicht nehmen.«

»Sie sind Darwinist, wie ich sehe.«

»Witze mag ich nicht« – immer verhalten, aber mit rotem Kopf. »Der Schunk und ich haben früher das Geschäft zusammen gehabt. Ich hab' ihn auch behalten, als er krank wurde, und ringen mußte er nicht mehr im Ernst, wir taten nur so. Ist das ein Freund, der mir fortläuft mit einem Mädchen?«

»Das Mädchen ist der springende Punkt«, bemerkte Terra. Hähnle hielt es wohl für einen Witz. »Springen Sie selbst!« brüllte er entfesselt und trat Terra auf beide Füße. Terra sprang wirklich, dann brach er sogar in die Knie. »Hund!« brüllte Hähnle, »gibst Du dem Mädchen kein Geld mehr?«

Terra schützte mit dem gebogenen Arm sein Gesicht; hinter dem Arm sagte er fest: »Es steht vollständig in meinem eigenen Belieben.«

»Das sollst du nicht noch einmal sagen«, – womit Hähnle ihn auch schon bei den Schultern hatte. Er schickte sich an, sie gegeneinander zu drücken, daß nichts übrig blieb. Terra fühlte seine Sinne schwinden, da rief eine weibliche Stimme »Achtung!« – und Hähnle mußte wohl unterbrochen sein, er ließ sein Opfer und machte einen Satz. Terra sah sich um nach der weiblichen Stimme. Ein junges Mädchen stand auf dem Karussell, zwischen dem Löwen und dem Kamel, ihr gestreckter Arm hielt einen kleinen schwarzen Revolver.

Hähnle zog sich ehrerbietig zurück. Bei dem Boden des Karussells angelangt, machte er noch einen Satz, war hinüber und verschwand laufend. Terra bemerkte auf einmal, daß er selbst, auf seine Hände gestützt, an der Erde sitze und den Mund offen halte. Er schloß ihn, stand auf und säuberte sich, mit Bewegungen, die ihn verstecken sollten. »Verdammt, eine junge Dame hat meine Feigheit vor dem Feind mitangesehen!« Er beeilte sich nicht; vielleicht war sie jetzt schon fort? Ach nein, sie hatte noch eine zweite dabei, und beide lachten. Es blieb nichts übrig, er machte mitten in seiner runden Arena eine tiefe Verbeugung und sagte schon im Näherkommen, großartig und munter zugleich: »Gnädigste haben mir gradezu das Leben gerettet.«

Bei seiner Ansprache stutzte die Person, errötete und äußerte eine Art von Entschuldigung, wobei sie ihn aber prüfte. Er seinerseits hatte einen ungünstigen Eindruck: die Nase zu lang, und das anmaßende Lachen. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte er umso förmlicher. »Darf ich Sie bitten, anzunehmen, was meine Hütte bietet.«

»Was bietet sie denn?« – so spöttisch, daß es anzüglich klang. Er aber, ohne Übergang frech: »Eine Freifahrt.« Da bekam sie ein Gesicht, verlegen wie ein Kind. Er sah erst jetzt, wie jung sie war. Augenscheinlich hatte sie Lust und wagte nicht. »Kommst Du mit?« fragte sie die andere, in deren Miene Bedenken standen. Terra mißbilligte die andere, weil sie störte, im übrigen verdiente sie keine Beachtung.

»Steigen wir ein!« rief seine Dame tapfer. »Meiner Freundin wird es schwindlich. Lisa, Du holst mich dann ab.«

Sie saß schon in dem Schwanenschlitten, Terra setzte das Karussell in Gang und blieb, peinlich besorgt, sich nichts zu vergeben, in der Mitte stehen. »Nun?« rief sie, im Vorüberfahren. Da sprang er hinauf zu ihr, wie ein Wilder. Sie wich doch in die andere Ecke, – wo seine Blicke sie verschlangen.

Denn sie hatte dunkle Augen zu dem hellen Haar, und noch die ersten frischen Farben, obwohl so geistreiche Augen. Da war es hinzunehmen, daß ihre Gestalt noch unreif wirkte. Die Nase, die Spott ausdrückte, ward ausgeglichen von den Augen. Merkwürdige Augen, was hatten sie? »Wie kommen Sie hierher?« fragte die junge Dame. Er bemerkte unruhig: sie hatten Strahlen in der Pupille, sie hatten schwarzgeränderte Lider. Jetzt schlossen sie sich halb und sahen aus wie ein glänzender Witz. Hatte die Dame etwas gefragt?

»Auf Umwegen«, antwortete er.

»Ich auch«, sagte sie, und von ihren Augen ward damit viel gesagt. Aber was konnte es schon heißen. Er vermutete:

»Wohl geradeswegs vom Elternhaus? Es steht etwa auf einem ländlichen Pfarrhof, sagen wir an der Elbe?«

Sie antwortete mit den Augen allein, aber er ward rot davon. Plötzlich sah er auch, daß ihr Haar gefärbt war. Er sagte anzüglich:

»Bürgerkinder, die etwas anderes vorstellen wollen, übertreffen manchmal ihr Ideal.«

Nun biß sie sich auf die Lippen. Dann versuchte auch sie es, anzüglich zu sein. »Ihr eigenes Ideal –« sie führte die Hand im Kreis umher – »hat Sie große Kämpfe gekostet? ... Das ist immer so«, antwortete sie selbst. »Damit ich mir die Haare färben konnte, mußte ich drohen, einen Liebhaber zu nehmen.«

»Und Sie lassen es bei der Drohung?«

»Ich denke nicht daran« – hochgemut wie ein Knabe.

Da spürten sie einen schwachen Stoß; Jemand war aufgesprungen – ein Mädchen, rothaarig, im karierten Mantel. Dort saß sie, gerade ihnen gegenüber auf dem Brett hinter der Postkutsche, blickte her aus mehlweißem Gesicht, groß und stumm. Die junge Dame begriff wohl; sie sah auf Terra aus geistreichen Lidern. Er war ratlos, ob jetzt abzusteigen wäre. Statt dessen rückte er ihr näher, erklärte die Lage wie es ging, – und da sie den Kopf plötzlich bewegte, traf sein naher Mund ihren Hals, bei der Wange. War es vor Schreck, und um ihn fortzustoßen, daß sie sich gegen seine Lippen drängte?

Als beide die Augen wieder öffneten, war das Mädchen fort. Sie schwiegen betroffen. Dann sah die junge Dame sich hastig um. »Meine Freundin bleibt lange aus.«

»Es ist nicht Ihre Freundin«, sagte Terra. Seit drüben das arme Mädchen gesessen hatte, ward es ihm bewußt, diese hier sei gekleidet wie eine Reiche. Er bereute alles.

Sie sagte: »Finden nicht auch Sie es schwer, so – durchschnittlich zu werden, wie man möchte?« Ihre Augen sagten: so gemein, und widerriefen alles, was geschehen war.

Er sagte schneidend: »Ich bin Millionär. Es handelt sich um eine Wette. Eine Dame wie Sie, Gnädigste, sollte mir auf den Leim gehen.«

Statt einer Antwort nahm sie leichthin aus ihrer Tasche den kleinen schwarzen Revolver, spielte damit und – entfaltete ihn. Es war ein Fächer. Terra wich, bis er aus dem Schlitten war.

Das Karussell hielt an, die junge Dame winkte ihre Begleiterin herbei und auch die Kinder, die wieder umherstanden. Alle durften fahren, sie zahlte. Dreimalige Fahrt – dann erinnerte sie sich des Turmes nebenan, von dem man abrutschte. »Dorthin wollen wir. Man rutscht in zwei Sekunden ab, das ist gefährlicher als Ihr Karussell und lohnender.«

Fort war sie. Er hatte keine Zeit, ihr nachzusehen, das Karussell füllte sich schon wieder. Wie er Kinder in den Schwanenschlitten setzte, fand er darin ein Buch: Ariost, italienisch – ohne Namen.

 

Der größte Andrang war vorbei, er übergab das Geschäft dem Jungen und ging. In bürgerlicher Kleidung auf dem Sopha seines möblierten Zimmers dachte er, indes es dunkelte, an ihr Geständnis, es sei schwer, gemein zu werden. Dabei hatte sie den Kopf gehalten wie Lea. Schwer war es für ihn, für sie und für Lea. Er fühlte: ich muß sie wiedersehen, – und entschied nicht, ob jene Fremde oder seine Schwester.

Klopfte es? Da stand sie in der Tür: noch glaubte er, es sei die Fremde, da sagte sie aus dem Dunkel: »Klaus«. Die Schwester war es. Sogleich sprang er auf, »ich habe einfach geschlafen« – machte Licht, nötigte sie beflissen auf seinen Platz, bot ihr Tee an: bei all' dem immer schwankend, was zu sagen sei. Sie belächelte ein wenig seine Verlegenheit, indes sie ihm antwortete. Es gehe ihr gut, o, recht gut. Das erste Jahr, er wisse es, sei sie zu einer Beliebtheit geworden. Dann kamen die Rückschläge, die Feindschaften. – »Also doch nicht gut?« – Nein, nicht gut. Sie kam jetzt von einem Gastspiel an einem Hoftheater. Starker Erfolg, aber nicht engagiert, denn ihre Stimme hatte gelitten. Sie machte »i« durch die Nase, um sich wieder einmal zu prüfen.

Der Bruder stand vor ihr, er fühlte: dies ist endlich die Ruhestunde, wir dürfen beichten, vielleicht weinen. Die Schwester fragte: »Warum bist Du niemals gekommen, mich ansehen?« Da sagte er breit: »Liebes Kind, ich mute es auch Dir nicht zu, die Verantwortung zu übernehmen für meine Leistungen oder gar für meinen Lebenswandel.«

Jetzt lächelte sie traurig. »Du stellst Dich, als seiest Du mit allem fertig. Wir sind es nicht.«

»Sonst würden wir bessere Ellenbogen haben – und Erfolg.«

»Nicht wahr?« – und sie schloß eine Sekunde lange die Augen. »Unsereiner mag entschlossen sein, für den Erfolg alles, rein alles zu tun.« Sie bewegte die Hand ein wenig theatralisch. »Es hilft nichts.«

»Du kannst Menschen umbringen«, sagte der Bruder mit rollender Stimme. »Du wirst davon nichts haben.«

»Einer wird etwas davon haben« – sie sprach nur vor sich bin.

»Seit wann hast Du ihn nicht mehr gesehen?« fragte er verhalten. Er war überzeugt, sie komme gerade jetzt von Mangolf. Sie sagte aber: »Seit ich keinen Erfolg mehr habe.« Da schwieg er und schob die Zunge hin und her. Ihr Gesicht war im Schatten des Lampenschirmes, hatte sie denn wirklich Tränen in den Augen? »Nicht um uns, sondern um Jenen? ... Nun, sie ist ein Theatermädchen geworden und beweint ihre Jugendliebe ... Was aber aus ihr wird, sie ist Lea« – und schnell setzte er sich neben seine Schwester, er sagte schonend:

»Ihm nachtrauern? Eine so schöne Person wie Du?«

Er musterte sie, pries ihr einzeln ihre »Mittel«, dann sagte er: »Ich bin kein Schulmeister. Du darfst also ruhig aus der Schule plaudern.« Mit einem Seitenblick: »Zum Beispiel, der Kurschmied?«

»O!« – voll Schrecken. »Ein wirklicher Freund!«

»Und solche, die mehr sind?« – Da sie vielsagend schwieg: »Nun, Gott sei Dank.« Er rieb sich die Hände. »Der liebe Wolf trägt Hörner! Ich wäre der letzte aller Dilettanten, wenn es mir nicht glücken sollte, ihm zu beweisen, daß er ein lächerlicher Narr ist.«

»Was hast Du vor?« Mehr gespannt als besorgt.

»Einen heillosen Spaß« – wobei er aufstand, um sich Bewegung zu machen. »Jemanden, der an höhere Mächte glaubt, kann es den Verstand kosten.«

»Das ist grausam«, sagte sie, ohne große Erregung. »Rächst Du Dich an ihm?«

»Vielmehr Dich«, rief er feurig. »Du sollst Erfolg haben – in demselben Augenblick, da er den schändlichsten Hereinfall seiner empfänglichsten Jugendjahre erlebt. Ich gründe ein Theater, Du wirft die Primadonna.« Auch sie stand auf. »Ist das Ernst?«

Er nahm sie vertraulich beim Arm, er sprach ihr von dem, was vorging mit Pilz und Lannas, er malte es aus. Die Dinge wuchsen, ihm selbst leuchtete es plötzlich ein, sie seien weiterzuführen. »Du wirst es sehen heute Abend, die Harmlosigkeit der braven Leute hat etwas Beschämendes, sie machen es uns zu leicht. Wozu ist man mit allen Wassern gewaschen.« Ihr am Ohr: »Der Parfümeur Pilz, dem der Mund nach Dir wässert, ist völlig der Mann, sich jahrelang von Dir an der Nase herumführen zu lassen. Inzwischen sind unsere Geschäfte besorgt« – böse auflachend, und sie lachte mit, ihr Bühnenlachen. Sie wechselte die Stellung und wartete, den Kopf im Nacken, auf ihr Stichwort.

Statt es ihr zu geben, setzte er sich in das Sopha. Er schwieg, bis sie wieder neben ihm saß.

»Haben wir dies alles nicht schon als Kinder erlebt?«

»Du meinst die Tanzstunde.«

»Ich verriet dem kleinen Wolf Mangolf, daß Du mit ihm zu tanzen wünschtest. Darauf schämtest Du Dich furchtbar.«

Die Schwester schien sich noch heute zu schämen. Der Bruder sagte: »Unser Haus haben sie niedergerissen. Ob wenigstens im Garten noch die Bank steht?«

»Auf der Bank lasest Du mir das Märchen von den roten Schuhen vor. Ich fürchtete mich vor ihnen. Noch jetzt, manchmal, wenn ich nicht weiß, wohin es kommen soll, denke ich, daß ich an den Füßen die roten Schuhe habe, die immer weiter tanzen.«

Da klopfte es. Ihre Hände, die ineinander lagen, trennten sich. Kurschmied war es. Er begrüßte die Kollegin mit einer gewissen Abgeklärtheit, in die er Spuren des inzwischen Durchgekämpften hineinlegte, den Bruder aber mit fühlbarem Abstand. Er kam von ihrem gemeinsamen Freunde Mangolf, um sie zu einer kleinen Wiedersehensfeier abzuholen. Mangolf habe es sich nur schwer versagt, das erste Beisammensein der Geschwister zu stören.

»Er hält mit sich zurück«, erklärte Terra. »Er steht vor einer Wendung seines Schicksals.«

»Den Eindruck habe ich auch«, bestätigte Kurschmied. Dann brachen sie auf.

Im Restaurant war ein Zimmer bestellt. Kurschmied, der hineinging, ließ die Tür offen; Lea Terra sah draußen im Spiegel, wie aus dem Zimmer ein langer Mensch mit angstvollen und gefräßigen Vogelaugen nach ihr lugte. Sie blieb vor dem Spiegel, obwohl sie fertig war. »Der ist unmöglich!« sagte sie mit geschlossenen Lippen, und legte ihre lange Perlenkette zurecht. Der Bruder half ihr, lächelte galant, und zwischen den Zähnen murmelte er: »Schulden hast Du keine? Und Deine Perlen sind echt?«

Drinnen sagte Graf Lannas: »Tatsächlich ein pompöses Weib,« – während sie schon eintrat. Der reiche Pilz war wortlos, wie ein erwartungsvoller Freier, und die Hand, mit der er die ihre berührte, war feucht. Pilz, Lannas und ihnen gegenüber die beiden Maler standen Spalier, Mangolf führte die Schauspielerin hindurch.

»Lea, ich habe niemals vergessen«, flüsterte er, und hielt ihr am Kopf der Tafel den Sessel hin.

»Auch ich weiß noch manches«, sagte sie, ohne die Stimme zu senken. Und zu allen: »Lea heiße ich beim Theater. Ist das gut, kann man damit etwas werden?«

»Als ob Sie nur den Namen hätten – Fräulein Lea«, hauchte Pilz, rechts von ihr; und Mangolf, links, senkte die breite Stirn, wobei, wie zufällig, eine Locke darauffiel. Vor der Mitte des Tisches vollzog Terra umständlich den Trinkakt und nahm hierfür auch sein Gegenüber, den Grafen Lannas, in Anspruch. Neben ihnen die beiden Maler winkten von weitem mit den Gläsern nach Fräulein Lea. Kurschmied aber, am anderen Ende, sah über sie hinweg die Wand an, – bis die Kollegin ihn aufrief. »Sie haben mich in Hosenrollen gesehen. Nun?« – Da lächelte er blaß zu den Herren hin. »Versäumen Sie es nicht!« – und neigte sich erglühend über seinen Teller.

Der Bruder trank der Schwester zu. »Auf Deine Beine«, sagte er klar und deutlich. Sogleich bekamen die Herren beherrschte Mienen. Graf Lannas prüfte den Bruder unauffällig. Pilz erklärte: »Wir meinten es nur im Hinblick auf den Naturalismus.« – »Einverstanden«, sagte Terra, und zwang Mangolf, in dessen Augen Gram und Verachtung erschienen, mit ihm zu trinken.

Die Herren ließen es sich von dem Bruder gesagt sein. Graf Lannas erbat sich über Mangolf hinweg, die Hand der Schwester, um, die Schultern fröstelnd zusammengezogen, ihre rosig polierten Nägel zu bewundern – nichts weiter. »Und meine Augen?« fragte sie und zog ihn an der Hand hinauf, da sah er ihr höflich und zerstreut in die Augen. »Komisch«, sagte sie, im Augenblick ganz ernst, »es gibt noch Zartgefühl ...« Pilz, nicht fähig, dies aufzufassen, äußerte mit wankender Stimme seine Anerkennung für das Rot der Lippen, ihren ausdrucksvoll umränderten Blick. Die Schwester lachte singend und unberührt. Ein wenig verzerrt sah Mangolf dem zu. »Mangolf ist langweilig«, hörte er sagen, und schwur sich, es solle ein Ende nehmen.

Der Bruder klopfte auf den Tisch.

»Dies sind noch immer Präliminarien. Meine Herren, die Künstlerin steht vor dem Abschluß mit einer unserer ersten Hofbühnen. Haben Sie Besseres?«

Graf Lannas sah fragend aus, er hatte alles vergessen. Aber Pilz hatte Besseres. »Hier die Pläne. Die höchste Gage bezieht Lea Terra – von mir«, sagte Pilz und wollte gemein werden. Da er zurückgewiesen ward, wollte er mit seinem Direktor Terra Bruderschaft trinken. Terra sagte schneidend in die Ausgelassenheit hinein: »Dafür ist es noch Zeit, nachdem wir unterschrieben haben,« – und er bestellte Sekt.

»Engagiert Ihr Kurschmied?« fragte die Schauspielerin. Denn Kurschmied starrte die Wand hinan. Er sagte erbleichend: »Das Ansinnen müßte ich ablehnen.«

Befremdete Gesichter; – aber Mangolf erhob zum erstenmal die Stimme. »Ich bin in der Lage, das Verhalten des Herrn Kurschmied den Herren zu erklären.«

»Schieß los!« sagte Terra, und sah ihn an. Mangolf hielt den Blick aus. Dann beteuerte er ernst, geradezu schmerzlich, daß er die Mitverantwortung dessen, was geschehe, nicht länger tragen könne.

Große Spannung, alle Augen auf Mangolf. Terra, mitten am Tisch völlig einsam, trank ein Glas Sekt nach dem andern, wozu er Fratzen schnitt. Die Schwester lachte verstört.

»Mein Jugendfreund ist auf unbegreifliche Art gesellschaftlich verkommen«, sagte Mangolf gedämpft und mit Gramfalten. »Wie? das mag ich nicht aussprechen. Herr Kurschmied zeigt es Ihnen im Bilde.«

Schon hielten die beiden Maler die photographische Aufnahme des Karussells in Händen. Sie bekamen runde Augen und gaben das Bild weiter. Dann erst lachten sie hinter den Servietten, indes Pilz und Lannas nur ungern den Ernst der Lage erfaßten. Die Schwester lachte sie aus. »Und ich? Ich bin schon mit Volkssängern aufgetreten. Das ist ehrlich verdientes Geld.« Sie dehnte sich und hatte Augen, wie berauscht. Der reiche Pilz widerstand nicht, er gab zu, auch ein Karussellbesitzer verdiene ehrlich. »Leider nein«, sagte Mangolf.

Jetzt warteten sie unzufrieden. Er empfand es. »Ich wirke störend«, sagte er, »mit meiner unerwünschten Gewissenspflicht. Auch mich stört sie.«

Alle sahen seinen inneren Kampf. Zusammengepreßte Lippen, zuckende Schläfen, und die Augen schlossen sich; so saß Mangolf da, im Angesicht der Welt. Er wollte sprechen, vermochte es nicht, führte die Hand an die Stirn und sah noch einmal den Freund an, letzter, flehender, leidender, alles gestehender Blick, – bevor er überwunden hatte und sprach.

»Mein Freund lebt von dem Geld einer Frau«, sagte er knapp. »Er selbst hat es mir zugegeben.«

Da rückten alle Stühle. Terra saß, geduckt und fletschend, in einer Runde des Entsetzens.

»Schluß«, sagte Graf Lannas, mit schüchternem Bedauern.

»Ich danke Ihnen« – Pilz streckte Mangolf die Hand hin.

In diesem Augenblick machte Kurschmied auf sich aufmerksam. Er stieg steil vom Stuhl auf, röchelnd, als würge ihn Jemand. Seine geängsteten Augen irrten von Mangolf zu Terra. Plötzlich schlug er die Hände vor das Gesicht, und unförmlich aufheulend flüchtete er.

Die beiden Maler nahmen ihn komisch, die beiden anderen Herren wurden durch sein Betragen darauf hingewiesen, daß es nicht angemessen sei, viel Aufheben zu machen.

»Das soll uns nicht hindern«, sagte Pilz gefaßt und stieß mit der Schwester an. Sie wechselte trinkend einen Blick mit dem Bruder, – worauf sie dem reichen Pilz um den Hals fiel. Er wollte zugreifen, aber sie riß sich los. »Zerreißen Sie mir nur meine Perlenkette! Sie ist vom Prinzen Iffingen. Ich beziehe von der fürstlichen Güterverwaltung eine Rente auf Lebenszeit. Klaus, wie viel brauchst Du?«

»Das ändert Manches«, bemerkte Pilz.

»Meinetwegen«, sagte Graf Lannas – und schob beglückt seinen Stuhl auf den Platz Mangolfs, der jetzt hinter Lea im Schatten saß.

Mangolf sah toten Auges, als sei er selbst der Geschlagene, dem Geflirr ihres grell bestrahlten Haares und Nackens zu, dem Spiel ihrer Arme, die abwehrten und lockten. Sie ward noch unverblümter. »Ich ziehe Ihnen die Lebewelt in Ihr Theater!« Terra hörte von seiner Schwester die helle, leere Stimme der Frau von drüben.

 

»Mein Kind!« rief er schallend. »Hast Du Dein Trikot an, dann tanze!« Er klatschte in die Hände.

Sie stand wirklich auf. »An's Klavier, Herr Doktor Mangolf!« Er gehorchte. »Tristan!« verlangte Terra. Während Mangolf ihr einen Walzer aufspielte, strich Lea, den Kopf im Nacken, durch die Luft über ihr Kleid hin, als streifte sie es ab. Die Männer jubelten, als stände sie nackt; nur Graf Lannas sah sie an, als wollte er es nicht glauben.

»Zuerst der Vertrag!« sagte sie zum Takt des Walzers.

»Gemacht«, sagte Pilz, ließ sich von Terra den Vertrag reichen und unterschrieb. Terra zog ihn dem Reichen unter der Hand fort, er faltete ihn sorgfältig, wobei er herausfordernde Blicke schoß. Dann zerriß er den Vertrag. »Wie, Lea? Der Erfolg genügt uns.« Er klingelte nach dem Kellner. Pilz wollte den Sekt übernehmen, er bat es sich aus, oder doch einen Teil! – aber Terra ließ nicht mit sich handeln. »Die Herren werden erlauben müssen, daß ich bezahle, was ich bestellt habe«, sagte er, streng und gediegen. Seiner Schwester legte er selbst den Mantel um. Im Gang draußen sagte Mangolf nahe bei ihm und gepreßt: »Ich mußte es tun.«

»Das weiß ich«, sagte Terra. »Du hattest den Auftrag von Gott. Vergiß nicht, morgen fünf Uhr.«

Aus der Gasse beim Haus sprang Kurschmied hervor, er hielt Terra an, Mangolf gewann Zeit, mit Lea voranzugehen. »Ich weiß alles!« raunte Kurschmied inbrünstig. »Soll ich Ihnen zu Füßen fallen?«

»Ich hatte nicht den Eindruck, daß Sie übermäßig tranken.«

»Ich bin das Opfer eines tragischen Irrtums!«

»Sprechen Sie endlich wie in einer lebenswahren Rolle!«

»Ich komme durch die Hintertür. Pilz jammert, er sei von Ihnen gefoppt. Nein! niemals in Ihrem ganzen Leben haben Sie den Gedanken gehabt, Ihre Schwester zu verkuppeln. Nur der Verrat Ihres falschen Freundes war so teuflisch angelegt, daß ich wahnsinnig zu werden glaubte, als es mir klar ward, wozu ich mißbraucht sei. Sie, den ich für den verruchtesten Menschen unter Gottes Sonne gehalten hatte –«

»Sie schmeicheln mir.«

» – sind einer der edelsten. Sie gehen mit einem unstillbaren sittlichen Bedürfnis durch das Leben.«

»Woher wissen Sie –!« Terra sah sich den Blondkopf genauer an. Er hatte blaßblaue Halbkreise unter den Augen, und die Nasenwurzel glänzte weiß.

Mangolf dort vorn ging nahe an Lea, aber halb hinter ihr, wie Kurschmied an dem Bruder – und flehend geneigt unter ihren Hutrand. Sie warf über die Schulter: »Warum sind Sie nie mehr gekommen? Sagen Sie mir einen Grund, an den ich mich halten kann.«

»Überlegen Sie es sich noch«, sagte Terra zu Kurschmied. »Schließlich nehme ich von dem Jahrmarktsmädchen Geld, Sie selbst haben es gesehen.«

»Wer kann denn wissen, für wen Sie das Geld nehmen? Ich weiß es! Für Ihre Schwester, – um ihr die falschen Perlen zu kaufen, damit sie das Engagement bekam.«

»Ihr Scharfblick ist erschreckend«, sagte Terra.

Und Mangolf zu Lea: »Wenn ich Sie wirklich für meine Zukunft fürchtete?«

»Ich werde Erfolg haben!«

»Dann umso mehr. Erfolge wie die Ihren und die Ihres Bruders sind verderblich, sie sind nicht ernst gemeint. Ihr kennt den Kampf nicht. Warum muß ich Dich lieben!«

»Weil Du ihn haßt«, sagte die Schwester.

Kurschmied, die beschwörenden Hände hinstreckend: »Ich bin nun Ihr Freund, von dieser Stunde ab Ihnen mit Haut und Haar ergeben. Sollte ich achtzig Jahre lang leben – Ihr Freund!«

Terra nahm die Hände, sah ihm in die Augen, ging schweigend weiter. »So kommt man zu Freunden«, dachte er.

Mangolf zu Lea, vor dem Hause, wo sie stehen blieb: »Du liebst keinen Andern, ich weiß es.«

Sie lachte leichtsinnig, da drängte er sie gegen das Haustor; er kam ihr so nahe, daß er ihre Brust mit der seinen berührte, und sie den Kopf zurückbiegen mußte. »Wirf Dich nicht weg!« sagte er ihr in die Lippen. »Zwischen Dir und mir ist es für's Leben.«

Da stockte ihr Leichtsinn, in ihrer Miene vermischten sich Lachen und Qual, sie seufzte: »Ich weiß es.« Plötzlich stieß sie ihn fort. Er verlangte aber, daß sie hinter dem Haustor auf ihn warte, dann enteilte er, indes der Bruder schon nahte.

Der Bruder sagte zu Kurschmied: »Können Sie gut Maske machen? Dann kommen Sie morgen um vier Uhr zu mir und bringen Sie alles mit, um sich nach vorhandener Vorlage in einen vornehmen Fünfziger zu verwandeln, glatter Scheitel, bartlos, wohlbeleibt. Gute Nacht.«

Womit er ihn stehen ließ und zu der Schwester ging. Er sah das armselige Haus und davor sie, den Umriß des Reichtums und der Schönheit, der ihr Umriß war. Er sagte umso gehobener: »Du hast es gesehen, wir können alles, was wir wollen.«

»Ach, Lieber, es ist gekommen, wie es mußte«, murmelte sie, und sie trat, als versteckte sie sich in den Winkel hinter der Tür. Der Bruder wollte sie hinaufführen, sie schüttelte den Kopf. Er fragte, worauf sie noch warte, sie schwieg. Da schwieg auch er, stand stumm noch da, – und dann verließ er seine Schwester.

An einer entfernten Straßenecke machte jemand sich unsichtbar. Terra, dessen Weg dorthin geführt hätte, ging nach der anderen Seite. Er dachte: »Einander verraten und verlassen. Einander bekämpfen, finden und nicht kennen. Einander hassen, einander verfallen sein – und kaum fünfundzwanzig Jahre sind wir alle.«

Gegenüber dem Hotel Karlsbad, am Fenster einer kleinen Gastwirtschaft, wartete Terra auf Mangolf. Fünf Uhr, wahrhaftig, da kam er – aber in Gesellschaft. Lustige Damen und Herren, Mangolf brachte sie alle zum Lachen. Unter Lachen verabschiedete er sich einige Häuser weiter. Niemand hätte gedacht, er werde gleich darauf dieses unruhige Gesicht zeigen, werde mehrmals an dem Hotel vorbeigehen und endlich, qualvoll aufgerafft, es betreten, wie zu einer schweren Operation.

»Herrgott im Himmel, ob er es gut übersteht«, dachte Terra Fratzen schneidend, die stummes Hohngelächter waren, und folgte ihm auf dem Fuß bis in die Halle. Mangolf sah ihn nicht, er spielte den unbeteiligten Fremden und lagerte sich in einen Sessel. Terra verharrte angesichts der Treppe, hinter einer Palme. Den rechten Arm der Doppeltreppe herab stieg langsam und sicher ein Herr in reifen Jahren. Terra aus seinem Versteck nickte ihm zu, der Herr übersah es. Mangolf war aufgesprungen. Da kam links derselbe ältere Herr, viel schneller, von oben. Der Zweite erblickte drüben den Ersten, der ihn nicht sah. Er stockte, dann nahm er eilig Deckung neben dem Aufzug. Als der Erste sich in die Halle und zu den Tischen wandte, stürzte sein Doppelgänger fluchtartig dem Ausgang zu. Der Portier hinter seinem langen Tisch sah ihm aus aufgerissenen Augen nach. Da Terra sich zeigte, fragte der Portier: »Was war das? Zweimal derselbe?«

»Sehen Sie doppelt?« bemerkte Terra. »Das sagen Sie nur Niemandem.«

Ein Ehepaar fragte erregt: »Wer ist der Herr dort?«

»Exzellenz Graf Lannas«, sagte der Portier.

»Und der andere, der genau so aussah?«

»Den gibt es bei uns nicht«, sagte der Portier.

Hinter Terra stand Mangolf, sehr bleich. Er raunte ihm zu: »Charlatan! Und ich war drauf und dran, Dir zu glauben!«

»Du wirst sogleich sehen«, behauptete Terra, aber auch er konnte kaum sprechen. Bei dem Herrn in reifen Jahren stand die junge Dame von der Festwiese! ... Er hatte sich gefaßt, er fragte den Portier: »Fräulein von Lannas?«

»Die Komtesse steht beim Herrn Papa«, sagte der Portier.

Nun zog Terra aus seinem Mantel ein Buch, schritt gediegen über den Teppich und überreichte es zeremoniös der Dame, – die es zuerst sogar nehmen wollte. Dann hatte sie Terra erkannt und erstarrte. Graf Lannas stellte die Teetasse hin. »Der Kurier?« fragte er schnell.