Janas Entscheidung

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Janas Entscheidung
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Gerhard Wolff

Janas Entscheidung

Reihe Realo

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Unklare Verhältnisse

Verdrängung

Zorn

Verhandlung

Depression

Zustimmung

Neuanfang

Impressum neobooks

Unklare Verhältnisse

1

„Tolle Party!“, meinte Freddie zu Maximilian, den aber alle Birdie nannten, denn man wusste von ihm, dass es sein Traum war, dass er frei wie ein Vogel sein wollte.

„Ja, wirklich tolle Fete!“, schloss sich Charlie, ein anderer Freund Birdies Freddies Meinung an. „So, wie man es eben von euch gewohnt ist!“

Birdie nickte zufrieden. „Das Leben ist kurz!“, rief er laut aus. „Deswegen lasst es uns in jedem Augenblick auskosten!“

Er hob sein Glas, das mit Sekt gefüllt war, und leerte es in einem Zug. Seine beiden Freunde taten es ihm gleich.

„Schade, dass du nur einmal im Jahr Geburtstag hast!“, rief Freddie bewundernd. „Die Stimmung bei euren Feten ist irgendwie immer besser, als sonst wo! Kann ich mir gar nicht erklären!“

„Ich mir schon!“, brüllte Charlie laut lachend los. „Ich glaube, das liegt daran, dass es hiervon genug gibt!“ Er zeigte auf sein Sektglas, das er inzwischen wieder gefüllt hatte und trank es in einem Zug aus.

Die drei kannten sich seit der Grundschule und seit dieser Zeit waren sie unzertrennlich, waren zusammen aufgewachsen und hatten schon viel miteinander erlebt.

Freddie sah ihm zu und musste ebenfalls lachen. „Mag sein, dass du Recht hast. Jedenfalls schade, dass du nur einmal im Jahr Geburtstag hast, das ist sicher!“

„Ich glaube, ihr kommt schon nicht zu kurz!“, bemerkte Birdie lallend. „Meine Geburtstagsfete ist ja nicht die einzige Fete, die ich schmeiße.“ Er begann die Feiern chronologisch nach dem Jahresverlauf an seinen Fingern aufzuzählen. „Es geht los mit meiner Geburtstagsparty im Pauluar …!“

„Herzlichen Glückwunsch!“, schrie Charlie und stürzte das nächste Glas Sekt hinunter.

„Es folgt eine Faschingsparty, dann feiern wir eine Frühlingsfete, vergesst nicht unser Sommerfest im Garten, schließlich Halloween und Sylvester!“

„Und Janas Geburtstag, du hast Janas Geburtstag im November vergessen!“

„Ach ja, die auch noch, an die hab ich gar nicht mehr gedacht!“, meinte Birdie.

„Da kommt sie grade!“, bemerkte Freddie. „Wenn man vom Teufel spricht!“

„Ein Hoch auf die Hausherrin!“, rief Charlie einer wunderschönen Blondine mit langen Beinen zu, die gerade an ihnen, beladen mit einem Tablett voller russischer Eier auf dem Weg zum Buffet an ihnen vorbeikam.

„Ja, ein Hoch auf Jana, die bezauberndste aller Gastgeberinnen!“, stimmte nun Freddie zu.

Jana, Birdies Freundin, sah die drei mit strahlenden Lachen an, Birdie langte vom Sofa aus, wo die drei saßen, nach ihr, um sie zu packen, sie wich ihm elegant wie eine Slalomläuferin aus, besorgt um die Speisen und um den Zustand ihres Freundes und seiner Kumpels wissend. Jana bahnte sich ihren Weg weiter zum Buffet, hinter dem Sofa vorbei, schlängelte sich am Rande der Fläche, die sie in ihrem Wohnzimmer zum Tanzen freigeräumt hatten und auf der sich ihre Freunde drängelten, bis hin zum Buffet. Sie zog mit der einen Hand ein leeres Tablett weg und schob mit der anderen das gefüllte auf den Tisch. Sie blieb kurz stehen und kontrollierte sowohl die noch vorhandenen Speisen und Getränke. „Fehlt schon wieder einiges an Getränken!“, stellte sie fest. „Na ja, bei der Stimmung, die hier herrscht, ist klar, dass da schon einiges weggetrunken wurde. Sie sah zu Birdie hinüber und begriff, dass mit dem heute nicht mehr viel anzufangen war.

Sie dachte kurz nach, was sie als nächstes tun sollte und beobachtete dabei die Lage. Das Wohnzimmer war voller lachender, tanzender, feiernder Menschen.

Birdie hatte seine besten Freunde geladen, ebenso seine Sportkameraden, er spielte Fußball und Tennis, die Gäste tanzten, saßen auf ihrer Sitzecke oder einfach auf dem Boden, einige saßen an ihrer Essecke, sogar in der Küche hatten sich niedergelassen.

Für einen Augenblick wurde ihr schwindelig vom Lärm der Musik und den Unterhaltungen, vom Durcheinander der tanzenden und sich bewegenden Menschen. „Das muss der Alkohol sein!“, versuchte sie sich ihre Schwäche zu erklären. „Ich sollte nichts mehr trinken!“ Da fiel ihr Blick wieder auf die Getränke. Sie checkte, was fehlte. Dann zwängte sie sich an den Gästen vorbei in den Keller und holte Nachschub.

2

„Neidisch?“, fragte Paul vorsichtig und trat von hinten zu Claudia, die am Fenster stand und hinaussah in die Nacht. Er legte vorsichtig seine Hände an ihre Hüften und zog sie an seinen Körper zu sich heran. Er wusste, dass sie nicht einfach in die Dunkelheit starrte, sondern genau das Treiben in den hell beleuchteten Räumen des gegenüberliegenden Reihenhauses beobachtete.

Sie sah ihn lächelnd an. „Nicht die Bohne!“, meinte sie leise.

„Bestimmt nicht?“

„Bestimmt nicht!“

Sie lehnte sich genüsslich an ihn und schloss die Augen.

Er küsste sie auf ihre Wange, sie drehte sich herum, nahm ihn ganz fest in die Arme und küsste ihn lange und fest auf den Mund.

Dann lächelten sie sich an.

Dann wandte sie sich wieder dem Geschehen gegenüber zu und beobachtete neugierig, was geschah.

Dort, im Nachbarhaus, wohnten Birdie und Jana und veranstalteten wieder einer ihrer inzwischen schon berühmten Partys. Die Straße vor ihrem Haus war erhellt von den Lichtern aus ihren Wohnräumen und vom Lärm der Musik.

„Dir entgeht aber einiges, was man so bei denen sieht!“, begann er wieder.

„Nichts Wichtiges!“

„Und du hast noch nicht viele solcher Partys erlebt!“

Sie hatten jung geheiratet.

„Nein, da hast du Recht! Da habe ich eigentlich noch nicht viel vom Leben gehabt!“, meinte sie nachdenklich.

Er sah sie besorgt an. „Also doch! Dachte ich es mir doch. Du vermisst etwas in unserem Leben!“, antwortete er besorgt.

Sie schüttelte den Kopf. „Dummkopf!“, meinte sie. „Nichts vermisse ich, gar nichts. Für nichts in der Welt möchte ich mit Jana tauschen, glaub mir!“

Er sah sie skeptisch an. „Bist du sicher?“

„Ich habe hier alles, was ich wollte!“, versicherte sie ihm. „Ich habe einen wunderbaren Mann, der sehr aufmerksam zu mir ist und mir ein schönes Leben bietet …!“

„Das vor allem aus Kochen, Putzen und Waschen besteht!“

„… und aus Kindergroßziehen, nicht vergessen!“

„Und aus Kindergroßziehen!“

Sie lächelte. „Ich habe zwei wunderbare Kinder, die ich über alles liebe und ich habe ein wunderschönes Heim. Und das ist es, was ich wollte. Und nicht jeden zweiten Abend diesen Lärm und dieses Geschrei, das dort drüben stattfindet!“

„Bist du dir da ganz sicher?“

„Ganz sicher!“

Er atmete auf.

„Aber es ist schön, genau zu beobachten, was da drüben geschieht!“, schmunzelte sie und wandte sich wieder dem Geschehen auf der anderen Seite der Straße zu.

„Das ist wahr!“, stimmte er zu. „Aber eigentlich steht mir der Sinn nach etwas Anderem!“

„Später, später, später, mein Lieber!“, kicherte sie plötzlich. „Jetzt bin ich erst Mal so richtig neugierig. Denn interessant ist das schon, was da abgeht!“

Damit lugten sie beide wieder zum Fenster hinaus.

3

„Schade, dass du nicht auf unserer Party warst, Claudia. Es war toll und ich hätte mich wirklich gefreut, wenn ihr auch mal dabei gewesen wärt!“, meinte Jana ehrlich. Sie mochte Claudia seit sie in das Reihenhaus gegenüber ihrem gezogen war, ein paar Gespräche über den Gartenzaun, einige Einladungen zum Tee und sie waren echte Freundinnen geworden.

„Ja, ich wäre gerne dabei gewesen. Aber die Kinder, du weißt ja, wir können sie nicht allein lassen!“, antwortete sie höflich.

„Zu dumm, dass eure Eltern nicht hier wohnen und mal auf die Kinder aufpassen können! Aber es gibt doch auch Babysitter!“, überlegte Jana.

Claudia wand sich. „Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich da kein richtiges Vertrauen zu so einem Babysitter. Sind doch wildfremde Menschen. Man liest auch so viel. Nein, meine Kinder möchte ich keinen wildfremden Menschen anvertrauen!“

Jana lachte. „Na, leidest du da nicht ein bisschen unter Verfolgungswahn. Die meisten Babysitter leisten bestimmt gute Arbeit und sind vertrauenswürdig. Sonst stünde darüber doch sofort etwas in der Zeitung, wenn das nicht so wäre!“

Claudia nickte. „Wahrscheinlich hast du Recht!“

„Bestimmt!“ Jana nickte. „Beim nächsten Mal nehmt ihr euch einen Babysitter und dann könnt ihr mitfeiern!“

Jana sah sie nachdenklich an. „Ich, ich weiß dass das blöd ist und komisch klingt, aber ich möchte meine Kinder nicht einem wildfremden Menschen anvertrauen. Ich glaube, dabei bleibt es. Sie sind mir einfach zu wichtig!“

 

Die beiden sahen sich eine Weile schweigend an.

„Na, na jedenfalls war es sehr lustig und hat uns allen riesig Spaß gemacht. Die Stimmung war umwerfend!“

„Ich weiß!“

„Woher willst du denn das wissen? Du warst doch gar nicht dabei?“, sah Jana Claudia fragend an.

„Ich stand hinter dem Vorhang und habe in euer Haus gespitzt!“, gestand Claudia. „Da ging ja wirklich die Post ab!“

Jana war baff. „Hast du also sozusagen gegafft!“, lachte sie und nahm Claudia in den Arm. „Also wärst du doch gerne dabei gewesen!“

Claudia nickte. „Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen. Aber es war mir dann doch nicht so viel wert, dass ich dafür meine Kinder allein oder bei einem wildfremden Menschen gelassen hätte. Das wollte ich damit sagen, sonst nichts!“

Jana sah sie nachdenklich an. „Na ja, irgendwann wird es schon mal klappen!“, lachte sie. „Spätestens, wenn die Kinder groß oder aus dem Haus sind!“

Auch Claudia lachte.

Damit verabschiedeten sie sich.

4

„Ja, der Grand Canyon, der ist wirklich grandios, da habt ihr vollkommen Recht!“, schwärmte Birdie und sah verträumt zur Decke. „Und erst die durchsichtige Aussichtsweg, der Viewers Point, der Skywalk. Da kommst du dir wirklich vor, als ob du im Himmel spazieren gehst. Wenn du da nach unten guckst, da wird es dir ganz anders!“

„Ich hab mich gar nicht drauf getraut!“, gestand Jana und machte eine ängstliche Miene.

„Ja, du, du bist ja auch ein Angsthase!“, kommentierte Birdie.

„Ja, das bin ich wohl!“

„Es gibt ganz verschiedene Ängste!“, meinte Anne, die mit ihrem Freund Georg zum Urlaubsfotoabend bei Birdie und Jana eingeladen waren. „Jeder Mensch hat vor etwas Anderem Angst, niemand ist ohne Angst!“

„Da spricht wohl die Psychologin aus dir!“, grinste Birdie frech.

Birdie und Jana hatten sich im Sommerurlaub einen ihrer Träume erfüllt, einen dreiwöchigen USA-Urlaub mit der Harley und hatten eine Tour von Los Angeles über die Nationalparks nach San Francisco gemacht. Nun zeigten sie voller Stolz im Wohnzimmer ihre Fotos am Beamer.

„Toll, einfach toll!“ kommentierte Georg. „Von so einer Tour, gerade mit der Harley, träume ich auch schon lange. You get your kicks on …!“

„…Route sixty-six!“, sprach Birdie zusammen mit Georg den Satz fertig.

Sie lachten, nahmen die Sektgläser vom Tisch und stießen an.

„Jedenfalls wäre es toll, wenn ihr uns dann einige Insidertipps bei der Planung geben könntet. Hotelauswahl und so!“

„Aber immer doch!“, versprach Birdie. „Jana hebt ja alles gewissenhaft auf, auch das, was man nie mehr braucht!“ Er grinste überheblich.

Jana verzog etwas beleidigt die Miene, schwieg aber dazu.

Sie unterhielten sich weiter über verschiedene Dinge, tranken Sekt, griffen zu den Nachos, die Jana hingestellt hatte.

„Und, was habt ihr für den nächsten Sommerurlaub geplant?“, wollte schließlich Anne wissen, um Interesse zu zeigen.

„Tja, haben wir uns was ganz Besonderes vorgenommen!“, schmunzelte Birdie und sah geheimnisvoll in die Runde.

„Nun rück schon raus mit der Sprache!“, bat Georg schließlich.

Birdie druckste gespielt herum. „Tja, tja, was ganz Besonderes, das kann ich euch verraten!“

„Schieß schon los!“, bat nun auch Anne.

„Natürlich wieder mit dem Bike durch das ganze Land!“, verriet Birdie vorsichtig.

„Ist ja schon mal gut!“, urteilte Georg.

„Können wir nicht einfach mal wohin und dort an einem Ort in einem schönen Hotel bleiben. Wandern und Strand, relaxen und so. Ich habe die weiten Strecken satt!“, brummte Jana.

„Relaxen kannst du, wenn du tot bist!“, winkte Birdie ab. „Nein!“, verriet er nun. „Wir wollen vier Wochen mit der Harley durch Australien cruisen. Da ist dort Winter und nicht ganz so heiß!“

„Klasse!“, rief Georg begeistert aus.

„Na, das ist aber dann wahrscheinlich schon eine verdammt lange Strecke!“, überlegte Anne.

„Mindestens 6000 Kilometer!“, wusste Birdie. „Na, wenn schon!“

„Mir tut jetzt schon der Po weh!“, knurrte Jana.

„Mir wäre das auch zu weit!“, gab ihr Anne Recht.

„Quatsch, wenn man erst mal sitzt, dann fährt man und fährt man und fährt man!“, schätzte Georg die Sache ein

„Vielleicht sollten ja wir beide fahren und unsere Mädchen zuhause lassen!“, schlug Birdie vor.

„Klasse Idee!“, kommentierte Georg. „Wir cruisen durch Australien und die Mädchen sollen so lange sie wollen an irgendeinem Strand versauern!“

„Vielen Dank!“, meinte Anne ärgerlich. „Wollt ihr uns loshaben?“

„Neeeeiiiinnn!“, raunten Georg und Birdie.

„Aber drüber nachdenken sollten wir vielleicht schon mal! Vielleicht wäre das mal für alle das Beste!“, überlegte Birdie.

„Vielleicht habt ihr Recht!“, meinte nun auch Anne. „Vielleicht sollten wir mal drüber nachdenken!“

„Schaut, die da drüben haben nicht solche Luxusprobleme!“ Jana zeigte über die Straße, wo Claudia und Paul gerade mit ihren Kindern heimkamen. „Die waren in diesem Jahr gar nicht in Urlaub. Die Kinder sind am liebsten zuhause, brauchen ihre vertraute Umgebung. Na ja, und mit dem Kindern und dem Hauskauf, da haben die es auch nicht so dicke im Moment, denke ich!“

„Grauenhaft, wie die festgebunden sind!“, kommentierte Birdie leise. „Das wäre nichts für mich. Sowas macht mir fast Angst!“

„Tja, wie ich schon vorhin sagte: So ist das mit den Ängsten“, meinte Anne. „Jeder hat eben andere!“

Da sahen sie sie alle nachdenklich an.

5

„Ach bitte, Claudia, sag doch nicht schon wieder nein!“, flehte Jana, nahm ihre Freundin am Arm und drehte sie zu sich. Sie sah ihr mit freundlich bittendem Gesicht in die Augen. „Du kannst doch nicht jedes Mal eine Einladung zu uns ausschlagen. Das ist doch schon unhöflich!“, grinste sie.

Jana und Claudia waren ebenso, wie ihre Männer alte Freunde. Sie kannten sich schon von der Schule, waren zusammen in gemeinsamen Cliquen, waren nun Nachbarn, hatten sich aber in den letzten Jahren voneinander entfernt. Jana und Birdie waren ständig unterwegs, während Paul und Claudia durch die Kinder mehr und mehr ans Haus gebunden waren.

„Sei nicht böse!“, meinte Claudia. „Ich will dich wirklich nicht beleidigen. Du warst eine meiner besten Freundinnen und du bist es noch. Es geht halt nicht so einfach für mich, wegen der Kinder, du weißt ja!“ Claudia sah Jana vorsichtig an und hoffte auf Verständnis und Vergebung.

Aber die gab sich damit nicht zufrieden und hatte beschlossen, nicht locker zu lassen. „Denk doch auch mal an dich, Claudia! Gönn dir doch auch mal was. Gönn Paul auch mal was! Denkt er genauso, wie du? Oder bedauert er es, noch so jung zu sein und durch die Kinder auf so vieles verzichten zu müssen und ständig ans Haus gebunden zu sein!“

„Der denkt genauso, wie ich!“, beeilte sich Claudia schnell zu sagen, aber sie fühlte, wie sie sich nicht so ganz sicher war.

„Sicher? Irrst du dich auch nicht?“, fragte Jana auch sofort nach.

„Ganz sicher!“, konterte Claudia, wurde aber zusehends nachdenklicher.

„Vermutest du das oder weißt du es?“

„Ich weiß es!“

„Habt ihr darüber gesprochen? Hast du ihn gefragt?“

Ihr wurde bewusst, dass eigentlich immer nur er nach ihrer Befindlichkeit gefragt hatte, aber nie sie nach seiner. „Ja!“, log sie.

„Und er sieht das so wie du?“

„Ja!“

Jana überlegte. „Und du hast auch auf die Zwischentöne gelauscht?“

„Zwischentöne?“

„Na ja, ob er es auch meint?“

Jetzt wurde es Claudia zu viel. „Ja, verdammt noch Mal. Wir haben es besprochen und wir sind einer Meinung und ich habe auch auf die Zwischentöne gelauscht und ich kann nicht kommen, weil ich bei den Kindern sein muss!“

Jana schwieg kurz, weil sie Claudia nicht ärgern wollte. Dann versuchte sie es noch Mal. „Das ihr nicht auf eure Eltern zählen könnt, ist schade. Aber doch noch mal über einen Babysitter nach!“

Claudia sah sie empört an. „Ich überlasse meine Kinder nicht wildfremden Menschen! Dabei bleibt es!“

„Babyphones?“

„Und wenn die Technik versagt. Oder wenn ein Einbrecher kommt?“

„Ach, das ist doch alles lächerlich!“, meinte Jana jetzt. „Du wirst doch mal deine Kleinen ein paar Stunden allein lassen können. Es sind doch nur Kinder!“

Claudia sah sie an, als ob sie von einem anderen Stern sei. „Das, das verstehst du nicht, weil du keine Kinder hast! Du weißt gar nicht, wovon du sprichst!“

Das saß. Obwohl Jana keine Kinder wollte, schmerzte es sie doch, wenn sie darauf angesprochen wurde.

Claudia merkte es. „Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen!“

„Schon gut!“, meinte Jana scheinbar gleichgültig. „Wir brauchen also nicht für euch planen. Ich weiß Bescheid.“

„Sei bitte nicht beleidigt!“, meinte Claudia schnell und hielt Jana am Arm fest. „Es ist ganz besonders lieb von dir, von euch, uns immer und immer wieder einzuladen. Und ich sehe ja auch, dass ihr von uns immer und immer wieder vor den Kopf gestoßen werdet.“

„Das kannst du wohl laut sagen!“, brummte Jana.

„Ich glaube, ich glaube, es ist einfach so, dass ich mir aus euren Partys, ich meine aus Partys überhaupt nichts mache. Nein, ich glaube, ich sehe einfach keinen Sinn in dem Leben, das ihr führt!“ Sie erschrak über ihre eigenen Worte und sah ängstlich zu Jana, um zu sehen, wie sie ihre Offenheit aufnehmen würde.

„Keinen Sinn?“ Jana sah sie verwirrt an. „Aber es geht nur um Partys. Es geht doch nicht um einen Sinn!“

„Das sehe ich anders.“ Claudia sah an Jana vorbei ins Leere und dachte laut nach. „Ich glaube, hinter allem steckt ein Sinn. Alles hat Sinn, nur eben für jeden etwas Anderes!“

Jana schwieg kurz nachdenklich. „Und was macht für dich Sinn, Claudia?“

Claudia lachte ein bisschen verlegen. „Nichts Besonderes, Jana. Ich wage es kaum zu sagen.“

„Raus mit der Sprache!“, drängte nun Jana interessiert.

„Na, meine Familie eben, was sonst!“ Claudia atmete erleichtert darüber aus, weil sie froh war, dass sie es gewagt hatte, so etwas Banales als Lebenssinn anzugeben. „Meine Kinder und Paul, meine Familie eben. Und etwas Anderes brauche ich nicht!“ Neugierig beobachtete sie Janas Reaktion.

„Das ist ja ganz schön spießig, Claudia!“, schüttelte Jana den Kopf. „Und ein bisschen sehr von gestern, meinst du nicht?“

„Es ist das einzige, was mich glücklich macht!“, rief Claudia begeistert aus. „Es ist der einzige Sinn, den ich im Leben erkennen kann. Warum sollte ich ihn nicht leben?“

„Weil dir so viel vom Leben entgeht, Claudia!“, hielt nun Jana laut dagegen. „Du nimmst ja gar nicht am Leben teil. Am Ende hast du gar nicht gelebt!“, rief sie mit lauter Stimme und ehrlich um Claudias Glück besorgt aus.

„Ich denke, dass nur das das Leben ist, Jana! Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen. Ich mache mir eher um dich Sorgen!“, warf Claudia ein.

„Du dir um mich. Das ist ja lächerlich!“, erwiderte Jana nun ein bisschen beleidigt. „Wieso denn das?“

„Weil ich den Eindruck habe, dass du nicht so recht weißt, was du vom Leben willst!“

„Also, also das ist ja echt frech!“, schätzte Jana Claudias Antwort nun ein. „Da will man einer Freundin helfen und am Schluss wird man noch belehrt!“ Sie warf verärgert den Kopf nach hinten.

„Dann sag mir doch einfach, was dein Lebenssinn ist, Jana!“, drängte Claudia nun weiter.

„Weißt du was, weißt du was?“, stammelte Jana überrumpelt. Sie wand sich hin und her, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen und ärgerte sich, weil es ihr nicht gelang. „Ich glaube, das geht dich gar nichts an!“

„Ich glaube, du weißt es einfach nicht, Jana!“

„Also, das ist doch die Höhe!“, rief Jana entrüstet aus. „Dann noch einen schönen Tag, Claudia!“

Damit drehte sie sich um und stürmte davon.

6

„Hallo, bist du zuhause? Wo bist du denn?“

Sie kam von der Arbeit und wusste ja, dass er zuhause war, denn sein Auto war in der Garage und seine Schuhe standen in der Diele. Aber sie stellte beim Betreten der Wohnung immer diese Frage. Sie dachte nicht mehr darüber nach. Es war zur Routine geworden – wie vieles.

Er antworte nicht, aber sie vernahm Geräusche, die aus dem Wohnzimmer kamen. Also ging sie dorthin.

 

„Hallo Schatz!“, meinte sie, beugte sich zu ihm, küsste ihn auf die Wange und setzte sich dann zu ihm-

„Hallo!“, antwortete er geschäftig und sah kaum zu ihr auf. Er blätterte eifrig in Katalogen.

„Machst du denn?“, wollte sie wissen.

„Siehst du doch. Ich wälze Kataloge für unseren nächsten Urlaub!“ Er drückte ihr einen in die Hand. „Hier, hilf mir mal ein bisschen! Ist ja schließlich auch dein Urlaub!“

Sie nahm den Katalog und betrachtete ihn. „Jetzt schon Urlaubskataloge! Ich denke, die kommen erst im November, die neuen Kataloge!“

Er verzog die Miene. „Schau doch mal genau hin: Da steht „Winter“ drauf. Die Winterkataloge kommen nicht erst im November auf den Markt!“, belehrte er sie und blätterte weiter.

Sie sah genauer hin und las murmelnd: „Herbst, Winter, tatsächlich!“

Er sah sie kopfschüttelnd an und blätterte weiter.

„Ich wusste gar nicht, dass wir im Winter verreisen wollen!“, sagte sie ohne Nachzudenken vor sich hin. „Hatten wir das abgemacht?“

Er sah auf und runzelte die Stirn. „Abgemacht? Was soll denn das heißen? Wie das klingt!“

„Na ja, ich meine. Hatten wir schon darüber gesprochen?“

Er machte ein beleidigtes Gesicht. „Nein, hatten wir nicht!“

Sie bemerkte, wie er sich aufzuregen begann und lächelte ihn sicherheitshalber an.

Er reagierte nicht. „Die Idee ist mir erst heute beim Gespräch mit einem Kollegen gekommen und ich dachte, sie gefällt dir auch!“

„Hast du denn Urlaub? Wir haben doch fast keinen Urlaub mehr.“

„Stell dir vor, das habe ich mir gut überlegt.“ Er richtete sich auf und sah sie belehrend an. „Wir haben noch ein paar Tage Resturlaub, die wir ja immer als Brückentage um Weihnachten legen. Das machen wir in diesem Jahr genauso. Dann haben wir genug Urlaub. Und ob wir den Urlaub zuhause verbringen oder nochmals verreisen, das ist doch gleich!“

Sie machte ein missmutiges Gesicht und lehnte sich enttäuscht zurück. „Ach nein!“, seufzte sie. „Wo ich doch über Weihnachten so gerne zuhause bin. Da kann man es sich so gemütlich machen, sich zuhause einigeln, alles ist so verzaubert, wenn es geschneit hat und da hat man endlich mal Zeit für die Familie.“

„Weihnachten ist das gefährlichste Fest überhaupt!“, antwortete er gleichgültig. „Da hat man endlich Zeit, sich mal ordentlich die Meinung zu sagen.“

„Und alles wird so ruhig. Ja, man hat endlich mal seine Ruhe, kann abschalten und ganz zu sich kommen!“

„Grabesstille!“

„Ich möchte da nicht weg, es ist so schön, mal die Familie zu sehen!“

„Lieber ´ne Ratte im Haus als die Verwandtschaft!“, zitierte er eines seiner Lieblingsphrasen.

Sie wand sich angewidert hin und her und seufzte wieder.

„Schau dir doch wenigstens mal die Kataloge an. Einer deiner Träume wird wahr.

Sie nahm den Katalog, betrachtete ihn und las „Thailand“.

„Thailand, einer deiner großen Träume!“, erklärte er ihr.

„Oder einer deiner großen Träume!“, kommentierte sie.

Er sah sie überrascht an. „Wie? Du liegst mir doch dauernd in den Ohren damit!“

„Oder du mir!“, konterte sie wieder. „Ich höre eigentlich nur zu!“

Er runzelte überrascht die Stirn.

„Außerdem muss man bei so ´nem langen Flug mindestens zwei Wochen bleiben, damit es sich rentiert. Das ist mir echt zu lang. Da müssen wir am ersten Urlaubstag weg und kommen erst am letzten Urlaubstag wieder. Ich hasse das!“

„Hasse das?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich biete dir einen Traumurlaub und du sagst, du hasst das!“

„Außerdem waren wir erst zwei Wochen im Urlaub. Das reicht doch auch mal!“

„Reicht mal. Was soll das denn heißen?“

„Das heißt, dass ich auch mal zuhause bleiben will und nicht dauernd irgendwohin sausen will!“

Er sprang auf. „Aber ich brauche meine Erholung!“, rief er empört aus. „Ich habe einen stressigen Job, muss viele Überstunden machen, bin am Rande meiner Nervenkraft, ich brauche auch mal Erholung!“

Sie zog ihn wieder zu sich aufs Sofa. „Wäre es da nicht besser, einfach mal zuhause zur Ruhe zu kommen?“

Er setzte sich ratlos neben sie. „Aber alle meine Kollegen fahren über Weihnachten in Urlaub. Wie stehe ich denn da, wenn wir wieder nirgendwo waren?“, fragte er mehr sie als sich.

„Ach deine Kollegen und unsere Freunde und die ganze Welt. Was gehen mich die an.“ Sie atmete tief aus, so als ob sie sich entspannen wollte. „Ich habe den Urlaubsterror einfach satt!“

Er sah sie nun völlig entgeistert an. „Urlaubsterror?“

„Ja, Urlaubsterror!“

„Jetzt übertreibst du aber!“

„Nein, ich sage Urlaubsterror und ich meine es auch!“

„Unsinn! Was soll das denn heißen, Urlaubsterror!“ Sie holte Luft und legte dann los. „Ich habe es satt immer allen zu beweisen, wo ich wieder meinen Popo hinbewegt habe. Ich habe die langen Autofahrten mit den endlosen Staus einfach satt, ich habe es satt mit stinkenden Leuten in einem Bus oder in einem unterkühlten, engen Platz in einem Flugzeug zu sitzen, wo ich mir vorkomme, wie ein Huhn in einem Käfig. Ich habe genug von dem Durchschnittsfraß in bahnhofshallenähnlichen Speiseräumen, ich habe es satt, in Betten mit angeschimmelten Matratzen zu liegen, ich habe es satt für alles den zehnfachen Preis im Vergleich mit zuhause bezahlen zu müssen und ich habe es vor allem satt, diese Verhältnisse zuhause auch noch loben zu müssen, weil es alle loben, wie immer jeder rumheuchelt und sich keiner die Wahrheit sagen getraut, weil man sonst als Depp dasteht. Ich habe das alles satt und will einfach nur meine Ruhe!“

Er sah sie mit offenem Mund sprachlos an.

„Ich sehne mich nach Ruhe und Stille. Ich will nicht nach Thailand und auch sonst nirgendwo hin.“ Sie machte eine Pause. „Ich glaube, ich möchte einfach mal zu mir kommen, ja nur mal zu mir!“ Sie atmete tief durch. „Ich möchte einfach wieder einmal so sein, wie ich wirklich bin!“

7

„Oh, nein! Nicht schon wieder ´ne Party!“, rief Jana entsetzt aus. „Wir hatten doch erst die Sommerfete. Und mein Geburtstag ist ja auch bald!“

Birdie sah sie verständnislos an. „Aber, wir machen immer eine Halloween-Party. Das ist schon Tradition!“

„Tradition, Tradition, Tradition!“, schimpfte sie laut. „Das ist vor allem die Tradition, dass sich unsere Freunde und unsere Bekannten auf unsere Kosten hier vollfressen und volllaufen lassen. Und da du bei den Vorbereitungen so gut wie nie hilfst und während der Feten und am Tag danach wegen deiner Sauferei zu nichts zu gebrauchen bist, bleibt auch die ganze Arbeit an mir hängen!“

Er sah sie fassungslos an. „So siehst du das?“

„So und nicht anders!“

„Ich, ich dachte, dir machen die Partys auch Spaß, ich, ich wusste ja nicht …!“, starrte er sie ehrlich überrascht an.

Er tat ihr plötzlich leid. „Machen mir ja auch Spaß!“, gestand sie. „Machen mir ja auch Spaß, die Feten, aber nicht so viele. Wir kommen ja gar nicht mehr raus aus dem Feiern! Unsere Feiern, die Feiern der Anderen, das ist alles ein bisschen viel!“

„Aber nur so erarbeitet man sich Freunde. Das ist halt mal so!“ Er stand ratlos vor ihr.

„Ich weiß!“, meinte sie leise. „Ich weiß, dass der Hase so läuft. Und ich will ja auch Freunde haben. Aber, es wird mir ehrlich gesagt zu viel!“

Er stand wie ein begossener Pudel vor ihr und schwieg hilflos.

„Verzeih, dass ich gesagt habe, dass du zu viel trinkst und mir nicht bei den Vorbereitungen hilfst. Ich weiß, dass das so nicht stimmt!“

Er schien aufzuatmen. „Geschenkt, geschenkt!“, versicherte er. „Ich will ja nur, dass du glücklich bist. Wenn ich was falsch gemacht habe, dann tut´s mir leid und ich will mich bessern! Indianerehrenwort!“. Er hob die Hand zum Schwur.

Sie musste lachen.

„Also, wie steht es jetzt mit der Halloween-Party?“

Sie verzog entsetzt die Miene. „Nein, wirklich nicht!“

Er blickte sie wieder ratlos an. „Was nun?“

„Wir machen jetzt mal ´ne Partypause!“, bestimmte sie. „Und ehrlich gesagt: Sind wir für diesen Halloween-Mist nicht einfach zu alt. Das ist doch Kinderkram, vielleicht noch ein Motto für Teenager. Aber für erwachsene Menschen?“

Er sah sie an, als käme sie von einem anderen Stern. „Aber, wir hatten doch alle immer so viel Spaß dabei!“

Sie schüttelte erneut den Kopf. „Ich sicher nicht. Ich fand das immer albern, dass sie erwachsene Menschen wie kleine Kinder verkleiden!“

„Aber, an Fasching tust du´s doch auch!“

„Mmh!“, überlegte sie. „Eigentlich fand ich das auch schon immer albern!“

Da standen sie sich ratlos und völlig fremd gegenüber.

8

„Ach komm, habt euch halt nicht so!“, rief Birdie fast schon ein bisschen beleidigt aus. „Kommt halt auch mal zu einer unserer Partys. Noch dazu, wo das Janas Geburtstagsfete ist. Sie ist doch auch eure Freundin!“ Er sah Paul auffordernd an.

Birdie und Paul hatten sich beim Rausstellen der Mülltonne auf der Straße getroffen, Birdie hatte Paul von Janas Geburtstagsparty erzählt und wollte ihn und Claudia nun dazu einladen.

„Das ist total lieb von euch!“, meinte Paul ehrlich verlegen. „Ja, ihr seid unsere Freunde und wir würden gerne zu Janas Fete kommen. Aber ihr kennt unser Problem. Wir finden keinen Baysitter, bzw. wenn man ganz ehrlich ist, Claudia will glaube ich die Kinder niemand anderem anvertrauen. Da ist sie übermisstrauisch. Bildet sich ein, dass der Babysitter eben doch nicht so auf die Kleinen aufpasst, wie sie und die Kinder sind ja auch wirklich noch sehr klein. Da darfst du wirklich keine Sekunde die Augen von denen lassen, sonst ist schon das nächste Unglück passiert. Und davor hat Claudia eben wahnsinnige, vielleicht auch übertriebene Angst!“ Er machte eine Handbewegung des Bedauerns.