Gedichte

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Friedrich Schiller
Gedichte
Xenien mit Goethe; Die Ideale; Poesie des Lebens; Der Abend; Zeus zu Hercules; Sprache; Die Sänger der Vorwelt; Das weibliche Ideal; Resignation…
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musaicumbooks@okpublishing.info

2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0745-9

Gesammelte Gedichte

Die deutsche Muse

 
Kein Augustisch Alter blühte,
Keines Medicäers Güte
Lächelte der deutschen Kunst;
Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
Sie entfaltete die Blume
Nicht am Strahl der Fürstengunst.
 
 
Von dem größten deutschen Sohne,
Von des großen Friedrich Throne
Ging sie schutzlos, ungeehrt.
Rühmend darf's der Deutsche sagen,
Höher darf das Herz ihm schlagen:
Selbst erschuf er sich den Werth.
 
 
Darum steigt in höherm Bogen,
Darum strömt in vollern Wogen
Deutscher Barden Hochgesang;
Und in eigner Fülle schwellend
Und aus Herzens Tiefe quellend,
Spottet er der Regeln Zwang.
 

Ritter Toggenburg

 
»Ritter, treue Schwesterliebe
»Widmet Euch dies Herz;
»Fordert keine andre Liebe,
»Denn es macht mir Schmerz.
»Ruhig mag ich Euch erscheinen,
»Ruhig mag ich sehn;
»Eurer Augen stilles Weinen
»Kann ich nicht verstehn.«
 
 
Und er hört's mit stummem Harme,
Reißt sich blutend los,
Preßt sie heftig in die Arme
Schwingt sich auf sein Roß,
Schickt zu seinen Mannen allen
In dem Lande Schweiz;
Nach dem heil'gen Grab zu wallen,
Auf der Brust das Kreuz.
 
 
Große Thaten dort geschehen
Durch der Helden Arm;
Ihres Helmes Büsche wehen
In der Feinde Schwarm;
Und des Toggenburgers Name
Schreckt den Muselmann;
Doch das Herz von seinem Grame
Nicht genesen kann.
 
 
Und ein Jahr hat er's getragen,
Trägt's nicht länger mehr;
Ruhe kann er nicht erjagen
Und verläßt das Heer;
Sieht ein Schiff an Joppe's Strande,
Das die Segel bläht,
Schiffet heim zum theuren Lande,
Wo ihr Athem weht.
 
 
Und an ihres Schlosses Pforte
Klopft der Pilger an;
Ach, und mit dem Donnerworte
Wird ihm aufgethan:
»Die Ihr suchet, trägt den Schleier,
»Ist des Himmels Braut,
»Gestern war des Tages Feier,
»Der sie Gott getraut.«
 
 
Da verlässet er auf immer
Seiner Väter Schloß,
Seine Waffen sieht er nimmer,
Noch sein treues Roß;
Von der Toggenburg hernieder
Steigt er unbekannt,
Denn es deckt die edeln Glieder
Härenes Gewand.
 
 
Und erbaut sich eine Hütte
Jener Gegend nah,
Wo das Kloster aus der Mitte
Düstrer Linden sah;
Harrend von des Morgens Lichte
Bis zu Abends Schein,
Stille Hoffnung im Gesichte,
Saß er da allein.
 
 
Blickte nach dem Kloster drüben,
Blickte stundenlang
Nach dem Fenster seiner Lieben,
Bis das Fenster klang,
Bis die Liebliche sich zeiget,
Bis das theure Bild
Sich ins Thal herunter neigte,
Ruhig, engelmild.
 
 
Und dann legt' er froh sich nieder,
Schlief getröstet ein,
Still sich freuend, wenn es wieder
Morgen würde sein.
Und so saß er viele Tage,
Saß viel Jahre lang,
Harrend ohne Schmerz und Klage,
Bis das Fenster klang,
 
 
Bis die Liebliche sich zeigte,
Bis das theure Bild
Sich ins Thal herunter neigte,
Ruhig, engelmild.
Und so saß er, eine Leiche,
Eines Morgens da;
Nach dem Fenster noch das bleiche
Stille Antlitz sah.
 

Shakespeares Schatten

Eine Parodie
 
Endlich erblickt' ich auch die hohe Kraft des Herakles,
Seinen Schatten. Er selbst, leider, war nicht mehr zu sehn.
Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der Tragöden
Und das Hundegebell der Dramaturgen um ihn.
Schauerlich stand das Ungethüm da. Gespannt war der Bogen,
Und der Pfeil auf der Sehn' traf noch beständig das Herz.
»Welche noch kühnere That, Unglücklicher, wagest du jetzo,
Zu den Verstorbenen selbst niederzusteigen ins Grab!« –
Wegen Tiresias' mußt' ich herab, den Seher zu fragen,
Wo ich den alten Kothurn fände, der nicht mehr zu sehn.
»Glauben sie nicht der Natur und den alten Griechen, so holst du
Eine Dramaturgie ihnen vergeblich herauf.« –
O, die Natur, die zeigt auf unsern Bühnen sich wieder,
Splitternackend, daß man jegliche Rippe ihr zählt.
»Wie? So ist wirklich bei euch der alte Kothurnus zu sehen,
Den zu holen ich selbst stieg in des Tartarus Nacht?« –
Nichts mehr von diesem tragischen Spuk. Kaum einmal im Jahre
Geht dein geharnischter Geist über die Bretter hinweg.
»Auch gut! Philosophie hat eure Gefühle geläutert,
Und vor dem heitern Humor fliehet der schwarze Affect.«
Ja, ein derber und trockener Spaß, nichts geht uns darüber;
Aber der Jammer auch, wenn er nur naß ist, gefällt.
»Also sieht man bei euch den leichten Tanz der Thalia
Neben dem ernsten Gang, welchen Melpomene geht?«
Keines von Beiden! Uns kann nur das Christlich-Moralische rühren
Und was recht populär, häuslich und bürgerlich ist.
»Was? Es dürfte kein Cäsar auf euren Bühnen sich zeigen,
Kein Achill, kein Orest, keine Andromacha mehr?« –
Nichts! Man sieht bei uns nur Pfarrer, Commerzienräthe,
Fähndriche, Secretärs oder Husarenmajors.
»Aber, ich bitte dich, Freund, was kann denn dieser Misere
Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?« –
Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken
Silberne Löffel ein, wagen den Pranger und mehr.
»Woher nehmt ihr dann aber das große, gigantische Schicksal,
Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?« –
Das sind Grillen! Uns selbst und unsre guten Bekannten,
Unsern Jammer und Noth suchen und finden wir hier.
»Aber das habt ihr ja alles bequemer und besser zu Hause;
Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht?« –
Nimm's nicht übel, mein Heros, das ist ein verschiedener Casus:
Das Geschick, das ist blind, und der Poet ist gerecht.
»Also eure Natur, die erbärmlichste, trifft man auf euren
Bühnen, die große nur nicht, nicht die unendliche an?«
Der Poet ist der Wirth und der letzte Actus die Zeche;
Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch.
 

Rousseau

 
Monument von unsrer Zeiten Schande,
Ew'ge Schmachschrift deiner Mutterlande,
Rousseaus Grab, gegrüßet seist du mir!
Fried' und Ruh' den Trümmern deines Lebens!
Fried' und Ruhe suchtest du vergebens,
Fried' und Ruhe fandst du hier!
 
 
Wann wird doch die alte Wunde narben?
Einst war's finster, und die Weisen starben!
Nun ist's lichter, und der Weise stirbt.
Sokrates ging unter durch Sophisten,
Rousseau leidet, Rousseau fällt durch Christen,
Rousseau – der aus Christen Menschen wirbt.
 

Das Verbindungsmittel

 
Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
 

An die Mystiker

 
Das ist eben das wahre Geheimniß, das Allen vor Augen
Liegt, euch ewig umgibt, aber von Keinem gesehn.
 

Freund und Feind

 
Theuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen;
Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll.
 

Mittheilung

 
Aus der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken;
Bei dem Schönen allein macht das Gefäß den Gehalt.
 

Die Homeriden

 
Wer von euch ist der Sänger der Ilias? Weil's ihm so gut schmeckt,
Ist hier von Heynen ein Pack Göttinger Würste für ihn –
»Mir her! ich sang der Könige Zwist!« – »Ich die Schlacht bei den Schiffen!« –
»Mir die Würste! ich sang, was auf dem Ida geschah!« –
Friede! zerreißt mich nur nicht! Die Würste werden nicht reichen.
Der sie schickte, er hat sich nur auf Einen versehn.
 

Das Geheimniß

 
Sie konnte mir kein Wörtchen sagen,
Zu viele Lauscher waren wach;
Den Blick nur durft' ich schüchtern fragen,
Und wohl verstand ich, was er sprach.
Leis komm ich her in deine Stille,
Du schön belaubtes Buchenzelt,
Verbirg in deiner grünen Hülle
Die Liebenden dem Aug der Welt!
 
 
Von ferne mit verworrnem Sausen
Arbeitet der geschäft'ge Tag,
Und durch der Stimme hohles Brausen
Erkenn' ich schwerer Hämmer Schlag.
So sauer ringt die kargen Loose
Der Mensch dem harten Himmel ab;
Doch leicht erworben, aus dem Schooße
Der Götter fällt das Glück herab.
 
 
Daß ja die Menschen es nie hören,
Wie treue Lieb' uns still beglückt!
Sie können nur die Freude stören,
Weil Freude nie sie selbst entzückt.
Die Welt wird nie das Glück erlauben,
Als Beute wird es nur gehascht;
Entwenden mußt du's oder rauben,
Eh dich die Mißgunst überrascht.
 
 
Leis auf den Zehen kommt's geschlichen,
Die Stille liebt es und die Nacht;
Mit schnellen Füßen ist' entwichen,
Wo des Verräthers Auge wacht.
O schlinge dich, du sanfte Quelle,
Ein breiter Strom um uns herum,
Und drohend mit empörter Welle
Vertheidige dies Heiligthum!
 

An ***

 
Dich erwähl' ich zum Lehrer, zum Freund. Dein lebendiges Bilden
Lehrt mich, dein lehrendes Wort rühret lebendig mein Herz.
 

Dithyrambe

 
Nimmer, das glaubt mir, erscheinen die Götter,
Nimmer allein.
Kaum daß ich Bacchus, den Lustigen, habe,
Kommt auch schon Amor, der lächelnde Knabe,
Phöbus, der Herrliche, findet sich ein.
Sie nahen, sie kommen, die Himmlischen alle,
Mit Göttern erfüllt sich die irdische Halle.
 
 
Sagt, wie bewirth' ich, der Erdgeborne,
Himmlischen Chor?
Schenket mir euer unsterbliches Leben,
Götter! Was kann euch der Sterbliche geben?
Hebet zu eurem Olymp mich empor!
Die Freude, sie wohnt nur in Jupiters Saale;
O füllet mit Nektar, o reicht mir die Schale!
 
 
Reich' ihm die Schale! Schenke dem Dichter,
Hebe, nur ein!
Netz' ihm die Augen mit himmlischen Thaue,
Daß er den Styx, den verhaßten, nicht schaue,
Einer der Unsern sich dünke zu sein.
Sie rauschet, sie perlet, die himmlische Quelle,
Der Busen wird ruhig, das Auge wird helle.
 

Kant und seine Ausleger

 
Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung
Setzt! Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu thun.
 

An die Muse

 
Was ich ohne dich wäre, ich weiß es nicht – aber mir grauet,
Seh ich, was ohne dich Hundert' und Tausende sind.
 

Zeus zu Hercules

 
Nicht aus meinem Nektar hast du dir Gottheit getrunken;
Deine Götterkraft war's, die dir den Nektar errang.
 

Ilias

 
Immer zerreißet den Kranz des Homer und zählet die Väter
Des vollendeten ewigen Werks!
Hat es doch eine Mutter nur und die Züge der Mutter,
Deine unsterblichen Züge, Natur!
 

Archimedes und der Schüler

 
Zu Archimedes kam ein wißbegieriger Jüngling.
»Weihe mich,« sprach er zu ihm, »ein in die göttliche Kunst,
Die so herrliche Frucht dem Vaterlande getragen
Und die Mauern der Stadt vor der Sambuca beschützt!« –
»Göttlich nennst du die Kunst? Sie ist's,« versetzte der Weise;
»Aber das war sie, mein Sohn, eh sie dem Staat noch gedient.
Willst du nur Früchte von ihr, die kann auch die sterbliche zeugen;
Wer um die Göttin freit, suche in ihr nicht das Weib.
 

Astronomische Schriften

 
So unermeßlich ist, so unendlich erhaben der Himmel!
Aber der Kleinigkeitsgeist zog auch den Himmel herab.
 

Die Teilung der Erde

 
»Nehmt hin die Welt!« rief Zeus von seinen Höhen
Den Menschen zu. »Nehmt, sie soll euer sein!
Euch schenk ich sie zum Erb und ewgen Lehen –
Doch teilt euch brüderlich darein!«
 
 
Da eilt', was Hände hat, sich einzurichten,
Es regte sich geschäftig jung und alt.
Der Ackermann griff nach des Feldes Früchten,
Der Junker birschte durch den Wald.
 
 
Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen,
Der Abt wählt sich den edeln Firnewein,
Der König sperrt die Brücken und die Straßen
Und sprach: »Der Zehente ist mein.«
 
 
Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,
Naht der Poet, er kam aus weiter Fern –
Ach! da war überall nichts mehr zu sehen,
Und alles hatte seinen Herrn!
 
 
»Weh mir! So soll denn ich allein von allen
Vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?«
So ließ er laut der Klage Ruf erschallen
Und warf sich hin vor Jovis Thron.
 
 
»Wenn du im Land der Träume dich verweilet«,
Versetzt der Gott, »so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?«
»Ich war«, sprach der Poet, »bei dir.«
 
 
Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr –
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!«
 
 
»Was tun?« spricht Zeus, »die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben –
So oft du kommst, er soll dir offen sein.«
 

Die Philosophen

 
Lehrling
 
 
Gut, daß ich euch, ihr Herrn, in pleno beisammen hier finde;
Denn das Eine, was noth, treibt mich herunter zu euch.
 
 
Aristoteles
 
 
Gleich zur Sache, mein Freund! Wir halten die Jenaer Zeitung
Hier in der Hölle und sind längst schon von Allem belehrt.
 
 
Lehrling
 
 
Desto besser! so gebt mir, ich geh' euch nicht eher vom Halse,
Einen allgültigen Satz, und der auch allgemein gilt.
 
 
Erster
 
 
Cogito, ergo sum. Ich denke, und mithin so bin ich!
Ist das Eine nur wahr, ist es das Andre gewiß.
 
 
Lehrling
 
 
Denk' ich, so bin ich. Wohl! Doch wer wird immer auch denken,
Oft schon war ich, und hab' wirklich an gar nichts gedacht.
 
 
Zweiter
 
 
Weil es Dinge doch gibt, so gibt es ein Ding aller Dinge;
In dem Ding aller Ding' schwimmen wir, wie wir so sind.
 
 
Dritter
 
 
Just das Gegentheil sprech' ich. Es gibt kein Ding als mich selber;
Alles Andre, in mir steigt es als Blase nur auf.
 
 
Vierter
 
 
Zweierlei Dinge lass' ich passiren, die Welt und die Seele;
Keins weiß vom andern, und doch deuten sie beide auf eins.
 
 
Fünfter
 
 
Von dem Ding weiß ich nichts und weiß auch nichts von der Seele;
Beide erscheinen mir nur, aber sie sind doch kein Schein.
 
 
Sechster
 
 
Ich bin Ich und setze mich selbst, und setz' ich mich selber
Als nicht gesetzt, nun gut, hab' ich ein Nicht-Ich gesetzt.
 
 
Siebenter
 
 
Vorstellung wenigstens ist! Ein Vorgestelltes ist also;
Ein Vorstellendes auch, macht mit der Vorstellung Drei
 
 
Lehrling
 
 
Damit lock' ich, ihr Herrn, noch keinen Hund aus dem Ofen.
Einen erklecklichen Satz will ich, und der auch was setzt!
 
 
Achter
 
 
Auf theoretischem Feld ist weiter nichts mehr zu finden;
Aber der praktische Satz gilt doch: du kannst, denn du sollst!
 
 
Lehrling
 
 
Dacht' ich's doch! Wissen sie nichts Vernünftiges mehr zu erwiedern,
Schieben sie's einem geschwind in das Gewissen hinein.
 
 
David Hume
 
 
Rede nicht mit dem Volk! Der Kant hat sie alle verwirret.
Mich frag', ich bin mir selbst auch in der Hölle noch gleich.
 
 
Rechtsfrage
 
 
Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen;
Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht?
 
 
Puffendorf
 
 
Ein bedenklicher Fall! Doch die erste Possession scheint
Für dich zu sprechen, und so brauche sie immerhin fort!
 
 
Gewissensscrupel
 
 
Gerne dien' ich den Freunden, doch thu' ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
 
 
Entscheidung
 
 
Da ist kein anderer Rath, du mußt suchen, sie zu verachten,
Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.
 

Die Antike an den nordischen Wanderer

 
Über Ströme hast du gesetzt und Meere durchschwommen,
Über der Alpen Gebirg trug dich der schwindlichte Steg,
Mich in der Nähe zu schaun und meine Schöne zu preisen,
Die der begeisterte Ruf rühmt durch die staunende Welt;
Und nun stehst du vor mir, du darfst mich Heil'ge berühren,
Aber bist du mir jetzt näher, und bin ich es dir?
 

Der Homeruskopf als Siegel

 
Treuer alter Homer, dir vertrau' ich das zarte Geheimniß;
Um der Liebenden Glück wisse der Sänger allein.
 

Hero und Leander

 
Seht ihr dort die altergrauen
Schlösser sich entgegenschauen,
Leuchtend in der Sonne Gold,
Wo der Hellespont die Wellen
Brausend durch der Dardanellen
Hohe Felsenpforte rollt?
Hört ihr jene Brandung stürmen,
Die sich an den Felsen bricht?
Asien riß sie von Europen;
Doch die Liebe schreckt sie nicht.
 
 
Heros und Leanders Herzen
Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
Amors heil'ge Göttermacht.
Hero, schön wie Hebe blühend,
Er, durch die Gebirge ziehend
Rüstig, im Geräusch der Jagd.
Doch der Väter feindlich Zürnen
Trennte das verbundne Paar,
Und die süße Frucht der Liebe
Hing am Abgrund der Gefahr.
 
 
Dort auf Sesto's Felsenthurme,
Den mit ew'gem Wolkensturme
Schäumend schlägt der Hellespont,
Saß die Jungfrau, einsam grauend,
Nach Abydos' Küste schauend,
Wo der Heißgeliebte wohnt.
Ach, zu dem entfernten Strande
Baut sich keiner Brücke Steg,
Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer;
Doch die Liebe fand den Weg.
 
 
Aus des Labyrinthes Pfaden
Leitet sie mit sicherm Faden,
Auch den Blöden macht sie klug,
Beugt ins Joch die wilden Thiere,
Spannt die feuersprühnden Stiere
An den diamantnen Pflug.
Selbst der Styx, der neunfach fließet,
Schließt die Wagende nicht aus;
Mächtig raubt sie das Geliebte
Aus des Pluto finsterm Haus.
 
 
Auch durch des Gewässers Fluthen
Mit der Sehnsucht feur'gen Gluthen
Stachelt sie Leanders Muth.
Wenn des Tages heller Schimmer
Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
In des Pontus finstre Fluth,
Theilt mit starkem Arm die Woge,
Strebend nach dem theuren Strand,
Wo, auf hohem Söller leuchtend,
Winkt der Fackel heller Brand.
 
 
Und in weichen Liebesarmen
Darf der Glückliche erwarmen
Von der schwer bestandnen Fahrt
Und den Götterlohn empfangen,
Den in seligem Umfangen
Ihm die Liebe aufgespart,
Bis den Säumenden Aurora
Aus der Wonne Träumen weckt
Und ins kalte Bett des Meeres
Aus dem Schooß der Liebe schreckt.
 
 
Und so flohen dreißig Sonnen
Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
Dem beglückten Paar dahin,
Wie der Brautnacht süße Freuden,
Die die Götter selbst beneiden,
Ewig jung und ewig grün.
Der hat nie das Glück gekostet,
Der die Frucht des Himmels nicht
Raubend an des Höllenflusses
Schauervollem Rande bricht.
 
 
Hesper und Aurora zogen
Wechselnd auf am Himmelsbogen;
Doch die Glücklichen, sie sahn
Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
Nicht aus Nords beeisten Hallen
Den ergrimmten Winter nahn.
Freudig sahen sie des Tages
Immer kürzern, kürzern Kreis;
Für das längre Glück der Nächte
Dankten sie bethört dem Zeus.
 
 
Und es gleichte schon die Wage
An dem Himmel Nächt' und Tage,
Und die holde Jungfrau stand
Harrend auf dem Felsenschlosse,
Sah hinab die Sonnenrosse
Fliehen an des Himmels Rand.
Und das Meer lag still und eben,
Einem reinen Spiegel gleich,
Keines Windes leises Weben
Regte das krystallne Reich.
 
 
Lustige Delphinenschaaren
Scherzten in dem silberklaren
Reinen Element umher,
Und in schwärzlicht grauen Zügen,
Aus dem Meergrund aufgestiegen,
Kam der Tethys buntes Heer.
Sie, die Einzigen, bezeugten
Den verstohlnen Liebesbund;
Aber ihnen schloß auf ewig
Hekate den stummen Mund.
 
 
Und sie freute sich des schönen
Meeres, und mit Schmeicheltönen
Sprach sie zu dem Element:
»Schöner Gott, du solltest trügen!
Nein, den Frevler straf' ich Lügen,
Der dich falsch und treulos nennt.
Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
Grausam ist des Vaters Herz;
Aber du bist mild und gütig,
Und dich rührt der Liebe Schmerz.
 
 
»In den öden Felsenmauern
Müßt' ich freudlos einsam trauern
Und verblühn in ew'gem Harm;
Doch du trägst auf deinem Rücken,
Ohne Nachen, ohne Brücken,
Mir den Freund in meinen Arm.
Grauenvoll ist deine Tiefe,
Furchtbar deiner Wogen Fluth,
Aber dich erfleht die Liebe,
Dich bezwingt der Heldenmuth.
 
 
»Denn auch dich, den Gott der Wogen,
Rührte Eros' mächt'ger Bogen,
Als des goldnen Widders Flug
Helle, mit dem Bruder fliehend,
Schön in Jugendfülle blühend,
Über deine Tiefe trug.
Schnell, von ihrem Reis besieget,
Griffst du aus dem finstern Schlund,
Zogst sie von des Widders Rücken
Nieder in den Meeresgrund.
 
 
»Eine Göttin mit dem Gotte,
In der tiefen Wassergrotte,
Lebt sie jetzt unsterblich fort;
Hilfreich der verfolgten Liebe,
Zähmt sie deine wilden Triebe,
Führt den Schiffer in den Port.
Schöne Helle, holde Göttin,
Selige, dich fleh' ich an:
Bring auch heute den Geliebten
Mir auf der gewohnten Bahn!«
 
 
Und schon dunkelten die Fluthen,
Und sie ließ der Fackel Gluthen
Von dem hohen Söller wehn.
Leitend in den öden Reichen
Sollte das vertraute Zeichen
Der geliebte Wandrer sehn.
Und es saust und dröhnt von ferne,
Finster kräuselt sich das Meer,
Und es löscht das Licht der Sterne,
Und es naht gewitterschwer.
 
 
Auf des Pontus weite Fläche
Legt sich Nacht, und Wetterbäche
Stürzen aus der Wolken Schooß;
Blitze zucken in den Lüften,
Und aus ihren Felsengrüften
Werden alle Stürme los,
Wühlen ungeheure Schlünde
In den weiten Wasserschlund;
Gähnend, wie ein Höllenrachen,
Öffnet sich des Meeres Grund.
 
 
»Wehe, weh mir!« ruft die Arme
Jammernd. »Großer Zeus, erbarme!
Ach, was wagt' ich zu erflehn!
Wenn die Götter mich erhören,
Wenn er sich den falschen Meeren
Preis gab in des Sturmes Wehn!
Alle meergewohnten Vögel
Ziehen heim, in eil'ger Flucht;
Alle sturmerprobten Schiffe
Bergen sich in sichrer Bucht.
 
 
»Ach, gewiß, der Unverzagte
Unternahm das oft Gewagte,
Denn ihn trieb ein mächt'ger Gott.
Er gelobte mir's beim Scheiden
Mit der Liebe heil'gen Eiden,
Ihn entbindet nur der Tod.
Ach, in diesem Augenblicke
Ringt er mit des Sturmes Wuth,
Und hinab in ihre Schlünde
Reißt ihn die empörte Fluth!
 
 
»Falscher Pontus, deine Stille
War nur des Verrathes Hülle,
Einem Spiegel warst du gleich;
Tückisch ruhten deine Wogen,
Bis du ihn heraus betrogen
In dein falsches Lügenreich.
Jetzt, in deines Stromes Mitte,
Da die Rückkehr sich verschloß,
Lässest du auf den Verrathnen
Alle deine Schrecken los!«
 
 
Und es wächst des Sturmes Toben,
Hoch, zu Bergen aufgehoben,
Schwillt das Meer, die Brandung bricht
Schäumend sich am Fuß der Klippen;
Selbst das Schiff mit Eichenrippen
Nahte unzerschmettert nicht.
Und im Wind erlischt die Fackel,
Die des Pfades Leuchte war;
Schrecken bietet das Gewässer,
Schrecken auch die Landung dar.
 
 
Und sie fleht zu Aphrodite,
Daß sie dem Orkan gebiete,
Sänftige der Wellen Zorn,
Und gelobt, den strengen Winden
Reiche Opfer anzuzünden,
Einen Stier mit goldnem Horn.
Alle Göttinnen der Tiefe,
Alle Götter in der Höh'
Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
In die sturmbewegte See.
 
 
»Höre meinen Ruf erschallen,
Steig aus deinen grünen Hallen,
Selige Leukothea!
Die der Schiffer in dem öden
Wellenreich in Sturmesnöthen
Rettend oft erscheinen sah.
Reich' ihm deinen heil'gen Schleier,
Der, geheimnißvoll gewebt,
Die ihn tragen, unverletzlich
Aus dem Grab der Fluthen hebt!«
 
 
Und die wilden Winde schweigen,
Hell an Himmels Rande steigen
Eos' Pferde in die Höh'.
Friedlich in dem alten Bette
Fließt das Meer in Spiegelglätte,
Heiter lächelnd Luft und See.
Sanfter brechen sich die Wellen
An des Ufers Felsenwand,
Und sie schwemmen, ruhig spielend,
Einen Leichnam an den Strand.
 
 
Ja, er ist's, der auch entseelet
Seinem heil'gen Schwur nicht fehlet!
Schnellen Blicks erkennt sie ihn.
Keine Klage läßt sie schallen,
Keine Thräne läßt sie fallen,
Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
Trostlos in die öde Tiefe
Blickt sie, in des Äthers Licht,
Und ein edles Feuer röthet
Das erbleichte Angesicht.
 
 
»Ich erkenn' euch, ernste Mächte!
Strenge treibt ihr eure Rechte,
Furchtbar, unerbittlich ein.
Früh schon ist mein Lauf beschlossen;
Doch das Glück hab' ich genossen,
Und das schönste Loos war mein.
Lebend hab' ich deinem Tempel
Mich geweiht als Priesterin;
Dir ein freudig Opfer sterb' ich,
Venus, große Königin!«
 
 
Und mit fliegendem Gewande
Schwingt sie von des Thurmes Rande
In die Meerfluth sich hinab.
Hoch in seinen Fluthenreichen
Wälzt der Gott die heil'gen Leichen,
Und er selber ist ihr Grab.
Und mit seinem Raub zufrieden,
Zieht er freudig fort und gießt
Aus der unerschöpften Urne
Seinen Strom, der ewig fließt.