Quallen, Bimm und Alemannia

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Quallen, Bimm und Alemannia
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Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia

Im 25. Jahrhundert

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Halmschor Drohsdal

2. Wahn kann Realität sein

3. Rohkost ist alles

4. Das Kaninchen

5. Der Stock

6. Nur Unglaubliches

7. Es spitzt sich zu

8. Berold Hersov

9. Der fensterlose Bus

10. Bauholz

11. Farlosi Tatenter

12. Die Mission

13. Bilder für die Welt

14. Berlin

15. Der Bauernhof

16. Neue Wohnung, neue Freunde

17. Aschro Ohandro

18. Das Familieeum

19. Das Stadion

Impressum neobooks

1. Halmschor Drohsdal

Was einmal zusammengewachsen ist fällt auch wieder auseinander, bestes Beispiel war das römische Weltreich. Auch die europäische Gemeinschaft ist wieder auseinander gefallen, nach und nach machte jedes der Mitglieder was es wollte. In nur noch fünf Staaten war der Euro Zahlungsmittel und auch nur noch deshalb, weil diese fünf Staaten in kleine Länder zerfallen waren, die sich keine eigene Währung leisten können.

Eine Wirtschaftskrise Ende des 23. Jahrhunderts überforderte die damalige Bundesregierung, die nicht gerade durch Talente glänzte. Infolge ihrer wirtschaftlichen Inkompetenz wurde sie durch Neuwahlen ersetzt. Die neue Bundesregierung entpuppte sich aber als inkonsequent und konnte sich nicht gegen Großindustrie und Banken behaupten, nichts wurde mehr ernsthaft geregelt, Deutschland stürzte noch tiefer in die Krise. Auch die Nachfolgeregierung schwächelte, was so manchen Ministerpräsidenten und Bürgermeister dazu brachte die Berliner Obrigkeit zu ignorieren. Das wurde zum Trend. Besonders clevere oder skrupellose Politiker verweigerten der Bundesregierung die Gefolgschaft und verfolgten in ihren Bundesländern oder Städten eine eigene Politik und machten ihre eigenen Geschäfte. Als sich die erste Region von ihrem Bundesland lossagte war die Anarchie geboren, denn einige andere Regionen folgten dem Beispiel und pochten auf ihr selbst zuerkanntes Recht auf Autonomie.

Weil die Bundesregierung darüber zerstritten war, wie die Einheit wiederherzustellen sei, ihr auch die Unterstützung der Bevölkerung und des Auslandes fehlte, ergriffen Länder, Regionen, Städte und Landkreise die Gelegenheit sich zu verselbstständigen. So wie im Mittelalter der Kaiser seine Untertanen nicht in den Griff bekam, fand Berlin kein Mittel das Land wieder unter seine Fuchtel zu bringen. Nach Jahrhunderten der Geschlossenheit, war Deutschland wieder in Kleinstaaten zerteilt und dem Ausland war ein schwaches Deutschland recht. Aber auch andere Staaten der Europäischen Union zerfielen in Kleinstaaterei.

Die Bundesregierung in Berlin gab es nur noch pro forma, regieren tat sie nur noch Ostdeutschland, das seine Steuern weiterhin an Berlin bezahlte. Im Rest der Bundesrepublik regierten Anarchie und Chaos. Der größte Einzelstaat war Bayern, dem aber im Nordwesten die Schwaben abhandengekommen waren. Der kleinste Einzelstaat war Hamburg, das ganz gut zurechtkam. Andere Teile Deutschlands die sich von der Bundes-und ihrer Landesregierung losgesagt hatten, darben in ihrem Chaos.

Kein Land Europas traute sich mit militärischer Hilfe die alte Ordnung wieder herzustellen. Offen hatte eine Reihe Zwergstaaten gedroht, bei einer militärischen Interversion sich einem Nachbarstaat anzuschließen. So würden sich die Holsteiner den Dänen anschließen, die Friesen den Niederländern, die Pfälzer den Franzosen. Ein militärischer Einsatz würde den nächsten nach sich ziehen. Zudem war das Militär in Deutschland nicht mehr loyal, weil in der Bundeswehr, die nur noch für Ostdeutschland stand, die Ostdeutschen in der Minderheit waren. Das Militär wurde europaweit bedeutungslos, die Kleinstaaten verzichteten auf eigene Armeen.

Ein reicheres Land war Alemannia, das im südwestlichen Zipfel Deutschlands lag und in etwa dem ehemaligen Großherzogtum Baden entsprach. Der Landstrich bezeichnete sich nach dem alemannischen Dialekt der dort früher einmal, wie auch in der Schweiz und im Elsass, gesprochen wurde. Und weil alle angrenzenden südlichen Länder eh schon von Allemagne und Alemannia sprachen, hatte sich der Name nahezu aufgedrängt. Jedoch hatte sich der Norden des Ländchens, nämlich die Städte Heidelberg und Mannheim, mit Ludwigshafen, Mainz und Frankfurt am Main zu einem neuen Wirtschaftraum zusammengeschlossen. Geblieben waren den Alemannen die Oberreihnische Tiefebene, der Schwarzwald und ein Stück Bodensee und Allgäu.

So war Bruchsal die nördlichste Stadt Alemannias und Karlsruhe die Hauptstadt. Die Westgrenze bildete der Rhein, dahinter lag die autonome französische Region Elsass. Im Süden, von Basel bis zum Bodensee, lag unverrückbar die Schweiz. Hinter dem Schwarzwald drohten aus ihrer Hauptstadt Stuttgart, die Schwaben mit ihren Begehrlichkeiten. Doch die EX-Badener wussten enge Verbündete an ihrer Seite. Zwischen Alemannia, dem Elsass und der Schweiz existierten vielschichtige Verbindungen, mit Italien und der iberischen Halbinsel herrschte ein lebhafter Handel.

Die Haupteinnahmequelle des Ländchens war der Zoll. Die sechsspurige ehemalige A 5 in der Rheinebene, war die sicherste, schnellste und intakteste Strecke nach Süden und Westen. Nördlich von Offenburg und südlich von Freiburg wurde der Durchgangsverkehr zur Kasse gebeten, Waren für das Elsass und die Schweiz zahlten die Hälfte. Da es zu dieser Strecke keine Alternativen mehr gab, war der Zoll eine ständig sprudelnde Einnahmequelle, die europaweit auch nur im Rheintal so gut funktionierte.

In Alemannia regierte weder ein Präsidenten, noch ein Kanzler, König oder sonst irgendein Kopf, der dem Land sagte wo es lang ging, in Alemannia regierte eine Gruppe. Während der Phase in der sich die Bundesregierung in Berlin selbst zerfleischte, jeder Minister sein eigener Kanzler war, was die Bundesrepublik destabilisierte, hatte ein Konsortium von Geschäftsleuten in Karlsruhe die Freihandelszone Alemannia ausgerufen. Gleichzeitig verweigerten die Städte Heidelberg und Mannheim die Teilnahme an dieser Freihandelszone, weil sie sich durch eine Verbindung mit Frankfurt bessere Geschäfte erhofften.

Die ersten Drohungen an das Konsortium kamen aus Stuttgart, erst später aus Berlin, gepaart mit der Ermahnung, sich wieder dem Bundesland und dem Bundesrecht zu unterstellen. Das Konsortium bestand aus extrem flinken und habgierigen Leuten, die sofort mit neu geschaffenen Polizeikräften das Regierungspräsidium in Karlsruhe besetzen und eine Woche später auch das in Freiburg. Die Baden-Württembergische Polizei wurde darauf, soweit noch vorhanden, in die neu geschaffene integriert, beträchtliche Teile des Landesverfassungsschutzes liefen zum besser bezahlenden Konsortium über. Da von der Bundesregierung nichts Verwertbares sondern nur Chaos produziert wurde, verselbständigten sich in Deutschland immer mehr Landstriche. Die Destabilisierung der Demokratie griff auch europaweit auf andere Länder über, die Zentralregierungen wurden nicht mehr ernst genommen.

Bald war die Idee vom Zoll geboren, die Politik des Konsortiums bestand darin möglichst viel Geld zu verdienen, Geld verdienen war alles, Natur-Umwelt und Menschen waren nichts. Die Zeit war wenig zimperlich, Moral nicht angesagt, christliche Werte vergessen. Bei Karlsruhe stand ein riesiger, orangegelb angestrichener Betonbunker, in welchem seit 150 Jahren die Brennelemente aufbewahrt wurden, die während der Atomzeit in Baden-Württemberg angefallen waren. Diese alten Brennstäbe waren ein begehrtes Handelsgut und das gewissenlose und habgierige Konsortium befriedigte ohne Wissen der Bevölkerung die Nachfrage.

Als das Geschäft bekannt wurde, protestierten andere reiche Leute des Landes und nutzten die weltweite Empörung, um das Konsortium abzusetzen. Der Protest der Reichen richtete sich aber nicht dagegen, weil das hoch radioaktive Material in verantwortungslose Hände geriet. Die Herrschaften protestierten vielmehr dagegen, weil die Einnahmen aus dem Brennelemente-Verkauf in den Taschen des Konsortiums verschwanden. Ihrer Meinung nach hätte es in die Staatskasse von Alemannia fließen müssen, welche noch einzurichten war. Das gestürzte Konsortium wurde durch ein Syndikat ersetzt, das aus den sieben Reichsten Leuten des Landes bestand. Diese Sieben wurden jedes Jahr neu ermittelt, so dass auch mal neue Gesichter zum Zuge kamen. Diese regierenden Sieben beendeten, nach internationalen Protesten, das Geschäft mit den Brennelementen, ersannen aber viele neue Geschäftszweige, unter anderem das Geschäft mit den Sklaven.

 

An einem Montagmorgen im März Anfang des 25. Jahrhunderts machte Halmschor Drohsdal eine Bekanntschaft, die ihn auf Jahre beschäftigen sollte. Das Syndikat regierte seit über 110 Jahre sehr erfolgreich das kleine Land am Oberrhein und Halmschor, der nach dem Willen seiner Eltern eigentlich Halms-Chor gerufen werden sollte, war ein Angestellter des Syndikats. Er war 32 Jahre alt, hatte eine Frau und mit ihr einen siebenjährigen Sohn. Körperlich endsprach Halmschor dem Landesdurchschnitt, 160 cm groß, 68 Kilo schwer, wie die Meisten leicht übergewichtig und er war blond. Seine Frau Marlesa, sechs Zentimeter kleiner, zehn Kilo leichter, dunkelblond, entsprach auch dem Landesdurchschnitt und könnte vom Aussehen her seine Schwester sein. Aber Halmschor Drohsdal hatte eine überdurchschnittlich gut bezahlte Beschäftigung, denn er war Geheimnisträger.

Sein Sohn Sarus, der seit dem 2. Januar die erste Klasse besuchte, wehrte sich wie jeden Montagmorgen gegen das Aufstehen, was seitens der Eltern auch jedes Mal laute Worte erforderte, damit er rechtzeitig vor der Haustür stand. Im Prinzip wurde er nach dem Anziehen und Zähneputzen mit der Schultasche auf die Straße gestellt, Essen gab es schließlich in der Ganztagsschule. Der Zwergstaat achtete sehr auf die Ernährung und die Ausbildung seiner Kinder, studierte Leute war einer von Alemannias Exportschlagern. Bevor jemand das Land verließ wurde er oder sie noch in Spionage geschult.

Die Drohsdals lebten im eigenen Haus in einer Beamtensiedlung nördlich von Offenburg, sie gehörten zu den wohlhabenderen Bürgern und das hatte seinen Preis. Obwohl er auf Jahrzehnte immer die gleichen Tätigkeiten zu verrichten hatte, würde Halmschor nie den Arbeitgeber wechseln können, denn von dem was er machte durfte nichts in die Außenwelt dringen. Immerhin hatte er die Chance einmal eine Führungsposition zu bekommen, dann würde er in einem Sessel sitzend planen und delegieren. Aber noch bestand keine Aussicht und eigentlich waren sie unterbesetzt, wenn nur einer seiner Kollegen krank wurde oder in Urlaub ging, hatte er eine Siebentagewoche. Immerhin aber meistens nur einen Siebenstundentag.

Als erstes wurde Sarus vom fahrerlosen Schulbus abgeholt. Das war ein gläserner Kasten der wie von Geisterhand auf Luftkissen in das Viertel schwebte, automatisch vor den entsprechenden Häusern hielt, die Schüler einsteigen ließ und zur Schule brachte. Ein Aufseher der Fahrer genannt wurde, überwachte per Bild aus der Ferne mehrere Buse gleichzeitig und rief die Schüler die Unfug trieben, über Lautsprecher zur Ordnung. Danach fuhr seine Frau Marlesa mit dem Elektrozweirad zu ihrer Dienststelle und als Letztes spazierte Halmschor zu seiner nahen Sammelstelle.

Jeden Morgen Punkt acht sammelten sich einige Beamte des Viertels, die hinter der Mauer arbeiteten, an einer Haltestelle. Mit Halmschor warteten in der Regel ein Allgemeinarzt und eine Frauenärztin, ein Zahnarzt, eine Laborantin, mehrere Arzthelferinnen, ein Lebensmittelberater und eine Gruppe Arbeiter für allgemeine Aufgaben. Alle überdurchschnittlich gut bezahlt, vom Syndikat privilegiert und zu absolutem Schweigen verurteilt. Kurz nach acht Uhr schob sich leise, aber auf acht Rädern, ein extra langer Linienbus um die Häuserecke, den, wie jeden Morgen, das medizinische Personal bestieg. Die meisten Fenster des Buses waren seltsamerweise undurchsichtig. Dem Bus folgte immer ein vielachsiger, langer Lastzug, der Halmschor und seine Arbeiter abholte. Die Fahrzeuge summten Fahrerlos aus der Stadt heraus und schwenkten dann Richtung Osten dem Wald entgegen. Kein einziger Passagier achtete darauf, ob die Fahrzeuge auch richtig fuhren, so selbstverständlich fanden sie Tag für Tag ihr Ziel.

Nach etwa einer viertel Stunde verließen sie die Landstraße, passierten eine automatische Kontrollstelle die Unbefugten die Durchfahrt verwehren konnte und fuhren auf einem schmalen und kurvigen Weg in den Wald. Halmschor wusste, dass es außer ihnen noch zwei andere Einheiten gab die hinter der Mauer arbeiten und die entweder vor oder nach ihnen den Weg benutzten. Mit jedem Meter wurde das Unterholz beidseitig des Weges dichter, wer von den Passagieren vorne durch die Windschutzscheibe schaute, fühlte sich in einer Höhle. Nach einer großen Tafel mit der Aufschrift „Stopp-nicht weiter-Straflager-sie werden registriert“ tauchte der Weg auf einmal in eine echte Höhle ein, vielmehr in eine Röhre die so eng beschaffen war, dass neben dem Bus oder dem Lastzug nichts weiter Platz hatte. Die Fahrzeuge konnten hinein aber niemand, nicht einmal ein Kind, konnte gleichzeitig hinaus. Die Fahrzeuge fanden problemlos hindurch. Kaum in der Röhre wurde es vorne hell, weil sich das Tor öffnete, sie waren bei den Sklaven angekommen.

Vom Tor ausgehend verlief in beide Richtungen eine seltsam geformte Mauer, die Mauer hatte überhaupt nichts Gerades. Bis in zwei Meter Höhe war sie noch einigermaßen vertikal, dann bog sie sich weitere zwei Meter zunehmend nach innen, wer gute Augen hatte konnte im oberen Viertel noch mehrere hauchdünne Drähte erkennen die der Mauer folgten. Beidseitig des Tores folgte sie der Topografie der Landschaft und verschwand bald hangaufwärts hinter den Bäumen. Die Mauer bestand aus einem sehr harten Betongemisch und von innen erkannte niemand wie dünn sie eigentlich war, keine 20 Zentimeter stark.

Der Bus hielt nach zweihundert Metern auf einem weiten, geschotterten Platz, vor einer länglichen Kunststoffbaracke. Dahinter befanden sich noch dutzende weitere längliche Baracken, die nicht so hoch waren wie die vorderste, und dazwischen sah er jede Menge Kinder, wobei die Kinder ungewohnt dick, träge und leise waren. Auf drei Seiten des Platzes lagen gepflügte Äcker und grün sprießende Felder, im Hintergrund standen Büsche und Bäume. Das medizinische Personal öffnete die Türen des Buses, stieg jedoch nicht aus. Als Halmschor dem Lastzug entstieg sah er sie schon auf sich zukommen, die Sklaven. Auch nach einem Jahr konnte er seinen spontan empfundenen Ekel nicht unterdrücken. Die Sklaven waren alle stark übergewichtig, Frauen, Männer und Kinder schwabbelten nur so von Fett. Gekleidet waren sie alle in ähnlichen Jacken, Hemden und Hosen, die sich farblich nur gering unterschieden. Eigentlich hatte die Sklavenkleidung nur einen Hauch von Farbe, dem grauen Grundton waren blau, rot oder grün beigemischt, gelbe Kleidung gab es überhaupt nicht, die wurde von der Feldarbeit zu schnell schmutzig. Die Sklaven trugen auch zerschlissene Klamotten, die sie selber stopfen mussten. Ihre Kleidung war auch sehr einfach geschnitten, im Prinzip sah sie den OP-Anzügen gleich, die man manchmal in uralten Filmen zu sehen bekam. Manche der Sklaven die nun den Fahrzeugen zuströmten, hielten auch Kleidung in ihren Händen, die sie tauschen wollte.

Das Schlimmste an den Sklaven war nicht ihre Fettsucht, das Schlimmste war ihre Art sich zu bewegen, die Halmschor sehr gruselig fand. Alles was sie taten machten sie bedächtig, Eile, Eifer, Hektik, schienen ihnen fremd zu sein. Sie waren sogar so bedächtig, dass sie niemals miteinander stritten, eine sehr verhaltene Meinungsverschiedenheit war schon das höchste einer Auseinandersetzung die Halmschor beobachtet hatte. Das konnte aber kaum daran liegen, dass die Sklaven so übergewichtig waren, denn Fette gab es ja auch außerhalb der Mauer genug und die konnten ganz schön gereizt sein. Halmschor hatte deshalb den Verdacht, dass die Lebensmittel die er mit seinen Arbeitern täglich entlud, mit allerlei Medikamenten angereichert waren, damit sie sich ruhig verhielten und nicht aufbegehrten. Logisch wären auch Medikamente gegen diverse Krankheiten, vielleicht auch gegen Intelligenz.

Der Lastzug rangierte sich dicht an die Halle, nachdem er korrekt stand, öffneten sich die Rolltore am Gefährt und die an der Halle, Sklaven schoben von innen Rampen an den Lastzug. Wie jeden Morgen, an sieben Tage in der Woche, wurden sie erwartet, standen viele Sklaven erst auf wenn sie die Rolltore hörten, Uhren hatten sie nicht und brauchten sie auch keine. Kurz darauf rutschten die ersten Riesenpakete und Tonnen in die Halle, der nun immer mehr Sklaven zustrebten. Ein Riesenpaket bestand aus hunderten Nahrungsmittelpäckchen, die Päckchen selber hatten einen undefinierbaren breiähnlichen Inhalt, die Tonnen beinhalteten die begehrten Getränke. Sie wurden in einer Reihe auf eine Rampe gestellt und die Sklaven füllten sich die verschiedenartigen Flüssigkeiten in Krüge und Eimer. War eine Tonne leer, viel sie in sich zusammen und benötigte so im Laderaum kaum noch Platz. Halmschor konnte nicht anders und hatte einmal seinen Finger in den Krug eines Sklaven gesteckt, weil er unbedingt wissen wollte, weshalb sie das Zeug aus den Tonnen so gerne tranken. In jeder Baracke hatten die Sklaven auch Zugang zu Wasser und sie hätten auch die Möglichkeit sich auf Elektroplatten Tee zu kochen. Die Getränke aus den Tonnen, die im Geschmack leicht variierten, schmeckten voll süß, stellte er fest. Sie waren wohl deshalb so wild auf das Zeug, weil sie Zuckersüchtig waren, vielleicht hat das Syndikat auch noch Drogen hineinmischen lassen.

Den Inhalt der Päckchen musste er dann natürlich auch probieren. Auch der war unterschiedlich beschaffen, einmal fester, dann weicher, mal trockener, mal grober oder feiner, sie brachten keinen Tag nacheinander das Gleiche, aber der Päckcheninhalt war genauso süß wie die Getränke und sie waren ölig oder fettig, voll die Dickmacher.

Halmschor hatte sich deswegen, aus Sorge ob ihnen bei dieser Ernährung die Sklaven nicht wegsterben würden, bei einer Ärztin erkundigt. Die erklärte ihm hinter vorgehaltener Hand, dass sämtliche Nahrungsmittel mit Medikamenten gegen Herz- und Kreislauferkrankungen angereichert wären. Außerdem riet sie ihm davon ab, von den Nahrungsmitteln die für die Sklaven gedacht seien zu probieren. Das seien alles nur aufbereitete Abfallprodukte voller Fette und Zucker aus ihrer Gesellschaft, denen noch Mineralien, Vitamine und Spurenelemente aus den Laboren beigemischt wären und außerdem jede Menge Hormone, Medikamente und Drogen für und gegen weiß der Teufel was alles.

Die Sklaven, die Halmschor heimlich für sich als Quallen bezeichnete, wurden auch mit etwas salzigem versorgt, auf das sie richtig scharf waren. Doch dafür mussten sie arbeiten, sie sollten sich aus gesundheitlichen Gründen bewegen und sie sollten aus psychischen Gründen beschäftigt sein. Sämtliche Sklaven, klein und groß, wurden dazu angehalten auf den Feldern zu rackern, die Wege in Ordnung zu halten und vor allem ihre Behausungen zu reinigen. Leute wie Halmschor mussten dafür sorgen, dass selbst im Winter, wenn Gemüse und Knollen nur langsam wuchsen, genug Arbeit vorhanden war, damit sich die Quallen bewegten. Diverse Knollen und Rüben machten auch im Winter genug Arbeit, um die Quallen auf trapp zu halten. Besonders die Neuzüchtung einer kleinen Kartoffelsorte, vielleicht war es auch etwas anderes, denn sie konnte unbedenklich auch roh gegessen werden, wuchs auch in den milden Wintern. Ab März wurden dann wieder die Kohl-und Rübensorten, sowie Hülsenfrüchte angebaut. Zu diesem Zwecke hatte der Lastzug dann Saatgut dabei.

Auf jeden Fall strömten die Sklaven jeden Morgen dem Lastzug entgegen, um ihre Ernteprodukte gegen heiß begehrte Stangen zu tauschen, die man von weitem für Brot halten konnte. Doch wer diese Stangen einmal probiert hatte, wusste sie nicht einzuordnen, denn für Brot kauten sie sich zu grob und schmeckten sie zu salzig. Es war bestimmt auch Getreideschrot darin, aber Halmschor war sich sicher, auch Sägemehl herauszuschmecken. Bestimmt war das Zeug entwickelt worden, um die Zähne und Verdauungsorgane der Sklaven zu beschäftigen, denn nur Brei und Zucker war schon sehr ungesund und ohne Salz starb jeder Mensch.

Wie selbstverständlich entluden die Sklaven in ihrer phlegmatischen Weise den Lastzug, schoben die Paletten mit den Nahrungsmitteln in die Halle, wo sich dann jeder bediente und mitnahm was er brauchte. Viele hatten auch einen Becher mitgebracht und blieben gleich bei der einen oder anderen Tonne stehen um ordentlich einen zu heben. Alkohol, Zigaretten, Kaffee und andere Genussmittel kannten sie nicht, Zucker und Salz waren ihr ein und alles. Kaum war der Laderaum entleert, brachten schon die ersten auf Handkarren ihre Ernteprodukte, die im Winter hauptsächlich aus ausgegrabenen Knollen und Rüben bestanden. Im Herbst bestand die Hauptaufgabe darin, die geernteten Knollen und Rüben zu vergraben, damit sie den Winter über nicht austrieben. Frostgefahr bestand sehr selten und Schnee gab es überhaupt nie.

 

Vor dem Bus mit dem medizinischen Personal bildeten sich derweil drei lange Schlangen. Die erste vor dem Zahnarzt, denn ständig mussten schmerzende Zähne gezogen werden, die Zweite vor dem Allgemeinarzt, denn ständig mussten Verletzungen behandelt werden und die dritte vor der Laborantin. Bei der letzteren Person schauten die Sklaven nur in ein Gerät, das sie anhand der Irisstruktur identifizierte. In diesem Fall wurde festgestellt, wann sie das letzte Mal Blut gespendet hatten, denn das durften sie nur alle zwei Wochen. Die Schlange vor der Laborantin war die längste. Wer Spenden durfte erhielt einen Stempel auf den Unterarm und begab sich in die Halle. Dort warteten eine Reihe Stühle und die Arzthelferinnen auf die Spender, um ihnen einen halben Liter Blut, oder auch mehr, abzulassen. Zur Belohnung bekamen sie danach eine kleine Tafel künstlicher Schokolade, die bei keiner anderen Gelegenheit erhältlich war. Als normaler Mensch würde man erwarten, dass die Erwachsenen Sklaven die Schokolade unter ihren Kindern verteilen. Dem war aber nicht so, sie aßen sie selber und der Traum eines jeden Kindes war, endlich Blut spenden zu dürfen, um eine eigene Tafel Schokolade zu ergattern.

Mit dem Blut der Sklaven betrieb das Land einen schwunghaften Handel, Menschenblut war eines der Exportschlager. Die Ärztin, mit der Halmschor manchmal vertraulich eine Pfeife rauchte, hatte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, dass die Sklaven vermutlich auch zu Organspenden herangezogen würden. Blieb die Frage ob es sich dabei auf Nieren oder Leberteile beschränkte, oder ob dafür auch manchmal einer getötet wurde, um an alles zu kommen. Beim Überdenken der Frage lief Halmschor ein kalter Schauer den Rücken hinauf und hinunter. Ab und zu wurde ein Bus voller „Freiwilliger“, die sich für eine Umsiedlung „begeistern“ konnten, aus der Mauer herausgefahren, um eine Übervölkerung zu vermeiden. Die Sklavenverwaltung achtete peinlichst darauf, dass von den Ausgesiedelten auch mindestens einer im Jahr wieder zurückgebracht wurde, sei es aus Strafe, weil er sich daneben benommen hatte oder weil er aus irgendwelchen Gründen zurückwollte. Der bestätigte dann, dass es auch noch andere Sklavengebiete gab und erzählte, dass es dort genauso gut sei wie hier. Wo sich die befanden, wussten weder Halmschor noch die Ärztin und würden es vermutlich auch nie erfahren. Es sei denn sie wurden Chef der Verwaltung oder kamen in das Syndikat, was mangels Reichtum aber ausgeschlossen war.

Am Lebendigsten war es im Geburtshaus, fast jeden Tag brachten einige Mamas Nachwuchs zur Welt. Wenn die Ärztin morgens in das Geburtshaus ging, das hinter der Lebensmittelbaracke stand, lagen dort meistens schon dicke Frauen denen man gar nicht ansah, dass sie hochschwanger waren. Manche hatten in der Nacht selbständig ein Kind oder mehrere Kinder geboren, den Nachwuchs mit Hilfe einer anderen Frau gewaschen und den Raum gereinigt. Geburt war hinter der Mauer Alltag und Routine, jede Frau und jedes Mädchen bekam jährlich Nachwuchs, Säuglinge und Kleinkinder bildeten die größte Bevölkerungsgruppe. Mit der Muttermilch die sie bis zur nächsten Geburt bekamen, schluckten die Säuglinge auch die Beruhigungsmittel aus der Erwachsenennahrung. Die Babys der Sklaven waren ungewöhnlich leise. Die Ärztin versorgte die Neugeborenen und deren Mütter, untersucht zukünftige Mütter und verabreichte die nötigen Medikamente. Es wäre die Gelegenheit jeden Sklaven elektronisch zu markieren, aber aus einem nicht nachvollziehbaren Grund war das Syndikat strikt dagegen.

Mit Verspätung öffnete sich das Tor nach innen und der Dritte und letzte Trupp Sklavenbetreuer fuhr durch das Tor auf das Gelände. Bus und Lastzug fuhren normal achtlos an ihnen vorbei und weit in das Tal hinein. Doch heute stoppten sie neben ihren Kollegen. Sie bräuchten dringend einen Mann, bei ihnen seien heute Morgen gleich zwei nicht erschienen, sie seien berechtigt jemanden zu rekrutieren. Ohne Nachzudenken hob Halmschor seinen Arm. Das liegt an meiner verflixten Neugier, schalt er sich. Dem Führer des Trupps, ein älterer Arzt, war das egal und er winkte Halmschor zu sich herein. „Ui“, dachte er, „ich darf sogar im Bus mitfahren“. Der einzige freie Platz war neben dem Arzt, der auch Chef der Truppe war. „Na, schon lange dabei?“ wollte er von Halmschor wissen. „Seit einem Jahr“, antwortete der artig, „aber dort hinten war ich noch nie“. „Dann entführe ich sie ja in eine neue Welt“, grinste der Alte.

Halmschor, der keine Vorstellung davon hatte wie groß das ummauerte Gelände war, staunte nicht schlecht als in Sichtweite zum Weg ein ganzes Dorf mit zum Teil uralten Häusern auftauchte. Oberhalb auf den Hügeln blitzten einige Mauerteile zwischen den Bäumen hervor, hinter der Mauer schien nichts mehr zu sein. Sie ließen das Dorf links liegen, Halmschor schaute verwundert zurück. „Da sind schon die Kollegen“, sagte ihm der Arzt. „Wir haben ein schöneres Dorf“. Der Talboden war von den unterschiedlichsten Feldern bedeckt, immer mal wieder waren Übergewichtige in unmodischer grüngrauer, blaugrauer und rotgrauer Kleidung zu sehen. Manche schoben oder zogen einen Handkarren, andere trugen Schaufeln oder Hacken auf den Schultern, wieder andere hatten einfach nur die Hände in den Hosentaschen, welche der einzige Luxus war, mit dem ihre Klamotten ausgestattet waren.

Den Weg zwei Kilometer weiter, tauchte nach einer Biegung das versprochene Dorf auf. Wie das andere auch hatte es einen richtig alten Ortskern, nur lag es dicht am Waldrand, was es für das Auge malerischer machte. Von oben herab leuchtete ein Stück der hellen Mauer und Halmschor vermutete nun am Ende des Sklavengeheges zu sein. Sie wurden von einer riesigen Quallenmasse erwartet. „Wieviel leben hier eigentlich innerhalb der Mauer“ erkundigte er sich beim Arzt. „So an die zehntausend. Was drüber geht wird umgesiedelt“. Halmschor blieb der Mund aufstehen. „Zehn…“ In Anbetracht des Auflaufs sah es gewaltig nach Überstunden aus.

Die Arbeiter begannen mit Halmschors Hilfe die Lebensmittel auszuladen und zu verteilen. Dabei verzweifelten sie an der Langsamkeit der Sklaven, mussten sich aber zusammenreißen um nicht zu fluchen und zu schimpfen. Jedes unbedachte Wort und erst recht jedes Schimpfwort das ihnen entfuhr, machten sich die Sklaven aus lauter Freude am Neuen sofort zu Eigen und konnte schon am nächsten Tag dem Personal tausendfach entgegenschallen. Erst recht durfte das Personal keine Wörter benutzen die Fragen aufwarfen, aus denen man sich dann herausreden musste. Worte wie Telefon, Supermarkt, Musik und tanzen, waren ihnen unbekannt und konnte die Neugier erwecken. Gespräche über Politik, Sport, Religion und Familie durften nur fern der Sklaven geführt werden. Alles Unbekannte konnte zu Missverständnissen führen und Unzufriedenheit verursachen, was die Quallen bockig machte und den Arbeitstag in die Länge zog.

Als gegen Mittag die Lebensmittel endlich verteilt waren, atmete Halmschor erst einmal tief durch und ging zum Bus, um sein Mittgebrachtes zu verzehren. Danach mussten noch die Tauschprodukte, also die Knollen und Rüben, und die Blutkonserven eingeladen werden. Es war ein anstrengender Morgen gewesen, sogar der anstrengendste des Jahres. Die Sklaven hier hinten waren zwar genauso lahmarschig wie die vorne, wo er bislang gearbeitet hatte, aber er empfand sie als bedrohlicher. Vermutlich kam das auch daher, dass sie Feuer machen konnten. Während der Lastzug auf dem Dorfplatz entladen und die Pakete und Tonnen in einer ehemaligen Festhalle aufgestapelt wurden, hatte sich am Dorfrand die kleine Rauchfahne eines erloschenen Feuers emporgekräuselt. Irritiert wollte er nach dem Rechten sehen, doch eine gewichtige Phalanx schwerer Rücken hatte sich zwischen ihm und der Rauchquelle aufgebaut. Auf so ungewohnte Weise verunsichert, sucht er den Chef und meldete seine Beobachtung.

„Tja, da hatten wir anfangs nicht schlecht gestaunt und die ersten Feuer gleich wieder gelöscht“, verriet der Alte. „Es gibt aber irgendetwas mit dem sie täglich ein neues Feuer entfachen können, bloß kommen wir nicht dahinter. Altholz sammeln scheint hier eine beliebte Beschäftigung zu sein. Wir nehmen an, dass die Horde sich nachts um ein Feuer versammelt.“

„Haben sie noch keine Augen aufgehängt, um die Sache zu beobachten?“ wollte Halmschor wissen. „Doch, doch, da hängt eine ganze Reihe von diesen Dingern herum, aber viele funktionieren nicht mehr. Sobald der Mensch vom Sicherheitsdienst wieder gesund ist, gehen wir der Sache nach“, meinte der Chef der Dr. Albritz hieß.