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Read the book: «Teverino», page 11

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»Mein Gefühl ist allerdings ein naives, wenn ich an meinem Siege arbeite; Verlangen und Hoffnung machen mich beredt und ich bedarf keiner Gewißheit, um kühn zu sein. Was hat denn ein Mißlingen dieser Art Erniedrigendes an sich?«

»Ach! das weißt Du nicht? Eine Abweisung von einer Frau ist schlimmer, als die Ohrfeige eines Mannes.«

»Dummes Vorurtheil!«

»Nein! Die Frau, welche abweist, hält sich durch die Bitte beleidigt.«

»Falsche Tugend! Alles das geht bei Euch verworren und hinterlistig zu, ich sehe es wohl. O! es lebe das glühende Italien!«

»Und doch verachtetest Du Deine alten Idole, als Du noch vorhin auf dem Walle sagtest: Unsre Frauen lieben ohne Unterscheidungskraft, Ihre Gefühle aber sind Ideen!«

»Ich glaubte der Entdeckung der Vollkommenheit entgegenzugehen; allein ich sehe mit Bedauern, daß der Geist das Herz unterdrückt. Nun kehre ich ganz reuevoll und ganz zerknirscht zu meinen Erinnerungen zurück.«

»Im Grunde hast Du vielleicht Recht!« sagte Leonce, aus tiefer Träumerei erwachend. »Diese Abwesenheit von Zartgefühl kommt von dem Reichthum Eurer Organisation her, und es wundert mich nicht, daß Lady G*** von diesem Sichgehenlassen einer feuersprühenden Seele hingerissen wurde, nachdem sie so lange von eisigen Spitzfündigkeiten gelebt. Wir verstehen vielleicht Nichts von der Liebe und ich erkenne, daß, was mir begegnet, verdient ist. Allein es ist zu spät, um es zu nützen, der Zauber ist zerstört und Du hast Alles verdorben, Teverino, indem Du mir zu dienen und mich über meine Stellung aufzuklären glaubtest.«

»Sagen Sie das nicht, Leonce, Sie können es nicht wissen. Guter Rath kommt über Nacht und morgen können Sie ruhig sein. Morgen Nachmittag um zwei Uhr muß unter uns Allen eine große Umwälzung stattfinden. Warten Sie bis dahin, bevor Sie sich selbst beurtheilen.«

»Was willst Du sagen?«

»Nichts! ich will schlafen!« sagte Teverino, das Licht auslöschend; »wollen Sie mich gefälligst am Morgen wecken, denn ich bin eine Schlafmütze gleich einem Kardinal.«

Er schien bald fest eingeschlummert und Leonce, der nun seinem innerlichen Kampfe überlassen war, bemühte sich vergeblich, ihm nachzuahmen. Aber außerdem, daß er ein ganz schlechtes Bett hatte und diese Wirthshauspritschen ihm so entsetzlich, wie seinem Gefährten köstlich, erschienen, lieh er wider Willen allem Geräusche von Außen ein aufmerksames Ohr. Eine unbestimmte Unruhe verzehrte ihn. Er erwartete immer, an dem vom Monde beleuchteten Vorhang seines Fensters Sabinas Schatten vorüberstreifen zu sehen, um auf der Gallerie Gelegenheit zur Versöhnung mit Teverino zu suchen.

Endlich begann der Schlummer ihn zu überwältigen, als plötzlich der Boden der Gallerie unter eilfertigen Schritten, die sich nach und nach verloren, leise knarrte. Leonce blieb unbeweglich mit gespitzten Ohren, das Auge auf Teverino geheftet, dessen Bett sich dem seinigen gegenüber befand; dann sah er deutlich, wie der Zigeuner aufstand, die Thür sachte öffnete, sich überzeugte, daß Jemand hier vorüber gegangen sei und sich seinem Bette näherte, um zu sehen, ob er schlafe. Leonce that, als liege er in tiefem Schlummer und fühle die Hand nicht, welche Teverino vor seinen Augen bewegte. Nun kleidete sich dieser geräuschlos an und verließ vorsichtig das Zimmer.

»Elender! Du hast mich betrogen,« sagte Leonce bei sich. »Wohlan, wider Deinen Willen werde ich Deine List entdecken und dieses schamlose Weib mit Schmach überhäufen!«

Er stand wieder auf, kleidete sich ebenfalls vorsichtig an und folgte dem unbesonnenen Marquis auf dem Fuße nach. Der Mond ging unter und die Stadt lag in tiefem Schweigen.

XI
Vade Retro, Satanas! 11

Leonce hatte sich ganz wohl gemerkt, welche Nummer Sabinas Thüre hatte, allein in seiner Verwirrung achtete er nicht mehr darauf, sondern blieb vor der ersten offenen Thür, die sich ihm zeigte, stehen. Das kleine Zimmer, dessen Innres er mit einem Blicke überschauen konnte, hatte zwei Betten und war von einer Lampe erhellt. Eines dieser Betten mußte so eben verlassen worden sein; es war das der Negerin, und diese die geheimnißvolle Person, welche über die Gallerie geeilt war. Das andere war ein kleines, ganz niederes Gurtbett, auf welchem Magdalena sich dem süßen Schlummer überließ. Mitten im Zimmer stehend, schaute sich Teverino unruhig um und bald sah ihn Leonce an das Lager des Vogelmädchens treten und sie aufmerksam betrachten. Das Kind schlief den Schlaf der Engel; die auf einem Tisch stehende Lampe beleuchtete ihr friedliches Gesicht und die aufgeregten Züge des Zigeuners. Die halb wieder zufallende Thür verbarg Leonce, er konnte jedoch Alles beobachten.

»Magdalena!« dachte er, den Verdacht wechselnd; »ha! das wäre noch schändlicher, und ich will sie retten. Weßhalb verläßt diese unselige Negerin sie nur auf solche Weise?«

Er wollte eben Geräusch machen, um den Verführer in die Flucht zu jagen, als er Teverino vor dem stralenden Antlitz des Kindes niederknieen sah. Sein Gesicht hatte den Ausdruck verändert, die Unruhe war einer tiefen Rührung und einer Art frommer Ehrerbietung gewichen. Er blieb einige Augenblicke gleichsam in süße und geheime Gedanken versunken. Es war, als liege er in kindlichem Gebete, und nie war seine Schönheit idealer erschienen. Nach Verfluß einiger Minuten neigte er sich, drückte einen leisen Kuß auf den Rosenkranz, welchen das Mädchen noch in seiner, am Rande des Bettes hinabhängenden Hand hielt. Sie war am Hersagen desselben eingeschlafen. Ungeachtet der Vorsicht des Zigeuners wachte sie halb auf, und da sie sich ohne Zweifel in ihrer Hütte wähnte, sagte sie mit sanfter Stimme:

»O! mein guter Freund, ist es schon Tag? Ist mein Bruder heimgekommen?«

»Nein, nein, Magdalena, schlafe noch, mein Engel,« antwortete Teverino. »Ich gehe Joseph entgegen.«

»So gehn Sie denn,« sagte sie mit schlaftrunkener Stimme. »Ich stehe dann auf, wenn Sie draußen sind.«

Und da die Gewohnheit ihr die Ruhestunden regelmäßig zumaß, so schlief sie nach diesen bewußtlos geredeten Worten wieder ein.

Teverino zog sich zurück und sah sich, als er aus dem Zimmer trat, Leonce gegenüber, der ihm nicht auszuweichen suchte. Eine mächtige Bewegung erfaßte ihn plötzlich und hastig sich umwendend, drehte er den Schlüssel in Magdalena’s Zimmerthür um und zog ihn aus. Dann ergriff er den Arm des jungen Mannes und sagte mit zitternder Stimme:

»Mein Herr, unterlassen Sie eine solche Zerstreuung. Gehn Sie, wenn Sie’s für gut finden, den Schlaf großer Damen zu stören, das Kind des Gebirges aber ist nicht bestimmt, Ihr Nothnagel zu sein.«

»Wenn ich diesen teuflischen Gedanken gehegt hätte,« antwortete Leonce, dessen ruhige und ehrliche Miene den scharfblickenden Vagabunden schnell von der Wahrheit seiner Aussage überzeugten, «so müßte Deine Gegenwart mich mit Schmach bedecken, braver junger Mann! Ich Habe das Geheimniß Deines Herzens überrascht und kannte das Magdalena’s. Meine persönlichen Angelegenheiten nehmen mich selbst so sehr in Anspruch, daß ich bis jetzt in Dir nicht den guten Freund erkannte, von welchem sie mir gesprochen hatte, und ich beargwohnte Dich eines Verbrechens, als Du dem Rufe einer väterlichen Fürsorge gehorchtest.«

»Väterliche Fürsorge!« sagte Teverino, sich mit Leonce vom Zimmer des Vogelmädchens entfernend. »Ja, das ist das Wort, das wahre Wort, Leonce! Als ich auf der Gallerie gehen hörte, fürchtete ich eine Gefahr für das wehr- und arglose Kind. Irgend ein gemeiner Knecht, was weiß ich! Ihr Jockey hat eine etwas freche Miene! . . . Ich bin jenem braven Schleichhändler, welcher mir seit acht Tagen die Bewachung seiner Schwester und seiner Hütte mit so heiliger Einfalt anvertraut, für Magdalena verantwortlich. O Rechtschaffenheit des goldenen Alters, Du ließest Dich in der entlegenen Einöde zwischen einem Zigeuner, einem Banditen und einem jungen Mädchen wieder finden! . . .

»Das, Leonce, nennt dieser Polterer von einem Pfarrer nun einen Zustand der Todsünde, und das würde Ihre edle Lady, sie, die ein armseliges und ungeregeltes Leben so sehr verachtet, nimmer verstehen. Ach! könnte sie Magdalenas Herz verstehen? Diese heilige Einfachheit, die nicht einmal weiß, daß sie ein Schatz ist, und dieses erhabene Vertrauen, welches Sabina selbst mit aller Macht ihres Geistes und ihrer Schönheit nicht erschüttert hat! . . .

»Bewundern Sie nicht, Leonce, die Ruhe und die bescheidene Verschwiegenheit dieses Kindes, welches sich, als es meine Verkleidung sah, mit einem Worte zufrieden gab und durch keinen Anfall thörichter Eifersucht meine Rolle des Schmeichlers bei Ihrer Geliebten störte? Ach! hätten Sie ihre naiven Fragen gehört, als sie neben mir auf dem Kutschensitze saß, und ihre hochherzigen und gütevollen Antworten, als ich sie fragte, ob sie ihrerseits nicht Gefahr laufe, Sie ein bischen zu liebenswürdig und zu schön zu finden! . . .

»Unsere Art, zu lieben, ist von der Ihrigen, Freund, ganz verschieden; wir quälen uns nicht durch gegenseitigen Argwohn, wir wissen, daß wir uns nicht täuschen könnten. Und soll ich es Ihnen gestehen? Das Vogelmädchen erscheint mir reizender und wünschenswerther, seit ich den Duft einer großen Dame eingeathmet habe . . . Aber wo mag nur diese verwünschte Negerin hingegangen sein, daß sie ihre Thüre offen läßt, als befänden wir uns hier in einem Karthäuserkloster? Ich wette, wenn ihr Mylady die Obhut über einen kleinen Hund anvertraut hätte, sie würde ihm mehr Sorge getragen haben, als der Ehre dieses jungen Mädchens!«

Wo war in der That die Negerin gewesen? Wir wollen nicht hoffen, daß sie mit Leonce’s Jockey eine Zusammenkunft hatte. Vielleicht hatte ihr Sabina, von Schlaflosigkeit gequält, geläutet; vielleicht auch war sie Nachtwandlerin. Alles, was wir über diesen höchst uninteressanten Theil unseres Romans wissen, ist, daß als sie wieder in ihr Zimmer zu gelangen suchte, das sie nicht verschlossen zu finden erwartete, sie bei ihrer Unkenntniß der Zahlen die Thüre aufstieß, die ihr am wenigsten Widerstand leistete und dann mit ihren schwarzen Händen auf dem Gesicht des Pfarrers herumtastete, um nach der Lampe zu suchen, die sie neben ihrem Bett angezündet hatte. Die vom Cypernwein etwas feurig gewordene Nase des heiligen Mannes konnte sie in die Täuschung versetzen, es sei der eben ausgelöschte und noch rauchende Lampendocht. In der Furcht, sich zu brennen, entfuhr ihr ein Ausruf, welchem ein Gebrüll des Entsetzens antwortete, denn der Pfarrer war jählings aufgewacht und glaubte sich, als er das dunkle, aus einem weißen Tuch hervorragende Gesicht sah, das sich vor ihm in der durch die offene Thüre verursachten Helle abzeichnete, alles Ernstes vom Teufel angefallen und schleuderte ihm, alle Verwünschungsformeln, die ihm zu Sinn kamen, über ihn hindonnernd, sein Brevier entgegen.

Auf das Wehklagen und Rufen des guten Mannes eilten Leonce und Teverino herbei und nahmen die Negerin, welche den Kopf verloren hatte und nicht mehr wußte, wohin fliehen, um dem Kerzenstock und den übrigen Gegenständen auszuweichen, die durch das Zimmer sausten, unter ihre Obhut. Alles erklärte sich. Die zitternde Lele gab einen ihr beliebigen Beweggrund zu ihrem nächtlichen Spaziergang an; Teverino drohte ihr, sie bei Mylady zu verklagen, wenn sie sich nicht mäuschenstill in ihrem Zimmer hielte, wohin er, um sie einzusperren, zurückkehrte, und der Pfarrer, entzückt, den Klauen des Satans entgangen zu sein, versank bis am hellen Tage wieder in seinen tugendhaften Schlaf.

Sabina hatte nicht besser geschlafen, als ihre Reisegefährten. Leonce’s Prophezeihung hatte sich mehr verwirklicht, als er voraussehen durfte, denn als er auf’s Gerathewohl gesprochen, hatte er nur daran gedacht, sie zu ergötzen und durch, die Erwartung irgend eines kleinen Abenteuers, auf welches er sich kaum Rechnung machte, ein wenig aufzuregen. Unruhig und betrübt, wurde die arme, junge Frau nicht müde, sich die sonderbaren Zwischenfälle dieses Tages immer und immer wieder vor die Seele zu führen. Zuerst Leonce’s Seltsamkeiten, die heftige und bittere Liebeserklärung, die er ihr in dem Wäldchen gemacht, und die plötzliche Rührung bei ihrer Wiederversöhnung. Dann sein rasch auflodernder Aerger, als sie bei der allen Freundschaft hatte verbleiben wollen, sein zweistündiges Verschwinden im Gebirge, seine Rückkehr mit diesem Unbekannten voll Dünkel und Sonderbarkeiten, der ihr bald in edelster Leidenschaft und dann plötzlich wieder als der prosaischste und leichtfertigste der Männer erschienen, bald verliebt in sie bis zur Anbetung, bald so gleichgültig und uneigennützig, um sogar ihre Gunst für einen Andern zu erbitten, bald als das Vorbild und die Zierde der Edelmänner und dann wieder als der ächte Typus wandernder Bänkelsänger, der von einer pedantischen Abhandlung mit dem Pfarrer zu göttlicher, musikalischer Begeisterung und von einem zweideutigen Flüstern mit dem Vogelmädchen zu einer allgemeinen Unterhaltung voll Gedankengröße, Philosophie und poetischer Begeisterung übergehen konnte.

All diese Umgestaltung hatte endlich Sabina’s Urtheil bestrickt und ihr Herz gebrochen. Alle diese Scenen, alle diese Unterhaltungen erschienen ihr von der raschen Bewegung der Kutsche, welche sie noch zu fühlen glaubte, und dem Dekorationenwechsel der Berge begleitet, die sie vor ihren geschlossenen Augen vorüberziehen sah. Sie unterschied die Täuschung nicht mehr von der Wirklichkeit, und als sie einen Augenblick einzuschlummern begann, wachte sie jählings wieder auf, indem sie sich auf der Thurmesspitze wähnend, Teverino’s Kuß auf ihren Lippen zu fühlen meinte. Spöttelndes Beifallklatschen und verächtliches Lachen schlug an ihr Ohr, der Thurm stürzte krachend zusammen und sie befand sich am Arm des Bänkelsängers in einer kothigen Straße,vor ihr stand Leonce, der ihnen mit abgewandtem Kopfe ein mitleidiges Almosen zuwarf.

Die Negerin, welche beauftragt war, sie frühzeitig zu wecken, fand sie trüben Auges und mit beklemmter Brust auf ihrem Bette sitzen. Sie reichte ihr den Burnus von weißem Cachemire, der ihr auf der Villa als Morgenkleid diente, frische und wohlriechende Wäsche, ihre reiche Toilettenschachtel, kurz, fast alle ihre gewohnten Luxusbedürfnisse. Anfangs bediente sie sich deren nur mechanisch, als sie dann aber den Gegenständen um sie her wieder mehr Aufmerksamkeit schenkte, fragte sie Lele, wer so viel zarte Rücksichten für sie gehabt habe. Auf Lele’s Antwort, daß Leonce mit ängstlicher Sorgfalt alle diese Vorkehrungen getroffen, konnte sie nicht mehr an der Absicht zweifeln, die er schon beim Weggehen gehabt haben mußte, ihre Spazierfahrt bis auf den folgenden Tag auszudehnen, und während sie die Haare ordnen und sich ankleiden ließ, verlor sie sich in tausend neue Träumereien.

Nach der Art und Weise, wie Teverino sich Abends zuvor gegen sie benommen, war es nur allzugewiß, daß er sie nicht liebte. Wie hatte er nach jenen leidenschaftlichen Schmeicheleien und dem unseligen Kusse, statt den Rest des Abends über in sich gekehrt und erregt zu sein, noch eine so possirliche Scene aufführen können? Und wie hatte er, als er sich mit der schon halbbesiegten Frau allein befunden, statt ihr jene erheuchelte Reue zu bezeugen, welche mehr verlangt und die eine stolze Schönheit erwartet, um sich zu vertheidigen oder nachzugeben, wie hatte er ihr da in einer Art von philosophischem Streit die Spitze bieten und ihr endlich von Leonce’s Liebe statt von seiner eigenen sprechen können.«

Sabina fühlte sich tief gedemüthigt, es drängte sie, sich bald möglichst zu zeigen, um ihr höhnisch stolzes Wesen und die gleißnerische Ruhe ihrer vermeintlichen Unverletzbarkeit wieder annehmen zu können. Wenn aber dann der Marquis unverschämt und gefährlich war, auf welch andere Stütze, denn die Leonce’s, konnte sie da hoffen?

Eine süße und billige Gewohnheit führte sie daher zu diesem natürlichen Vertheidiger zurück, und der Großmuth ihres Freundes gewiß, fragte sie sich mit Schreck, wie sie ungerecht und leichtsinnig genug habe sein können, um sich dem Bedürfniß nach demselben auszusetzen. Als sie diese beiden Männer mit einander verglich, der eine voll Verführungskünste und ein wahres Räthsel, der andere streng und zuverlässig, ein Unbekannter und ein bewährter Freund, diesen, den ein Kuß von ihr auf ewig an ihre Schritte gefesselt hätte, jenen, der ihn im Vorübergehen gleich einem ganz einfachen Begebniß nahm und nach einer Stunde schon nicht mehr daran dachte, da klagte eine innere Stimme sie an und sie erröthete in tiefster Seele.

Leonce erwartete, sie erzürnt über ihn zu sehen, und fand sie blaß, traurig und entwaffnet. Als er sich näherte, um ihr, wie gewöhnlich, die Hand zu küssen, sah er eine Thräne an ihren schwarzen Wimpern glänzen und ward ebenfalls unwillkürlich bewegt.

»Sie sind leidend?« sagte er; »Sie haben eine schlechte Nacht gehabt?«

»Sie haben es mir vorausgesagt, Leonce, und ich muß Ihnen Rechenschaft geben von den fürchterlichen Aufregungen, deren Erinnerung mir nie entfliehen soll. Sehen Sie zu, ich bitte Sie, daß ich heute ruhig mit Ihnen plaudern kann, und verlassen Sie mich nicht, wie Sie gestern zu verschiedenen Malen so unbarmherzig gethan.«

Leonce hatte nicht den Muth, ihr zu antworten, daß er durch eine solche Handlungsweise ihr zu Gefallen zu leben geglaubt habe. Er sah nur allzugut, daß Sabina weder Lust noch Kraft hatte, sich zu rechtfertigen. Nun fragte er sich seinerseits, ob er nicht der einzige Schuldige sei, und voller Düsterkeit und Ungewißheit ging er, die Zurüstungen zur Abreise zu leiten.

Glücklicherweise erheiterte der Pfarrer das Frühstück durch die Erzählung des schrecklichen Abenteuers, wo er mit dem Satan im Handgemenge war. Der Marquis war ungemein witzig, Leonce zerstreut und Sabina wußte ihm Dank dafür. Es däuchte ihr, Teverino zeige die Unverschämtheit eines glücklichen Liebhabers, und sie haßte ihn. Und doch lag den Gedanken des Zigeuners Nichts ferner, er nahm Lady G***s Fehler weit leichter auf, als sie selbst; er fand die Sünde so verzeihlich und besaß in dieser Hinsicht eine so duldsame Philosophie, daß er wenig geneigt war, damit zu pralen. Der Grund dazu mochte wohl darin liegen, daß er in einem gewissen Sinne für die Tugend der Frauen weniger Achtung, als Leonce, und zugleich mehr Zutrauen zu ihrem moralischen Werth hatte. Um eines schwachen Augenblicks willen beurtheilte er sie nicht als einer wirklichen und dauerhaften Anhänglichkeit unfähig. Sein Code über Tugend war weniger großartig, aber menschlicher. Er sah sein Ideal nicht in der Kraft, sondern im Gegentheil in der Zärtlichkeit und im Verzeihen.’

Erst, als man eben im Begriff war, die Kutsche wieder zu besteigen, bemerkte Sabina Magdalena’s Abwesenheit.

»Das Mädchen ist mit Tagesanbruch in seine Berge zurückgekehrt,« sagte Teverino zu ihr; »sie fürchtete, ihr Bruder möchte sich bei seiner Heimkunft ihretwegen beunruhigen, und so nahm sie dann mit Vogelsschnelle ihren Weg durch das Gebirge, begleitet von ihren Thierchen, die ich am Stadtthor, wohin ich sie begleitete, aus Furcht, sie möchte von den nach ihren sogenannten Hexenkünsten gierigen Kindern überfallen und aufgehalten werden, mit eigenen Augen ihr entgegenfliegen sah.«

»Der Marquis ist der Beste unter uns,« sagte Leonce, »während wir unsere kleine Reisegefährtin vergaßen, war er der Erste, der aufstand, um ihr seinen Schutz für ihren Rückweg angedeihen zu lassen.«

»Sie nennen das Schutz angedeihen lassen!« sagte Sabina mit bittrer Miene auf Englisch zu ihm.

»Beurtheilen Sie Teverino nicht falsch,« antwortete ihr Leonce, »Sie kennen ihn noch nicht.«

»Haben Sie mir nicht gestern gesagt, Sie selbst kennten ihn nicht mehr?«

»Ach! ich habe ihn wieder gefunden und fortan, Sabina, kann ich mich für ihn verbürgen.«

»Wirklich? er ist also ein Ehrenmann?«

»Ja, Madame, er ist ein Mann von Herz, obwohl er kein glänzendes Vermögen besitzt.«

»Ist seine Familie arm, oder hat er sich zu Grunde gerichtet?’

»Was liegt am Einen oder Andern?«

»Viel liegt daran. Ich achte die Armuth eines Edelmannes, allein von einem Adeligen, der sein Erbgut durchgebracht hat, hege ich eine schlechte Meinung.«

»In diesem Fall können Sie mich verachten, denn ich bin ganz im Zuge, das meinige durchzuthun.«

»Sie haben das Recht dazu und ich weiß, daß Sie es auf eine edle und großmüthige Weise thun. Sie laufen dabei nicht Gefahr, in die Erniedrigungen des Elends hineinzugerathen; ihr Künstlertalent sichert Ihnen eine glänzende Zukunft.«

»Und wenn ich ein launischer, unbeständiger Künstler wäre, der den Anfällen von Trägheit und Erschlaffung um so mehr ausgesetzt ist, als der Gedanke, um Geld zu arbeiten, mein Genie ertödten würde. Die großen, die wahren Künstler sind eigentlich so; und Sie selbst, warfen Sie mir nicht noch gestern vor, in einer Mitte geboren zu sein, in welcher der Erfolg leicht zu erringen und das Streben danach wenig verdienstlich ist?«

»Erinnern Sie mich an Nichts von gestern, Leonce, ich möchte diese Seite aus dem Buche meines Lebens reißen können.«

Man hatte die Anhöhe, an welcher die Stadt lag, rasch überschritten. Um wieder an die Kränze zu gelangen, mußte man den steilen Schneckenweg, welchen Teverino Abends zuvor mit so viel Kühnheit und Sicherheit hinuntergefahren war, im Schritt erklimmen. Das konnte wenigstens eine Stunde dauern. Jedermann war ausgestiegen, Sabina ausgenommen, welche Leonce bat, neben ihr im Hintergrunde der Wurst zu bleiben. Der Jockey hielt sich in der Nähe seiner Pferde, die Negerin sprang muthwillig längs den Gräben hin und haschte mit einer gewssen wilden Anmuth, welche die Feinheit und Kraft ihrer wollüstigen Formen hervortreten ließ, nach Schmetterlingen. Der Pfarrer, welcher unstreitig vor diesem schwarzbraunen Ding, diesem Luzifer in Weiberkleidern, wie er sie nannte, einen Abscheu hatte, ging mit Teverino voraus. Dieser hatte beschlossen, ihn mit Magdalenas gutem Freunde, jenem Vagabunden zu versöhnen, den der gute Mann noch nie gesehen, sich aber fest vorgenommen hatte, bei erster Gelegenheit durch die Gendarmen aus der Gegend stäupen zu lassen. Ohne ihm von diesem Unbekannten zu sprechen, gab sich ihm der Marquis, welcher den Augenblick voraussah, wo er vielleicht die Maske lüften müßte, unter seiner besten Seite zu kennen und legte es darauf an, das Wohlwollen und Zutrauen des Polterers zu gewinnen. Das war nicht schwer, denn der Polterer war im Grunde der Beste der Menschen, wenn man weder seinen religiösen Ideen noch seinen Gewohnheiten in Beziehung auf Bequemlichkeit und Wohlleben zuwiderhandelte.

»Hören Sie, Leonce,« sagte Sabina, nachdem sie einige Augenblicke ihren Träumereien nachgehangen hatte, »ich habe Ihnen ein seltsames Bekenntniß abzulegen, und wenn Sie mich schuldig finden, so muß ich mich auf Ihre Unkosten rein waschen, denn Sie sind die Ursache alles Uebels, das ich erlitten, und scheinen mein Leiden mit Vorbedacht herbeigeführt zu haben. Sie haben daher so großes Unrecht an mir gethan, daß ich die Kraft fühle, Ihnen das meinige zu gestehen.«

»Soll ich Ihnen diese Schmach ersparen?« antwortete Leonce, getheilt zwischen verächtlichem Mitleid und brüderlicher Theilnahme ihre Hand ergreifend. »Ja, es ist sowohl die Pflicht eines Freundes, als auch zu gleicher Zeit sein Recht. Sie haben meinen Marquis nicht ungestraft sehen können, Sie haben seine unbesiegliche Macht gefühlt, Sie haben alle Ihre pralerischen Theorieen verläugnet, kurz, Sie lieben ihn!«

Eine brennende Röthe bedeckte Sabinas Wangen und sie machte eine verächtliche Geberde, dann aber sagte sie nach einer Anstrengung über sich selbst:

»Und wenn das wäre, würden Sie mich tadeln? Reden Sie offenherzig, Leonce, schonen Sie meiner nicht.«

»Ich würde Sie keineswegs tadeln, aber versuchen, Sie vor dieser wachsenden Leidenschaft sicher zu stellen. Teverino ist ihrer nicht unwürdig, das schwöre ich vor Gott, der alle Dinge weiß und sie anders beurtheilt, als wir. Aber zwischen diesem Manne und ihnen liegen Hindernisse, die Sie weder überwinden könnten, noch wollten, arme Frau! Ein Zufallsleben, ein Leben voller Widerwärtigkeiten, voll unerklärlicher Seltsamkeiten fesselt Teverino in eine Sphäre, wohin Sie ihm nicht folgen könnten. Ein Band zwischen Euch wäre für Beide beklagenswerth.«

»Sie beantworten, worüber ich Sie nicht gefragt habe. Was liegt mir an der Zukunft, was liegt mir am Schicksal dieses Mannes?«

»Ach! wie lieben Sie ihn!« rief Leonce mit Bitterkeit.

»Ja! ich liebe ihn in der That sehr!« antwortete sie mit eisigem Lachen. »Sie sind ein Narr, Leonce. Dieser Mensch ist mir völlig gleichgültig.«

»Nun, was fragen Sie mich denn? Treiben Sie Ihr Spiel mit meiner Treuherzigkeit?’

»Gott bewahre! Ich habe Sie gefragt, ob diese Liebe, im Fall sie möglich wäre, Ihnen strafbar erscheinen würde.«

»Strafbar, nein; denn ich gebe zu, daß der Strafbare ich selbst wäre.«

»Und sie würde mir Nichts von Ihrer Freundschaft rauben?«

»Von meiner Freundschaft, nein; aber von meiner Achtung . . .«

»Sagen Sie Alles. Warum würde Ihre Achtung sich in Mitleid verwandeln?«

»Weil Sie in der Vergangenheit nicht aufrichtig gegen mich gewesen wären. Was! so viel Stolz, Kälte und Verachtung gegen schwache Weiber; solchen Hohn beim plötzlichen Falle, bei blinder Hingebung, und Sie sollten sich dann auf einmal als die schwächste und blindeste aller zu erkennen geben? Sie sollten sich Jahre lang vor einer wahren und tiefen Liebe gehütet haben, um in einem Augenblick einem vorübergehenden Zauber zu erliegen? Ihr Charakter würde bei dieser Probe seine ganze Originalität, seine ganze Größe verlieren.«

»Wie wenig stimmen Ihre Worte überein, Leonce! Gestern führten Sie einen wilden, blutigen Krieg gegen diesen gehässigen Charakter; Sie taxirten ihn als Egoismus und kalte Grausamkeit. Sie waren nahe daran, mich zu hassen, weil ich nie geliebt hätte.«

»Dann haben Sie sich in Ihrer Ehre angegriffen gefühlt, und Sie wollten zeigen, wessen Sie fähig wären!«

»Sein Sie ruhig und großmüthig, und muthen Sie mir nicht die Niederträchtigkeit zu, mir eine Rolle vorgezeichnet und ganz kalt den Entschluß gefaßt zu haben, Ihnen Schmerz zu bereiten.«

»Schmerz bereiten, mir? Weßhalb sollte ich denn Schmerz empfunden haben?«

»Weil Sie mich gestern liebten, Leonce. Ja! Sie sprachen mir von Liebe, während Sie mir Haß bewiesen: Sie flehten darum, indem Sie mich zurückstießen. Ich weiß, daß Sie sich heute deßwegen gedemüthigt fühlen, ich weiß, daß Sie mich heute nicht mehr lieben.«

»Wohlan,« sagte Leonce traurig, »das heiß’ ich in den Herzen lesen. Aber es ist Ihnen vermuthlich so gleichgültig, mich heute geheilt zu sehen, als es Ihnen gestern war, mich leidend zu wissen!«

»So erfahren Sie denn die ganze Verkehrtheit meiner Neigungen. Ich war gestern nicht gleichgültiger, als ich es heute bin. Ich hätte gestern Ihre Liebe, indem ich Sie zurückstieß, beinahe angenommen, und während ich sie heute zu erflehen scheine, verzichte ich darauf.«

»Sie thun wohl, Sabina, es wäre ein großes Unglück für Beide, wenn sie nach dem, was ich gesehen und weiß, noch bestehen könnte.«

»Und dennoch haben Sie nicht Alles gesehen, und Sie sollen Alles wissen. Gestern war ich auf dem Thurme droben durch die Stimme dieses Italiäners bis zu Thränen gerührt, ein Schwindel ergriff mich, ich fühlte seine Lippen auf den meinigen, und hatte ich Sie nicht zurückkommen gehört, so würde ich vielleicht den Kopf nicht weggewandt haben.«

»Sie haben leicht Jemandem beichten, der von dieser malerischen Scene Nichts verloren hat. Ich glaubte Franciska von Rimini zu sehen, die Paolo’s ersten Kuß erhält! Sie waren sehr schön!«

»Nun, Leonce, warum dieser Schauder, dieser erzürnte Blick und diese zitternde Stimme? Was liegt Ihnen heute daran, weil Sie mich dieses Fehlers wegen nicht mehr lieben, weil Sie mich so weit verachten und mir sogar das Verdienst des Zutrauens und der Reue rauben wollen?«

»Man bereut nicht, wenn man mit so viel Kühnheit beichtet.«

»Wohlan, sei es Kühnheit, wenn Sie wollen, ich will nicht das Gegentheil behaupten, und nicht die Verzeihung eines Liebhabers erbitte ich, sondern die Absolution der Freundschaft. Sehn Sie, Leonce, die demüthigende Erfahrung, die ich gestern auf Kosten meiner machte, hat mir andere Ansichten über Liebe und eine andere Meinung über mich selbst beigebracht. Ich träumte mir etwas Unendliches und Erhabenes, ich glaubte noch daran; ich vermuthete Sie kaum würdig, mich zur Entdeckung dieses Ideals zu leiten. Jetzt habe ich das Nichts meiner Träume und die schmähliche Schwäche der menschlichen Natur erkannt. Ein feuriges Auge, schmeichelhafte Worte, eine schöne Stimme, Ermüdung und die Aufregung eines abenteuerlichen Tages, die Berauschung einer schönen Nacht, eines schönen Ortes, und mehr noch als dies Alles, ein boshaftes Hinneigen zum Groll gegen Sie haben mich in einem gewissen Augenblick so schwach gemacht, als ich während mehreren in der Welt zugebrachten Jahre stark und unbesieglich war . . .

»Eine unbegreifliche Verwirrung hat auf mir gelastet, eine Wolke hat meine Augen bedeckt, ein Summen meine Ohren erfüllt. Ich fühlte, daß auch ich ein leidendes, beherrschtes, hingerissenes Wesen, mit Einem Worte, daß ich ein Weib sei! Und alsobald ist mein ganzes Gerüste von Hochmuth in sich zerfallen, ich habe das Vertrauen, das ich in mich selbst setzte, beweint, und indem ich mich unsicher und enttäuscht fühlte, glaubte ich wenigstens Gott danken zu können, daß er mir einen großmüthigen Freund zur Seite gestellt, der, nachdem er mich vom gänzlichen Falle bewahrt, mich in meinem Schmerze trösten würde . . .

»Sollte ich mich denn getäuscht haben, Leonce? und werden Sie nicht versuchen, die Wunde zu heilen, die in der Tiefe meines Herzens blutet? Soll ich in der Einsamkeit weinen und stündlich durch den Schrei meines Gewissens niedergedonnert werden? Und wenn diese Verzweiflung mich am Ende bricht, wenn ein erster Fall mich an einen unseligen Abhang stellt, wenn ich noch einmal so erbärmliche Versuchungen erdulden und die Wichtigkeit jener Gefahren fühlen muß, die ich so sehr verachtet habe, werde ich dann Niemand haben, um mir die Hand zu reichen und mich zu schützen? Wird mein Mann, dieser phlegmatische und unmäßige Engländer, es thun, der seine Vernunft nicht vor der Lockung des Weines zu bewahren weiß und der nicht begreift, daß die Liebe dieser weichen muß? Werden meine treulosen Anbeter, jene unbarmherzigen und verdorbenen Weltleute, es thun, die um eine Frau zu verführen, vor keiner Lüge zurückbeben, und die uns verachten, sobald wir den Lügen eines Andern Gehör schenken? Sagen Sie, wo soll ich mich in Zukunft hinflüchten, wenn der einzige Mann, dessen Freundschaft ich das Geheimniß meiner Schwäche anvertrauen kann, mich zurückstößt und mir mit Kälte sagt: Mitleid wohl, aber keine Achtung!«

11.Weiche zurück, Satan!
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04 December 2019
Volume:
210 p. 1 illustration
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Public Domain