Das Buch von Ela

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3. August 2000

Ela springt auf den Rand meiner feuchtbiotopgroßen 800–Liter–Badewanne (das hat sie noch nie gemacht!), stolziert darauf hin und her, steigt dann über die Armlehne hinab in die trockene Tiefe des Acryltümpels. Hier schnürt sie prüfend umher, fixiert mit verblüffend verständigen Katzenaugen die kleinen Deko–Tiere aus Seife, den Plastikfisch mit Federwerkflossen, den rudernden Kunststoffmatrosen in seinem lecken Boot und rumort schließlich – ganz aufgerichtet auf der Ablage für mein Kopfkissen stehend – zwischen den aufgereihten Fläschchen mit Badeessenzen herum.

Herrchen wundert sich. Was sucht sie da bloß? Da fetzt die Katze schon etwas mit den Krallen hervor, wirft es runter in die Wanne und bolzt es dort umher. Es ist ein ehemals prall gefüllter und weicher, jetzt aber teilweise eingetrockneter und ziemlich hart gewordener vergessener Shampoo–Stern. Wie bei Ela üblich, nimmt sie das von der Wannenwand zurückprallende Spielzeug volley aus der Luft, reagiert so schnell, dass ihre Pfoten verschwimmen.

Ela spielt in der Wanne Katzen–Solo–Squash!

11. August 2000

Ich komme frühmorgens in die Küche. Sie ist der Schauplatz eines nächtlichen Katzenklokollers: Ela hat ihr Streu zur Hälfte aus dem Plastiktrog gekratzt (angesichts der Aushubmenge sollte man besser den Bergbau–Terminus »gefördert« verwenden) und über den ganzen Küchenboden verteilt. Zwei Würste, eine daumenlang, die andere kirschengroß, liegen auf einem »Bett« aus Streu vor dem Kühlschrank. Der ist fast zwei Meter von Elas Toilette entfernt.

14. August 2000

Herrchen wacht am Sonntagmorgen auf, weil langgezogenes, sorgenschweres Miauen durch das Schlafzimmer schallt. Mühsam öffne ich die Augen: Ela schnürt durch das Zimmer, aus vollem Halse brüllend. Es ist zwei Minuten nach fünf. Brennt das Haus? Droht ein Erdbeben? Ist die Katze krank?

Als das Grauchen sieht, dass sich Herrchen bewegt, der Sabotageaktion also Erfolg beschieden war, verschwindet es in der Ecke mit den Wäschebehältern unter dem Stuhl, auf dem nachts die Klamotten abgelegt werden. Offenbar ist sie sich vollauf im Klaren, dass sie sich nächtliche Ruhestörung zuschulden kommen lassen hat, quasi Hausfriedensbruch, ist aber unschlüssig, ob das böse aufgenommen wird oder nicht.

Sie registriert, dass Herrchen diensteifrig und keineswegs erbittert aus dem Bett springt (»Oje! Das aaarme Tier hat Hunger!«), kommt aus ihrem Versteck hervor und trabt eilig (und mit einem Bauch, der bei flotter Fortbewegung füllig pendelt – was an sich ein Zeichen sein sollte, keinerlei zusätzliche Mästunterfangen vorzunehmen) voraus zur Küche, sich immer wieder umschauend, ob der gelotste Dosenöffner auch folge.

20. August 2000

Ela stelzt mit noch schlafsteifen Gliedern auf meinen hinteren Balkon – was der ohnehin weihevollen Art, wie sie über die Türschwelle zu schreiten pflegt, eine besonders gravitätische Note verleiht – und macht sich an ihrer Binsengras–Wiese zu schaffen: »Kauen« von dünnen runden Halmen, die man mit einem Raubtiergebiss weder packen noch abbeißen kann, sondern die stattdessen wie eine Art grüner Katzen–Zahnseide durchs Gebiss gleiten.

Auf einmal liegt sie zum ersten Mal ausgebreitet in dem Binsen–Balkonkasten, ihn offenbar mit der gleich großen Liegewiese auf der vorderen Veranda verwechselnd. »Guck mal!«, sagt Elke amüsiert. Ich dagegen bin weniger erfreut, weil ich das exotische Kraut aufopferungsvoll pflege. »Sie wird mit ihrem dicken Hintern das ganze Gras plattliegen!« mosere ich ungalant.

Wenige Sekunden später steht Ela vor der Tür und will wieder rein. Es geht blitzschnell und kommt völlig unerwartet. Gerade hat sie doch noch wie hingegossen in dem Gras gelegen und ausgesehen, als ob sie sich wohlfühle!

Hat sie gehört, was ich gesagt habe?

Auf jeden Fall ist die Katze beleidigt, von einer Sekunde zur andern, und dreht mir den verlängerten Rücken zu. Telepathie, Sprachkundigkeit oder wieder nur ein Zufall?

19. August 2000

Ela ist ins Klo gestiegen und hat die Ausschachtungs– und Umgrabungspräliminarien absolviert. Jetzt dreht und wendet sie sich auf der Suche nach der idealen Entleerungsposition.

Welche Kriterien der Katze wichtig sind, erschließt sich dem menschlichen Zuschauer nicht, denn viele Stellungen, bei denen ihr Po nicht über den Rand des Plastiktrogs hängen würde – für Zweibeiner eine relativ bedeutende Sache – verwirft sie und entschließt sich schließlich für eine sehr prekäre Pose, bei der ihr Achtersteven zentimeterweit über den Rand hinausragt. Beim Drücken schiebt sich die Katze jedoch durch den Rückstoß Gott sei Dank ein Stückchen nach vorn, und alles landet im Streu.

Was mache ich mir Gedanken?

25. August 2000

Auch tief in der Nacht und dazu im Halbschlaf weiß ich meist ganz genau, wenn Ela zu Besuch bei mir weilt und wenn nicht.

Tappe ich nämlich barfuß in die Küche, um etwas zu trinken, mir einen Apfel oder einen Joghurt zu holen, macht sich die Präsenz der Katze an den Fußsohlen bemerkbar: Es sticht und piekst, bohrt und kneift – Ela hat wieder ihr Streu durch die Küche gefetzt.


2. September 2000

Durch Zufall habe ich bei Ela eine neue Lieblings–Streichel–Stellung entdeckt. Die sieht so aus: Man nimmt die Katze hoch und dreht sie auf den Rücken (was bei ihr immer ein paar kleine Abwehrbewegungen auslöst – Damen lassen sich halt nicht ohne Gegenwehr auf den Rücken drehen!), sodass sie wie ein Baby im Arm liegt. Der Rücken ruht auf dem linken Unterarm, der Nacken am Bizeps. Dann streichele ich mit rechts ihren Bauch, und zwar von ganz unten bis oben.

Um eine möglichst große Fläche bestreicheln zu können, steckt Herrchen seinen kosenden Arm durch Elas Hinterbeine. Sie spreizt sie wie eine kleine, völlig schamlose Konkubine so weit es geht, sodass die rosafarbenen Bällchen ihrer Hinterpfoten gegen die Decke zeigen. Die Vorderpfoten knickt sie ein und lässt sie wie ein überarbeiteter Osterhase schlaff herunterhängen.

Elke sieht’s mit Erstaunen und bemerkt Elas »Mondschein–Blick«: Die Katze schaut verträumt ins Nichts, guckt mit großen unbeweglichen Pupillen selig in eine unbekannte Ferne, ins Katzen–Nirwana.

Wenn meine Hand so über das weiche Fell zwischen den Katzenhinterbeinen fährt, kommt sie ab und zu in Kontakt mit etwas Feuchtem, und ich frage mich dann: Ist das ein Tropfen alter Katzenpisse, der im Fell versteckt das letzte Putzen überstanden hat? Oder hat Ela aus Begeisterung ein wenig gepilschert, ein paar Wonne–Tröpfchen abgedrückt? Oder ist es ihr vielleicht sogar vor Glück feucht »gekommen«?

9. September 2000

Ela liegt auf ihrer Lieblingsdecke und schläft. Sie hat eine »Höhle« gebaut und sich auf der Suche nach dem dunkelsten Winkel so tief darin verkrochen, dass ihr Kopf in Herrchens Ledersofa zu stecken scheint.

Ich möchte die Katze ins Bett holen, wo Elke schon auf die Schlafgenossin wartet. Als meine lieben Worte und kleinen Gesänge, die dazu dienen sollen, Ela möglichst sanft aufzuwecken, keine Wirkung zeigen, schlage ich vorsichtig die Falten der Decke zurück.

Die Katze liegt zusammengerollt da und ist offenbar im Tiefschlaf. Vorsichtig schiebe ich meine beiden flachen Hände unter das warme Bündel, hebe es hoch und trage die Katze, zusammengerollt und schlafend, ins Bett – wie einen Katzenkuchen auf dem Tablett.

Ela merkt nicht, wie ich sie balanciere, und dass sie keinen Halt hat – beides Gründe für eine kleine Katzenpanik.

Im Bett lege ich das Grauchen ab, wie man einen Streuselkuchen vom leicht gekippten Blech auf den Küchentisch herunter schiebt. Das Kätzchen blinzelt erstaunt, steht aber gar nicht erst auf, kriecht nur tiefer ins Dunkel von Frauchens Bett und schläft weiter.

15. September 2000

Wir machen uns Sorgen um Ela. Sie kränkelt, schläft zu viel und ist zu keinen Rappeln oder Eskapaden aufgelegt. Außerdem scheint sie ein wenig Schnupfen zu haben.

Wir bringen das Tier sehr ungern zum Tierarzt, weil sie schon bei der Anfahrt jammert und auf dem Behandlungstisch wie Espenlaub zittert und wie ein kleines Kind schreit, aber es muss sein.

Elke macht einen Termin.

20. September 2000

Also war das Lametta, das Ela so abgöttisch liebte, wohl doch toxisch! Der Tierarzt hat festgestellt, dass die Leberwerte der Katze nur noch dreißig Prozent des normalen Solls betragen. Elke hat die Wonne–Wolle, in die unser Grauchen biss und an der sie stundenlang herum kaute (und die sie sogar dabei haben wollte, wenn sie mit Elke zu mir kam) sogleich in den Müll geworfen.

Ich hatte ja Bedenken, aber als sich herausstellte, dass es sich nicht um (eventuell bleihaltige) Metallfolie handelte, sondern nur um Plastikstreifen, machte ich mir keine Sorgen mehr. Obwohl ich auch hier anfänglich skeptisch gewesen war, hatte ich mich schließlich mit der Vermutung getröstet, dass eine der vielen deutschen Behörden keine hochtoxischen Farbstoffe für Dekorationen zulassen würde, die für das Kinderfest Weihnachten bestimmt sind.

Falsch gedacht. Das Zeug muss doch Giftstoffe enthalten haben.

Dr. D. hat Ela eine Kur mit Aufbauspritzen verordnet – leider, denn weder Frauchen noch der Katze ist ein häufiger Besuch in der Praxis zuzumuten. Elke, weil ihr beim Zuschauen übler zumute ist, als wenn sie selber gepiekt würde, und Ela, weil sie vor Angst fast durchdreht und in der Praxis Mega–Stress durchleidet. Aber auch das muss wohl sein.

 

29. September 2000

Der Tierarzt, der Ela als »zu dick!« einstufte, hat Frauchen Diät-Plätzchen verkauft – kleine, immer etwas schmierige Tönnchen. Ela verabscheut sie und isst sie nur im Notfall.

Um die therapeutischen Katzenkuchen doch in unser Grauchen hineinzuschmuggeln, hat Herrchen in seinem Leckerli-Glas eine Mischung aus gesunden und »ungesunden« Bonbons gemixt. Ela aber – wen wundert’s? – entmischt das Konglomerat mit Leichtigkeit: Ist nach der Mahlzeit der Katze ein brauner »Bodensatz« in ihrem Porzellanschälchen, kann man davon ausgehen, dass er zu hundert Prozent aus Ärzte–Plätzchen besteht. Ela hat sie fein säuberlich »aussortiert«!


4. Oktober 2000

Wie andere dünn befellte Stubentiger steigt Ela mit großem Vergnügen in den abgestellten Backofen, um die Restwärme der Bratröhre aufzusaugen.

Seit Ela einmal mit ihren Samtpfötchen zum Entsetzen von Elke auf die noch kochendheiße Innenseite der gerade heruntergeklappten Ofentür gesprungen war (und von Frauchen sofort mit dem Arm herunter gefegt worden war!), »managt« Elke die »Einstiege« der Katze: Sie macht die Tür erst auf, wenn die Temperatur genügend abgeklungen ist und stellt außerdem die Tür so ein, dass während der Katzen–Sauna immer ein Spalt offen bleibt.

Ela würde es nicht stören, wenn die Tür ganz zugeklappt würde – dabei hasst sie geschlossene Türen sonst wie der Teufel das Weihwasser. Aber im Ofen gibt es für sie scheinbar keine Klaustrophobie – sie schmilzt in der wunderbar kuscheligen Wärme dahin. Und so liegt sie unter dem stählernen Rost, auf den man Töpfe und Terrinen stellt oder zu bratendes Federvieh platziert, und genießt – manchmal die Pfötchen in die Ofenwand gestemmt. Wenn sie genug hat, steht sie auf – und Elke lässt sie raus.

Kürzlich ereignete sich bei der Zeremonie allerdings ein kleines Malheur: Ela raste zwar mit Karacho in die warme Ofenkammer, vergaß aber, ihren Schweif rechtzeitig nachzuziehen. Und Frauchen, gerade am Herd beschäftigt und bestrebt, den Wärmeverlust der Katzen–Sauna möglichst gering zu halten, klappte genauso rasch die Tür hoch – und klemmte den Katzenschwanz ein. Ela schrie ob des Schmerzes und fauchte sogar – bleibt aber anschließend in ihrer Schwitzkammer sitzen!

Elke ging an ihren Mac, diese verkappte Zeitmaschine, an der Stunden wie im Flug vergehen, und vergaß über Fehlermeldungen, Neustarts und E-Mails das Tier im Ofen völlig.

Auf einmal jedoch dröhnte aus der Küche ein Donnerschlag, und der zum Tatort eilenden Elke kam ihre Mieze schimpfend entgegen getrabt: Ela hatte die eingerastete Tür (sie ist oben einen Spalt offen, damit die Katze atmen kann) mit Gewalt aufgedrückt und herunterrasseln lassen! Das gleiche Tier, das hilflos vor angelehnten oder nur ein paar Zentimeter offenen Zimmertüren steht und maunzt!

10. Oktober 2000

Ela hat, während sie das Idiom der Menschen gelernt hat, ihre Katzensprache nicht vergessen – die, wie es scheint, international ist. Dass Ela noch »Kätzisch« kann und deutsche Katzen offenbar die gleichen Vokabeln benutzen wie griechische Miezen, zeigt der folgende Vorfall:

Ela schlummert friedlich in Elkes Arm. Frauchen liest, während Ela wie immer gemütlich hingestreckt ist. Ihr Köpfchen ruht auf Elkes rechtem Oberarm, die Pfötchen sind links oder rechts daneben geparkt (oder eines gerade in die Luft ausgestreckt). Die Katze schläft tief und schnarcht zu Frauchens Entzücken leise vor sich hin. Manchmal zuckt ein Pfötchen im Traum.

Plötzlich ertönt im Hinterhof wüstes Katzengeschrei, von den Häuserwänden zurückhallendes leidenschaftliches, wildes und dissonantes Gekreische und Gefauche.

Wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen, fährt Ela aus dem Tiefschlaf hoch, sitzt – starr vor Spannung und Aufmerksamkeit – mit riesengroß aufgerissenen Augen und wild spielenden Ohren neben Elke.

Auch nachdem der Lärm längst aufgehört hat, hockt sie noch minutenlang da und lauscht in die Nacht hinaus. Dann endlich lässt sie sich nieder – ganz langsam und zögerlich, geradezu misstrauisch (es könnte da draußen ja noch mal losgehen!)

Ob sie sich an ihre Jugendzeit erinnert hat, an hitzige Kreischduelle in stickig–heißer Nacht, vielleicht im Fischhauch des Hafens Piräus, unbändige Leidenschaft, wilde Katzenbuckel, glühende Augen, wüste Gefechte mit sausenden Krallenhieben, aufgerissenen Rachen, Finten, Riesensätzen und blitzschnellen Attacken – an Freiheit und Abenteuer in Athen? Hatte sie Lust, mitzumachen, oder fürchtete sie eher, die fremden Katzen könnten in ihr Paradies bei Elke eindringen?

17. Oktober 2000

Neuerdings schläft Ela nicht nur in Gesellschaft ihres geliebten gelben Tennisballs, sie reist auch mit ihm. Er liegt vor ihr am Gitter des mobilen Verlieses, und sie hat ihren Kopf auf die von ihren Krallen flauschig aufgeraute Kugel gestützt. So lässt es sich im Transportkäfig mit erhobenem Haupte gemütlich und ohne Nackenschmerzen reisen.

18. Oktober 2000

Ela merkt man immer mehr ihr Alter an. Sie hat Zahnstein, eine für Katzen schlimme Sache, weil er zu ständigen Entzündungen des Zahnfleisches führt. Die können die Hauer kaputt machen und den ganzen Katzenkörper vergiften.

Wir überlegen lange, was wir tun können – der Katze täglich die Beißer mit Blendax polieren? Keine Katzenkuchen, offenbar des Übels Grund, mehr füttern?

Zuerst aber muss unser Grauchen wohl – unter Narkose, weil’s nicht anders geht – eine Zahnsteinentfernung erdulden. Wir machen uns Sorgen, ob sie die Anästhesie übersteht ...

Termin für die Paradontose–Behandlung ist der 27. . Leider bin ich dann in Indien. Ich wäre gern dabei gewesen, als moralischer Rückhalt für Elke, die mehr leidet als Ela. Aber es geht nicht.

3. November 2000

Ich bin wieder zurück, aber mir geht’s sehr mies. Habe mir in über 3000 Metern Höhe im Himalaya (wo wir am Beispiel des heiligen Gangotri–Gletschers, quasi der Quelle das Ganges beziehungsweise seines Quellflusses Baghirwathi, das Abschmelzen der Eispolster dokumentieren wollten) irgendwas gefangen, wohl einen Virus. In Delhi lag ich sogar 30 Stunden auf der Intensivstation einer privaten Herzklinik.

Die braunen Herren in Weiß erklärten mir, meine Pumpe sei kaputt, und ich sei in unmittelbarer Lebensgefahr. Ein Albtraum! Rechts und links – zwischen den 40 Betten war nur ein Plastikvorhang – Herzstillstände, Reanimationen, Ächzen und Japsen, keine Privatsphäre, kein Schlaf!

Anschließend siechte ich ein paar Tage im Hotel mit Dauermigräne dahin, wohl eine Folge der Nitrat–Medikamente, die mir die Ärzte mitgaben. Schlimm. Aber einen Katheter schieben – nein, das wollte ich nicht in Indien auf mich nehmen. Horror–Rückflug mit British Airways, die mich – Zufall oder Fügung? – in die erste Klasse hochgestuft hatten. Setzte mich, von dem Einchecken und Warten total ausgelaugt, und verlor sofort das Bewusstsein. Fühle mich immer noch kraftlos wie ein nasses Handtuch.

Ela ist ein Trost. Sie hat sich gefreut, dass ich wieder da bin, und hat schnurrend auf meiner Brust gelegen. Ich werde hier durch die Diagnosemühle geschleust. Bereits den Katheter (ein Schlauch wird durch die Schlagader in der Leistenbeuge bis ins Herz geschoben!) und ein Lungenszintigramm überlebt – groteskerweise ohne Befund. Jetzt soll ich zum Hausarzt gehen.

10. November 2000

Wenn Elke sich nicht sicher ist, wie es um die Qualität von Milch bestellt ist, die in angebrochenen Pappgebinden im Kühlschrank lagert, zog sie – bisher – gern Ela zur Rate: Ein Schlückchen in ein Schälchen gekippt und der Katze vorgesetzt – und schon ist geklärt, ob die Flüssigkeit noch genießbar ist; denn Ela fängt entweder zu schlabbern an oder trollt sich mit einem beleidigten Blick (»Pfui! Das Zeug ist verdorben! Willst Du mich vergiften???«).

Jetzt hat Ela den Spieß umgedreht. Sie lässt sich nicht von Frauchen als Vorkosterin einspannen, sondern setzt Elke als Probiererin ein.

Das kam so: Ela trinkt ihre frisch eingeschenkte Milch nicht, obwohl Elke lockt und ruft. Darauf hin versucht das Frauchen, den Katzendurst (unter sträflicher Missachtung der Katzenkörperfülle!) durch eine weitere Portion Brekkies anzukurbeln – aber wieder ohne Erfolg.

Fürbass erstaunt, greift sich Elke einen Löffel, schmeckt die Milch ab (»Ob die etwa doch ...?«), nur um festzustellen, dass alles in Ordnung ist – und hinter sich zu hören, wie Ela die von Frauchen sensorisch geprüfte Milch nun doch schlabbert.


15. November 2000

Habe alle Tests überstanden, aber kein Arzt hat etwas gefunden – abgesehen von dem Hausarzt, der »völlig unmögliche Blutwerte« diagnostizierte. Also stimmt meine Vermutung doch, dass ich mir ein Virus geholt habe. Ich muss jetzt warten, bis mein Immunsystem die Oberhand über den Eindringling gewinnt. Das kann dauern.

Wichtiger denn je ist mir die Zärtlichkeit unsers Kätzchens. Ela scheint zu merken, wie mies es mir geht und sitzt lange schnurrend auf meiner Brust. Das ist mir ein Anstoß, über Elas Schmusepassion zu schreiben.

Denn Ela ist die Kuschelkatze schlechthin. Sie verträgt ein Quantum an Zärtlichkeit, das ausgewachsene Elefanten und Nilpferde umbringen würde. Stundenlang kann sie genießen – schlafend und in süßen Soprantönen schnarchend, dösend oder hellwach, die Pfötchen spreizend und schnurrend. Und bei einer Party in Elkes Wohnung saß sie nicht nur selbstbewusst und kokett in der Mitte der Gesellschaft, sondern wanderte während des ganzen Abends von Schoß zu Schoß.

Allerdings legt die Prinzessin Wert auf qualitativ hochwertige Streicheleinheiten. Krault man sie nachlässig oder gar automatisch, weil man telefoniert, fernsieht, Probleme wälzt oder liest, entzieht einem Ela ihre Gunst sehr rasch – und beißt manchmal sogar noch empört zu.

Es ist eine Art felines Roulette, wie lange es dauert, bis sie »befriedigt« ist. Es können fünf Minuten bis zu dem Augenblick vergehen, durchaus aber auch mehrere Stunden. Meist steht sie auf und springt hastig davon, wie vom Hund von Baskerville gehetzt, galoppiert über Menschenglieder, Brüste, Hoden, TV–Fernbedienungen und Weingläser. Nur selten geht sie würdevoll von dannen!

Denkt man, ach, ich hol meinen Drink, wenn die Katzen–Batterie mit Zärtlichkeiten und sozialer Fellpflege aufgeladen ist, so schläft sie todsicher im Arm ein, und man muss dürsten. Holt man sich aber ein volles Glas, um für eine lange Katzenverweildauer gerüstet zu sein, huscht sie bald wieder fort.

Die Art des Abschieds gibt einem manchmal zu denken: Sie springt, wie gesagt, in der Regel so eilig davon, als habe sie so lange wie irgend möglich ausgehalten und könne sich unter keinen Umständen noch einen Sekundenbruchteil länger der Belastung aussetzen, gestreichelt zu werden. Auch das heftige, beinahe hektische Putzen, in das sie nach dem Absprung von Herrchens Brust verfällt, scheint sagen zu wollen »Pfui, dieser Menschengestank! Der muss schnellstmöglich raus aus meinem Fell!«

Oder reißt sie sich brutal los, stoppt das Schwelgen, weil sie sich der Gefahr bewusst wird, dass sie den Absprung, das Bewahren der unabhängigen kätzischen Identität, sonst überhaupt nicht mehr schafft?

Wer weiß, welche Katzenemotionen bei der »Flucht« aus dem Menschenarm mitspielen; denn dass Ela Streicheln und Nähe genießt, ist über jeden Zweifel erhaben. Wollte Herrchen allerdings darauf warten, dass sie aus freien Stücken zu ihm käme, könnte er wahrscheinlich lange harren.

Zwar ist Ela schon ein paar Dutzend Mal unsicher–scheuen Blicks umständlich balancierend über meine Beine auf meine Brust geklettert; aber meist wird Ela von Elke als hasenartig hängendes Tier angeliefert, um mir schnurrenderweise den Bürostress zu nehmen.

 

Ist Ela da, schafft sie es in kürzester Zeit, eine große Ader abzudrücken, worauf der Arm taub wird. Nur die Liebe zu der Katze macht es möglich, dass man das Kribbeln und die Schmerzen ignoriert und weiter ihr samtiges Fell kost. Ob es ein Mittel Elas ist, die ihr gewährte Zuneigung zweifelsfrei zu kalibrieren und quantifizieren? (Nach dem Motto: »Wenn er weiterstreichelt, obwohl sein Arm sich wie Blei anfühlt und schmerzt, dann hat er mich wirklich lieb!«)

Was Ela besonders zu genießen scheint, ist das Bürsten: Ich habe eine einfache Schuhbüste gekauft mit relativ harten grauschwarzen Borsten, keine der sündhaft teuren firlefanzigen Tierspezialbürsten, und Ela liebt sie. Sie legt sich auf die Seite, lässt die Borsten durchs Unterfell kratzen, ihre Flanken massieren, massenweise hellgraue Wolle aus ihrem Pelz jäten.

Am Rücken darf es ruhig etwas gröber sein, aber ja nicht zu lange, an den Seiten sanfter, am Bauch nur besonders zärtlich. Auch auf dem Kopf und an den Wangen liebt sie die Bürste. Sogar den Katzenschwanz darf man durchjäten.

Beim Bürsten ist es möglich, Ela herumzudrehen wie einen Laib Brot im Backofen. Oder fast. Denn während sie sich einmal beim ersten Wort »Na, dreh Dich um!« und einem leichten Druck oder Zug bereitwillig wendet, spielt sie beim nächsten Mal die störrische Jungfer und droht mit Bissen, lässt sich aber dann doch rotieren. Alles ist für die Katz’ wahrscheinlich ein feines Spiel.

Wenn man den empfindlichen Bauch die Bürste spüren lässt, ist Vorsicht geboten: Man muss die Spitze des Werkzeugs in Richtung der Hinterbeine drehen, damit die stumpfe Seite Ela nicht an die Haxen haut – und man, wenn Prinzessin das verlangt, ihr durch die urplötzlich weit gespreizten Hinterbeine und behutsam über ihren Intimbereich fahren kann.

Nach dem Bürsten bekommt Ela – das hat sich eingebürgert – Gelegenheit zur »Selbstbedienung«: Herrchen legt ihr die Bürste unters Kinn, hält sie eisern fest, und das Grauchen schuggert, reibt, drückt, schiebt und GENIESST diese Art des selbstgesteuerten Lustgewinns so, wie das nur Katzen können: mit geschlossenen Augen, andächtigem Gesicht und hingebungsvoller Reib–Ekstase.

Zu beobachten ist dabei, dass sich bei besonders intensivem Genuss Elas rechte Hinterpfote nach vorne arbeitet, in der Luft stehen bleibt, wieder zurückgleitet, dann wieder vorrückt – eine Art im Keim erstickten »Fahrradfahrens«, das aber nur durch Elas »Onanie« ausgelöst wird.

Es mussten jahrelange Bürst–Orgien vergehen, bevor Herrchen die Stelle fand, an der es so wunderbar scheußlich kitzelt. Bürstet man in gewisser Weise, nicht zu sanft und nicht zu fest, über Elas rechtes Ohr, gerät das rechte Hinterbein in Wallung: Erst schiebt es sich langsam vor, zuckt ein paar Mal, als versuche die Katze alles, um die Extremität unter Kontrolle zu halten, rudert aber dann los und verfällt in hemmungslos wirbelnde Kratzbewegungen.

Zunächst führen sie ins Leere, doch die Pfote nähert sich, kreiselnd und kurbelnd, immer mehr dem Ohr, und wenn Herrchen weiter striegelt, kommt es zum Zusammenprall mit der Bürste.

Aber Herrchen will die Katze ja nicht ärgern, und – von dem einen Mal abgesehen, wo er aus wissenschaftlichem Interesse ausgelotet hat, was geschieht – vermeidet er es, Elachen zu molestieren.