Die ersten Menschen auf dem Mond: Vollständige Ausgabe

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5
Die Fahrt zum Mond

Dann löschte Cavor das Licht aus. Er sagte, wir hätten nicht übermäßig viel Energie aufgespeichert, und wir müßten fürs Lesen sparen. Eine Zeitlang, ob es lange oder kurz dauerte, weiß ich nicht, war nichts als leere Schwärze zu sehen.

Eine Frage schwamm aus der Leere herauf. »Wie zeigen wir?« fragte ich. »Welches ist unsere Richtung?«

»Wir fliegen geradewegs von der Erde fort, und da der Mond seinem dritten Viertel nahe ist, gehen wir irgendwo auf ihn zu. Ich will eine Jalousie öffnen –«

Es folgte ein Klinken, und dann sprang ein Fenster in der äußeren Hülle auf. Der Himmel draußen war ebenso schwarz wie die Dunkelheit in der Sphäre, aber die Form des offenen Fensters wurde durch eine unendliche Zahl von Sternen markiert.

Wer den Sternenhimmel nur von der Erde aus gesehen hat, kann sich seine Erscheinung, wenn der unbestimmte halb helle Schleier unserer Luft entfernt ist, gar nicht vorstellen. Die Sterne, die wir auf der Erde sehen, sind nur die zerstreuten Überlebenden, die unsere neblige Atmosphäre durchdringen. Jetzt endlich konnte ich den Sinn der himmlischen Heerscharen erfassen!

Dieser luftleere, sternenbestaubte Himmel! Von allen Dingen, glaube ich, wird das eins der letzten sein, die ich vergessen werde!

Das kleine Fenster verschwand mit einem Klinken, ein anderes daneben schnappte auf und schloß sich sofort wieder, und dann ein drittes, und einen Moment mußte ich wegen des blendenden Glanzes des abnehmenden Mondes die Augen schließen.

Eine Zeitlang mußte ich Cavor und die weiß beleuchteten Dinge um mich anblicken, um meine Augen wieder ans Licht zu gewöhnen, ehe ich sie auf jenen bleichen Glanz werfen konnte.

Vier Fenster waren offen, damit die Gravitation des Mondes auf alle Stoffe in unserer Sphäre wirken konnte. Ich sah, daß ich nicht länger frei im Raume schwebte, sondern daß meine Füße in der Richtung nach dem Monde zu auf dem Glase ruhten. Die Decken und Vorratskisten krochen gleichfalls langsam am Glas hinunter und kamen dann so zur Ruhe, daß sie uns einen Teil des Ausblicks versperrten. Mir war natürlich, ich blickte »hinunter«, wenn ich auf den Mond blickte. Auf der Erde heißt »hinunter« erdwärts, wie die Dinge fallen, und »hinauf« heißt die umgekehrte Richtung. Jetzt ging der Zug der Gravitation auf den Mond zu, und nach allem, was ich wußte, war unsere Erde über uns. Und natürlich war, wenn alle Jalousien geschlossen waren, »hinunter« auf das Zentrum unserer Sphäre zu, und »hinauf« nach ihrer äußeren Umwandung gerichtet.

Es lief auch sonderbar irdischer Erfahrung entgegen, daß das Licht zu einem » herauf« schien. Auf der Erde kommt das Licht von oben oder seitlich schräg herunter, aber hier kam es von unter unseren Füßen her, und um unseren Schatten zu sehen, mußten wir nach oben blicken.

Zuerst verursachte es mir eine Art Schwindel, daß ich nur auf dickem Glase stand und durch Hunderttausende von Meilen leeren Raums auf den Mond hinabblickte; aber die Übelkeit verging sehr rasch. Und dann – der Glanz des Anblicks!

Der Leser kann es sich am besten vorstellen, wenn er sich an einem warmen Sommerabend auf den Boden legt und zwischen den Füßen zum Mond emporblickt, aber aus irgendeinem Grunde, wahrscheinlich, weil das Fehlen der Luft ihn soviel leuchtkräftiger machte, schien der Mond schon beträchtlich größer als von der Erde aus. Die kleinsten Einzelheiten seiner Oberfläche waren scharf zu sehen. Da wir ihn nicht durch Luft sahen, war sein Umriß hell und scharf, es lag kein Schein, kein Hof darum; der Sternenstaub, der den Himmel bedeckte, trat bis scharf an seinen Rand heran und markierte den Umriß seines unbeleuchteten Teils. Und wie ich dastand und zwischen meinen Füßen hindurch auf den Mond starrte, kehrte jene Empfindung des Unmöglichen, die mich schon seit unserm Aufstieg immer wieder befallen hatte, mit zehnfacher Überzeugung zurück.«

»Cavor«, sagte ich, »dies überrascht mich wunderlich. Diese Gesellschaften, die wir auftun wollten, und all das mit den Mineralien?«

»Ja?«

»Hier seh' ich sie nicht.«

»Nein,« sagte Cavor; »aber über all das werden Sie wegkommen.«

»Ich glaube, ich bin danach gemacht, wieder die rechte Seite nach oben zu tun. Aber dies – einen Moment könnte ich halb glauben, daß es niemals eine Welt gegeben hat.«

»Die Nummer von Lloyd's News könnte Ihnen vielleicht helfen.«

Ich starrte das Blatt einen Augenblick an; dann hielt ich es mir übers Gesicht und fand, daß ich es ganz leicht lesen konnte. Ich stieß auf eine Spalte armseliger kleiner Annoncen. »Ein Herr von privaten Mitteln ist bereit, Geld zu verleihen«, las ich. Den Herrn kannte ich. Dann wollte ein exzentrischer Mensch ein Bicycle, »ganz neu und fünfzehn Lire gekostet«, für fünf Pfund verkaufen; und eine Dame in Not wollte unter großem Opfer über einige Fischmesser und Gabeln, »ein Hochzeitsgeschenk«, verfügen. Ohne Zweifel untersuchte eine einfache Seele diese Messer und Gabeln verständig, ein anderer fuhr triumphierend auf jenem Fahrrad davon, und ein dritter fragte, noch während ich las, vertrauensvoll bei jenem wohlwollenden Herrn von Mitteln an. Ich lachte und ließ das Blatt aus den Händen schweben.

»Sind wir von der Erde aus zu sehen?« fragte ich.

»Warum?«

»Ich kannte jemanden, der sich ziemlich für Astronomie interessierte. Mir fiel ein, es wäre recht gelungen, wenn – mein Freund – zufällig gerade durch ein Teleskop blickte.«

»Es würde das mächtigste Teleskop der Erde dazu gehören, uns jetzt noch als winzigen Punkt zu sehen.«

Eine Zeitlang starrte ich schweigend auf den Mond.

»Es ist eine Welt!« sagte ich; »man fühlt das unendlich viel stärker als je auf der Erde. Vielleicht sind Menschen – –«

»Menschen!« rief er aus. »Nein! Verbannen Sie all das! Betrachten Sie sich als eine Art ultra-arktischen Reisenden, der die ödesten Orte des Raums erforscht. Sehen Sie hin!«

Er schwenkte die Hand nach der leuchtenden Weiße unten.

»Er ist tot – tot! Ungeheure, erloschene Vulkane, Lavawildnisse, übereinandergetürmte Schneewüsten, oder gefrorene Kohlensäure, oder gefrorene Luft, und überall Erdrutschrisse und Spalten und Abgründe. Nichts geschieht. Die Menschen haben diesen Planeten seit über zweihundert Jahren systematisch mit Teleskopen beobachtet. Was meinen Sie, wieviel Veränderung haben sie beobachtet?«

»Keine.«

»Sie haben zwei unbestreitbare Erdrutsche konstatiert, einen zweifelhaften Riß, und einen leichten periodischen Farbwechsel, und weiter nichts.«

»Ich wußte nicht einmal, daß das konstatiert ist.«

»O ja. Aber Menschen!«

»Nebenbei,« fragte ich, »wie kleine Dinge wird das größte Teleskop auf dem Monde zeigen?«

»Man würde eine mittelgroße Kirche sehen. Auf jeden Fall könnte man Städte oder Gebäude oder alles, was von Menschenhand stammte, sehen. Es könnten vielleicht Insekten vorhanden sein, etwas wie Ameisen zum Beispiel, die sich in tiefen Bauten vor der Mondnacht verbergen, oder irgendeine neue Art Geschöpfe, die keine irdische Parallele haben. Das ist das Wahrscheinlichste, wenn wir überhaupt Leben vorfinden sollten. Denken Sie an die Verschiedenheit der Bedingungen! Das Leben muß sich an einen Tag anpassen, der so lang ist wie vierzehn Erdentage, an eine wolkenlose Sonnenglut von vierzehn Tagen; und dann an eine Nacht von gleicher Länge, die unter diesen kalten, scharfen Sternen immer kälter und kälter wird. In dieser Nacht muß eine Kälte herrschen! die äußerste Kälte, das absolute Null, 273 Grad Celsius unter dem irdischen Gefrierpunkt. Was auch an Leben noch vorhanden ist, muß das durchwintern und jeden Tag wieder aufstehen.«

Er sann. »Man kann sich etwas Wurmartiges vorstellen,« sagte er, »etwas, was seine Luft in festem Zustand zu sich nimmt, wie ein Regenwurm Erde schluckt, oder dickhäutige Ungeheuer – –«

»Nebenbei,« sagte ich, »warum haben wir keine Flinte mitgenommen?«

Er beantwortete meine Frage nicht. »Nein,« schloß er, »wir haben eben einfach hinzugehen. Wir werden ja sehen, wenn wir da sind.«

Mir fiel etwas ein. »Natürlich bleiben meine Mineralien, auf jeden Fall,« sagte ich; »welches auch die Bedingungen sind.«

Bald darauf sagte er mir, er wünsche unsern Kurs ein wenig zu verändern, indem er die Erde einen Augenblick an uns ziehen lasse. Er wollte eine der Jalousien erdwärts auf dreißig Sekunden öffnen. Er warnte mich, mir würde der Kopf schwimmen, und er riet mir, die Hände gegen das Glas auszustrecken, um meinen Fall zu hemmen. Ich tat, wie er sagte, und stemmte die Füße gegen die Ballen der Nahrungskisten und luftdichten Zylinder, damit sie nicht auf mich stürzten. Dann sprang das Fenster mit einem Klinken auf. Ich fiel plump auf Hände und Gesicht und sah einen Moment lang unsere Mutter Erde zwischen meinen schwarzen, ausgespreizten Fingern – einen Planeten am Himmel unter mir.

Wir waren noch sehr nah – Cavor sagte mir, die Entfernung betrage vielleicht achthundert Meilen – und die riesige Erdscheibe füllte den ganzen Himmel. Aber schon war deutlich zu sehen, daß die Welt eine Kugel war. Das Land unter uns lag unbestimmt im Zwielicht, aber westlich leuchteten die ungeheuren grauen Flächen des Atlantischen Ozeans unter dem weichenden Tag wie geschmolzenes Silber. Ich glaube, ich erkannte die wolkenverdunkelten Küstenlinien von Frankreich und Spanien und Südengland, und dann schloß sich die Jalousie wieder mit einem Klinken, und ich merkte, wie ich in einem Zustand merkwürdiger Verwirrung langsam über das glatte Glas hinabglitt.

Als sich die Dinge schließlich in meinem Geist wieder beruhigten, schien es ganz außer Frage, daß der Mond »unten« war und unter meinen Füßen, und daß die Erde irgendwo fern auf der Fläche des Horizontes lag – die Erde, die mir vom Anfang der Dinge an »unten« und mit mir verwandt gewesen war!

 

So gering waren die von uns erforderten Anstrengungen, so leicht machte die praktische Vernichtung unseres Gewichtes alles, was wir zu tun hatten, daß uns fast sechs Stunden lang nach unserem Aufflug (nach Cavors Chronometer) nicht das Bedürfnis kam, eine Erfrischung zu nehmen. Ich war über die Zeit, die verlaufen war, verblüfft. Selbst da war ich mit sehr wenig befriedigt. Cavor untersuchte den Apparat zur Aufnahme von Kohlensäure und Wasser und sagte, er sei in genügender Ordnung, unser Verbrauch an Sauerstoff sei außerordentlich gering gewesen. Und da unser Gespräch vorläufig erschöpft war, wir auch weiter nichts zu tun hatten, so gaben wir einer sonderbaren Schläfrigkeit nach, die uns überfallen hatte, breiteten unsere Decken auf dem Boden der Sphäre in der Weise aus, daß sie den größten Teil des Mondscheins absperrten, wünschten einander gute Nacht und schliefen fast unmittelbar darauf ein.

Und so fielen wir, schlafend und bisweilen plaudernd und ein wenig lesend, hin und wieder auch essend, wenn auch ohne jede Schärfe des Appetits, Es ist seltsam, daß wir, solange wir in der Sphäre waren, nicht das geringste Verlangen nach Nahrung hatten, noch auch die Entbehrung empfanden, wenn wir fasteten. Erst zwangen wir unsern Appetit, aber später fasteten wir völlig. Im ganzen haben wir nicht den hundertsten Teil der komprimierten Vorräte verbraucht, die wir mitgenommen hatten. Auch die Menge von Kohlensäure, die wir ausatmeten, war unnatürlich niedrig, aber warum das so war, bin ich gänzlich außerstande zu erklären. doch meistens in einer Art Ruhe, die weder Schlaf, noch Wachheit war, einen Zeitraum hindurch, der weder Tag noch Nacht einschloß, still, sanft und geschwind zum Mond hinunter.

6
Die Landung auf dem Mond

Ich erinnere mich, wie Cavor eines Tages plötzlich sechs unserer Läden öffnete und mich so blendete, daß ich ihn laut anschrie. Die ganze Fläche war Mond, ein stupender Krummsäbel weißen Tagesanbruchs, dessen Rand mit Scharten des Dunkels ausgezackt war, die halbmondförmige Küste einer ebbenden Flut der Dunkelheit, aus der Spitzen und Zinnen in den Glanz der Sonne emporgeklettert kamen. Ich nehme an, der Leser hat Bilder oder Photographien des Mondes gesehen, so daß ich die breiteren Züge jener Landschaft nicht schildern brauche: jene geräumigen, ringartigen Ketten, weiter als alle irdischen Gebirge, deren Gipfel im Tage leuchten, deren Schatten scharf und tief absetzen; jene grauen, wirren Ebenen, die Grate, Hügel und Kraterchen, die alle zuletzt aus blendender Beleuchtung in ein gemeinsames Geheimnis der Schwärze übergehen. Quer über dieser Welt flogen wir, kaum noch hundert Meilen über ihren Kämmen und Gipfeln. Und jetzt konnten wir sehen, was von der Erde aus kein Auge jemals sehen wird, daß unter der Glut des Tages die scharfen Umrisse der Felsen und Schluchten der Ebene und des Kraterbodens unter einem dichter werdenden Nebel grau und undeutlich wurden, daß das Weiß ihrer erleuchteten Flächen sich in Klumpen und Flecken brach, und wieder brach und schrumpfte und verschwand, und daß hier und dort seltsame braune und olivfarbene Töne wuchsen und sich ausbreiteten.

Aber wir hatten jetzt keine Zeit zum Beobachten. Denn jetzt waren wir zu der wirklichen Gefahr unserer Reise gekommen. Wir mußten dem Mond, wie wir darum kreisten, immer näher sinken, mußten unsere Geschwindigkeit verlangsamen und auf unsern Augenblick warten, bis wir es schließlich wagen konnten, uns auf seine Oberfläche fallen zu lassen.

Für Cavor war es eine Zeit intensiver Anstrengung; für mich war es eine besorgte Untätigkeit. Es schien, ich ging ihm fortwährend aus dem Wege. Er sprang mit einer Behendigkeit, die auf der Erde unmöglich gewesen wäre, in der Sphäre von Punkt zu Punkt umher. Er schloß und öffnete während dieser letzten, ereignisreichen Stunden die Cavoritfenster beständig, stellte Berechnungen an und blickte mit Hilfe der Glühlampe auf seinen Chronometer. Eine lange Zeit hindurch hatten wir all unsere Fenster geschlossen und hingen schweigend im Dunkel, während wir durch den Raum jagten.

Dann tastete er nach den Jalousieknöpfen, und plötzlich waren die Fenster offen. Ich taumelte und hielt mir die Augen zu, überflutet und versengt und geblendet von dem ungewohnten Glanz der Sonne unter meinen Füßen. Dann schnappten die Läden wieder zu, und mir schwamm das Gehirn in einem Dunkel, das mir auf die Augen drückte. Und darauf schwamm ich wieder in einer ungeheuren, schwarzen Stille.

Dann drehte Cavor das elektrische Licht auf und sagte mir, er schlage vor, gegen den Stoß unserer Landung all unser Gepäck mit den Decken darum zusammenzubinden. Wir taten dies bei geschlossenen Fenstern, weil sich unsere Waren da von selber im Zentrum der Sphäre anordneten. Auch das war ein sonderbares Geschäft; wir zwei Männer, die lose in diesem sphärischen Raum schwebten und packten und Stricke zogen! Man stelle es sich vor, wenn man es kann! Kein oben oder unten, und jede Anstrengung mit unerwarteten Folgen! Bald wurde ich mit der vollen Kraft von Cavors Stoß gegen das Glas geschleudert, bald trat ich hilflos in eine Leere hinein. Bald war der Stern des elektrischen Lichts zu Häupten, bald zu Füßen. Bald schwammen mir Cavors Füße vor den Augen herum, und bald lagen wir verquer gegeneinander. Aber schließlich waren unsere Güter in einem großen, weichen Ballen sicher zusammengebunden, nur zwei Decken mit Knopflöchern blieben draußen, damit wir uns hineinwickeln konnten.

Dann öffnete Cavor auf einen Blitz ein Fenster mondwärts, und wir sahen, daß wir auf einen riesigen Zentralkrater mit einer Anzahl kleinerer Krater in eine Art Kreuz hineingruppiert, zufielen. Und dann öffnete Cavor unsere kleine Sphäre von neuem der sengenden, blendenden Sonne. Ich glaube, er benutzte die Anziehungskraft der Sonne als Bremse. »Wickeln Sie sich in eine Decke,« rief er, indem er sich von mir fortstieß, und einen Moment lang verstand ich nicht.

Dann zog ich mir die Decke unter den Füßen hervor und zog sie mir über Kopf und Augen. Plötzlich schloß er die Läden wieder, schnappte einen anderen auf und wieder zu, und dann begann er sie unvermittelt alle aufzuschnappen, jeden sicher in seine Stahlrolle. Es gab einen Krach, und dann überschlugen und überschlugen wir uns, flogen gegen das Glas und den großen Ballen unseres Gepäcks und klammerten uns aneinander, und draußen spritzte ein weißer Stoff, als rollten wir einen Schneehang hinab ...

Kopfüber, bumps, plumps, bums, plumps, kopfüber ...

Dann kam ein Stoß und ich war halb unter dem Ballen unseres Besitzers vergraben, und eine Zeitlang war alles still. Dann konnte ich Cavor schnauben und grunzen hören, und das Schnappen eines Ladens in seinem Geschiebe. Ich machte eine Anstrengung, warf unser deckenumwickeltes Gepäck zurück und tauchte von darunter auf. Unsere offenen Fenster waren eben als ein mit Sternen besetztes tieferes Schwarz sichtbar.

Wir waren noch am Leben und wir lagen im Dunkel des Schattens der Mauer des großen Kraters, in den wir gefallen waren.

Wir saßen und verschnauften uns und fühlten nach den Quetschungen auf unsern Gliedern. Ich glaube, wir beide hatten so rauhe Behandlung, wie wir erhalten hatten, nicht gerade sehr deutlich erwartet. Ich arbeitete mich mühsam auf die Füße. »Und jetzt,« sagte ich, »auf die Mondlandschaft hinauszublicken! Aber –! Es ist schauerlich dunkel, Cavor!«

Das Glas war betaut, und während ich sprach, rieb ich es mit meiner Decke. »Wir sind eine halbe Stunde oder so vor dem Tage,« sagte er. »Wir müssen warten.«

Es war unmöglich, irgend etwas zu erkennen. Wir hätten nach dem, was ich sehen konnte, in einer Stahlsphäre sein können. Mein Reiben mit der Decke verschmierte das Glas einfach, und so schnell ich auch rieb, es wurde wieder vor frisch kondensierter Feuchtigkeit undurchsichtig, die sich mit einer wachsenden Menge von Deckenhaaren mischte. Natürlich hätte ich die Decke nicht gebrauchen dürfen. Bei meinen Anstrengungen, das Glas zu klären, glitt ich auf der feuchten Fläche aus und verletzte mir das Schienbein an einem der Sauerstoffzylinder, der aus dem Ballen herausragte.

Die Sache war aufregend – es war absurd. Hier waren wir gerade auf dem Mond angekommen, mitten unter wir wußten nicht welchen Wundern, und alles, was wir sehen konnten, war die graue und leckende Wand der Blase, der Blase, in der wir gekommen waren.

»Zum Henker!« sagte ich, »aber auf die Art hätten wir zu Hause bleiben können;« und ich hockte mich auf den Ballen hin, zitterte vor Kälte und zog meine Decke dichter um mich zusammen.

Plötzlich verwandelte sich die Feuchtigkeit in Eisflitter und Blumen. »Können Sie den elektrischen Heizer erreichen,« fragte Cavor. »Ja – der schwarze Knopf. Sonst erfrieren wir.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen. »Und jetzt,« sagte ich, »was sollen wir anfangen?«

»Warten,« sagte er.

»Warten?«

»Natürlich. Wir werden zu warten haben, bis unsere Luft wieder warm wird, und dann wird dies Glas klar werden. Bis dahin können wir nichts tun. Hier ist jetzt Nacht; wir müssen warten, bis der Tag uns einholt. Unterdes – spüren Sie keinen Hunger?«

Eine Zeitlang antwortete ich ihm nicht, sondern saß da und wütete. Ich wandte mich nur widerstrebend von der verschmierten Glasstelle ab und starrte ihm ins Gesicht. »Ja,« sagte ich, »ich bin hungrig. Ich fühle mich irgendwie ungeheuer enttäuscht. Ich hatte erwartet – ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht.«

Ich nahm meine Philosophie zusammen, schlang meine Decke von neuem um mich, setzte mich wieder auf den Ballen und begann meine erste Mahlzeit auf dem Mond. Ich glaube nicht, daß ich sie vollendet habe – ich weiß nicht mehr. Alsbald kam, erst stellenweise, dann rasch in weitere Flächen auseinanderlaufend, die Klärung des Glases, kam die Aufhebung des Nebelschleiers, der unsern Augen die Mondwelt verborgen hatte.

Wir spähten auf die Landschaft des Mondes hinaus.

7
Sonnenaufgang auf dem Mond

Wie wir sie zuerst erblickten, war es die wildeste und trostloseste Szene. Wir lagen in einem ungeheuren Amphitheater, auf einer weiten, kreisrunden Ebene, dem Boden des Riesenkraters. Seine klippenartigen Wände schlossen uns auf allen Seiten ein. Von der westlichen her fiel das Licht der unsichtbaren Sonne darauf und reichte bis hinab zum Fuße der Klippe; sie zeigte einen wirren Hang schmutzig grauen Felsens, der hier und dort mit Bänken und Rissen voll Schnee gespickt war. Das war vielleicht ein Dutzend Meilen entfernt, aber anfangs verminderte keine dazwischenliegende Atmosphäre den bis ins kleinste Detail gehenden Glanz, mit dem uns diese Dinge anstarrten. Sie standen klar und blendend vor einem Hintergrunde gestirnter Schwärze, die unsern irdischen Augen eher wie ein glorreich flitterbesäter Samtvorhang erschien, als wie die Weite des Himmels.

Die östliche Klippe war zunächst nur ein sternenloser Saum zur steinigen Kuppel. Kein rosiges Licht, keine kriechende Blässe verkündete den beginnenden Tag. Nur die Corona, das Zodiakallicht, ein riesiger, kegelförmiger, leuchtender Nebel, der zum Glanz des Morgensterns emporzeigte, sprach uns von der unmittelbaren Nähe der Sonne.

Was an Licht um uns war, wurde von den westlichen Klippen reflektiert. Es zeigte eine riesige gewellte Ebene, kalt und grau, ein Grau, das sich nach Osten hin in das absolute Rabenschwarz des Klippenschattens vertiefte. Unzählige gerundete, graue Gipfel, geisterhafte Kegel, Wogen schneeiger Masse, die Kamm hinter Kamm in die ferne Finsternis erstreckten, gaben uns den ersten Wink über die Entfernung der Kraterwand. Diese Kegel sahen aus wie Schnee. Zur Zeit dachte ich, es sei Schnee. Aber das waren sie nicht – es waren Hügel und Massen gefrorener Luft!

So war es erst, und dann kam, plötzlich, rasch und verblüffend, der Mondtag.

Das Sonnenlicht war die Klippe hinabgekrochen, es berührte die hingewehten Massen an ihrer Basis und kam alsbald mit Siebenmeilenstiefeln auf uns zugeschritten. Die ferne Klippe schien zu schwanken und zu beben, und bei der Berührung mit dem Sonnenaufgang strömte ein Qualm grauen Dunstes vom Kraterboden empor, Wirbel und Wolken und treibende Gespenster eines Grau, immer dichter und breiter und enger, bis zuletzt die ganze westliche Ebene wie ein nasses Tuch dampfte, das man vors Feuer hält, und bis die westlichen Klippen nur noch ein gebrochener Glanz dahinter waren.

 

»Das ist Luft,« sagte Cavor. »Es muß Luft sein – sonst würde es nicht so aufsteigen – bei der bloßen Berührung mit einem Sonnenstrahl. Und mit dieser Geschwindigkeit ...«

Er blickte nach oben. »Sehen Sie!« sagte er.

»Was?« fragte ich.

»Am Himmel. Schon. Auf der Schwärze – ein leichter Hauch von Blau. Sehen Sie! Die Sterne scheinen größer. Und die kleinen und all die dunklen Nebelmassen, die wir im leeren Raum sahen – das ist verborgen!«

Schnell und stetig nahte uns der Tag. Ein grauer Hügel nach dem andern wurde von der Glut erfaßt und in eine rauchende, weiße Dichtigkeit verwandelt. Schließlich war westlich von uns nichts mehr vorhanden als eine Bank aufsteigenden Nebels, der nahende Aufruhr und Aufstieg wolkigen Dunstes. Die ferne Klippe wich weiter und weiter zurück, hatte durch den Wirbel geragt und sich verändert, und war zuletzt in seinem Wirrwarr untergegangen und verschwunden.

Näher kam diese dampfende Wand, näher und näher, und sie kam so schnell wie der Schatten einer Wolke vor dem südwestlichen Winde. Um uns erhob sich ein dünner, vorgreifender Nebel.

Cavor packte meinen Arm.

»Was?« sagte ich.

»Sehen Sie! Der Sonnenaufgang! Die Sonne!«

Er drehte mich um und zeigte auf die Braue der östlichen Klippe, die über dem Nebel um uns aufragte, kaum heller als das Dunkel des Himmels. Aber jetzt war ihre Linie durch seltsame rötliche Gestalten markiert, Zungen scharlachner Flammen, die sich wanden und tanzten. Ich meinte, es müßten Dunstspiralen sein, die vom Licht gefaßt waren und diesen Kamm feuriger Zungen gegen den Himmel bildeten, aber in Wirklichkeit waren es die Sonnenauswüchse, die ich sah, eine Feuerkrone um die Sonne, die irdischen Augen durch unsern atmosphärischen Schleier auf ewig verborgen ist.

Und dann – die Sonne!

Stetig, unvermeidlich kam eine glänzende Linie, kam ein dünner Rand unerträglicher Glut, der runde Gestalt annahm, ein Bogen wurde, ein blendendes Szepter wurde, und einen Hitzstrahl auf uns entsandte, als wäre es ein Speer.

Und mit diesem Glühen kam ein Schall, der erste Schall, der uns von draußen erreichte, seit wir die Erde verlassen hatten, ein Zischen und Rascheln, das stürmische Schleifen des Luftgewandes im vorwärtseilenden Tage. Und mit dem Schall und dem Licht zugleich legte sich die Sphäre um, und blind und geblendet taumelten wir hilflos gegeneinander. Sie legte sich wieder um, und das Zischen wurde lauter. Ich hatte die Augen gewaltsam geschlossen und machte plumpe Anstrengungen, mir den Kopf mit meiner Decke zu verhüllen, und dieser zweite Stoß warf mich hilflos von den Beinen. Ich fiel gegen den Ballen, und als ich die Augen öffnete, sah ich einen Moment die Luft gerade außerhalb unseres Glases. Sie schmolz – es war ein Kochen – wie Schnee, in den man eine rotglühende Stange wirft. Was feste Luft gewesen war, wurde plötzlich bei der Berührung mit der Sonne ein Brei, ein Schlamm, eine schmutzige Flüssigkeit, die zu Gas verzischte und kochte.

Es folgte ein noch gewaltsamerer Wirbel der Atmosphäre, und wir hatten einander gepackt. Im nächsten Moment wurden wir wieder herumgeschleudert. Wir gingen kopfüber und kopfüber, und dann lag ich auf allen Vieren. Der Tagesanbruch auf dem Monde hatte uns ergriffen. Er wollte uns kleinen Menschen zeigen, was der Mond mit uns machen konnte.

Ich konnte einen zweiten Blick auf die Dinge draußen werfen, auf die Dampfstrahlen, halbflüssigen Schlamm, der untergraben wurde, glitt und fiel und glitt. Wir sanken ins Dunkel. Ich stürzte mit Cavors Knien auf meiner Brust. Dann schien er von mir fortzufliegen und einen Moment lag ich ohne Atem in meinem Körper da und starrte nach oben. Ein taumelnder Fels von dem schmelzenden Zeug war über uns gespritzt, hatte uns begraben und wurde jetzt dünner und kochte von uns ab. Ich sah die Blasen oben auf dem Glase tanzen. Ich hörte Cavor schwach rufen.

Dann hatte uns ein riesiger Rutsch in der tauenden Luft gefaßt, und indem wir Proteste hervorsprudelten, begannen wir einen Hang hinabzurollen, rollten schneller und schneller, sprangen über Spalten und prallten von Bänken ab, schneller und schneller, nach Westen hin, in den weiß-heißen kochenden Aufruhr des Mondtags hinein.

Aneinandergeklammert, wirbelten wir herum, flogen hierhin und dorthin, und unser Gepäckballen sprang auf uns los und drosch auf uns umher. Wir kollidierten, wir griffen uns, wir wurden auseinandergerissen – unsere Köpfe schlugen zusammen, und das ganze Weltall barst in feurige Pfeile und Sterne! Auf der Erde hätten wir uns ein dutzendmal zerschmettert, aber auf dem Mond war zu unserem Glück unser Gewicht nur ein Sechstel dessen, was es auf der Erde ist, und wir fielen sehr gnädig. Ich erinnere mich einer Empfindung äußerster Übelkeit, eines Gefühls, als wäre mein Gehirn im Schädel umgekehrt und dann – –

Etwas war auf meinem Gesicht an der Arbeit, ein paar dünne Fühler quälten meine Ohren. Dann entdeckte ich, daß der Glanz der Landschaft um uns durch eine blaue Brille gemildert war. Cavor stand über mich geneigt, und ich sah sein Gesicht umgekehrt, auch seine Augen durch gefärbte Gläser geschützt. Sein Atem ging unregelmäßig, und seine Lippe blutete von einer Quetschung. »Besser?« sagte er und wischte sich das Blut mit dem Rücken der Hand ab.

Alles schien eine Zeitlang zu schwanken, aber das war nur meine Schwindligkeit. Ich merkte, daß er ein paar von den Jalousien der äußeren Sphäre geschlossen hatte, um mich vor dem direkten Sonnenstrahl zu schützen. Mir fiel auf, daß alles um uns sehr glänzend war.

»Himmel!« keuchte ich. »Aber dies –!«

Ich reckte meinen Hals, mich umzublicken. Ich merkte, daß draußen eine blendende Helle herrschte, ein absoluter Wechsel aus dem finsteren Dunkel unserer ersten Eindrücke. »Bin ich lange besinnungslos gewesen?« fragte ich.

»Ich weiß nicht – der Chronometer ist zerbrochen. Einige Zeit ... Mein lieber Kerl! Ich habe Angst gehabt ...«

Ich lag eine Zeitlang da und nahm das in mich auf. Ich sah, sein Gesicht trug noch Spuren der Aufregung. Eine Weile sagte ich nichts. Ich strich mit fragender Hand über meine Kontusionen und sah ihm nach ähnlichen Schäden ins Gesicht. Der Rücken meiner rechten Hand hatte am meisten gelitten und war hautlos und wund. Meine Stirn war zerstoßen und hatte geblutet. Er reichte mir ein kleines Maß mit etwas von dem Stärkungsmittel – den Namen habe ich vergessen – das er mitgenommen hatte. Nach einiger Zeit fühlte ich mich ein wenig besser. Ich begann meine Glieder vorsichtig zu strecken. Bald konnte ich sprechen.

»Das wäre nichts gewesen,« sagte ich, als sei gar keine Zeit verstrichen.

»Nein, wahrhaftig

Er sann, und die Hände hingen ihm über die Knie. Er spähte durch das Glas und starrte dann mich an. »Großer Gott!« sagte er. » Nein

»Was ist geschehen?« fragte ich nach einer Pause. »Sind wir in die Tropen gesprungen?«

»Es war, wie ich erwartet hatte. Diese Luft ist verdunstet, und die Oberfläche des Mondes ist zutage gekommen. Wir liegen auf einer erdigen Felsbank. Hier und da zeigt sich der nackte Boden. Ein wunderlicher Boden!«

Ihm fiel ein, daß es unnötig war, zu erklären. Er half mir in eine sitzende Stellung, und ich konnte mit eigenen Augen sehen.

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