Berühmte Frauen der Weltgeschichte

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Eine so natürlich veranlagte Frau wie Liselotte ist am Hofe von Versailles eine ungewohnte Erscheinung. Aber es fehlt ihr auch jedes Geschick, sich durch die hundertmal verschlungenen Wege dieses Hoflebens hindurchzuwinden. Zwar haben sie und ihr Gemahl einen eigenen kleinen Hof für sich, eigentlich aber leben sie am Hofe Ludwigs XIV., nach dessen Befehlen und Wünschen, Lebensgewohnheiten und Launen sie sich zu richten haben. So führen sie ihr Dasein zwischen Versailles und Saint-Germain. Kaum zwei Monate im Jahre sind sie wirklich frei und dürfen sich auf ihre eigenen Schlösser entweder nach Saint-Cloud oder nach dem Palais-Royal oder Villers-Cotterets zurückziehen.





5. Intrigen



Allmählich wird Liselotte sehender. Ihre offene, ehrliche Natur und die nicht immer gewählten Ausdrücke beginnen bereits Missfallen in der Hofgesellschaft zu erregen. Unter dem Glanze und dem Reichtum an Ludwigs Hofe sieht sie viel Schmutz und Widriges, vorläufig nur äusserlich, aber sie hält mit ihrer Kritik nicht zurück. Paris besonders missfällt ihr, weil es schmutzig und unordentlich ist. In den Schlössern des Königs widert sie die Ungeniertheit an, mit der sich die Herren auf den Gängen und Treppen des Louvre und des Palais-Royal benehmen. Liselotte schildert diese Zustände in ihrer realistischen Weise, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.



Oft bedient sich Liselotte so kraftvoller Ausdrücke, dass sogar der gütige König, der gern aus ihrem Munde einen derben Scherz entgegennimmt, betroffen ist und es sie fühlen lässt, wie wenig hoffähig sie sich benommen habe; denn Ludwig XIV. hält streng auf Formen. Aber auch er, der Sonnenkönig, vermag unserer Liselotte in dieser Beziehung nicht zu imponieren und sie nicht zu «polieren», wie sie selbst zugesteht. Oft lässt sie sich in ihren Reden sogar in den Gemächern des Königs so gehen, dass der fromme Dauphin bei seinem Vater Beschwerde einreicht, die Herzogin von Orléans bediene sich mit Vorliebe in ihren Unterhaltungen unanständiger Ausdrücke, wie sie nur das gemeine Volk auf der Strasse gebrauche. Dafür wird ihr offiziell vom König bisweilen ein «derber Filz» erteilt. Er schickt dann ihren Beichtvater zu ihr und lässt der massiven Liselotte ins Gewissen reden. Dann bewahrt sie wohl einige Tage Stillschweigen oder hält ihre lockere Zunge etwas mehr im Zaume, aber es dauert nicht lange und sie ergeht sich von neuem in so kräftigen Ausdrücken, die selbst im Heidelberger Schloss bei Karl Ludwig nicht hoffähig gewesen wären.



Das galante Treiben am Hofe berührt sie zu dieser Zeit eigentlich wenig. Sowohl einer La Vallière als einer Montespan und allen kleineren Mätressen lässt sie die Herrschaft, eben als unvermeidliche Beigabe eines grossen Hofes, der von einem sinnlichen und prachtliebenden König geleitet wird. Ihrer Meinung nach haben Fürsten das Recht, sich Mätressen zu halten. Merkwürdigerweise kommt auch eigentlich nie ein direktes Bedauern mit der Königin über ihre Lippen. Halb vergessen fristet diese stille Frau in ihren Gemächern von Versailles ihr Dasein, um das sie keine Bürgersfrau beneidet. Aber Liselotte sieht in all diesem nur Selbstverständliches, solange ihr eigenes Blut nicht mit dem «Mausdreck» vermischt zu werden droht. Denn auf das Ansehen ihrer Abkunft und ihrer Würde hält sie streng.



Vom französischen Adel hält sie nicht viel, weil alle die Herzöge, Fürsten, Grafen und Barone erst vom König dazu gemacht werden, während bei ihr, in ihrer Heimat, die Herzöge «von Gottes Gnaden» seien und sie ihren Adel ihrem Vater und ihrer Mutter verdanken! Insofern wären die französischen Herzöge nicht mit den deutschen zu vergleichen, meint sie. Ueberaus stolz aber ist sie auf ihres Vaters Pfalzgrafentum. «So ein lumpener Duc will einem Pfalzgrafen den Rang streitig machen?», ruft sie einmal im Innersten empört aus. «Wirkliche Grösse haben nur die deutschen Fürsten; denn sie haben keine Bürger zu Verwandten und dienen nicht.»



So nahm sie also auch an den französischen Hof ihren deutschen Adelsstolz mit und hat es sich nicht einfallen lassen, zu denken, dass sie etwa aus geringerem Geschlechte gewesen wäre wie die Bourbon und Orléans. So wie sie selbst ist, erzieht sie auch ihre Kinder. Die erste Gattin «Monsieurs», Henriette von Orléans, hat zwei Töchter hinterlassen, denen Liselotte eine zweite Mutter sein muss. Die älteste, Marie-Louise, ist neun Jahre alt, die zweite, Anna-Maria, ein Baby von zwei Jahren. Für beide sorgt die junge Liselotte mit Liebe, als wären es ihre eigenen Kinder.



Im Jahre 1673 wird sie selbst Mutter. Es ist ein Knabe, Alexander Ludwig, der jedoch, kaum dreijährig, wieder stirbt. Da sie nicht das geringste Vertrauen zu der französischen medizinischen Wissenschaft hat, ist sie natürlich fest überzeugt, ihr Söhnchen sei das Opfer unwissender Pariser Aerzte geworden, die ebensowenig verständen, wie die Erzieher und Gouvernanten der Franzosen. Als dieses Kind stirbt, ist sie untröstlich. Sie meint, vor Traurigkeit selbst sterben zu müssen. Glücklicherweise hat sie noch einen Sohn, den kleinen Herzog von Chartres. Er kam am 4. August 1674 in Saint-Cloud zur Welt und wurde der spätere, allzu berühmte und berüchtigte «Regent» von Frankreich.



Zwei Jahre später kann Liselotte ihren alten Freunden und der Tante Sophie noch die Geburt eines Töchterchens melden, dem sie ihren eigenen Namen Elisabeth Charlotte gibt. Zwar erfüllt sie gerade die Ankunft dieses Kindes mit grosser Freude, aber das Kinderkriegen im allgemeinen ist eigentlich nicht nach ihrem Geschmack. Es kommt ihr, dem «rauschenplattenen Knecht», sehr «spanisch» vor, dass sie während der Zeit ihrer Schwangerschaft nicht laufen und springen kann, wie sie es gewohnt ist. Nicht einmal in «der Kutschen» darf sie fahren, sondern muss immer in einer Chaise getragen werden. Das gefällt Liselotte durchaus nicht, die gern zwei Stunden am Tage marschiert. «Ja, wenn es wenigstens bald getan wäre», meint sie, «so wäre es noch eine Sach'; aber dass es so neun Monate fortwähren muss, das ist ein trübseliger Zustand.» Und so ist sie recht froh, dass nach diesem dritten Kinde keines mehr kommen wird; denn «Monsieur» hat gleich nach dieser Geburt getrennte Schlafzimmer angeordnet.



Und doch ist sie damals, als sie ihre Tochter gebar, durchaus nicht unglücklich mit dem Herzog gewesen. Denn sie meldet der Frau von Harling die Geburt des Kindes mit den Worten: «Nun ist eine Liselotte mehr auf der Welt. Gott gäbe, dass sie nicht unglücklicher als ich sein möge, so wird sie sich wenig zu beklagen haben.»



Trotz aller Gegensätze, die Liselotte von ihrem Manne trennen, entdeckt sie doch auch an ihm gute Seiten. Er «ist der beste Mensch», aber leider geht er in der wüsten Gesellschaft seiner Günstlinge unter, die nichts als Gelage und hohes Spiel kennen. Liselotte weiss es und möchte wenigstens ihre beiden Kinder vor diesem verderblichen Einfluss bewahren. Dieser Kampf ist der schwerste in ihrem Leben. Aber er soll erst beginnen. Vorläufig sind die Kinder noch klein und noch nicht in den Händen der Erzieher, die der Herzog von Orléans aus der Mitte seiner Günstlinge wählt.



Eine eitle Mutter ist Liselotte überdies nicht. Von dem kleinen Prinzesschen schreibt sie an Sophie: «Sie hat eine hübsche Haut, aber alle Traits sein hässlich, eine hässliche Nas, ein gross Maul, die Augen gezogen und ein platt Gesicht ...» Und als die kleine Liselotte älter wird, erkennt sie in ihr sich selbst wieder. «Ist wohl eine dolle Hummel als ich vor diesem war ... Ich darf mich nicht so sehr mit ihr familiarisieren; denn sie fürcht keinen Seelenmenschen auf der Welt als mich, und ohne mich kann man nicht mit ihr zurecht kommen. Sie fragt gar nichts nach Monsieur. Wenn er sie ausfilzen will und ich nicht dabei bin, lacht sie ihm ins Gesicht ...» Am stolzesten aber ist die Mutter, dass auch diese zweite Liselotte «das Maul auf dem rechten Fleck» hat und jederzeit Rede und Antwort stehen kann.



Ueber ihren Sohn spricht Liselotte mit der grössten Offenheit und Ehrlichkeit. Leider geriet er in der Folge nicht nach ihrem Geschmack. Sie hatte geglaubt, dass er bei all seinen herrlichen Anlagen und Talenten nicht so sehr dem verdorbenen Leben des Versailler Hofes verfallen werde, wie es später tatsächlich geschah. Trotz allem lässt sie ihm in jeder Beziehung Gerechtigkeit widerfahren und erkennt vor allem seinen guten Charakter und die ausserordentlichen Fähigkeiten an, mit denen er in der Tat begabt ist. Aeusserlich gefällt ihr der kleine Herzog von Chartres, der, wie sein Vater, Philipp getauft wurde, besser als die Tochter, aber sie findet, dass er weder dem Vater noch der Mutter ähnlich sieht. Auch bei ihm schätzt sie besonders die Schlagfertigkeit und Geschicklichkeit in der Rede, und sein grosser Eifer, alles zu lernen und zu wissen, gefällt ihr. Beide Kinder liebt Liselotte zärtlich. Sie beschäftigt sich mit ihnen wie eine bürgerliche Mutter. Sie schont auch die Rute nicht; denn ihr Grundsatz ist jederzeit: Liebe gepaart mit Strenge! «Als mein Sohn klein war», schreibt sie noch im Jahre 1710 an die Raugräfin Luise, «habe ich ihn niemals gemaulschellt, aber ich habe ihn so derb mit der Rute geschlagen, dass er sich noch heute daran erinnert. Die Maulschellen sind gefährlich, sie können Verwirrungen im Kopfe hervorrufen ...»



Sowohl der Sohn als die Tochter fürchteten die strenge Hand der Mutter. Liselotte fackelte nicht lange. Wenn sich die Kinder nicht fügen wollten, gab es, wie im kleinsten Bürgerhaus, Schläge. Aber sie verstand es ebensogut, sich ihre Zuneigung zu erwerben; denn beide blieben ihr stets in grosser Liebe zugetan.



Heftig ist der Kampf um die Erziehung dieser Kinder, und es ist ein schönes Kapitel in dem Leben der Herzogin von Orléans, mit welcher Energie und Ausdauer sie diesen Kampf durchführte, um aus ihnen rechte und brauchbare Menschen zu machen. Wie eine Löwin ihre Jungen verteidigt sie sie gegen den verderblichen Einfluss der Günstlinge Monsieurs. Weder Drohungen noch Anklagen beim König vermögen sie davon abzuhalten, sich die Rechte der Mutter zu wahren. Besonders haben es die Günstlinge auf den Sohn abgesehen. Man versucht es auf die denkbar verworfenste Weise, ihn ins Lager seines Vaters zu ziehen. Der Herzog von Orléans ist selbst am meisten darauf bedacht, seinen Sohn so früh wie möglich in die Neigungen einzuweihen, denen er selbst frönt. Und da hat Liselotte harte Kämpfe zu bestehen, besonders im Jahre 1689, als der Erzieher des jungen Prinzen, der Marquis de Sillery, seinen Abschied nimmt. Monsieur will ihn sofort durch eine seiner Kreaturen ersetzt wissen. Da aber stellt sich die Mutter energisch entgegen. Ihren Sohn diesem ausschweifenden, aller Moral entbehrenden Manne übergeben, hiesse ihn dem Verderben weihen! Hier zeigt Liselotte ihren harten Willen. Es hilft Monsieur nichts, zu toben und zu drohen; sie gibt nicht nach. Und so verfliessen sechs Monate im heftigsten Widerstreit der Meinungen, bis die besorgte Mutter ihre Zuflucht zum König selbst nimmt. Sie weiss, dass Ludwig, wenn er erst ihre Bedenken hört und prüft, ihr auch in dieser Beziehung beistehen wird. Und in der Tat: er verspricht seiner Schwägerin, selbst die Wahl eines Erziehers für seinen Neffen treffen zu wollen. Wenige Tage später erhält der junge Herzog von Chartres den Marquis d'Arcy als Gouverneur, einen Mann voll Ernst und Würde und fleckenlosem Rufe. Liselotte kann nun ruhig sein: Die Erziehung ihres Sohnes liegt in guten Händen.

 



Um so unverständlicher ist es, dass sie bei der Wahl des zweiten Lehrers nicht hellblickender war und vollkommen mit den Ansichten der beiden Günstlinge ihres Mannes übereinstimmte. Denn sie lässt es geschehen, dass der Abbé Dubois, der allerdings zu jener Zeit noch eine recht unbedeutende Persönlichkeit ist, die Unterrichtsstunden ihres Sohnes leitet.



So grossen Einfluss die Günstlinge auf Monsieur haben, so wenig lässt er sich von seiner Frau beraten. Liselotte versagt man jeden Einfluss, selbst in der eigenen Familie. Aber trotz allem gelingt es ihr, sich wenigstens die Liebe ihrer Kinder zu erhalten. Ihr Sohn bewies ihr stets die grösste Achtung und Ehrerbietung, und es gelang weder herrschsüchtigen Frauen, die ihn später in grosser Anzahl umgaben, noch intriganten Männern, ihn mit seiner Mutter zu entzweien.



Man sieht gar bald ein, dass es vergebene Liebesmühe sei, Mutter und Kinder auseinanderzubringen, und so versucht man es mit den beiden Gatten, deren Band nicht so fest geknüpft ist. Zu diesem Zwecke muss der Herzog von Orléans überzeugt werden, dass seine Frau ihn hintergeht! Aber es ist schwer, gegen die gar nicht kokette Liselotte irgend etwas in dieser Hinsicht vorzubringen. Man kann ihr nicht die kleinste Heimlichkeit, nicht den leisesten Augenaufschlag gegen einen Mann vorwerfen. Schliesslich gelingt es aber doch der würdigen Clique des Chevaliers de Lorraine, des Marquis d'Effiat und der Madame de Grancey, die Herzogin von Orléans in den Augen Monsieurs als leichtsinnige Frau zu verdächtigen. Diese Anklage ist jedoch so absurd, dass kein Mensch und am allerwenigsten Monsieur daran glaubt. Niemand hält die derbe, wahrheitsliebende, grundehrliche und etwas massive Liselotte einer Untreue für fähig. Man war ihr entweder sehr zugetan, wegen ihrer grossen Herzensgüte und ihres unverwüstlichen Humors, oder man fürchtete sie wegen der unumwundenen Wahrheiten, die sie in Versailles oder Saint-Germain jedem sagte, an dem sie etwas auszusetzen hatte. Aber einer Niederträchtigkeit oder Schlechtigkeit hielt man sie für unfähig. Ausserdem war sie nicht der Typ der leichtsinnigen Frau. Ludwig XIV. war von Liselottes Unschuld vollkommen überzeugt. Zu jener Zeit sah er nur die anziehenden Eigenschaften seiner jungen Schwägerin. Er, als guter Frauenkenner, wusste am besten, dass ein solches Gerücht vollkommen aus der Luft gegriffen war. Frauen wie Liselotte eigneten sich nicht zur Geliebten. Sie konnte nur Frau und Mutter sein. Jeden Tag bewies ihr der König mehr seine Achtung, gleichsam, als wollte er damit der Welt zeigen, wie unantastbar sie in jeder Beziehung sei. Nie ging er vorüber, ohne das Wort an sie zu richten, und jeden Sonnabend liess er sie rufen, damit sie an dem berühmten Mitternachtsmahl der Madame de Montespan teilnähme. Das war eine Auszeichnung, die nur wenigen zuteil wurde, und Liselotte wusste sie zu schätzen. Vor ihr verschwand der Monarch, und nur der ritterliche Mann trat in Erscheinung. Es schmeichelte sie, wenn es hiess: «Der König begibt sich nach Fontainebleau, weil Madame es wünscht.» Und dieses «Madame wünscht es», erstaunt bald niemand mehr. Man findet die Herzogin charmant, trotz ihrer ungeheuren Perücke, die ihr meist schief auf dem Kopfe sitzt, trotz ihres von der Jagd und von Spazierritten dunkelgebräunten Gesichts und trotz ihrer beinahe männlichen Kleidung.



Der Herzog von Orléans liess sich gleichfalls durch die Verleumdungen, die man über seine Frau ausstreute, nicht beeinflussen. Er fuhr fort, sich als angenehmer Lebensgefährte zu erweisen, soweit es sich eben nicht um die Erziehung der Kinder handelte. Im Juli 1678, nach siebenjähriger Ehe noch, schreibt Liselotte an die Tante Sophie: «Was Euer Liebden Idee anlangt, dass, wenn ich Monsieur habe, ich nichts weiter auf Erden verlange, so ist es wahr, dass ich sehr gern mit ihm bin.» – Sie langweilt sich ohne ihn und weiss nichts anzufangen, besonders wenn auch noch der König abwesend ist. «Die Zeit wird mir so lang», seufzt sie und ist über die Massen vergnügt, wenn beide wieder da sind.



Diese Aussprüche zeugen allerdings nicht davon, dass die Herzogin von Orléans eine unglückliche Frau an der Seite eines Mannes war, der so wenig wie Philipp geeignet schien, eine Frau glücklich zu machen. Aber für Liselotte hat er eben doch manche Eigenschaften, die ihr angenehm sind und ganz ihrem Sinn entsprechen. Jeder anderen Frau wären gerade die weiblichen Neigungen an dem Herzog unangenehm gewesen; Liselotte findet hingegen in ihrem Gatten Talente ergänzt, die sie nicht im geringsten besitzt. So liebt sie es gar nicht, sich mit ihren Kleidern zu beschäftigen. Es ist für sie geradezu eine Qual, stundenlang mit den Schneiderinnen und Modistinnen beschäftigt zu sein und vor dem Spiegel Hüte und Kleider zu probieren. Monsieur hingegen bereiten diese Dinge um so mehr Vergnügen. Er kann sich ganze Tage lang mit der Wahl eines Kleides, eines Schmuckes, eines Bandes beschäftigen und behandelt die Modefragen als die wichtigsten seines Lebens, eingehender wie Staatsangelegenheiten. Da Liselotte nichts von all dem versteht und auch nichts verstehen will, sucht Monsieur ihre Kleider aus.



Auch als Krankenpfleger ist Philipp unermüdlich. Das hat er ihr bereits im Jahre 1672 bei einem vorübergehenden Unwohlsein bewiesen. Als aber die Herzogin im Jahre 1675 ernstlich an einem heftigen Fieber erkrankte und wirklich zwischen Leben und Tod schwebte, da zeigte sich Monsieur über alle Begriffe besorgt. Er wich nicht von ihrer Seite, reichte ihr selbst die vorgeschriebene Medizin, rückte ihr die Kissen zurecht und wachte über ihren Fieberschlaf. Die Kurfürstin von Hannover liess sich täglich aus Paris über den Zustand ihrer geliebten Nichte berichten, und Monsieur entledigte sich auch dieser Aufgabe aufs genaueste.



Die Zeit rückte indes näher, da aus der fröhlichen Pfälzer Liselotte eine misstrauische, verbitterte, traurige und einsame Frau wurde. Es waren jedoch nicht nur die Intrigen und Kabalen der Umgebung ihres Mannes, die dazu beitrugen, ihr das Leben unerträglich und unerfreulich zu machen. In ihrem Innern gab es schwere Konflikte zwischen der wahrhaft verehrenden Freundschaft, die sie dem König entgegenbrachte, und der kindlichen Anhänglichkeit an ihren geliebten Vater und an die Pfalz. Obwohl Liselotte weit entfernt war, sich jemals in Politik zu mischen, so sah sie doch mit Schmerzen, wie wenig ihre Heirat, die doch nur aus Staatsgründen geschlossen worden war, dazu beigetragen hatte, das Schicksal ihres Landes und des Kurfürsten, ihres Vaters, zu verbessern. Es geschah nichts, aber auch gar nichts, was diese Hoffnungen nur im geringsten bestätigt hätte. Am meisten betrübte es Liselotte, dass ihr Vater glaubte, es läge allein an ihr, und sie wolle sich in dieser Hinsicht keinerlei Einfluss auf den König verschaffen. Die Herzogin von Orléans war aber weder dazu geschaffen, eine politische Rolle zu spielen, noch hätte Ludwig XIV. sich von ihr beeinflussen lassen, trotz aller seiner Freundschaft. Es ist bekannt, wie rücksichtslos der französische König in politischen Dingen vorging. Und verwandtschaftliche Rücksichten und Privilegien kannte er erst recht nicht. Der Kurfürst von der Pfalz wurde, obwohl er der Schwiegervater Monsieurs war, doch nicht anders in den Räten von Saint-Germain behandelt, als ein anderer beliebiger deutscher Fürst, und der Frieden von Nimwegen im Jahre 1678/1679 hatte geradezu traurige Folgen für die deutschen Grenzländer, die Pfalz nicht ausgeschlossen. Karl Ludwig wurde das beklagenswerte Opfer der «Chambres de Réunion» (Metzer Reunionskammern) des französischen Königs. Ludwig XIV. bemächtigte sich seiner Staaten, die ehemals als «Dependenzen» des Bistums Metz figuriert hatten, ohne irgendwelche Bedenken. Französische Truppen besetzten die Pfalz, die zerstückelt und zerrissen wurde wie ein Stück Papier. Die französischen Agenten befreiten ohne Recht die Pfälzer von dem Eide, den sie ihrem Landesherrn geleistet hatten, und liessen sie einen neuen auf den fremden Gebieter schwören. Es wurden hohe Kontributionen auferlegt, die das an sich nicht reiche Volk bezahlen musste. Zwei der Kommissare Ludwigs XIV. liessen sich im Schloss Heidelberg nieder und benahmen sich dort als unerträgliche Gäste. Sie betranken sich mit dem Weine des Kurfürsten und wurden schliesslich so unverschämt, dass Karl Ludwig, den Schicksalsschläge, Alter und der Tod der Raugräfin griesgrämig und verbittert gemacht hatte, froh war, wenn er infolge seiner angegriffenen Gesundheit einen Vorwand fand, einmal allein in seinem Zimmer zu speisen. Er und seine Schwester, die Kurfürstin von Hannover, waren ausser sich, dass Liselotte in Paris beim König gar nichts vermochte, das Schicksal des Kurfürsten zu erleichtern.



Liselotte hatte indes doch ihr möglichstes getan, um ihrem Vater ein besseres Los zu verschaffen. Immerhin war es herzlich wenig, was sie beim König erreichte. Und dieses Wenige wurde meist am nächsten Tage durch eine neue freche Forderung aufgehoben. Karl Ludwig war ohnmächtig, sich zu widersetzen. Er vermochte weiter nichts zu tun, als die bittersten Klageschriften zu schreiben. Allmählich zog Reue in sein Herz ein, dass er Liselotte zum Opfer gebracht hatte, ohne dass diese Heirat ihm Nutzen und Vorteile bot. Kummer und Sorge darüber füllten sein Leben aus. Am 26. August 1680 trafen ihn drei Schlaganfälle, die ihn für kurze Zeit der Sprache beraubten. Einige Tage später starb er.



Liselottes Schmerz über diesen Verlust war gross und echt. Sie hatte ihren Vater in kindlicher Verehrung geliebt und ausser ihrer Tante Sophie niemand auf der Welt, dem sie ein so felsenfestes Vertrauen entgegenbrachte wie ihm. Dass sie vielleicht die indirekte Ursache des Todes ihres Vaters sein könnte, stimmte sie unendlich traurig. Mit feinem Taktgefühl hatte sie zu seinen Lebzeiten alles in ihren Briefen vermieden, was ihn hätte auf den Gedanken bringen können, sie fühle sich unglücklich in Frankreich. Ihr war es indes klar, dass der Kummer, den Ludwig XIV. und seine Minister ihrem Vater verursachten, viel zu seinem raschen Ende beigetragen hatte. Nun er nicht mehr lebte, benutzte sie gleich die ersten Stunden, um der Tante Sophie ihr übervolles Herz auszuschütten.



Es ist das erstemal, seitdem Liselotte in Frankreich weilte, dass eine solche Verlassenheit und Bitterkeit aus ihren Briefen spricht. Sie will und kann ihre Umgebung von der Schuld am Tode ihres Vaters nicht freisprechen. Sie fühlt sich dadurch einsam und elend. Glücklicherweise wurde ihr der Trost, von der Tante zu erfahren, dass Karl Ludwig in seinen letzten Lebensjahren keinen Groll gegen sie hegte, weil sie so wenig Einfluss hinsichtlich seiner Angelegenheiten bei Ludwig XIV. gehabt hatte.



Es waren bittere und traurige Erfahrungen, die Liselotte aus ihrer politischen Heirat zog, die ihr aber eigentlich erst nach des Vaters Ende richtig zum Bewusstsein kamen. Und doch erholte sie sich nach einiger Zeit wieder von ihrem Kummer, wenigstens äusserlich. Ihre Fröhlichkeit kehrte wieder; sie konnte wieder lachen. Aber zwei Monate lang war sie von einer tiefen Traurigkeit befangen gewesen, dass sie alle Lebensfreude verloren hatte und sich wegwünschte von dieser Welt, die ihr nur Leid bescherte. Sie ist so froh, den König wenigstens etwas von seiner grossen Schuld entlasten zu können.

 



Sie erkannte indes schon damals, was heute die gerechte Geschichtsforschung bestätigt: Der Hauptschuldige an diesem furchtbaren Morden und Brennen in der Pfalz war Louvois. Liselottes Schmerz über die Zerstörung ihrer geliebten Pfalz ist unbeschreiblich. Am traurigsten für sie war der Gedanke, dass alles in ihrem Namen geschah, und dass ihre Landsleute glauben mussten, sie, die Tochter Karl Ludwigs, sei mit diesen Greueltaten einverstanden! Die Vorstellung der entsetzlichen Mordbrennereien in der Heimat verscheucht den Schlaf von ihrem Lager. Angst, Aufregung, Zorn, Trauer und Schmerz wühlen in ihrem Innern. Wenn sie einschlummern wollte, sah sie ihr geliebtes Heidelberg, die Stätte ihrer jugendlichen Freuden, in Flammen aufgehen. Und sie, die ihren Heidelbergern so gerne geholfen hätte, konnte zur Milderung ihrer Leiden nicht das geringste beitragen. Tränen und Bitten hatten weder den König noch Louvois erweichen können. In ihrer grossen Bedrängnis schickte die Heidelberger Bürgerschaft einen der Ihrigen mit einer Bittschrift an die Pfälzer Liselotte, die im Schlosse von Versailles selber in heller Verzweiflung über all das Elend die Hände rang. Sie vermochte nichts. In der Nacht vom 4. Dezember 1688 hatte sie eine lange Unterredung mit diesem Abgesandten, der sie schon als Kind gekannt hatte. Aber es nützte nichts, dass sie Johann Weingarts herzerschütternde Vorstellungen dem König unterbreitete. Es wurde weiter geraubt und gemordet in Heidelberg. Louvois entschuldigte sein grausames Vorgehen zynisch damit, dass die Soldaten und die Völker leben müssten, worauf Liselotte mit ihm in heftigen Wortwechsel geriet und ihm ohne ein Wort des Abschiedes in grenzenloser Verachtung den Rücken kehrte. Auch der Dauphin musste ohne ein Abschiedswort von ihr ins Feld ziehen.



An sich selbst denkt Liselotte nicht. Ihre Rechte an die Pfalz sind für sie in den Hintergrund getreten. Nur reine Menschlichkeit spricht aus ihren leidvollen Briefen. Am liebsten möchte sie sterben, nur um nicht länger die Schande und die Greueltaten mit zu erleben, die ihrem Vaterlande angetan werden. Und dazu verlangte man in Paris von ihr, dass sie nicht als Pfälzerin, sondern als Französin dachte und empfand, dass sie mit den Franzosen patriotisch fühlte. Der Schmerz darüber brach ihr bald das Herz. Er wurzelte in ihrer tiefen Liebe zur Heimat. Von jedem politischen Empfinden war sie frei, denn sie verstand nichts oder nur sehr wenig von Politik. Das Vorgehen des Königs gegen die arme Pfalz betrachtet sie als eine persönliche Beleidigung, weil sie Pfälzerin und die Tochter des Kurfürsten von der Pfalz ist. Ihre Tränen sind persönlicher, nicht politischer Art. «Halte es vor ein grosses Lob, wenn man sagt, dass ich ein teutsch Herz habe und mein Vaterland liebe. Dieses Lob werde ich ob Gott will suchen bis an mein Ende!»



Die Verwüstung der Heimat blieb nicht der einzige Schmerz Liselottes. Es kam anderes Leid in ihr Leben, unverschuldetes und selbstverschuldetes. Ihre Tränen sollten von nun an nie mehr ganz versiegen. Es gab Ränke und Intrigen, denen sie nicht mehr gewachsen war, denen sogar ihre Tugend zur Beute wurde. Als man nichts an ihr finden konnte, das des Klatsches und der Verleumdung wert gewesen wäre, stellte man ernstlich ihre Freundschaft zum König in ein zweifelhaftes Licht. Die meisten indes lächelten darüber, dass Madame mit der immer schiefen Perücke, dem kupferroten Gesicht und ihren mehr männlichen als weiblichen Gewohnheiten zärtliche Gefühle für ihren schönen und ritterlichen Schwager hegen könne. Und doch war Liselottes Freundschaft zu Ludwig XIV. nicht ganz frei von einem mit Liebe verwandten Gefühl, nur war sie es sich selbst nicht bewusst. Sie litt entsetzlich darunter, wenn er einmal nicht ganz so freundlich zu ihr war wie sonst. Ist er krank, so geht sie mit bekümmerter und sorgenvoller Miene umher, und das Leben erscheint ihr freudlos. Sobald er sich aber wieder wohler fühlt und vielleicht gar seine erste Besuchsstunde ihr widmet, strahlt Madames Gesicht in heller Freude. Ihre Briefe sind voll des Lobes, ehe er die Pfalz mit seinen Truppen aufsuchte, und auch noch nachher versucht sie, trotz ihres unendlichen Schmerzes, immer wieder einen Grund zu finden, ihn von den Verbrechen freizusprechen, deren er sich schuldig gemacht hat. Wenn er sie wegen ihrer oft gar zu freien Reden «ausfilzt», ist sie traurig und fühlt sich in den Schatten gestellt, besonders seit Madame de Maintenon des Königs Herz gewonnen. Ihr grenzenloser Hass gegen diese Frau, in der sie die Quelle alles ihres späteren Unglücks erblickt, die furchtbare Erbitterung, die sie gegen sie hegt, sind der beste Beweis für die Gefühle, die

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