Märchen vom Stadtschreiber der aufs Land flog

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Und hier ragte auch, angezeigtes Wahrzeichen Spatt'schen Geschlechtes, die stattliche Linde in den Abendhimmel, immer noch stattlich, trotz der drei abgestorbenen Äste. Dicke Eisenbänder um ihrem Stamm legten Zeugnis davon ab, daß der jetzige Besitzer nicht willens war, die alte Gefährtin seines Hauses ohne Kampf dem Zerfall zu überlassen. Erhöht über allen anderen Häusern des Dorfes lag der Hof, in enger Nachbarschaft zu Kirche, Pfarrhaus und Schule, an einem kleinen Platz, zu dem sich hier die Straße weitete. Geräumiger noch schien dem Spatzen das Haus, länger die Ställe, höher die Scheunen – und mit einem Gefühl ungekannten Stolzes sah er auf den Hof hinab; mit einer noch nicht erfahrenen, freudigen Erwartung dachte er des kommenden, friedlichen, geruhsamen Winters.

Sorglich spähte er nach einem günstigen Fleck aus, auf dem unbeobachtet die Verwandlung aus einem Federwisch in eine Weißhaut zu bewerkstelligen sei, und er entschied sich für eine Laube, die, halb hinter Büschen verborgen, dunkel und verlassen im Garten an des Onkels Hause stand. Froh nun doch, den weiten Flug vollbracht zu haben, ließ er sich zur Erde hinab, hüpfte in die Laube, und wollte gerade das Haar aus der Zehe fallen lassen, als das Geräusch nahender Schritte und Stimmen ihn warnte, noch ein weniges mit der Verwandlung zu warten. Hastig hüpfte er unter die Holzbank, und kaum saß er im dunkelsten Winkel, als die Laube auch schon betreten und die Bank über ihm besetzt wurde. Nun war es ganz dunkel um ihn, denn gegen den einzigen Fleck, der ihm noch ein wenig Helligkeit gespendet, den Laubeneingang, standen jetzt zwei Paar Beine. Hatte der Herr Spatt am Nachmittage bei seinem Fluge über den Wald sich viele Male die Vorteile freien Spatzenblickes vor dem überall verstellten Menschenblick gerühmt, so mußte er nun am Abend noch erfahren, daß sehr wenig dazu gehörte, einen Spatzenblick zu verstellen, nämlich nur ein paar Hosen und ein Frauenrock. Freilich war's ihm auch wieder ein prickelnd Gefühl, daß er nun die ihm als so schön gerühmte Base nicht händeschüttelnd und von Angesicht zu Angesicht kennenlernen sollte, sondern als ganz ungefährdeter Beobachter bei einer vielleicht verbotenen Heimlichkeit.

»Wir sollten uns hier nicht so setzen«, sprachen mit grober Stimme die Hosen. »Ich muß noch die Pferde tränken und misten, Heu herunter stoßen, Holz in die Küche, Wasser ins Schaff tragen ...«

›O weh!‹ dachte der Spatz, ›das klingt nicht nach Winterruhe.‹

Doch da lachte oben auch schon der Rock silberhell: »Oh, Du peinlicher Brummbär, jetzt wird's Winter, und was heute nicht geschieht, wird morgen getan. – Aber warum ich Dich gerufen habe«, setzte sie leiser und geheimnisvoller hinzu, »heute Abend oder doch noch in der Nacht kommt Verwandtschaft auf den Hof, man hat mir Botschaft gesandt ...«

»Wie kannst Du Botschaft haben?!« sprachen verdrossen die Hosen. »Ist doch seit drei Tagen kein Fremdes auf den Hof gekommen.«

»Ach Du Dummer!« lachte der Rock. »Weißt Du denn noch immer nicht, daß es eine Post gibt, und daß man Briefe schreiben kann?!«

»Wohl, wohl«, klang's unzufrieden. »Das weiß ich nun auch, daß so ein glattes, dummes Stück Papier sprechen kann. – Aber auch der Briefträger hat sich nicht sehen lassen seit einer Woche. Nein, nein, ich fürchte, Du hast Dich wieder, trotz Deines Versprechens, mit dem bösen Dreibein eingelassen ...«

»Wie Du nur so reden magst«, sprach das Mädchen unwillig und doch mit listiger Zärtlichkeit. »Versprochen bleibt versprochen, und das alte Zulpmaul mit seinen Eulen, Raben und Elstern ist mir ein rechter Ekel. Nein, höre mir lieber gut zu, es hat alles seine Richtigkeit, was ich Dir erzähle, und Dich geht es am Ende am meisten an.«

›Ob das die Tante ist vom Herrn Stadtrat?‹ überlegte der Spatz unter der Bank. ›Aber sicher ist, daß die Tochter da über mir hockt. Doch warum sie sich mit solch grobem Klotz abgibt, das verstehe ich nicht.‹ Und der warnende Spruch flog ihm durch den Kopf: ›Küssemund ist ungesund!‹

»So erzähle schon«, sprachen verdrossen die Hosen zum Rock. »Mir ist ganz, als hörte ich des Bauern Stimme vom Hof.« »Also, daß Verwandtschaft heute noch kommt, habe ich Dir schon gesagt«, sprach eifrig das Mädchen. »Aber was es für Verwandtschaft ist, das weißt Du noch nicht. Ein verschollener Neffe und Vetter ist es, ein junges Bürschlein, wie Milch und Blut, aus der Stadt, mit weißen Patschchen wie ein klein Kind, und einem braunen Schnurrbärtchen so zart wie Gänseflaum.«

»Und was geht mich das an?« sprach brummig die grobe Stimme. »Meine Arbeit werden mir die weißen Patschchen nicht abnehmen.«

»Oh, über den langsamen Kopf von Euch Männern in Liebesdingen!« rief das Mädchen unwillig aus. »Nein, Deine Arbeit im Stall wird Dir das Stadtherrchen schon nicht machen, aber neugierig wird es sein, wie Deinem Mädchen sein braunes Schnurrbärtchen mundet.«

»Da soll doch der Teufel sich selber küssen!« riefen zornig die Hosen. »Sehe ich ihn nur einmal die Augen süß verdrehen, so gebe ich ihm eins hinter die Löffel, daß er den Doktor holen lassen muß!«

»Nicht doch! Nicht doch!« rief das Mädchen. »Wie Du doch immer gleich so grob daherfährst. Gut und in aller Freundschaft wird der verlorene Vetter vom Hof aufgenommen werden, und wenn Du Dich ihm feindlich stellst, so wird nicht er es sein, den man aus der Türe tut.«

»Sondern wer?« fragten dumm die Hosen.

»Nein, wir müssen fein listig sein und ihm mit verstellter Freundlichkeit entgegentreten – auch Du! Auch Du!«

»Böh!« machten die Hosen.

»Ja, Du kannst es schon, wenn Du nur willst. Aber ist er dann ganz sicher und fühlt sich wie das Kücken unter der Henne, so kann ja«, flüsterte sie ganz leise, aber die Spatzen hören fein, »so kann ja einmal im Dunkeln eine Bodenluke offenstehen, oder Langholz kann vom Wagen zurückrollen, oder eine Wand in der Sandgrube gibt nach ...«

»Hast Du doch mit der alten Tratschen geratscht!« sprachen die Hosen böse und sprangen mit einem Ruck auf. »Das ist Stank aus ihrem Gifttopf, wie er auch den Bauern krank macht – das rieche ich!«

»Aber höre doch –!« rief fliegend das Mädchen.

»Nein, nun gehe ich zu den Pferden. – Angst brauchst Du nicht zu haben, verraten tue ich Dich nicht, und helfen tue ich ihm auch nicht, und wenn er denkt, er kann hier scharmutzieren, so bekommt er es mit mir zu tun – aber Gift aus dem Sudeltopfe, nein!«

Und damit ging er endgültig fort und ließ das Mädchen zwischen Weinen und Zorn zurück. »Oh der Tölpel, der Dummkopf!« schalt sie, und noch im Schelten klang ihre Stimme so süß, daß des Spatzen Herz zitterte. »Du törichter Starrsinn – na, warte Du!«

Nun ging auch sie aus der Laube, und der Spatz blieb allein in einem Zustand höchsten Erstaunens und tiefster Verwirrung. Mancherlei an dem belauschten Gespräch wollte ihn recht seltsam bedünken, aber jetzt war keine Zeit für langes Nachsinnen, so sehr drängte es ihn, die schöne, mörderische Base, den vergifteten Onkel, das widrige Dreibein, den groben Knecht von Angesicht zu sehen. Rasch ließ er das Haar fallen – und fuhr kräftig mit dem Kopf gegen die erbebende Laubenbank, denn in seinen Gedanken hatte er ganz vergessen, vor seiner Verwandlung unter ihr hervorzutreten.

Sich den Schädel, auf dem schon eine stattliche Beule zu wachsen begann, reibend, trat er ins Freie, rückte sein Röckchen zurecht und ging klopfenden Herzens auf das Haus zu.

Zweites Kapitel

»Ein stattlicher Mann in der Tat, und auch korpulent«.

Shakespeare: König Heinrich IV.

Eine saubere junge Magd wies ihn aus der Küche über eine mit roten Steinen ausgelegte Diele in ein fast enges Gemach, wo an einem prasselnden Ofenfeuer ein großer, rundleibiger, blondbärtiger Mann mit feurigem Gesicht, seine Pfeife rauchend, saß, und neben sich ein Glas mit lieblich riechendem Punsch und einen Teller mit rotbäckigen Äpfeln stehen hatte. Nun er vor dem fremden Manne stand, der sein Vatersbruder sein sollte, wurde dem jungen Schreiber recht beklommen zu Mute, und so krampfhaft er auch nachsann, sein Kopf vermochte auch nicht einen Satz zu erdenken, der mit einigem Anstande über die Zunge zu bringen gewesen wäre.

Doch der Onkel nahm ihm die Anrede ab. Aufstehend und die Pfeife aus der Hand legend, trat er dem Neffen liebreich entgegen, bot ihm die Hand und sprach: »Da bist Du ja doch noch, Guntram, hatten wir Dich schon beinahe nicht mehr erwartet. Nun, die Wege sind im Novembermonat, ehe sie der Frost wieder mit einer festen Decke überzieht, oft grundlos, und es mag ein mühseliges Gehen von der Stadt bis zum Spatzenhofe gewesen sein.« Er lachte. »Jetzt aber setze Dich dort in den Winkel des alten Ledersofas. Dort hat Dein lieber Vater auch immer gerne gesessen. ›Habe ich doch die Wärme vom Ofen, nicht die Hitze‹, sagte er dann. Und jetzt will ich sehen, ob die Mädchen noch etwas von diesem ermunternden und wärmenden Getränk haben – ganz durchkältet und ermattet mußt Du ja sein, Guntram.« Damit nickte der Onkel dem Sprachlosen noch einmal freundlich zu und ging aus der Stube.

Ganz verwirrt saß der junge Schreiber Spatt in seinem Winkel. Zu absonderlich hatte sich an einem einzigen Tage sein Schicksal gewandelt. Die liebreiche Erwähnung des verstorbenen Vaters, von dem er fast nichts wußte, die Anrede mit seinem Taufnamen Guntram, die, – ach so viele Jahre schon! – niemand gebraucht, der wohlhabende Hof, die angenehm nach Fichtenkien und Punsch duftende Stube – all' dies bewegte sein Herz so, daß er am liebsten vor gerührter Schwäche geweint hätte. Ganz schlecht aber und recht hinterlistig kam er sich vor, daß er den guten Oheim im Glauben gelassen, er sei auf einem mühseligen Wege hierher gepilgert. Völlig notwendig schien es ihm, dem Onkel sofort von all den argen Ränken und Schlichen zu berichten, die, er fühlte es gut, nicht nur um die eigene Person, sondern um Hof, Oheim, Verwandtschaft gespensterten. Aber dann war es doch, als erhebe sich eine warnende Stimme in seinem Innern: ›Nicht zu früh pfeife Dein Lied, kleiner Spatz!‹ klang es – und würde denn der Oheim diesen ganzen wüsten Wust aus Aberwitz, Verwandlung, Zauberei, Mordplänen glauben können?! Müßte er doch des Ohms eigene Tochter in schlimmsten Verdacht ziehen! Nein, besser war es schon, still zuzuwarten, und, vielleicht ganz ohne den Oheim zu betrüben, die Arglist der Bösen zunichte zu machen. Ein unbändiges Kraftgefühl, ein festes Vertrauen auf seinen guten Stern beseelten ihn; leicht schien es dem dankbaren Jungen, die gefährlichen Wolken zu vertreiben!

 

Hinter dem zurückkommenden Oheim betrat ein schlankes, dunkles Mädchen, mit beiden Händen eine dampfende Terrine und ein Glas mit klirrendem Löffel auf dem Tablett tragend, die Stube. Staunend, ungläubig, sah der junge Schreiber die strenge Schöne an.

»Nun gebt Euch beide die Hände!« rief, wohlgelaunt nach der geliebten Pfeife greifend, der Onkel. »Dies ist Deine Base Monika, meistens Mönchen genannt, aber auch, wenn sie einmal lacht, was sie aber meistens im Verborgenen tut –«

»Oh Vater –!«

»... Weil es gar so hell und fröhlich klingt, die Harmonika genannt. – Und dies, Mönchen, ist Dein Vetter Guntram, der vor jetzt zwanzig Jahren Dein eifriger Kavalier gewesen – so emsig hat der damals Fünfjährige Deine Wiege getreten! Nun, staunt Euch nicht weiter an, gebt Euch endlich die Hände, und wenn Ihr wollt, auch einen Begrüßungsschmatz, aber nur dies eine Mal und nur unter meinen Augen ...«

Blutübergossen starrten die beiden jungen Leute einander an. ›Sie ist es‹, tönte es in Spattens Brust. ›Oh, in welch schönes Kleid wirft sich doch bei den Frauen Lüge und Verrat!‹

»Oho, junger Freund!« rief laut lachend der Oheim. »In Deinen Jahren hätte mir keiner solche Aufforderung zweimal sagen müssen! Frisch zu, Guntram, die Rose gepflückt –!«

»Der Vater meint es nicht so«, flüsterte das schöne Mädchen, und doch war es beinahe, als wölbten sich die Lippen ihm schon entgegen, als senke sich der schwarze Wimpervorhang der Augen, um die Preisgabe der Herrin nicht ansehen zu müssen. Schon fühlte der junge Guntram sein Blut heiß und seine Knie schwach werden. –

Da fing vom Schritt des Vaters der Löffel im Glase silbern zu klirren an, ›Küssemund, Küssemund – Küssemund ist ungesund!‹ klirrte er, an der Stubentür raschelte es, und herein schob sich eine stattliche, weißhaarige Frau, mühsam an einem Stocke gehend, mit häßlich hängender Lippe, aber noch mit allen Farben der Jugend im Gesicht, und einem lebhaften, leuchtenden Auge. »Ei, ei, Vetter«, rief sie schalkhaft auf die bestürzt Auseinanderfahrenden deutend, »hier störe ich wohl. Jetzt, da nun neues junges Blut im Hause ist, wird man wohl an jeder Tür erst artig auf französische Art pochen und geduldig auf das Herein warten müssen –?! Mönchen – Mönchen –!«

»Wie die Frau Tante auch reden mag!« sprach die Base und warf stolz den dunklen Kopf zurück. »Wenn mein Vater dabei steht, wird wohl nichts gegen Sitte und Anstand geschehen –!«

Ein seltsam widriges Gefühl kämpfte in dem jungen Schreiber: alles, was die Base tat und sprach, trug den Anschein äußerster Wahrhaftigkeit, und doch vermochte er ihr nicht zu glauben. ›Alles Lüge und Verstellung‹, klang es in ihm. War es nicht ein abgekartet Spiel, das sie mit der häßlichen Alten trieb? Zwinkerten sie nicht einander zu? Lächelten sie jetzt nicht in geheimem Einverständnis?

»Dafür möchte ich mich nicht so verbürgen!« rief die Muhme jetzt mit einem falschen Lachen. »Du hättest Deinen Vater nur in seinen Sausejahren sehen sollen! Da war er ein rechter Kirschendieb.«

»Die Frau Muhme«, sprach der Oheim verdrossen, »hat heute ihren schlechten Tag. Sie scherzt nur, und morgen wird sie in besserer Laune widerrufen, was sie heute gesagt.«

»Sei nicht so sicher, mein Freund«, rief die Alte rasch. »Die Nachrichten, die mich soeben aus der Stadt über unseren Großneffen und Neffen dort erreichen, werden noch manchen Tag meine Galle erregen. – Ist denn das die neumodische feine Art«, wandte sie sich eifernd an den jungen Mann, »daß man ohne jeden Abschied von solch gütigem Brotherrn fortläuft, daß der gar meint, es sei dem ihm Anvertrauten ein Unglück zugestoßen und stundenlang alle Straßen und Plätze der großen Stadt durchsucht –?«

Jede Sekunde die Farbe wechselnd, verlegen mit dem Fuße scharrend, stand der Schreiber vor der zornigen Anklägerin. Unmutig sahen die Augen des Onkels auf den neugewonnenen Neffen, voller Zorn und Arglist die der Tante, aber voll tiefen Mitleids, schien es ihm, war der Blick der schönen Base. Plötzlich ganz gesammelt setzte er zu einer Verteidigungsrede an: »Aber ich versichere Euch, Frau Großmuhme, die Umstände meiner Abreise waren wohl sonderbar.«..

»Ach, wischiwaschi Großmuhme!« rief ärgerlich die Tante. »Denn, was das Schlimmste ist, seit der überstürzten Abreise von diesem da vermißt der Herr Ratsherr seine schöne, goldgefasste Schwanenfeder, die ihm so lieb war, daß er sie nur zu den feierlichsten Namenszügen benutzte. – Aber was sehe ich da –? Was schaut da aus Eurer Jacke –?! Frischweg und nicht gezaudert, Jüngelchen, macht Euern Spenzer auf und zeigt, was da so weiß und gülden unter seinem Rand vorschimmert.«

Ganz bestürzt, zitternd ob der ungerechten Anklage, starrte der Jüngling in die Runde. Richtete dann den Blick auf sein Jäcklein und – siehe da! – aus der Tasche, in die er vorhin vielleicht etwas eilig das Zauberhaar gesteckt, lugte jetzt die ihm wohlbekannte, kostbare Schwanenfeder des Ratsherrn –!

Verzweifelnd hob er die Hände zum Gesicht.

»Er gesteht den Diebstahl!« frohlockte die Alte. Finster schauten des Oheims Augen – da berührte eine zarte Hand leise die seine, »Du mußt mir nur vertrauen!« hauchte es an seinem Ohr, und »Was Ihr nur alle seht!« rief die Base Monika. »Wo schimmert es denn weiß und gülden?!« Und indem sie mit leichten Fingern die Knöpfe der Jacke löste, wies sie die Tasche, die leer schien. »Ach!« rief sie, »da haben wir ja des Rätsels Lösung. Ein Haar, zwar nicht weiß, aber spatzengrau, vielleicht hat es im Lampenschein gülden geschimmert. Da, Vetter«, sprach sie mit Bedeutung und gab es ihm zurück in die Hand, »da hast Du es wieder, und verwahre es ein andermal besser, daß es Dich nicht wieder in arge Verlegenheit bringt.«

»Hoho, hoho! Ein Haar«, lachte der Onkel. »Und die Frau Muhme sieht es für des Herrn Rat Schwanenfeder an! Und weiß der Deixel, einen Augenblick war es mir doch selbst, als sähe ich sie unter der Rockkante hervorlugen.«

»Freilich, freilich!« schalt die Alte. »Was die Augen sehen, ist schon da! Wer aber freilich solche Bundesgenossen hat –!«

»Genug jetzt der Beschuldigungen!« unterbrach die eifernde Alte mit ungewohntem Ernst der Bauer. »Auch in Euerm Interesse will es mich bedünken, Frau Muhme, den Fall nicht weiter zu untersuchen. Sonst möchte es uns gar seltsam erscheinen, daß Ihr schon Botschaft von Abreise und Verbleib meines Neffen habt, der doch in dieser Stunde erst hier eingetroffen. Genug und aber genug!« rief er heftig gegen die Alte an, so daß sie sich erschrocken duckte. »Und Du, Neffe Guntram«, sprach er sanft, »laß Dir jetzt von Deiner Base die Schlafkammer zeigen, und vielleicht prüft Ihr auch gemeinsam, was die Lade, die der Fuhrmann schon vor einer Woche Dir herangerückt, an Zweckmäßigem und Schönem enthält. Dein Wams, so richtig es für die Schreibstube eines städtischen Ratsherrn gewesen sein mag, scheint mir für einen ländlichen Winter doch ein wenig dünn. – Nun, nun«, beruhigte er den dankbar Erregten, »ich werde doch meinem Bruderssohn noch ein paar Röcke und Hemden schenken dürfen.«

»Aber ich verstehe nicht, Oheim«, sprach der junge Schreiber ängstlich, »diese plötzliche Wandlung all meiner Lebensumstände ...«

»So hat Dir der Herr Rat noch nichts gesagt? Nun, es wird sich schon eine ruhige Stunde finden, in der wir alles wie Vater und Sohn ernsthaft miteinander besprechen. Gehe nur immer Deinen Weg gerade durch, daß Du niemanden zu scheuen hast, so wird sich schon alles zum Guten wenden.« Der Oheim seufzte und ängstlich sahen die Augen der Tochter auf sein trüb gewordenes Gesicht. Doch in frischerem Ton, die Sorgen von sich schüttelnd, fuhr er fort: »Jetzt geht, Ihr beide, und eilt Euch ein wenig, damit Ihr zum Abendessen rechtzeitig bereit seid.«

Damit entließ er sie, und Guntram trat hinter Monika, die bei den letzten Worten des Vaters eine Kerze in einem messingnen Leuchter entzündet, aus der Stube.

Im Kopfe unseres Herrn Spatt brauste und summte es, wie in einem Bienenkorbe vor dem Ausflug der Frau Königin. Ganz verwirrt stieg er hinter seiner Führerin die breite Treppe aus dunklem Holz in den Oberstock des Hauses hinauf, und wenn er sah, wie der Lichtschein der Kerze den Umriß der dunklen Gestalt umgoldete, so bewegte ihn qualvoll die Erwägung, daß keine lichte Freundin vor ihm herschritt, sondern eine böse Feindin. Wohl hatte sie ihm bei der Schwanenfeder geholfen, wohl hatte sie ihm gar das Zauberhaar, das sie in der Verwirrung jener Sekunde gut hätte behalten oder vernichten können, zurückgegeben – aber wer konnte denn ermessen, wie feingesponnen die Ränke einer waren, die so leichtfertig von einer offenen Luke, einem zurückrollenden Baumstamm sprechen konnte. All das Neue, was der Oheim geheimnisvoll angedeutet, die garnicht zufällige Reise, die arglistig unterbliebene Erklärung des Herrn Stadtrat, die Lade mit schönen Dingen, wie er sie nie besessen – all das war klein und unbedeutend neben der zornigen Trauer über die Arglist der schönen Base. Wäre sie weniger schön gewesen, hätte ihr dunkelgebräuntes Gesicht unter dem schweren Kranz der Flechten weniger den Stempel der Reinheit und Unschuld getragen – er hätte ihr leichter verziehen. ›Du mußt mir nur vertrauen –!‹ hatte sie geflüstert, aber ihr Flüstern war Lüge gewesen und ihre Unschuld war Verrat! Mußte er auch zum Onkel, zu jedermann schweigen und tun, als wüßte er nichts von dem bösen Spiel um ihn herum, dieser argen Feindin gegenüber war solche Vorsicht nicht not.

Und doch wurde sein Herz sofort wieder weich und wollte den Kopf überreden, alles sei bloßes Hirngespinst, als in der wohnlichen Kammer die Schöne, nachdem sie den Leuchter auf das Ofensims gesetzt, ihm noch einmal zum Willkommen die Hand bot: »Hier wirst Du wohnen, Vetter. Hoffentlich sagt es Dir zu auf dem Spatzenhof.« Und sie lächelte.

Er tat, als sähe er die ausgestreckte Hand nicht. »Das wird auf die Bewohner ankommen«, sagte er.

»Wie eigen Du doch sprichst, Vetter!« wunderte sie sich. »Meinst Du die Muhme –? Sie ist, wie alte Leute oft, ein wenig schrullig, aber sie will wohl nur das Gute. – Wenn es manches Mal auch gar anders aussieht«, setzte sie leise hinzu.

»Jawohl, ich meine die Muhme«, erhitzte der junge Schreiber sich. »Aber viel mehr noch meine ich jene, die mit glatter Haut und frommer Miene Unschuld heuchelt, im Herzen aber schwärzeste Pläne gegen den Gast hegt.«

Das schöne Mädchen sah aufmerksam den erregten Vetter an, von der Seite fiel der Kerzenschein voll auf ihr ernstes Gesicht. Der Vetter sah, daß sie die weißesten Zähne scharf auf die Unterlippe gesetzt hatte, als sei auch sie jetzt erregt. Aber sie wußte sich besser zu bezwingen als er es konnte. »Vetter Guntram«, bat sie sanft, »warte noch mit Deinem Urteil, bis Du einige Tage hier geweilt, man muß nicht zu schnell verdammen, und oft trügt der Schein ...«

»Ja, der schöne Schein ...« höhnte er böse und sah ihr keck ins schöne Gesicht.

»Sieh doch«, fuhr sie sanft fort, als hätten seine bösen Worte ihr Ohr nicht erreicht, »diese Astern aus dem Garten habe ich Dir unter den Spiegel gestellt. Es sind die letzten. – Wollen wir jetzt Deine Lade öffnen –?«

Aber je mehr sie sich liebreich um ihn bemühte, umso stärker entfachte sie nur seinen Zorn. »Ja«, rief er böse, »ich sehe die schönen Blumen wohl, mit ihren rosenroten, bläulichen und weißen Farben, aber ich frage mich, ob sie nicht feige vergiftet sind, wie eine andere Schöne –!«

»Vetter!« zürnte das Mädchen nun auch, hochaufgerichtet, und ihr Antlitz flammte. »Vetter, hätte Dich der Vater nicht so eindringlich empfohlen, ich machte die Tür zwischen uns zu, und nie wieder gäbe es ein freundlich Wort unter uns. – Höre doch«, fuhr sie sanfter fort, »nie hätte ich Dich daran gemahnt, aber jetzt muß es ja sein. Kann denn Deine Feindin sein, die Dich von der Beschuldigung mit der gestohlenen Schwanenfeder rettete –? Nein, Guntram, man soll auch des Feindes Stimme nicht gar zu sehr lauschen ...«

 

Als sie ihm zürnte, wäre er beinahe schwankend geworden, doch da sie nun wieder sanft mit ihm sprach, entflammte sich sein Zorn von neuem. »Keines Feindes Stimme habe ich gelauscht«, rief er empört. »Deine eigene Stimme hat mir Deine Schändlichkeit verraten, Du schlechtes Mädchen! Ja, das sinnst Du, den Gast mit Deiner glatten Larve zu betrügen, um ihn dann in einen jähen, schrecklichen Tod zu stoßen. Oh Augen!« rief er und schüttelte in Ingrimm die Fäuste gegen die Erbleichte, »so sanft und voller Unschuld – Ihr feigen Überlister und Häscher! Oh Stirn, so hoch und rein – und birgst doch einen ganzen Giftpfuhl verräterischer Gedanken! Oh Wangen, sanft gerundet und mit dem Flaum schönster Jugend – ich sehe die Arglist, die mit Euch Fallen stellt! Oh Mund, Mund ohne gleichen, zum Kuss reinster Liebe gewölbt – der doch nur ein Judaskuss ist! Ach, Mädchen, Mädchen«, rief er trauervoll, und die nahe Betrachtung und Beschreibung des schon so geliebten und so gehaßten Gesichtes hatten ihn ganz toll gemacht. »Wem soll ich denn noch glauben, wenn so viel Schönheit und Reinheit lügen. Aber einmal, einmal will ich doch berühren, vor dem mich ekelt, einmal will ich ...«

Er zog die schreckhaft Erstarrte nahe an sich, er neigte seinen Mund auf den ihren. Einen Augenblick war es ihm, als erklinge, immer stärker anschwellend, eine süße, leise Melodie ... Aber widrige Töne mischten sich hinein, es schrie wie zerreißende Seide, es klirrte wie zerspringendes Glas, der Leuchter auf dem Ofensims begann einen blechern klappernden Tanz, eine gelle Stimme krächzte: ›Jüngchen, Jüngchen, Küssemund ist ungesund!‹

Der hassverliebte Schreiber spürte einen derben Schlag und, als er die Hand zum Gesicht führte, färbte sie sich von der blutenden Nase rot. Unter der Tür stand bleich die schöne Base und sprach voller Zorn: »Es ist aus zwischen uns, Vetter. Ungerechten Verdacht konnte ich ertragen, aber feige Vergewaltigung einer Schwachen ist jedes ehrlichen Mannes unwürdig. – Um des Vaters willen, der bereits Sorgen genug zu tragen hat, bitte ich Dich, in seiner Gegenwart das Nötigste zu mir zu sprechen, sonst«, sagte sie, und lächelte trübe, »wird es Dir ja auch lieber sein, meine Arglist zu entbehren.«

»Base!« stammelte Guntram, dem der Schlag allen Zorneseifer ausgetrieben. »Monika, ich weiß nicht, was mich überkam ... feindliche Geister und ihre Täuschungen ... ich habe mich geirrt ...«

»Vetter«, antwortete das schöne Mädchen kalt. »Es mag mit den bösen Geistern bestellt sein, wie es will – und ich leugne ihr Unwesen nicht –, unverrückbar bleibt dem Menschen in der Brust das eigene Herz. Vertraut er nur seinem eigenen Schlag, folgt er seiner Stimme, wird die Gaukelei aller Nachtalben zunichte. Nein«, fuhr sie mit größerer Festigkeit fort, »nein, es ist aus zwischen uns. Du hast Dein eigen Herz durch feigen Überfall geschändet. Wie kann ich Dir nach diesem noch einmal vertrauen? Du müßtest Dir ja ein ander, ein neues Herz in die Brust setzen. Nein, aus ist es.«

Und über diesem dritten ›Aus‹ klappte die Tür und der betrübte Schreiber war allein. Zuerst einmal kam er freilich nicht in den rechten Genuss seiner Betrübnis, denn das Sacktuch, mit dem er seiner blutenden Nase zur Hilfe gekommen war, hatte sich längst über und über rot gefärbt. So hielt er denn den Kopf in das kleine Waschbecken, auf dessen gelblichen Grund in bläulichem Geäst ein blaues Vögelchen gemalt war –: ›Sicher ein Spatz!‹ Langsam verschwand der Vogel unter einem rosigen Gewölk, das sich immer röter färbte; und als die Nase nicht mehr tropfte, war nichts mehr von ihm zu sehen. Der Schreiber Spatt richtete den Kopf wieder in die Höhe. Die Beule unter dem Haar schmerzte, und trotz Aufhörens der Blutung fing die Nase kräftig zu schwellen an. Verzweifelt betrachtete er sich in dem kleinen, grauen Spiegel – war er das noch, der heute am frühen Morgen säuberlich gewaschen und wohlanständig gekleidet auf die Geschäftsstube gegangen war? Entsprach dieses rotverschwollene Aussehen dem befreiten Spatt, der im fröhlichen Flug über die Lande sich jedem kleinen Menschenwerk entrückt glaubte? Erinnerte er sich, wie er vor wenigen Stunden erst den bösen Geizhals Habergreis lustig und doch streng bestraft, und wie er jetzt überraschend einer nicht weniger strengen Strafe unterworfen war – erschien ihm alles wie ein recht alberner, kindischer Traum!

Aber hier stand er, Stadtschreiber Guntram Spatt, sah sich lächerlich verschwollen aus dem Spiegel an, und sein schönes Mädchen zürnte ihm für ewig! Seufzend beugte er sich über die braungestrichene Lade, auf deren Deckel ein kunstvoller Meister mit geschicktem Pinsel ein verschlungenes G und S gemalt, in deren Rankenwerk ein Spätzlein flatterte, während die Spätzin schon auf dem Nestlein hockte. ›Aus und vorbei!‹ sprach er grimmig angesichts des munteren Ehelebens und schlug unwirsch den Deckel auf. Zu anderer Stunde hätte ihn wohl recht gefreut, was da an Wämsern und Hosen im ländlichen Grünlich, an einfarbigen und papageienbunten Gilets, an derben, dickleinenen Hemden, an grobwolligen Strümpfen in dieser wahren Hamsterkiste lag. Aber auf einmal schien es ihm recht überflüssig, sauber und schmuck gekleidet zu sein, da doch keiner und keine Interesse daran hatten, wie er aussah. Ja, der Schlag ins Gesicht hatte ihm nicht bloß ein Blutäderchen der Nase gesprengt, viel stärker noch hatte er ihm allen Spuk und Verdacht aus dem Kopfe geschlagen, und was ihm vor einer Viertelstunde noch recht verabscheuungswürdig gewesen, das schien ihm jetzt schön, treu und wahr.

Ohne rechte Andacht und Liebe fuhr er in ein wärmendes Gewand aus derbem, grünem Loden mit großen Hirschhornknöpfen, und gerade steckte er den Fuß in den zweiten, ungewohnten Schaftstiefel aus Rindleder, als es kräftig an seiner Tür pochte und eine raue Stimme rief, das Essen sei fertig.

Eilig barg er erst das gefährliche Zauberhaar zwischen den Wäschestücken und folgte dann dem ältlichen, schwärzlichen Knecht auf die Diele, wo schon Knechte und Mägde in stattlicher Zahl mit der Familie des Bauern versammelt standen. Wohlgefällig musterte der Onkel den neugewandeten Neffen. »Das lobe ich mir«, sprach er. »Wie doch die freie ländliche Tracht einem kräftigen Burschen so viel besser ansteht, als der Zierrat und Schnickschnack städtischer Röcke! – Aber was ist das, Neffe, was hast Du denn mit Deiner Nase gemacht, daß sie wie ein roter Eiserapfel in Deinem schmalen Gesicht funkelt und glüht?«

Verwirrt stammelte Guntram etwas von einer offenen Tür, gegen die er im Halbdunkel angerannt.

»Und über dem Kopf des Herrn hat ein Hahnebalken vorgestanden!« lachte eine silberne Stimme. »Was wächst ihm doch für ein Horn durch die Haare!«

Ahnungsvoll durchzuckte es den Schreiber. Neben dem Oheim stand jetzt ein kleines, wohlgerundetes Mädchen; auf dem Kopf waren schwarze Zöpfe recht schön wie ein Nest zusammengelegt; die Wangen schienen von einem tüchtigen Maler gemalt, so gleichmäßig saßen im weißesten Weiß rote Äpfelchen. Und der Blick der hellen Augen war, von lachendstem Übermut funkelnd, schelmisch auf Guntram gerichtet. ›Oh weh!‹ durchzuckte es den voll Schmerz. ›Warum habe ich mich doch so verblenden lassen, daß ich das dunkelbräunliche Gold der Base Monika für dieses leichte Silber genommen habe! Warum habe ich meinem Kopfe mehr getraut als Herz und Augen?! Aus und vorbei!‹ klang es mit schneidendem Misston in ihm.

»Dies ist die Cäcilie«, sprach der Onkel zu dem Verwirrten. »Aber sie wird nie Cäcilie genannt, denn mit dieser großen Heiligen hat sie wenig gemein. Zilli nennen wir sie, und hast Du einmal zwischen den Mahlzeiten besonderen Hunger, Neffe Guntram, und willst ihr ein Stück Schwartenmagen oder ein Gänsebein abschmeicheln (denn sie ist im Haus über Küche und Speisekammer gesetzt, wie im Hof das Mönchen über Feder- und Borstenvieh), so heiße sie getrost Zillichen und kraule sie auch ein wenig, denn sie ist der Schmeichelei zugänglich wie unser Kater Leisetritt ...«