Der fremde Gott

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Der fremde Gott
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Der fremde Gott

Hans-Joachim Höhn

Der

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

© 2008 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund (Abbildung: Clyfford Still, 1953, PH-253, 236 × 174 cm, Öl auf Leinwand, © The Clyfford Still Estate; Foto von Tate Images, London) Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03043-8

Vorwort

Die Verkünder einer „Renaissance der Religion“ sehen sich seit einiger Zeit ermutigt, auf die leeren Gräber der Religionskritik zu verweisen. Sie können sich dazu auf Meldungen berufen, wonach das Religiöse längst jene Totengruft verlassen hat, aus der Nietzsche & Co bereits seinen Modergeruch strömen glaubten. Es hat sein „Nachleben“ mit bemerkenswerter Vitalität angetreten und ist über seine angestammten frommen Refugien hinaus in die mediale und politische Öffentlichkeit vorgedrungen. Aber trotz solch offenkundiger Säkularisierungsresistenz gelingt es den Verfechtern der Religion nicht, ihren einstigen Widerpart loszuwerden. Binnen kurzer Zeit hat sich gegen die Rede von ihrer Wiederkehr die Bewegung eines „Neuen Atheismus“ öffentlichkeitswirksam zurückgemeldet. Für seine Wortführer gilt als ausgemacht, dass die Moderne nur deswegen genötigt ist, noch einmal auf Religion Bezug zu nehmen, weil der erste Versuch ihrer Überwindung vergeblich war. Erneut verknüpfen sie ihr Plädoyer mit einer Prognose: Gibt man der Aufklärung – nunmehr in der Gestalt eines evolutionstheoretisch grundierten und soziobiologisch formatierten Naturalismus – eine zweite Chance, wird sich die Haltlosigkeit religiöser Weltbilder und Praktiken ein weiteres Mal und diesmal wohl definitiv erweisen.

Die Theologie macht es sich zu leicht, wenn sie den „neuen“ Atheisten bescheinigt, dass ihre Argumente weitgehend dem bekannten Repertoire der religionskritischen Klassiker der Neuzeit entnommen sind, deren begrenzte Überzeugungskraft man schon hinreichend dargelegt habe. Ihre Wiederauflage zwingt gleichwohl zu einer erneuten Auseinandersetzung. Nachdenklich machen sollte nicht zuletzt der enorme publizistische Erfolg, den diese Kritiker für sich verbuchen. Es scheint in unserer Gesellschaft eine erhebliche Nachfrage nach einer „Delegitimation“ von Religion zu bestehen, obwohl zuvor ein beträchtlicher Bedarf an spirituellen Ressourcen diagnostiziert worden war. Ungebrochen ist offensichtlich das Interesse an einem finalen Aufweis, dass es nichts auf sich hat mit religiösen Welt- und Daseinsdeutungen, so dass man sich guten Gewissens eine erneute Beschäftigung mit ihrem Geltungsanspruch ersparen kann. Und zugleich besteht eine ebenso große Skepsis, ob der Mensch vorankommen kann, wenn er alles Religiöse abstreift und hinter sich lässt.

In der Gottesfrage erfahren diese beiden widerstreitenden Tendenzen eine besondere Zuspitzung. Die gegenwärtige Kritik der Religion legt die Verzichtbarkeit und Entbehrlichkeit des Gottesgedankens nahe, indem sie zeigt, dass selbst dort, wo die Religion sich scheinbar als nützlich und unentbehrlich präsentiert, funktionale Alternativen aus dem Bereich der säkularen Moral, Ästhetik und spirituellen „Diätetik“ verfügbar sind. Dem Gottesbezug scheint somit keine konstitutive oder alternativenlose Bedeutung zur Bewältigung innerweltlicher Herausforderungen und Probleme zuzukommen. Dem kann auch die Theologie nicht uneingeschränkt widersprechen. Denn sie plädiert ihrerseits dafür, dass ein Verhältnis zu Gott missverstanden wird, wenn man seine Bedeutung nur oder primär anhand seiner für das Individuum wohltuenden Wirkungen oder seiner für die Gesellschaft nützlichen Folgen ermessen und daran seine Relevanz ablesen will. Nützlichkeit kann nicht der erste, alleinige oder letzte Maßstab eines Verhältnisses zur Wirklichkeit, zu den Mitmenschen oder zu Gott sein.

Allerdings folgt aus dieser Position ein weiteres, für die Theologie nicht weniger prekäres Problem. Wenn Gott zunächst um seiner selbst willen es wert ist, ein Verhältnis zu ihm zu haben, und nicht wegen einer Funktion, die dieses Verhältnis mehr oder weniger gut erfüllt, was unterscheidet dann ein Gottesverhältnis letztlich von einer Beziehung zu einer für die menschliche Lebenspraxis völlig belanglosen Größe? Ist das Belanglose nicht identisch mit dem Unnützen, Wertlosen, Überflüssigen? Wenn ein Gottesverhältnis nicht als Mittel taugt für das Erreichen lebenspraktischer Ziele und Zwecke, sondern ein Verhältnis zum Unverzweckbaren darstellt, wie kann man zeigen, dass es nicht belanglos oder folgenlos ist, sich für das Unverzweckbare zu interessieren? Wenn ein Gottesverhältnis im Kontext zweckrational organisierter Lebensverhältnisse ein „Fremdkörper“ bleibt, wie lässt sich vermeiden, dass dann das Reden von ihm nur in einer unverständlichen „Fremdsprache“ erfolgt?

Wie die Theologie das Sprechen von Gott angesichts der Bestreitung seiner Relevanz für innerweltliche Herausforderungen rechtfertigen kann, ist die Grundfrage der vorliegenden Studie. Mit ihr gekoppelt ist die existenzielle Frage, wie ein Gottesverhältnis gelebt werden kann, das bereits sprachlich „befremdet“. In der Aufnahme dieser Fragen will diese Studie sowohl im Blick auf die theologische Zunft als auch im Blick auf die Religionskritik in die Kunst der Bestreitung einführen. Bestreiten heißt: Vorbehalte anmelden, Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, einen Konsens aufkündigen, Revision beantragen, eine Sache neu aufrollen.

Bestritten wird die Berechtigung eines theologischen Redens von Gott, das ihn ohne eine Welt denken will, die auf ihre Autonomie und Säkularität pocht und somit ohne Gott gedacht werden will (Kapitel 1). Neu aufgerollt wird von den biblischen Texten her das Plädoyer für einen Denk- und Redestil, der Front macht gegen Gottesbilder, die nicht die radikale Andersheit und Unverzweckbarkeit Gottes zur Geltung bringen. Ausgehend von der unabdingbaren Erfüllung des „Bilderverbotes“ wird plädiert für eine „theologia negativa“ als einer Diskursform, die den intellektuellen und existenziellen Herausforderungen einer „postsäkularen“ Kultur am ehesten gerecht werden kann (Kapitel 2). Sie bewährt sich auch bei der religions- und metaphysikkritischen Bestreitung eines philosophischen Denkhorizontes, innerhalb dessen der Vernunft zumutbar werden soll, was der Glaube artikuliert. Das Bilderverbot verlangt, Gott in gleicher Weise von „etwas“ und „nichts“ zu unterscheiden. In einer „theologia negativa“, welche diese Unterscheidung im Kontext der „metaphysischen“ Unterscheidung von Sein und Nichts zur Geltung bringen will, geht es darum, diesen Unterschied als einen Widerstreit auszulegen, in den Gott und Mensch „verstrickt“ sind. Denn für den Menschen bedeutet „am Leben sein“, sein Leben zu führen in der Einheit von Leben und Tod. Aber diese Einheit umschließt einen Gegensatz, der größer nicht gedacht werden kann. Diese Einheit wird für den Menschen offensichtlich unausweichlich zu Gunsten des Todes entschieden. Ist ein solches Leben, in dem der Mensch sich letztlich nur den Tod holen kann, letztlich akzeptabel? Wie lässt sich angesichts dieser Konstellation von Sein und Nichts noch die Frage nach Gott, Sein und Sinn verhandeln, wenn man der existenziellen Problematik der Daseinsakzeptanz nicht vorab durch naturalistische Hinweise auf die „Nichtigkeit“ eines endlichen und befristeten Lebens ausweichen will (Kapitel 3)?

Dies ist nicht der einzige Widerstreit, auf den sich eine theologische Kunst der Bestreitung von Gehalt und Relevanz des Gottesgedankens einlassen muss. Eine sich dem Bilderverbot verdankende Gottesrede hat in der Gegenwartskultur etliche Anlässe, sich an buchstäblich „weltanschaulichen“ Debatten zu beteiligen. In einer Zeit, in der Mensch und Welt so aussehen, wie man sie ansieht, und in der sich „Ansichtssachen“ inflationär vermehren, bedarf es einer Kritik an fatalen Gleichungen. Wie das biblische Bilderverbot die Verehrung von „religiösen“ Medien der Verehrung Gottes kritisiert, sofern sich diese Medien an die Stelle des zu Verehrenden setzen, so hat heute eine theologische Kritik „säkularer“ Medien der Welterschließung deutlich Einspruch zu erheben gegen die mediale Einebnung der Unterschiede zwischen dem Realen, Imaginären, Virtuellen und Fiktiven. Und zugleich ist sie gefragt, wie sie gerade angesichts des „iconic turn“ in den Kulturwissenschaften, welcher auf den metaphysikkritischen „linguistic turn“ der Philosophie gefolgt ist, das Moment des Ästhetischen gegen eine falsche Anschaulichkeit im Wirklichkeits- und Gottesverhältnis des Menschen zur Geltung bringen kann (Kapitel 4).

Theologie als „Kunst der Bestreitung“ ist zwar auch dem Ideal der Ausgewogenheit verpflichtet, indem sie Gegenstimmen zu Wort kommen lässt. Aber dennoch ergreift sie engagiert Partei für ihre Anliegen. Das ihr gemäße Schlusswort kann daher nur in der Weise eines Plädoyers formuliert werden. Damit wird jedoch kein Element eingeführt, das mit diskursiver Urteilsbildung unverträglich ist. Denn ein Plädoyer als Element eines Prozesses nimmt nicht ein Urteil vorweg, sondern will für eine Urteilsbildung nur eine (möglichst überzeugende) Vorlage liefern. Den Urteilsspruch über die verhandelte Sache muss es anderen überlassen. Es kann nur an die Urteilskraft seiner Adressaten appellieren und ihnen eine bestimmte Entscheidung nahelegen. Wer ein Plädoyer führt, darf daher auch am Ende eine akademische Distanz zu seiner Sache und seinen Adressaten aufgeben. Von dieser Erlaubnis macht das Schlusswort Gebrauch (Kapitel 5). Es enthält eine biographische Notiz über meinen Weg zu einer „theologia negativa“ – und mit ihr.

 

Bei der Schlussetappe zur Fertigstellung dieses Buches haben mich Claudia Rott und Martin Dürnberger unterstützt. Ihnen sei dafür herzlich gedankt. Zwar teilen sie in manchen Punkten nicht meine Position. Aber da Streiten auch verbinden kann, bereichern solche Differenzen das Miteinander.


Köln, im Sommer 2008 Hans-Joachim Höhn

Inhalt

I. Abschied von Gott? Theologie an den Grenzen der Moderne

1. Provokationen: Die Passion des Wortes „Gott“

1.1. Enteignungen: Vom Verbrauch des Wortes „Gott“

1.2. Bestreitungen: Für und wider die Notwendigkeit Gottes

1.3. Aufbegehren: Auf den Gedanken kommen, (an) Gott zu denken

2. „Gott“ als AdVerb: Perspektiven einer postsäkularen Rede von Gott

2.1. Versuchungen: Die Rede von Gott – nach ihrem Ende

2.2. Plädoyer: Rehabilitierung einer theologia negativa

II. Biblische Aufklärung: Offenbarung als Bestreitung

1. Da – Sein – Werden: Das Wort „Gott“ und der Name Gottes

2. Gott sehen: Etwas vor sich haben – das Nachsehen haben

3. Gottes Unheimlichkeit: Erschlichene und errungene Identität

4. Bild des Unsichtbaren: Bilderverbot und Gottebenbildlichkeit

4.1. Versuchungen: Der wahre Gott und die falschen Bilder

4.2. Widerspruch? Schöpfung und Selbstoffenbarung Gottes

4.3. Entsprechungen: Offenbarung als Erfüllung des Bilderverbotes

III. Philosophischer Kontext: Gott denken im Widerstreit von Sein und Nichts

1. Welt ohne Gott: Versteht sich die Welt von selbst?

2. Gott im Nichts? Dem Dasein auf den Grund gehen

3. Vor dem Nichts stehen: Gottes Widerfahrnis?

4. Verschränkungen: Transzendenz und Immanenz grundlosen Daseins

IV. Ästhetische Kontroversen: Wahre Bilder? – Bilder der Wahrheit?

1. „Wir sehen uns!“ Zeit des Zeigens – Zeichen der Zeit

2. Bilder? Verbieten? Medienkritische Aspekte des Bilderverbotes

3. Kultkritik und Bilderstreit: Religionskritische Aspekte des Bilderverbotes

4. Gottes Wort im Bild: Das Wagnis einer ästhetischen Gottesrede

V. Epilog: Gott – bestritten und vermisst

Auswahlbibliographie

I.
Abschied von Gott?
Theologie an den Grenzen
der Moderne

Theologie ist Rede von Gott. Selbstverständlich! Aber versteht man deswegen auch, wovon sie spricht? Selbstverständlich nicht! Denn es versteht sich heute keineswegs von selbst, wer oder wie Gott ist. Darum müssen Theologen viele Worte machen, um verstanden zu werden. Sie erwecken damit den Eindruck, gut Bescheid zu wissen über Gott. Und zugleich wird ihnen diese Beredsamkeit zur Gefahr. Es kommt zu einer unseligen Redseligkeit. Gedankenlose Geschwätzigkeit macht sich breit. Die Theologie vermag trotz ihres Redeflusses nicht mehr, Gott oder das „Wort Gottes“ zur Sprache zu bringen. Beide werden totgeredet. Auf diese Weise bereitet sich die Theologie ihr Ende selbst. Es bedarf keiner religionskritischen Vehemenz, um ihr Ableben zu befördern. Das Ende der Theologie fängt dort an, wo sie geschwätzig wird und viele Sätze über Gott schneller gesagt als gedacht sein lässt.1 Auf diesem Wege wird sie letztlich nichtssagend. Den Nichtssagenden aber gehen die Worte niemals aus. Darum setzt sich theologisches Gerede einstweilen fort, auch wenn es nichts und niemandem mehr etwas sagt.

Aber was wäre die Alternative? Ihre Sache zu verschweigen, im Diskurs der Wissenschaften zu verstummen, sich aus dem Stimmengewirr der Öffentlichkeit zurückzuziehen, nicht mehr von Gott, sondern nur noch über „Religion“ zu reden würde ebenfalls ihr Ende bedeuten. Ein solches Schweigen wäre nicht beredt, sondern ein betretenes und verschämtes Verstummen. Da sie nicht schweigen will und darf, setzt die Theologie ihr Geschäft fort, viele und große Worte von Gott zu machen. Ihr kommt dabei die Hoffnung zu Hilfe, dass sich dort, wo die Worte sind, auch die Sache einstellt, die sie bezeichnen. Allerdings ist diese Hoffnung trügerisch. Im Reich der Worte werden viele Dinge oft unbedacht ausgesprochen. Hier lässt das Reden das Denken hinter sich. Wo aber das Denken das Reden nicht mehr einholt, droht die Gefahr, dass man gedankenlos daherredet. Das gilt auch für „Berufschristen“, für Religionslehrer/innen, Pfarrer und Theologieprofessoren. In ihrem Worteifer kann es passieren, dass sie sich nichts mehr dabei denken, wenn sie von Gott reden. Dann aber sind sie erst recht nicht mehr bei ihrer Sache. Und sie verfehlen auch das, was an der Zeit ist.

1. Provokationen:
Die Passion des Wortes „Gott“

Das Ende der Theologie beginnt dort, wo sie nur noch redet, aber nicht mehr hinhört auf das, was ihr die Zeit aufträgt. Das Wort „Gott“ gibt in dieser Zeit mehr zu denken als zu reden. Es ist ein in höchstem Maße „bedenkliches“ Wort geworden. Für den jüdischen Religionsphilosophen MARTIN BUBER (1878–1965) ist es das am meisten belastete aller Menschenworte: „Welches Wort der Menschensprache ist so mißbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses! All das schuldlose Blut, das um es vergossen wurde, hat ihm seinen Glanz geraubt. All die Ungerechtigkeit, die zu decken es herhalten mußte, hat ihm sein Gepräge verwischt. Wenn ich das Höchste ‚Gott‘ nennen höre, kommt mir das zuweilen wie eine Lästerung vor.“2 Dennoch will M. Buber auf dieses Wort nicht verzichten – um des Menschen willen. Die Blutspur, die sein Missbrauch in der Geschichte hinterlassen hat, erzählt von der Passion des Menschen. Für dieses Wort wurden Menschen getötet und mit diesem Wort auf den Lippen haben Menschen getötet. An diesem Wort klebt Blut. Bereits um der Erinnerung an die Passion des Menschen willen darf dieses Wort nicht vergessen werden. Was das Wort „Gott“ bedenklich macht, ist aber nicht allein die Leidensgeschichte des Menschen und die Kriminalgeschichte einer Religion, sondern auch die Passion Gottes.

die passion des wortes GOTT

das blutet aus allen wunden

das wird vergewaltigt noch und noch

das ist verraten zertrampelt zerschossen geköpft

gerädert gevierteilt gezehnteilt

verlorene glieder wurden durch monströse prothesen ersetzt

das ist sich selber und uns und allem entfremdet

ist schizo und neuro und psycho

zerstochen über und über von nadeln mit denen

fremde substanzen injiziert worden sind

das agonisiert ohne ende

ist vielleicht schon tot oder noch nicht oder

das consilium der ärzte diskutiert noch zur zeit

und ALSO wurde das wort GOTT

zum letzten der wörter

zum ausgebeutetsten aller begriffe

zur geräumten metapher

zum proleten der sprache3

Dem Wort, das in der Geschichte der Menschen dazu verwandt wurde, dem höchsten Wert, dem Grund allen Seins und dem Ziel der Geschichte einen Namen zu geben, ist Gewalt angetan worden, weil mit ihm Menschen vergewaltigt wurden. Der Missbrauch des Wortes „Gott“ ist aber nicht nur ein Vergehen am Menschen und an seiner Sprache, sondern auch ein Fall von „Gottesmissbrauch“. Mit dem Wort „Gott“ vergeht sich der Mensch an Gott. Gott selbst wird hintergangen, betrogen, ausgenutzt, wo man das Wort „Gott“ zum Bedeutungsträger für reichlich „gottlose“ Unternehmen macht. Dabei handelt es sich um ein doppeltes Vergehen, denn es führt in die religiöse Blasphemie und ist ebenso ein Akt der Unvernunft: Es ist ein Akt der „Gotteslästerung“, ihn zum Erfüllungsgehilfen menschlicher Vorhaben zu machen – erst recht dann, wenn sie die Inhumanität des Menschen bezeugen.4 Es bedeutet einen Anschlag auf die Vernunft, wenn ihr Fragen, die grundsätzlich in die Kompetenz rationaler Weltauslegung und Weltgestaltung gehören, entzogen und in den Bereich des Glaubens überwiesen werden. Zwar gilt, dass man das, was man glaubt, auch widerspruchsfrei denken können muss. Aber daraus folgt nicht, dass man Glauben und Denken gleichsetzen darf oder dass der Glaube das Denken ersetzen kann.

Gegen diesen doppelten Grundsatz ist von den Glaubenden immer wieder verstoßen worden – vom Ruf „Gott will es“ als Auftakt der Kreuzzüge über das so genannte „Gottesgnadentum“ feudaler Herrscher bis hin zur Inschrift „Gott mit uns“ auf dem Koppel deutscher Weltkriegs-Soldaten. Blasphemisch war auch die ausdrückliche Berufung auf eine göttliche Mission seitens der sich zum Islam bekennenden Terroristen vom 11. September 2001. Die von evangelikalen Predigern in den USA aufgebotene Rhetorik für einen Kreuzzug gegen den Terrorismus war es nicht minder.5 Man muss sich nicht wundern, dass angesichts dieses Gottesmissbrauchs viele Menschen das Wort „Gott“ für ein korrumpiertes und kontaminiertes Wort halten.

Dies gilt auch für die zahllosen Versuche, Gott als „Moralverstärker“ ins Spiel zu bringen. Wenn der kategorische Imperativ der praktischen Vernunft in seiner Verbindlichkeit nicht überbietbar ist, welchem Ziel dienen dann Versuche, eine solche autonome Moral bzw. Moral der Autonomie mit religiösen Mitteln in Frage zu stellen? Kritische Beobachter dieser Bemühungen fragen an, ob es überhaupt eine moralisch gute Tat gibt, die exklusiv religiösen Motiven zugeschrieben wird, ohne dass sie auch von „gottlosen“ Menschen vollbracht werden könnte. Verhält es sich nicht eher umgekehrt, dass auch ohne Gott anständige Menschen anständig und unanständige Menschen unanständig sind, aber dass es der Berufung auf Gott bedarf, um anständige Menschen dazu zu bringen, andere zu unterdrücken, zu bespitzeln, zu tyrannisieren?6

Jedes Reden von Gott birgt in der Tat ein Verführungspotential. Dagegen ist es nur gefeit, wenn es sich erhebt gegen jeden „Gottesmissbrauch“ im Sprechen und Handeln unserer Zeit – gleichgültig ob in seinen zynisch-politischen oder fromm-bigotten Versionen, die sich auch in Christentum und Kirche eingenistet haben. Denn nicht wenige „Gottesgläubige“ haben auf ihre Weise dazu beigetragen, Menschen- und Gottesverachtung im Namen Gottes zu praktizieren. Aus einem Wort, das etwas zu bedenken gibt, hat auch die Kirche zu oft ein Wort gemacht, das etwas beglaubigt. Sie benutzte dieses Wort bedenkenlos zur Rechtfertigung ihrer Selbstbehauptungsinteressen, die sie als Sache Gottes ausgab.7 Die Theologie hat dabei oft mitgespielt oder tatenlos zugesehen. Sie hatte keine Einwände, weil ihr in der Rolle als Pflichtverteidigerin der Kirche keine Einspruchsmöglichkeit blieb. Eine starre Dogmatik ließ zudem kaum mehr etwas übrig, was es theologisch noch zu bedenken gab. An die Stelle des Streitgespräches und des Diskurses trat der Kommentar, das Selbstzitat, die willfährige Unterweisung.

 

Jedes Reden von Gott hat heute verspielt, das nicht in Opposition steht zu einer Einstellung, die nicht mehr – im positiven Sinn – „begriffsstutzig“ sein will. Auch die Theologie muss immer wieder stutzig werden, Anstoß nehmen an den vielen Formen, Gott für eine irritationsresistente Praxis in religiösen und säkularen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen und die eigentliche Zumutung dieses Wortes auszuschlagen, die jeglichen Redefluss unterbricht und in Frage stellt. Theologinnen und Theologen sollten es als Ehrentitel auffassen, wenn sie von kirchlichen Würdenträgern als „Bedenkenträger“ kritisiert werden, womit in der Regel eine unwirsche Beschreibung für unbequeme und nachdenkliche Mitmenschen verbunden ist. Man hält sie für Nörgler, Beckmesser und Querulanten. Viele ihrer Kritiker können gar nicht verstehen, warum es etwas zu kritisieren gibt. Sie halten ihre Sache für eine große Selbstverständlichkeit. Bedenkenträger aber erinnern daran, dass sich keineswegs alles von selbst versteht. Das ahnen auch ihre Kritiker unter den Kirchenfürsten und im Kirchenvolk. Sie merken, dass die traditionelle Gottesrede auf Probleme stößt. Aber sie reagieren meist anders – jedenfalls selten mit Nachdenklichkeit und Selbstkritik. Denn für sie ist die Wirklichkeit Gottes etwas Fragloses, Unstrittiges, Unbezweifelbares. Gott ist für sie über jeden Zweifel erhaben. Diese Überzeugung ist heute jedoch immer schwerer vermittelbar. Das wissen auch die Überzeugten und darum bekräftigen sie immer wieder das, wovon sie überzeugt sind. Das ist auf den ersten Blick auch verständlich: Wer auf Anhieb nicht verstanden wird, obwohl er/sie meint, etwas Selbstverständliches zu sagen, sieht sich genötigt, dasselbe noch einmal zu sagen. Man wiederholt sich. Wiederholungen aber langweilen. Und wer sich langweilt, schaltet ab.

Genauso ergeht es der Kirche seit geraumer Zeit mit ihrer Rede von Gott. Sie versteht nicht, warum sie nicht verstanden wird. Und darum wiederholt sie das oft Gesagte, sie fasst zusammen, sie beschwört, sie schärft ein, sie droht – und am Ende gibt sie für das gleichwohl fortbestehende Unverständnis den Anderen die Schuld. Man macht den Anderen, den Religions- und Kirchenfernen jene Vorwürfe, die man an sich selbst adressieren müsste. Ein solches Reden von Gott ist unkommunikativ. Kommunikation lebt davon, dass man sich Fragen stellen lässt. Die besten Fragen sind stets die unbequemen. Ihnen aus dem Weg zu gehen ist ebenso unklug wie feige. Es ist unklug, weil man bekanntlich durch Fragen klug wird. Und es ist feige, denn wo nicht gefragt wird, wird nichts riskiert. Und wo nichts riskiert wird, gibt es auch nichts zu gewinnen. Wer all dem aus dem Weg gehen will, ist in der Theologie fehl am Platz. Theologie beginnt mit unbequemen Fragen, die sie sich stellen lässt und die sie anderen stellt.

Jedes Reden von Gott hat in dieser Zeit verspielt, das sich nur noch an jene richtet, die noch etwas mit dem Wort „Gott“ anfangen können oder wollen. Theologie, die ernst genommen werden will, braucht das Gespräch mit jenen Zeitgenossen, die dieses Wort aus ihrem Vokabular gestrichen haben. Sie muss die Ursachen und Gründe erfragen, dass es zum „Gottesverdruss“, zur Aversion oder Gleichgültigkeit gegenüber diesem Menschheitswort gekommen ist. Die Theologie muss solidarisch sein mit den Nachdenklichen – sowohl unter den „Frommen“ als auch unter den „Ungläubigen“ – und auf beiden Seiten um wechselseitiges Verständnis werben. Nur so ebnet sie dem Verständnis ihrer Sache einen Weg.

Den Anfang des Verstehens bildet gleichwohl das Nicht-Verstehen. Erst das Klarwerden über das, was unklar ist, ebnet den Weg zu Einsichten.8 Dazu gehört auch die Prüfung, ob das, was jeweils selbstverständlich erscheint, auch wirklich der kritischen Nachfrage standhält. Erkenntnis beginnt mit dem Problematisieren des scheinbar Selbstverständlichen. Darum kommt es der Theologie zu, dass sie gegenüber dem Umgang mit dem Wort „Gott“ zunächst Bedenken anmeldet. Anders kann sie ihrer Zeit und ihrer Sache nicht gerecht werden. Sie hat mit der Frage zu beginnen, ob das, was in dieser Zeit „Gott“ genannt wird oder mit diesem Wort bestritten wird, in Wahrheit verdient, so genannt und bestritten zu werden. Sie hat den Schwierigkeiten nachzugehen, welche das Reden von Gott in der Moderne in die Krise gebracht haben, und sie muss die großen Enteignungen des Christentums im Blick behalten. Diese betreffen den Nachweis der Entbehrlichkeit Gottes für die Erklärung der Welt und ihres Entstehens, den Nachweis der Verzichtbarkeit Gottes für die Begründung einer menschendienlichen Moral und den Nachweis für den fehlenden Bedarf des Wortes „Gott“ in unserer Sprache. Eine der Wahrheitsfrage verpflichtete Wissenschaft kann nicht anders, als mit Infragestellungen und nicht mit Wahrheitsbehauptungen zu beginnen.