Read the book: «Destination Berlin»

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Destination Berlin

Teil1: Fehde, Freunde, Currywurst

Texte:

© Copyright by Gary Reich

Umschlaggestaltung:

© Copyright by Gary Reich

Verlag:

Gary Reich

Gundelfinger Str. 2

10318 Berlin

mail@gary-reich.de

Druck:

epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig.

Inhalt

Berlin is coming [1]

The Big Bang Scrubs Theory

Leg dich nicht mit Sohnemann an

How I Met The Uschi

Der Fluch der vier (Bluts-)Brüder

Das Imperium der Wölfe schlägt zurück

Der Rosen(montags)krieg (oder: Türkisch für Anfänger)

The Sarah Chronicles

Die Höhle der Löwen

… und dann kam [die, deren Namen ich niemals ausspreche]

Voll (ist the new) normaaal

Berlin is coming [2]

Ziemlich beste Freunde? Am Arsch!

Die (Chaos-)Camper

The Dark (K)Night

Pip(p)i außer Rand und Band

Bad Santa?

Die Insel

Das Schweigen des Lammes

Two Nights in Berlin

E-M@il für mich

Taxi Taxi

Der Gefangene von Zombieland

Berlin is coming [3]

Ey Mann, wo is‘ das Auto?

Ist das Leben (etwa) nicht schön?

23 - Die Wahrheit der Lüge

Ratatouille

Einer flog über das Kuckucksnest

Kiss Boom Bang

Er ist wieder da

Erleuchtung garantiert

Independence Day

Ick bin dann ma weg, wa …

Last One Laughing

Das letzte Abendmahl

Berlin is coming [4]

Dieses Buch kann auf zwei verschiedene Arten gelesen werden:

 „Directors Cut“ (empfohlen):= parallel erzählte Handlungsstränge in Kapitelreihenfolge

 „Chronological Cut“:= chronologisch erzählte Haupthandlung mit Kapitelsprung(am Ende des Kapitels auf die angegebene Seite springen, z.B. ⏳12 = Seite 12)


https://destination-berlin.net

(Code: 0815)

Begleitinfos zum Buch unter:

Berlin is coming [1]

Dienstag, 31.03.2015

Ich starre auf meinen Wecker: Es ist 05:32 Uhr - die Quersumme der Stunden- und Minutenanzeige ist identisch. Juhu! 05:33 Uhr. Mist …

Um 6:55 Uhr wird der Wecker genügend Rabatz machen, um einen Menschen aus dem Schlaf zu reißen. Aber nicht mich. Nicht an diesem Morgen. Ich kann nicht mehr schlafen. Nicht an dem Morgen, an dem mein restliches Leben beginnen wird. Naja, zumindest ein neues, anderes Leben. Zumindest an einem völlig anderen Ort.

Wenn mir vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass ich mal ein Wochenende in Berlin verbringen würde - nun, das hätte ich als relativ unwahrscheinlich angesehen. Ich mag keine Menschenmengen und somit auch keine Großstädte.

Selbst Nürnberg ist mir schon zu groß. Und manchmal sogar Forchheim - wobei ich mich daran mittlerweile gewöhnt habe.

Vor neun Monaten hätte ich noch jeden ausgelacht, der mir erzählt hätte, dass ich es ernsthaft in Erwägung ziehen würde, nach Berlin zu ziehen. Nur hätte mir so etwas niemand erzählt. Zumindest niemand, der mich auch nur halbwegs kennt, oder weiß wie ich ticke.

Sechs Monate zuvor hielten das alle - mich eingeschlossen - noch für ein Hirngespinst.

Und heute, am letzten Tag im März 2015, kurz nach der Zeitumstellung, kurz nach meinem 30. Geburtstag, liege ich in meinem zukünftig ehemaligen Bett, in einer zwar möblierten, aber sonst leeren und bereits an den Nachmieter übergebenen Wohnung, einen Leihwagen vor der Tür, nur wenige Stunden vor einer Fahrt in ein neues Leben voller Veränderungen.

Ich hasse Veränderungen. Obwohl, mittlerweile reizen mich Veränderungen. Aber warum? Ich war doch immer ein absolutes Gewohnheitstier. Eine Gewohnheitsmaschine.

Ich hatte immer Angst mich zu verändern. Und ich hatte Angst mich nicht zu verändern.

War das alles nur eine Illusion, weil ich es nur nicht besser wusste? Oder ist es eine Illusion, mit einem Schlag alles - vor allem aber mich selbst - verändern zu können?

Träume ich nur sehr real und mein Wecker wird mich pünktlich um 06:55 Uhr wecken? Und warum liegt hier eigentlich Stroh? Und warum habe ich eine Maske auf?

Ach nein, dazu kommt es ja erst im Jahr 2020 … Zumindest der Teil mit der Maske …

Die Wege des Herrn, oder (bei Agnostikern wir mir) die Pfade des Lebens sind manchmal unergründlich.

Das Leben nimmt manchmal Formen und Farben an, die man selbst niemals in Betracht gezogen hätte, weil sie vom Bauchgefühl her nicht zusammenpassen.

Wie z.B. Pommes mit Senf. Oder Heidelbeeren und Banane. Oder Markus Lanz und „Wetten Dass..?“ - ok, das hat tatsächlich nie zusammengepasst. Aber dafür der Song des „Grafen“ von Unheilig zur letzten Folge „Wetten Dass..?“ als persönliche „Hymne“ für mein absolut Irrwitziges, aber wohl irgendwie vorbestimmten Vorhaben, nach Berlin zu gehen.

Bin ich aufgeregt? Seltsamerweise nicht besonders. Fürchte ich mich vor dem was da kommen mag, oder alles passieren und schiefgehen könnte? Komischerweise nicht!

Es fühlt sich richtig an.

Es ist das Ergebnis einer sehr langen Entwicklung. Ein Ergebnis einer Gleichung, deren einzelne Variablen extrem zufällig und willkürlich scheinen, sich aber als perfekt passende Mosaiksteinchen eines grandiosen Kunstwerks des Lebens entpuppen.

Nicht, dass ich Kunst besonders mag. Das meiste ist eher „Wunst“.

Doch wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?

Zufall? „Göttliche Fügung“? Schicksal?

Welche Faktoren, Erlebnisse und Erfahrungen haben dazu geführt?

[Die, deren Namen ich niemals ausspreche]? Mein Erzeuger und seine Möchtegern-Gangster-Gang? Die Schlampen-Uschi? Die Liberalisierung des Fernbusmarktes? Die Übernahme aus der Zeitarbeit? Die Serie „Scrubs“? 42?

Die Antwort lautet: Ja!

Das alles - und noch viel mehr!

 20

 

The Big Bang Scrubs Theory

Samstag, 28.04.2007, nachmittags

Ein sonniger Samstagnachmittag. Ich sitze am PC und programmiere: irgendwas - ich weiß es nicht mehr genau, kann mir ja nicht jeden Quatsch merken.

Nebenbei läuft „Scrubs - Die Anfänger“ im Röhrenfernseher, der praktischerweise genau über meinen PC-Monitor hängt.

In ein paar Stunden geht es - abgesehen vom Forchheimer Annafest und dem Bayern3-Partyschiff - zu meinem persönlichen Highlight des Jahres: dem Thuisbrunner Frühlingsfest

Klingt nach Dorf-Disse? Ist es im Endeffekt auch. Aber nachdem die einzig wahre Dorfdisco in Moggast drei Jahre zuvor abgebrannt ist (oder wurde - man weiß es bis heute nicht so genau) und in der nächstgelegenen Disco in Hirschaid überwiegend Hip-Hop statt Musik gespielt wird (#shitstorm), nimmt man halt was man kriegen kann.

Das Leben ist öde, monoton und vorhersehbar und das ist in diesem Lebensabschnitt auch irgendwie gut so.

Heute gibt es - wie eigentlich jeden Samstag - Schnitzel mit Pommes. Zubereitet in der Mikrowelle. Junggesellen-Bequemlichkeit. Immerhin saue ich so nur einen Teller ein, anstatt noch zusätzlich eine Pfanne und das Backblech zu verschmutzen. Außerdem geht es schneller.

Schmeckt es? Naja, essen ist in diesem Lebensabschnitt ohnehin nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Ordentlich Discounter-Ketchup und Salz drauf und das Ganze ist halbwegs genießbar.

Dr. Cox misanthropt sich gerade wieder durch das fiktive „Sacred Heart“. Irgendwie mag ich ihn. Nicht nur, weil ich auch kein besonders großer Fan von Menschen bin (bis auf wenige Ausnahmen), sondern weil er einfach einen so wunderbaren Sarkasmus drauf hat, manchmal aber auch extrem ernst und tiefgründig sein kann. Und weil ich bei seinem Nachnamen immer innerlich schmunzeln muss.

Cox. Cocktail. Titikakasee.

Pubertärhumor. Den darf man auch noch mit 22 haben. Vor allem, wenn man es im Leben noch nicht besonders weit gebracht hat.

Ich bin Single, habe eine namenlose Katze, dank ehemaliger Selbstständigkeit - statt Ausbildung - ´nen Batzen Schulden, habe japanische Angst vor schlechten Wortwitzen, überlebe mit Zeitarbeit, habe eine kleine aber relativ günstige 30qm-Wohnung im 4. Stockwerk mit Balkon und einer grandiosen Aussicht Richtung Erlangen und zumindest ein paar Personen im engeren Kreis, die ich als „Freunde“ bezeichnen würde.

Dass ich irgendwie „anders“ bin, war mir schon immer ein Stück weit bewusst. Auf Menschen zuzugehen oder ihnen gar zu vertrauen, fällt mir extrem schwer, für viele gesellschaftliche Normen habe ich keinerlei Verständnis und mir so wichtige Dinge wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und „Grundprinzipien“ scheinen irgendwie auch nur mir wirklich wichtig zu sein.

Außerdem werde ich für meinen Musik- und Filmgeschmack belächelt („alt“ muss ja nicht gleich schlecht bedeuten), ich bin kein allzu großer Fan von Computerspielen und habe auch sonst zu den meisten Dingen eine vollkommen andere (dafür aber eigene) Meinung und Sichtweise.

Manchmal komme ich mir vor wie ein Alien. Vielleicht bin auch einfach nur verrückt. Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna? Na wenigstens versteht mich meine Katze.

Und Dr. Cox. Zumindest kommt es mir für einen sehr erhellenden Moment an diesen Samstagnachmittag so vor. Plötzlich bin ich auf das sonst so vor sich hinlaufende TV-Programm für einen kurzen Moment absolut fokussiert.

Dr. Cox erklärt gerade mit ernster Miene einem seiner besten Freunde, dass sein kleiner Sohn vermutlich „Autismus“ hätte, weil er seine Bauklötze nach Farben sortiert, symmetrisch anordnet und Blickkontakt meidet.

Ich frage mich, was daran so ungewöhnlich sein soll - ich habe das als Kind schließlich auch immer gemacht.

Legowände in bunt gemischten Farben, die manche mangels Geschmack und Können als „abstrakte Kunst“ bezeichnen würden, konnte ich noch nie leiden. Und auch sonst lege ich sehr viel Wert auf Symmetrie und eine in sich logische Grundordnung.

Ich konzentrierte mich wieder auf mein nachmittägliches Abendessen … Und was ist dieses „Autismus“? Zum Glück gehöre ich nicht mehr zur Generation „Brockhaus oder Bibliothek“ und kann mit wenigen Mausklicks nahezu alle Informationen dieser Welt aufrufen. Unbegreiflich, dass selbst dazu viele Menschen schlichtweg zu bequem/faul sind und lieber unwissend bleiben.

Wikipedia teilte mir dazu mit:

[..] Autismus (von altgriechisch autós ‚selbst‘) ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Diese tritt in der Regel vor dem dritten Lebensjahr auf und kann sich in einem oder mehreren der folgenden Bereiche zeigen:

- Probleme beim wechselseitigen sozialen Umgang und Austausch (etwa beim Verständnis und Aufbau von Beziehungen)

- Auffälligkeiten bei der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation (etwa bei Blickkontakt und Körpersprache)

- eingeschränkte Interessen mit sich wiederholenden, stereotyp ablaufenden Verhaltensweisen

[..]

Ok, betrifft mich nicht. Ich bin zwar etwas Verrückt, aber nicht „tiefgreifend Gestört“. Würde ich zumindest mal selbstbewusst behaupten.

Soziale Kontakte und Blickkontakt sind zwar nicht meine Stärke (warum sollte ich anderen Menschen in die Augen schauen? Crazy!) und ja, ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch - aber daraus muss man ja nicht gleich eine geistige Behinderung ableiten.

Heutzutage gibt es sowieso für alle Arten von „nicht-der-Norm-entsprechenden“ Verhaltensweisen irgendeine dazu passende psychische Störung. Heute heißt es z.B. nicht mehr „Zappelphilipp“, sondern man nennt es „ADHS“ - und die passenden Therapien und Pillen gibt es natürlich auch gleich dazu.

„Da gibt´s doch auch was von Ratiopharm.“

Außerdem bin ich sonst relativ normal - nur halt „anders normal“.

Da es aber zu meinen Gewohnheiten gehört, Artikel ganz (zumindest quer) zu lesen, stoße ich irgendwann auf einen Abschnitt über das „Asperger-Syndrom“.

In Wikipedia heißt es dazu u.a.:

[..] Beeinträchtigt ist vor allem die Fähigkeit, analoge Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Blickkontakt) bei anderen Personen zu erkennen, diese auszuwerten (zu mentalisieren) oder selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Personen mit Asperger-Autismus kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen. Da ihre Intelligenz in den meisten Fällen normal ausgeprägt ist, werden sie von ihrer Umwelt leicht als wunderlich wahrgenommen. Gelegentlich fällt das Asperger-Syndrom mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammen.

Im Unterschied zu anderen Autismusformen ist im Regelfall die Sprachentwicklung nicht betroffen, und es liegt keine Intelligenzminderung vor. Das Asperger-Syndrom kann sogar mit Stärken verbunden sein, etwa in den Bereichen der objektiven, nicht emotionalen Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung. Ob es als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte, wird von Wissenschaftlern und Ärzten sowie von Asperger-Autisten und ihren Angehörigen uneinheitlich beantwortet. [..]

Menschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie überfordern oder sehr nervös machen. Dies liegt daran, dass Veränderungen einen höheren Grad an Aufmerksamkeit erfordern, was bei der angenommenen Schwäche von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, Informationen auszublenden, zu einer erhöhten Belastung führt. [..]

Ich bin fassungslos und fasziniert zugleich: In ca. 350 Zeilen werde ich, mein Leben und meine Macken derart präzise auf den Punkt gebracht, wie es selbst ich nicht detaillierter beschreiben könnte.

Von meiner Ungeschicklichkeit und tendenziellen Grobmotorik (im Sport: absolute Null, auch dank Monokularsehen), über die Vermeidung von Augen- und Blickkontakt, Unverständnis für die meisten zwischenmenschlichen Gefühle, verschlossene Körpersprache, stilistisch „hochstehende Sprache“ (ich drücke mich halt auch gerne mal „gewählt“ aus und versuche auf Rechtschreibung und Grammatik zu achten - verachtet mich halt), „ritualisierte Handlungen“ im Alltag, Inselbegabungen, und und und …

Ich sitze für ein paar Minuten einfach nur stumm und regungslos da …

In meinem Kopf sausen die Gedanken so schnell, dass es sich nur noch wie ein leises Summen im Ultraschallbereich anhört und -fühlt.

Und plötzlich realisiere ich: Ich bin nicht verrückt, weil ich anders bin, ich bin einfach nur anders. Und vor allem: erklärbar anders

Und genau das ist der Unterschied zu meinem „anders sein“ von vor wenigen Minuten. Zu dem „anders sein“ damals in der Schule.

Ich scheine endlich zu realisieren, was ich bin. Warum ich so bin. Und damit auch plötzlich WER ich bin.

Und ich kann lernen, damit umzugehen …

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Leg dich nicht mit Sohnemann an

Donnerstag, 12. Juli 2007

Was macht eine gute Rache aus?

Nun, im Grunde das, was auch einen guten Horrorfilm ausmacht: Unvorhersehbarkeit, einfache Effekte und anstatt auf körperliches zu setzen, sollte es einem in den Kopf kriechen und auch noch danach einen Schauer über den Rücken laufen lassen und nachts wach halten.

Man bin ich ein böser, böser Junge … Und vom Sternzeichen her auch noch Fisch. Wie in der zweiten Staffel von „South Park“ - „Böser, böse Fisch“ …

Aber er hat es verdient. Mit seinem Telefonterror im letzten Jahr, der Scheiße die er seit Jahren mit meiner Mutter, meinen Bruder und mit mir abzieht (auch mit anderen, aber da hält sich mein Mitleid doch sehr in Grenzen - die wollen es anscheinend nicht anders), der Aktion mit den Briefen vom Finanzamt (ok, dafür hatte er ja von mir eine Anzeige kassiert) und den Mist, den er seit Monaten über mich verbreitet, dem ihm zwar keiner mehr so richtig glaubt - aber Strafe muss trotzdem sein.

Ach ja, ganz vergessen: Es geht um meinen Erzeuger, in dessen Firma ich selbst bis Februar 2006 gearbeitet hatte.

Als „Vater“ bezeichne ich diese Person schon seit gut einem Jahr nicht mehr. Immerhin muss der Begriff „Vater“ und die Personen, die sich auch väterlich verhalten, vor Verwechslungen mit jemanden wie ihm geschützt werden.

Ist mir klar, dass ich mit meiner kleinen Racheaktion potenzielle Gegenreaktionen lostreten könnte? Natürlich! Hält es mich davon ab? Natürlich nicht! Macht es mir in gewisser Weise auch Spaß? Absolut! Macht mich das zu einem schlechten Menschen? Vielleicht …

Die Planung selbst hat nur wenige Minuten gedauert. Die Idee dazu hatte ich wenige Tage zuvor auf Arbeit. Ja, mein Job im Lager ist geistig so wenig fordernd, dass man sehr viel Zeit zum Nachdenken hat.

Der heutige Donnerstagabend ist in vielerlei Hinsicht perfekt für die Durchführung meines kleinen Plans:

Falls es zu einer alkoholbedingten Kurzschlussgegenreaktion am darauffolgenden Abend seitens meines Erzeugers kommen sollte (so wie er im Suff auch schon mal seine Mutter besucht und mit einen Hocker bedroht hatte), wäre ich am Freitagabend gar nicht zu Hause, da ein Kumpel seine Einweihungsparty in seiner ersten eigenen Wohnung schmeißt und ich erst am nächsten Vormittag wieder heimkommen würde.

Und: Wenn meine kleine Racherakete gezündet wird, ist Freitag der dreizehnte. Ich stehe auf Symbolik. Macht mich das zu einem Soziopathen? Möglicherweise. Aber immerhin stamme ich ja auch von einem ab.

Die Umsetzung selbst ist etwas aufwändiger, aber auch in weniger als zwei Stunden erledigt. Und so einfach wie wirkungsvoll. Und im Nachhinein betrachtet auch schon fast prophetisch, als würde ich die Zukunft vorhersagen können. Wobei die später dazu passenden Ereignisse auch durchaus absehbar waren.

Meine kleine Racheaktion besteht eigentlich lediglich aus einem (sehr offensichtlich) fingierten vordatierten Zeitungsartikel, in dem über seine Betrügereien berichtet wird, mit denen er aufgrund eines anonymen Hinweises aufgeflogen ist, verhaftet und schließlich verurteilt wird.

Diesen habe ich zum Schutz vor Feuchtigkeit mit einer Klarsichthülle versehen, ordentlich zusammengerollt, mit einer kleinen roten Schleife verziert (*grins*) und von außen an die Bürotür seiner Firma gehängt.

Auf ein weiteres Schreiben oder ähnliches habe ich verzichtet - immerhin dürfte er auch so wissen, was gemeint ist und von wem es kommt.

Alle anderen, die von seinen Betrügereien (in durchaus beachtlichen Ausmaßen) wissen, würden sich mangels Abhängigkeit von ihm und mangels Rückgrat niemals gegen ihn wenden und wären noch nicht einmal in der Lage, einen Artikel am PC zu schreiben - traurig aber wahr.

Mal sehen, ob er mit diesem Schuss vor dem Bug kapiert, dass er sich besser nicht weiter mit mir anlegen sollte und seine Sticheleien hinter meinem Rücken unterlässt.

Nicht, dass es mich extrem stören würde, da ihn mittlerweile eh kaum noch jemand für voll nimmt (nicht zuletzt, weil er meistens ohnehin voll ist), sondern weil man solchen Arschlöchern wie ihm die Grenzen aufzeigen muss. Und natürlich auch, weil es ein bisschen Spaß und Nervenkitzel in mein bis dato langweiliges Leben bringt.

Und selbstverständlich habe ich auch ein kleines Sicherheits-Ass im Ärmel vorbereitet, um ihn im Notfall in Zaum zu halten - man weiß ja nie.

Am Freitagabend habe ich sehr viel Spaß bei der Einweihungsparty. Nicht nur, weil ich mir das dumme Gesicht meines Erzeugers beim Lesen meines kleinen Artikels vorstelle (und wie er sich anschließend wieder besäuft, unter seinem Schreibtisch liegt und sich und den Büroteppich vollpisst), oder weil ich etwas angetrunken bin.

Nein, auch weil ich mit Sarah bei „Tabu“ in einen Team bin und wir zusammen die anderen Teams richtig alt aussehen lassen. Bei den Beschreibungen verstehen wir uns fast telepathisch und wären sicherlich auch privat ein tolles Team. Quasi zwei Singles, die ein richtig gutes Album wären.

Ich vertraue ihr wie kaum jemand anderen und lasse mich sogar von ihr umarmen - und dass, obwohl ich sie erst wenige Monate kenne. Für jemanden wie mich extrem ungewöhnlich. Ja, ich habe es nicht so mit „Körperlichkeiten“. Zumindest damals nicht.

Aber für besondere Menschen kann sogar jemand wie ich sich öffnen. Dass sie mich zumindest ganz gut leiden kann ist offensichtlich. Dass ich sie ganz gut leiden kann, für ein aufmerksames Auge eigentlich noch viel mehr. Für mehr fehlt aber zumindest mir der Mut. Noch, denn irgendwann würde ich ihr sagen, was ich für sie empfinde.

Ganz bestimmt!

Vielleicht …

Am nächsten Vormittag (Juhu: Samstag) - ich bin gerade nach Hause gekommen - klingelt das Telefon. Es ist meine Mutter.

„Der Alte“ (wie er verächtlich von ihr genannt wird, obwohl sie altersmäßig nicht einmal vier Monate trennen) hätte ihr panisch auf die Mailbox gesprochen und muss sich unbedingt mit ihr treffen, weil „jemand die Firma bedrohe“.

Ich kann mir ein lautes Lachen nicht verkneifen und erzähle meiner Mutter schließlich mit einem gewissen Stolz, was ich getan habe. Sie findet es zwar auch durchaus amüsant, macht sich aber gleichzeitig Sorgen, dass „der Alte“ austicken könnte.

Also erzähle ich ihr auch noch von meinem „Sicherheitsnetz“, einen hinterlegten Brief, in dem all seine Gaunereien detailliert aufgelistet sind und von dem zu diesem Zeitpunkt nur zwei Personen unabhängig voneinander wissen, wo sich dieser befindet.

Meiner Mutter habe ich es nicht verraten - nicht, weil ich ihr nicht vertraue, sondern weil das nun wirklich zu offensichtlich wäre. Sie möchte es auch aus genau diesem Grund gar nicht wissen.

Etwa eine Stunde später rief mich meine Mutter erneut an und sagte mir, dass „der Alte“ nun „herausgefunden“ hätte, dass ich hinter der Aktion stecke.

Wirklich? Wow! Dieses kleine dauer-blaue Sherlock-Genie braucht einen ganzen Tag um auf das offensichtliche zu kommen? Respekt! Und nun?

Tja, jetzt kommt wohl der Teil mit dem Nervenkitzel …

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