Der Zauberring

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FRIEDRICH DE LA MOTTE FOUQUÉ

Der Zauberring

EIN RITTERROMAN


Inhaltsverzeichnis

An den günstigen Leser!

Erster Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Dritter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Letztes Kapitel

Impressum

An den günstigen Leser!

Der Schreiber der nachfolgenden Geschichten begibt sich in dieser Stunde mit banger Freudigkeit an sein Geschäft. Es gibt Leute, welche darüber lachen, daß man zu irgend einem Tun den lieben Gott mit rechter Inbrunst um Hülfe anrufen könne; demungeachtet scheut sich der Schreiber nicht, zu gestehen, daß er solches jetzt eben von ganzem Herzen getan habe. Schon früher hat ihm das bei ähnlichen Unternehmungen geholfen, und er verhoffet zuversichtlich, es soll auch diesmal helfen. Denn wie ein reiches Meer mit wunderlichen Ufergestaltungen, mit Regenbogenfarben auf den Wassern, mit vielfach wechselnder Strömung und gestaltungsreichem Wolkenhimmel drüber hin, schwebt mir diese Geschichte vor. Den großen Weg, den ich zu steuern habe, kenne ich wohl, aber von den Abenteuern, die sich mir einzeln entgegenstellen werden, ahne ich bei weitem mehr, als ich weiß. Ich lade dich dennoch ein, mein günstiger Leser, schiffe nur getrosten Mutes mit mir hinaus. Es wäre denn, daß du den Namen des lieben Gottes, den ich eben angerufen habe, nicht gut leiden könntest, sonst, meine ich, sollst du mit dem, was ich dir geben will, und was mir zukam und noch zukommen wird, wohl zufrieden sein. Nur wisse, daß das, was dir am besten gefällt, nicht mein eigen ist, sondern eine süße Gabe von oben herab, die mir nur dann wird, wenn ich selbsten besser bin, als es in der gewöhnlichen Art meines verderbten Wesens liegt. Ich gebe dir also in den nachfolgenden Blättern das Allerbeste, so mein Selbst erschwingen mag, wie hier die reine Wahrheit, für welche ich dir mein ehrliches Wort verpfände. Und somit sei mir in den Hainen und Wiesen, und Schlachten und Festen, und Trauer- und Hochzeittagen, die sich demnächst erschließen werden, aus ganzer Seele willkommen!

 

Erster Teil


Erstes Kapitel

In dem gesegneten Schwabenlande, hart an den Ufern des Donaustroms, liegt eine schöne Aue, darauf sich einstmalen im Monat Mai, just als die letzten Sonnenstrahlen von den Blumen Abschied nehmen wollten, ein junger Knappe erging, der Otto von Trautwangen geheißen war. Von seines Vaters, Herrn Hugh von Trautwangens Veste, die unweit auf einem hohen Berge stand, pflegte er oftmals in diese anmutige Gegend zu kommen, bald sich mit der Angel im Strom ergötzend, bald auch mit Bolzen nach Zielen schießend, die er sich von mancherlei wunderlichen Gestalten, als Drachen, Hexen, Kobolden mit grellen Farben ausgemalt hatte, und dann hier auf der grünen Ebne hinstellte, wo er sicher war, niemanden unversehens zu beschädigen. Heute nun lagen Armbrust und Bolzen bei ihm im Grase, und er ließ die Angel ruhig auf dem glatten Wasserspiegel hin und her schwimmen, wohl mehr als ein leichtes Gedankenspiel, als um des Fischefangens willen. Es mochte nicht einmal ein Würmchen am Haken sitzen. Da kam Bertha von Lichtenried gegangen, seines Vaters Nichte, und mit ihm von frühester Kindheit an auf der Burg erzogen. Die setzte sich neben ihn auf dem Rasen, und fragte ihn halb neckend und halb in lieber Besorgnis, wovon er denn so gar anmutig träume? Er wußte es selbst nicht recht zu sagen, und wußte es noch minder, seit ihn des Mühmleins holdes Gesichtchen aus dem Wasser anlächelte. Es sahe gar zu schön aus den Fluten heraus; sie mochte wohl das gleiche bei ihm finden, denn sie lächelte unverwandt auf seinen Widerschein hin, und so besprachen sich die zwei holden Kinder wie im Spiegel miteinander. Nachdem sich Otto eine Weile besonnen hatte, fiel ihm ein, daß er zuerst durch den Anblick eines Pilgers im rotbekreuzten Mantel, der jenseits des Flusses vorübergezogen war, so nachdenklich geworden sei. Er erzählte der Jungfrau davon, und wie es ihm besonders feierlich vorgekommen sei, daß der Wallbruder immer so ganz grade aus auf seinen Weg geblickt habe, nicht zur Rechten, nicht zur Linken, wie von ganz unbezwinglicher Sehnsucht fortgezogen, so daß man nicht einmal wissen könne, ob Alter, ob Demut, ob heißes Sehnen nach dem Ziele sein Haupt so vornüber gebogen halte. Dann fing er an zu sagen, wie es doch so eigen und herrlich sein möge, wenn man fern über Land und Strom und See etwas wisse, das einem unendlich und über alles teuer sei, und wie auf solchen Wanderungen nicht sowohl das Wandern eine Plage sein müsse, als nur das böse Ausruhn ganz allein. – »Du willst doch nicht etwa so wandern?« fragte die Jungfrau mit zuversichtlichem Lächeln. – »Behüt!« entgegnete der Jüngling. »Mir sind die Wiesenmatten hier mein Ziel, oder vielmehr mein Zauberring; es sei dann Sach’, daß du sie jemals verließest, mein wunderschönes Mühmlein.« – Bertha errötete so hell, daß es im Wasser aussah, als habe sich ein Sternlein darin entzündet, und sie sagte zu ihrem Vetter: »Weil du denn so ganz gewißlich bleibst, darf man wohl mit dem Abschiede spaßen. Laß uns einmal das Trennungsliedlein singen, das der alte Meister Walther gedichtet hat. Da wird’s einem nachher noch heimlicher und wohler, daß man nicht voneinander braucht. « – Und Otto begann folgendergestalt zu singen:

»Du Heimat süße,

Du lieber Ort,

Ich grüß’ dich, grüße

Mit bitterm Wort.

Mein bittres Wort das heißt: Ade!

Das schlimmste von allen Dingen,

Denn weil ich dich nicht fürder seh’,

Macht’s Tränenquellen springen.«

Bertha antwortete:

»Du böse Ferne,

Du glatte Bahn.

Dir folgt’ ich gerne,

Doch geht’s nicht an.

Denn ach, es heißt Ade! Ade!

Jungfrau muß einsam warten,

Und gießt mit ihrer Augen Weh

Die Blümchen an im Garten.«

Sie hörten auf, zu singen, denn es kam ein großer Zug von Pilgerleuten jenseit des Stromes vorbei, und zwar in so mannigfacher Gestaltung, daß die jungen Leute ihr ganzes Aufmerken dorthin kehrten. In der Mitte des Gewimmels ragten schöne Frauen auf prächtigen Maultieren hervor, und zu ihrer Hut gingen dicht neben ihnen Kriegsmänner mit großen Hallebarten. Dann zeichneten sich wieder einige Pilgrime aus, denen man, trotz ihrer grauen Kleider und Muschelhauben, ansah, daß sie vom Hofe kamen, indem eine gewisse vornehm-sittige Zierlichkeit sie verriet und seltsam gegen einen ganzen Haufen bäurischen Volkes abstach, welcher sich um sie her und zwischen sie durch drängte. Doch wurden darunter auch anständige Bürgersleute sichtbar, mit festem, ehrsamem Wesen, und Maler und Sänger in ihrer Zahl, wie es das mitgeführte Kunstgerät anzeigte, womit sie auch jenseit des Meeres, unmittelbar an den heiligen Leidensstätten, Gott und ihrem Heiland zu dienen verhofften. Endlich kamen auch einige Ritter auf schönen Hengsten, im vollen blanken Harnisch, und nur an den rotbekreuzten Schultern als Pilgersleute kennbar. Als eben der Zug der beiden gegenüber war, fingen die Frauen an, folgende Worte zu singen:

»Nach Morgen hin, nach Morgen!

Im dunkeln Abend laßt daheim die Sorgen!

Der Morgen funkelt hell.

Da predigen süße Blumen

Von Christi Heiligtumen,

Da singt der Kidrons-Quell.

Da ist die Herd in Vaters Schoß geborgen,

Da wächst nur frommer Mut;

Stirbt einer, stirbt er gut;

Nach Morgen, Schwestern, Brüder, auf nach Morgen!«

Sie sangen so schön und freudig, daß es war, als wolle die Sonne vor dem heiter sehnenden Liede noch einmal im funkelnden Spätrot wieder aufgehn, und ihnen zu Gefallen Morgen aus Abend machen. Als nun die holden Töne langsam und feierlich verhallt waren, fielen die Ritter mit einer lustigen Kriegsweise ein. Die Bewaffneten, welche die Damen geleiteten, sangen mit, und ein Trompeter, hinter den Rittern herreitend, blies abgebrochene gewaltig schmetternde Töne dazu. Die Worte des Gesanges klangen etwa folgendermaßen:

»Sarazene, mußt nicht wetzen

Dein gebognes Schwert;

Sarazene, magst dich letzen

Mit dem eignen Herd.

Mußt nun bald von hinnen!

Magst dir wohl gewinnen

Tief in Asia neues Land;

Vom gelobten wirst verbannt.

Löwenherz, ein Königsritter,

Tat viel ernsten Schwur,

Kommt, befruchtendes Gewitter,

Bald zur heil’gen Flur.

Dann, wo Christ gelitten,

Wird ein Kampf gestritten;

Wer da fällt, hat Gloria,

Wer da lebt, Victoria!«

Der Zug war vorüber, die jungen Leute schwiegen noch immer, bis endlich Otto mit glühenden Wangen sagte: »Es ist wahr, der König Richard von England, den sie seiner Tapferkeit und Großmut wegen Löwenherz nennen, hat einen Kreuzzug angelobt. Der Vater und Meister Walther redeten noch vorgestern abend davon. O Gott, was wird das ein herrlicher Krieg werden!« – Bertha seufzte und sprach: »Wenn du immer so lebhaft von Krieg und Fortreisen anfängst, sobald nur irgend etwas vorbeizieht, hab ich kaum den Mut mehr, das Liedlein vom Abschied weiter zu singen.« – »Ach, sei kein Kind!« sagte der Jüngling lächelnd, »es ist ja noch gar nicht die Rede von irgend dergleichen. Gib nur hübsch auf deine Stimme acht; du weißt, nun singen wir beide zusammen.«

Es war aber, als sollten sie das Lied heute durchaus nicht zu Ende bringen, denn eben, als sie das letzte Verslein anfangen wollten, ließ sich hinter ihnen ein Geräusch auf der Aue vernehmen, wie von vielen Rossen, und sie wandten sich eilig darnach hin.

Zweites Kapitel

Eine Schar von prächtig gekleideten Knappen sprang eben von den Pferden, und fing an, einige bunte und reiche Gezelte auf dem Anger aufzuschlagen, während eine wunderschöne Dame, im Gefolge mehrerer edler Jungfrauen geritten kam, und durch einen bewaffneten Herrn von ihrem weißen Zelter ehrerbietig herabgehoben ward. Es gab einen hübschen Anblick, wie nun die Frau und der Ritter sich lustwandelnd nebeneinander auf dem Rasen ergingen: der Dame Gewand von himmelblauem Sammet, mit großen Bogen von goldner Stickerei am Saume; des Ritters Harnisch in tiefer Schwärze glänzend, und mannigfache Sinnbilder von leuchtendem Silber darauf eingelegt. Seine ganze Gestalt war fast seltsam anzusehn, dieweil die Waffenstücke in wunderlichen Ecken und Ründungen aneinander stießen; dabei nahm er sich vornehm und feierlich aus, auch zeigte sein enthelmtes Haupt, daß er noch ein junger und recht anmutiger Herr sei.

Die Lustwandelnden kamen unweit der Stelle vorbei, wo Otto und Bertha standen, und diese grüßten die vornehmen Fremden mit sittiger Demut. Die Dame, den Gruß freundlich erwidernd, verweilte wohlgefälligen Blickes bei den zwei zarten, nach deutscher Weise hochschlank emporgeschossenen, und dennoch kindlich anmutigen Gestalten. Sie winkte sie endlich herbei, und es entspann sich ein zierliches Gespräch, in welchem Ottos und Berthas immer vereintes, nimmer gestörtes und durchaus heimatliches Leben bald gänzlich entfaltet dalag. Ihre Geschichte war kurz, und die einfachen, höchst gewöhnlichen Begebenheiten darin hatten sich in wenigen, eben so einfachen Worten kundgegeben. Da sahe die Fremde mit wehmütigem Lächeln ihren Begleiter an, und sagte: »Graf Archimbald, wenn wir erzählen sollten, würden wir auch so schnell zu Ende sein?« – »Und dennoch«, fuhr sie gegen Otto und Bertha gewendet fort, »ist mir, als sei ich euch das wundersame Märlein meines Reisens schuldig, ihr lieben Kinder. Ihr werdet eure Lust daran haben, und seht mir aus, als hielte nur eure sittige Bescheidenheit euch vom Fragen zurück. Wer gegen mich so treuherzig war, gegen den muß ich es billig wieder sein.« – Damit führte sie die beiden jungen Leute, denen das Herz vor anmutiger Neugier nach den seltsamen Geschichten brannte, in ihr derweilen völlig aufgeschlagenes Zelt, und während Ritter Archimbald hinausging, nach der Ordnung des kleinen Lagers zu sehn, ließ sie sich auf ein zierliches Ruhebettlein nieder, winkte Otto und Bertha an ihre Seite und hub folgendermaßen zu erzählen an:

»Ich bin Gabriele geheißen, und aus dem uralt edlen Geschlechte der Portamour entsprossen. Von früher Kindheit an zur Waise geworden, hörte ich oftmals von meinen Erziehern, ich könne eine der reichsten und vornehmsten Frauen in Frankreich sein, nur daß mir ein gewisser Ring fehle, welchen eine Dame aus der normännischen Familie der Montfaucon mit allerhand ungerechten Listen an sich zu bringen gewußt habe, und den jetzt ihre Tochter, gleichen Alters mit mir, als Erbin besitze. Der Ring ward mir immer vor Augen gestellt, wie das Paradies andern Kindern, aber doch mindestens in ähnlicher Wichtigkeit und süßer Hoffnungsfülle. So geschah es denn, daß alle meine Träume, schlafende und wachende, sich um den wundervollen Ring drehten, ohne daß ich eben mehr von ihm gewußt hätte, als wie er ein Recht auf einige große Ländereien erteile, und, was mir noch endlich wichtiger erschien, seine Besitzerin mit vielen magischen Geheimnissen und Ansprüchen auf das Reich der Geister vertraut mache. Wie mußte mir nun zumut werden, als ich eines Abends am Hofe des Königs, den ich nur eben zum erstenmale betrat, einem Fräulein vorgestellt wurde, welches Blancheflour von Montfaucon hieß, und an dessen wunderschöner Hand – wie sie denn überhaupt für einen Spiegel alles Reizes und aller Anmut gelten durfte – ich den magischen Ring, nach der mir gegebenen Beschreibung, unmöglich verkennen konnte. Diesen das erstemal in meine Gewalt zu bringen, ward mir sehr leicht, denn man ließ uns in demselben Zimmer herbergen, und Blancheflour zog ihren Ring so sorglos von der Hand, daß ich mich meines angebornen Eigentums leicht nach ihrem ersten Einschlafen bemächtigte; ja, daß sie am andern Morgen des Verlustes kaum inne ward, und nach einigem vergeblichen Suchen leichtsinnig, und als ob nichts geschehen wäre, zu dem Feste des Ringelrennens hinaushüpfte, welches soeben begann. Es kam aber ein herrlicher Ritter gegen sie herangesprengt, welcher, wie ich auf Befragen erfuhr, Herr Folko von Montfaucon, ihr Bruder, war und mit seinen hellen Falkenaugen schon von weitem sowohl das Verschwinden des Ringes von ihrer Hand, als auch das Erscheinen desselben an der meinigen bemerkt hatte. Nach einigen, mit seiner Schwester gewechselten Worten ritt er höflich, aber sehr ernst, gegen mich heran, neigte seine Lanze, und sagte: ›Dame, wollet Euch einen Kämpfer wählen, auf daß ich ihm den Ring abgewinne, der an Eurem schönen Händlein prangt, und der meiner Schwester gehört.‹ – Ich tat nach seinem Begehr, und einen der berühmtesten Lanzenrenner Frankreichs, den ich mir zu meinem Helfer ausgesucht hatte, warf er so schnell und entschieden in den Sand, daß mir, nach den früher ausgemachten Gesetzen des Kampfes, nichts übrig blieb, als unter Vergießung der bittersten Tränen mein nur kaum wieder errungenes Familienkleinod dem Sieger für seine schöne Schwester Blancheflour zurückzugeben.

 

Ich ging betrübt in mein Gemach, ohne von den Spielen etwas hören zu wollen, für welche mich die andern adeligen Jungfrauen auf diesen Abend einluden, und wies meine Zofe mürrisch zurück, als sie mir eine schöne perlenmuttereingelegte Angelrute mit langem Goldfaden und silbernem Angelhaken daran ins Zimmer brachte: ich hatte Gebrauch davon bei einer bevorstehenden Wasserfahrt des Hofes machen wollen, aber was sollte mir nun das alles, da ich um meinen Ring gekommen war! Mißmutig lehnte die Zofe das zierliche Gerät ans Fenster, und ließ mich mit meinen Tränen allein. Gegen Abend hatte ich mich ausgeweint, und das Lachen meiner Gefährtinnen, die unten auf einem Rasenplatze des Gartens Ball spielten, lockte mich, wenigstens durch die Scheiben zu sehn. Da bemerkte ich, daß Blancheflour eben, um bequemer zu spielen, meinen Ring vom Finger zog, ihn dicht unter meinem Fenster auf eine Moosbank legte, und leichtsinnig wieder zum Spiele zurückrannte. Mit heißer Begier und schlagendem Herzen tat ich das Fenster auf; die Angelrute fiel mir, wie hülfebietend, bei dieser Bewegung in die Arme, und schnell hielt ich sie hinaus, und fand, daß der goldne Faden bequem zum Ringe hinabreichte, welcher gleich beim ersten Versuche auf dem silbernen Angelhaken schwebte, und, von mir emporgezogen, mit tausend Küssen empfangen ward. – Was half mir aber die kurze Freude! – Kaum hatte die kindische Blancheflour ihrem Bruder das neue Leid geklagt, und kaum hatte er den Ring an meinem Finger wahrgenommen – denn ich war zu stolz, um mein rückgewonnenes Eigentum nicht öffentlich zu tragen – so bat er mich schon wieder, mir einen Kämpfer auszusuchen, dem er das Kleinod abgewinnen könne. Und wie mochte der vor Folkos tapferm Arme bestehen! Er lag bald am Boden, Blancheflour aber gab ihrem Bruder meinen Ring aufzuheben, so daß mir nun zu dessen Wiedergewinnen noch viel weniger Hoffnung blieb. Dennoch ließ ich nicht ab, das teure Zeichen im Auge zu halten, und als wir einstmalen beim Ruhen nach der Jagd zu den Wurzeln eines beinahe ganz ästelosen Baumes saßen, und davon gesprochen ward, wie er wohl unersteigbar sei, rief ich Herrn Folko neckend auf, sein Heil zu versuchen. Wie ich es gehofft hatte, rückte ihm Lust und Ehrgeiz für ritterliche Übungen alles andere aus den Augen. Er legte den Ring, den er sonst nicht vom Finger ließ, auf den Rasen, weil er ihn am Klettern hinderte, und begann das gewagte Spiel. Als er, wie ich später erfuhr, nach vielen vergeblichen Anstrengungen den Gipfel endlich erreicht hatte, war ich mit meinem Kleinode schon lange verschwunden, und nach England unterwegens, um am Hofe des Königs Richard Löwenherz einen Ritter aufzufinden, der mein Recht gegen den furchtbar sieghaften Folko behaupten möge.

Der große Richard nahm mich auf, wie es diesem Spiegel aller Ritterschaft geziemte, und als ich ihn bat, einen Verteidiger für mich aus seinem Heldengarten zu wählen, führte er seinen liebsten Waffenbruder vor mich hin, hieß ihn niederknien, und um die Gunst und Ehre bitten, mir Leben und Blut weihen zu dürfen. Wie stolz ich nun war, und mit wie gleichgültigen Blicken ich Folko am Hofe erscheinen sah, um den Kampf wegen des Ringes zu erneuen! Ach, mein Hoffen war dennoch vergebens. Ich hätte es ja wissen sollen, daß die fränkischen Ritter den englischen meist in der Gewandtheit des Turnierens überlegen sind. Mein tapfrer Verteidiger, sich dessen bewußt, hatte zwar als Bedingung des Gefechtes ausgemacht, das Lanzenrennen solle nicht alles entscheiden, sondern der Gefällte noch zum Gefecht mit geschliffnen Schwertern Zuflucht nehmen dürfen. Dadurch aber ward Folkos Sieg nur mühsamer, glorwürdiger und nicht minder gewiß. Mit drei tiefen Klingenwunden trug man meinen Kämpfer ohnmächtig aus den Schranken, und Folko kniete vor mir, mit sittigen Gebärden den Ring zurücke begehrend. Der edle Löwenherz redete ihm zu, er solle sich an dem wiedererfochtenen Rechte begnügen, den Ring selbsten aber der Dame lassen, welche sich mit so bittern Tränen von ihm trenne. – ›Mein großer König, und edles Haupt aller Christlichen Ritterschaft‹ entgegnete Folko, ›wär’ es für mich, so sollte der Ring dieser wunderholden Frau verbleiben, und obendrein ihr mein Leben verfallen sein, weil ich an den Zähren Schuld bin, die aus so schönen Augen rinnen; so aber steht das Kleinod meiner Schwester Blancheflour von Montfaucon zu, und ein Ritter darf seiner Dame nichts vergeben, wie Euer ritterliche Majestät selber am besten weiß.‹ – Dagegen hatte König Löwenherz nichts einzuwenden, und ich zog mich, abermals meines Ringes verlustig, in tiefer Trauer vom Hofe zurück. Dennoch verweilte ich in der Nähe, hoffend, wie dem Ritter Montfaucon die Waffen immer günstig gewesen waren, solle auch mir Zufall und List fortdauernd günstig sein. Da erfuhr ich, daß Folko gesonnen sei, nach dem Lande Wales zu reisen, um die Stätten und Burgtrümmer mit eignen Augen zu sehn, wo der alte Tafelrundenkönig Artur samt seinen Rittern gefochten habe und gehaust. Entschlossen, das Äußerste zu wagen, eilte ich ihm in die unwegsamen Gebirge voraus, und in einen uralten rostigen Harnisch mit fest geschloßnem Helme gesteckt, wartete ich seiner in einem abgelegnen Tale, durch welches er notwendig reiten mußte. Er kam, und ich forderte ihn mit tiefverstellter, und glücklicherweise durch meinen Eisenkorb noch verdumpfter Stimme zum Kampf auf Leben und Tod. Er wollte die Ursach wissen und meinen Namen; das schlug ich ab, und tat, als glaube ich, daß er nur Ausflucht suche. Da sprang er nun, weil ich zu Fuß war, vom Rosse, so heftig rasselnd und leuchtend in seinen schweren Waffen, daß ich beinahe vor Schrecken zusammengesunken wäre. Aber ich hielt mich noch, und sagte, ich werde nicht eher mit ihm fechten, als bis er seinen Zauberring vom Finger getan hätte; man wisse es wohl, daß nur der ihn unbezwinglich mache, und er sonsten schwach und feige sei, wie ein Kind. Mit einem Ruf des Zornes riß er den Eisenhandschuh von der Faust, und warf den Ring ins Gras. Den hatte ich alsobald erfaßt, und ebenso schnell den Helm gelöst und abgeworfen, worauf ich ihm sagte: ›Hoffentlich erkennt nun Ritter Folko Gabrielen von Portamour, und hat der edlen Sitte zu viel, um einer Dame ohne Verteidiger ihren Ring wegnehmen zu wollen, oder auch nur ihre Reise zu hindern.‹ – Er schwieg, und neigte sich, sprach aber: ›Ich werde die Ehre haben, Euch an bewohnten Orten wieder aufzusuchen, wo es Euch nicht an Kämpfern fehlen kann.‹ – So verschwand ich vor seinen Augen, und gelangte auf bereit gehaltenen Rossen mit Pfeilesschnelle an die Ufer des Meers. Dann aber wehten mich günstige Lüfte nach Deutschland herüber, welches ich aufgesucht habe, weil mir zu Ohren gekommen ist, daß man es einen wahren Ehrensaal von tapfern und biederherzigen Rittersleuten nennen mag. Und wirklich hat sich der edle Graf Archimbald von Walbeck mir auf Tod und Leben verpflichtet, so daß ich keine Sorge mehr kenne, weil er ein so gar ruhmvoller Kriegsheld ist, und noch vor keinem Feind erlegen; in welcher Zuversicht ich auch die Farben der Familie Montfaucon trage, blau und gold, um dadurch die Rechte anzudeuten, welche mir der Ring auf ihre Besitztume gibt. Die will ich ihnen aber gerne lassen, wenn ich nur meinen teuern wundervollen Ring behalte. Vielleicht hat ihn auch der furchtbare Folko nun aufgegeben und längst vergessen, denn seit England hörte ich nicht das mindeste mehr von ihm, so daß ich meine List und mein Glück wohl preisen mag, verhoffend, in ungestörter Ruhe mit den Geheimnissen meines Kleinodes vertraut zu werden, von denen ich bis jetzo nicht viel mehr als ungelöste Rätselsprüche weiß.«

Otto und Bertha dankten der schönen Gabriele für ihre Geschichte mit den allerhöflichsten und zierlichsten Worten. Dann aber sagte Bertha leise: »Der Ring muß wohl wunderschön anzusehen sein.« – »Ich will ihn dir gern zeigen, du freundliches Kind«, sagte die lächelnde Gabriele, und zog ihn an einem goldnen Kettchen aus ihrem weißen Busen hervor.

Während ihn nun die beiden betrachteten, Bertha die seltsamen Zeichen bewunderte, und die grünen und blutroten Steine, welche sich darauf zeigten, Otto aber unbemerkt und mit hochglühenden Wangen einen Kuß darauf hinhauchte, öffneten sich die Vorhänge des jetzt schon kerzenhellen Zeltes, und herein trat Archimbald, ein anderer Ritter ihm nach.