Read the book: «Vernehmungen», page 10

Font:

2.14.4Detaillierte Fragenkataloge (mit Platz für Antworten)

256Fehlschlägen kann nur durch detaillierte Fragenkataloge mit Platz für Antworten vorgebeugt werden; eine sinnvolle Fragegestaltung soll das nachfolgende, recht einfache Beispiel erläutern. Allerdings dürfte dabei klar werden, dass die Erstellung und Auswertung derartiger Fragenkataloge extrem aufwändig sein kann.

Beispiel:

257Bei einem Raubüberfall auf eine Spielbank konnte ermittelt werden, dass sich am Tatabend etwa 2000 Personen im Großen Spielsaal aufgehalten haben könnten. Eine genauere Eingrenzung war nicht möglich, da nur der Zutritt, nicht aber auch das Verlassen der Räumlichkeiten erfasst wurde.

258Um überhaupt Ermittlungsansätze zu erhalten, wurde der nachfolgend abgedruckte Fragenkatalog entwickelt; wichtig ist dabei – da nur dann ansatzweise abschließende Antworten zu erwarten sind –, dass nach jeder Frage Raum für die Antwort bleibt. So wird der Zeuge gezwungen, sich mit jeder Frage zu beschäftigen und sie ggf. zu beantworten.



259Die vorbeschriebene Vorgehensweise garantiert allerdings keinen inhaltlichen Erfolg; so stellte sich in dem Verfahren später heraus, dass auch in der Spielbank befindliche Mittäter den Fragebogen erhalten, ausgefüllt und zurückgeschickt hatten. Nur die inhaltliche Qualität ihrer Angaben ließ zu wünschen übrig – sie logen.

2.14.5Konservierung von Zeugenwahrnehmungen durch vorgelagerte Anhörungsbögen – „EVA“

260In einigen Bundesländern wurden – in Anlehnung an die Praxis in Norwegen, Großbritannien und den Niederlanden – schriftliche Anhörungsbögen konzipiert, die der Konservierung von Zeugenwahrnehmungen durch möglichst tatzeitnahe, vorgelagerte Gedächtnisprotokolle für Augenzeugen dienen sollten. Als Vorreiterin entwickelte Nicola Hahn das „Eigenständige Vernehmungsprotokoll für Augenzeugen“ (EVA), als Begriff eine Übersetzung des „Self-Administered Interview“ (SAI)54. Die Grundüberlegung bestand darin, in besonders unübersichtlichen (Sofort-)Lagen, beispielsweise Delikten auf größeren Veranstaltungen, in Gaststätten oder Diskotheken, aber auch bei Verkehrsunfällen mit einer Vielzahl von Zeugen oder Delikten in hochfrequentierten Geschäftsbetrieben die jeweiligen Wahrnehmungen von Zeugen sehr zeitnah zu dokumentieren und damit in einem Grundgerüst „einzufrieren“.

261Eines der wichtigsten Charakteristika sei an dieser Stelle deutlich betont: „EVA“ ist ausdrücklich nicht als Ersatz für persönliche Vernehmungen vorgesehen. Es ist eine Ergänzung, die es ermöglichen soll, den subjektiven Befund bei unübersichtlichen Sofortsachverhalten zu ordnen, zu kategorisieren und zu konservieren, um spätere Erhebungen im Rahmen von Vernehmungen vorzubereiten. Keinesfalls wird die Vernehmung ersetzt – auch nicht die Anhörung oder gar die schriftliche Aussage55. Sind letztere wegen anderer Verhinderungen nicht mehr zu erlangen, liegt immerhin bereits eine Aussage vor, die durchaus 1:1 in die Ermittlungsakte eingebracht werden kann.

262Praktisch kommt „EVA“ zur Anwendung, wenn Vernehmungen unmittelbar nach Bekanntwerden eines Sachverhaltes nicht möglich sind, unabhängig von der Schwere des Deliktes. Das kann also durchaus auch die „einfache“ Kneipenschlägerei sein. Einsatzkräfte der Polizei (Wach- und Wechseldienst/Bereitschaftspolizei; insbesondere Kriminalwache) händigen den potenziellen Zeugen ein Heft aus, das sie möglichst sofort an einem ruhigen Ort allein ausfüllen sollen.

263Das Heft wurde auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt. Es enthält die grundsätzlichen und wiederkehrenden Fragestellungen, die in fast allen Sachverhalten verfahrensrelevant sind. Es ist selbsterklärend aufgebaut und besteht insgesamt aus 14 Seiten, wobei den Großteil Leerflächen für Eintragungen einnehmen. Direkt nach dem Ausfüllen kann es wieder der Polizei übergeben werden, ggf. zeitnah an die Dienststelle übersandt/überbracht werden. Die Mitnahme nach Hause und Abgabe zu einem (wesentlich) späteren Zeitpunkt ist grundsätzlich nicht vorgesehen, aber auch möglich.

264Diese „Vernehmungsmethode“ wurde bereits im September 2011 im Rahmen eines Erstkontaktes zur Universität Maastricht bekannt, im Rahmen eines Feldversuches im Bundesland Hessen bis 2016 erprobt, und 2017 landesweit (dort) eingeführt. Nach dem Feldversuch hatten 200 Beamte das Modell getestet, wobei etwa 80 % zu dem Ergebnis kamen, dass es sich um ein „nützliches Werkzeug im Ersten Angriff“ handelt.56

265Nikola Hahn warnt selbst davor (was die Autoren an dieser Stelle deutlich unterstreichen), das eigenständige Vernehmungsprotokoll als Ersatz für Vernehmungen, Befragungen, „Anhörungen“ anzuwenden. Als ordnendes Werkzeug in unübersichtlichen Sofortsituationen stellt „EVA“ sich allerdings als geniales Hilfsmittel dar, die Erinnerung potentieller Zeugen zu konservieren, zu ordnen und weitere Ermittlungshandlungen vorzubereiten. Fraglich ist allerdings die lange Einführungszeit (sechs Jahre bis zur Umsetzung in Hessen). Rechtlich und praktisch wäre eine sofortige bundesweite Umsetzung unbedenklich.

266Die Bedenken gegen die Methode, die die Verfasser in der Vorauflage geäußert haben,57 waren mannigfaltig, da

–Zeugen schriftlich nur das „erzählen“, was für sie subjektiv wichtig war,

–die schriftliche Niederlegung bei mehreren Zeugen unkontrollierbar gemeinschaftlich erfolgen wird,

–der Zeuge, der im Zweifel eine Kopie seines Bogens fertigen wird, nur noch behält (und später wiedergibt), was er dort als rudimentäre Aussage niedergeschrieben hat,

–die Möglichkeit eines zusammenhängenden Vortrages ebenso wenig besteht wie die Möglichkeit für den Vernehmenden, zeitnah zur Wahrnehmung Fragen zu stellen.

267Sie sind allerdings im Wesentlichen durch die Forschungsergebnisse relativiert, sofern EVA bestimmungsgemäß eingesetzt und nicht zu einem Vernehmungsersatz umfunktioniert wird.

268Anschaulich beschreibt das Deckblatt des EVA-Heftes der hessischen Polizei das intendierte Vorgehen:58


2.15Polizeiliche und staatsanwaltliche Vernehmungen

269Eine im Jahre 2009 ergangene Entscheidung verdeutlicht die Grenzen staatsanwaltlicher Vernehmungen, die teilweise – was unstreitig zulässig ist – in den Räumlichkeiten der Polizei stattfinden.59 Wenn allerdings

–diese räumliche Verlagerung nur gewählt wird, um Zwangsmittel gegen den Zeugen durchzusetzen (Erscheinenspflicht, Vorführung …) und

–die staatsanwaltliche Vernehmung nur einen äußeren Rahmen bilden soll, in dem eigentlich ein Polizeibeamter die Vernehmung leitet und durchführt,

stellt sich in der Tat die Frage, ob dies noch eine Vernehmung im Sinne des § 161a StPO darstellt.

270Eine staatsanwaltliche Zeugenvernehmung im Sinne des § 161a StPO setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt. Eine – über den Staatsanwalt unterstützende Befragung hinausgehende – Zeugenvernehmung durch einen Polizeibeamten in Gegenwart des Staatsanwalts beinhaltet keine zur Sachaussage verpflichtende und bei grundloser Aussageverweigerung ordnungsmittelbewehrte staatsanwaltliche Zeugenvernehmung.60

271Unbeschadet einer im Einzelfall unglücklichen Aufteilung der Vernehmung auf staatsanwaltliche und polizeiliche Kopfbögen, hinter der sich allerdings möglicherweise ein System verbirgt, sind die Aussagen des OLG inhaltlich zutreffend: Polizeiliche Vernehmungen, die nur im Gewand einer staatsanwaltlichen Vernehmung stattfinden, unterfallen nicht den §§ 70, 161a StPO. Eine staatsanwaltliche Vernehmung setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt; die unterstützende Befragung durch Polizeibeamte ist zulässig, darf aber nicht derart ausarten, dass der Polizeibeamte die Vernehmung führt. Der Senat begründet dies auch anhand der Entstehungsgeschichte der Norm eindrucksvoll. Auf den Punkt gebracht:

In einer Vernehmung muss auch das drin sein, was draufsteht!

272Die dargestellte „Notwendigkeit“ staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen hat sich relativiert, da die seit 2017 geltende Neuregelung des § 163 Abs. 3 StPO eine grundsätzliche Erscheinenspflicht des Zeugen auch bei polizeilichen Vernehmungen konstituiert.

§ 163 StPO Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren

(3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.

273Aus dieser Norm folgt, dass in den Fällen einer ausdrücklichen staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Vernehmung eines Zeugen dieser (auch) bei der Polizei erscheinen muss und im Weigerungsfalle Zwangsmittel angewendet werden können. Die Regelung hat sich in der Praxis bewährt, zumal die konkrete Anweisung des Staatsanwaltes in Eilfällen auch telefonisch eingeholt werden kann und dann als Vermerk in der Akte notiert wird.

1Verhör, Vernehmung, Befragung (2016).

2BGHSt (GS) 42, 139 (145); vgl. auch: Weihmann, Kriminalistische Vernehmung, Kriminalistik 2010, 82 ff.

3BGH, Beschluss vom 31.2.2011, 3 StR 400/10; vgl. auch BGHSt 52, 11 (15 f.).

4BGH NStZ 2001, 49 (50).

5BGH, Beschluss vom 31.3.2011 – 3 StR 400/10.

6BGHSt 20, 384(385); 29, 230(232); NStZ 2001, 49 (50), vgl. unten Rn 343.

7Ausführlich dazu: Sommer, Effektive Strafverteidigung, 2016, Rn. 101 ff.

8Siehe auch Habschick, a.a.O., 96 ff.

9Kraheck-Brägelmann/Esders/Füllgrabe, Die Beschuldigten- und die Zeugenvernehmung, 1994, 69 ff.

10Ausführlicher dazu unter Rn. 246.

11Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren.

12Lesenswert: Hahn, Gefährderansprache-Vernehmung, der kriminalist 4/2014, 6 ff.

13BGHSt (GS) 42, 139 (145).

14Kriminalistik 2008, 672 ff.

15RR’in Birgit Müller auf: http://www.dvjj.de/sites/default/files/medien/imce/documente/veranstaltungen/dokumentationen/mueller.pdf

16Dazu ausführlicher Jens Hoffmann/Isabell Wondrak, „Häusliche Gewalt und Tötung des Intimpartners“ 2006, dort Stürmer/Menke/Schilling, S. 153 ff., sowie „Umgang mit Gewalttätern“ 2009, Schenk/Schilling, S. 65 ff.

17IM Baden-Württemberg 2004, „Polizeiliches Einschreiten bei Erkenntnissen über Bedrohungen im sozialen Nahraum, insbesondere in Paarbeziehungen, zur Verhinderung möglicher Gewalteskalationen bis hin zu Tötungsdelikten.“

18Strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur zur Vertiefung der Belehrungspflichten bei informatorischen Befragungen und Spontanäußerungen: LG Köln, Urt. v. 7.3.2019 – 101 KLs 7/17; BGH, Beschl. v. 17.7.2019 – 5 StR 195/19; LG Arnsberg, Urt. v. 19.11.2019 – 2 Ks-411 Js 43/19–23/19; Rebler, NZV 2018, 209 ff.; Klaas, JA 2020, 262 ff.; Mosbacher, JuS 2018, 767 ff.; ders., JuS 2020, 128 ff.

19BGHSt 10, 8 (12); zu einem Extremfall s. Rn. 180.

20Kriminalistik, a.a.O., 470.

21Vgl. BGHSt 29, 230 (232); 36, 389.

22BGH NStZ 1990, 43; vgl. auch Neuhaus, Wider den rein formalen Vernehmungsbegriff, Kriminalistik 1995, 792 i.V.m. Anm. 14.

23So: Habschick, a.a.O., 174 f.

24S. Rn. 1627.

25BGH 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 ff.

26A.a.O., 3589.

27OLG Zweibrücken, StRR 2010, 468 m. krit. Anmerkung Burhoff, eda.

28KG Berlin vom 5.6.2009, 2 Ss 131/09, StRR 2009, 394 (allerdings nur Teilabdruck).

29BGH, Beschl. vom 22.12.2011 – 2 StR 509/10.

30BGH, Beschl. vom 22.12.2011 – 2 StR 509/10, Rn. 15.

31Zum zweiten Beispiel vgl. OLG Saarbrücken, VRR 2008, 193 f.

32Kritisch dazu: Mitsch, Anmerkung, NStZ 2009, 287 ff.

33BGH NStZ 1986, 232 f.

34BGH NStZ 1986, 232.

35Vgl. dazu Habschick, a.a.O., 251 ff.; Westphal, Der Kriminalistische Beweis, 2010, 133 ff.

36Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 2020, § 158 StPO Rn. 2 m.w.N.

37Dazu Rn. 1112.

38Habschick, a.a.O., 266 m. w. N.

39Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 158 Rn. 10.

40Ausführlich dazu: Clages/Nisse, Bearbeitung von Jugendsachen, 2009, 77 ff. (80).

41Der Rohentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sah eine Neugestaltung vor, die sich auch auf Vertrauenspersonen bezieht. Die §§ 110a bis 110d StPO wurden demgemäß geändert. Von einem Abdruck wird hier aus thematischen Gründen abgesehen.

42StRR 2009, 221 ff.

43BGHSt 52, 11 (14 f.).

44StV 2003, 257 (259).

45Strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur zur Vertiefung verdeckter Ermittler und Belehrungspflichten: Jäger, JA 2020, 231 ff.; Nowrousian, NStZ 2018, 254 ff.

46So ausdrücklich BGHSt 52, 11 (23 f.).

47BGH StRR 2009, 303 f.

48Vgl. dazu Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft, 2008, Rn. 686 ff; Ahrens, NJW 2018, 2837 ff.

49BGHSt 34, 362.

50BGHSt 42, 139.

51BGH 5 StR 51/10, StRR 2010, 343 ff. m. Anm. Krawczyk.

52Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 136 Rn. 15.

53Habschick, a.a.O., 173.

54Nicola Hahn, Kriminalistisch Vernehmen in Theorie und Praxis. Das eigenständige Vernehmungsprotokoll für Augenzeugen.

55Siehe Rn. 246 und Rn. 256.

56Der Kriminalist 11/2017, 26 ff.

57Vernehmungen, 83.

58Quelle: Nicola Hahn, Kriminalistisch Vernehmen in Theorie und Praxis. Das eigenständige Vernehmungsprotokoll für Augenzeugen, 6.

59Vgl. dazu Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, a.a.O., Rn. 320 ff.

60Hanseatisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschl. vom 17.7.2009, StRR 2009, 465 f.

3Ziele und Aufgaben einer Vernehmung

274Polizeibeamte, ob in Zivil oder Uniform, haben naturgemäß das Bestreben, eine Wahrheit zu erfahren. Gleiches gilt für Juristen, aber auch für andere Hoheitsträger (im materiellen Sinne). So haben Eltern im Erziehungsverhältnis ein Interesse daran, was mit ihren Kindern geschieht und was sie machen – besser gesagt: gemacht haben. Jeder Trainer im Sport, jeder Übungsleiter oder Schiedsrichter, jeder Psychologe, Berater oder Betreuer hat Interesse an einer gewissen Wahrheit. All diese Gruppen entwickeln mehr oder weniger strukturierte Instrumente, wie sie dabei vorgehen.


Praxistipp:
275 Es gibt unterschiedliche Wahrheiten, die durchaus auch vom Standpunkt des Betrachters abhängig sein können.

3.1Ziele einer Vernehmung

276Die Ziele einer Vernehmung sind vor dem Hintergrund einer Wahrheitserforschung mannigfaltig; eine abschließende Aufzählung ist daher kaum möglich. Allerdings lassen sich die wesentlichen und immer wiederkehrenden Vorgaben wie folgt zusammenfassen:

•Personalienfeststellung, vgl. auch § 111 OWiG.

•Feststellungen zur Beteiligung (Täterschaft oder Teilnahme) einer Person bzw. zu deren Ausschluss und den daran anschließenden Zeugenstatus.

•Versuch, die „objektive Wahrheit“ herauszufinden in Bezug auf Sachverhalt und Tathergang; ggf. Tatrekonstruktionen durchführen.

•Wahrheitsfindung unter Einhaltung der prozessualen Spielregeln.

•Erforschung des subjektiven Tatbestandes, der Einstellung und Motivation der Beteiligten.

•Ermöglichung einer Erklärung der Beteiligten für ihr Verhalten in der Vortatphase, der unmittelbaren Tatausführung und dem Nachtatverhalten.

•Entlastung der Beteiligten sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht (z. B. Eingreifen von Rechtfertigungsgründen), vgl. §§ 136 Abs. 2, 160 Abs. 2 StPO.

•Erfassung und Dokumentation relevanter Informationen, wobei auch die spätere Verwertbarkeit im Rahmen einer strafrechtlichen Hauptverhandlung berücksichtigt werden muss.

Übersicht: Ziele einer Vernehmung

3.2Strukturen

277Der Polizeibeamte lernt bereits in einer frühen Phase seiner Ausbildung, zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zu unterscheiden. Am Anfang aller rechtlichen Betrachtungen steht die Überlegung, mit welcher Zielrichtung eine polizeiliche Maßnahme getroffen werden soll. Hierbei lehnen sich Tätigkeiten mit dem Ziel der Strafverfolgung schon in einer frühen Phase an die Erfordernisse des Strafprozesses an.

3.2.1Objektiver und subjektiver Befund

278Regelmäßig wird eine frühe Zuständigkeit der Kriminalpolizei angenommen, die in Anlehnung der Unterscheidung zwischen Personal- und Sachbeweis1 den subjektiven und den objektiven Befund getrennt voneinander betrachtet.

Der Tatort ist regelmäßig Bestandteil des objektiven Befundes, in dem nicht veränderbare, feststehende Umstände erfasst werden. Sie lassen sich auf verschiedene Arten dokumentieren (strukturierter Bericht, Fotografie, Skizze, Rasteraufnahmen, Vermessungen pp.) und dienen als feste, unveränderbare Grundlage.

Zunächst unabhängig davon wird der subjektive Befund aufgenommen. In der Erstaufnahme ist das die „Anhörung“ (= Vernehmung) der Personen, die Angaben zur Sache machen können.

3.2.2Personen

279Möglichst früh sollten Menschen, die Angaben zum Geschehen machen können, in ihre prozessuale Rolle eingeordnet werden. Zunächst muss erkannt werden, ob überhaupt der Verdacht einer Straftat besteht. Wenn ja, muss ebenfalls frühzeitig der Status der Auskunftsperson geklärt werden.

280Die wichtigste Unterscheidung ist, ob gegen die jeweilige Person ein Tatverdacht bestehen kann oder nicht. Daran orientiert sich die frühzeitige Belehrung, wobei es sich im Zweifel anbietet, eher den Beschuldigtenstatus anzunehmen. Bereits daraus lässt sich ableiten, dass jede Person einzeln und unabhängig von anderen vernommen werden muss.

281Ferner kommt es auf die Dokumentation dessen an, was die Person selbst wahrgenommen hat. Dabei ist ein möglichst direkter Bezug zum Geschehen von wesentlichem Vorteil. Gehörtes – von Dritten oder gar Vierten – wird immer mehr verfälscht sein.


Praxistipp:
282 Jeder Sachverhalt sollte bereits bei der Erfassung/Aufnahme in objektive und subjektive Feststellungen unterteilt werden. Personen, die Angaben zum Sachverhalt machen können, sind einzeln und getrennt von anderen zu befragen bzw. zu vernehmen. Eine frühzeitige, detailreiche Vernehmung kann für spätere Ermittlungen und für das Strafverfahren wichtige (und oft nicht nachholbare) Grundlage sein. Dem vorgeschaltet muss die Festlegung des Status im Strafprozess – damit einhergehend die Belehrung – sein.

3.3Wahrheitsfindung

283Auf diese Art werden die ersten Grundlagen geschaffen, anhand derer die Ermittlungen fortgeführt werden, die aber auch für den späteren Prozess von elementarer Bedeutung sind. Durch den späteren inhaltlichen Vergleich zwischen den objektiven Umständen und dem jeweilig Wahrgenommenen kann das tatsächliche Geschehen (= Wahrheit) ermittelt werden. Fällt der objektive Bereich weg (wie bei vielen Beziehungsdelikten), kommt es umso mehr darauf an, inhaltlich ausgefeilte Details zur Verfügung zu haben, die in Vernehmungsprotokollen erfasst sind.