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Gary Wilson

PORNO IM

KOPF

Die verdeckten Folgen von Pornosucht –

und was Sie dagegen tun können


Impressum

Gary Wilson

Porno im Kopf

Die verdeckten Folgen von Pornosucht – und was Sie dagegen tun können

1. deutsche Auflage 2021

ISBN 978-3-96257-232-7

© Narayana Verlag 2021

Titel der Originalausgabe:

Your Brain on Porn: Internet Pornography and the Emerging Science of Addiction

Copyright © 2015 by Gary Wilson

Übersetzung aus dem Englischen: Simone Fischer

Coverdesign: Kieran McCann

Coverlayout: Narayana Verlag

Herausgeber:

Unimedica im Narayana Verlag GmbH,

Blumenplatz 2, D-79400 Kandern

Tel.: +49 7626 974 970-0

E-Mail: info@unimedica.de

www.unimedica.de

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form – mechanisch, elektronisch, fotografisch – reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.

Sofern eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet werden, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen (auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind).

Die Empfehlungen dieses Buches wurden von Autor und Verlag nach bestem Wissen erarbeitet und überprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Für A. Masquilier, dessen Selbstlosigkeit und

Weitsicht den offenen Dialog ermöglichte, der weiterhin die

Heilung Tausender Betroffener fördert.

INHALT

■ ■ ■

VORWORT

EINLEITUNG

KAPITEL 1: WOMIT HABEN WIR ES ZU TUN?

KAPITEL 2: DAS GEHIRN LÄUFT AMOK

KAPITEL 3: DIE KONTROLLE WIEDERERLANGEN

ABSCHLIEßENDE ÜBERLEGUNGEN

LITERATUREMPFEHLUNGEN

REFERENZEN

INDEX

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

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Die erste Ausgabe dieses Buches wurde einige Monate nach der Veröffentlichung der ersten Hirnscan-Studien über Pornokonsum fertiggestellt. Seitdem hat die Wissenschaft so viel über die Auswirkungen von Pornos auf das Gehirn herausgefunden, dass eine Neuauflage bereits überfällig ist. Ich werde diese neuen Fortschritte zusammenfassen, bevor ich mich einigen anderen interessanten Entwicklungen zuwende.

Zunächst ein kurzer Blick zurück: Ende 2010 habe ich meine Website www.YourBrainOnPorn.com erstellt. Abgesehen von Dr. Norman Doidge in seinem Buch Neustart im Kopf: Wie sich unser Gehirn selbst repariert war ich praktisch der einzige, der sich mit der Anwendung der Prinzipien und Entdeckungen der Neuroplastizität auf die Notlage von Porno-Usern beschäftigte. Wie sich herausgestellt hat, ist Sucht eine Form des pathologischen Lernens, genau wie pornoinduzierte sexuelle Konditionierung. Das Gehirn kann sich dabei verändern.

Viele Porno-User mit schweren Symptomen fanden diese Informationen beruhigend und hilfreich bei der Lösung ihrer pornoinduzierten sexuellen Funktionsstörungen, der Veränderung der sexuellen Vorlieben und der Suchtsymptome. Zu letzteren gehören auch die Unfähigkeit, trotz negativer Folgen aufzuhören, sowie Entzugserscheinungen und eine beunruhigende Eskalation zu extremeren Inhalten (Toleranz).

Auf meiner Website und in der ersten Ausgabe dieses Buches habe ich die Betroffenen auf die Hunderte von existierenden Studien hingewiesen, die Gehirnveränderungen (in Übereinstimmung mit dem Suchtmodell) bei Spielsüchtigen, Lebensmittelsüchtigen und Internetabhängigen bestätigen. Wenn das Anklicken von Facebook oder das Spielen an Spielautomaten zu suchtbedingten Veränderungen des Gehirns führen kann, dann kann das Masturbieren zu Streamingmaterial, also neuartigen Pornos, sicher ebenfalls dazu führen.

Zusätzlich zu den begründeten Schlussfolgerungen, die aus der bestehenden Suchtforschung gezogen wurden, stützte ich mich stark auf Anekdoten von (in erster Linie) Männern. Ich tat dies zum Teil wegen des Mangels an neurologischer oder anderer Arten der Forschung über Internetpornokonsum. Die meisten Geschichten dieser Männer sind immer noch in dieser Ausgabe enthalten (obwohl es möglich gewesen wäre, sie alle durch ähnliche Geschichten zu ersetzen, die noch heute in Genesungsforen ausgetauscht werden). Ich behalte diese Selbstberichte bei, weil sie nach wie vor zu den aufschlussreichsten Beweisen für die möglichen Auswirkungen von Internetpornografie gehören.

Was ist heute anders? In den letzten drei Jahren haben Forscher mehrere Studien über Internetpornokonsum veröffentlicht, die das Suchtmodell unterstützen. Manche der Ergebnisse tragen dazu bei, einige der Symptome bei nicht süchtigen Pornokonsumenten zu erklären, wie z. B. sexuelle Probleme und die Veränderung der sexuellen Vorlieben.

Wir werden in den entsprechenden Kapiteln ausführlicher auf diese neue Forschung eingehen. Aber lassen Sie mich hier einen Überblick geben. Diese neue Forschung umfasst etwa 37 neurologische Studien über Pornokonsumenten sowie 12 neue Literaturübersichten, die alle von einigen der weltweit führenden Neurowissenschaftlern verfasst wurden. Ferner liegen etwa 15 Studien vor, die eine Eskalation des Pornokonsums oder die Gewöhnung an Pornografie (ein Zeichen von Toleranz und Sucht) aufzeigen. Darunter finden sich Belege sowohl für Toleranz als auch für Entzugserscheinungen. Im Hinblick auf pornoinduzierte sexuelle Probleme gibt es inzwischen 23 Studien, die Pornokonsum und Pornosucht mit sexuellen Problemen und geringerer Erregung durch sexuelle Stimuli in Verbindung bringen. In vier dieser Arbeiten finden sich auch Hinweise auf eine Kausalität, weil die Probleme der Männer durch den Verzicht auf Pornokonsum geheilt wurden. Darüber hinaus verbinden mittlerweile mehr als 50 Studien den Pornokonsum mit einer geringeren sexuellen Beziehungszufriedenheit. In ähnlicher Weise stellen etwa 40 Studien einen Zusammenhang zwischen dem Pornokonsum mit schlechteren kognitiven Funktionen und psychischen Gesundheitsproblemen her.

Der Internetpornokonsum wird inzwischen als plausibler Schuldiger für viele der Arten von Problemen anerkannt, über die in Foren zur Genesung von Pornos berichtet wird. Allerdings ist die Frage, auf welche Weise die Kausalität verläuft, noch nicht zur Zufriedenheit einiger Wissenschaftler geklärt. Wie man so schön sagt, ist hier noch mehr Forschung nötig.

Natürlich können diagnostische Handbücher nicht unbegrenzt warten, wenn Patienten leiden. Im Jahr 2013 wurde im Diagnostic and Statistical Manual keine spezifische Diagnose für Internetpornosucht hinzugefügt, was auf den Mangel an Forschung hinweist. Die Weltgesundheitsorganisation hat diese Position jedoch in ihrer neuen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) aktualisiert. Die ICD-11 enthält eine Diagnose für „zwanghaftes Sexualverhalten“1. Sie eignet sich für die Diagnose von Personen, die mit Pornografie zu kämpfen haben, und wird die Forschung und professionelle Ausbildung im Hinblick auf die Auswirkungen von Pornografie fördern.2

Seit der ersten Ausgabe dieses Buches habe ich an zwei wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Internetpornografie mitgearbeitet. Beide können vollständig im Internet gelesen werden. Die erste, „Is Internet Pornography Causing Sexual Dysfunctions? A Review with Clinical Reports“ („Verursacht Internetpornografie sexuelle Funktionsstörungen? Eine Überprüfung mit klinischen Berichten“), wurde mit sieben Ärzten der US Navy geschrieben. Sie zeichnet den beispiellosen Anstieg sexueller Funktionsstörungen bei Männern unter 40 Jahren nach und erörtert mögliche zugrundeliegende Ursachen. Die zweite Arbeit, „Eliminate Chronic Internet Pornography Use to Reveal Its Effects“ („Chronische Internetpornografie eliminieren, um ihre Auswirkungen aufzudecken“), wurde auf Bitten der Herausgeber einer türkischen akademischen Fachzeitschrift über Sucht im Anschluss an einen Vortrag geschrieben, den ich auf einer internationalen Konferenz über Internetsucht in Istanbul gehalten hatte. Es ist offensichtlich, dass andere Kulturen über die möglichen Auswirkungen der Pornografie besorgt sind.

Ein weiterer Beweis für die internationale Besorgnis war die Einladung, auf einer großen Tagung lateinamerikanischer Urologen und anderer Fachleute aus lateinamerikanischen Kliniken für sexuelle Gesundheit von Männern zum Thema „Internetpornografie und sexuelle Funktionsstörungen“ zu sprechen. Die Urologen stellen einen bedrohlichen Rückgang des Durchschnittsalters ihrer Patienten fest und gehen daher allen plausiblen Ursachen auf den Grund.

Die Statistiken über den Pornokonsum bei Jugendlichen schließen nun endlich auch mit der Realität auf. „Young Australians‘ use of pornography and associations with sexual risk behaviour“ berichtete, dass sich 100 % der jungen Männer (im Alter von 15 bis 29 Jahren) und 82 % der jungen Frauen bereits einmal Pornos angesehen haben. Auch das Alter, in dem Pornos zum ersten Mal angesehen werden, ist weiter gesunken. 69 % der Jungen und 23 % der Mädchen schauen Pornos zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren oder jünger an.3

Verschiedene Länder fordern mehr Forschung über die Auswirkungen von Pornografie. Einige Bundesstaaten in den USA haben Resolutionen verabschiedet, die die Nutzung von Internetpornografie zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit erklären, und fordern weitere Maßnahmen. Auch wurde (in Großbritannien) damit begonnen, für den Zugang zu Pornoseiten eine unabhängige Altersüberprüfung zu verlangen. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die potenziellen Schäden von Pornografie stärker ins Blickfeld gerückt sind und die Debatte an Intensität gewonnen hat. Ich hoffe, dass diese aktualisierte Ausgabe dazu beitragen wird, Fragen zu beantworten und nützliche Informationen für diese laufende Diskussion zu liefern.

Gary Wilson, im August 2017

EINLEITUNG

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Ich halte denjenigen, der sein Verlangen besiegt, als tapferer als denjenigen, der seine Feinde besiegt. Denn der schwerste Sieg ist der Sieg über sich selbst.

Aristoteles

Vielleicht lesen Sie dieses Buch, weil Sie neugierig sind, warum Hunderttausende von Porno-Usern rund um den Globus versuchen, den Pornokonsum aufzugeben.4

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Sie es lesen, weil Sie sich auf eine Art und Weise mit pornografischem Material beschäftigen, die Sie beunruhigend finden. Vielleicht haben Sie mehr Zeit online damit verbracht, nach Pornobildern Ausschau zu halten, als Ihnen lieb ist, obwohl Sie sich entschieden haben, den Konsum einzuschränken. Möglicherweise fällt es Ihnen schwer, beim Sex zum Höhepunkt zu kommen, oder Sie leiden unter unzuverlässigen Erektionen, für die Ihr Arzt keine organische Ursache finden kann. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass echte Partner Sie einfach nicht erregen, während Sie ständig von Online-Versuchungen heimgesucht werden. Oder aber Sie sind zu Fetischmaterial übergegangen, was Sie beunruhigend finden oder was nicht mit Ihren Werten oder sogar Ihrer sexuellen Orientierung übereinstimmt.

Wenn Sie, wie Tausende andere Menschen auch, bei sich feststellen mussten, dass sie Probleme haben, dann haben Sie wahrscheinlich eine Weile gebraucht, um diese Probleme mit Ihrem Pornokonsum in Verbindung zu bringen. Vielleicht nahmen Sie an, Sie hätten mit einer anderen Störung zu kämpfen. Möglicherweise dachten Sie, Sie hätten ungewohnte Depressionen oder soziale Ängste oder, wie ein Mann befürchtete, vorzeitige Demenz entwickelt. Oder vielleicht gingen Sie davon aus, dass bei Ihnen ein niedriger Testosteronspiegel vorliegt oder Sie einfach älter werden. Eventuell wurden Ihnen sogar Medikamente von einem wohlmeinenden Arzt verschrieben. Und vielleicht hat Ihnen Ihr Arzt versichert, dass es falsch war, sich über Ihren Pornokonsum Sorgen zu machen.

Es gibt viele einflussreiche Menschen, die uns sagen, dass ein Interesse an pornografischen Darstellungen völlig normal und dass Internetpornografie daher harmlos ist. Während sich die erste Behauptung bewahrheitet, stimmt die zweite, wie wir sehen werden, nicht. Auch wenn nicht alle Porno-User Probleme entwickeln, so tun dies einige sehr wohl. Gegenwärtig geht die Mainstream-Kultur davon aus, dass der Gebrauch von Pornografie keine schweren Symptome verursachen kann. Und da die öffentlichkeitswirksame Kritik an Pornografie oft von religiösen und sozialkonservativen Organisationen ausgeht, ist es für liberal gesinnte Menschen leicht, sie ohne Prüfung abzutun.

Aber in den letzten neun Jahren habe ich aufmerksam verfolgt, was Menschen über ihre Erfahrungen mit Pornografie sagen. Noch länger beschäftige ich mich damit, was Wissenschaftler über die Funktionsweise unseres Gehirns herausfinden. Und ich kann Ihnen sagen, dass es hier nicht um Liberale und Konservative geht. Es geht nicht um religiöse Scham oder sexuelle Freiheit.

Es geht um die Natur unseres Gehirns und darum, wie es auf Hinweise aus einer radikal veränderten Umwelt reagiert. Es geht um die Auswirkungen eines chronischen Überkonsums sexueller Neuheiten, die bei Bedarf und in endlosem Umfang angeboten werden. Hier geht es um den Zugang von Jugendlichen zu unbegrenzten Hardcore-Streaming-Videos – ein Phänomen, das sich so schnell entwickelt, dass die Forscher nicht in der Lage sind, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Zum Beispiel berichtete eine Studie aus dem Jahr 2008, dass 14,4 % der Jungen bereits vor dem Alter von 13,5 Jahren mit Pornos in Berührung gekommen sind.5

Zum Zeitpunkt der Erfassung der Statistiken im Jahr 2011 war die frühe Exposition sprunghaft auf 48,7 % angestiegen.6 Eine 2017 durchgeführte Querschnittsstudie über Australier im Alter von 15 bis 29 Jahren berichtet, dass 69 % der Jungen und 23 % der Mädchen im Alter von 13 Jahren oder jünger zum ersten Mal Pornos anschauten.3

Alle befragten Männer und 82 % der Frauen hatten sich zu irgendeinem Zeitpunkt schon einmal Pornografie angesehen.

In ähnlicher Weise zeigte sich in der Studie von 2008, dass der tägliche Konsum von Pornos selten (5,2 %) vorkam, aber bis 2011 schauten bereits mehr als 13 % der Jugendlichen täglich oder fast täglich Pornos an. Im Jahr 2017 sahen 39 % der Männer und 4 % der Frauen (15–29 Jahre) täglich Pornos, oft auf ihren Smartphones.3 Bis vor etwa einem Jahrzehnt hatte ich keine Meinung zur Internetpornografie. Ich dachte, dass zweidimensionale Bilder von Frauen ein schlechter Ersatz für echte dreidimensionale Frauen seien. Aber ich war nie für ein Verbot von Pornos. Ich bin in einer nicht religiösen Familie in Seattle, im liberalen Nordwesten, aufgewachsen. „Leben und leben lassen“ war mein Motto.

Als jedoch Männer im Forum der Website meiner Frau auftauchten und behaupteten, pornosüchtig zu sein, wurde mir klar, dass hier etwas Ernstes vor sich ging. Als langjähriger Lehrer für Anatomie und Physiologie interessiere ich mich besonders für Neuroplastizität (wie Erfahrungen das Gehirn verändern), die Appetitmechanismen des Gehirns und damit auch für Sucht. Ich verfolgte die biologische Forschung auf diesem Gebiet und war fasziniert von den Entdeckungen über die physiologischen Grundlagen unseres Appetits und wie dieser dysreguliert werden kann.

Die Symptome, die diese Männer (und später auch Frauen) beschrieben, deuteten stark darauf hin, dass ihr Gebrauch von Pornografie ihre Gehirne verändert und wesentliche materielle Veränderungen vorgenommen hatte. Der Psychiater Norman Doidge erklärt in seinem Bestseller Neustart im Kopf: Wie sich unser Gehirn selbst repariert:

Die Männer, die zu mir in Behandlung kamen … waren zu pornografischen Trainingssitzungen verführt worden, die alle Bedingungen für die plastische Veränderung von Gehirnkarten erfüllten. Da Gehirnzellen, die gemeinsam aktiv werden, untereinander Verbindungen herstellen, hatten diese Männer in massiven Übungseinheiten die neuen Bilder in die Lustzentren ihres Gehirns verschaltet und dazu die begeisterte Aufmerksamkeit mitgebracht, die zu einer neuroplastischen Veränderung erforderlich ist. Jedes Mal, wenn sie sich sexuell erregt fühlten oder zum Orgasmus masturbierten, verstärkte ein Spritzer des Belohnungstransmitters Dopamin die Verbindungen, die ihr Gehirn in den Trainingseinheiten hergestellt hatte. Die Belohnung verstärkte das Verhalten, und gleichzeitig mussten sie beim Besuch der Internetseiten nicht die Peinlichkeit befürchten, die sie empfunden hätten, wenn sie ein Pornoheft im Laden gekauft hätten. Dieses Verhalten brachte keinerlei Strafen, nur Belohnungen mit sich. …

Was sie als erregend empfanden, änderte sich mit den neuen Themen und Drehbüchern, die ihnen das Internet präsentierte und die ihr Gehirn veränderten, ohne dass sie sich dessen bewusst wurden. Da Plastizität konkurrenzorientiert ist, vergrößerten sich die Gehirnkarten für die neuen, erregenden Bilder auf Kosten dessen, was sie früher erregt hatte. Das war vermutlich auch der Grund, warum sie ihre Partnerinnen weniger anziehend fanden.

Meine Pornopatienten nahmen den Entzug auf sich, nachdem sie das Problem verstanden und erkannt hatten, dass sie es plastisch verstärkten. Allmählich fühlten sie sich wieder stärker zu ihren Partnerinnen hingezogen.

Die Männer im Forum fanden dieses Material und die ihm zugrundeliegende Forschung sowohl beruhigend als auch hilfreich. Endlich verstanden sie, wie die Pornografie die primitiven Appetitmechanismen ihres Gehirns in Beschlag genommen hatte. Diese uralten Hirnstrukturen drängen uns zu evolutionär vorteilhaften Verhaltensweisen, einschließlich der Wertschätzung neuer Partner, und tragen dazu bei, Inzucht zu verhindern.

Unsere Verhaltensentscheidungen beeinflussen jedoch wiederum unser neurochemisches Gleichgewicht in eben diesen Hirnstrukturen. Auf diese Weise kann ein chronischer Überkonsum unerwartete Auswirkungen haben. Er kann dazu führen, dass wir von unseren bevorzugten Verlockungen übererregt werden, sodass unmittelbare Wünsche schwerer wiegen als sie im Verhältnis zu längerfristigen Wünschen wiegen sollten. Er ist dazu in der Lage, auch unsere Freude an den alltäglichen Vergnügungen – und unsere Reaktionsfähigkeit darauf – zu trüben. Möglicherweise verleitet er uns dazu, nach extremeren Reizen zu suchen. Oder er verursacht Entzugssymptome, die so schwerwiegend sind, dass sie selbst die Stärksten unter uns dazu bringen, nach Erleichterung zu suchen. Zudem kann er unsere Stimmung, unsere Wahrnehmung und unsere Prioritäten verändern – ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Bewaffnet mit einem auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten Bericht darüber, „wie das Gehirn funktioniert“, erkannten ehemalige Pornokonsumenten, dass ihre Gehirne formbar waren und dass es durchaus möglich ist, pornoinduzierte Veränderungen rückgängig zu machen. Daher sahen sie keinen Sinn darin, auf einen Expertenkonsens darüber zu warten, ob Internetpornografie potenziell schädlich ist oder nicht. Stattdessen beschlossen Sie, sie selbst zu eliminieren und ihre eigenen Ergebnisse dazu zu überprüfen.

Diese Pioniere begannen, die Kontrolle über ihr Verhalten zu übernehmen und die von ihnen gewünschten Ergebnisse anzusteuern. Sie erkannten die Fortschritte, die durch Beständigkeit erzielt wurden, und konnten nun Rückschläge ohne Angst und mit größerem Selbstvertrauen akzeptieren.

Gleichzeitig erlangten und teilten sie einige wirklich faszinierende Einsichten über die Genesung von durch Internetpornografie verursachten Problemen – völlig neue Entdeckungen, die Menschen mit den gleichen Problemen eine Wiederherstellung ihres Gleichgewichts erleichterte. Das war ein Glücksfall, da sehr viele jüngere Menschen schon früh in ihrem Leben, während ihre Gehirne noch weitaus formbarer waren, mit dem Konsum von Internetpornografie begonnen hatten. Genau diese jungen Menschen reihten sich nun in die Reihen derer ein, die Hilfe bei ihrem Pornoproblem suchten.

Leider waren viele dieser Menschen durch schwere sexuelle Funktionsstörungen motiviert (verzögerte Ejakulation, Anorgasmie, erektile Dysfunktion und mangelnde Attraktivität für echte Partner). Dabei waren die renommierten Sexualwissenschaftler Janssen und Bancroft bereits 2007 auf Hinweise gestoßen, dass das Ansehen von Streaming-Pornos offenbar erektile Schwierigkeiten verursachte und dass „eine hohe Exposition gegenüber Erotika zu einer geringeren Empfindlichkeit gegenüber ‚Blümchensex‘-Erotik und einem erhöhten Bedarf an Neuheit und Abwechslung zu führen schien“. Leider entschieden sie sich, dem keine Bedeutung zuzumessen, und untersuchten dies nicht weiter.7

In Ermangelung solcher Informationen überraschte die anhaltende pornoinduzierte erektile Dysfunktion (ED) bei jungen Männern die Ärzteschaft. Im Jahr 2014 begann die Ärztegemeinde endlich, dies anzuerkennen. Der Harvard-Professor für Urologie und Autor von Why Men Fake It: The Totally Unexpected Truth About Men and Sex, Abraham Morgentaler, sagte: „Es ist schwierig, genau festzustellen, wie viele junge Männer an pornoinduzierter erektiler Dysfunktion leiden. Aber es ist klar, dass dies ein neues und nicht seltenes Phänomen ist“.8 Ein anderer Urologe und Autor, Harry Fisch, schreibt unverblümt, dass Pornos zum Tod der Sexualität führen. In seinem Buch The New Naked geht er auf das entscheidende Element ein: das Internet. Es „bietet einen ultraleichten Zugang zu etwas, das als gelegentlicher Leckerbissen in Ordnung ist, bei täglichem Gebrauch für die […] sexuelle Gesundheit aber die Hölle darstellt“.9

Im Mai 2014 veröffentlichte die renommierte medizinische Fachzeitschrift JAMA Psychiatry Forschungsergebnisse, die zeigen, dass selbst bei moderaten Pornokonsumenten die Nutzung (Anzahl der Jahre und aktuelle Stunden pro Woche) mit einer verringerten grauen Substanz und einer verminderten sexuellen Reaktionsfähigkeit korreliert. Die Studie trug den Untertitel „The Brain on Porn“.10 Die Forscher warnten davor, dass die Gehirne bei starken Pornokonsumenten durch den bereits andauernden Pornokonsum schon stark abgeschrumpft sein könnten und dass der Grad des Pornogebrauchs hierfür die plausibelste Erklärung sei. Die Hauptautorin Simone Kühn drückt es so aus:

Das könnte bedeuten, dass der regelmäßige Konsum von Pornografie das Belohnungssystem gewissermaßen ausleiert.

Im Juli 2014 gab ein Team von Neurowissenschaftsexperten unter der Leitung eines Psychiaters an der Universität Cambridge bekannt, dass mehr als die Hälfte der Probanden in ihrer Studie über Pornosüchtige angaben,

dass sie aufgrund des übermäßigen Gebrauchs sexuell eindeutiger Materialien … eine verminderte Libido oder geringere erektile Funktion speziell in körperlichen Beziehungen zu Frauen erfahren hatten (jedoch nicht in Bezug auf das explizit sexuelle Material).11

Seitdem haben Dutzende von Studien und Literaturrecherchen Hinweise auf relevante Gehirnveränderungen bei Internetporno-Usern gefunden. Die von mir beschriebenen Pioniere hatten jedoch keine formelle Bestätigung. Sie erarbeiteten alles durch den Austausch von Selbstberichten.

Ich habe dieses Buch geschrieben, um eine einfache Zusammenfassung dessen zu geben, was wir jetzt über die Auswirkungen der Pornografie auf die Konsumenten wissen. Dazu recherchierte ich, wie sie sich zu den Erkenntnissen der Neurowissenschaften und der Evolutionsbiologie verhält und wie wir die mit der Pornografie verbundenen Probleme am besten lösen können – sowohl für den Einzelnen als auch insgesamt. Wenn Sie Probleme im Zusammenhang mit Internetpornografie haben, schenken Sie mir ein paar Stunden ungeteilte Aufmerksamkeit. So besteht eine gute Chance, dass ich Ihnen ein Verständnis über Ihren Zustand vermitteln und Ihnen zeigen kann, wie Sie damit umgehen können.

Wie kann ein Mann nun aber erkennen, ob seine schwache sexuelle Leistung mit seinem Pornokonsum zusammenhängt oder stattdessen auf Versagensängsten beruht (die Standard-Diagnose für Männer, die keinerlei organische Probleme unter der Gürtellinie aufweisen)?

1. Gehen Sie zunächst zu einem guten Urologen und schließen Sie jede medizinische Anomalie aus.

2. Masturbieren Sie bei einer Gelegenheit zu Ihrem Lieblingsporno (oder, falls Sie dem Pornokonsum abgeschworen haben, stellen Sie sich einfach vor, wie dies war).

3. Dann masturbieren Sie bei einer anderen Gelegenheit ohne Porno und ohne über Pornos zu fantasieren.

Vergleichen Sie die Qualität Ihrer Erektionen und die Zeit bis zum Höhepunkt (sofern Sie den Höhepunkt erreichen können). Ein gesunder junger Mann sollte keine Schwierigkeiten haben, eine volle Erektion zu erreichen und ohne Pornos oder Pornofantasien bis zum Orgasmus zu masturbieren.

– Wenn Sie bei Nr. 2 eine starke Erektion, aber bei Nr. 3 eine erektile Dysfunktion haben, dann haben Sie wahrscheinlich eine pornoinduzierte erektile Dysfunktion.

– Wenn Nr. 3 vollkommen zutrifft, Sie aber Probleme mit einer echten Partnerin haben, dann haben Sie wahrscheinlich eine angstbedingte erektile Dysfunktion.

– Wenn Sie sowohl bei Nr. 2 als auch bei Nr. 3 Probleme haben, haben Sie möglicherweise eine progressive pornoinduzierte erektile Dysfunktion oder ein Problem unterhalb der Gürtellinie, für das Sie ärztliche Hilfe benötigen.

Ich beginne das Buch mit einem Bericht darüber, wie die Pornosucht zum ersten Mal ein Thema wurde, als eine große Zahl von Menschen dank des Highspeed-Internets einen verbesserten Zugang zu Pornos hatte. Viele Betroffene begannen daraufhin, über die dadurch ausgelösten Probleme zu sprechen. Ich werde aus erster Hand berichten, wie sich das Phänomen entwickelte und welche Symptome die Menschen häufig beschrieben.

Das darauffolgende Kapitel befasst sich mit der aktuellen Neurowissenschaft und ihren Erkenntnissen bezüglich der empfindlichen Appetitmechanismen des Gehirns. Ich fasse einige der jüngsten Forschungsarbeiten über Verhaltensabhängigkeit, sexuelle Konditionierung und warum jugendliche Gehirne angesichts von übernormalen Schlüsselreizen wie den heutigen Pornos besonders anfällig sind, zusammen.

Kapitel drei enthält eine Übersicht über verschiedene vernünftige Ansätze, die Menschen benutzt haben, um sich von ihren Problemen im Zusammenhang mit Pornos zu befreien, sowie über einige Fallstricke, die es zu vermeiden gilt. Ich biete kein festgelegtes Protokoll an. Die Umstände sind bei jedem etwas anders, und es gibt keine Wundermittel. So müssen zum Beispiel Taktiken, die bei Singles gut funktionieren, möglicherweise von jemandem in einer Beziehung angepasst werden. Und jüngere Männer, die eine pornoinduzierte erektile Dysfunktion entwickeln, brauchen manchmal mehr Zeit als ältere Männer. Oftmals sind mehrere unterschiedliche Ansätze gleichzeitig oder nacheinander hilfreich.

Abschließend werde ich untersuchen, warum ein Konsens über die Risiken von Pornos noch in der Zukunft liegt und welche Forschungslinien am vielversprechendsten sind. Schließlich werde ich erörtern, wie die Gesellschaft den Pornokonsumenten helfen kann, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Eine letzte Sache, bevor wir beginnen. Ich sage nicht, dass Pornos generell ein Problem darstellen. Ich versuche nicht, eine Art moralischer Panik auszulösen oder zu sagen, was in der menschlichen Sexualität „natürlich“ ist und was nicht. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie kein Problem haben, dann werde ich nicht mit Ihnen streiten. Es liegt an jedem von uns, zu entscheiden, was wir über sexuell stimulierende Bilder und die Branche denken, die einen Großteil davon produziert.

Aber wenn Sie das Gefühl haben, dass Pornografie Ihnen oder jemandem, den Sie kennen, schadet, dann lesen Sie weiter. Ich werde mein Bestes tun, um Ihnen zu erklären, welche unerwarteten Auswirkungen Internetpornografie haben kann und was Sie dagegen tun können.

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