Strafrecht Besonderer Teil

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II. Subjektiver Tatbestand

33

Bei allen fünf Qualifikationstatbeständen ist ein Handeln mit bedingtem Vorsatz ausreichend. Dies gilt insbesondere auch für § 224 Abs. 1 Nr. 1[84] und Nr. 3.[85] Bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 muss der Täter lediglich die Umstände kennen, aus denen sich die Gefährlichkeit seines Tuns für das Opfer ergibt. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass er sie selbst als lebensgefährdend bewertet.[86] Es bedeutet keinen Widerspruch, einen derartigen Gefährdungsvorsatz anzunehmen, einen bedingten Tötungsvorsatz aber zu verneinen.[87]

C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch sowie Konkurrenzen

34

Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 25 ff. Daher ist insbesondere auch eine sukzessive Mittäterschaft möglich. Ist jedoch das die Körperverletzung qualifizierende Geschehen (z.B. ein Messerstich oder ein Schusswaffeneinsatz) beim Eintritt des zweiten Täters bereits abgeschlossen, so darf ihm dieses selbst dann nicht zugerechnet werden, wenn er davon bei seinem Eingreifen Kenntnis hatte.[88] Wer an einer Körperverletzung lediglich als Anstifter oder Gehilfe mitwirkt und der Täter infolgedessen § 224 Abs. 1 Nr. 4 verwirklicht (vgl. Rn. 29), wird nicht allein dadurch zum Mittäter.[89]

35

Eine gefährliche Körperverletzung kann bei Bestehen einer Garantenstellung durch Unterlassen begangen werden (vgl. § 5 Rn. 10).[90] Das gilt grundsätzlich auch für die Begehungsvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4. Den Bedenken der diesbezüglich abweichenden Meinung[91] ist allerdings im Einzelfall durch eine besonders sorgfältige Prüfung Rechnung zu tragen, ob das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht (§ 13 Abs. 1).

Beispiel:

Eltern sehen tatenlos zu, wie ihr Kleinkind einen Zigarettenstummel nebst dem darin enthaltenen Nikotin verschluckt.[92]

36

Die versuchte gefährliche Körperverletzung ist strafbar (§§ 224 Abs. 2, 22). Es gelten die allgemeinen Regelungen der §§ 22 ff.

37

§ 224 geht als Qualifikation dem § 223 (Grundtatbestand) vor, tritt hingegen hinter den vollendeten – spezielleren – §§ 226, 227 zurück.[93] Ist jedoch die schwere Körperverletzung (§ 226) gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4) oder durch eine das Leben gefährdende Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5) verursacht worden, erscheint die Annahme von Tateinheit (§ 52) als vorzugswürdig, um das begangene Unrecht auch im Urteilstenor deutlich zu machen.[94] Sind die §§ 226, 227 nur versucht, kann ebenfalls Tateinheit bestehen.[95] Gleiches gilt im Verhältnis zu einem versuchten Tötungsdelikt (vgl. § 1 Rn. 23), zum § 125a[96] und zum § 309). § 224 Abs. 1 Nr. 5 tritt hinter den jeweils eine konkrete Lebensgefährdung voraussetzenden §§ 225 Abs. 3 Nr. 1, 250 Abs. 2 Nr. 3b und 306b Abs. 2 Nr. 1 zurück.[97]

D. Kontrollfragen

38


1. Wie lassen sich die Begehungsweisen des § 224 Abs. 1 Nr. 1 und 2 voneinander abgrenzen? → Rn. 15 f. und 20
2. Setzt § 224 Abs. 1 Nr. 4 mittäterschaftliches Vorgehen voraus? → Rn. 29.
3. Wann liegt eine das Leben gefährdende Behandlung vor? → Rn. 31

Aufbauschema (§ 224)


1. Tatbestand a) Objektiver Tatbestand (1) Begehen einer Körperverletzung (§ 223 Abs. 1) (2) Durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen (§ 224 Abs. 1 Nr. 1) oder mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2) oder mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3) oder mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4) oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5) b) Subjektiver Tatbestand – Vorsatz
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld

Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre:

Leitentscheidungen: BGHSt 15, 113 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall I“; BGHSt 32, 130 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall II“; BGHSt 36, 1 – „Soldaten-Aids-Fall“; BGHSt 43, 346 – „Röntgenstrahlenfall“

Aufsätze: Hörnle, Die wichtigsten Änderungen des Besonderen Teils des StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts, Jura 1998, 169; Hilgendorf, Körperteile als „gefährliche Werkzeuge“, ZStW 112 (2000), 811; Hotz, Die Strafbarkeit des Verbreitens von Krankheitserregern am Beispiel der Corona-Krise, NStZ 2020, 320; Kretschmer, Die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) anhand neuer Rechtsprechung, Jura 2008, 916; Pörner, Die Infektion mit Krankheitserregern in der strafrechtlichen Fallbearbeitung, JuS 2020, 498; Rengier, Die Reform und Nicht-Reform der Körperverletzungsdelikte durch das 6. Strafrechtsreformgesetz, ZStW 111 (1999), 1; Satzger, „Giftiges“ im Strafrecht – Überlegungen zur kontextabhängigen Auslegung eines Tatbestandsmerkmals im StGB, Jura 2015, 580; Schroth, Zentrale Interpretationsprobleme des 6. Strafrechtsreformgesetzes, NJW 1998, 2861; Stam, Die Körperverletzung „mittels“ eines gefährlichen Werkzeugs – Zugleich Besprechung von BGH, Beschl. v. 4.11.2014, Az. 4 StR 200/14 (= BGH NStZ-RR 2015, 244), NStZ 2016, 713; Wengenroth, Die Verwirklichung der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen, JA 2014, 428; Wolters, Die Neufassung der Körperverletzungsdelikte, JuS 1998, 582

Übungsfallliteratur: Britz/Müller-Dietz, Examensklausur Strafrecht: Überfall auf einen Taxifahrer mit tödlichen Folgen, Jura 1997, 313; Hardtung, Gift in der Wurst – Ein Bericht über eine strafrechtliche Hausarbeit, JuS 1996, 1088; Heger, Klausur Strafrecht: „Lästige Mieter“, JA 2008, 859; Ingelfinger, Der praktische Fall – Strafrecht: Die untreuen Helfer, JuS 1998, 531; Nelles/Pöppelmann, Semesterabschlußarbeit Strafrecht: „Die Basis ist das Fundament der Grundlage“, Jura 1997, 210; Preuß, Übungsklausur: Ein folgenschwerer Gegenschlag, Jura 2019, 660; Siebrecht, Der praktische Fall – Strafrecht: Brutaler Besuch, JuS 1997, 1101

Anmerkungen

[1]

BGHSt 19, 352, 353; MüKo/Hardtung § 224 Rn. 1.

[2]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 1.

[3]

Zutreffend Satzger Jura 2015, 580, 582.

[4]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 5.

[5]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 9; Pörner JuS 2020, 498, 499.

[6]

BGH NStZ-RR 2018, 209; Satzger Jura 2015, 580, 584 f.; Pörner JuS 2020, 498, 499.

[7]

BGHSt 51, 18, 22 f.

[8]

Rengier BT II, § 14 Rn. 10; Satzger Jura 2015, 580, 584.

[9]

BGHSt 51, 18, 22; Hörnle Jura 1998, 169, 178; vgl. zum § 229 a.F. BGHSt 15, 113 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall I“; 32, 130 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall II“.

[10]

BGHSt 51, 18, 22; MüKo/Hardtung § 224 Rn. 7; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 222; Rengier ZStW 111 (1999), 1, 8; Wolters JuS 1998, 582, 583; Satzger Jura 2015, 580, 584.

 

[11]

BGH Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 31/20.

[12]

Hierzu Hotz NStZ 2020, 320, 324; Pörner JuS 2020, 498.

[13]

Satzger Jura 2015, 580, 585 (dort auch instruktives Schaubild).

[14]

Vgl. BGHSt 15, 113, 114 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall I“; s. auch BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 14 (Oxazepam-Tabletten); Beschluss vom 21. April 2009 – 4 StR 531/08; Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 StR 652/09 (jeweils zu sog. KO-Tropfen).

[15]

BGHSt 15, 113, 114 – „Salzsäure-Sehvermögen-Fall I“; BGH NStZ-RR 2018, 209.

[16]

A.A. Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 223.

[17]

Vgl. MüKo/Hardtung § 224 Rn. 10; Otto § 16 Rn. 5; Rengier ZStW 111 (1999), 1, 8 f.

[18]

Vgl. Hardtung JuS 1996, 1088, 1089.

[19]

Schlüchter BE, § 224 Rn. 5.

[20]

Vgl. Brockhaus/Wahrig S. 573; Trübner S. 266 (jeweils Stichwort: beibringen).

[21]

Vgl. Grimm 4. Band S. 731; Wahrig/Wahrig-Burfeind S. 243 (jeweils Stichwort: beibringen).

[22]

Vgl. BGH NStZ-RR 2018, 209; s. auch Pörner JuS 2020, 498, 500.

[23]

Lackner/Kühl § 224 Rn. 5.

[24]

Rengier BT II, § 14 Rn. 36; Kretschmer Jura 2008, 916, 919; a.A. Hilgendorf ZStW 112 (2000), 811.

[25]

BGHSt 22, 235, 236; a.A. LK12/Grünewald § 224 Rn. 21; Rengier BT II, § 14 Rn. 39; s. auch MüKo/Hardtung § 224 Rn. 13 ff.

[26]

BGH NStZ-RR 2012, 340.

[27]

Nelles/Pöppelmann Jura 1997, 210, 212.

[28]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 24.

[29]

Kretschmer Jura 2008, 916, 920.

[30]

S. nur BGH NStZ 2012, 697, 698; 2014, 36, 37; 2016, 115, 116; 2016, 724; 2019, 608, 610; NStZ-RR 2015, 244; Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 541/19; zu einer durch Splitter einer zerschossenen Glasscheibe verursachten Verletzung BGH NStZ 2016, 407, 408 m. Anm. Kulhanek.

[31]

BGH NStZ 2006, 572, 573.

[32]

Überzeugend hierzu MüKo/Hardtung § 224 Rn. 24; Stam NStZ 2016, 713.

[33]

S. etwa König DAR 2015, 363, 364.

[34]

BGH Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 338/08.

[35]

BGH NStZ 2002, 597, 598.

[36]

Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben § 224 Rn. 5.

[37]

BGH Urteil vom 13. Januar 2006 – 2 StR 463/05.

[38]

BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 10; BGH Urteil vom 21. Januar 2015 – 2 StR 247/14.

[39]

BGH Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 StR 158/20.

[40]

BGH NStZ 1999, 616; 2016, 670 (schwere Stiefel); Beschluss vom 13. Mai 2015 – 2 StR 488/14; Urteil vom 28. August 2019 – 5 StR 298/19; s. auch NStZ 2003, 662, 663; 2010, 151; 2017, 164 m. Anm. Kulhanek; Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06.

[41]

BGH NStZ 2002, 597.

[42]

BGH Urteil vom 16. März 2005 – 1 StR 432/04; s. aber auch NStZ 2007, 95; Urteil vom 24. Juni 2015 – 2 StR 30/15; Beschluss vom 3. Dezember 2019 – 2 StR 490/19.

[43]

BGH Beschluss vom 28. Juli 2004 – 2 StR 207/04; s. auch NStZ-RR 2011, 275, 276 zum Sprühen mit Haushaltsreiniger.

[44]

BGH NStZ 2002, 86; s. auch Urteil vom 27. Januar 2016 – 2 StR 438/15 (im Bereich des Dekolletés).

[45]

BGH NStZ 2002, 30; NStZ-RR 2017, 251, 252; a.A. OLG Köln StV 1994, 244, 246; differenzierend MüKo/Hardtung § 224 Rn. 26.

[46]

BGH Beschluss vom 20. Dezember 2006 – 1 StR 576/06.

[47]

BGH Urteil vom 19. Februar 2002 – 1 StR 546/01.

[48]

BGH NStZ-RR 2017, 312.

[49]

BGH Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11.

[50]

BGH StV 1997, 7; NStZ 2014, 213 (sog. Pumpgun).

[51]

BGHSt 4, 125, 127.

[52]

Schlüchter BE, § 224 Rn. 8.

[53]

BGH NStZ 2005, 97; 2009, 25.

[54]

Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben § 224 Rn. 10; Preuß Jura 2019, 660, 662.

[55]

BGH NStZ 2005, 97; NStZ-RR 2020, 42; Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 3 StR 386/20; LK12/Grünewald § 224 Rn. 26; Hardtung JuS 1996, 1088, 1089; Preuß Jura 2019, 660, 662.

[56]

Ähnliches Beispiel bei Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 235.

[57]

BGH Urteil vom 15. September 1998 – 5 StR 173/98; Urteil vom 19. Dezember 2018 – 2 StR 477/17; BGHR StGB § 223a Abs. 1 Hinterlist 2.

[58]

BGH NStZ 2005, 97; 2012, 698; NStZ-RR 2009, 42, 43; Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 3 StR 386/20; Preuß Jura 2019, 660, 662.

[59]

So aber BGH NStZ 2005, 40; NStZ-RR 2009, 77, 78.

[60]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 35 f.

[61]

BGHSt 63, 138, 154; BGH Urteil vom 24. März 2011 – 4 StR 670/10; s. auch NStZ 2015, 584, 585.

[62]

BGH NStZ-RR 2016, 334; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 237.

[63]

Ebenso BGHSt 47, 383, 386 f.; BGH NStZ 2015, 698; 2017, 92, 93; Schlüchter BE, § 224 Rn. 11; Hörnle Jura 1998, 169, 178; Lesch JA 1998, 474, 475; kritisch Rengier ZStW 111 (1999), 1, 9 f.; Wolters JuS 1998, 582, 584; a.A. Schroth NJW 1998, 2861.

[64]

S. nur BGH NJW 2017, 1894.

[65]

Eine restriktive Auslegung der Vorschrift befürwortet daher Schroth NJW 1998, 2861, 2862; s. auch BGHSt 47, 383, 387; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 237.

[66]

BGH NStZ 2017, 92, 93; StraFo 2015, 478.

[67]

BGH NStZ 2015, 698; NStZ-RR 2017, 339; Beschluss vom 7. August 2018 – 3 StR 74/18.

[68]

Vgl. BGHSt 36, 1, 9 – „Soldaten-Aids-Fall“; BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 7 und 8; BGH NStZ 2004, 618; NStZ-RR 2010, 176; MüKo/Hardtung § 224 Rn. 42; Siebrecht JuS 1997, 1101, 1104.

[69]

BT-Dr. 13/8587, S. 83; vgl. dazu Ingelfinger JuS 1998, 531, 536.

[70]

BGHSt 36, 1, 9 – „Soldaten-Aids-Fall“; BGH NStZ-RR 2012, 215.

[71]

BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2 Beisichführen 4; s. auch BGH NStZ-RR 2006, 11; BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 Lebensgefährdung 2.

[72]

BGH NJW 2002, 3264, 3265.

[73]

BGH NStZ 2007, 339.

[74]

BGHSt 43, 346, 356 – „Röntgenstrahlenfall“; weitere Beispiele bei Lackner/Kühl § 224 Rn. 8.

[75]

BGH Urteil vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07.

[76]

Vgl. BGH Urteil vom 11. April 2018 – 2 StR 436/17.

[77]

BGHSt 58, 140, 149 f.; BGH NStZ 2016, 670; NStZ-RR 2017, 339, 340; s. auch 2013, 342; Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 6 StR 353/20.

[78]

 

BGH NStZ 2018, 209, 210.

[79]

BGH NStZ-RR 2016, 81, 82.

[80]

BGH Beschluss vom 9. April 2014 – 5 StR 65/14.

[81]

BGH NStZ 2013, 519, 520; ausführlich StV 2017, 532, 533; s. auch Urteil vom 20. November 2013 – 2 StR 427/13 (Fuß auf Hals gesetzt).

[82]

BGH Beschluss vom 1. Juni 2011 – 2 StR 90/11.

[83]

BGH NStZ 2007, 34, 35; s. auch NStZ 2010, 276.

[84]

Wolters JuS 1998, 582, 584.

[85]

BGH Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 3 StR 386/20; a.A. MüKo/Hardtung § 224 Rn. 33 und 53: Absicht erforderlich.

[86]

BGHSt 36, 1, 15 – „Soldaten-Aids-Fall“; BGH Beschluss vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19; kritisch Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 240.

[87]

BGHSt 36, 1, 15 f. – „Soldaten-Aids-Fall“; BGH StV 1998, 536.

[88]

BGH NStZ 1997, 272; 2019, 513, 514; NStZ-RR 2017, 134, 135; s. auch Beschluss vom 23. April 2002 – 3 StR 505/01.

[89]

BGH NStZ-RR 2010, 236; Beschluss vom 7. August 2018 – 3 StR 74/18.

[90]

BGH StV 1998, 536; NStZ 2017, 219, 221 f. m. Anm. Jäger; Wengenroth JA 2014, 428, 431.

[91]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 48; SK/Wolters § 224 Rn. 24, 35.

[92]

Wengenroth JA 2014, 428.

[93]

BGH Beschluss vom 25. Juli 2007 – 2 StR 252/07 (zu den §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 226); NStZ-RR 2007, 76, 77 (zum § 227).

[94]

BGH NStZ 2014, 269 (zu § 224 Abs. 1 Nr. 4); BGHSt 53, 23, 24; BGH NStZ-RR 2009, 278; 2016, 220, 222 (jeweils zu § 224 Abs. 1 Nr. 5).

[95]

MüKo/Hardtung § 224 Rn. 59.

[96]

BGH Beschluss vom 6. April 2009 – 5 StR 94/09.

[97]

BGH NStZ 2016, 673 (zu § 225); BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 Gesetzeskonkurrenz 1 (zu § 250); BGHR StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1 Konkurrenzen 1 (zu § 306b).

Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 2. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit › § 7. Schwere Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 226, 227)

§ 7. Schwere Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 226, 227)

Inhaltsverzeichnis

A. Grundlagen

B. Tatbestände

C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch sowie Konkurrenzen

D. Kontrollfragen

A. Grundlagen

1

Die §§ 226, 227 qualifizieren die vorsätzliche Körperverletzung für den Fall zum Verbrechen (§ 12 Abs. 1), dass diese zu besonders schweren Folgen beim Opfer führt. Mit Ausnahme des § 226 Abs. 2 (vgl. Rn. 26) sind die Tatbestände als erfolgsqualifizierte Delikte ausgestaltet.[1]

B. Tatbestände


Prüfungsabfolge der Tatbestände der §§ 226 Abs. 1, 227 Abs. 1
1. Vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Körperverletzung 2. Eintritt einer schweren Folge nach den §§ 226 Abs. 1 und 227 Abs. 1(Rn. 5 ff., 10 ff., 17 ff. und 29) 3. Kausalität und Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Körperverletzung und schwerer Folge(Rn. 8, 15 und 30 ff.) 4. Wenigstens Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der schweren Folge(Rn. 26 und 38)

I. Schwere Körperverletzung (§ 226)

2

Körperverletzungen i.S. der Vorschrift sind solche, die bestimmte schwere Folgen bewirken, die die verletzte Person dauernd erheblich beeinträchtigen, also voraussichtlich nicht in absehbarer Zeit ausheilen können.[2] Ihrer Annahme steht nicht entgegen, dass das Opfer bald nach der Verletzung stirbt.[3] Sie sind in § 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 abschließend aufgeführt.[4]

1. Objektiver Tatbestand

3

Beispielsfall 3 – Verheerende Pump-Gun:

A will sich an seiner ehemaligen Freundin B rächen, weil diese sich von ihm getrennt hat. Er schießt deshalb ohne Tötungsvorsatz mit einer Pump-Gun auf die Beine der 20 Jahre alten B. Einer der Splitter der verwendeten Munition verletzt jedoch eine Niere so schwer, dass diese entfernt werden muss, ein anderer dringt in das rechte Handgelenk ein und verursacht dessen irreversible Versteifung. Im Krankenhaus wird es zudem versehentlich unterlassen, einen Splitter aus dem Unterleib zu entfernen. Dies führt dazu, dass B nicht mehr schwanger werden kann.

Strafbarkeit des A?

Lösung:

4

Ein (versuchtes) Tötungsdelikt scheidet wegen des fehlenden Vorsatzes aus. A hat B jedoch mittels einer Waffe (§ 224 Abs. 1 Nr. 2; vgl. § 6 Rn. 18 ff.) und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5; vgl. § 6 Rn. 31) am Körper verletzt. Durch die gefährliche Körperverletzung könnte er außerdem schwere Folgen gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 hervorgerufen haben.

a) Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit (§ 226 Abs. 1 Nr. 1)

5

Als Folge der Körperverletzung hat B ihre Empfängnisfähigkeit und damit die Fortpflanzungsfähigkeit (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 4. Var.)[5] eingebüßt. Dazu zählen auch die Gebär- und die Zeugungsfähigkeit.[6] Kinder können die bei ihnen noch nicht entwickelte, aber als Anlage vorhandene Fortpflanzungsfähigkeit ebenfalls verlieren.

6

Als gleichwertig sieht § 226 Abs. 1 Nr. 1 den Verlust des Sehvermögens (Fähigkeit, visuell die Umwelt wahrzunehmen) auf zumindest einem Auge,[7] des Gehörs insgesamt (Fähigkeit, artikulierte Laute wahrzunehmen) und des Sprechvermögens (Fähigkeit zu artikuliertem Reden) an.[8]

Beispiel:

Infolge eines Messerstichs des A in das rechte Auge des B verbleibt diesem nur noch eine Sehfähigkeit von 5%.

Beachte:

Die durch § 226 Abs. 1 Nr. 1 erfassten Fähigkeiten sind bereits ,,verloren“, wenn sie im Wesentlichen und dauerhaft, d.h. zumindest auf unbestimmte Zeit aufgehoben sind.[9]

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An einer dauerhaften Einbuße einer Fähigkeit kann es fehlen, wenn diese durch eine medizinische, insbesondere operative Maßnahme wiederhergestellt werden kann. Jedoch ist insoweit Zurückhaltung geboten. Nur eine Heilmaßnahme, die für das Opfer kein unzumutbares Risiko enthält, steht der Annahme des Tatbestandsmerkmals entgegen.[10]

Merke:

Der Verlust der geschützten Fähigkeiten muss schließlich unmittelbare Folge der Körperverletzung sein. Dieselbe enge Verknüpfung ist auch beim § 226 Abs. 1 Nr. 2 und 3 erforderlich.

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Dafür ist über bloße Kausalität hinaus notwendig, dass sich die im Grundtatbestand typischerweise angelegte spezifische Gefahr in der schweren Folge realisiert hat.[11] Im Beispielsfall ist dieser spezifische Gefahrzusammenhang gegeben. Zwar hat zum Verlust der Empfängnisfähigkeit die unzureichende ärztliche Behandlung beigetragen. Dieses Risiko und die schwere Folge selbst waren aber durch den Treffer in den Unterleib der B nach allgemeiner Lebenserfahrung vorgegeben.[12]

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Zwischenergebnis:

Der objektive Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 4. Var. ist erfüllt.