Übliche Grenzüberschreitungen

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Übliche Grenzüberschreitungen
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Hans J. Unsoeld

Übliche Grenzüberschreitungen

Der Weg der Mitte in der dualen Welt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Übliche Grenzüberschreitungen

Das Wesen aller Entwicklung

Grenzen und Tabus

Wachstum und Entwicklung

Kontrolle durch Tabus?

Rabengesang

Urstoff ?

Raben-Philosophie

Nachkriegsnächte revisited

Kommen Naturwissenschaften ohne Experimente?

Gerichtete Entwicklung

Behinderte Entwicklung

Gefährliches Wissen

Janus muss zwei Köpfe haben.

Nachwort

Impressum neobooks

Übliche Grenzüberschreitungen

Der Weg der Mitte in der dualen Welt

Vorwort

Ist Philosophie heutzutage ein ungeliebtes Kind? Zu Zeiten von Homer mochte sie noch ganz amüsant sein, obwohl die Fahrten von Odysseus sicher nicht ungefährlich waren. Aber er kehrte schlussendlich brav zur Frau Gemahlin zurück. Dann schien diese Sparte unter Aristoteles zu einem nutzlosen Wortgeklaube zu entarten und in der Folge der Renaissance vollends von den aufkommenden Naturwissenschaften und ihrem potenten Kind, der Technik, entthront zu werden. Im 19. Jahrhundert gabe es noch einmal ein Aufbegehren der Philosophen, die meinten, die Sprache zu einem mächtigen Instrument der Erkenntnis machen zu können. Aber während sich die Idealisten mit den Materialisten stritten, führten die moderne Technik und von ihr eingeleitete Kommunikation zu einem solchen Siegeszug, dass die Philosophie vollends überflüssig zu sein schien. Doch der Autor dieses Textes gibt sich als Rabe und krächzt, dass aus seiner Sicht eines animalischen weit herumflatternden Wesens die Angelegenheit eine entscheidende Kehrtwendung nehmen kann. Wir sollten für einen Moment Geduld haben, wenn es mit Mathematik beginnt, um die Ausgangssituation zu verstehen. Schon hier sei verraten, dass es dabei nicht bleiben wird.

Das Wesen aller Entwicklung

Ist es nicht langweilig oder höchstens nur etwas für Spezialisten, wenn Naturwissenschaftler wie üblich Experimente mit mathematisch formulierten, sehr komplizierten Theorien vergleichen? Ob uns die Zukunft bald einen spannenden Schritt weiter bringen kann, der uns ein einfacheres und besseres Verständnis der Welt und damit auch unseres eigenen Lebens sogar über den eigentlichen Bereich der Naturwissenschaften hinaus ermöglicht?

In der klassischen Mathematik sind Funktionen das wichtigste Instrument, um Dinge und Vorgänge miteinander in Beziehung zu setzen. Funktionen liefern "Bilder" eines definierten Bereichs mit bestimmten Dimensionen in einen anderen Bereich von der gleichen Art. Die normalen Dimensionen sind Raum und Zeit. Historisch gesehen wichtig und im Grunde bereits spannend war der Streit zwischen Newton, der Zeit für etwas reales hielt, und Leibniz und Kant, welche beide die Zeit als ein Kind des Geistes verstanden. Heutzutage wird Raum von Wissenschaftlern als durch die Anwesenheit von Massen abstrakt definiert gesehen, Zeit entsprechnd durch schrittweise dissipative Prozesse oder solche der Entropie.

Besagte Entropie, meist als Maß für den Grad von Unordnung gesehen, kann in geschlossenen Systemen nur zunehmen (zweites Gesetz der Thermodynamik). Dies ist konsistent mit der Tatsache, dass die Zeit als einseitig gerichtet empfunden wird, was zum Begriff eines Zeitpfeils führt. In offenen Systemen dagegen, wie dem Wachstum von Kristallen, aber auch in Lebewesen, kann die Entropie abnehmen und die Zeit folglich nur durch Schritte von Zähleinrichtungen definiert werden. Aber die Dimensionen des Raums und der Zeit können nicht völlig selbstverständlich als allgemein gültig definiert werden, sondern sie haben einen begrenzten Definitionsbereich. Der Grund, dass die Menschen Zeit individuell verschieden wahrnehmen, mag zwar psychologisch begründet sein, aber auch hierin liegen. Eine solche Begrenzung könnte zum Beispiel der Fall sein innerhalb von Elementarteilchen und von Schwarzen Löchern oder außerhalb der Reichweite der kosmologische Expansion. Dort haben unsere Vorstellungen von Raum und Zeit keinen Sinn mehr, und selbst die gerade verwendeten Wörter innerhalb und außerhalb müssen hinterfragt werden.

Bestimmte Tatsachen in der Natur lassen sich besser beschreiben, wenn Eigenschaften von aufeinander folgenden Generationen mit sogenannten Fraktalen zueinander in Bezug gesetzt werden statt Eigenschaften in von Raum und Zeit abhängigen Dimensionen wie gewohnt mit Funktionen. Der Begriff Fraktale wird hier nicht nur wie bei den bekannten bunten Bildern für etwa von der Herzkardoide abgeleitete, Apfelmännchen genannte Figuren benutzt, also für geometrische Darstellungen, sondern in einem erweiterten Sinn, der unter anderem sogenannte Reihenentwicklungen einschließt. Es sei nur kurz angemerkt, dass dieser Übergang demjenigen von Euklidischer Geometrie zu Algebra entspricht. Wenn man von Fraktalen statt von Funktionen ausgeht, lässt sich zeigen, dass Generationen buchstäblich die Rolle von Dimensionen einnehmen. Fraktale Mathematik kann ohne Bezug auf Raum und Zeit verstanden werden. Der Begriff Entwicklung lässt sich damit in einem erweiterten Sinne verwenden sogar in Bereichen, in denen Raum und Zeit nicht definiert sind. Das Zählen von Generationen kann ein Äquivalent für Zeit erzeugen.

Weil wissenschaftliche Experimente in der Regel in Raum und Zeit beschrieben werden, könnte es Bereiche geben außerhalb von definiertem Raum und Zeit und damit der Naturwissenschaften selbst, wo Experimente durch etwas anderes ersetzt werden sollten. Dies könnte bedeuten, andere Disziplinen in Forschung über diese Grenzen hinaus einzubeziehen. Optimierung würde möglicherweise an Stelle eines Nachweises treten. Da Lebensprozesse voll kompatibel mit den allgemeinen Naturgesetzen sein müssen, ließen sich eventuell Leitlinien für die Optimierung finden durch Einbeziehung und Vergleich mit anderen Disziplinen, die für das Leben relevant sind. Welche Disziplinen könnten dies sein und welche typische Eigenschaften zwischen verschiedenen Generationen kommen infrage?

Religion (nicht institutionalisiert) und Kunst wurden traditionell als gleichwertige Disziplinen für das Leben angesehen. Heute werden sie nicht in der naturwissenschaftlichen Forschung akzeptiert, weil sie keine Versuche unter kontrollierten Bedingungen zulassen. Religion hat als Leitprinzip Einfachheit, wie sie sich in überbrachter Moral ausdrückt, und entsprechend Kunst in Harmonie, wie sie in Schönheit oder im Umgang mit Symmetrien gefunden wird. Die Naturwissenschaften selber als dritte Disziplin schätzen das Prinzip der Konsistenz als ein Muss für ernsthafte Kontrollen. Dieses Wort bedeutet Stimmigkeit in Zusammenhängen und damit Verzicht auf den Anspruch absoluter logischer Wahrheit. Denn sowohl die Einfachheit als auch die Harmonie als auch die Konsistenz können durch äußere Einflüsse gestört sein. Generell sollte deswegen unter einem Prinzip in vorliegenden Sinne eher ein angestrebtes Ziel als ein strenges Gesetz verstanden werden. Dass zumindest der Wunsch nach Einfachheit und Schönheit auch im Bereich der Naturwissenschaften besteht, lässt sich nicht leugnen. Umgekehrt mag das vergleichsweise Fehlen von Konsistenz viele Probleme mit Religionen erklären, und zwar insbesondere mit den institutionalisierten.

Grenzen und Tabus

Expansion impliziert bei Beschreibung durch klassische Mathematik die Existenz von Grenzen, in welchen sie definiert ist. Expansion wird bei Lebensprozessen durch Kontakthemmung begrenzt (nicht definierter oder nicht erlaubter Raum). In der Elementarteilchenphysik wird Expansion in entsprechender Weise begrenzt durch das Pauli-Prinzip, welches unter anderem beinhaltet, dass Massen sich nicht gegenseitig durchdringen. Diese Art der Expansion wird Wachstum genannt. Expansion, die jedoch durch fraktale Mathematik beschrieben wird, kennt keine Grenzen, insbesondere im allgemeinen keine räumlichen, und wird in diesem Sinne Entwicklung genannt. Wachstum bedeutet dagegen vor allem räumliche Ausdehnung, während Entwicklung ein Ergebnis aufeinander folgender Generationen ist. Mit Entwicklung sind das Zustandekommen und auch das eventuelle Verschwinden von Eigenschaften gemeint, während Evolution die Entstehung von bleibenden neuen Eigenschaften bedeutet.

 

Somit werden die Begriffe Wachstum und Entwicklung als grundlegend verschieden oder entgegengesetzt zueinander verstanden. Sie können als Dualismus gesehen werden oder möglicherweise sogar als Basis für die Beschreibung aller Dualismen in der Natur. Der von de Broglie im Jahr 1924 gefundene Teilchen-Welle-Dualismus bezieht sich zum Beispiel auf Partikel begrenzter Ausdehnung, aber schließt gleichzeitig als Gegensatz die Vorstellung von einer Welle ein, die nicht in ihrer Ausdehnung begrenzt ist.

Der Begriff des Wachstums beinhaltet zwingend Grenzen, was eine wohlbekannte Tatsache durch den Club von Rom im Jahre 1972 wurde. Es ist ein kurzfristig eintretendes Ergebnis bei Achtung der Grenzen, während verschiedene Invasionen und auch Katastrophen langfristigen Entwicklungen einleiten trotz oder durch respektloses Brechen von Grenzen oder Tabus. Diese letzteren beiden Begriffe bedeuten so gesehen weitgehend dasselbe. Sesshafte Lebensweise braucht Respekt hinsichtlich der Grenzen und schränkt die Freiheit ein, während Nomadenleben zu umgekehrter Wertung neigt, nämlich die Freiheit höher einschätzt als Grenzen oder Tabus.

Beide Formen von Expansion kommen vor und werden benötigt. Wenn einseitig entweder Raum und Zeit oder aufeinander folgende Generationen als Referenzschema genommen werden, sind Konflikte vorprogrammiert und schwer zu vermeiden. Sich zu respektieren und nicht zu respektieren schließen sich logisch gegenseitig aus. Dies ist jedoch anders bei Einnahme eine partiellen Ansicht. Expansionen werden zumindest weniger abhängig von Grenzen und Tabus und folgen stärker Richtlinien einer Optimierung. Sie können sich bis jenseits von denjenigen Räumen und Zeiten ausdehnen, in welchen sie zunächst als erlaubt gesehen wurden.

Ein solches Abrücken von extremen Positionen bedeutet Modifizierungen vor bestehenden strengen Regeln der Logik, der Moral und, wie vom Existentialismus gezeigt, auch der Authentizität. Klassische Logik entscheidet streng zwischen wahr und falsch, die klassische Moral entscheidet auf die gleiche Weise zwischen gut und schlecht, und klassische Authentizität zwischen entweder echt oder nachgemacht (fake). Diese drei Paare können als Maximalwerte der grundlegenden Lebensdimensionen betrachtet werden. Nach moderner Sichtweise sollten also normalerweise Zwischenwerte vorliegen. Sachverhalte können mehr oder weniger wahr sein, mehr oder weniger gut, mehr oder weniger authentisch. Im Prinzip würden diese moralischen Kategorien den räumlichen Dimensionen der Naturwissenschaften, der Technik und der klassischen Mathematik entsprechen.

Die tatsächliche Welt kann nicht nur mit schwarz und weiß oder durch links und rechts beschrieben werden. Es gibt ein kontinuierliches Spektrum zwischen den Extremen, also auch zwischen wahr und falsch, was zu Fuzzy-Logik führt, und in ähnlicher Weise zwischen gut und schlecht sowie zwischen echt und nachgemacht. Der Weg des Fortschritts muss zwischen diesen Extremen durch Optimierung gefunden werden. Extreme Lösungen können als gleichbedeutend mit Fundamentalismus angesehen werden. Optimierung ergibt sich als eine Aufgabe, die deutlich auf Kunst hinweist. Alle Arten von Kunst in der Natur, im Leben und als Werk eines Künstlers bedürfen einer Optimierung.

Extreme Lösungen oder Arten von Fundamentalismus sollten daher eher vermieden werden. Völlig wahr bedeutet „law and order“ (übertriebenes Verständnis von Recht und Ordnung), während mit „völlig falsch“ die Vernachlässigung von Gesetzen und Anarchie gemeint sein soll. „Ausschließlich gut“ würde Verzicht auf Wettbewerb und nur soziale Aspekte bedeuten, während Darwinismus jegliche Vorstellung von gut im moralischen Sinne ausschließt. Völlige Authentizität würde nur Egoismus und Selbstverwirklichung beinhalten, während „nachgemacht“ nur das Gegenteil mit Verschleierung und Mangel an eigenen Wesen ist.

Jede Art von Expansion,- Wachstum und Entwicklung und auch Evolution,- folgt Leitlinien. In einem Raum-Zeit-System ist die Zeit eine unidirektionale Richtlinie (ein „Pfeil der Zeit“) und könnte also durch natürliche Zahlen gemessen werden, was ein Hinweis auf eine schrittweise Zählung wäre. In einem fraktalen System wird dieser Aspekt durch die vierte "Dimension" übernommen, die der Grad von Ordnung oder Chaos ist. Nur in geschlossenen Systemen ist dieser entsprechend dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zum Chaos gerichtet. In offenen Systemen muss er mit Optimierung erfasst werden. Dies ist ein wichtiger Punkt. Weder totale Ordnung noch vollständiges Chaos, sondern ein Zwischenweg ist die Leitlinie. Man mag an den Weg der Mitte im Buddhismus denken. Diese Vorstellungen führen jedoch zu dem Verständnis, dass das wirkliche Leben sich weder durch „nur gut“ in einem Kloster noch durch „nur schlecht“ auf einem Schlachtfeld optimieren lässt, und dass auch Kunst ihre höchste Vollendung entlang den Grenzen zwischen Ordnung und Chaos findet. Unsere Existenz muss verwirklicht werden zwischen einem Streben nur nach Authentizität und einem ausschließlichen Zulassen von Rollenspiel, wie es im gesellschaftlichen Leben oft erforderlich zu sein scheint. Zur Warnung sei angemerkt, dass in irreführender Weise in fraktalen Theorien manchmal der Begriff Dimension auch zur Beschreibung des Grades der Ordnung benutzt wird.

Warum haben wir gerade Religion, Kunst und Naturwissenschaften als Basis für die Optimierung benutzt? Religion bezieht sich auf gute und schlecht, Kunst folgt Regeln der Authentizität, die mit Schönheit und Harmonie in Verbindung gebracht werden können, und die Naturwissenschaften betrachten die Wahrheit als am wichtigsten, die aber nur in der klassischen Mathematik zu strenger Logik führt. In fraktaler Sicht ist dagegen die Konsistenz eine zu optimierende Qualität und keine absolute.

Optimierung hinsichtlich der richtigen Balance zwischen Ordnung und Chaos wird die generelle Leitlinie sein. Der beste Weg kann irgendwo zwischen den Extremen optimiert werden, nämlich in der Kunst in diesem Verständnis zwischen authentisch und nachgemacht, in der Religion zwischen gut und schlecht, und in den Naturwissenschaften zwischen wahr und falsch. Diese Sicht ergibt einen modernen Sinn des Mittleren Weges zwischen den Extremen der totalen Ordnung oder dem völligen Chaos. Während der Buddhismus unter dem Achtfachen Pfad acht wichtige Aspekte für die Suche nach Erkenntnis und Erfüllung versteht, bedeutet die hier vertretenen Auffassung die Vermeidung von acht Extremen, vier auf jeder Seite des Weges.

Das Kürzel ARS symbolisiert in diesem Sinne „art“ (Kunst), Religion und „sciences“ (Naturwissenschaften). UNA soll sagen „united“ (vereint), natürlich und alternativ.

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