Mein Mundwerk – ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und Feder-Füchsen.
Meine Hand – ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und was noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath!
Mein Fuss – ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen Laufen.
Mein Magen – ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen.
Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davonzufliegen – das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas daran von Vogel-Art sein!
Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon meine Feindschaft!
Davon könnte ich schon ein Lied singen – – und will es singen: ob ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss.
Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz wach: – Denen gleiche ich nicht. –
Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen – als »die Leichte.«
Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen kann.
Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so will es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: – also lehre ich.
Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen stinkt auch die Eigenliebe!
Man muss sich selber lieben lernen – also lehre ich – mit einer heilen und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife.
Solches Umherschweifen tauft sich »Nächstenliebe«: mit diesem Worte ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer fielen.
Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduldsamste.
Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben, – also schafft es der Geist der Schwere.
Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: »gut« und »böse« – so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben.
Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der Schwere.
Und wir – wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: »Ja, das Leben ist schwer zu tragen!«
Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lässt sich gut aufladen.
Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und Werthe lädt er auf sich, – nun dünkt das Leben ihm eine Wüste!
Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer erfasslich –,
– also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber auch diese Kunst muss man lernen: Schale haben und schönen Schein und kluge Blindheit!
Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird nie errathen; die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker!
Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig magerer – oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem!
Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.
Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht »Allen gut, Allen bös.«
Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen.
Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, welche »Ich« und »Ja« und »Nein« sagen lernten.
Alles aber kauen und verdauen – das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a sagen – das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist! –
Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es mein Geschmack, – der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der verräth mir eine weissgetünchte Seele.
In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind allem Fleisch und Blute – oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn ich liebe Blut.
Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das ist nun mein Geschmack, – lieber noch lebte ich unter Dieben und Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde.
Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und doch von Liebe leben.
Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu werden oder böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten bauen.
Unselig heisse ich auch Die, welche immer warten müssen, – die gehen mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und andren Länder- und Ladenhüter.
Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus,
– aber nur das Warten auf mich. Und über Allem lernte ich stehn und gehn und laufen und springen und klettern und tanzen.
Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: – man erfliegt das Fliegen nicht!
Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen dünkte mich keine geringe Seligkeit, –
– gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und Schiffbrüchige! –
Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift.
Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, – das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber.
Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: – und wahrlich, auch antworten muss man lernen auf solches Fragen! Das aber – ist mein Geschmack:
– kein guter, kein schlechter, aber mein Geschmack, dessen ich weder Scham noch Hehl mehr habe.
»Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?« so antwortete ich Denen, welche mich »nach dem Wege« fragten. Den Weg nämlich – den giebt es nicht!
Also sprach Zarathustra.
Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde?
– die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen gehn.
Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, dass es meine Stunde sei, – nämlich der lachende Löwe mit dem Taubenschwarme.
Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber. –
Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Dünkel: Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und böse sei.
Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von »Gut« und »Böse«.
Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, das weiss noch Niemand: – es sei denn der Schaffende!
– Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst schafft es, dass Etwas gut und böse ist.
Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser.
Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte.
An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und Geiern – und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende Herrlichkeit.
Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter über all ihr Grosses und Kleines –, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bösestes so gar klein ist! – also lachte ich.
Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! – meine grosse flügelbrausende Sehnsucht.
Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzücken:
– hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere Süden, als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich aller Kleider schämen: –
– dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein muss! –
Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend: –
– als ein ewiges Sich-fliehn und –Wiedersuchen vieler Götter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören vieler Götter: –
Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit spielte: –
Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck und Wille und Gut und Böse: –
Denn muss nicht dasein, über das getanzt, hinweggetanzt werde? Müssen nicht um der Leichten, Leichtesten willen – Maulwürfe und schwere Zwerge dasein? – –
Dort war’s auch, wo ich das Wort »Übermensch« vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse,
– dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen:
– das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen.
Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt.
Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und grauser Zufall, –
– als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft schaffen, und Alles, das war –, schaffend zu erlösen.
Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles »Es war« umzuschauen, bis der Wille spricht: »Aber so wollte ich es! So werde ich’s wollen –«
– Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung heissen. – –
Nun warte ich meiner Erlösung –, dass ich zum letzten Male zu ihnen gehe.
Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: unter ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben!
Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold schüttet sie da in’s Meer aus unerschöpflichem Reichthume, –
– also, dass der ärmste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Diess nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im Zuschauen. – –
Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, – halbbeschriebene.
Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? –
Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss.
Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser denkt: »der Mensch kann auch übersprungen werden.«
Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen!
Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung.
Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!
Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.
Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, – wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben!
Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: »was uns das Leben verspricht, das wollen wir – dem Leben halten!«
Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und – man soll nicht geniessen wollen!
Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben –, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen! –
Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.
Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder.
Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: – wie sollten wir nicht alte Götzenpriester reizen!
In uns selber wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!
Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinüber. –
Wahr sein – das können Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber können es die Guten.
Oh diese Guten! – Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit.
Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht!
Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?
Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in’s Lebendige – wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt!
Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!
Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: »Alles ist im Fluss.«
Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. »Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch über dem Flusse!«
»Über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles »Gut« und »Böse«: das ist Alles fest!« –
Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann: »Sollte nicht Alles – stille stehn?«
»Im Grunde steht Alles stille« –, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und Ofenhocker.
»Im Grund steht Alles still« –: dagegen aber predigt der Thauwind!
Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, – ein wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber – – bricht Stege!
Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse? Sind nicht alle Geländer und Stege in’s Wasser gefallen? Wer hielte sich noch an »Gut« und »Böse«?
»Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!« – Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!
Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns.
Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man »Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!«
Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte man »Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!«
Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden: und darum ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden!
»Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!« – solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.
Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in der Welt, als es solche heilige Worte waren?
Ist in allem Leben selber nicht – Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die Wahrheit selber nicht – todtgeschlagen?
Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? – Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!
Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben, –
– der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet!
Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.
Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: – wer vom Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, – mit dem Grossvater aber hört die Zeit auf.
Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.
Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen Adels, der allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt »edel«.
Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: »Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!«