Tod im ewigen Eis

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„Ich will’s Euch zeigen“, schnaubte Mirkulo und zog mit einer rasch aus Lindenbastfasern gefertigten Peitsche über Öcetims Rücken. Endlich hatten sie eine große mannstiefe Grube ausgehoben, völlig entkräftet setzten sie sich auf de Boden. „Nichts da, weiter geht’s. Da liegen noch ein paar dreckige Freunde von Euch herum.“ Die zweite Grube musste ebenfalls so groß wie die für den toten Gefährten der Urugels werden, aber nur halb so tief. „Für diese Drecks-Kreaturen genügt das“, riefen sie hämisch den vier Freunden zu, die völlig ausgelaugt auf dem Boden lagen, unfähig zu Widerspruch.

Das Grab des Urugels hatten sie mit frischem Grün auszukleiden und den Leichnam darauf zu betten. „Den Kopf genau nach Osten, Du Trottel!“ schrie Mirkulo. In das Grab wurden seine Waffen, seine Schuhe aus Hirschleder, sein Halsband mit schwarzen und roten Steinperlen, ein abgegriffener Hornbecher und direkt neben ihm sein verzierter Speer, seine Keule aus Eichenholz und zwei Feuersteinklingen gelegt. Dies sollte auch im Jenseits belegen, dass der Tote ein wohlhabender und geachteter Krieger gewesen war. „Das genügt!“ schrie Mirkulo. „Den Sklaven dort, den bekommt er doch nicht!“ befahl er auf Öcetim deutend. „Der kommt nicht in sein Grab, den können wir selber gut gebrauchen.“

Schweigend umstanden die Urugels das Grab, ihre Gefangenen hatten vor dem offenen Loch zu knien. „Der Durchgang zwischen Leben und Tod ist offen, mein Gefährte. Schreite mutig voran, hinauf zu unserem Vater, der strahlenden Sonne“, murmelte Mirkulo. „Geh zu ihm, ins Reich der himmlischen Geister, dort ist nun Dein Zuhause. Aber bleibe dort! Zurückkehren kannst Du nur durch den Schoß einer Frau als neugeborener Knabe. Wandere mit der Sonne, aber nicht auf dieser Welt hier unten. Begleite uns auf unseren Beutezügen von oben – vom Ort wo die himmlischen Geister wohnen. Aber bleibe dort und verfolge uns nicht auf unserer Welt!“

Die Urugels lauschten den Worten ihres Anführers, steckten ihre Arme der hoch am Himmel stehenden Sonne entgegen und tanzten mit wilden Gesängen um das Grab ihres toten Gefährten. Jeder von ihnen riss einen Teil seiner Haare aus und warf ihn als Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Toten ins Grab. “Hier hast du ein Andenken an uns. Totes schwarzes Haar. Damit Du uns von weit oben noch erkennen kannst. Du sollst oben bleiben, oben bleiben, oben bleiben – und keine Macht über uns haben.“

„Die anderen Kerle und die Alte in das zweite Loch!“ herrschte Mirkulo die vier Freunde nach einer Weile an. „Auf, auf! Nicht faul, ihr Lumpen!“ Namos und Öcetim begannen zuerst die alte Frau behutsam zu dem zweiten Loch zu tragen. Sie wollten sie in Seitenlage mit angehockten Beinen in ihr Grab legen, so als wolle sie lediglich schlafen. Als sie ihr auch noch ihre wenige persönliche Habe hinzu geben wollten, bekam Mirkulo einen Tobsuchtsanfall. Er zog ihnen seine Peitsche über die gebückten Rücken und schrie, dass die ganzen Gerätschaften und auch der Schmuck allein den Urugels gehören.

Sie schlossen die ausdruckslosen Augen der Toten und beschwerten die Lider mit kleinen Steinen, das war alles, was ihnen die Urugels gestatteten. Stumm empfahlen sie ihre toten Freunde den jenseitigen Mächten, auf dass sie in der anderen Welt glücklicher seien, dass sie dort in einer Welt ohne Feinde und ohne Gier und Habsucht leben könnten. Ohne weinen zu können, verharrten sie kurz vor dem offenen Grab, während die gebunden am Boden liegenden Frauen vor Trauer und Entsetzen schluchzten. Schließlich hatten sie die beiden Gräber zuzuschaufeln und auf das Grab des Urugels einen schweren Stein zu wälzen. Anschließend wurden sie wieder an die Bäume gefesselt, während die Urugels zur sich schon rötlich färbenden Sonne schauten, sich ins Gras setzten und beratschlagten.

Am nächsten Morgen durften sich die Gefangenen unter Bewachung durch zwei Urugels im See waschen, bekamen kleine im Feuer gebratene Nagetiere und ausgerissene Schilfwurzeln zu essen. „Ihr sollt es gut haben bei uns“, grinste Mirkulo sie an. „Und uns als kräftige junge Männer einen guten Preis bringen.“

„Doch die Frauen behalten wir“, ergänzte ein anderer Urugel, indem er gierig auf die halbnackten Frauen starrte und sein Becken provozierend in Richtung von De Thuate bewegte.

Mit festen Stricken wurden die Gefangenen an den Hälsen aneinander gebunden. Jeder der Gefangenen hatte einen schweren Packen zu schleppen, weil ihnen auch die Sachen aus dem Lager der Urugels aufgeladen wurden. Es war ihnen untersagt, zu reden oder den Urugels ins Gesicht zu schauen, doch sie erhielten ausreichend Nahrung.

Deprimiert und ohne Hoffnung auf eine absehbare Änderung ihrer unerträglichen Situation, trotteten die vier Freunde und die drei Frauen in Richtung der untergehenden Sonne. Erniedrigt, gefesselt und von den Urugels streng bewacht schritten sie dem Tod entgegen, so kam es Namos vor. So viel er auch nachdachte, er sah keine Möglichkeit einer Flucht, schon gar nicht mit den Frauen zusammen. Zumal sich bei genauerer Betrachtung schnell herausstellte, dass sie bei einer Flucht nicht weit kommen würden, selbst wenn sie die zähen Fesseln durchschneiden und sie schneller laufen könnten. Denn die Urugels waren gute Fährtenleser und Jäger, was sie durch ihre Jagderfolge täglich bewiesen.

De Thuate wurde nachts immer wieder von einem oder gar mehreren Männern mit Gewalt genommen, ihr Blick war leer geworden, als ob sie in einer anderen Welt lebte. Obwohl sie nur leichtes Gepäck zu tragen hatte, schleppte sie sich mühsam vorwärts. Sie war innerlich und körperlich verletzt, wies jede freundliche Geste zurück, niemandem konnte sie ins Gesicht schauen. Sie hatte das Gefühl, dass sie das Unglück über die gesamte Gruppe gebracht habe, hätte sie sich damals - es erschien ihr wie eine Ewigkeit – Öcetim nicht hingegeben, dann würden ihr die Urugels nicht jede Nacht Gewalt antun. Diese absurden Gedanken beherrschten sie Tag und Nacht. Sie war so verzweifelt und fühlte sich jeglicher Hoffnung beraubt, so dass sie am liebsten auf der Stelle gestorben wäre. Die beiden älteren Frauen schwiegen, nur manchmal rang sich ein Schluchzen aus ihren Kehlen. Sie konnten ihre Schmach nicht verwinden und die Trauer um ihre Männer und die beiden Jungen lag schwer auf ihren Seelen.

Öcetim, der sonst gerne andere Leute in ein Gespräch verwickelte und so Lösungsmöglichkeiten auslotete, war in eine tiefe Traurigkeit verfallen und blieb stumm. Über sein Gesicht hatte sich ein dunkler Schatten gelegt, seine Augen starrten ausdruckslos ins Leere. Gesenkten Hauptes stapfte er Schritt für Schritt voran. Sie waren der Plackerei in der Kupfermine entronnen, sie hatten am See ein freies und wildes Leben geführt, aber leider nur für kurze Zeit. Er war mit De Thuate zusammen gewesen, hatte sich den schönsten Hoffnungen hingegeben, schon von einer eigenen Familie mit der schönen De Thuate als seiner Frau und Mutter von vielen gemeinsamen Kindern geträumt. Er hatte gehofft auf ein Leben in einer friedlich zusammenlebenden Sippe, von gelungenen Jagden und von einem ihm treu ergebenen Hund. Ziegen und Schafe wollte er haben und ein angesehenes Mitglied in seinem Stamm sein. Aber nein, dachte er verzweifelt, jetzt ist alles vorbei.

ʼDer Hirsch, der Hirsch, wir hätten den Hirsch nicht töten dürfen.ʼ so dröhnte es bei jedem Schritt in seinem Kopf. Die Götter hatten ihr Opfer doch nicht angenommen, und jetzt rächten sie sich bitter. Nicht nur an ihnen, den Jägern, nein, an allen, die von seinem Fleisch gegessen hatten, auch an De Thuate und ihrer Familie, die wirklich nichts dafür konnten. Das war nicht richtig, die Götter waren ungerecht. ʼWas ist los mit all den Gottheiten? Sind nur die Götter der Jagd böse auf uns? Oder alle? Auch die Geister, die in den Bäumen, den Flüssen und Bächen, der Luft, den Bergen, in den Sternen am Himmel leben?ʼ

Die Urugels verehrten einen anderen Gott: die Sonne. ʼOb dieser Gott mächtiger war als unsere Götter?ʼ Auch die Urugels baten vor der Jagd nicht die Götter um ihre Erlaubnis und um ihren Segen. Und trotzdem geschah ihnen nichts. Mit diesen Gedanken im Kopf stapfte Öcetim hinter Hirgelo her, hinter ihm ging Namos. Das gelegentliche Stöhnen und einzelne Wortfetzen, die Öcetim vor sich hin murmelte, drangen an Namos Ohren. „Du bist verzweifelt“, flüsterte er. „Du zweifelst an den Göttern, mir geht es ganz genauso. Wie können sie so etwas zulassen?“

Nachts lagen die Gefangenen an den Füßen gefesselt auf dem nackten Boden, schlafen konnten sie kaum. Ihre Gedanken kreisten unablässig um die Themen, wie sie sich aus dieser fürchterlichen Lage befreien könnten und weshalb die Götter es zuließen, dass sie gefangen und erniedrigt wurden. „Wegen des mangelnden Respekts vor den Geistern der Hirschjagd, das kann doch nicht sein“, murmelte Öcetim leise.

Dieses Thema ließ ihn nicht los. Die Urugels wurden von den Göttern nicht zur Rechenschaft gezogen und bestraft, weder wegen einer fehlenden Erlaubnis für die Jagd noch für das, was sie mit ihm und seinen Gefährten anstellten. Er haderte schwer mit seinem Schicksal und den ungerechten Göttern.

„Die Sonne ist der oberste Gott. Wenn man ihr huldigt, dann ist man auf der Seite der Sieger.“ Nach schier endlosen Tagen sprach Öcetim seine Gedanken laut aus.

„Nicht unbedingt“, schaltete Namos sich ein. „In meiner Heimat wurde die Sonne von allen verehrt, und dennoch gewannen die vom Oberlauf des mächtigen Flusses, sie taten uns Gewalt an und verleibten das Unterreich ihrem Reich ein. Die Sonne mag vielleicht mächtig sein, aber gerecht ist sie nicht.“ Er machte eine Pause, blickte zum Himmel hoch. „Die Sonne scheint über die Guten und die Bösen.“

 

„Auf der bevorzugten Seite sind die Urugels, die die Sonne als höchsten Herrscher verehren“, entgegnete Öcetim. „Sie sind auf der Sonnenseite des Lebens. Und das zählt, nur das allein zählt!“

„Und später, wenn Du ins Reich der Geister eintreten wirst, was wird dann sein?“ fragte kopfschüttelnd Namos.

„Wenn Du von den Geistern als schlecht eingestuft wirst und als Laus oder als armselige Maus wieder zur Welt kommst. Was ist dann?“ fragte Hirgelo, der ebenfalls nicht schlafen konnte und dem dieselben Gedanken durch den Kopf gingen.

„Dann fängst Du wieder ganz unten an“, flocht Gilger den Faden weiter. „Ob sich das lohnt im Vergleich mit unserer zwar verzweifelten, aber hoffentlich nicht ewig andauernden Situation? Auch meiner Mutter wurde übel mitgespielt. Und trotzdem hat sie die Götter weiter verehrt.“

„Und was hat sich dann geändert?“ Öcetim schaltete sich wieder in ihr nächtliches Gespräch ein. „Den Frauen wird jede Nacht Gewalt angetan von diesen Bestien. wir liegen gefesselt dabei und müssen ohnmächtig zusehen. Das verhindern unsere alten Geister nicht, ebenso wenig wie sie es mit Gilgers Familie gut gemeint hatten. Schaut Euch diese Urugels doch an. Nicht dass ich so werden will wie sie, aber so ohnmächtig will ich auch nicht sein - nie mehr! So übel soll es mir nie mehr in meinem Leben ergehen. Es muss sich etwas ändern!“

„Und wie soll das funktionieren?“ fragte Namos ganz nüchtern. „Es dürfte der Sonne egal sein, ob Du sie gefesselt oder als freier Mann anbetest. Wir müssen fliehen, bevor es zu spät ist, auch bevor sie die Frauen vollends zu Tode geschändet haben. Das ist unsere Aufgabe!“ erwiderte Namos mit Bestimmtheit.

„Klar, wir müssen uns befreien und fliehen. Aber wie nur?“ stimmten ihm Gilger und Hirgelo zu. „Vielleicht helfen uns ja unsere Götter doch…“, warf Hirgelo ein, worauf Öcetim sie barsch unterbrach: „Unsere Götter haben uns so oft im Stich gelassen. Vielleicht kann uns die Sonne helfen, sie sollten wir um ihre Hilfe bitten.“ Sein Blick wurde starr, seine Miene hart. „Es dreht sich um die Sonne, immer. Tagsüber – auch nachts, wenn sie nicht da ist. Wir wollen Kinder der Sonne sein. Wir wollen oben sein, Sieger sein. Nie mehr geknechtet werden!“ Öcetims Worte klangen wie ein Gelöbnis.


Viele Wochen marschierten die Urugels mit ihren Gefangenen weiter. Ihr Lebensmut war am Verglühen, ihre Gespräche verstummt und ihre Haut durch die Fesseln wundgerieben. Am liebsten hätten sie sich niedergelegt, um nie mehr aufzustehen. Sie waren zu erschöpft und geschwächt, um noch zu bemerken, dass im Licht der untergehenden Sonne vor ihnen ein See silbern schimmerte. Sie hatten das Gebiet der großen Seen erreicht. Mitten in der sumpfigen Seenlandschaft befand sich eine kleine Siedlung, die auf Pfählen stehenden Hütten waren mit Stegen verbunden, unter denen Boote vertäut waren, um die Häuser schwirrten Myriaden von Fliegen,

Das war Mirkulos Ziel, hier lebte sein alter Kamerad Ubo, mit dem er in seiner wilden Jugend plündernd, mordend und vergewaltigend umhergezogen war. Ein Junge kam auf einem verschlungenen, kaum sichtbaren Pfad auf sie zu. „Folgt mir, bleibt genau hinter mir, abseits des Weges versinkt ihr.“

Zur Begrüßung von Mirkulo und seinen Kumpanen legte der Häuptling des Pfahldorfs seine schmutzigen Hände auf ihre Schultern und blickte sie mit schmierig-grauen Augen an „Friede!“ krächzte er mit einem dreckigen Grinsen. Die Gefangenen der Urugels würdigte er mit keinem Blick. Im Gegensatz zu Mirkulo war Ubo nicht nur sesshaft, sondern auch reich geworden. Um dem alten Kameraden seinen Reichtum deutlich vorzuführen, hatte er einen Umhang aus dem Fell eines Fischotters angelegt und über seine Schultern ein prächtiges weißes Wolfsfell geschlungen. Das Auffälligste aber war ein an seinem Gürtel hängendes Beil, dessen Klinge in den Strahlen der untergehenden Sonne blinkte und funkelte wie die Sonne selbst.

Die Urugels schauten mit unverhohlener Gier auf dieses sonderbare Beil. Sie konnten ihre Augen nicht davon abwenden, noch nie hatten sie ein derart blendendes Stück gesehen. „Kupfer“, flüstere Hirgelo, seine Freunde nickten zustimmend.

Der für seine Grausamkeit bekannte Ubo zeigte mit einer einladenden Geste auf das größte der Pfahlhäuser, dessen Giebelpfosten mit großen Tierköpfen geschmückt waren und über dessen Hauseingang ein prächtiges Geweih der seltenen Schelkhirsche hing. „Ihr seid Gäste in meinem Haus.“ Mit einer verächtlichen Geste auf die Gefangenen deutend, fuhr er fort: „Die können auf dem breiten Steg in der Dorfmitte bleiben. Auch wenn von hier keiner wegläuft, wir haben ein Auge auf sie.“ Lüstern blickte er bei diesen Worten auf die kaum verdeckten Brüste von De Thuate.

Barsch herrschte er die Frauen des Dorfes an, sofort ein Festessen vorzubereiten. Seine Männer hatten in der Nacht einen dicken Wels gefangen, was nur in mondhellen Nächten gelang, wenn die großen Fische ans flache Ufer kamen, nur dann konnten sie harpuniert werden. Außerdem gab es fetten Aal und schöne schwarz und gelb gefleckte Quappen, dazu wurden Fladen gereicht, die aus einem Mehl von geriebenem Moos und zerstampften Pilzen gebacken wurden. Eine Gruppe aus jungen Männern und Frauen begleitete das Festmahl mit Musik von Flöten aus Schwanenknochen, Trommeln und einem hölzernen Blasinstrument. Gilger wurde es beim Klang der Musik schwer ums Herz, er dachte an die Musik, die sie zu Hause so gerne gespielt hatten, er erinnerte sich schmerzlich an seine tote Mutter und an seine Jugend, die so abrupt endete. Auch Öcetim, Namos, Hirgelo, De Thuate, Momola und Abaka seufzten tief, sie vergruben ihre tränennassen Gesichter in ihren Händen, zu essen bekamen die Gefangenen lediglich die kärglichen Fischreste.

„Was habt Ihr vor mit Euren Gefangenen?“ nahm Ubo das Gespräch nach dem Essen wieder auf. „Wollt Ihr die noch lange mit Euch herum schleppen?“

„Sie haben Schlimmes verdient, sie haben einen Urugel getötet“, antwortete ihm einer der Urugels.

Ubo blickte durch die Tür zu den Gefangenen und hob anerkennend eine Augenbraue. „So, so…“ brummte er vor sich hin. „Und die drei Weiber?“

„Sie sind recht stattlich; wir werden für sie einen guten Preis erzielen. Oder wollt Ihr eine von ihnen haben?“ fragte Mirkulo, dem Ubos gieriger Blick auf De Thuate nicht entgangen war.

„Ich habe schon zwei Frauen, was soll ich mit denen dort?“ Ubo versuchte gleichgültig zu wirken.

„Zeig mir doch mal das Beil, das vorher in der Sonne geglitzert hat.“ Mit beiden Händen wollte Mirkulo Ubos Beil fassen, doch der wehrte ihn ab. „Das ist etwas ganz Besonderes, unbezahlbar und nicht zu tauschen, aber ansehen darfst Du das Sonnenbeil.“ Er löste das kupferne Beil von seinem Gürtel und reichte es Mirkulo, der mit seinen Fingern prüfend über die scharfe Klinge strich und anerkennend tief Luft einzog.

„Sehr schön, und scharf. Woher hast Du es?“

„Eine lange Geschichte, seinem Vorbesitzer hat es leider nicht helfen können.“ Bösartig grinsend schaute Ubo Mirkulo an. „Er hat es nicht überlebt.“

„Du kannst die drei Weiber haben für das Sonnenbeil“, schlug Mirkulo vor.

„Besten Dank für Dein Angebot, Weiber gibt es viele. So ein Beil aber, das bekommst Du nirgends.“

Noch lange redeten die Männer ihre gemeinsamen jugendlichen Abenteuer, über die Jagd auf Menschen und Tiere und über die Beutezüge der Urugels. Schließlich waren sie sich einig und tauschten De Thuate gegen Ubos prächtiges weißes Wolfsfell.

Momola und Abaka brach es fast das Herz, als sie am nächsten Morgen Abschied von De Thuate nehmen mussten. Sie drückten ihre kleine Schwester fest an sich und bittere Tränen rannen über ihre Wangen. „Mein Kind, mein Kind.“ Momola nannte De Thuate gerne ihr Kind, weil sie deutlich älter war und ihre kleine Schwester aufgezogen hatte. „Ich wünsche Dir alles Gute. Wenn die Götter uns gnädig sind, werden wir uns wiedersehen.“ Sie konnte De Thuate nicht aus den Armen lassen, bis Ubo sie grob von ihrer Schwester trennte.

Öcetim war außer sich, er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Ungestüm zerrte er an seinen Fesseln, um auf Ubo und die Urugels loszugehen und De Thuate zu befreien, doch er war gebunden; ein derber Schlag von Mirkulo streckte ihn nieder. „Ich liebe Dich!“ rief er ihr zu. De Thuate beugte sich zu ihm, schlang beide Arme um ihn und küsste ihn. „Ich liebe Dich auch. Die Götter werden uns beistehen, wir werden uns wieder begegnen.“

Sie hielten sich fest umklammert, schauten sich tief in die Augen als ob sie sich ein Versprechen geben wollten. „Die Götter …“ seufzte Öcetim und wandte sich von ihr ab. Er ertrug es nicht mehr, sie weiter anzusehen.

Nachdem auch Hirgelo, Namos und Gilger sich von De Thuate verabschiedet hatten und sie sich gegenseitigdem Schutz der Götter empfohlen hatten, brachen die Urugels mit ihren Gefangenen auf. Sie wurden auf dem schmalen Pfad von einem der Bewohner des Pfahldorfes sicher auf festen Boden geleitet, wo sie ihren Marsch fortsetzten. Heiße Tränen rannen über De Thuates Wangen, sie schaute ihrer Familie und ihren Freunden noch lange nach, bis sie hinter einer Kuppe verschwanden.

Noch niedergeschlagener als zuvor trotteten die Gefangenen hinter den Urugels her. Mirkulo hatte sein schönes neues weißes Wolfsfell stolz um seine Schultern gelegt und überlegte, wie auch er an ein Sonnenbeil gelangen könne. Leider hatte ihm dies Ubo nicht verraten, er hatte aber angedeutet, dass es in Richtung der morgendlichen Sonne Männer gebe, die aus Erz solche Beile machen würden. Der Wunsch nach einem derart wertvollen, blinkenden und scharfen Beil wurde immer stärker bei ihm, er fraß sich in sein Gehirn ein, so dass er an nichts Anderes mehr denken konnte. Abends teilte er seinen Kumpanen mit, dass sie morgen den Weg nach Osten einschlagen werden, um sich - wie er sich nach langem Überlegen ausdrückte – „ mit den neuen Materialien zu beschäftigen.“

Die Urugels grinsten, taten so, als ob sie Bescheid wüssten, und redeten die halbe Nacht über Ubos Kupferbeil und die anderen Kunstgegenstände, die auch aus diesem Material gemacht werden könnten. In ihren Träumen sahen die Urugels sich bereits mit einem sonnenhell blinkenden Kupferbeil, selbst die beiden Frauen hatten sie in Ruhe gelassen. Am nächsten Morgen brachen sie früher als gewohnt auf, sie hatten jetzt nur ein Ziel vor Augen: eine Kupferschmiede und deren Produkte.

Der Weg wurde steil und schlängelte sich einen Pass hoch. Die ausgemergelten Gefangenen kamen nur langsam voran, insbesondere den misshandelten Frauen fiel der anstrengende Marsch schwer. Der Wind frischte auf und trotz der Anstrengung begannen sie zu frieren. Die herbstliche Landschaft mit ihren buntgefärbten Bäumen lag weit unter ihnen, heftige Windstöße heulten durchdringend und bliesen die kalte Erde von Sand und Humus frei. Es begann zu schneien, der Schnee wehte ihnen mitten ins Gesicht, es fühlte sich an wie körniger Sand. Sie keuchten schwer in der dünnen Luft, ihre Kehlen schmerzten. Als sie die Passhöhe erreicht hatten, machten sie endlich in einer vor dem scharfen Nordostwind geschützten Mulde Rast.

Von hier oben war in der Ferne eine Karawane, bestehend aus einigen wenigen Zugtieren und mehreren Menschen, zu sehen. „Ob das Pferde sind?“ fragte Namos. „Ich habe noch nie welche gesehen“. Namos wiegte bedächtig seinen Kopf, dann nickten Momola und Akaba bestätigend. „Ja, das sind Pferde.“

Die Augen der Urugels wurden schmal und der Speichel sammelte sich in ihren Mündern, denn sie vermuteten Kupfer, herrliche und lang schon erträumte Gegenstände aus dem neuen göttlichen Material. Die Karawane zog gemächlich auf ein Tal zu, das sich nach Osten hin zu einer Schlucht verengte. „Die nehmen wir uns“, entschied Mirkulo. „Sie führen Kupferdinge mit sich; es blinkt so herrlich.“

Im Eilmarsch stieg die Gruppe ab, bis sie ein geeignetes verstecktes Plätzchen fand, dort trennten sie sich. Die sechs Gefangenen hatten an einer von unten nicht einsehbaren Stelle zu bleiben, ein Urugel blieb zu ihrer Bewachung bei ihnen.

Die anderen fünf Urugels stiegen rasch ins Tal hinunter, dabei gaben sie Acht, kein Geräusch zu verursachen. Sie waren zwar in der Minderzahl, fühlten sich aber stark und unbezwingbar, zudem setzten sie auf den Überraschungseffekt. Mit schnellen und leisen Schritten eilten sie voran, überholten die Karawane, am Eingang der Schlucht wollten sie die Händler überfallen. Mirkulo verteilte seine Kumpane auf die Ränder der Schlucht, wo sie geeignete Verstecke fanden, von denen sie die Schlucht einsehen konnten, von unten aber nicht zu sehen waren. Siegesgewiss und blind vor Gier legten die Urugels ihre Speere und Pfeile griffbereit neben sich.

 

Die Karawane kam nur langsam vorwärts, denn die Lasttiere hatten ihre Mühe in dem bergigen Gelände. Sie bestand aus drei Packpferden und zwölf bewaffneten Männern. Für ihre Verteidigung führten sie Äxte, Keulen und Dolche an ihren Gürteln mit sich, außerdem hatten sie jeweils einen Bogen und gut gefüllte Köcher mit Pfeilen um die Schulter gebunden, drei von ihnen hatten sogar Beile und Dolche aus Kupfer. Diese stachen den Urugels ins Auge, darauf hatten sie es abgesehen. Die Packpferde trugen Ballen, weshalb die Urugels vermuteten, dass sie gewebte Stoffe enthielten. Die waren sicherlich das wichtigste Transportgut der Karawane, für die Urugels bedeuteten sie aber nur eine gute Dreingabe, ihr diebisches Interesse galt den kupfernen Waffen.

Noch war die große Karawane nicht ausreichend nahe, noch hatte Mirkulo nicht das Zeichen zum Angriff gegeben, als ein Schrei durch das Tal gellte. Öcetim schrie so laut er nur konnte, um die ahnungslose Karawane vor dem Überfall zu warnen. Sein Bewacher schlug ihm dermaßen hart in die Magengrube, dass Öcetim die Luft weg blieb. Gilger, der die Absicht Öcetims erkannte, schrie ebenfalls so laut er nur konnte.

Die Händler unten im Tal waren jetzt gewarnt. Sofort nahmen drei von ihnen die scheuen Pferde am Zaumzeug und führten sie hinter eine Biegung des Weges zurück, um die Tiere vor den Pfeilen und Speeren der Urugels zu schützen. Die anderen Händler suchten Schutz hinter am Wegesrand liegenden Felsen, griffen zu ihren Waffen und formierten sich zu einer abwehrbereiten Kampfgruppe.

Der Überraschungsplan der Urugels war durch Öcetims und Gilgers Schreien gescheitert. Noch hätten sie sich zurückziehen und über die Berge flüchten können. Doch die kupfernen Waffen blendeten ihre Augen, die Aussicht auf diesen wertvollen Besitz vernebelte ihren Verstand. Auch wenn sich ihre Erfolgsaussichten drastisch vermindert hatten, so mussten sie jetzt angreifen, wenn sie die kupfernen Beile und Dolche an sich reißen wollten.

Auf Mirkulos Kampfschrei hin schossen sie ihre Pfeile ab. Doch aufgrund der großen Entfernung traf ein Pfeil nur den Oberschenkel eines Mannes. Nicht einen Mann der Karawane hatten sie außer Gefecht setzen oder gar töten können. Mirkulo tobte, verfluchte seine Gefangenen und schwor ihnen Tod und Verderben.

Rein zahlenmäßig stand es nicht schlecht für die Männer der Karawane. Der am Bein durch den Pfeilschuss leicht Verletzte blieb bei den Pferden, um sie ruhig zu halten, zwei schlichen Schutz suchend zu ihren Kollegen zurück. So standen elf bewaffnete Männer der Karawane fünf Urugels gegenüber, wobei diese allerdings den Vorteil hatten, oben auf den Felsen zu stehen und auf die Männer der Karawane hinunter blicken zu können.

Die Karawanen-Leute verhielten sich ruhig, offenbar hatten sie schon mehrere derartige Überfälle erlebt. Mit ihren Augen nahmen sie Kontakt zueinander auf, nickten sich gegenseitig zu, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass sie unverletzt waren und sich hinter großen Felsbrocken in Sicherheit hatten bringen können. Sie warteten ruhig ab, was die Urugels nach dieser misslungenen Attacke tun würden. Denn diese mussten aktiv werden, wenn sie die Schätze der Karawane erbeuten wollten.

Öcetim, Hirgelo, Namos und Gilger sowie Momola und Abaka konnten von oben den erfolglosen ersten Angriff der Urugels beobachten. Das gab den ausgemergelten Gestalten Zuversicht und neue Kraft.

Öcetim musste an De Thuate denken, sah sie so deutlich vor sich, als ob sie bei ihm wäre und hörte sie ihm flüsternd einen Rat geben. Er begriff sofort, nahm einen faustgroßen Stein und warf ihn in Richtung des Kopfs des Urugels, verfehlte ihn aber knapp. Mit ungestümer Wut rannte der Urugel auf Öcetim los und rammte seinen Schädel so fest gegen Öcetims Brust, dass der das Gleichgewicht verlor und den steilen Abgrund hinunter zu stürzen drohte. Geistesgegenwärtig konnte Momola ihn gerade noch auffangen, aber dabei stürzten die Gefesselten gemeinsam zu Boden. Außer sich vor Wut trat der Urugel wie wild gegen die am Boden liegenden Körper, die sich vor Schmerzen krümmten.

Hirgelo, Namos und Gilger blickten sich nur kurz an. Wie auf ein geheimes Kommando griffen sie sich schwere Steine. „Jetzt!“ brüllte Namos. Der Urugel hielt in seiner Raserei kurz inne, drehte sich halb um und schaute zu den anderen Gefangenen. Schon trafen ihn harte Felsbrocken an Kopf, Schulter und Brust, Blut rann aus seiner Stirn. Der Urugel fasste an seinen Kopf, blickte mit großen verständnislosen Augen auf seine Gefangenen. Er taumelte, versuchte sich mit der anderen Hand an den Fels zu klammern. Doch Abaka schlug mit aller Kraft auf seinen Arm und gab ihm mit ihrer anderen Hand einen Stoß. Mit einem lauten Schrei stürzte der Urugel in die Tiefe, schlug mehrfach mit Kopf und Rücken auf dem harten Fels auf, bis er bewegungslos mit gebrochenem Hals auf einem kleinen Vorsprung liegen blieb.

Steine rollten den Hang hinab und lösten einen Steinschlag aus, immer mehr Felsbrocken kamen ins Rollen, bis eine ganze Steinlawine grollend in die Schlucht hinunterstürzte. Namos hatte seine Armfesseln schon gegen eine scharfe Felskante gerieben und gelöst. Dann fiel sein Blick auf ein Steinmesser, das dem toten Urugel entfallen war. Wie ein Geschenk der Götter lag es hart an der Felskante. Namos hob es vorsichtig auf und zerschnitt wortlos die Fesseln seiner Mitgefangenen, jetzt erst fühlten sie sich richtig frei. Sie fielen sich jubelnd in die Arme.

„Es sind Rumedullos“, meinte Momola. “Sie sind erfahrene Händler aus dem Süden, ich erkenne das an ihren Pferden und den Gestellen, die sie ziehen, auch ihre Beinkleider sind nach der Art der Rumedullos.“

„Rumedullos?“ mischte sich Namos ein.

„Es ist ein großes und starkes Volk mit einem mächtigen Häuptling. Sie leben nach strengen Regeln, keiner darf machen, was er will“, erklärte Akaba.

„Ja, das stimmt. Sie beten die Sonne an, der sie auch gefangene Feinde opfern“, ergänzte Momola. „Hoffentlich feiern sie in nächster Zeit kein Sonnenfest…“

„Wir schleichen uns weiter nach drüben.“ Mit ausgestreckter Hand zeigte Gilger auf eine Stelle oberhalb der Urugels. „Von dort können wir die Teufel mit Steinen bewerfen. Dann sind sie zwischen uns und den Rumedullos – in einer sehr ungünstigen Lage.“

Öcetim nickte: „Wir kämpfen mit den Rumedullos gegen sie, wenn auch nur mit Steinwürfen. Aber so können wir sie aus ihren Verstecken zwingen, so dass die Rumedellos sie sehen und auf sie schießen können. Das werden die Rumedullos zu schätzen wissen - hoffentlich.“

„Also los!“ Auf Öcetims Kommando prasselte eine ganze Batterie großer und kleiner Steine auf die ungeschützten Urugels, viele wurden von den mit großer Wucht geworfenen Steinen getroffen. Außer einem Treffer am Kopf eines Urugels, der blutend zusammen sackte, richteten sie allerdings keinen großen Schaden an, erreichten aber damit, dass die Urugels ihre Stellung aufgeben mussten. Mit wütendem Geschrei und nur mit Schlägeln und Beilen bewaffnet rannten die Urugels nach unten, um die Männer der Karawane in einer Blitz-Aktion zu überrennen. Denn in diesem tollkühnen Angriff sahen sie ihre einzige noch verbliebene Chance.

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