Ufer Im Jenseits

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Ufer Im Jenseits
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Hansjörg Breinlinger

Ufer Im Jenseits

Roman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Hansjörg Breinlinger

Impressum neobooks

Hansjörg Breinlinger

Ufer im Jenseits

Roman

Vorwort

Die erste Spanienreise in den Fünfzigerjahren auf einem Motorroller war abenteuerlich.

Der Diktator Franko regierte immer noch mit harter Hand. Campingplätze gab es nicht, und wir stellten das Zelt auf Wiesen oder Feldwege. Über den Ebro fehlte die Brücke, und er war nur auf einer unsicheren Autofähre zu überqueren.

Bei Valencia hatten wir unser Zelt auf einem Feldweg im Orangenhain platziert, und bemerkten zu spät, dass ein Pferdekarren wartete. Aber vom Chef der Plantage wurden wir zum Essen eingeladen. Auf den Straßen sah man nur selten ein Auto, aber viele Eselkarren und Fußgänger. Benidorm war ein kleines Dorf mit einem herrlichen Sandstrand ohne Campingplatz. Im Krämerladen wurden wir nicht bedient, doch ein Polizist klärte uns auf; ohne Jacke und langer Hose bedient sie keiner.

Über Alicante nach Madrid war es eine weite Strecke, dort fuhr Regierungschef Franko im offenen Wagen, an der Seite des Schahs von Persien an uns vorbei. Sie wurden eskortiert von der maurischen Garde auf weißen Pferden. Wenn wir heute die Fotos anschauen, ist es schwer zu glauben, dass sie von Spanien sind.

Viele deutsche Touristen kennen inzwischen die spanischen Strände und Urlaubsorte, aber nur wenigen ist es möglich, hinter die Kulissen zu schauen.

Bei Tarifa kommen sich die Kontinente Europa und Afrika sehr nahe, eine Schwachstelle für die Eroberer. Für uns war die Atlantikküste immer wieder ein erlebnisreicher Ferienort.

Als wir um die Jahrhundertwende mit dem Katamaran dort segelten, gab es noch keine Frontex, die den Grenzverkehr regelte. Walter Frey rette eine Migrantin, und traf eine frühere Schülerin, nur vor ihr konnte er sich nicht retten.

Die Migrationswelle hatte auch Spanien nicht verschont, diesem Phänomen ist kein Land gewachsen, und es gab Unstimmigkeiten.

Vor die Wahl gestellt, den Gesetzen des Gastlandes zu gehorchen oder den Werten unserer Zivilisation, wählten wir Letzteres.

Alle Namen und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Menschen und deren Namen ist zufällig.

Der Autor

Hansjörg Breinlinger ist 1937 in Waldshut/Tiengen geboren, und lebt heute in Tengen im Hegau. Er studierte in München und Düsseldorf Malerei/Grafik & Pädagogik. Als Grafiker arbeitete er in Düsseldorf und Paris. In Obervolta- Burkina Faso ist er drei Jahre lang Entwicklungshelfer. An einer Realschule in Singen unterrichtet er Kunsterziehung/Werken. Nebenbei arbeitet er als Grafikdesigner für Verlage und Agenturen. In seinen Büchern dokumentiert er die Ereignisse in Westafrika.

1 Reise nach Andalusien

Auf den letzten Schultag freuten wir uns selten so sehr wie dieses Mal. Das fast neue Auto hatte Marion mit mir schon am Abend mit unseren Taschen und Koffern beladen. „Auf deiner Vespa hättest du das nicht mitnehmen können;“ sagte meine Schwester ironisch, indem sie mich lachend an die erste Spanienreise erinnerte. Ihre Tochter Paola achtete darauf, dass ihr Teddy auf der Ablage einen guten Platz bekam: „Teddy braucht Sonne, “flüsterte sie ihrer Mutter ins Ohr.

Um die Schweizer Autobahn ohne Stau zu bewältigen, starteten wir um 4:30 Uhr früh am Morgen. Hinter Genève bei Annecy fragte Paola: „Wann sind wir am Ziel?“

Wie alle Kinder im Grundschulalter konnte sie nicht einschätzen, wo Spanien beginnt, das Land, in dem wir Ferien verbringen wollten. Wie schon früher, planten wir in Südfrankreich -im Hotel Village -Catalan- zu übernachten und hatten Vorbereitungen getroffen.

An der Rezeption gab uns eine freundliche Dame die Schlüssel für unsere Zimmer. Im Hotel war es sehr ruhig, es lag weit genug von der Autobahn entfernt. Bei den letzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse im Restaurant tranken wir Limo- oder einen Côté du Rhône, das Bett schwankte und drehte sich, doch unbemerkt war ich eingeschlafen. Noch einmal fuhren wir morgens früh über die Grenze, hier in Spanien begannen für mich die Ferien, doch es war noch weit bis Andalusien. Mit dem Sonnenaufgang baute sich die Hitze auf, die Klimaanlage schaffte es gegen Nachmittag nicht mehr in unserem Fahrzeug.

Bei L‘Hospitalet hielten wir an einer Raststätte mit Meerblick. Der Wagen bekam eine Tankfüllung und die Reisenden -Orangensaft frisch gepresst-.

Einige Kilometer weiter fragte meine Schwester: „Wo hast du deinen Teddy Paola?“ sie schaute zur Konsole am Rückfenster und begann zu schreien: „Mein Teddy ist weg!“

„Hast du ihn im Restaurant gelassen?“ fragte Marion ihre Tochter.

„Ja, er war bei mir auf der Bank.“

Mir wurde sofort klar, dass das für Paola einen dramatischen Verlust bedeutete. Bei der nächsten Ausfahrt fuhr ich herunter, ein Wegweiser zeigte L’Hospitalet an. Es ging über eine Brücke der Autobahn zurück zur Raststätte. Im Restaurant saß der Teddy noch an seinem Platz und wurde mitgenommen.

Als wir spät am Abend vor unserem Ferienhaus anhielten, hatte Paola das Ziel erreicht. Unseren Vermieter Senor Luis Togas traf ich noch in seinem Büro, er begrüßte mich überschwänglich und gab mir die Schlüssel für das Haus. Inzwischen wurde es Nacht und Marion wollte das Licht einschalten, doch die Lampen blieben auf der Terrasse dunkel und in allen Räumen. Sie fand in ihrer Reisetasche eine Kerze, die sie anzündete, indessen ging ich zum Büro unseres Vermieters. Er wollte gerade die Tür schließen, da erklärte ich ihm, dass es im Haus keinen Strom gab. „Ich werde es dem Maccanico sagen;“ antwortete er mir. Am nächsten Morgen kontrollierte ich -in einem Kasten neben der Haustür- die elektrischen Sicherungen. Die Hauptsicherung war durchgebrannt, aber es gab keinen Ersatz.

Der Maccanico kam nach dem Frühstück, und reparierte die Sicherung mir einem Draht, wonach alle Lichter und Geräte wieder funktionierten.

Von den spanischen Bergen aus sah man bis zur marokkanischen Küste, und auch die weißen Häuser einer Stadt. Es siedelten dort schon die Phönizier, die einen kurzen Weg nach Europa suchten. Im 14. Jahrhundert lebte in Tanger der Weltreisende Ibn Battuta, der über Indien, bis China kam und durch die Sahara nach Timbuktu. Er berichtete über diese Stadt als erster, denn damals war sie für Christen und Europäer unzugänglich. Als Tanger noch eine internationale Zone war, fanden verfolgte Menschen dort eine Zuflucht. Es lebten einst viele jüdische Händler in den weißen Häusern, die aber nach dem Palästinakrieg und der Vereinigung mit Marokko, die Stadt verlassen haben. Von der Stadtmauer gab es eine herrliche Aussicht zum spanischen Ufer.

Mit meiner Schwester fuhr ich auf einer Fähre in knappen einer Stunde, von Tarifa hinüber nach Tanger. Marion wollte dort Lederwaren und Teppiche einkaufen, und einige Skizzen fertigen von Häusern, in typisch - maurischem Stil. Für sie war Paul Klee ein Vorbild, der in Tunesien die Stadt Kairouan malte.

Von spanischen Landschaften und Dörfern hatte Marion Aquarelle gemalt, die sie an den Wänden im Restaurant ausstellen durfte. Señor Roberto Alvarez, ein Bankdirektor sah die Aquarelle, und hatte Marion eingeladen. Seitdem hängen ihre Bilder in der -Banco Popular- von Malaga, die bewundert, und einige auch verkauft wurden.

In Tanger begegneten uns freundliche Kaufleute, mit denen wir aber hart verhandeln mussten, um keine überhöhten Preise zu bezahlen. In den Sommerferien zog es uns immer wieder nach Andalusien. Es war das angenehme Klima, und die unbeschwerte Lebensart, mit den herrlichen Landschaften und einer eigenartigen Kultur, die uns anlockten. Dennoch hatten wir nichts gemeinsam mit den jugendlichen Ausreißern der 1960er Jahre, die sich in der farbigen Kulisse Südspaniens austoben wollten. Amerikanische Studenten flüchteten damals vor dem sinnlosen Krieg, den ihr Land in Vietnam führte. Andere Jugendliche aus Norwegen oder Schweden kamen aus ihrer winterlichen Heimat, um sich an den Stränden Andalusiens zu wärmen. Für mich, der sich täglich für seine Schüler einsetzte, um ihnen Wissen oder Lebensgrundlagen zu vermitteln, waren es erholsame Stunden beim Segeln auf dem Meer. Am Abend stand ich an der Theke mit dem alten Don Pedro bei einem Glas Wein in der Bodega, dem ich mitteilte: „Morgen möchte ich früh aufs Meer hinaus!“

Er stellte sein Weinglas auf die Theke und brummte: „Kannst du das Boot nicht allein holen?“

„Warum nicht, nur ohne Schlüssel geht nichts!“

Pedro gab mir die Schlüssel für das Schloss an der Bootskette, trank sein Glas leer und ging hinaus. An diesem Abend gab es keine fröhliche Feier bei den bayerischen Nachbarn, die mit ihrer Bierlaune nicht zimperlich waren. Darum wurde es eine ruhige Nacht in unserer Ferienwohnung, die mich tief schlafen ließ. Beim Frühstück ermahnte mich meine Schwester: „Sei vorsichtig bei dem starken Schiffsverkehr!“

 

„Tschüss!“ sagte ich zu ihr und ging zum Bootshafen.

2 Eine Afrikanerin wird gerettet

In der Ferne hinter dem tiefblauen Wasser ging über dem Riff die Sonne auf. Ein leichter Wind wehte vom Atlantik über die Küste. Der Geruch von Muscheln, Algen und Tang lag in der Luft. Die hohen Wellen des Ozeans sorgten für eine starke Brandung, die so heftig an den Strand schlugen, dass sie weithin zu hören waren. Im Sommer schien auf der Westseite dieser Meerenge fast täglich die Sonne von einem azurblauen Himmel, sie garantierte den Seglern und Surfern, einen kräftigen Wind. Nachdem ich den Katamaran zum Strand gezogen und startbereit gemacht hatte, spiegelten sich die ersten Sonnenstrahlen auf dem Wasser. Tautropfen glitzerten wie Perlen am Riedgras und den Booten der kleinen Marina. Der Wind frischte auf aus Westen, es zeigten sich leichte Schaumkronen auf den Wellen. Nach meinen Erfahrungen an dieser Küste konnte der Westwind am Nachmittag auch zum Sturm werden. Wie jeden Morgen in den Ferien segelte ich -mit einem geliehenen Katamaran- hinaus auf den Atlantik. Ein ähnliches Boot hatte ich am Bodensee, das Ruder sowie die Takelage waren gleich. Die Fock schlug heftig am Vorstag, nachdem das Ende festgezurrt war lag es gut im Wind und ich ging an die Ruderpinne. Auch heute beobachtete ich zunächst den regen Schiffsverkehr, um den Frachtern nicht zu nahe zu kommen. Weiter draußen fuhren wie üblich die Tanker- Fracht-, oder Fährschiffe, einer kam der Küste sehr nahe.

Doch unerwartet sah ich Steuerbord voraus einen schwarzen Gegenstand schwimmen. Ich hielt das Boot darauf zu, um es aus der Nähe zu betrachten. Bei genauerem Hinsehen verwandelte sich der Gegenstand in den Kopf eines Menschen, der zu einer jungen Frau mit schwarzen Haaren und braunem Gesicht wurde. Bei dem ruhigen Seegang steuerte ich dennoch vorsichtig so nahe als möglich zu ihr, um sie nicht zu gefährden. Das gelang mir dann schließlich auch, dank meiner geübten Manöver beim Erwerb des Segelscheins. Die Frau hielt sich an einer Holzplanke und war sehr erschöpft; außer ihren nassen Kleidern, hatte sie nichts bei sich. Mit beiden Händen half ich ihr, um aus dem Wasser auf den Katamaran zu gelangen. Die Bootsrümpfe lagen glücklicherweise nur wenig über dem Wasser, denn sie hatte kaum noch Kraft, aber gemeinsam schafften wir es. Der Schiffsverkehr wurde für die Frau gefährlich, sie hätte sich vermutlich nicht mehr lange über Wasser halten können. Bei ihrem erschöpften Zustand konnte sie nichts mehr sagen, aber ganz schwach flüsterte sie in Französisch: „soif …à boire“ - Durst, geben sie mir zu trinken.

Ich gab ihr die Flasche mit Mineralwasser, meine Notreserve. Sie hörte nicht auf und trank bis die Flasche leer war. Trotz des warmen Wetters zitterte sie in ihren nassen Kleidern am ganzen Körper. Deshalb gab ich ihr das Handtuch und schaute weg, damit sie sich abtrocknen konnte. Meinen leichten Pullover zog ich aus und gab ihn ihr, sie bemühte sich ihn anzuziehen. In dem Pullover hörte sie auf zu zittern, auch wenn er ihr zu groß war. Die nassen Kleider lagen in einem formlosen Knäuel neben ihr und das war alles was sie hatte. Ihre Hautfarbe deutete darauf hin, dass sie vom anderen Ufer kam. Jetzt sah sie wie eine Seglerin aus, deshalb konnte ich es auch wagen, mit ihr zur flachen Sandküste zurück zu fahren. Hoffentlich hatte uns die spanische Küstenwache nicht beobachtet, die hier auf illegale Einwanderer und Drogenschmuggler aus war. Sie wurden sofort zurückgebracht, oder an Land eingesperrt.

Was ich befürchtete schien sich zu bewahrheiten, denn bald näherte sich ein Schnellboot der Guarda Costas, die uns sicher beobachtet hatte. - Vielleicht sahen sie auch nur mein unsicheres Segelsetzen, um das Boot an den Wind zu bringen. Die Küstenwache näherte sich auf nur wenige fünfzig Meter Distanz, sie drosselten die Geschwindigkeit. Nachdem sie mein Handzeichen sahen, indem ich ihnen, „alles OK“ signalisierte, drehten sie ab und fuhren in Richtung des Hafens davon. Die junge Frau kauerte immer noch zitternd und ängstlich in der Bootsmitte. Weil sie mich in Französisch angesprochen hatte, nannte ich meinen Namen: „Je m’appel Walter Frey“ -ich heiße Walter Frey- und fragte auch sie, „et vous?“ – und Sie-?

Sie ließ eine zierliche Halskette durch ihre Hand gleiten, dann sagte sie leise: „Noemi“.

Danach fragte ich sie: « Est-ce que vous venez de l’Afrique? » - kommen sie aus Afrika? - Worauf sie nickte und „Oui“, ja sagte.

Wie es mir schien, war sie noch erschöpfter als ich befürchtete. Doch bald näherten wir uns dem weiten flachen Sandstrand Andalusiens, dabei wurde ich mir meines Rettungsmanövers bewusst, was man mir als Fluchthilfe auslegen konnte.

Ein Bootsführer war aber dazu verpflichtet, Menschen in ihrer Not zu retten. Zugleich musste ich mich rechtfertigen bei Don Pedro und Senor Luis Togas, unserem Vermieter des Ferienhauses. Und was sollte ich meiner Schwester sagen? Durch das Fernglas suchte ich nach einer günstigen Anlegestelle, in der Nähe unseres Hauses. Eine geeignete Stelle an der Küste fand ich bald, und steuerte den Katamaran an den Strand, den auch Badegäste belegten. Ich barg die Segel und zog das Boot aus der Brandung, einige Meter in den trockenen Sand. Unter den Badegästen, auf ihren Handtüchern, sah ich auch meine Schwester Marion mit ihrer Tochter. Als sie uns ausmachte, ging sie gleich durch den Sand zu unserem Boot.

Die junge Frau mit exotischer Hautfarbe, stellte ich meiner Schwester vor: „Das ist Noemi, ich habe sie beim Schwimmen mitgenommen und eingeladen.“

„Hallo Noemi,“ rief Marion, aber sie reagierte nicht.

„Wir werden mit ihr zu unserer Ferienwohnung gehen,“ sagte ich zu Marion.

Hiernach half ich Noemi vom Boot, und meine Schwester stellte mir glücklicherweise keine weiteren Fragen. Die Badegäste durften keinen Wind bekommen. Wir begleiteten sie gemeinsam über den Strand zu unserer Wohnung, als wäre sie eine gute Bekannte. Der unsichere Gang Noemis könnte ihnen aufgefallen sein. Jedoch die Strandgäste waren meistens mit sich selbst beschäftigt.

Mit meinen Kleidern, die Noemi anhatte, hielt man sie bestimmt für eine Touristin. Es musste für Marion ungewöhnlich gewesen sein, dass ich eine fremde Frau in dunkler Hautfarbe mitgebracht hatte.

Aber ich durfte ihr erst in unserer Wohnung davon mehr erzählen. Obwohl ich mir keine Schuld geben konnte, beschäftigten sich meine Gedanken mit den zu erwartenden Problemen. In unserem Ferienhaus erklärte ich meiner Schwester schließlich, was auf dem Meer geschehen war. Marion begriff gleich, wen sie vor sich hatte, und bemühte sich zu helfen: „Möchtest du einen Tee oder lieber eine Limonade?“ fragte sie Noemi.

„Unser Gast versteht nur Französisch,“ deshalb können wir nur in ihrer Sprache mit ihr reden, und wendete mich an Noemi: „Vous désirez une tasse de thé?“ Noemi nickte und flüsterte: „Oui.“

Danach füllte meine Schwester einen Kochtopf mit Wasser, stellte ihn auf den Elektroherd und wartete ungeduldig. Das Wasser kochte bald, und Marion brachte ihr eine Tasse Tee, den sie mit Honig servierte. Dazu gab sie ihr auf einem Teller ein Stück spanischen Kuchen. Noemi hauchte leise: „Mercie bien.“

Mit zitternden Händen hielt sie die Tasse und trank schweigend, ohne vom Kuchen zu essen. Ich wollte ihr keine weiteren Fragen stellen, sie hätte es vielleicht missverstanden. Marion setzte sich zu ihr, unterdessen ging ich mit einer Einkauftasche zum Katamaran. Dort nahm ich unauffällig, die nassen Kleider Noemis vom Boot und steckte sie in die Tasche.

Zurück in unserer Wohnung, versuchte ich Don Pedro anzurufen, den ich bei ihm zuhause antraf: „Den Katamaran kannst du am Badestrand abholen.“

„Dich hat wohl der Wind abgetrieben? Ich werde den Kat holen.“

Noemi saß immer noch schüchtern auf dem Stuhl. Sie hatte den Tee getrunken, dann die Tasse auf den Tisch gestellt, aber ihr ängstliches Zittern konnte sie nicht verbergen. Sie richtete sich an Marion, indem sie sagte: „Mercie bien pour le thé.“ – Danke für den Tee-

Dann tastete sie mit der Hand nach ihrer feinen Goldkette und sagte leise, aber verständlich: „Es ist schön bei Ihnen, aber ich bin sehr müde.“

Marion führte sie in ihr Zimmer und zeigte Noemi das Bett, auf das sie sich mit ihren Kleidern hinlegte, und einschlief.

Als wäre nichts geschehen, gingen wir über die Straße ins Restaurant, wo wir ein Abendessen bestellten. Paola setzte ihren Teddy auf einen Stuhl, den sie nicht mehr aus den Augen ließ. An den Wänden hingen einige Aquarelle von Marion, der Gastwirt hatte sie darum gebeten sie bei ihm auszustellen. Am Tisch stopfte ich die Pfeife mit Tabak und zündete sie an. Den Rauch störte meine Schwester nicht, im Gegenteil: „Du rauchst den Amsterdamer, er duftet gut.“

Etwas leiser fuhr ich fort: „Wir müssten sie bei der Polizei melden, aber das werden wir lassen.“

„Ich werde sie als meine Freundin aus Frankreich ausgeben, wir haben es gemeinsam zu verantworten, “ antwortete Marion.

„So könnten wir es Señor Togas, dem Vermieter unserer Wohnung, und Don Pedro erklären.“

Dafür gab es einige Ungewissheiten, denn vielleicht hat uns am Strand jemand beobachtet. Oder wie soll es mit Noemi nach unseren Ferien hier weitergehen? Aus den Berichten der spanischen Zeitungen wussten wir, dass man mit Migranten nicht sehr human umging. Es gab dubiose Schlepper aus Marokko, die Asylanten in morschen Booten übers Meer schickten. Unter ihnen waren auch Drogenschmuggler, die mit Schnellbooten zur spanischen Küste fuhren. Die Bootswracks an Spaniens Stränden sprachen Bände. Wenn wir nicht vorsichtig mit unserem Gast aus Afrika umgingen, machten wir uns verdächtig, mit Schleppern zusammen zu arbeiten. Weil wir Noemi bei uns aufnahmen, haben wir uns auf ein Abenteuer eingelassen, mit einem nicht absehbaren Ende. Zunächst gaben wir den humanitären Aspekten den Vorrang, vor den Gesetzen des Gastlandes, und hielten die Rettung geheim. Wie wir diese Aufgebe lösen würden, wussten meine Schwester und ich noch nicht, aber wir wollten Noemi helfen, darin waren wir uns einig. In einer solchen prekären Situation waren wir noch nie, vielleicht konnten uns Freunde helfen?

Erst am nächsten Tag, nach vielen Stunden Schlaf erwachte Noemi wieder und spürte eine wohltuende Wärme um sich. Über ihr lag eine weiche Decke, sie fühlte mit den Fingern die weißen Bettlaken um sich. Aber wo war das Wasser geblieben, das nach Salz schmeckte und in den Augen brannte. Danach erinnerte sie sich, dass ein Segler sie rettete, der sie zu einem Haus und einer weißen Frau brachte. Die Dame war sehr gut zu ihr und führte sie in einen Raum, dort legte sie sich mit den Kleidern in ein Bett. Das Licht von einem Fenster erhellte ihr fremdes Zimmer, das sie an die freundliche weiße Frau erinnerte. Jemand hatte an die Tür geklopft und sie rief: „Oui, prier d’entrer!“ -Ja, bitte eintreten-.

Marion öffnete die Tür und sie fragte: „Bonjour, wie geht es Ihnen heute?“

Darauf antwortete Noemi in französischer Sprache: „Merci, très bien, est- ce que vous êtes une espagnol? “

„Es geht mir sehr gut; sind sie eine Spanierin?“

In meinem Zimmer nebenan hörte ich, dass Marion darauf antwortete: „Nein, wir sind aus Deutschland, und verbringen hier die Ferien.“

„Ich komme aus Westafrika, es war eine deutsche Kolonie.“

„Wir möchten Sie zum Essen einladen.“

„Ganz gern, aber ich habe nur die alten Kleider.“

Die Schranktür knarrte und Marion sagte: „Probieren sie die weiße Bluse und den blauen Rock, ich brauch es nicht mehr.“

Sie nahm die Kleider auf ihren Arm, auf dem Weg zu ihrem Bett hörte ich Noemi sagten: „Merci beaucoup Madame.“

Am Morgen hatte ich an einem Kiosk die Zeitung „Diario Sur“ gekauft, die deutsche Ausgabe. Die Schlagzeile war: „Schiffskollision“

In der Nacht auf den Montag fand die Küstenwache im Meer noch einige Migranten, die nach einem Schiffbruch gerettet wurden. Von einem alten Holzboot, mit marokkanischer Nummer schwammen nur geborstene Planken im Wasser. Die Guardia bittet die Strandbewohner darum, die Küste zu beobachten und ungewöhnliches zu melden.

Es war jener Morgen, an dem ich mit dem Katamaran auf den Atlantik segelte, und Noemi fand. Das Ereignis war scheinbar den Journalisten nicht entgangen, und ihnen einige Zeilen wert.

Von unserem Tisch, auf der Terrasse des Restaurants, sah man den weiten Strand im Sonnenglanz. Einige Schatten huschten darüber von den weißen Wolken, die der Wind vor sich hertrieb. An dieser Küste müssen sich schon Tragödien ereignet haben, die Reste von Holz- und Schlauchbooten zeugten davon. Neben uns saß Noemi, die niemand mehr von einer Touristin unterscheiden konnte. An ihren Gesichtszügen war nichts mehr von den Strapazen zu erkennen, die sie im Meer erlebt haben musste. Ihr von der Sonne gefärbtes Gesicht war mädchenhaft und sogar hübsch. Noemis braune Augen blickten ernsthaft, aber dennoch freundlich. Über ihr Land, und die nicht leichten Fluchtwege, würde sie uns noch einiges zu erzählen haben.

 

Ihren Namen und von dem Schiffbruch wusste ich, nur nicht wie es mit ihr weitergehen soll. Weil Noemi gut französisch sprach, fragte ich sie: „Was haben sie beruflich gemacht?“

„Ich habe in einer Schule kleine Kinder unterrichtet.“

Es gibt scheinbar seltsame Zufälle, dachte ich und meinte: „Dann sind sie eine Kollegin von mir.“

In ihrem Gesicht zeigte sich ein schüchternes Lächeln; dabei griff sie nach ihrer feinen Halskette, an der eine goldene Maske hing. Weil mich afrikanische Kunst, auch in ihrem tieferen Sinn interessierte, fragte ich Noemi: „Was bedeutet die Maske an ihrer Halskette?“

„Das ist die Igbo-Ukwu Maske, ein Gottkönig, und Geschenk meines Vaters.“

Ich beschloss darüber nachzudenken, und erst wieder zu fragen, wenn es dazu eine Gelegenheit gab. Darum stopfte ich meine Tabakpfeife, die mir Marion anzündete, zumeist rauchte ich sie kalt, aber ich fragte Noemi: „Stört es sie, wenn ich rauche?“

Sie lächelte, bewegte ihren Kopf und versicherte mir: „Non, absolument pas!“ -Nein überhaupt nicht-.

Sie hatte von dem üppigen Frühstück, außer dem Milchkaffee und einem Stückchen Brot mit Honig fast nichts gegessen, darum fragte ich sie: „Warum essen sie so wenig?“

Sie zeigte sich überrascht und griff zur Halskette, wonach sie antwortete: „Ne m’en voulez pas, s’il vous plâit, si je ne peut pas mancher beaucoup.“ -Entschuldigen sie bitte, wenn ich nur so wenig essen kann.-

Über einen ganzen Tag lang hatte Noemi im Zimmer meiner Schwester geschlafen, indessen benutzte Marion die Couch im Wohnzimmer und Paola schlief auf einer Campingliege. Zum Mittagessen nahmen wir Noemi aber wieder mit zu unserem Restaurant, auf die Dachterrasse.

3 Die Schülerin Elisabeth

Einige Tische weiter, im Schatten eines Sonnenschirms, setzte sich Marion zu Bekannten, mit denen sie angeregt plauderte. Neben ihr saß ein Niederländer, den sie am Strand kennen lernte. Sie unterhielt sich gerade mit einer attraktiven jungen Dame, die sie scheinbar gut kannte. Dann kam sie mit ihr zu unserem Tisch, wonach sie mir eröffnete: „Darf ich dir deine Schülerin Elisabeth vorstellen, die dich wiedererkannt hat.“

Etwas verlegen blickte ich die Dame an; ich hatte schon einige Mühe, mir die Namen meiner derzeitigen Schüler zu merken. Wie sollte ich aber jemand wiedererkennen, den ich vor Jahren unterrichtete?

„Guten Tag Herr Frey, ich bin Elisabeth Bach, aus der neunten Klasse der Realschule.“

Aus meiner Verlegenheit erwacht, und freundlich wie es sich für einen Lehrer gehört, reichte ich ihr die Hand: „Das freut mich, sie hier begrüßen zu dürfen.“

„An ihrem Schnauzbart und ihrer Pfeife, habe ich sie wiedererkannt.“

Wenn sie meine Schülerin gewesen war, dann hatte sie sich inzwischen stark verändert, dennoch ehrte mich ihr zarter Händedruck, und ich fragte die Dame: „In welchem Hotel wohnen sie?“

Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und antwortete: „Meine Eltern haben einen Bungalow an der Costa del Sol, nicht weit von hier, ich werde von einem Freund abgeholt.“

Nach der freundlichen Begrüßung ging sie mit meiner Schwester zu ihrem Tisch zurück, an dem der Niederländer auf sie wartete. Ich konnte nicht wissen, dass sie meiner Schülerin die Geschichte von Noemi erzählte, das von ihr sehr unvorsichtig war. Entweder wollte meine Schwester mich vor einer falschen Vermutung schützen, oder nur eine interessante Sache erzählen. Jedenfalls musste ich davon ausgehen, dass ihr Elisabeth einige gefährlichen Fragen stellte. „Was hatte der Lehrer mit dieser jungen Afrikanerin zu tun?“

Mich störte es aber nicht, dass Noemi vertraut neben mir saß. Es gab in meiner Klasse viele Schülerinnen, die nicht viel jünger waren als sie. Mit ihrer unglücklichen Herkunft hatte es Noemi schon schwer genug. Aber warum hatte sie ihr Land allein verlassen, über die gefährlichen Fluchtwege Afrikas? Niemand konnte Noemi dafür beschuldigen, wenn sie aus einem Land fliehen musste, wo ihr Leben bedroht wurde. Weil sie illegal einreiste, und ich sie gerettet habe, machte ich mich dann mitschuldig? Wir haben gegen die spanischen Gesetze verstoßen, um einer Migrantin zu helfen, dessen waren wir uns bewusst.

Bei Noemi ist mir aufgefallen, dass sie andere Menschen achtete und zuhören konnte, was viele junge Leute bei uns verlernt haben. Ihre Unsicherheit konnte sie nicht verbergen, das war für mich verständlich. Ihre Art und Weise sich zu verhalten, verriet eine gute Kinderstube und Erziehung. Es würde von ihr noch einiges zu erfahren sein, wenn man ihr vertraute und geduldig zuhörte.

In den Ferien hielt ich meine Gedanken von der Schule fern, doch Elisabeth erinnerte mich mit ihrem Charme an meinen Beruf. Beim Essen an unserem Tisch hatte Noemi sich zurückgehalten und nur wenig gesprochen, vielleicht ging es ihr nicht so gut wie wir meinten. Sie tastete unsicher mit einer Hand zur Halskette und sagte zu mir: „Monsieur, ich möchte in die Wohnung, um auszuruhen, bitte.“

„Das konnte ich nach ihrer unglücklichen Seereise gut verstehen.“

Wir erhoben uns und ich begleitete sie zu unserem Ferienhaus. Das Personal der Wohnungen verhielt sich sehr höflich, doch sie hätten ihr Fragen stellen können, die Noemi nicht beantworten durfte. Deshalb begleitete ich sie durch die gepflegte Anlage, bis zu unserem Ferienhaus und wünschte ihr: „Bonne Siesta!“

Im Restaurant zurück, setzte ich mich an den Tisch zu den jungen Leuten, die sich mit meiner Schwester lebhaft unterhielten. Um es mit den anderen gleich zu tun, bestellte ich beim Kellner einen; „Café solo, por favor.“

Nachdem Essen eine Tasse Café zu trinken war in Andalusien üblich, aber zuweilen störte er bei der Siesta den Schlaf.

Es war nicht meine Art, als Besserwisser und Lehrer erkannt zu werden. Um aber von meiner delikaten Lage, in die mich Noemi brachte abzulenken, kam das Thema, das sie gerade diskutierten, gelegen. Elisabeth meinte: „An der Grenze zu Gibraltar gab es Ärger, weil die Spanier auf dem Felsen mehr Rechte haben wollten.“

Ich zündete meine Pfeife an, die bald von allein ausgehen würde, dann erzählte ich: „Die Spanier haben mit den Engländern hier, am Anfang des 19. Jahrhunderts, eine Seeschlacht ausgefochten. Nur wenige Kilometer von hier ist das Kap Trafalgar, wo Admiral Nelson 1805 den Sieg über die französisch- spanische Flotte, mit seinem Leben bezahlte. Obwohl die Spanier Gibraltar hundert Jahre zuvor an die Engländer verloren, wollten sie die Halbinsel zurückerobern. Der schroffe Fels trägt ohnehin den Namen eines Eroberers aus früheren Zeiten, namens Tarik. Es ist jener arabische Feldherr aus dem 8. Jahrhundert, der mit seinem Heer von muslimischen Berbern in Spanien einfiel.“

Die jungen Leute am Tisch hatten mir interessiert zugehört, besonders Elisabeth fühlte sich angesprochen: „Ich habe schon verzichtet mit dem Auto nach Gibraltar zu fahren, denn die Grenzkontrollen sind schikanös.“

Darauf wollte ich von meiner Schülerin wissen: „Lohnt es sich dort zollfrei einzukaufen, sind Sie schon länger hier?“

Ihre Hand strich eine Locke vom Gesicht, dann berichtete sie: „Ich arbeite seit zwei Jahren als Sachbearbeiterin für einen Großkonzern in Algeciras.“

Darüber staunte ich, wie selbstbewusst sie inzwischen war. Elisabeth hatte ihre Intelligenz und sprachliches Talent gut eingesetzt, um auch im Ausland erfolgreich zu arbeiten. Das gut geschnittene Kleid betonte ihre weiblichen Reize und ihr Aussehen, was war nur aus dem damals kleinen Schulmädchen geworden? Mit gut überlegten Worten begann Elisabeth noch mehr zu berichten: „Nach über drei Jahren fühle ich mich in Andalusien wie zuhause. Doch manche Sitten und Bräuche sind mir zweifelhaft und fremd, den Stierkampf zum Beispiel lehne ich ab.“

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