Read the book: «Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch», page 12

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Das 11. Kapitel: Von dem müheseligen und gefährlichen Stand eines Regenten

Mein Herr wollte auch mit mir scherzen, und sagte: »Ich merke wohl, weil du nicht edel zu werden getrauest, so verachtest du des Adels Ehrentitel.« Ich antwortet: »Herr, wenn ich schon in dieser Stund an deine Ehrenstell treten sollte, so wollte ich sie doch nicht annehmen!« Mein Herr lachte, und sagte: »Das glaube ich, denn dem Ochsen gehöret Haberstroh; wenn du aber einen hohen Sinn hättest, wie adelige Gemüter haben sollen, so würdest du mit Fleiß nach hohen Ehren und Dignitäten trachten. Ich meinesteils achte es für kein Geringes, wenn mich das Glück über andere erhebt.« Ich seufzete und sagte: »Ach, arbeitselige Glückseligkeit! Herr, ich versichere dich, dass du der allerelendste Mensch in ganz Hanau bist.« »Wie so? wie so? Kalb«, sagte mein Herr, »sag mir doch die Ursach, denn ich befinde solches bei mir nicht.« Ich antwortet: »Wenn du nicht weißt und empfindest, dass du Gubernator in Hanau, und mit wie viel Sorgen und Unruhe du deswegen beladen bist, so verblendet dich die allzugroße Begierd der Ehr, deren du genießest, oder du bist eisern und ganz unempfindlich, du hast zwar zu befehlen, und wer dir unter Augen kommt, muss dir gehorsamen; tun sie es aber umsonst? bist du nicht ihrer aller Knecht? musst du nicht für einen jedweden insonderheit sorgen? Schaue, du bist jetzt rund umher mit Feinden umgeben, und die Konservation dieser Festung liegt dir allein auf dem Hals, du musst trachten, wie du deinem Gegenteil einen Abbruch tun mögest, und musst daneben sorgen, dass deine Anschläg nicht verkundschaftet werden; bedürfte es nicht öfters, dass du selber, wie ein gemeiner Knecht, Schildwacht stündest? Überdas musst du bedacht sein, dass kein Mangel an Geld, Munition, Proviant und Volk im Posten erscheine, deswegen du denn das ganze Land durch stetiges Exequieren und Tribulieren in der Kontribution erhalten musst; schickest du die Deinigen zu solchem End hinaus, so ist rauben, plündern, stehlen, brennen und morden ihre beste Arbeit, sie haben erst neulich Orb geplündert, Braunfels eingenommen und Staden in die Asche gelegt, davon haben sie zwar sich Beuten, du aber eine schwere Verantwortung bei Gott gemachet: Ich lasse sein, dass dir vielleicht der Genuß neben der Ehr auch wohltut, weißt du aber auch, wer solche Schätz, die du etwa sammlest genießen wird? Und gesetzt, dass dir solcher Reichtum verbleibt (so doch mißlich stehet), so musst du ihn doch in der Welt lassen, und nimmst nichts davon mit dir als die Sünde, dadurch du selbigen erworben hast: Hast du denn das Glück, dass du dir deine Beuten zu nutz machen kannst, so verschwendest du der Armen Schweiß und Blut, die jetzt im Elend Mangel leiden oder gar verderben und Hungers sterben. O wie oft sehe ich, dass deine Gedanken wegen Schwere deines Amts hin und wieder zerstreut sind, und dass hingegen ich und andere Kälber ohn alle Bekümmernis ruhig schlafen; tust du solches nicht, so kostet es deinen Kopf, dafern anders etwas verabsäumet wird, das zu Konservation deiner untergebenen Völker und der Festung hätte observiert werden sollen; schaue, solcher Sorgen bin ich überhoben! Und weil ich weiß, dass ich der Natur einen Tod zu leisten schuldig bin, sorge ich nicht, dass jemand meinen Stall stürmet oder dass ich mit Arbeit um mein Leben scharmützeln müsse, sterbe ich jung, so bin ich der Mühseligkeit eines Zugochsen überhoben, dir aber stellt man ohne Zweifel auf tausendfältige Weis nach, deswegen ist dein ganzes Leben nichts anders als ein immerwährende Sorg und Schlafbrechens, denn du musst Freund und Feind fürchten, die dich ohn Zweifel, wie du auch andern zu tun gedenkest, entweder um dein Leben oder um dein Geld oder um deine Reputation oder um dein Kommando oder um sonsten etwas zu bringen nachsinnen, der Feind setzt dir öffentlich zu und deine vermeinten Freund beneiden heimlich dein Glück; vor deinen Untergebenen aber bist du auch nicht allerdings versichert. Ich geschweige hier, wie dich täglich deine brennenden Begierden quälen und hin- und widertreiben, wenn du gedenkest, wie du dir einen noch größern Namen und Ruhm zu machen, höher in Kriegsämtern zu steigen, größern Reichtum zu sammeln, dem Feind eine Tück zu beweisen, ein oder ander Ort zu überrumpeln, und in Summa fast alles zu tun, was andere Leut geheiet und deiner Seelen schädlich, der göttlichen Majestät aber mißfällig ist! Und was das Allerärgste ist, so bist du von deinen Fuchsschwänzern so verwöhnt, dass du dich selbsten nicht kennest, und von ihnen so eingenommen und vergiftet, dass du den gefährlichen Weg, den du gehest, nicht sehen kannst, denn alles was du tust, heißen sie recht, und alle deine Laster werden von ihnen zu lauter Tugenden gemacht und ausgerufen; dein Grimmigkeit ist ihnen eine Gerechtigkeit, und wenn du Land und Leut verderben lässt, so sagen sie, du seist ein braver Soldat, hetzen dich also zu ander Leut Schaden, damit sie deine Gunst behalten und ihre Beutel dabei spicken mögen.«

»Du Bärnhäuter«, sagte mein Herr, »wer lehret' dich so predigen?« Ich antwortet: »Liebster Herr, sage ich nicht wahr, dass du von deinen Ohrenbläsern und Daumendrehern dergestalt verderbet seiest, dass dir bereits nicht mehr zu helfen; hingegen sehen andere Leut deine Laster gar bald, und urteilen dich nicht allein in hohen und wichtigen Sachen, sondern finden auch genug in geringen Dingen, daran wenig gelegen, an dir zu tadlen: Hast du nicht Exempel genug an hohen Personen, so vor der Zeit gelebt? Die Athenienser murmelten wider ihren Simonidem, nur darum dass er zu laut redete; die Thebaner klagten über ihren Paniculum, dieweil er auswarf; die Lakedämonier schalten an ihrem Lycurgo, dass er allezeit mit niedergeneigtem Haupt daherging; die Römer vermeinten, es stünde dem Scipione gar übel an, dass er im Schlaf so laut schnarchte; es dünkte sie häßlich zu sein, dass sich Pompeius nur mit einem Finger kratzte; des Julii Caesaris spotteten sie, weil er seinen Gürtel nicht artig und lustig antrug; die Uticenser verleumdeten ihren guten Catonem, weil er, wie sie bedünkte, allzu-geizig auf beiden Backen aß; und die Karthaginenser redeten dem Hannibali übel nach, weil er immerzu mit der Brust aufgedeckt und bloß daherging. Wie dünkt dich nun, mein lieber Herr? vermeinest du wohl noch, dass ich mit einem tauschen sollte, der vielleicht neben zwölf oder dreizehen Tischfreunden, Fuchsschwänzern und Schmarotzern mehr als hundert oder vermutlicher mehr als zehntausend so heimliche als öffentliche Feind, Verleumdet und mißgünstige Neider hat? zudem, was für Glückseligkeit, was für Lust und was für Freud sollte doch ein solch Haupt haben können, unter welches Pfleg, Schutz und Schirm so viel Menschen leben? Ists nicht vonnöten, dass du für alle die Deinigen wachest, für sie sorgest, und eines jeden Klag und Beschwerden anhörest? Wäre solches allein nicht müheselig genug, wenn du schon weder Feinde noch Mißgönner hättest? Ich sehe wohl, wie sauer du dirs musst werden lassen, und wieviel Beschwerden du doch erträgst; Liebster Herr, was wird doch endlich dein Lohn sein, sage mir, was hast du davon? Wenn du es nicht weißt, so lasse dirs den griechischen Demosthenem sagen, welcher, nachdem er den gemeinen Nutzen und das Recht der Athenienser tapfer und getreulich befördert und beschützt, wider alles Recht und Billigkeit, als einer so ein greuliche Missetat begangen, des Lands verwiesen und in das Elend verjaget ward; dem Socrati ward mit Gift vergeben; dem Hannibal ward von den Seinen so übel gelohnet, dass er elendiglich in der Welt landflüchtig herumschweifen musste; also geschah dem römischen Camillo; und dergestalt bezahlten die Griechen den Lycurgum und Solonem, deren der eine gesteiniget ward, dem andern aber, nachdem ihm ein Aug ausgestochen, wurde als einem Mörder endlich das Land verwiesen. Darum behalte dein Kommando samt dem Lohn, den du davon haben wirst, du darfst deren keins mit mir teilen, denn wenn alles wohl mit dir abgehet, so hast du aufs wenigste sonst nichts, das du davonbringest, als ein bös Gewissen; wirst du aber dein Gewissen in acht nehmen wollen, so wirst du als ein Untüchtiger beizeiten von deinem Kommando verstoßen werden, nicht anders, als wenn du auch, wie ich, zu einem dummen Kalb worden wärest.«

Das 12. Kapitel: Von Verstand und Wissenschaft etlicher unvernünftiger Tier'

Unter währendem meinem Diskurs sah mich jedermann an, und verwunderten sich alle Gegenwärtigen, dass ich solche Reden sollte vorbringen können, welche wie sie vorgaben auch einem verständigen Mann genug wären, wenn er solche so gar ohne allen Vorbedacht hätte vortragen sollen; ich aber machte den Schluß meiner Red, und sagte: ..Darum denn nun, mein liebster Herr, will ich nicht mit dir tauschen; zwar ich bedarfs auch im geringsten nit, denn die Quellen geben mir einen gesunden Trank anstatt deiner köstlichen Wein', und derjenige, der mich zum Kalb werden zu lassen beliebet, wird mir auch die Gewächs des Erdbodens dergestalt zu segnen wissen, dass sie mir wie dem Nabuchodonosore zur Speis und Aufenthalt meines Lebens auch nicht unbequem sein werden; so hat mich die Natur auch mit einem guten Pelz versehen, da dir hingegen oft vor dem Besten ekelt, der Wein deinen Kopf zerreißt, und dich bald in diese oder jene Krankheit wirft.«

Mein Herr antwortet': »Ich weiß nicht was ich an dir habe? du bedünkest mich für ein Kalb viel zu verständig zu sein, ich vermeine schier, du seiest unter deiner Kalbshaut mit einer Schalkshaut überzogen?« Ich stellte mich zornig, und sagte: »Vermeinet ihr Menschen denn wohl, wir Tiere seien gar Narren? Das dürft ihr euch wohl nicht einbilden! Ich halte dafür, wenn ältere Tier als ich so wohl als ich reden könnten, sie würden euch wohl anders aufschneiden: Wenn ihr vermeint, wir seien so gar dumm, so sagt nur doch, wer die wilden Bloch-Tauben, Häher, Amseln und Rebhühner gelehret hat, wie sie sich mit Lorbeerblättern purgieren sollen? und die Tauben, Turteltäublein und Hühner mit S. Peters Kraut? Wer lehret Hund und Katzen, dass sie das betaute Gras fressen sollen, wenn sie ihren vollen Bauch reinigen wollen? Wer die Schildkröt, wie sie die Biß mit Schirling heilen? und den Hirsch, wenn er geschossen, wie er seine Zuflucht zu dem Dictamno oder wilden Polei nehmen solle? Wer hat das Wieselin unterrichtet, dass es Rauten gebrauchen solle, wenn es mit der Fledermaus oder irgendeiner Schlang kämpfen will? Wer gibt den wilden Schweinen den Efeu, und den Bären den Alraun zu erkennen, und sagt ihnen, dass es gut sei zu ihrer Arznei? Wer hat dem Adler geraten, dass er den Adlerstein suchen und gebrauchen soll, wenn er seine Eier schwerlich legen kann? Und welcher gibt es der Schwalbe zu verstehen, dass sie ihrer jungen blöde Augen mit dem Chelidonio arzneien solle? Wer hat die Schlang instruiert, dass sie soll Fenchel essen, wenn sie ihre Haut abstreifen und ihren dunkeln Augen helfen will? Wer lehret den Storch, sich zu klistieren? den Pelikan, sich Ader zu lassen? und den Bären, wie er sich von den Bienen solle schröpfen lassen? Was, ich dürfte schier sagen, dass ihr Menschen eure Künste und Wissenschaften von uns Tieren erlernet habt! Ihr freßt und sauft euch krank und tot, das tun wir Tier aber nicht! Ein Löw oder Wolf, wenn er zu fett werden will, so fastet er, bis er wieder mager, frisch und gesund wird. Welches Teil handelt nun am weislichsten? Über dieses alles betrachtet das Geflügel unter dem Himmel! betrachtet die unterschiedlichen Gebäue ihrer artlichen Nester, und weil ihnen ihre Arbeit niemand nachmachen kann, so müßt ihr ja bekennen, dass sie beides verständiger und künstlicher sind, als ihr Menschen selbst: Wer sagt den Sommervögeln, wann sie gegen den Frühling zu uns kommen und Junge hecken? und gegen den Herbst, wann sie sich wieder von dannen in die warmen Länder verfügen sollen? Wer unterrichtet sie, dass sie zu solchem End einen Sammelplatz bestimmen müssen? Wer führet sie oder wer weiset ihnen den Weg, oder leihet ihr Menschen vielleicht ihnen euren Seekompaß, damit sie unterwegs nicht irrfahren? Nein, ihr lieben Leut, sie wissen den Weg ohne euch und wie lang sie darauf müssen wandern, auch wann sie von einem und dem andern Ort aufbrechen müssen; bedürfen also weder eures Kompasses noch eures Kalenders. Ferners beschauet die mühsame Spinn, deren Geweb beinahe ein Wunderwerk ist! Sehet, ob ihr auch einen einzigen Knopf in aller ihrer Arbeit finden möget? Welcher Jäger oder Fischer hat sie gelehret, wie sie ihr Netz ausspannen, und sich, je nachdem sie sich eines Netzes gebraucht, ihr Wildpret zu belaustern entweder in den hintersten Winkel oder gar in das Zentrum ihres Gewebs setzen solle? Ihr Menschen verwundert euch über den Raben, von welchem Plutarchus bezeugt, dass er so viel Stein in ein Geschirr, so halb voll Wasser gewesen, geworfen, bis das Wasser so weit oben gestanden, dass er bequemlich hab trinken mögen: Was würdet ihr erst tun, wenn ihr bei und unter den Tieren wohnen und ihre übrigen Handlungen, Tun und Lassen ansehen und betrachten würdet; alsdann würdet ihr erst bekennen, dass es sich ansehen lasse, als hätten alle Tier etwas besonderer eigener natürlicher Kräfte und Tugenden in allen ihren Affectionibus und Gemütsneigungen, in der Vorsichtigkeit, Stärk, Mildigkeit, Furchtsamkeit, Rauheit, Lehr und Unterrichtung; es kennet je eines das ander, sie unterscheiden sich vor einander, sie stellen dem nach, so ihnen nützlich, fliehen das schädlich, meiden die Gefahr, sammlen zusammen, was ihnen zu ihrer Nahrung notwendig ist, und betrügen auch bisweilen euch Menschen selbst. Dahero viel alte Philosophi solches ernstlich erwogen, und sich nicht geschämt haben zu fragen und zu disputieren, ob die unvernünftigen Tier nicht auch Verstand hätten? Ich mag aber nichts mehr von diesen Sachen reden, gehet hin zu den Immen, und sehet, wie sie Wachs und Honig machen, und alsdann sagt mir euer Meinung wieder.«

Das 13. Kapitel: Hält allerlei Sachen in sich, wer sie wissen will, muss es nur selbst lesen oder sich lesen lassen

Hierauf fielen unterschiedliche Urteil über mich, die meines Herrn Tischgenossen gaben, der Secretarius hielt dafür, ich sei für närrisch zu halten, weil ich mich selbst für ein vernünftig Tier schätzte und dargebe, maßen diejenigen, so ein Sparren zu viel oder zu wenig hätten und sich jedoch weis zu sein dünkten, die allerartlichsten oder visierlichsten Narren wären: Andere sagten, wenn man mir die Imagination benehme, dass ich ein Kalb sei, oder mich überreden könnte, dass ich wieder zu einem Menschen worden wäre, so würde ich für vernünftig oder witzig genug zu halten sein. Mein Herr selbst sagte: »Ich halte ihn für einen Narrn, weil er jedem die Wahrheit so ungescheut sagt, hingegen sind seine Diskurse so beschaffen, dass solche keinem Narrn zustehen.« Und solches alles redeten sie auf Latein, damit ichs nicht verstehen sollte. Er fragte mich, ob ich studiert hätte, als ich noch ein Mensch gewesen? Ich wüßte nicht, was Studieren sei, war mein Antwort, »aber lieber Herr«, sagte ich weiters, »sag mir, was Studen für Dinger sind, damit man studieret? Nennest du vielleicht die Kegel so, damit man keglet?« Hierauf antwortet' der tolle Fähnrich: »Wat wolts met deesem Kerl sin, bei hett den Tüfel in Liff, hei ist beseeten, de Tüfel der kühret ut jehme.« Dahero nahm mein Herr Ursach, mich zu fragen, sintemal ich denn nunmehr zu einem Kalb worden wäre, ob ich noch wie vor diesem, gleich andern Menschen, zu beten pflege, und in Himmel zu kommen getraue? »Freilich«, antwortet ich, »ich habe ja meine unsterbliche menschliche Seel noch, die wird ja, wie du leichtlich gedenken kannst, nicht in die Höll begehren, vornehmlich weil mirs schon einmal so übel darinnen ergangen; ich bin nur verändert wie vor diesem Nabuchodonosor, und dürfte ich noch wohl zu seiner Zeit wieder zu einem Menschen werden.« »Das wünsche ich dir«, sagte mein Herr mit einem ziemlichen Seufzer: daraus ich leichtlich schließen konnte, dass ihn eine Reu ankommen, weil er mich zu einem Narren zu machen unterstanden. »Aber laß hören«, fuhr er weiter fort, »wie pflegst du zu beten?« darauf kniet ich nieder, hub Augen und Hände auf gut einsiedlerisch gen Himmel, und weilen meines Herrn Reu, die ich gemerkt hatte, mir das Herz mit trefflichem Trost berührte, konnte ich auch die Tränen nicht enthalten, bat also dem äußerlichen Ansehen nach mit höchster Andacht, nach gesprochenem Vaterunser, für alles Anliegen der Christenheit, für meine Freund und Feind, und dass mir Gott in dieser Zeitlichkeit also zu leben verleihen wolle, dass ich würdig werden möchte, ihn in ewiger Seligkeit zu loben; maßen mich mein Einsiedel ein solches Gebet mit andächtigen konzipierten Worten gelehret hat. Hiervon fingen etliche weichherzige Zuseher auch beinahe an zu weinen, weil sie ein trefflich Mitleiden mit mir trugen, ja meinem Herrn selbst stunden die Augen voller Wasser.

Nach der Mahlzeit schickte mein Herr nach obgemeldtem Pfarrherrn, dem erzählte er alles, was ich vorgebracht hatte, und gab damit zu verstehen, dass er besorge, es gehe nicht recht mit mir zu, und dass vielleicht der Teufel mit unter der Decken läge, dieweil ich vor diesem ganz einfältig und unwissend mich erzeigt, nunmehr aber Sachen vorzubringen wisse, dass sich darüber zu verwundern! Der Pfarrer, dem meine Beschaffenheit am besten bekannt war, antwortet': Man sollte solches bedacht haben, ehe man mich zum Narren zu machen unterstanden hätte, Menschen seien Ebenbilder Gottes, mit welchen, und bevorab mit so zarter Jugend, nicht wie mit Bestien zu scherzen sei; doch wolle er nimmermehr glauben, dass dem bösen Geist zugelassen worden, sich mit in das Spiel zu mischen, dieweil ich mich jederzeit durch inbrünstiges Gebet Gott befohlen gehabt, sollte ihm aber wider Verhoffen solches verhängt und zugelassen worden sein, so hätte mans bei Gott schwerlich zu verantworten, maßen ohne das beinahe keine größere Sünd sei, als wenn ein Mensch den andern seiner Vernunft berauben und also dem Lob und Dienst Gottes, dazu er vornehmlich erschaffen worden, entziehen wollte: »Ich habe hiebefür Versicherung getan, dass er Witz genug gehabt; dass er sich aber in die Welt nicht schicken können, war die Ursach, dass er bei seinem Vater, einem groben Bauren, und bei eurem Schwager in der Wildnis in aller Einfalt erzogen worden; hätte man sich anfänglich ein wenig mit ihm geduldet, so würde er sich mit der Zeit schon besser angelassen haben, es war eben ein fromm einfältig Kind, das die boshaftige Welt noch nicht kennete, doch zweifle ich gar nicht, dass er nicht wiederum zurechtzubringen sei, wenn man ihm nur die Einbildung benehmen kann und ihn dahin bringt, dass er nicht mehr glaubt, er sei zum Kalb worden: Man lieset von einem, der hat festiglich geglaubt, er sei zu einem irdenen Krug worden, bat dahero die Seinigen, sie sollten ihn wohl in die Höhe stellen, damit er nicht zerstoßen würde; ein anderer bildete sich nicht anders ein, als er sei ein Hahn, dieser krähete in seiner Krankheit Tag und Nacht; noch ein anderer vermeinte nicht anders, als er sei bereits gestorben und wandere als ein Geist herum, wollte derowegen weder Arznei, noch Speis und Trank mehr zu sich nehmen, bis endlich ein kluger Arzt zween Kerl anstellete, die sich auch für Geister ausgaben, daneben aber tapfer zechten, sich zu jenem geselleten und ihn überredeten, dass jetziger Zeit die Geister auch zu essen und zu trinken pflegten, wodurch er denn wieder zurechtgebracht worden. Ich habe selbsten einen kranken Bauren in meiner Pfarr gehabt, als ich denselben besuchte, klagte er mir, dass er auf drei oder vier Ohm Wasser im Leib hätte, wenn solches von ihm wäre, so getraute er wohl wieder gesund zu werden, mit Bitt, ich wollte ihn entweder aufschneiden lassen, damit solches von ihm laufen könnte, oder ihn in Rauch hängen lassen, damit dasselbe austrockne: Darauf sprach ich ihm zu, und überredet ihn, ich könnte das Wasser auf eine andere Manier wohl von ihm bringen, nahm demnach einen Hahn, wie man zu den Wein- oder Bierfässern braucht, band einen Darm daran, und das ander End band ich an den Zapfen eines Bauchzubers, den ich zu solchem End voll Wasser tragen lassen, stellete mich darauf, als wenn ich ihm den Hahn in Bauch steckte, welchen er überall mit Lumpen umwinden lassen, damit er nicht zerspringen sollte: Hierauf ließ ich das Wasser aus dem Zuber durch den Hahn hinweglaufen, darüber sich der Tropf herzlich erfreuet', nach solcher Verrichtung die Lumpen von sich tat und in wenig Tagen wieder allerdings zurechtkam. Auf solche Weis ist einem andern geholfen worden, der sich eingebildet, er habe allerhand Pferdgezeug, Zäum und sonst Sachen im Leib, demnach gab sein Doktor eine Purgation ein und legte dergleichen Ding untern Nachtstuhl, also dass der Kerl glauben musste, solches sei durch den Stuhlgang von ihm kommen. So sagt man auch von einem Phantasten, der geglaubt habe, seine Nas sei so lang, dass sie ihm bis auf den Boden reiche, dem habe man eine Wurst an die Nas gehängt, dieselbe nach und nach bis an die Nas selbst hinweggeschnitten, und als er das Messer an der Nas empfunden, hätte er geschrien, seine Nas sei jetzt wieder in rechter Form; kann also, wie diesen Personen, dem guten Simplicio wohl auch wieder geholfen werden.«

»Dieses alles glaubte ich wohl«, antwortet' mein Herr, »allein liegt mir an, dass er zuvor so unwissend gewesen, nunmehr aber von Sachen zu sagen weiß, solche auch so perfekt dahererzählet, dergleichen man bei älteren, erfahrneren und belesneren Leuten, als er ist, nicht leichtlich finden wird; er hat mir viel Eigenschaften der Tier erzählt, und mein eigene Person so artlich beschrieben, als wenn er sein Lebtag in der Welt gewesen, also dass ich mich darüber verwundern und seine Reden beinahe für ein Orakel oder Warnung Gottes halten muss.«

»Herr«, antwortet' der Pfarrer, »dieses kann natürlicher Weis wohl sein, ich weiß, dass er wohl belesen ist, maßen er sowohl als sein Einsiedel gleichsam alle meine Bücher, die ich gehabt und deren zwar nicht wenig gewesen, durchgangen, und weil der Knab ein gut Gedächtnis hat, jetzo aber in seinem Gemüt müßig ist und seiner eigenen Person vergißt, kann er gleich hervorbringen, was er hiebevor ins Hirn gefaßt; ich versehe mich auch, dass er mit der Zeit wieder zurechtzubringen sei.« Also setzt' der Pfarrer den Gubernator zwischen Furcht und Hoffnung, er verantwortet' mich und mein Sach auf das beste und bracht mir gute Tag, sich selbst aber ein Zutritt bei meinem Herrn zuwege. Ihr endlicher Schluß war, man sollte noch ein Zeitlang mit mir zusehen; und solches tat der Pfarrer mehr um seines als meines Nutzens wegen, denn mit diesem, dass er so ab- und zuging und sich stellet', als wenn er meinethalben sich bemühet' und große Sorg trug, überkam er des Gubernators Gunst, dahero gab ihm derselbige Dienst und machte ihn bei der Garnison zum Kaplan, welches in so schwerer Zeit kein Geringes war und ich ihm herzlich wohl gönnete.

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