George Sand – Gesammelte Werke

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– Wie, mei­ne arme Freun­din, sag­te An­zo­le­to, hast du mich bis jetzt er­war­tet?

– Hat­test du mir nicht ge­sagt, du wür­dest kom­men und mir von dei­nem Abend Nach­richt brin­gen? Nun, sage doch, hast du gut ge­sun­gen und Freu­de ge­macht? Ha­ben sie ge­klatscht? Und ha­ben sie dir dein En­ga­ge­ment zu wis­sen ge­tan?

– Und du, o du gute Con­sue­lo, sag­te An­zo­le­to, plötz­lich von Ge­wis­sens­bis­sen an­ge­fal­len, als er die Trau­lich­keit und Freund­lich­keit die­ses ar­men Mäd­chens sah, sage mir doch, ob du nicht recht un­ge­dul­dig wur­dest, dass ich so lan­ge blieb, ob du nicht recht müde bist von dem lan­gen War­ten, ob du nicht recht ge­fro­ren hast auf die­ser Ter­ras­se, ob du auch ans Abend­brot ge­dacht hast, ob du mir nicht böse bist, dass ich so spät kom­me, ob du dich be­un­ru­higt hast, ob du mir Schuld gibst?

– Nein, nichts von dem al­len, ent­geg­ne­te sie, ihre Arme voll Un­schuld um sei­nen Hals schlin­gend. Wenn ich un­ge­dul­dig wur­de, so war’s doch nicht über dich; wenn ich müde war, wenn ich fror, ei, ich füh­le nichts mehr da­von, seit­dem du da bist; ob ich ge­ges­sen habe; ich weiß es nicht mehr; ob ich dir Schuld gebe … was für Schuld soll­te ich dir ge­ben? ob ich mich be­un­ru­higt habe … wes­we­gen denn mich be­un­ru­hi­gen? ob ich dir böse bin? Nie, nie!

– Du, du bist ein En­gel, sag­te An­zo­le­to, in­dem er sie küss­te. Ach, mein Trost! wie sind die an­de­ren Her­zen so un­ge­treu und so hart!

– O, was ist dir ge­sche­hen? was ha­ben sie da un­ten dem »Sohn mei­ner See­le« ge­tan? rief Con­sue­lo, in den an­mu­ti­gen ve­ne­tia­ni­schen Dia­lekt die küh­nen und lei­den­schaft­li­chen Bil­der ih­rer Mut­ter­spra­che mi­schend.

An­zo­le­to er­zähl­te nun al­les was ihm be­geg­net war, auch sei­ne Galan­te­ri­en bei der Co­ril­la und be­son­ders die Lo­ckun­gen die er von ihr er­fah­ren hat­te. Nur er­zähl­te er die Din­ge auf eine ge­wis­se Art, in­dem er al­les das sag­te was Con­sue­lo nicht be­trü­ben konn­te, da er, wirk­lich und mit Wil­len, ihr doch treu ge­blie­ben war, und es war »so ziem­lich« die gan­ze Wahr­heit. Es gibt aber ein Par­ti­kel­chen Wahr­heit, das noch kei­ne ge­richt­li­che Un­ter­su­chung je­mals an den Tag ge­bracht, das noch kein Cli­ent sei­nem Ad­vo­ca­ten je be­kannt, das noch kein Ur­teil je­mals, au­ßer zu­fäl­lig, ge­trof­fen hat, und ge­ra­de in die­ser Klei­nig­keit von Tat­be­stand oder Ab­sicht, wel­che un­en­t­hüllt bleibt, liegt das We­sen der Sa­che, der Be­weg­grund, das End­ziel, kurz das ge­such­te Wort all die­ser großen Rechts­hand­lun­gen, die stets so schlecht ge­führt und stets so schlecht ent­schie­den wer­den, wie groß auch im­mer die Hit­ze der Red­ner und die Käl­te der Rich­ter sei.

Um auf An­zo­le­to zu­rück­zu­kom­men, so braucht nicht erst ge­sagt zu wer­den, wel­che klei­nen Sün­den er ver­schwieg, wel­che glü­hen­den Re­gun­gen er auf sei­ne Art über­setz­te und wel­che in der Gon­del er­stick­te Wal­lun­gen er zu er­wäh­nen ver­gaß. Ich glau­be so­gar, dass er von der Gon­del gar nicht sprach, und die der Sän­ge­rin er­wie­se­nen Ar­tig­kei­ten als Kunst­grif­fe dar­stell­te, mit de­ren Hil­fe er, ohne sie zu er­zür­nen, den ge­fähr­li­chen Avan­zen wo­mit sie ihn über­häuf­te, ge­schickt ent­kom­men wäre. Wa­rum aber, wenn er doch ein­mal nicht al­les ver­ra­ten woll­te noch konn­te, näm­lich nicht die Stär­ke der Ver­su­chun­gen, wel­che er aus Klug­heit und aus rich­ti­gem Takt über­wun­den hat­te, warum – so fragst du, lie­be Le­se­rin – hat die­ser jun­ge Schelm sich in die Ge­fahr ge­bracht, Con­sue­lo’s Ei­fer­sucht auf­zu­we­cken? Das fra­gen Sie mich, Ma­da­me! Sa­gen Sie mir doch, ob Sie nicht Ihrem Liebs­ten, ich mei­ne, dem Gat­ten Ih­rer Wahl alle Hul­di­gun­gen, die von an­de­ren Ih­nen dar­ge­bracht wur­den, alle Ver­der­ber, die Sie ab­ge­wie­sen ha­ben, alle Ne­ben­buh­ler, die Sie ihm, nicht al­lein vor der Ehe, son­dern je­den Ball­tag, ges­tern, heu­te noch, ge­op­fert, auf­zu­zäh­len pfle­gen! Wohl­an Ma­da­me, wenn Sie schön sind, und es macht mir Freu­de dies zu glau­ben, so wet­te ich mei­nen Kopf, Sie ma­chen es nicht an­ders als An­zo­le­to, nicht um Ihren Wert zu zei­gen, nicht um ein ei­fer­süch­ti­ges Ge­müt zu quä­len; nicht um ein Herz stolz zu ma­chen, das schon zu stolz auf Ihre Vor­zü­ge ist, son­dern weil es süß ist, je­man­den zur Sei­te zu ha­ben, dem man sol­che Din­ge mit­tei­len kann, ganz in dem Schei­ne als er­füll­te man da­mit le­dig­lich sei­ne Pf­licht, und zu beich­ten, in­dem man vor dem Beich­ti­ger prahlt. Nur be­schränkt sich auch Ihre Beich­te, Ma­da­me, auf »so ziem­lich al­les.« Es ist nur ein ganz klei­nes Et­was da­bei, von wel­chem Sie schwei­gen: der Blick etwa, das Lä­cheln, wo­durch Sie die un­ver­schäm­te Er­klä­rung des Fre­chen, über den Sie sich be­kla­gen, her­aus­ge­for­dert ha­ben. Die­ses Lä­cheln, die­ser Blick, die­ses Et­was ist eben die Gon­del, von wel­cher An­zo­le­to, froh, den Rausch des Abends in der Erin­ne­rung noch ein­mal laut durch­zu­ge­hen, sei­ner Con­sue­lo zu er­zäh­len ver­gaß. Die klei­ne Spa­nie­rin wuss­te zu ih­rem Glücke noch nicht, was Ei­fer­sucht sei: die­se schwar­ze, bit­te­re Re­gung steigt nur in den See­len auf, die viel ge­lit­ten ha­ben, und Con­sue­lo war bis da­hin eben so glück­lich in ih­rer Lie­be, als ihr Herz gut war. Der ein­zi­ge Um­stand, der auf sie einen tie­fen Ein­druck mach­te, war die eben­so schmei­chel­haf­te als stren­ge Weis­sa­gung, wel­che ihr ver­ehr­ter Meis­ter, der Pro­fes­sor Por­po­ra über An­zo­le­to’s Haupt ge­spro­chen hat­te. Sie ließ sich von ihm die Wor­te des Meis­ters wie­der­ho­len, und nach­dem er sie ihr ge­nau vor­ge­tra­gen, dach­te sie lan­ge nach und ver­harr­te schwei­gend.

– Con­su­e­li­na, sag­te An­zo­le­to zu ihr, der nicht sehr auf ihr Träu­men ge­ach­tet hat­te, ich muss dir ge­ste­hen, dass die Luft au­ßer­or­dent­lich frisch ist. Hast du nicht Furcht, dich zu er­käl­ten? Be­den­ke nur, Lie­be! dass un­se­re Zu­kunft noch mehr von dei­ner Stim­me ab­hängt, – als von der mei­ni­gen …

– Ich er­käl­te mich nie, ent­geg­ne­te sie. Aber du, mit dei­nen schö­nen Klei­dern, die so leicht sind! Da, wick­le dich in mei­ne Man­til­le. – Was soll mir dies arme durch­lö­cher­te Fähn­chen Taft hel­fen? … Ich möch­te viel lie­ber ein hal­b­es Stünd­chen in dei­ner Stu­be un­ter Ob­dach sein.

– Gut, sag­te Con­sue­lo, aber da darfst du nicht spre­chen; denn wenn uns die Nach­barn hör­ten, so wür­den sie uns Schan­de ma­chen. Sie sind nicht schlecht: sie ma­chen mir nicht viel Not um un­se­re Lieb­schaft, die sie se­hen, denn sie wis­sen wohl, dass du, des nachts nie zu mir kommst. Du tä­test auch bes­ser, wenn du nach Hau­se schla­fen gin­gest.

– Ich kann ja nicht; es wird erst auf­ge­macht, wenn es Tag ist, und ich müss­te noch drei Stun­den frie­ren. Sieh nur, wie mir die Zäh­ne im Mun­de klap­pern!

– So komm denn, sag­te Con­sue­lo auf­ste­hend; ich will dich in mei­ne Stu­be ein­schlie­ßen und dann wer­de ich wie­der an die Ter­ras­se ge­hen, da­mit, wenn uns ei­ner auf­pas­sen soll­te, er auch sehe, dass ich nichts An­stö­ßi­ges tue.

Sie führ­te ihn wirk­lich in ihr Zim­mer. Es war ein ziem­lich großer, ver­fal­le­ner Saal, in wel­chem die auf den Wän­den einst ge­mal­ten Blu­men, un­ter ei­nem zwei­ten grö­be­ren und fast schon eben­so be­schä­dig­ten An­strich hin und wie­der durch­blick­ten. Ein großes vier­e­cki­ges Bett­ge­stell aus Holz mit ei­nem Stroh­sack von See­gras und ei­ner ganz sau­be­ren, aber an hun­dert Stel­len mit Läpp­chen von al­len Far­ben ge­flick­ten Pi­qué­de­cke, ein Stroh­stuhl, ein Tisch­chen, eine sehr alte Gui­tar­re und ein Christ­kind von Draht­ar­beit, die Reich­tü­mer wel­che ihre Mut­ter ihr hin­ter­las­sen; ein klei­nes Spi­nett und ein großes Pack al­ter wurm­sti­chi­ger Mu­si­ka­li­en, Sa­chen die Pro­fes­sor Por­po­ra ihr aus be­son­de­rer Güte ge­lie­hen hat­te – mit die­sem Haus­rat be­half sich die jun­ge Künst­le­rin, ei­ner ar­men Zi­geu­ne­rin Kind, die Schü­le­rin ei­nes großen Meis­ters und die Ge­lieb­te ei­nes schö­nen Aben­teu­rers.

Da nur Ein Stuhl da war und der Tisch voll Mu­si­ka­li­en lag, so blieb für An­zo­le­to kein Sitz als das Bett, und dazu mach­te er es auch ohne Um­stän­de. Kaum hat­te er sich aber auf den Rand des­sel­ben ge­setzt, als ihn die Mü­dig­keit über­wäl­tig­te: er ließ sei­nen Kopf auf ein großes Wol­len­pfühl, das als Kopf­kis­sen diente, nie­der­sin­ken und sag­te: o du, mein Weib­chen, woll­te ich doch in die­sem Au­gen­bli­cke al­les was ich noch zu le­ben habe um eine Stun­de gu­ten Schla­fes ge­ben, und alle Schät­ze der Welt um ein Eck­chen die­ser De­cke auf mei­ne Füße. Ich habe noch nie so ge­fro­ren wie in die­sen ver­wünsch­ten Klei­dern, und von dem Un­be­ha­gen die­ser schlaflo­sen Nacht habe ich einen Fie­ber­schau­er.

Con­sue­lo be­sann sich einen Au­gen­blick. Wai­se und zu acht­zehn Jah­ren al­lein auf der Welt, hat­te sie Kei­nem über ihre Hand­lun­gen Re­chen­schaft zu ge­ben als ih­rem Gott. Sie glaub­te an An­zo­le­to’s Ver­spre­chen wie an das Evan­ge­li­um, sie fürch­te­te we­der Ab­nei­gung noch Ver­las­sung von ihm, wenn sie ihm auch al­les zu Ge­fal­len täte. Aber ihr Scham­ge­fühl, das An­zo­le­to nie be­kämpft noch ge­dämpft hat­te, mach­te, dass ihr sei­ne Zu­mu­tung ein we­nig stark schi­en. Sie trat zu ihm, sie fühl­te sei­ne Hand an: die­se war wirk­lich sehr kalt. An­zo­le­to er­griff die Hand Con­sue­lo’s und führ­te sie an sei­ne Stirn, die glü­hend heiß war.

– Du bist krank, sag­te sie zu ihm, von ei­ner Be­sorg­nis er­grif­fen, wel­che je­des an­de­re Be­den­ken zum Schwei­gen brach­te. Nun denn, schlaf ein Stünd­chen auf die­sem Bet­te.

An­zo­le­to ließ es sich nicht zwei­mal sa­gen. Gut wie Gott im Him­mel! lis­pel­te er, in­dem er sich auf der See­gras­ma­trat­ze aus­streck­te. Con­sue­lo deck­te ihn zu; sie hol­te aus ei­nem Win­kel ein paar arm­se­li­ge Klei­dungs­stücke, die sie noch hat­te und deck­te sie über sei­ne Füße. An­zo­le­to, sag­te sie lei­se, wäh­rend sie so müt­ter­lich wal­te­te, auf die­sem Bet­te, wo du schla­fen wirst, habe ich mit mei­ner Mut­ter die letz­ten Jah­re ih­res Le­bens ge­schla­fen, auf die­sem Bet­te habe ich sie ster­ben se­hen, und ihr das Lei­chen­tuch um­ge­tan und bei ih­rer Lei­che ge­wacht un­ter Ge­bet und Trä­nen, bis die To­ten­bar­ke kam, um sie mir auf im­mer hin­weg­zu­neh­men. Nun gib Acht, ich will dir jetzt sa­gen was für ein Ver­spre­chen sie mir in ih­rer letz­ten Stun­de ab­nahm. Con­sue­lo, sag­te sie, schwö­re mir beim Christ, dass An­zo­le­to mei­nen Platz auf die­sem Bet­te nicht eher ein­neh­men darf, als bis ihr euch vor ei­nem Pries­ter ge­hei­ra­tet habt.

 

– Und du schwu­rest?

– Ich schwur. Und nun las­se ich dich hier zum ers­ten Male schla­fen, es ist aber nicht mei­ner Mut­ter Platz, den ich dir gebe, son­dern mein ei­ge­ner.

– Und du, ar­mes Kind, du wirst also nun nicht schla­fen? ent­geg­ne­te An­zo­le­to in­dem er sich mit ei­ner plötz­li­chen An­stren­gung halb auf­rich­te­te. Oh, ich bin ein er­bärm­li­cher Wicht, ich gehe und schla­fe auf der Stra­ße.

– Nein, sag­te Con­sue­lo, in­dem sie ihn mit sanf­ter Ge­walt auf das Kis­sen zu­rück­drück­te, dir ist un­wohl, und mir nicht. Mei­ne Mut­ter, die als gute Ka­tho­li­kin starb und im Him­mel ist, sieht uns je­der Stun­de. Sie weiß, dass du das Ver­spre­chen ge­hal­ten hast, das du ihr gabst, mich nicht zu ver­las­sen. Sie weiß auch, dass un­se­re Lie­be seit ih­rem Tode so rein ge­blie­ben ist, wie sie bei ih­ren Leb­zei­ten war. Sie sieht in die­sem Au­gen­blick, dass ich nichts Bö­ses den­ke und tue. Ruhe ihre See­le in dem Herrn! Hier­bei mach­te Con­sue­lo ein großes Kreuz. An­zo­le­to schlief ein. Ich will oben auf der Ter­ras­se mei­nen Ro­sen­kranz sa­gen, dass du das Fie­ber nicht kriegst, setz­te Con­sue­lo hin­zu und ging hin­aus.

– Gut wie Gott! wie­der­hol­te An­zo­le­to noch mit schwa­cher Stim­me und be­merk­te nicht ein­mal, dass sei­ne Braut ihn al­lein ließ. Sie ging auf das Dach und be­te­te ih­ren Ro­sen­kranz ab. Dann kehr­te sie zu­rück, um zu se­hen, ob ihm nicht mehr un­wohl wäre, und da sie ihn ru­hig schla­fend fand, be­trach­te­te sie lan­ge sein schö­nes blas­ses, von dem Mon­de be­leuch­te­tes Ge­sicht.

Dann, da sie sich dem Schla­fe nicht über­las­sen woll­te und sich er­in­ner­te, dass sie über die Auf­re­gung des vo­ri­gen abends ihre Ar­beit ver­säumt hat­te, zün­de­te sie ihr Lämp­chen wie­der an, setz­te sich an ih­ren klei­nen Tisch und schrieb eine Kom­po­si­ti­ons­übung, die ihr Por­po­ra für den fol­gen­den Tag auf­ge­ge­ben hat­te.

6.

Graf Zus­ti­nia­ni war un­ge­ach­tet sei­ner phi­lo­so­phi­schen Selbst­be­herr­schung und ei­ni­ger neu­en Lieb­schaf­ten, we­gen de­nen Co­ril­la ziem­lich un­ge­schickt die Ei­fer­süch­ti­ge spiel­te, kei­nes­wegs so un­emp­find­lich ge­gen die über­mü­ti­gen Ca­pri­zen die­ser tol­len Maitres­se, als er sich den An­schein zu ge­ben such­te. Zus­ti­nia­ni mach­te nur um des gu­ten To­nes und um sei­ner ge­sell­schaft­li­chen Stel­lung wil­len den Roué: er war ein gu­ter, schwa­cher Mensch und ein Le­be­mann. Er konn­te es aber nicht ver­mei­den, den Un­dank, wo­mit die­ses Mäd­chen sei­ne Groß­mut ver­galt, im Grun­de sei­nes Her­zens bit­ter zu emp­fin­den; und ob­gleich es da­mals, in Ve­ne­dig eben­so gut wie in Pa­ris, für äu­ßerst un­schick­lich galt, sich ei­fer­süch­tig zu zei­gen, so em­pör­te sich doch sein ita­lie­ni­scher Stolz ge­gen die lä­cher­li­che und trau­ri­ge Rol­le, die ihn Co­ril­la spie­len ließ.

Noch an dem­sel­ben Abend, an wel­chem An­zo­le­to im Pal­last Zus­ti­nia­ni ge­glänzt hat­te, nahm der Graf, der eben erst mit sei­nem Freun­de Bar­be­ri­go über die Schel­me­rei­en sei­ner Maitres­se ge­scherzt hat­te, so­bald er sei­ne Säle ge­leert und die Flam­be­aux ge­löscht sah, Man­tel und De­gen, und lief, um sich »rei­nen Wein« zu ho­len, nach dem Pal­las­te, wel­chen die Co­ril­la be­wohn­te.

Er über­zeug­te sich, dass sie al­lein war, und war doch doch nicht be­ru­higt; er fand den Bar­ca­ro­len der Pri­ma Don­na be­schäf­tigt die Gon­del un­ter das Ge­wöl­be zu sto­ßen, wel­ches die­sel­be auf­zu­be­wah­ren diente, und ließ sich mit dem Men­schen in Ge­spräch ein; mit­telst ei­ni­ger Ze­chi­nen öff­ne­te er ihm den Mund und fand sei­ne Ver­mu­tung be­stä­tigt, dass Co­ril­la je­man­den un­ter We­ges in ih­rer Gon­del bei sich ge­habt hat­te. Aber er konn­te nicht er­fah­ren, wer die­ser Beglei­ter war, der Gon­de­lier wuss­te es selbst nicht. Er hat­te den An­zo­le­to wohl hun­dert­mal bei dem Thea­ter und dem Pal­las­te Zus­ti­nia­ni ge­se­hen, hat­te ihn aber in der Dun­kel­heit un­ter sei­nem schwar­zen An­zu­ge und dem Pu­der nicht er­kannt.

Die­ses un­durch­dring­li­che Ge­heim­nis ver­stimm­te den Gra­fen vollends. Er hat­te Trost ge­sucht im Be­spöt­teln sei­nes Ne­ben­buh­lers, der ein­zi­gen, nach den Re­geln des gu­ten Ge­schmackes er­laub­ten Ra­che, die aber in Zei­ten der ei­teln Schau­stel­lung nicht min­der grau­sam ist als der Mord in den Epo­chen ernst­li­cher Lei­den­schaft. Er konn­te nicht ein­schla­fen, und noch ehe die Stun­de schlug, da Por­po­ra im Kon­ser­va­to­ri­um für die ar­men Töch­ter sei­nen Mu­sik­un­ter­richt zu be­gin­nen hat­te, mach­te er sich auf den Weg nach der Scuo­la dei Men­di­can­ti und trat in den Saal, in wel­chem sich die jun­gen Mäd­chen ver­sam­meln soll­ten.

Die Stel­lung des Gra­fen zu dem ge­lehr­ten Pro­fes­sor war seit ei­ni­gen Jah­ren eine ganz an­de­re ge­wor­den. Zus­ti­nia­ni war nicht mehr der mu­si­ka­li­sche Geg­ner Por­po­ra’s, son­dern sein Ver­bün­de­ter und ge­wis­ser­ma­ßen sein Vor­ge­setz­ter; er hat­te dem In­sti­tu­te, wel­ches die­ser ge­schick­te Meis­ter lei­te­te, be­trächt­li­che Schen­kun­gen ge­macht, und aus Dank­bar­keit hat­te man ihm die obe­re Auf­sicht über das­sel­be an­ver­traut. Die bei­den Freun­de leb­ten von der Zeit an in so gu­tem Ein­ver­neh­men als es die Un­duld­sam­keit des Pro­fes­sors ge­gen die mo­di­sche Mu­sik nur im­mer zuließ, eine Un­duld­sam­keit, die üb­ri­gens in dem­sel­ben Maße sich ver­min­der­te, als der Graf mehr und mehr, mit sei­nen Be­mü­hun­gen und mit sei­nem Gel­de, für die För­de­rung und Aus­brei­tung der erns­ten Mu­sik tat. Dazu kam noch, dass er eine Oper Por­po­ra’s, wel­che die­ser Meis­ter so­eben be­en­det hat­te, in Sau Sa­mu­el auf­füh­ren ließ.

– Lie­ber Meis­ter, sag­te Zus­ti­nia­ni, in­dem er ihn bei Sei­te nahm, ihr müsst euch nicht al­lein ent­schlie­ßen euch eine eu­rer Schü­le­rin­nen für das Thea­ter weg­neh­men zu las­sen, son­dern ihr müsst mir so­gar die­je­ni­ge be­zeich­nen, wel­che Euch selbst am bes­ten ge­eig­net scheint, die Stel­le der Co­ril­la aus­zu­fül­len. Die­se Sän­ge­rin wird matt, ihre Stim­me nimmt ab, ihre Ca­pri­cen rich­ten uns zu Grun­de und das Pub­li­cum wird ih­rer bald über­drü­ßig sein. Wir müs­sen wahr­haf­tig dar­an den­ken, ihr eine Suc­ce­di­tri­ce zu ge­ben. (Ver­zei­he, lie­ber Le­ser, es ist dies der her­ge­brach­te Aus­druck in Ita­li­en, kein neu vom Gra­fen ge­bil­de­tes Wort.)

– Ich kann euch nicht die­nen, gab Por­po­ra tro­cken zur Ant­wort.

– Was alle Welt, Meis­ter! rief der Graf, wollt ihr wie­der in eue­ren gal­lich­ten Hu­mor zu­rück­fal­len? Ist es wohl recht, dass ihr nach ei­nem so großen Auf­wand von Geld und Mühe, wie ich ihn an die Be­för­de­rung eu­e­rer mu­si­ka­li­schen Zwe­cke ge­setzt habe, mir den ers­ten klei­nen Ge­fal­len ab­schlagt, den ich in Rat und Tat von euch für die mei­ni­gen in An­spruch neh­me?

– Nein, dazu habe ich kein Recht mehr, Graf, er­wi­der­te der Pro­fes­sor; und was ich euch ge­sagt habe, ist die lau­te­re Wahr­heit, wie ich sie dem Freun­de sage, dem ich mit Freu­den einen Dienst leis­te. Ich habe in mei­ner Sin­ge­schu­le kei­ne ein­zi­ge Per­son, wel­che euch die Co­ril­la er­set­zen könn­te. Ich schla­ge sie nicht hö­her an, als nö­tig: aber wäh­rend ich er­klä­ren muss, dass das Ta­lent die­ses Mäd­chens in mei­nen Au­gen gar kei­nen re­el­len Wert hat, darf ich doch auch nicht ver­heh­len, dass sie ein Sa­voir-faire, eine Rou­ti­ne, eine Leich­tig­keit, ein Ein­ge­hen auf die Stim­mung des Pub­li­cums be­sitzt, wie sich das nur durch jah­re­lan­ge Übung er­rei­chen lässt, und wie es an­de­re De­bü­tan­tin­nen nicht so bald er­rin­gen wer­den.

– Das ist wahr, sag­te der Graf, aber am Ende ha­ben wir die Co­ril­la ge­bil­det, wir ha­ben ihre An­fän­ge ge­se­hen, wir ha­ben sie in die Gunst des Pub­li­kums ein­ge­führt: drei Vier­tel von ih­rem Er­fol­ge ver­dankt sie ih­rer Schön­heit und ihr habt in eue­rer Schu­le noch eben so rei­zen­de We­sen. Das wer­det ihr nicht in Ab­re­de stel­len, lie­ber Meis­ter! Zum Bei­spiel, die Clo­rin­da, müsst ihr ge­ste­hen, ist doch das schöns­te Ge­schöpf der Erde.

– Ja, aber ver­schro­ben, ge­ziert, un­leid­lich … Zwar, es ist mög­lich, dass das Pub­li­cum die­se lä­cher­li­chen Gri­mas­sen ent­zückend fin­de … aber sie singt falsch, hat kei­ne See­le, kei­ne Auf­fas­sung … Zwar, das Pub­li­cum hat de­ren eben­so we­nig als Ge­hör … Aber sie hat kein Ge­dächt­nis, kei­ne Ge­wandt­heit, und sie wird sich nicht ein­mal durch die glück­li­che Char­la­ta­ne­rie vor dem Fias­ko ret­ten, die – so vie­len Leu­ten zu stat­ten kommt.

Bei die­sen Wor­ten fiel des Pro­fes­sors Blick un­will­kür­lich auf An­zo­le­to, der auf sei­nen An­spruch als Günst­ling des Gra­fen ge­stützt und un­ter dem Vor­ge­hen, dass er die­sen spre­chen müss­te, sich in die Klas­se ein­ge­schli­chen hat­te und in ge­rin­ger Ent­fer­nung stand, der Un­ter­re­dung hor­chend.

– Tut nichts, sag­te der Graf, ohne auf die bos­haf­te An­spie­lung des Meis­ters zu ach­ten: ich gebe mei­ne Idee nicht auf. Es ist lan­ge, dass ich die Clo­rin­da nicht ge­hört habe. Wir wol­len sie kom­men las­sen, und noch fünf oder sechs an­de­re, die hüb­sche­s­ten, die da sind. Schau, An­zo­le­to, setz­te er la­chend hin­zu, du bist recht gut aus­staf­fiert um dir das An­se­hen ei­nes jun­gen Pro­fes­sors zu ge­ben. Gehe in den Gar­ten und su­che dir die schöns­ten un­ter die­sen jun­gen Da­men aus; de­nen sage, dass wir sie hier er­war­ten, der Herr Pro­fes­sor und ich.

An­zo­le­to tat wie ihm ge­hei­ßen war, aber er brach­te, ent­we­der aus Schalk­heit, oder weil er sei­ne Ab­sich­ten da­bei hat­te, die häss­lichs­ten von Al­len, man hät­te mit Jean-Jac­ques aus­ru­fen kön­nen: Ein­äu­gig war So­fia, die Cat­ti­na war lahm.

Die­ses Qui­pro­quo wur­de mit Hei­ter­keit auf­ge­nom­men, und nach­dem die Her­ren sich ins Fäust­chen ge­lacht, be­zeich­ne­te der Pro­fes­sor den jun­gen Mäd­chen die­je­ni­gen ih­rer Ge­fähr­tin­nen, wel­che sie an ih­rer Stel­le schi­cken soll­ten. Eine al­ler­liebs­te Grup­pe er­schi­en als­bald, in ih­rer Mit­te die schö­ne Clo­rin­da. –

– Welch präch­ti­ges Haar! sag­te der Graf dem Pro­fes­sor ins Ohr, als er die rei­chen blon­den Flech­ten der letz­te­ren an sich vor­über ge­hen sah.

– Es ist ein Kopf, der viel­mehr auf sich als in sich hat, ant­wor­te­te der gro­be Kri­ti­ker, ohne im min­des­ten sei­ne Stim­me zu dämp­fen.

Nach­dem eine Stun­de pro­biert wor­den war, hielt es der Graf nicht län­ger aus; er ent­fern­te sich miss­mü­tig, wäh­rend er den jun­gen Mäd­chen ei­ni­ge Ar­tig­kei­ten zu ih­rem Lobe sag­te und dem Pro­fes­sor zu­flüs­ter­te: An die­se Pa­pa­gei­en ist nicht zu den­ken!

– Wenn Ew. Gna­den mir ver­gön­nen woll­te, in die­ser Sa­che, wel­che Sie be­schäf­tigt, ein Wort mit zu re­den … hob An­zo­le­to lei­se an, als sie mit­ein­an­der die Trep­pe hin­ab­stie­gen.

– Rede, ent­geg­ne­te der Graf; wüss­test du das Wun­der nach­zu­wei­sen, das wir su­chen?

– Ja, Ex­cel­lenz!

– Und in der Tie­fe wel­ches Mee­res wirst du die­se Per­le auf­fi­schen?

– Nur in der Tie­fe der Klas­se, in wel­cher der schlaue Pro­fes­sor Por­po­ra sie ver­steckt hält, so oft Sie ihr Mäd­chen­corps die Re­vüe pas­sie­ren las­sen.

– Wie? Gibt es in der Scuo­la einen Edel­stein, des­sen Glanz mei­ne Au­gen noch nie wahr­ge­nom­men ha­ben? Wenn Meis­ter Por­po­ra mir einen sol­chen Streich ge­spielt hat! …

– Gna­den, der Dia­mant, den ich mei­ne, ge­hört nicht zu der Scuo­la. Es ist ein ar­mes Mäd­chen, das nur im Cho­re mit­singt, wenn man es ver­langt: der Pro­fes­sor gibt ihr aus Mild­tä­tig­keit und mehr noch aus Lie­be zur Kunst, Pri­vat­stun­den.

 

– Wenn das ist, so muss dies ein Mäd­chen von aus­ge­zeich­ne­ten An­la­gen sein, denn der Pro­fes­sor ist schwer zu be­frie­di­gen und ist mit sei­ner Zeit und Mühe nicht eben frei­ge­big. Soll­te ich sie viel­leicht schon ein­mal ge­hört ha­ben, ohne sie zu ken­nen?

– Ew. Herr­lich­keit hat sie vor lan­ger Zeit ein­mal ge­hört, sie war da­mals noch ein Kind. Jetzt ist sie ein großes, star­kes Mäd­chen, vol­ler Fleiß, und weiß schon so viel wie der Pro­fes­sor selbst; wenn die­se ein­mal nur drei Tak­te auf dem Thea­ter ne­ben der Co­ril­la sän­ge, so wür­de die Co­ril­la si­cher­lich aus­ge­zischt.

– Ist sie denn nie­mals öf­fent­lich auf­ge­tre­ten? Hat der Pro­fes­sor sie nicht ir­gend ein­mal in den Ve­s­pern eine Mo­tet­te sin­gen las­sen?

– Frü­her, Ex­cel­lenz, mach­te es dem Pro­fes­sor Freu­de, sie in der Kir­che sin­gen zu las­sen; aber seit­dem die Sco­la­ri aus Neid und Rach­sucht ge­droht ha­ben, sie woll­ten schon ma­chen, dass die­se von dem Or­gel­cho­re hin­weg­ge­jagt wür­de, wenn sie sich noch ein­mal un­ter ih­nen bli­cken lie­ße …

– Es ist also wohl ein Mäd­chen von üb­lem Rufe …

– Ge­rech­ter Gott, Ex­cel­lenz! eine Jung­frau so rein wie die Him­mels­pfor­te! aber arm ist sie und ge­mei­ner Leu­te Kind … ge­ra­de wie ich, Ex­cel­lenz, und mich ha­ben doch Sie durch ihre Güte bis zu sich hin­auf ge­ho­ben! Aber die­se bö­sen Har­pyen ha­ben dem Pro­fes­sor ge­droht, sie wür­den sich bei Ih­nen dar­über be­schwe­ren, dass er ge­gen die Vor­schrif­ten eine Schü­le­rin in der Klas­se zulie­ße, die nicht dazu ge­hör­te.

– Wo könn­te ich wol die­ses Wun­der ein­mal hö­ren?

– Ew. Herr­lich­keit darf ja nur dem Pro­fes­sor be­feh­len, dass er sie ein­mal in Ih­rer Ge­gen­wart sin­gen las­se; Sie wer­den dann über ihre Stim­me und die Grö­ße ih­res Ta­len­tes ur­tei­len kön­nen.

– Dei­ne Zu­ver­sicht flö­ßt mir in der Tat Ver­trau­en ein. Du sagst also, ich hät­te sie schon vor lan­ger Zeit ein­mal ge­hört … Kann ich mich doch durch­aus nicht er­in­nern …!

– In der Kir­che der Men­di­can­ti, bei ei­ner Ge­ne­ral­pro­be, das Sal­ve Re­gi­na von Per­go­le­se …

– Halt! ich hab’s, rief der Graf. Stim­me, Ton, Auf­fas­sung be­wun­derns­wür­dig!

– Und sie war da­mals erst vier­zehn Jah­re alt, Mon­si­gno­re, ein blo­ßes Kind.

– Ja, aber … ich glau­be mich zu er­in­nern, dass sie nicht hübsch war.

– Nicht hübsch, Ex­cel­lenz? sag­te An­zo­le­to be­stürzt.

– Hieß sie nicht …? Hm, ja, es war eine Spa­nie­rin, ein när­ri­scher Name …

– Con­sue­lo, Mon­si­gno­re!

– Recht! Du woll­test sie da­mals hei­ra­ten, und wir lach­ten über eure Lieb­schaft, der Pro­fes­sor und ich. Con­sue­lo! Ja, die­se war’s: der Lieb­ling des Pro­fes­sors, ein sehr fä­hi­ges Mäd­chen, aber sehr häss­lich.

– Sehr häss­lich? wie­der­hol­te An­zo­le­to ganz er­starrt.

– Al­ler­dings, mein Kind! bist du denn noch im­mer in sie ver­liebt?

– Sie ist mei­ne Freun­din, Ew. Gna­den.

– Freun­din be­deu­tet bei uns so viel als Schwes­ter und so viel als Ge­lieb­te. Wel­ches nun von bei­dem?

– Schwes­ter, Herr!

– Wohl, so kann ich, ohne dich zu krän­ken, dir sa­gen was ich von der Sa­che den­ke. In dei­nem Ein­fall ist kein Men­schen­ver­stand. Um die Co­ril­la zu er­set­zen, muss man ein En­gel von Schön­heit sein, und dei­ne Con­sue­lo, ich er­in­ne­re mich ih­rer jetzt ganz gut, ist mehr als häss­lich, sie ist ab­scheu­lich.

Der Graf wur­de in die­sem Au­gen­bli­cke von ei­nem sei­ner Freun­de an­ge­hal­ten, wel­cher ihn auf die an­de­re Sei­te nahm, und er ließ An­zo­le­to wie be­täubt zu­rück; der arme Jun­ge stieß einen Seuf­zer aus und wie­der­hol­te vor sich hin:

– Sie ist ab­scheu­lich! …