Mords-Zirkus

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Eine gute und eine schlechte Nachricht

„Kleinlein.“ Peter meldete sich wie immer kurz und prägnant. Immer, das heißt wie immer dann, wenn er überhaupt den Hörer abnahm. Wenn die Marga daheim war, dann wartete er mindestens den fünften Klingelton ab bevor er es wagte ran zu gehen. An diese ungeschriebene Regel hielt er sich schon allein deshalb, weil neunundneunzig Prozent aller Anrufe ohnehin für die Dame des Hauses bestimmt waren und er auf sein Melden hin stets ein „Iss die Marga wohl gornedd nedd derhamm?“ zu hören bekam. Im Moment galt diese Regel jedoch nicht. Heute war die Hausfrau den ganzen Tag nicht zuhause. Sie war schon seit dem frühen Morgen mit Gisela, der heimlichen Chefin der Metzgerei Bräunlein, in geheimer Mission im nahen Nürnberg unterwegs. Für Marga als Vollzeithausfrau stellte so ein Ausflug keinerlei Problem dar, sie konnte sich ihre Zeit nach Belieben einteilen. Für Gisela aber bedeutete das, dass zuhause in der Metzgerei die wichtigste Kraft ausfallen würde, jedenfalls soweit es den Verkauf und die Organisation des Betriebes betrifft. Der Simon ist mit Sicherheit der beste Metzgermeister im ganzen Landkreis, vielleicht sogar weit darüber hinaus, doch ihn auf die geschätzten Kunden loszulassen, das ist schon ein heikles Unterfangen, das die Gisela deshalb auch tunlichst vermied, wann immer es möglich war. Handwerklich verdiente Simon zweifellos die Note Eins mit Stern, mundwerklich dagegen rangierte er eher bei mangelhaft bis ungenügend. Es ist nicht etwa so, dass er bewusst unfreundlich gewesen wäre. Oh nein, das ist nicht das Problem. Freundlich ist er schon, halt auf seine eigene Art und Weise, eher tief im Inneren und nach außen hin nicht gleich sichtbar. Für Giselas geniale Art von Verkaufsgesprächen, bei denen sie gerne einmal die eine oder andere Neuigkeit einfließen ließ, so brühwarm wie die Wienerle und die etwas würzigeren Regensburger aus der Bräunleinschen Wursttheke, dafür hatte der Simon so gar kein rechtes Talent. Wenn er nur nicht wieder eine der sensiblen, aber kaufkräftigen Kundinnen vergraulen würde, so hoffte die Gisela inständig. Er erklärte halt gar zu gern den gemäß seiner Empfindung krachdürren, schwindsüchtigen Kundinnen und dazu zählten in seinen Augen alle, die ohne ein ausreichendes Maß an gesundem Übergewicht durch das Leben vegetierten, was eine ordentliche Portion ist. Man konnte nur hoffen, dass er sich wenigstens heute mit seinen zwar gut gemeinten, aber völlig unangebrachten Ratschlägen zurückhalten würde. Gisela hatte leider keine andere Wahl. Der Einkaufsbummel in die Großstadt war dringend nötig und alternativlos, wie die Bundeskanzlerin es so gerne formuliert, wenn sie keinen Widerspruch zulassen will. Im Falle der Bräunleinschen Regierungschefin traf diese drastische Einstufung allerdings tatsächlich zu.

Wie lange hatte die gute Maria jetzt eigentlich schon darauf hingearbeitet? Manche glauben, der Plan stand schon von der Minute an fest, da sie sich, damals in Kairo, in den Bus zu Lothar gesetzt hatte. Andere, naivere Beobachter, glaubten an eine Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit. Wie auch immer! Nun endlich würde in weniger als zwei Wochen die von den Freunden schon lange als überfällig betrachtete Hochzeit von Maria Cäcilia Leimer, Inhaberin des örtlichen Kosmetikstudios, mit ihrem Lothar stattfinden, seines Zeichens Besitzer des alteingesessenen Friseursalons Schwarm. Genau genommen handelte es sich dabei längst um ein und denselben Verschönerungstempel, denn nachdem sich die beiden auf der erwähnten abenteuerlichen Ägyptenreise kennen und lieben gelernt hatten, war die ungebundene Maria kurzerhand aus Schöikiach in der Oberpfalz zu ihrem Lothar nach Röthenbach gezogen und beide hatten in der Folge ihre geschäftlichen Aktivitäten, die sich allein schon fachlich so gut ergänzten, aus praktischen Gründen zusammengelegt.

Der heutige Einkaufsbummel der beiden Damen galt natürlich der Vorbereitung auf dieses mit Spannung erwartete Großereignisses. Ein passendes Geschenk musste ausgesucht werden. Eine Aufgabe, für deren Bewältigung man weder die jeweiligen Ehemänner noch deren unqualifizierte Ratschläge benötigte. Und dann musste man sich auch nach der richtigen, dem Anlass angemessen modischen und vor allem repräsentativen Garderobe umsehen. Vor allem hinsichtlich der finanziellen Aspekte, die es hierbei zu beachten galt, wären die vorwiegend knausrigen Herren der Schöpfung allerdings sogar eindeutig im Wege gewesen, denn Gisela ist schließlich nicht umsonst eine gelernte Fleischereifachverkäuferin durch und durch, so dass in allen Lebenslagen ihr ungeschriebenes, aber ebenso unumstößliches Credo lautet: „Derfs a bissler mehr sei?“ Nein, nein, die Männer sollten nur zuhause bleiben. Deren Auftritt würde schon noch bald genug kommen. Ein anderes Mal. Die würden doch nicht tatsächlich glauben, dass sie mit ihren in die Jahre gekommenen kombinierten Hochzeits- und Beerdigungsanzügen durchkommen würden. Nicht bei dem wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis der letzten zehn Jahre in Röthenbach. Ganz sicher nicht!

Doch zurück in die Gegenwart zu dem Anruf, der Peters Ruhe so jäh unterbrochen hatte. Nachdem er sich gemeldet hatte, hörte er am anderen Ende der Leitung zunächst nichts weiter als ein aufgeregtes und unverständliches Stimmengewirr.

„Wer iss nern dord bidde? Hallo! Hallo!“

Auf sein spürbar ungeduldiges Nachhaken hin meldete sich endlich eine aufgeregte Stimme, die er natürlich sofort erkannte, allein durch ihren Klang, auch ohne dass sich die Anruferin explizit mit ihrem Namen gemeldet hätte und trotz der am anderen Leitungsende herrschenden Verwirrung. Trotzdem fragte er reflexartig:

„Heidi, bissd ers du? Woss iss denn bei euch los? Und woss iss nern dess für a Gwerch im Hindergrund?“

In diesem Moment gab es einen dumpfen Knall. Anscheinend war der Hörer zu Boden gefallen. Nach einem aufgeregten, aber wegen fehlender Nähe zur Sprechmuschel nahezu unverständlich klingenden Ruf „Dess hod etz grod no gfehlt“ oder so ähnlich, da meldete sich eine weitere, diesmal deutlich jüngere Stimme.

„Opa, bissd as du? De Mamma is von der Loata obi gfoin und hod si sauber wos broocha.“

Es folgte anscheinend ein kurzes aber heftiges Handgemenge um die Vorherrschaft über das Telefon, das sich durch ein gelegentliches Stöhnen und dem erfolglosen Bemühen ein heftiges Schimpfen zu unterdrücken manifestierte. Letztlich meldete sich wieder Heidi, die Tochter der Kleinleins. Wie es schien hatte sie kurzfristig die Oberhoheit über die Kommunikationseinrichtungen im Hause Kellermann zurück erobert.

„Ja, Babba, dess stimmt schoo.“

Wieder dieses seltsame Gemisch aus Bayerisch und vereinzelten fränkischen Resten.

„Der Hund hat die Leiter umgschmissn und ich bin auf den Bodn gfalln und jetzt muass i ins Kranknhaus. Ich konn ned lang redn. Die woin losfahrn. Horch Babba, könnt ihr euch so lang um den Basti kümmern, der Markus is in Indien auf Gschäftsreise und ich hob sonst koan.“

„Na horch amal Kind, dess iss doch ka Fraach nedd, mier kummer sofford. Dou brauchsd der kanne Sorng machen. Glei setz mer uns ins Audo und fohrn los. In zwaa Schdund simmer dou.“

„Und reech di nedd auf, Madler“, rief er noch hinterher, aber sie hatte bereits aufgelegt.

Das mit dem “wir kommen“ war natürlich eine völlig falsche Formulierung, eine leere Versprechung, nur der Routine geschuldet, auch wenn es ihm im diesem Moment gar nicht bewusst war, denn niemand konnte vorausahnen wann die Marga von ihrem Einkaufsbummel wieder zurück sein würde. Gottseidank hatten die Damen das Auto nicht mitgenommen. Heute hatten sie, auch weil sie aufgrund der zu erwartenden Menge an Päckchen und Tüten natürlich nicht mit der S-Bahn fahren konnten, den geräumigen Mercedes der Bräunleins vorgezogen. Peter kritzelte noch rasch einen entsprechenden Hinweis auf einen Zettel und deponierte diesen auf dem Küchentisch, wo ihn die Marga sicher nicht übersehen konnte. Dann schnappte er sich im Flur den Autoschlüssel und trabte eilig zur Garage, nicht ohne zuvor noch schnell sein Handy einzustecken.

Er neigte zwar dazu es immer wieder zuhause zu vergessen, obwohl er seiner Marga, die überzeugt war, dass das meist sogar absichtlich geschah, schon zum x-ten Mal geschworen hatte, es stets mitzunehmen, wenn er das Haus verließ. Erst Recht nach seinem überraschenden Infarkt im vergangenen Jahr. Dieses Mal konnte er sich einen solchen Fauxpas einfach nicht erlauben. Angesichts der auf dem Esstisch hinterlassenen alarmierenden Nachricht würde sie sich sowieso fürchterlich aufregen und ohne die Möglichkeit ihn zu erreichen würde die Lage schnell eskalieren. Das durfte er ihr natürlich nicht zumuten. Wenige Zeit später bog er bereits auf die Münchner Autobahn ein. Nicht nur sein nervös auf dem Gaspedal wippender Fuß gab deutliche Hinweise auf eine extreme Unruhe. In gut zwei Stunden würde er hoffentlich mehr wissen.

Je näher er seinem Ziel kam, umso mehr Sorgen machte er sich. Die Heidi hatte zwar gesagt, dass sie ins Krankenhaus muss. Aber in welches? Das hatte er in der Aufregung glatt vergessen zu fragen. Und was war mit dem Buben? War der mit dabei oder hatte sie ihn allein zuhause gelassen? Wenn er mitgefahren sein sollte, wie sollte er anschließend wieder heim kommen, wenn wie zu befürchten war, seine Mutter doch einige Zeit in der Klinik bleiben musste? Der Junge war immerhin erst zwölf Jahre alt. Fast hätte Peter einen Motorradfahrer über den Haufen gefahren, so sehr lenkten ihn seine Überlegungen vom Straßenverkehr ab. Der Mann hatte gerade noch eine Vollbremsung hingelegt und winkte noch immer drohend mit dem Zeigefinger. Dann zeigte er Peter sogar den Vogel. O jeh! Er musste sich zusammenreißen. Es durfte nicht noch ein Unglück geschehen. Das Kind war jetzt schließlich ganz auf die Hilfe seiner Großeltern angewiesen.

 

Er beschloss, erst einmal zu Heidis und Markus‘ Haus zu fahren. Sollte der Bastian zuhause sein, dann wäre diese Vorgehensweise sowieso das Beste, wenn nicht, dann wussten vielleicht die Nachbarn Näheres. Sicherlich waren die Sanitäter mit Blaulicht und Sirene vorgefahren. Da wäre es doch nur zu verständlich, wenn die Nachbarschaft interessiert Anteil genommen hätte.

Noch drei Minuten Fahrzeit zeigte das Navi an. Eine Errungenschaft, die sich die Kleinleins, nach einigen Irrfahrten in der jüngeren Vergangenheit, nun doch endlich zugelegt hatten. Gleich würde er um die Ecke biegen, von der aus man das Einfamilienhaus der Kellermanns schon sehen konnte.

Dess iss doch ka Beinbruch

Er drückte ungeduldig auf die Klingel am Gartentor, dann, nachdem er die kleine Ewigkeit von zehn Sekunden gewartet hatte, noch dreimal, aber niemand kam um ihn einzulassen. Also gut, dann Plan B. Er wandte sich gerade nach links, um bei den nächsten Nachbarn Erkundigungen einzuziehen, als ihn eine weibliche Stimme vom Haus gegenüber anrief.

„San sie der Herr Kleinlein aus Nüanberg?“

Eine Dame um die Fünfzig kam über den gepflasterten Gartenweg in Richtung Straße auf ihn zu.

„D‘ Frau Kellermann hod ma scho gsagd, dass ihra Vadder boi kimmt, wegan Buam. Oba, sie hobn ja goa koa Nüanberga Nummer neda, drum hoobis a ned glei kennt, dass sie der Opa san.“

Peter lächelte freundlich.

„Ja, mir wohner aa nedd direggd in Nürnberch. Mer sachd ner hald bloß immer Nürnberch, wall Rödnbach, dou wo mir dadsächlich herkumma, die Leit erschd amal nedd vill sachd. Und bevor mers hundertmal erglärd. Wissns, Rödnbachs gibbds bei uns in Franggn wäi Sand am Meer. Abber nach Nürnberch hommers daadsächlich nedd weid.“

Nachdem der Höflichkeit Genüge getan war, kam Peter endlich auf den Kern seines Anliegens zu sprechen.

„Wissen sie vielleichd Näheres drüber, woss mid meiner Dochder bassierd iss und vor allem, woss midn Basdi iss. Ob er mid ins Granggnhaus gfahrn iss odder wo er sonsd sei könnd?“

„Jo feili woas is des. Aber kemmern doch erschd amoi einer. Da Bua is so lang bei uns. Mir homma denkd es war besser, wanner ned mitfahrt. Helfa konna der Muatter etz sowieso neda, oiso is besser, wanner dahoam bleibt, des hoasd natürlich bei uns. An Hund hätt er jo eh ned ins Krankahaus mitnehma derfa.“

Also der Basti war einstweilen bei den Nachbarn untergekommen. Schön, dass die Leute so bereitwillig zusammenhelfen, wenn Not am Mann ist. Peter bedankte sich auch entsprechend wort- und gestenreich bei der hilfreichen Dame und fragte schließlich, wo der Junge denn jetzt sei. Im Garten, hinter dem Haus würde er mit dem Jennerwein spielen, war die Antwort der netten Nachbarin, der Frau Stadler, wie sich im Verlauf des Gesprächs herausstellte.

„Midn Jennerwein, aha.“

Man sah ihm deutlich an, dass er keine Ahnung hatte, wovon die Frau Stadler sprach. Der berühmte Wildschütz Jennerwein würde es ja kaum sein. Der lag ja schon seit mehr als hundert Jahren in Schliersee, seinem Heimatort im kühlen Grabe und wartete, wie das Volkslied zu berichten weiß, auf den jüngsten Tag, an dem er uns den feigen Jäger zeigen wollte, der ihn von hint‘ so feig derschossen hat.

„Na der Jennerwein hoid, der Hund vom Basti“.

„Ja ner freili, der Hund. An den hobbi etz fei gar nedd glei denkd. Mer iss ja scho ganz durchanander vor lauder Aufregung. Also mier hodds an gscheidn Schreggn verseddsd, wäi die Heidi angrufn hodd“ und falls es noch einer weiteren Erklärung bedurft hatte, dass er wirklich etwas neben der Spur ging, fügte Peter völlig unnötig noch hinzu: „Die Heidi, dess is mei Dochder, die Frau Kellermann.“

Der Basti wurde geholt und stand nun, abgekämpft und zerzaust vom wilden Spiel mit dem Hund und sichtlich noch aufgeregt von dem zuvor hautnah miterlebten Unfall seiner Mama mit hochrotem Kopf vor seinem Großvater. Das letzte Mal, als die Kleinleins ihre Kinder besucht hatten war der Bastian gerade zu einer Skifreizeit mit der Schule unterwegs und so hatten sich die beiden über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Die folgende Bemerkung Peters war deshalb zwar unvermeidlich, deshalb aber nicht weniger peinlich. Er hätte es aber schon wissen müssen, denn noch nie war diese Standardfloskel bei einem der Adressaten jemals begeistert aufgenommen worden.

„Allmächd Basdi, du bisd abber grouß worn seid ich dich äs letzde Mal geseeng hobb. Du bisd doch mindesdns an halbn Meder gewachsn.“

Auch der Basti machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Am Zucken seiner Mundwinkel war deutlich abzulesen, dass ihn die Anspielung auf seine tatsächlich mittlerweile eher lange, aber extrem schlanke Gestalt nicht gerade froh stimmte. Spargeltarzan hatten sie ihn in der Schule letzthin genannt. Wenigstens machte der Opa nicht auch noch eine unpassende Bemerkung über seine dadurch noch viel auffälliger abstehenden Segelfliegerohren derentwegen er von den Kameraden oft genug gehänselt wurde. Auch der Peter hatte gemerkt, dass seine Begrüßung nicht gerade optimal ausgefallen war und beendete die kurzfristig entstandene unbeholfene Situation mit einer herzlichen Umarmung und der unleugbaren Erkenntnis:

„Bisd hald doch a echder Gleinlein. Wenni mi rechd erinner, dann war ich in dein Alder ganz genau aso. Also, ich frei mi fei gscheid, dassd etz amal wenigsdns für a boar Wochn zu uns kummsd, aa wenn der Anlass nedd grod a angenehmer iss. Die Oma wass nu garnix, dee iss heid in der Schdadd beim Eikaufn. Dee werd villeichd Augn machen, wenn mier zwaa daher kommer.“

„Drei“, war die trockene Antwort Bastis auf den Überfall. „Der Jennerwein is aa no do, ohne den gäh i need weg.“

„Ach der Hund, ja ner freilich, der kummd nadürlich aa mid. Denn kämmer doch nedd ganz alaans lassn. Wassd woss Basdi, etz fahr mer erschd amal zur Mamma ins Granggnhaus und dann entscheid mer, wäis weider gehd. Woss mer alles eibaggn müssn und so weider. Villeichd derf der Jennerwein derweil noch bei der Frau Stadler bleim bis mer widderkommer und deine Sachn abholn. Ich denk ins Granggnhaus derf er kaum mid nei.“

Die Frau Stadler lächelte freundlich und stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu worauf Peter sich höflich bedankte. Auch Bastian, der mit ihr sehr vertraut schien, stattete ihr artig seinen Dank ab, dafür, dass er einstweilen bei ihr hatte bleiben dürfen und für das Eis, das er von ihr bekommen hatte. Ein sehr lieber Junge, freute sich sein Opa. Und Manieren hat der Bou, wäi a ausgwachsner Dibblomaad. Hald doch a richdicher Gleinlein.

Der Besuch im Krankenhaus gestaltete sich etwas schwieriger als man zunächst annehmen sollte. Wohin war die Heidi denn eigentlich gebracht worden? München ist bekanntermaßen eine Millionenstadt und die Auswahl an infrage kommenden Kliniken dementsprechend groß. Die Nachbarin wusste in dieser Hinsicht auch nicht Bescheid. Dass es ein Krankenwagen der Malteser war, der sie abgeholt hatte, half hier auch nicht wirklich weiter. Bis der Basti, ein echtes Kind seiner Generation, eine Idee hatte.

„Do ruaf mer hoid einfach amoi bei deene Sani an. Dee weans dann scho wissn, wo‘s hie gfahrn san.“

Ja, natürlich. Er hatte absolut Recht. Als Peter schon über die Straße und auf die Gartentür der Kellermanns zueilte, da zupfte ihn sein Enkel kopfschüttelnd am Arm.

„Opa, du hosd wohl gor koa Handy ned?“

Wieder hatte er Recht. Warum nicht das Handy benutzen. Aber woher sollte Peter die Nummer der Malteser wissen. Er stand daher einige Zeit unschlüssig herum, bis erneut der Junge mitleidig mit dem Kopf schüttelte.

„Du Opa, mit dem Internet, do hosd as du need aso, oder?“ Schon hatte er sein glänzendes Smartphone aus der Hosentasche gezogen und eine entsprechende Recherche angestoßen. Man muss ja nicht alles auswendig wissen. Es reicht doch wenn Google es weiß. Und so hatte Peter innerhalb kürzester Zeit eine Verbindung mit der Notrufzentrale der Malteser hergestellt. Ja, eine Frau Kellermann habe man befördert, vorläufig habe man sie in die nächstgelegene Unfallchirurgie nach Ottobrunn gebracht. Ob sie noch dort sei, wisse man natürlich nicht. Das käme ganz auf die genaue Diagnose an.

Das reichte den Beiden, um sich unverzüglich auf den Weg machen zu können. Ottobrunn, das ist nicht weit, nur ein paar Kilometer. Der Basti wusste auch den Weg dorthin und so ging es recht flott voran. In weniger als einer halben Stunde standen sie schon in der Notaufnahme des Krankenhauses. Die sichtlich gestresste Dame am Empfang erkundigte sich nach dem Namen, nicht ohne zu fragen „Und wer san sie. San sie verwandt mit der Frau Kellermann?“ Peter kam gar nicht dazu die Verhältnisse zu klären, da war der Basti auch schon vorgeprescht und hatte der Dame entrüstet erklärt: „Dees is mei Mamma und dees do is der Opa, oiso ned vo der Mamma, aber vo mir.“

Das entlockte der sonst so korrekten Schwester dann doch ein freundliches Lächeln und sie sah auf ihrem Monitor sofort nach, wohin man Heidi Kellermann denn gebracht hatte.

„Das ist jetzt gar nicht so einfach“, ließ sich daraufhin vernehmen, „die Frau Kellermann ist im Moment noch im Röntgenbereich, denn es ist nicht sicher, dass es mit dem Schlüsselbeinbruch getan ist. Es besteht schon noch ein Verdacht, dass die Schulter einen weiteren Schaden davon getragen hat. Sie werden sich deshalb noch ein Weilchen gedulden müssen, vielleicht weiß man nach der Untersuchung ja schon mehr.“

Aus dem Weilchen wurde eine ganze Weile. Und auch diese wuchs von Minute zu Minute weiter an bis sie auch diese Bezeichnung nicht mehr verdiente. Es verging eine Stunde und noch eine halbe bis die Dame am Empfang endlich ein Zeichen machte. Die beiden Herren Kleinlein und Kellermann schnauften unisono tief aus. Endlich. Die Patientin wäre jetzt auf ein Krankenzimmer gebracht worden und man könne kurz mit ihr sprechen. Kurz, denn noch sei mit der eigentlichen Behandlung nicht begonnen worden, doch die Ärzte könnten jeden Augenblick wieder kommen. Die nette Dame konnte ihnen gerade noch die Zimmernummer geben und den Weg dorthin schildern, da waren die zwei auch schon unterwegs. Man konnte unmöglich sagen, wer von den Beiden mehr aufgeregt war.

Bastis Mama hatte offensichtlich mit unangenehmen Schmerzen zu kämpfen. Als ihre beiden Männer eintraten huschte jedoch trotz allem ein erfreutes Lächeln über ihr Gesicht. Sie war sichtlich gerührt darüber, dass ihr Vater angesichts der Krise so schnell herbei geeilt war und noch mehr wegen der Sorge, die sich auf den zerknirschten Gesichtszügen Bastis deutlich abzeichnete. Schließlich war es sein Hund gewesen, der, wenn auch unabsichtlich, den Unfall verursacht hatte. Dennoch oder gerade deshalb fühlte der sich verpflichtet seinen vierbeinigen Freund zu verteidigen.

„Mama, dees woit der Jennerwein ganz bestimmt ned, dass du von der Loata foist. Es war ja no bloß wega dera bleeden Katz. Wos hod nacha dee in unsern Wohnzimma zum suacha?“

„Nix, gar nix“, pflichtete ihm sein Großvater bei, „aber etz iss erschd amal wichdich, wie‘s mid der Mama weidergehd. Woss sachdn der Doggder Heidi?“

„Naja, dass dess Schlüsslbein brochn is, dess war ja sofort klar. Aber aufm Röntgenbild habns auch noch an leichtn Einriss am Schulterblatt festgstellt. Des dauert länger. Ganz genau wissns des erst, wenn ein CRT oder MRT oder woss woas i gemacht is. Auf jedn Fall kann der Basti ned so lang aloa dahoam bleibn. Bitte Papa, konn er dawei zu euch nach Rödnbach mitkomma. Es san ja glücklicherweis Ferien, da verpasst er ja nix. Mei, a so a Mordszirkus!“

Natürlich konnte er. Das war ohnehin Peters Plan gewesen, schon von dem Moment an, als er von dem Unfall erfahren hatte. Was für eine gute Gelegenheit, seinen Enkel einmal besser kennen zu lernen als bei den kurzen Besuchen der Kellermanns in Röthenbach oder umgekehrt. Dass es dazu erst einer schweren Verletzung der Heidi bedurfte hatte war sehr bedauerlich und eigentlich ein Armutszeugnis. Aber so ist es halt. Gute Vorsätze gibt es immer, aber im Alltag kommt halt immer etwas dazwischen. Aber das würde ab sofort anders werden. Ganz bestimmt.

Es gab noch eine Menge Details zu besprechen, was für den Basti eingepackt werden musste und wo es zu finden wäre. Das Spielzeug für den Hund, die zerschlissene Decke auf der er so gerne sein Schläfchen hält, Anweisung für die Futterzubereitung und so vieles mehr. Die dringend benötigten Toilettenartikel für Heidi, die in der Eile ja nichts mitnehmen konnte, sollte ihre beste Freundin vorbeibringen, was Peter auch ganz Recht war, denn es wäre ihm nicht wirklich angenehm gewesen in den Unterwäscheschüben seiner Tochter herumzuwühlen. Zudem hätte er als Mann wahrscheinlich sowieso nur das Falsche mitgebracht. Und die beiden Frauen hatten ohnehin schon telefonisch das Wichtigste besprochen. Als Peter und Basti sich schließlich verabschiedeten, da flossen reichlich Tränen, sowohl bei dem tapfer dagegen ankämpfenden Jungen, als auch bei seiner Mutter. Peter konnte sich gerade noch beherrschen, seine krächzende Stimme verriet ihn aber dennoch.

 

Es wurde schon dunkel als die Beiden sich endlich auf dem Weg nach Röthenbach befanden. Der Jennerwein, der gottseidank sehr gerne Auto fährt, lag dösend auf dem Rücksitz, das heißt auf dem Teil, der nicht von Reisetaschen und Koffern belegt war. Der Basti war ebenfalls hundemüde, jedoch von dem Erlebten noch so aufgekratzt, dass er nicht einschlafen konnte und Peter musste natürlich ohnehin wachsam sein, denn es lagen noch fast zweihundert Kilometer vor ihnen.