Beppo als Trauzeuge

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Beppo als Trauzeuge
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Beppo als Trauzeuge

1  Beppo als Trauzeuge

Beppo als Trauzeuge

Schon morgens früh, wenn die Sonne golden leuchtend über Neapel aufgeht, kann man an der großen Tür der Kathedrale von San Domenico einen alten Mann sitzen sehen, der sehr defekte Kleider trägt und dessen Kopfbedeckung die Zeit nicht weniger mitgenommen, da sein von schmutzigweißem Haar umwehtes Haupt unbedeckt ist.

Der Alte hat den rechten Fuß weit von sich gestreckt und mit einem schmutzigen Tuche bedeckt, wahrscheinlich um anzudeuten, daß dieses Glied an einer gefährlichen Krankheit leide.

Wenn wir sagen, daß Beppo, dies ist der Name des alten Lazzaroni, inbrünstig zu beten scheint, so ist auf das »scheint« ein besonderer Nachdruck zu legen, denn in Wahrheit verursacht eifriges Tabakkauen jene Bewegung seines nicht eben kleinen Mundes, welche man wohl so auslegen könnte, als murmele er Gebete für seine und seiner Mitmenschen Seele.

Des Alltags genügt es dem frommen alten Lazzaroni, vor dem Tor des Heiligtums zu sitzen, sonntags aber jedoch hält es ihn nicht mehr draußen, er schleppt sich die Stufen empor – Beppo zeichnet sich nämlich vor den vielen Lahmen Neapels dadurch aus, daß er wirklich auf einem Fuße hinkt – und verrichtet in der Kathedrale aufs eifrigste seine Andachtsübungen.

Doch auch hier müssen wir leider gestehen, daß der heuchlerische Greis nicht in dem Maße seinen Christenpflichten genügt, wie es den Anschein hat, denn seine kleinen, stechenden Augen schweifen unter den buschigen Augenbrauen in der ganzen Kirche umher, während über seine wettergebräunten Züge hie und da ein inniges Lächeln der Befriedigung gleitet.

Der alte Sünder verfolgt hier auf geweihtem Boden seine kleinen, sehr profanen Nebengeschäfte, welche darin bestehen, Liebschaften zu vermitteln, und eben jetzt schaut er umher, mit dem erhebenden Gefühl, an seinem Teile beigetragen zu haben zu den Annäherungen, die hie und da stattfinden, zu den Worten oder Blicken, die bald schüchterner, bald kühner gewechselt werden.

Bei dem innigen Vergnügen, welches der alte Beppo daran hat, zarte Rosenketten zu schmieden, muß es uns wundernehmen, daß er seine Enkelin Marietta nicht schon längst unter die Haube gebracht hat.

Daß ihm dies jedoch sein eigenes Interesse verbietet, werden wir sofort sehen, wenn wir Beppo, dessen Andacht beendet ist, an seinen gewöhnlichen Platz zurückbegleiten und darauf unsere Blicke nach der anderen Seite der großen Kirchenpforte richten, wo ein junges Mädchen hinter einem Tischchen steht, das mit Blumen und Kränzen bedeckt ist.

Marietta ist ein reizendes Kind von siebzehn Jahren, mit einem Paar großer, dunkler Augen, dunklem Teint und einem dicken, rabenschwarzen Zopf, eine echte Neapolitanerin. Sie ist ganz ohne Zweifel das schönste Blumenmädchen Neapels und vom Morgen bis zum Abend von jungen und alten Herrn umlagert, welche jedoch Beppo während seiner scheinbaren Gebetübungen aufs genaueste und eifersüchtigste mustert.

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