Das Labyrinth der Medea

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DAS DORF DER HEXEN

Nun saßen also alle Schüler im Zug nach Norden. Die meisten waren noch müde, denn sie hatten schon sehr früh aufstehen müssen. Es war noch dunkel draußen. Bald würde es dämmern. Hope teilte ein Abteil mit Betsy, George und Gideon. Die beiden passten wirklich gut zusammen. Es schien sich eine Freundschaft zu entwickeln. Hope schielte unter halb geschlossenen Lidern zu Gideon hin. Er war wirklich umwerfend ... so sexy. Die beiden Jungs lachten gerade über einen Witz von George. Hope fielen die Augen zu.

Das gleichmäßige Rattern lullte sie ein und sie glitt in die Traumwelt hinüber. Betsy war zu aufgeregt zum Schlafen. Es war sicher aufregend ein Dorf zu besichtigen, in dem so viele arme Seelen - wahrscheinlich unschuldig - getötet worden sind. Wie konnte Hope da nur schlafen? O. k, sie hatte eine schwere Zeit hinter sich. Wer hätte gedacht, dass sie adoptiert worden war?! Betsy konnte sich nicht vorstellen, wie es war plötzlich zu erfahren, dass die Eltern gar nicht die Eltern waren, im biologischen Sinne natürlich. Sie würde aufjeden Fall immer für Hope da sein, denn sie war wie eine Schwester für Betsy. Gideon stupste sie mit der Schuhspitze an: „He, Betsy, ist das wahr, was in der Schule geredet wird? Ist Hope wirklich adoptiert worden?“ Betsy warf ihm einen finsteren Blick zu: „Dies, mein Freund, musst du sie schon selbst fragen. Über das Leben meiner Freundin rede ich nicht mit Jungs.“ Achselzuckend nahm Gideon dies zur Kenntnis und wandte sich wieder George zu. Betsys Gedanken beschäftigten sich wieder mit Hopes Problemen. Wer wohl die Eltern gewesen waren? Alles war wirklich sehr seltsam.

So war jeder mit sich selbst beschäftigt, bis es Zeit war in den Car umzusteigen, der sie zum Camp bringen würde. Alle waren froh, als sich der Car in Bewegung setzte. Einige waren schon jetzt bis auf die Unterhose nass, denn es goss unterdessen in Strömen. Hoffentlich hörte das wieder auf, bevor sie ihre Zelte aufstellen mussten!

Die Hoffnung war leider vergebens. Bei ihrer Ankunft hatte der Regen noch kein bisschen nachgelassen — und kalt war es außerdem. Das konnte ja heiter werden!

Der Campleiter, Mr. Kelly, wies der Lehrerin den für die Klasse vorgesehenen Platz zu. Toll, nun konnten sie auch noch bis ganz ans Ende des Camps latschen. Die Lehrerin, Mrs. Phillips, lief fröhlich voraus. Sie hatte ganz eindeutig ein sonniges Gemüt! Der Rest folgte allerdings weniger begeistert.

„Ist das romantisch hier!“, meinte Betsy, als sie ihren Lagerplatz erreicht hatten. Es war wirklich so; eine große Feuerstelle nahm die Mitte des Platzes ein, umgeben von vier hölzernen Tischen und Bänken. Im Hintergrund begann ein kleines Wäldchen, rechts des Platzes floss ein kleiner Bach, der nun aufgrund der heftigen Regenfälle deutlich angeschwollen war und ziemlich laut rauschte. Links des Platzes verlief eine zirka zwei Meter hohe Mauer, die das Ende des Camps markierte. Mrs. Phillips dankte Mr. Kelly, dann sagte sie zu den Schülern: „So, endlich haben wir es geschafft. Ein hübsches Fleckchen Erde hier. Schade nur, dass es so in Strömen gießt. Ihr habt nun eine Stunde Zeit, um eure Zelte aufzuschlagen — und bitte keine Streitereien wegen der Lage. Danach treffen wir uns im Restaurant zum Mittagessen und Aufwärmen. Bitte zieht für das Restaurant trockene Kleider an und nehmt den Regenschutz mit. Wir kehren nach dem Essen nicht mehr hierher zurück. Ein Mr. McMorris wird uns dann im Restaurant abholen und uns durch dieses Dorf führen. Vor dem Abendessen sind wir auf keinen Fall zurück. — Ach ja, vergesst das Schreibzeug nicht! Also los, an die Arbeit!“

Die Aussicht, bald im Trockenen zu sein und etwas in den Magen zu bekommen, hob die Laune doch stark an. Betsy packte Hope am Arm und zog sie Richtung Waldrand. „Komm, Hope, wir schlagen unser Zelt dort hinten auf, beim Wald und in der Nähe des Baches.“ Sie war sofort damit einverstanden.

„He, ihr zwei! Wartet auf uns! Wir kommen auch mit. So nahe am Wald braucht ihr doch sicher männlichen Schutz.“ George warf sich in die Brust. „Wo gibt es hier bitte Männer?“ Suchend sah sich Hope um. Betsy konnte ein Kichern nicht unterdrücken, fasste George aber bei der Hand: „Natürlich könnt ihr mit uns kommen. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil ihr unsere Freunde seid.“ Der so männliche George wurde rot wie eine Tomate, lief aber brav hinter Betsy her. Gideon und Hope folgten etwas langsamer. Gideon musterte Hope. Sie war wirklich ein hübsches Ding; was ihm aber noch besser an ihr gefiel, war ihr Charakter. Sie trat immer für die Schwächeren ein. „Hope, ich ... also ich wollte dich fragen, ob das Gerücht stimmt, das in der Klasse herumgeht. Bist du wirklich adoptiert worden? Bitte versteh mich richtig, ich bin nicht neugierig, doch ich habe gesehen, dass dich in letzter Zeit etwas sehr beschäftigt. Wenn ich dir helfen kann, dann sags einfach, o. k?“ Gideon sah Hope fest in die Augen. Diese war sehr gerührt. Er machte sich also Sorgen um sie ... oh, diese Augen! „Keine Angst, ich verstehe die allgemeine Neugierde völlig. Es ist nur so, dass ich im Moment mit mir selber genug zu tun habe, denn es stimmt, ich bin adoptiert worden. Meine wirklichen Eltern leben nicht mehr, das glaube ich zumindest.“ Stirnrunzelnd ließ sie ihren Rucksack von den Schultern gleiten. Sie hatten ihren Platz erreicht. Gideon tat es ihr gleich. „Wie soll ich das verstehen, weißt du es denn nicht genau?“ Hope schüttelte den Kopf und erzählte Gideon und George alles, was sie wusste, auch von den seltsamen Dingen, die ihr in letzter Zeit passiert waren. Nebenbei stellten sie ihre Zelte auf. Unterdessen froren sie entsetzlich.

Schnell zogen alle trockene Sachen an und begaben sich in das Restaurant. Hungrig stürzten sich die Kids auf das Essen. Plötzlich wurde es schlagartig ruhig im Saal. Der Grund hierfür war das Erscheinen eines Mannes, was ja an und für sich nichts Besonderes sein sollte. Doch bei diesem hier verschlug einem schon alleine die Kleidung die Sprache, geschweige denn der Auftritt und sein Aussehen; er war wirklich umwerfend. Nach dem ersten Schock — man konnte die Gefühle wohl so interpretieren — setzte das allgemeine Tuscheln ein.

„Mensch, seht mal, der sieht aus wie ein Zauberer; schon dieser Umhang und die langen zu einem Schwanz zusammengebundenen Haare! Das Beste aber ist der Bart! Pfui Teufel, da hast du doch immer was davon in der Suppe.“ Gideon schüttelte sich vor Ekel. George und Betsy stimmten ihm sofort zu. Doch eines mussten sie sagen: Dieser kauzige Typ hatte Charisma — wenn auch kein gutes. Seine Anwesenheit wirkte irgendwie bedrückend. Hope hatte bis jetzt nichts gesagt. Ihre Augen waren groß aufgerissen und starrten wie hypnotisiert auf diesen Mann. Ihr Unterbewusstsein signalisierte Gefahr — und zwar große Gefahr. Sie erschrak heftig, als plötzlich Betsy an ihrem Pulli riss: „Hope, was hast du denn? Du bist ja kreidebleich!“ Auch Gideon und George schauten sie besorgt an.

Hope zeigte auf den „Zauberer“: „Dieser Mann ist grund- böse! Er hat viele Menschen auf dem Gewissen, nein, auch Hexen und Zauberer! Er ist sehr gefährlich!“

„Sag mal, spinnst du? Wach auf, Hope, wir sind im 20. Jahrhundert!“ Betsy schüttelte sie leicht. Wie aus einem Traum erwachend zuckte sie zusammen: „Was habe ich soeben gesagt?“ Hope strich sich verwirrt das ungeordnete Haar aus dem Gesicht. Gideon betrachtete sie, wie man ein Alien anschaut, das einem soeben über den Weg gelaufen ist. „Willst du sagen, du hast keine Ahnung, was du eben von dir gegeben hast?“ Hope verzog kläglich das Gesicht und schüttelte den Kopf: „Nein, keine Ahnung. Was habe ich denn gesagt?“ Die drei Freunde klärten sie auf. Die Augen des Mannes bei der Tür begegneten ihren. Sofort erfüllte sie wieder ein Gefühl der Angst. In seine Augen trat ein seltsames Leuchten. Was hatte dies alles nur zu bedeuten? Wieso reagierte sie so extrem auf diesen Typen? „Was meinte ich wohl damit, dass er viele Hexen und Zauberer auf dem Gewissen hat? Das kann ich doch gar nicht wissen!“ Am besten, man vergaß den ganzen Blödsinn. „Ach, das war sicher nur eine Spinnerei, nichts weiter“, tat sie das Ganze ab. Die drei Freunde waren skeptisch, akzeptierten aber ihre Entscheidung.

Mrs. Phillips machte sich durch Klatschen bemerkbar: „Seid einen Moment still, bitte! Mr. McMorris wird uns nun gleich zu diesem Dorf der Hexen fuhren. In zehn Minuten treffen wir uns vor dem Haupttor. Es regnet immer noch in Strömen, also kommt mit entsprechender Kleidung. Wir halten uns doch relativ oft im Freien auf, außerdem benötigen wir noch zirka eine halbe Stunde bis dorthin, zu Fuß selbstverständlich. Also, wasserdichte Schuhe anziehen.“ Sie verließ mit diesem seltsamen Typen das Restaurant.

Die meisten Schüler interessierte es überhaupt nicht, was vor so langer Zeit geschehen war, die Ausnahme waren natürlich Betsy — sie platzte beinahe vor Neugier — und Hope, welche allerdings aus einem anderen Grund interessiert war. Ein unterschwelliges Gefühl warnte sie vor diesem Dorf. Vielleicht erfuhr sie jedoch dort etwas, das ihr helfen konnte zu verstehen. Hexen waren ja schließlich auch anders gewesen als die normalen Leute.

So machte sich also eine gemischt begeisterte Gruppe auf in das Dorf der Hexen.

Nach einem nassen Spaziergang durch den Wald gelangten sie schließlich an eine große Einfriedung. Der Eingang war geöffnet, ein Kassahäuschen stand dort und eine lange Menschenschlange wartete bereits davor. Dieses Dorf war die Hauptattraktion der Region. Trotz des schlechten Wetters zog es die Menschen wie magisch an. Die Schüler konnten mit ihrem Führer direkt eintreten. Sobald sie durch das riesige Portal getreten waren, verstummten die Stimmen schlagartig. Es war sehr seltsam, aber jeder spürte eine plötzliche Beklemmung, so als würden die armen Seelen dieses Dorfes das unermessliche Unrecht, das ihnen angetan worden war, herausschreien. Der Leiter unterbrach den Bann, indem er in die Mitte des Platzes trat. Ein dicker Pfahl war dort in den Boden gerammt worden. Darum herum lag ein großer Holzhaufen. Er erklärte den damaligen Verlauf, wenn eine Person als Hexe identifiziert worden war. Dies war dann das Ende. Sie wurde verbrannt oder manchmal auch ertränkt. Mrs. Phillips schaute ihn etwas erstaunt an, es schien beinahe so, als ob er Freude an diesen geschehenen schrecklichen Verbrechen hätte. Weiter ging es durch die einzelnen Häuser, die oft mit sehr viel Liebe eingerichtet worden waren. Die Leute waren sicher sehr glücklich hier gewesen, bevor dieses Unheil über sie hereingebrochen war. Zu jedem Häuschen wusste Mr. McMorris etwas zu erzählen: wer hier gewohnt hatte und was mit den Bewohnern geschehen war. So verging die Zeit sehr schnell. Hope war darüber sehr froh, denn in jedem Haus spürte sie ein Gefuhls- chaos, das sie sich nicht erklären konnte, Freude, Leid, Angst, Wut ... Es war sehr anstrengend. Den anderen wollte sie aber hiervon nichts sagen, sie konnte ja nicht erklären, was das sollte — und dann dieser Leiter! Er machte ihr irgendwie Angst. Immer wieder glitt sein Blick zu ihr hin. Seine Musterung empfand Hope schon bald als Beleidigung. Was hatte dieser Mann nur gegen sie? Seine Augen wirkten kalt und provozierend.

 

Das letzte Haus der Führung stand etwas abseits, am Rande der Einfriedung. Es hatte als einziges einen kleinen Garten und die Fensterläden waren nicht grün gestrichen, sondern in einem knalligen Gelb. Kaum hatten die Schüler dieses Haus betreten, war ihnen sofort bewusst, dass hier wirklich eine Hexe gewohnt haben musste. An der rechten Wand standen hölzerne Regale, auf denen lauter Döschen standen mit irgendwelchen Heilkräutern. Der Führer trat dorthin: „Hier lebte die damalige Oberhexe! Sie widersetzte sich sehr lange dem Richter dieses Gebietes. Ihr Mann war ein menschliches Wesen. Diese Heilkräuter hier — so wurde es zumindest überliefert — waren als sehr wirksam bekannt. Diese Überlieferungen werden wir dann morgen im Museum sehen.“

In diesem Haus waren die auf sie einstürzenden Gefühle so extrem, dass Hope die Tränen in die Augen schossen. Um Fragen ihrer Freunde zu umgehen, trat Hope schnell zwei Schritte zurück, berührte dabei mit der ausgestreckten Hand ein gefülltes Tintenfass und warf es zu Boden. Es zerbrach klirrend und die Tinte floss über den Holzboden. Erschrocken hielt sie die Hände vor den Mund: „O nein! Das wollte ich nicht! Mir war schwindlig, da habe ich mich festhalten wollen ... und dabei ist es geschehen.“ Betreten sah sie nun zu Boden. Mrs. Phillips meinte beschwichtigend: „Ist schon gut, Hope. Geh nach draußen an die frische Luft, wenn dir schwindlig ist; Betsy, begleite sie bitte.“ Und an Mr. McMorris gewandt: „Selbstverständlich wird die Schule für den Schaden aufkommen. Hoffentlich ist es ersetzbar.“

Mr. McMorris nahm sein Handy hervor, tippte eine Nummer ein, gab den Befehl durch eine Putzfrau herzuschicken und beruhigte dann die Lehrerin: „Das ist nicht so schlimm. Es war ein Original, aber es handelt sich ja nur um ein Tintenfass. Schauen wir lieber nach, wie es Ihrer Schülerin geht.“ Das Handy wieder in einer seiner großen Taschen verstauend trat er schnell hinaus. Die Lehrerin und die Schüler folgten ihm. Betsy und Hope standen mitten im strömenden Regen und warteten schweigend. Hope hatte sich geweigert mit ihr zu sprechen und nun herrschte das erste Mal seit ihrer Freundschaft eisiges Schweigen. Mr. McMorris berührte Hopes Arm. Sie wurde kreidebleich, riss sich los und kippte einfach um. Gideon, der hinter ihr stand, konnte sie gerade noch auffangen. Durch die Wucht fielen beide in den Schlamm. Nun lag er auf dem Boden, auf sich die ohnmächtige Hope. Alle waren so erstaunt über Hopes Ohnmacht, dass sich im Moment keiner regte.

Hope kam sehr schnell wieder zu sich und schlug die Augen auf. Entsetzt rappelte sie sich hoch, rutschte aber immer wieder aus, und als Gideon ihr helfen wollte, verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige: „Nimm deine Tatschen von mir, du ... du Gigolo! Was fällt dir eigentlich ein, mich ...“ Betsy fiel ihr ins Wort, sie hatte sich als Erste von ihrer Verblüffung erholt: „Halt, Hope! Was tust du denn da?! Gideon hat nichts getan. Im Gegenteil, er hat einen Sturz von dir verhindert, indem er dich aufgefangen hat, als du ohnmächtig wurdest!“

Verblüfft schaute Hope zwischen Gideon und Betsy hin und her: „Was war ich? Ohnmächtig? Ich bin noch nie in Ohnmacht gefallen.“

„Nun, eben bist du es“, war die lakonische Antwort von Gideon. Er rieb sich die schmerzende Wange. Man konnte schon den Handabdruck erkennen „Du hast einen kräftigen Schlag, Mädchen. Es wäre allerdings nett, wenn du aufstehen würdest. Es wird nämlich immer feuchter hier unten, obwohl ...“, ein freches Grinsen erschien auf seinem Gesicht, „... obwohl es recht angenehm ist dich auf einem sitzen zu haben.“

Hope bekam einen roten Kopf. So schnell war sie wahrscheinlich noch nie im Leben auf die Beine gesprungen. Die anderen Schüler prusteten los. Mrs. Phillips unterbrach das allgemeine Gelächter: „Das ist nicht lustig! Ruhe! Gut so; nun, Hope, fühlst du dich wieder etwas besser? Was war denn los?“ Sie nahm Hope bei der Hand und trat mit ihr etwas zur Seite. Keines der Kinder konnte etwas verstehen. Nach kurzer Zeit kehrten beide zurück.

„Mr. McMorris, ich nehme an, die Führung ist für heute sowieso zu Ende. Morgen steht ja nach dem Frühstück noch der zweite Teil an, die Besichtigung des Museums. Ich danke Ihnen schon einmal für alles. Es war sehr interessant, nicht wahr, Kinder?“ Alle bejahten und klatschten mehr oder weniger begeistert Beifall. Mr. McMorris verbeugte sich: „Herzlichen Dank. Ihr wart auch ein sehr aufmerksames Publikum. Für morgen ist noch Folgendes zu erwähnen: Damit alle von diesem sehr emotionalen Teil profitieren können, werden wir zwei Gruppen machen. Gleich nach dem Frühstück wird die erste Gruppe mit mir kommen. Die zweite kommt dann nach dem Mittagessen dran. Folgendermaßen wurde von mir die Aufteilung vorgenommen: nach dem Frühstück die Schüler mit den Nachnamen A—K, danach der Rest. Ich wünsche allen einen schönen Abend — und Ihnen, Miss Hopper, gute Besserung. Auf Wiedersehen morgen in alter Frische.“ Er winkte allen noch einmal zu und ging dann mit schnellen Schritten davon.

Der Rückweg verlief beinahe schweigend, alle waren durchgefroren und müde. Betsy warf der immer noch blassen Hope besorgte Blicke zu, auch Gideon und George hielten sich an ihrer Seite, die stillen Bodyguards. Man merkte Betsy an, dass sie beinahe vor Neugierde platzte, doch erstaunlicherweise war sie einmal ruhig.

Im Camp zurück waren alle froh die nassen Sachen gegen trockene eintauschen zu können. Gideon und George trafen sich bei den beiden Mädchen im Zelt. Sie wollten genauso wie Betsy wissen, was eigentlich mit Hope los gewesen war. Als sie nach dem Mittagessen gestartet waren, schien Hope noch völlig in Ordnung gewesen zu sein. Nun saßen alle auf dem Boden, gespannt auf ihre Erklärung wartend. „Also, nun erzähl uns doch, was da in dem Dorf mit dir passiert ist! Du warst wie ausgewechselt, Hope!“ Betsy nahm tröstend ihre Hand. Nachdem die große Anspannung nachgelassen hatte, zitterte Hope nun am ganzen Körper. Immer noch sah sie die schrecklichen Bilder vor sich, die über sie hereingebrochen waren, als dieser McMorris sie berührt hatte. Schon in diesem letzten Haus herrschte in ihrem Innern ein absolutes Gefühlschaos; was aber besonders irritierend war: Sie hatte das Gefühl gehabt, zu Hause zu sein! Sie schaute jedem ihrer Freunde ins Gesicht, bevor sie, den Blick wieder senkend, leise zu sprechen begann: „Ich weiß, dass alle ein beklemmendes Gefühl hatten in diesem Dorf, besonders in den Häusern. Die Geschichten dazu waren ja auch aufwühlend. Bei mir war es allerdings noch viel extremer. Ich konnte es richtig fühlen, den Schmerz, die Wut, die Trauer, aber auch die Glücksgefühle, die dort einmal geherrscht hatten. Besonders schlimm wurde es dann im letzten Haus; ich hatte so starke Empfindungen, dass mir entsetzlich schwindlig wurde, deshalb stieß ich auch das Tintenfass um. Was dort ganz besonders war: Ich hatte das Gefühl, endlich nach Hause zu kommen! Es war so beängstigend!“ Nun rannen ihr Tränen über die Wangen. Sie schluchzte und konnte nicht mehr aufhören. Die Freunde saßen wie versteinert neben ihr. Alle drei begannen dann miteinander zu sprechen: „Ich hatte diese Gefühle auch in einem der Häuser, nicht so stark wie du wahrscheinlich, aber ..— „Komisch, mir ging es ebenso .. und „Mensch, mir ist genau dasselbe passiert!“

Alle saßen da, verstanden sich und die Welt nicht mehr. „Was hat das alles nur zu bedeuten?“, flüsterte Betsy ängstlich. Keiner konnte darauf eine Antwort geben.

„Das war ja noch nicht mal alles“, Hope wischte sich über die verheulten Augen, „draußen, als ich angeblich ohnmächtig geworden bin, hat mich doch dieser McMorris berührt. In diesem Moment stürmten schreckliche Bilder auf mich ein. Ich bringe sie einfach nicht aus meinem Kopf!“ Verzweifelt schloss sie die Augen.

„Um Gottes willen, was denn für Bilder?“ George lehnte sich weiter vor.

„Es waren so viele, Frauen und Männer, die lebendigen Leibes verbrannt wurden. Ich hörte ihre Schreie und spürte ihren Schmerz! Die schrecklichsten Schmerzen empfand ich aber beim letzten Bild; da stand eine Frau, die irgendwie aussah wie ich Sie rief irgendjemandem etwas zu, ich konnte nur meinen Namen verstehen und dann ... dann stieß sie sich ein Messer in den Bauch! Einfach so! Diese Schmerzen, ich konnte alles fühlen! Danach muss ich wohl in Ohnmacht gefallen sein.“

Betsy sah sie mit großen erschreckten Augen an: „Du Arme! Kein Wunder, dass du so blass warst. Was geschieht hier bloß? Was haben wir, vor allem du, mit diesem Dorf zu schaffen? Was ist mit diesem Kerl, diesem McMorris? Weshalb vermittelt er dir solche schrecklichen Bilder?“ Gideon stand auf, er war sichtlich erschüttert: „Irgendwie haben wir wohl eine Verbindung zu diesem Hexendorf, die Frage ist nur, welche!“ Keiner der Jugendlichen hatte eine Idee. George strich sich durch seine ohnehin schon strubbeligen Haare: „Vielleicht erfahren wir morgen mehr darüber, beim Museumsbesuch. Hoffentlich herrscht nicht wieder so ein Gefühlschaos!“ Hope schaute ihm in die Augen: „George, vor den Gefühlen habe ich weniger Angst als vor diesem Leiter! Er strömt so viel Böses aus, wie sonst hätte seine Berührung bei mir diese Empfindungen aus- lösen können?“ Auch darauf hatte niemand eine Antwort. „Es ist wohl wirklich besser, wir versuchen für heute das Geschehene ruhen zu lassen. Morgen wird es uns dann wieder mehr als genug beschäftigen. Außerdem ist gleich Essenszeit, und ich zumindest habe einen Riesenhunger. Wie steht es mit euch?“ Der immer realistisch denkende George brachte es wieder einmal auf den Punkt. Es stimmte schon, all dieses Wenn und Wie brachte sie nicht weiter. Morgen hatten sie noch einmal Gelegenheit diesen seltsamen Geschehnissen auf die Spur zu kommen und diesen Typen genauer zu beobachten. Die drei verließen das Zelt. Jetzt, wo sie der Regen nicht mehr so stören würde, hatte es aufgehört. Wenn das mal nicht ein gutes Zeichen war ...