Erinnerungen eines "Kofferträgers"

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Erinnerungen eines "Kofferträgers"
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Der Autor hat Rechtswissenschaft an den Universitäten Hamburg, Freiburg, Berlin und Kiel studiert, wo er 1965 promoviert wurde mit einer Arbeit über »Die institutionalisierte Vertretung der Verbände in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft«. Nach Studien am Europa Kolleg in Brügge/Belgien und an der Indiana University in Bloomington/USA (das er mit einem Master of Laws abschloss) sowie einer Tätigkeit bei der EWG-Kommission in Brüssel trat Dr. Fischer nach dem Assessorexamen 1966 in Bonn in das Bundesministerium für Wirtschaft ein und siedelte später in das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit über.

Während dieser Zeit war er enger Mitarbeit der Minister Karl Schiller und Helmut Schmidt und assistierte danach Willy Brandt als dem Vorsitzenden der internationalen Nord-Süd Kommission. Auf dieser Grundlage wurde er 1984 zum Exekutivsekretär des Gemeinsamen Entwicklungsausschusses von Weltbank/IWF (Development Committee) in Washington gewählt und war von 1991 bis 1996 dort deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank.

Seine internationale Tätigkeit führte ihn in alle Erdteile und vergrößerte seine Sympathie für Schönheit und Kultur der sog. Dritten Welt.

Fritz Fischer

Erinnerungen eines »Kofferträgers«

Anekdoten aus einem bewegten

Beamtenleben mit Karl Schiller,

Helmut Schmidt und Willy Brandt


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Schriftart: Palatino

Herstellung: ef/bf/1B

ISBN 978-3-86455-671-5 EPUB

Es kommt nicht darauf an,

dem Leben mehr Jahre zu geben,

sondern den Jahren mehr Leben.

Alexis Carrel

Inhalt

Einleitung

Wie wird man Persönlicher Referent?

Meine Zeit mit Karl Schiller

Die Arbeit mit Helmut Schmidt

Arbeit mit Willy Brandt

Würdigung des Brandt Berichts und seines Vorsitzenden

Meine Sekretärsfunktion beim Gemeinsamen Entwicklungsausschuss von Weltbank/IWF in Washington 1984–87

Einige Ankedoten aus meinem »normalen« Beamtenleben

Anekdoten aus Asien

Anekdoten aus Fidschi und Mauritius

Anekdoten aus Europa

Einige autobezogene und andere Anekdoten aus Afrika

Erinnerungen an Südamerika

Anekdotische Eindrücke aus der Karibik

Eindrücke aus meinem langjährigen USA-Aufenthalt

Meine letzte, höchst interessante Dienstreise in den Jemen im Frühjahr 1998

Meine Erfahrungen mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds

Anmerkungen zu meiner eigenen Biografie im Entwicklungsbereich

Schlussbemerkungen

Bildnachweis

Einleitung

Bei meinem Eintritt in die Bonner Bundesverwaltung 1966 hatte ich mir nicht vorstellen können, wie abwechslungsreich sich meine Tätigkeit gestalten und wieviel Anekdotisches sich über die Jahre ansammeln würde. So wurde ich im Bekanntenkreis immer wieder ermuntert, dies doch einmal aufzuschreiben und damit vielleicht auch einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen.

Dem komme ich nunmehr nach einigem Zögern gern nach, auch wenn seitdem über 50 Jahre vergangen und meine damaligen Chefs inzwischen alle verstorben sind. Doch alle drei (Schiller, Schmidt und Brandt) haben seit Beginn der ersten Großen Koalition im Dezember 1966 einen wichtigen Zeitabschnitt der (west)deutschen Nachkriegsgeschichte mitgestaltet und damit die SPD nach Jahrzehnten in der Opposition regierungsfähig gemacht. So verdient ihr beeindruckender Beitrag durchaus eine persönliche Erinnerung, zumal diese erste Koalition im Unterschied zur Groko von 2018 damals bei der SPD von freudigem Mitregieren-Wollen getragen war. Daher dürfte diese Rückschau nicht nur bei nachfolgenden Generationen, sondern nach der Wiedervereinigung auch bei dem einen oder anderen ostdeutschen Bundesbürger auf Interesse stoßen.

Dabei habe ich für meine anekdotischen Erinnerungen weder Tagebücher geführt noch während meiner ministeriellen Tätigkeit passende Dokumente beiseitegelegt, wie es Memoirenschreiber oft tun. Insofern bin ich weitgehend auf mein Gedächtnis angewiesen und erstaunt, wieviel dort offenbar noch »archiviert« ist. Dabei war ich nicht dem Zwang mancher Memoirenautoren ausgesetzt, zu ihrer Entlasung möglichst viel Rechtfertigendes unterzubringen, und als Ruheständler sind mir vergleichsweise weniger Beschränkungen auferlegt, um – bei aller gebotenen Diskretion – »frei von der Leber« weg viel Anekdotisches so zu berichten, wie es tatsächlich passiert ist.

Hierbei hat es sich – bei aller Konzentration auf meine drei »Chefs« – für angezeigt erwiesen, in einem weiteren Teil dieser Aufzeichnungen auch einige anekdotische Begebenheiten und Beobachtungen aus meiner »normalen« Beamtentätigkeit wiederzugeben und sodann mit einigen offenen und sehr persönlichen Bewertungen der internationalen und deutschen Szenerie abzurunden, die mir seitdem erinnerungswürdig erschienen sind. Damit offeriere ich dem geneigten Leser auf drei miteinander verknüpften Ebenen eine Mischung aus Schmunzeln und Einsichten sowie einen gewissen »Blick hinter die Kulissen«. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist.

Mit meinen Anekdoten und persönlichen Erinnerungen möchte ich zugleich noch einmal meine Hochachtung für die drei Politiker zum Ausdruck bringen, denen ich – über unterschiedliche Zeiträume hinweg – als enger Mitarbeiter dienen durfte. Sie haben sich alle unermüdlich um unser Land und Ansehen in der Welt verdient gemacht, und es war daher sehr befriedigend, ihnen hierbei assistieren zu dürfen, auch wenn bei dieser Tätigkeit das eigene Privatleben sicherlich zu kurz kam.

Wie wird man Persönlicher Referent?

Im Allgemeinen gibt es für diese Tätigkeit zwei Einstiegsmöglichkeiten: Oft bringt ein Minister einen Teil seiner engen Mitarbeiter mit. Sie sind zumeist Parteimitglieder oder frühere Assistenten und werden sodann im Ministerium mit entsprechenden Aufgaben betraut. Das hat zwar einerseits den Vorteil, dass damit das notwendige Vertrauen von Anfang an gegeben ist, auch wenn sich damit die Problematik von zuviel parteipolitischem Einfluss erhöht. Vor allem ist aber auch kritisch anzumerken, dass ein solcher gänzlich neuer Persönlicher Referent das Ministerium zumeist nicht kennt und oft auch nicht die notwendige Verwaltungserfahrung hat. Insofern spricht einiges dafür, dass ein Persönlicher Referent stattdessen von der Personalabteilung des Ministeriums ausgewählt und – zumeist zusammen mit anderen Kandidaten – vorgeschlagen wird. Dann hätte der Minister nach entsprechenden Gesprächen eine Wahl zu treffen. Dabei spielt eine Parteizugehörigkeit im Idealfall keine Rolle, und so gehörte auch ich seinerzeit keiner Partei an.

Im englischen System ist es offenbar so, dass ein Minister nur einen einzigen persönlichen Berater mitbringen darf und er im übigen das gesamte Ministerium ohne weitere Veränderungen übernimmt. Das ist bei uns bekanntlich anders, und daher werden bei einem Regierungswechsel die meisten Staatssekretäre sowie Ministerialdirektoren in den einstweiligen Ruhestand versetzt, in dem sie zumeist auch verbleiben. Daneben werden bei einem Regierungswechsel enge Mitarbeiter des Ministers woanders beschäftigt (wie z. B. Pressesprecher) oder verlassen von sich aus das Ministerium. Allerdings sind die personellen Veränderungen bei uns auch nicht so umfassend wie beispielsweise in der US-Verwaltung. Dort findet auch selbst dann zumeist ein tiefgreifender personeller Wechsel statt, wenn ein Präsident aus derselben Partei kommt wie sein Vorgänger. Dabei herrscht zumeist eine Grundhaltung vor, vieles von dem in Frage zu stellen oder bewusst das Gegenteil von dem zu entscheiden, was der Vorgänger oder seine Regierung im Einzelnen vertreten hatten. So werden auch immer wieder internationale Verträge oder Abkommen in Zweifel gezogen, was die weltweite Zusammenarbeit und Kontinuität nicht einfacher macht.

 

Insgesamt ist anzumerken, dass für einen Persönlichen Referenten neben einer fachlichen Qualifikation vor allem das persönliche Vertrauen des Ministers die entscheidende Rolle spielt, wobei eine gewisse landsmannschaftliche Verbundenheit nicht schaden kann. Wenn zwischen beiden die notwendige »Chemie« nicht stimmt, ist eine dauerhafte Zusammenarbeit kaum möglich und ein baldiger Wechsel angezeigt. Im umgekehrten Fall führen gute Beziehungen oft dazu, dass man länger in der Position bleibt, als man eigentlich möchte, weil der Minister zumeist personellem Wechsel – als für ihn unbequem – ablehnend gegenübersteht.

Was sind die Aufgaben eines Persönlichen Referenten?

Auch wenn es eine Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien gibt, so ist dort die spezielle Aufgabe eines Persönlichen Referenten nicht beschrieben und ergibt sich in ihrer Vielfalt eigentlich von selbst. Die oft neidvollgehässige Bezeichnung »Kofferträger« umschreibt daher nur eine Kurzform, obwohl diese Funktion beim amerikanischen Präsidenten eine zusätzliche Bedeutung hat. Dort trägt bekanntlich ein hoher Begleitmilitär den Koffer mit dem nuklearen Befehls-Code ständig mit sich.

Abgesehen von diesem Sonderfall des »Atomkoffers« ist ein Persönlicher Referent aber praktisch ein »Mädchen für alles«. Das reicht von der Sichtung von Ministervorlagen bis zur Besucherbetreuung sowie Organisation von Veranstaltungen innerhalb und außerhalb des Ministeriums. Dazu zählt auch und zuvörderst die Vorbereitung von Reisen, was sorgfältige Planung in Anspruch nimmt, bei der oft das Auswärtige Amt mit eingeschaltet ist.

Während der Reisen, besonders im Flugzeug, enthält der Koffer neben Konferenzunterlagen, Redetexten usw. auch ganz triviale Sachen wie Locher (um die letzten Akten noch einzuordnen), Marker zum Hervorheben, Heftklammern sowie leere Blätter für wichtige Notizen des Ministers usw. Es sei noch erwähnt, dass für eine solche Position naturgemäß ausreichende Sprachkenntnissse, vor allem englisch-amerikanische, unerlässlich sind. Die Auswahl von Gastgeschenken stellt ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld dar, wie auch passende Menü-Vorschläge für offizielle Essen des Ministers, bei denen auch religiöse oder vegetarische/vegane und allergische Beschränkungen des Gastes zu beachten sind.

Kurzum, alles, was der Entlastung des Ministers und der Vorbereitung seiner vielfältigen Funktionen innerhalb und außerhalb des Ministeriums dient, obliegt – im Benehmen mit dem Leiter des Ministerbüros – dem Persönlichen Referenten, und er darf dabei nichts Wichtiges übersehen, was beim hektischen Tagesgeschäft besondere Sorgfalt erfordert. Ein solcher Mitarbeiter ist letztlich dem Minister allein verantwortlich und nicht Teil der üblichen Hierarchie eines Ministeriums. Hinzu kommt, dass für viele Tätigeiten die Ministeriumsverwaltung ungeeignet (z. B. bei Beileidsschreiben) oder bei Eilsachen oft zu langsam ist.

Es ist unerlässlich, dass auch die physische Belastbarkeit enorm ist und eine gute Konstitution verlangt; denn als Persönlicher Referent kann man nach Rückkehr von einer langen Auslandsreise mit dem Minister nicht einfach zuhause bleiben, um den Jetlag zu überwinden; sondern muss unmittelbar nach der Rückkehr wieder mit vollem Einsatz Schreibtischarbeit leisten und den inzwischen angehäuften Aktenstapel abarbeiten, von der Vorbereitung neuer Dienstreisen ganz zu schweigen.

Ein derart tätiger Mitarbeiter hat praktisch wenig Privatleben. Daher ist es verständlich, dass ich in meinem Fall nach einem Jahr ernsthaft darum bat, eine andere Funktion auszuüben, was mir nach einigem Insistieren durch eine Beschäftigung bei der EWG in Brüssel auch gelang. Da aber in Bonn der Minister mich offenbar vermisste, wurde ich nach einem halben Jahr nach Bonn zurückbeordert. Darin zeigt sich ein gewisses Dilemma zwischen einerseits einer gewissen Eigensüchtigkeit des Ministers, der ungern einen ihm genehmen Mitarbeiter gehen lässt, und andererseits dem Persönlichen Referenten, der sich gern wieder »freischwimmen« möchte, aber sich durch seine Unentbehrlichkeit letztlich selbst schadet.

Als junger Regierungsrat fühlte ich mich damals durch den Rückruf aus Brüssel geschmeichelt und diente darauf meinem Minister für weitere Jahre in diesem anstrengenden Amt, ohne dass sich das beruflich allzusehr auszahlte, weil der Minister – anders als manche Kollegen (z. B. im Auswärtigen Amt) – bei »belohnenden Beförderungen« engerer Mitarbeiter sehr zurückhaltend war. Man denke hierbei mit Blick auf das AA als Beispiel nur an Kinkel, der letztlich vom Beamten bis zum Außenminister aufstieg.

Neben den konventionellen Aufgaben in einem Ministerbüro ist ein Persönlicher Referent zuweilen auch für skurrile Vorkommnisse »zuständig«, z. B. wenn der Pförtner von einer Besucherin berichtet, welche sich als die wahre englische Königin ausgibt. In diesem Fall kann man ja schlechterdings nicht die Polizei rufen und die Dame »abführen« lassen, sondern muss sich etwas Zeit für ein Gespräch und einen Kaffee nehmen, bis sie von allein das Gebäude wieder verlässt. Wenn zur Weihnachtszeit einige Botschaften ihre mehr oder minder passenden Gastgeschenke abliefern, muss man halt – in Kontakt mit Altersheimen usw. – sehen, wo der Sack Kaffee oder ein Haufen Apfelsinen hingebracht werden können.

Auch das kann passieren: Eines Tages besuchte mich ein bekannter Bonner Fotograf. Er zeigte mir ein Foto von einem Empfang vom Vortag, auf dem der Minister zusammen mit einem ihm unbekannten Herrn abgebildet war. Der Fotograf fragte mich, ob das vielleicht der neue sowjetische Botschafter Falin sei, was ich verneinte. Als er dann erfuhr, dass ich der Unbekannte auf dem Foto war, übergab er es mir mit der Bemerkung, dann sei es für ihn nicht interessant. Fürwahr eine ehrliche, wenn auch nicht notwendigerweise schmeichelhafte Antwort.

Zu den unkonventionellen, aber wichtigen Aufgaben eines Persönlichen Referenten gehören auch Nachrufe für verstorbene Persönlichkeiten, die manchmal nicht einfach zu verfassen sind und für die – wie bereits erwähnt – der normale Beamtenapparat eines Ministeriums zumeist nicht geeignet ist. Als Beispiel sei der Tod eines sehr bekannten Industriellen genannt, an dessen Würdigung durch den Wirtschaftsminister kein Weg vorbeiführte. Nun kam aber hinzu, dass der Verstorbene während des Krieges eine führende Rolle in der deutschen Rüstungsindustrie spielte und deshalb in den Nürnberger Prozessen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Bei einem solchen Nachruf sah sich also ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister Beschränkungen ausgesetzt. Ich suchte daher für den Nachruf den Kontakt eines versierten Kollegen und lernte, dass es im Auswärtigen Amt jemanden gab, der solche Kondolenzschreiben hauptberuflich verfasste. Als ich ihn anrief, erwiderte er spontan: »Auch das noch. Ihr Minister hat mir gerade noch gefehlt; denn ich muss bereits Nachrufe schreiben für meinen Minister, den Bundeskanzler sowie den Bundespräsidenten.« Da sah ich mich also allein auf weiter Flur und hatte für den Entwurf weitestgehend die Verantwortung.

Meine Zeit mit Karl Schiller
Der Sprung ins Ministerbüro und die ersten Tage mit Karl Schiller

Zum Jahresbeginn 1966 trat ich in das Bundeswirtschaftsministerium ein und wurde dem Referat »Energiepolitik« zugewiesen, dem damals angesichts der aufkommenden Kohlekrise und der Preiskonkurrenz aus dem Ausland eine hohe Bedeutung zukam. Vor diesem Hintergrund ist ein erster Eindruck über die Besonderheit eines Ministeriums wiederzugeben, als ich an einem der ersten Arbeitstage von einem Kollegen auf das jüngste Bergwerksunglück im Ruhrgebiet angesprochen wurde. Er bemerkte nämlich, dass hierbei glücklicherweise nur zwei Opfer zu beklagen seien. Als ich ihn nach dem Grund fragte, klärte er mich dahingehend auf, dass man ab drei Toten ein Ministerschreiben verfassen müsse.

Eine weitere Anekdote sollte nicht unerwähnt bleiben: Schon nach kurzer Zeit des Einarbeitens führte mich eine erste Dienstreise zur EWG-Kommission nach Brüssel. Im Zuge der danach eingereichten Abrechnung rief mich ein Sachbearbeiter an und fragte nach Einzelheiten. Dabei erinnerte er mich daran, ich hätte nach meinen Angaben das Ministerium um 12:10 Uhr verlassen, um mit dem Bus zum Bahnhof zu fahren. Demgegenüber hätten zwei meiner Kollegen als Abfahrtzeit 11:50 Uhr angegeben. In Anbetracht dessen schlug er vor, auch bei mir diese Zeit anzugeben. Zu seiner Überraschung lehnte ich das ab, weil es nicht den Tatsachen entsprach und ich meineTätigkeit im öffentlichen Dienst nicht mit solchen Unregelmäßigkeiten beginnen wollte. Daraufhin bemerkte der Sachbearbeiter, ich sei wohl neu im Geschäft, und »klärte« mich wie folgt auf: Bei Abfahrt schon um 11:50 Uhr erhielte ich ein volles Auslandstagegeld, bei 12:10 Uhr aber nur das halbe. Angesichts meines Beharrens sei er nun gehalten, im Hinblick auf den Bundesrechnungshof (dem sonst die Zeitunterschiede auffallen würden) auch die Abreiseangaben meiner beiden Kollegen entsprechend anzugleichen, was mir keine neuen Freunde machen würde. Eine entsprechende Änderung meiner Abfahrtzeit habe ich aber erneut klar abgelehnt.

Allgemein fühlte ich mich aber im »Bauch« meines Ministeriums wohl, und ich sah mich auch durch die Referenz meines Doktorvaters bestätigt, der mir in einem Empfehlungsschreiben für das Ministerium attestierte, dass ich »ein Mann der Praxis« sei, und mit einer gewissen Doppeldeutigkeit hinzufügte: »Sonst hätte ich ihm eine Habilitation angetragen.«

Aus meiner Anfangszeit im Ministerium sind mir die Arbeitsbedingungen von manchen Kollegen und mir in Erinnerung geblieben. Wir residierten damals auf der Hardthöhe in ehemaligen Kasernen und waren teilweise direkt unter dem Dach untergebracht. Dort war es im Sommer unerträglich heiß, und bei zu hohen Temperaturen gab es schon mal hitzefrei.

Zum Politischen ist – wie bereits angedeutet –, zu bemerken, dass es Anfang Dezember 1966 in der Bundesregierung zum ersten Mal eine Große Koalition gab. So bekamen wir mit Prof. Karl Schiller einen SPD-Minister. Ich hatte keine Ahnung, dass ich sehr bald davon betroffen sein würde, als ich für das Ministerbüro vorgeschlagen wurde und Karl Schiller dem zustimmte. Angesichts dieser »Aufwertung« verließ ich also ohne Verzögerung meine kleine Dachkammer und zog um in ein sehr geräumiges Ministerbüro mit Klimaanlage und vielen anderen Annehmlichkeiten, von privilegierten Einwirkungsmöglichkeiten auf die gesamte Verwaltung ganz zu schweigen. Dazu kam dann auch Teilnahme an Treffen mit hochrangigen Besuchern in Bonn oder ausländischen Gesprächspartnern bei Dienstreisen.

Diese Berufung »aus heiterem Himmel« bedeutete eine gewaltige Veränderung meines beruflichen Umfeldes. Plötzlich gab es Hubschrauberflüge, Bundeswehrflugzeuge, Luxushotels und Bedienungspersonal sowie ständige Kontakte zum oberen Management des Hauses. Dazu ein ganzes Ministerium zur Verfügung für die neuen Aufgaben, von denen es wahrlich genug gab, zumal sich auf meinem Schreibtisch in der Übergangsphase viele Akten meines Vorgängers angehäuft hatten, der angesichts des Regierungswechsels bereits woanders tätig war. Sein einziger kollegialer Rat: Man bräuchte im Regelfall nur ein grünes Kreuz auf die eingegangenen Schreiben zu machen. Das bedeute Antwort durch den Minister, die sodann automatisch und mit den dazugehörigen, hierarchischen Mitzeichnungen vorgelegt würde. In der Praxis war aber durch entsprechende Entwurfsänderungen von mir der besondere Schreibstil des Ministers zu berücksichtigen. Im Übrigen war es geboten, die Unterschrift des Ministers rar zu halten und daher oft eine andere Erledigung in die Wege zu leiten, als auf dem Dienstweg vorgeschlagen war.

Der Minister selbst betraute mich nach der Einstellung am selben Tag umgehend mit einer privatdienstlichen Sonderaufgabe. Er bemerkte, dass nach seiner Ernennung bei seiner Frau in Hamburg nunmehr Tag und Nacht das Telefon klingele. Daher sollte ich doch bitte umgehend eine neue Geheimnummer beantragen, um diese Belästigungen zu beenden.

Am selben Abend rief mich der Minister erregt an und bemängelte, dass er seine Frau telefonisch nicht mehr erreichen könne. Ich erwiderte, ich hätte umgehend – wie von ihm erbeten – eine Geheimnummer beantragt, die offenbar sogleich eingerichtet worden sei. Dem fügte ich hinzu, dass die Hamburger Postbehörde auf meine ausdrückliche Rückfrage auch nicht bereit sei, mir die neue Telefonnummer zu sagen, da sie ja geheim sei. Ich schloss mit dem Hinweis, dass seine Frau ihn sicher im Laufe des Abends noch anrufen würde, um ihm die neue Nummer mitzuteilen, was dann auch geschah.

 

Am nächsten Arbeitstag befürchtete ich, dass sich dies auf die künftige Zusammenarbeit mit dem neuen Minister atmosphärisch auswirken wurde. Das war aber zum Glück nicht der Fall, und offenbar hat Karl Schiller meine efficiency goutiert.

Falls aber eine atmosphärische Störung vorgelegen haben sollte, hatte ich eine gewissse »Ablenkung« parat. Ich erwähnte nämlich, dass der Minister eine sehr schöne Handschrift habe. Daher sei es vielleicht eine willkommene Geste, dass er als neuer (und erster) SPD-Minister zu den Weihnachtsfeiertagen einen persönlichen Brief an die Belegschaft schreiben würde. Der Minister war sofort damit einverstanden und bat mich, hierfür einen Entwurf zu fertigen. Den aber hatte ich im Vorfeld bereits erstellt und konnte ihn daher sofort vorlegen. Schiller unterschrieb ihn fast ohne Änderungen, und der Weihnachtsbrief kam bei der Belegschaft gut an.