Seewölfe - Piraten der Weltmeere 704

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 704
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Impressum

© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-126-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Im Sturm gesunken

Die Riesenwelle überrollt alles – auch die Arwenacks

Dezember 1595 – Madras.

Der Morgen begann schon mit extremer Hitze, und so wünschten sich die meisten der Arwenacks weit weg auf See, wo wieder eine kühle Brise ihre diversen Brummschädel kühlte.

Sie hatten kräftig im prunkvollen Palast des Sultans von Golkonda gefeiert, eine Feier, die wieder mal leicht ausgeartet war, aber immerhin eine berechtigte Feier, die sie sich wohl verdient hatten.

Der Rest des gestrigen Tages war vom Seewolf als Ruhetag bestimmt worden. Doch die Nachwirkungen waren bei einigen keineswegs restlos verklungen. Etliche bockten noch sehr dösig herum, wie diejenigen nicht ganz schadenfroh feststellten, die nicht bei der Feier gewesen waren.

Aber sie mußten noch warten. Der Sultan von Golkonda hatte versprochen, die Arwenacks persönlich zu verabschieden.

Und so warteten sie und warteten …

Die Hauptpersonen des Romans:

Mac Pellew – der Zweitkoch der Arwenacks badet in einer vergoldeten Badewanne, der er zum Ergötzen der Mannen blau entsteigt.

Edwin Carberry – auch der Profos steigt in dieses wunderschöne Prachtstück, fliegt aber wieder raus – und dieses mit Karacho.

Old Donegal O’Flynn – auch als er längst im Wasser schwimmt, wartet er mit einer Reihe von Schutzpatronen auf, die alles regeln werden.

Gary Andrews und Paddy Rogers – verschlafen den Orkan und erwachen in der gekenterten Schebecke.

Philip Hasard Killigrew – reitet auf dem Kiel des Dreimasters und verläßt als letzter das treibende Wrack.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Mann, hab ich Gehirnsausen“, sagte der Profos. „Jedes einzelne Haar tut mir weh.“ Er sagte das etwas krächzend und mit leicht versoffener Stimme und schien sich dabei selbst zu bedauern.

„Demnach bist du also Gehirnbesitzer“, sagte der Kutscher mit einem süffisanten Grinsen und geheuchelter Anteilnahme. „Oder etwa nicht?“

Carberry starrte aus trüben Augen zu ihm hoch.

„Das will ich meinen, aber ganz sicher. Oder hegst du etwa Zweifel daran?“ Das letztere klang schon etwas aggressiv.

„Nicht den geringsten, Ed. Ich wollte lediglich klarstellen, daß es Gehirnbesitzer und Gehirnbenutzer gibt. Ein kleiner, aber doch sehr feiner Unterschied.“

Carberry brauchte eine ganze Weile, um das zu kapieren. So richtig schien es mit der Benutzung noch nicht zu funktionieren.

„Wie meinst du das?“ fragte er, um Zeit zu gewinnen und sich die passende Antwort einfallen zu lassen.

„Na ja, Klugheit fällt nun mal nicht wie Manna vom Himmel“, erwiderte der Kutscher grinsend. „Ein erfahrener Gehirnbenutzer weiß natürlich, daß ihm die Sauferei im Übermaß nicht guttut. Daher hört er rechtzeitig auf, um die unangenehmen Nachwirkungen zu vermeiden. Aber ein Gehirnbesitzer denkt nicht lange, sondern schluckt alles in sich hinein, was er kriegen kann. Er hat nichts dazugelernt, verstehst du?“

„Kutschersprüche“, sagte der Profos, mit der Hand verächtlich abwinkend. „Moralapostelgewäsch, Neid, weil man selber nichts verträgt. Du warst auch schon mal so voll, daß du die Pardunen kalfatern wolltest.“

„Muß lange her sein“, murmelte der Kutscher etwas verlegen. „Kann mich nicht mehr daran erinnern.“

Es stimmte auch gar nicht, aber Carberry stellte das einfach als Behauptung auf und nickte noch ernst dazu.

Mac Pellew latschte heran und stellte einen Kübel mit Brühe auf die Planken. Auch er litt noch unter gewissen Nachwirkungen. Sein Gesicht war verbiestert, die Augen etwas rötlich gefärbt und trübe.

„Fleischbrühe“, sagte er heiser. „Das bringt euch Suffköppe wieder auf die Beine.“

„Bei dir scheint es noch nicht gewirkt zu haben“, meinte der rothaarige Ire Higgy. „Wer soll das heiße Zeug denn bei dieser Bullenhitze schlucken?“

„Ihr natürlich, wer sonst? Ist scharf gewürzt und gesalzen.“

„Ein saurer Hering wäre mir lieber“, jammerte Luke Morgan, der ständig die linke Hand am Kopf hatte, als sei da was geplatzt.

„Dann fang dir einen. Die Angeln sind im Stauraum.“

Mac warf den Kerlen ein paar Mucks zu, schnappte sich die hölzerne Kelle und füllte für sich ebenfalls eine voll. In kleinen und vorsichtigen Schlucken nippte er an der Fleischbrühe.

Anfangs waren die Arwenacks absolut nicht begeistert von dem Angebot, doch als Paddy sich als erster auf den Kübel stürzte, taten es ihm auch die anderen nach.

„Hmm“, äußerte sich Ferris Tucker anerkennend. „Das hat schon was für sich und vertreibt den Kater.“

Paddy Rogers hatte schon die zweite Muck am Hals. Er trank und starrte über das Hafenviertel von Madras, bis sich sein Blick weit draußen auf See verlor, wo der Wind sein brausendes Lied sang.

Offenbar hatte er heute seinen philosophischen Tag. Sein Blick kehrte wieder zurück und wurde grüblerisch.

„Warum gibt es eigentlich derart viel Wasser auf der Erde?“ fragte er nachdenklich. „Land ist doch nur wenig da, wenn man die gewaltigen Meere sieht.“

Der Kutscher zog die Augenbrauen hoch, als Paddy ihn ansah.

„Da muß ich leider passen. Außerdem ist das eine merkwürdige und wohl kaum zu beantwortende Frage.“

„Weil Gott das so gewollt hat“, sagte Old Donegal, und damit war das Thema auch schon für ihn erledigt.

Die meisten anderen zuckten nur mit den Schultern, weil sie die Antwort auch nicht kannten. Sie sahen daher erstaunt auf, als der Profos krächzend sagte: „Das hat zwei Gründe. Sehr viel Wasser ist aus dem Grund vorhanden, damit man besser die vielen Inseln erreicht.“

Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Kutscher hart schluckte und an einem unsichtbaren Kloß würgte.

„Und der zweite Grund?“ fragte Paddy interessiert.

„Na, liegt doch auf der Hand“, erwiderte Carberry. „Damit es nicht so staubt, wenn die Schiffe bremsen.“

Daraufhin begann Mac Pellew so schrecklich zu lachen, daß sie ihm auf den Rücken klopfen mußten, damit er nicht erstickte. Das Grinsen ging reihum, bis auf Paddy, der sehr nachdenklich war und über die Antwort des Profosen nachgrübelte.

Das war der Zeitpunkt, als der Seewolf an Deck erschien. Er war frisch und ausgeschlafen. Auf seinem sonnengebräunten Gesicht mit den blitzenden weißen Zähnen lag ein nachsichtiges Lächeln. Er hatte Carberrys Weisheiten gerade noch mitgekriegt.

Von den Nachwehen einer Feier war ihm allerdings nicht das geringste anzumerken.

Er nahm zwischen den Arwenacks Platz und schien guter Laune zu sein, die sich noch steigerte, als ihm die Fleischbrühe gereicht wurde.

Mit einem kurzen Rundblick stellte er fest, daß sich noch nichts getan hatte. Der Sultan würde wohl erst gegen Mittag eintreffen. Im Hafen von Madras herrschte ebenfalls noch Ruhe. Nur ein paar Fischerboote waren zum Fang ausgelaufen, und an den hölzernen Piers hockten ein paar unermüdliche Angler, die vor sich hindösten.

Er ließ sich das Frühstück schmecken, das Mac eilig an Deck brachte, trank dazu Fleischbrühe und blickte die Männer einen nach dem anderen an.

Unter seinen Arwenacks war eine gewisse Unruhe zu spüren, jene untrüglichen Zeichen, wie sie auch vor einem Sturm meist aufzutreten pflegten.

Klar, die Kerle wollten wieder Seeluft schnuppern, wo ihnen tosender Wind um die Ohren pfiff, wo es keine Enge mehr gab, sondern nur noch die unermeßliche Weite der See. Sie hatten Madras jetzt satt bis Unterkante Oberlippe, obwohl sie eine angenehme Zeit verbracht hatten.

Er verstand das nur allzugut. Auch ihm erging es so, aber er hatte noch eine Kleinigkeit auf dem Herzen, und daher übte er sich in Geduld.

Er merkte auch, daß die Blicke gespannt auf ihm lagen, doch außer Old O’Flynn unterbrach ihn niemand beim Essen.

Der Alte rümpfte die Nase, räusperte sich die Kehle frei und rieb mit der linken Hand über seine Bartstoppeln.

„Schmeckt’s, Sir?“ fragte er.

„Ausgezeichnet“, lobte Hasard. „Statt hier gallig herumzuhocken, solltet ihr auch kräftig reinhauen und euch langsam mit dem Gedanken anfreunden, von Madras Abschied zu nehmen.“

„Gerade das wollte ich ansprechen“, sagte Old Donegal eifrig. „Wir haben das Thema ja schon mal ganz kurz angeschnitten. Äh – wohin segeln wir denn jetzt eigentlich genau? Wollen wir noch diesem reichen Widdibum einen Besuch abstatten, oder geht’s gleich zurück nach Bombay, oder was?“

 

Die merkwürdige Bezeichnung traf auf den Nawab von Bandar ganz und gar nicht zu, der ein Verwandter des Sultans von Golkonda war. Er beherrschte die weiter nördlich gelegene Küsten- und Landesregion und war außerdem einer der reichsten Männer Indiens. Der Sultan hatte den Seewölfen dort einen Besuch empfohlen.

„Nein, ich glaube nicht, daß wir nach Bandar segeln“, erwiderte Hasard. „Es würde zu lange aufhalten, und wir müßten uns noch Ewigkeiten lang in Indien herumtreiben.“

Er sah das erleichterte Aufatmen von Old Donegal, dem anscheinend ein ganzer Felsen von der Seele rutschte.

Der alte Zausel hatte nämlich seit einer Weile seine sogenannten Wahrträume, in denen er Dinge sah, die der übrigen Welt verborgen blieben. In letzter Zeit träumte er von schrecklichen Ereignissen in der Karibik, die sich ausschließlich auf Great Abaco, dem Stützpunkt der Arwenacks, abspielten.

„Aber“, nuschelte Old Donegal leise, „wir müssen noch einmal nach Bombay zurück, nicht wahr?“

Neben Hasard nickte der Spanier Don Juan, den Old Donegal ebenfalls mit seinen schrecklichen Träumen genervt hatte.

„Das werden wir wohl. Schließlich haben wir Ischwar Singh gegenüber gewisse Verpflichtungen. Eine ganze Schiffsladung Gewürze und anderer Kostbarkeiten wartet dort noch auf uns.“

Er sah in ziemlich mißmutige und betretene Gesichter. Keiner schien so richtig Lust zu haben, den indischen Kontinent noch einmal bis hoch nach Norden zu segeln. Es war eine lange und mühsame Strecke.

„Wer möchte denn gern nach Bombay?“ fragte der Seewolf nach einer Weile des Schweigens.

Genausogut hätte er das eichene Schott fragen können.

„Na, hebt doch mal die kraftlosen Ärmchen!“ spottete er. „Im Bund der Korsaren haben wir beschlossen, über Grundsätzliches gemeinsam abzustimmen.“

Im Geiste stellte sich jeder den endlos langen Törn an einer Küste vor, die sie schon auswendig kannten. Kein Arm hob sich. Ein paar Männer blickten lustlos auf die Planken. Hin und wieder streifte Hasard ein flüchtiger Blick.

„Also keiner“, stellte der Seewolf lakonisch fest. „Das habe ich auch nicht anders erwartet. Anfangs gab es da noch eine gewisse Begeisterung, doch die scheint sich restlos gelegt zu haben.“

„Du hast etwas anderes vor, Sir, nicht wahr?“ fragte Dan O’Flynn. „Etwas, das wir einmal kurz in Erwägung gezogen haben.“

Hasard trieb die Spannung dadurch auf die Spitze, daß er sich mit der Antwort etwas Zeit ließ. Die Blicke aller hingen jetzt gespannt an seinen Lippen.

Nach einem kräftigen Schluck setzte er die Muck ab und wischte sich über den Mund.

„Ja, wir haben darüber einmal gesprochen, aber noch nichts Genaues festgelegt. Deshalb hängt alles weitere auch zum größten Teil von unserem Freund, dem Sultan ab. Wir müßten eigentlich nach Bombay zurückkehren, um Ischwar Singh Bericht über die elf Tonnen Gold und Silber zu erstatten. Hört er nichts mehr von uns, dann könnte das später sehr unangenehme Auswirkungen auf die angeknüpften Handelsbeziehungen zu England haben.“

„Was hat das mit dem Sultan zu tun?“ fragte Don Juan.

„Eine ganze Menge. Wir haben ihm die Prunkgaleere zurückerobert, die sein ganzer Stolz ist. Ich nehme an, er wird früher oder später mit der Galeere nach Bombay segeln. Das ist üblich, daß sich die Verwandten per Schiff gegenseitig besuchen. Sollte das der Fall sein, kann der Sultan vielleicht mit Ischwar Singh reden und ihm unsere Gründe darlegen. Er hätte damit einen Bericht aus erster Hand, an dem es nicht den geringsten Zweifel gibt. Dadurch ersparen wir uns eine riesige Strecke.“

„Und die kostbare Ladung, die in Bombay auf uns wartet?“ fragte Ben.

„Daran habe ich natürlich auch gedacht. Aber Ischwar Singh könnte sie möglicherweise einem vertrauenswürdigen englischen Kaufmann in unserem Namen mitgeben. Unsere Königin würde staunen, davon bin ich überzeugt, wenn die Güter und Begleitschreiben bei ihr in London eintreffen.“

In den Augen der Arwenacks begann es zu funkeln, und ein paar von ihnen klatschten spontan Beifall.

„Langsam“, sagte Hasard, den Eifer dämpfend, „noch ist es nicht soweit. Der Rest liegt beim Sultan. Sollte er auf sehr lange Zeit verhindert sein, müssen wir wohl oder übel nach Bombay zurück, schon um die englischen Interessen nicht zu gefährden. Bis jetzt ist das alles nur Theorie.“

„Die man gleich ein bißchen weiterspinnen könnte“, schlug Dan O’Flynn eifrig vor. „Angenommen, wir haben das Glück, nicht mehr nach Bombay segeln zu müssen. Was dann? Rückkehr zur Karibik?“

„Ja, dann kehren wir in die Karibik zurück. Donegal ist ja schon ganz versessen darauf.“

Allgemeines Aufatmen ging durch die Reihen der Arwenacks, und so manch einer grinste verstohlen vor sich hin.

Don Juans Blick verlor sich in der Ferne und ging auf Reisen in die Karibik, wo auf Great Abaco seine Frau Taina auf ihn wartete. Aber auch Smoky kriegte seinen sehnsüchtigen Blick, und Old O’Flynn war schon ganz weg, wenn er nur an die Rückkehr dachte.

„Welchen Weg wollen wir segeln?“ fragte Dan sofort. „Schließlich haben wir ja zwei Möglichkeiten, um zurückzukehren. Ich setze natürlich voraus, daß uns der Sultan die kleine Mühe abnimmt.“

„Kleine Mühe ist gut“, seufzte Hasard. „Ich habe keine Ahnung, wie er darüber denkt. Vielleicht hält er uns für undankbar. Wer kennt sich schon genau bei ihm aus?“

„Wir setzen das Einverständnis nur theoretisch voraus, Sir.“

„Gut, dann stimmen wir darüber ab. Die eine Route führt uns durch den Golf von Bengalen zum Indischen Ozean, wo wir das Kap der Guten Hoffnung runden und von dort weiter in den Atlantik segeln, bis wir die Karibik erreichen. Die andere Route würde uns über den Pazifik führen. Wie es dann weitergeht, weiß ja jeder aus eigener Erfahrung.“

Don Juan nickte. „Wir müßten die Schebecke aufgeben oder verkaufen, wenn wir den Isthmus von Panama überqueren wollen.“

„Das ist richtig, was aber weiter kein Problem darstellt. In Panama treiben wir schon einen Kahn auf, der uns in die Karibik bringt. Und dort wartet auf uns ja noch unsere gute alte ‚Isabella‘, die man sicher prächtig in Schuß gehalten hat.“

Plötzlich kriegten die Kerle alle verklärte Blicke. Selbst der Blick des Schiffszimmermanns Ferris Tucker wurde träumerisch.

O ja, die gute alte „Isabella“, dachte er. Sie ist doch ein vertrautes Schiffchen, womit allerdings nichts gegen die schnellsegelnde Schebecke gesagt sein sollte, denn diese war ein Schiff mit noch besseren Segeleigenschaften als die Galeone.

„Pazifik!“ hörte er ein paar Männer begeistert ausrufen. „Die andere Route haben wir ja gerade abgeklappert!“

Rein theoretisch wurde anschließend abgestimmt. Das Ergebnis stand gleich darauf fest.

Zwei Arwenacks war es ziemlich egal, welche Route sie segeln würden, die anderen entschieden sich für den langen Törn über den Stillen Ozean.

2.

Nach der Abstimmung schien sich die ganze Welt für die Arwenacks verändert zu haben. Alles wirkte freier, gelöster und nicht mehr so verkrampft wie eben noch, als alles in der Schwebe hing.

Jetzt hatten sie endgültig wieder ein festes Ziel vor Augen, und bald schon würde ihnen frischer Seewind um die Ohren blasen.

Old O’Flynn war wie ausgewechselt und hatte strahlende Laune. Er war es, der die ganze Zeit über geunkt hatte, daß auf Great Abaco etwas geschähe, etwas Unheimliches und Bösartiges.

„Wird auch wirklich Zeit“, sagte er aufgekratzt. „Ich glaube, nach dieser Entscheidung hören auch meine schlimmen Träume endlich auf, und ich kann wieder ruhiger schlafen.“

„Eine Feier in der Rutsche“, sagte der Profos andächtig. „Das wäre doch mal wieder was. Hoffentlich steht die alte Bude noch.“

„Bis wir da sind, werden noch ein paar Monate vergehen“, meinte Hasard. „Spart euch die Träume für später auf. Doch wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich den Kurs festlegen.“

„Jetzt hängt nur noch alles von dem Sultan ab“, murmelte Matt Davies.

Immer wieder blickte er zum Dschungelrand hinüber, wo hinter einer Lichtung ein trockenes Flußbett begann. Es war der Weg, den sie nun schon zur Genüge kannten.

Dort blieb alles ruhig. Nichts deutete darauf hin, daß eine Elefantenkarawane im Anmarsch war.

Inzwischen brachte Dan O’Flynn das Kartenmaterial an Deck, das ihnen den Weg in den Pazifik weisen sollte.

Es waren Karten, die sie schon lange besaßen und die erst sortiert werden mußten. Dan tat es hingebungsvoll und ausdauernd und fügte eine an die andere, bis er ein klares Bild hatte.

Die aneinandergereihten Karten beschwerte er mit einem Spektiv und dem Jakobsstab.

Sofort versammelten sich etliche Männer um ihn.

„Segeln wir durch die Straße von Malakka?“ fragte er den Seewolf, „oder nehmen wir Kurs auf die Westküste von Sumatra?“

„Wir nehmen die Malakka-Straße“, entschied der Seewolf nach einem kurzen Blick. „Die andere Route um Sumatra herum würde uns zu tief nach Süden führen.“

Dan O’Flynn zeichnete mit einem Stift den Kurs ein, einen angedeuteten nur, den er später verbessern wollte.

„Dort unten treiben sich Portugiesen und Holländer herum, Sir. Wir müßten quasi wieder mal ihr Hoheitsgebiet durchsegeln, wie wir es in Indien gerade getan haben.“

„Kennst du einen besseren Weg?“

„Wir könnten die Südspitze von Malaysia runden und dann auf Nordostkurs gehen. Er würde uns an dieser riesigen Insel vorbeiführen.“

Hasard überzeugte sich abermals durch einen Blick auf die Karte. Dann schüttelte er den Kopf.

„Ein recht umständlicher Kurs, der uns wieder nach Norden und dann durch ein kompliziertes Inselgewirr führen würde.“

„Wir waren schon einmal dort“, erinnerte Dan. „Schon lange her allerdings.“

„Ich weiß. Dort haben wir uns kaum zurechtgefunden. Das Kartenmaterial über diesen Teil der Welt ist auch nicht gerade das Beste.“

„Also den anderen Kurs zur Banda-See“, sagte Dan und zeichnete wieder ein paar Striche ein. Eine weitere angedeutete Linie zog er quer über die nächste Karte, die recht dürftig wirkte.

Da gab es eine Wasserfläche, die unendlich schien. Hin und wieder waren winzige Punkte eingezeichnet. Hinter manchem Punkt, der Inseln markierte, war ein kleines Kreuz eingezeichnet. Am Rand der Karte standen außerdem ein paar handschriftliche Bemerkungen und Erklärungen.

Diesen gewaltigen Ozean zu durchsegeln, war eine einzige Herausforderung an Menschen und Material. Viele waren in diesem riesigen Meer verdurstet, umgekommen, im Sturm gesunken oder ganz einfach für alle Zeiten verschwunden.

Wenn die Navigation nicht genau stimmte, das wußte Dan, würden sie ins endlose Nichts vorstoßen, in eine Wüste aus Wasser ohne Anfang und Ende. Sie brauchten sich nur um ein paar Meilen zu verschätzen oder in Strömungen zu geraten, die sie weit vom Kurs wegtreiben würden.

Auf der Karte sah das noch ziemlich harmlos aus, aber die Arwenacks hatten diesen Teil der Welt bereits kennengelernt, der immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartete.

Jedenfalls war diese Route interessanter als jene, die sie gerade hinter sich hatten.

Eine knappe Stunde war inzwischen vergangen, seit sie die Karten auf Deck ausgebreitet hatten. Und immer noch rührte sich nichts.

Die Blicke zum Dschungelrand wurden immer besorgter.

„Vielleicht erscheint der Sultan erst morgen“, meinte Bill. „Es ist immerhin bald Mittag.“

„Er hat versprochen, uns heute noch aufzusuchen“, sagte Hasard. „Auf sein Wort kann man sich verlassen. Er hat es immer gehalten.“

„Ist ja auch ein langer Weg“, meinte Al Conroy beruhigend. „Die paar Stunden werden wir wohl noch warten können.“

„Proviant und Wasser haben wir ja“, sagte der Kutscher. „Sobald die Verabschiedung vorbei ist, können wir segeln.“

Sie hatten gestern auf dem Bazar von Madras noch reichlich eingekauft und sich mit allem eingedeckt, was sie für einen längeren Törn brauchten. Die Proviantlast war bis zum Bersten gefüllt, und unter Deck standen die großen Wasserfässer, ebenfalls bis obenhin gefüllt mit frischem klaren Wasser. Es war also bestens vorgesorgt für eine lange Fahrt.

Dan O’Flynn ließ sich bei seiner Arbeit nicht stören. Jung Hasard und sein Bruder Philip hatten sich um ihn geschart. Von Dan hatten beide, hauptsächlich was die Navigation betraf, eine Menge gelernt, und auch jetzt waren sie wieder mit Feuereifer bei der Sache.

 

Sie steckten mögliche Kurse ab, zeichneten aber auch andere Wege auf der Karte ein, als sei alles schon längst beschlossen.

Die Dösigkeit war bei den meisten jetzt verflogen, nachdem sie alle reichlich von der Fleischbrühe getrunken hatten.

In der Pantry arbeiteten bereits wieder der Kutscher, Mac Pellew und Clint Wingfield, das blonde Bürschchen und Moses an Bord, der es sich nicht nehmen ließ, überall mit Hand anzulegen.

Als an Deck plötzlich ein Ruf laut wurde, schnitt sich Mac Pellew prompt in den Finger und begann erbärmlich zu fluchen.

„Daß die immer so brüllen müssen!“ schimpfte er. „Ganz besonders der liebe Ed mit seiner großen Klappe. Das kann man doch auch leise und vernünftig sagen. Aber nein – dieser ausgewachsene Ochsenfrosch muß die ganze Welt volltönen mit seiner Donnerstimme.“

„Es ist offenbar der Sultan“, sagte der Kutscher.

„Der Sultan? Mein Finger war das. Der hängt nur noch an einem dünnen Faden.“

„Laß ihn hängen“, sagte der Kutscher und trocknete sich die Finger ab, „weiter als bis auf die Planken kann er nicht fallen.“

Mac hatte natürlich wieder mal mächtig übertrieben, wie der Kutscher mit einem schnellen Blick erkannte. Lediglich zwei kleine Blutstropfen waren zu sehen, und obwohl sich Mac hervorragend auf die Medizin verstand, veranstaltete er jedesmal ein Geschrei, wenn es ihn selbst betraf.

Als das den Kutscher allerdings nicht juckte, zog er einen beleidigten Flunsch, drückte ein bißchen auf den winzigen und kaum sichtbaren Schnitt und folgte dem Kutscher an Deck.

Dort traf zuerst mal den Schreihals Carberry ein bitterböser Blick. Der sah Mac verblüfft an und grinste schief.

„Ist was?“

„Und ob was ist!“ keifte Mac. „Wegen dir bin ich beinahe zum Krüppel geworden. Hier!“ Er hielt Carberry den Finger vor die Nase. „Das sind die schwerwiegenden Folgen deines unartikulierten Gebrülls.“

Carberry sah sich verwirrt den Finger an, konnte aber nichts entdecken, nicht mal einen Blutstropfen.

„Zum Krüppel, was, wie?“ fragte er fassungslos. „Und was heißt hier unartikuliertes Gebrüll?“

„Ich habe mich vor Schreck verletzt, als du so brülltest. Hab mir den halben Finger abgesäbelt, als ich zusammenzuckte.“

„Ich habe nur geäußert, daß der Sultan im Anmarsch sei, und das habe ich verdammt leise gesagt. Und was deine Verkrüppelung betrifft, darüber kann ich nicht mal lachen.“

„An so was kann man sterben“, behauptete Mac griesgrämig.

„Ach ja? Na, da scheint der Sultan ja schon bestens vorgesorgt zu haben“, sagte der Profos boshaft. „Er hat nämlich extra für dich einen nagelneuen Sarg mitgebracht. Da werden wir dich nachher hineinpacken, Deckel zu, Mac Pellew tot. Sieh ihn dir nur genau an.“

Mac drehte sich um. Er war fassungslos über soviel Gefühlskälte. Kein Mensch hatte auch nur ein Wort des Bedauerns für ihn übrig. Im Gegenteil – dieses Profos-Ungeheuer verhöhnte ihn auch noch und wollte dafür sorgen, daß er bald unter die Erde gebracht wurde.

Nicht zu fassen war das!

Mac blickte mit Leichenbittermiene zum Dschungelrand, wo es in dem ausgetrockneten Flußbett jetzt lebendig wurde.

Vier prächtig herausgeputzte Elefanten tauchten auf. Mahauts saßen auf ihren Rücken. Ein paar Inder, ebenfalls prächtig gekleidet, liefen neben den Elefanten her.

Mac schluckte, als er sah, was einer der Elefanten an der Seite trug.

Es war eine lange, hölzerne Kiste, und sie hatte tatsächlich verdammt viel Ähnlichkeit mit einem Sarg, allerdings einem einfachen Holzding, ohne viel Luxus. Diese Kiste war mit Tauen festgebunden und schaukelte bei jeder Bewegung des Elefanten hin und her.

„Damit sind deine Probleme gelöst“, sagte neben ihm Carberry mit Grabesstimme. „Du kannst jetzt ruhig abnippeln an deiner fürchterlichen Verletzung. Ein paar trockene Blumen werden wir auch noch besorgen. Oder ziehst du eine Seebestattung vor?“

Mac Pellew blickte verbiestert zu der Holzkiste und schluckte abermals. Die Kiste bot gerade genug Raum für einen Mann, allerdings für einen toten Mann, der nicht mehr viel Platz brauchte.

„Sieht tatsächlich wie ein Sarg aus“, murmelte er betreten.

„Es ist einer“, versicherte der Profos. „Der Sultan hat nämlich Hellseher und Sterndeuter in seinem Palast, und die haben längst vorausgesehen, daß es mit dir bald zu Ende geht. Na, und da hat der ehrenwerte Sultan eben in einem Anfall von Großmut gleich für dich einen Sarg zimmern lassen, damit du später bequem und faul rumlümmeln kannst.“

„Mal bloß nicht den Teufel an die Wand“, hauchte Mac. „Damit soll man keinen Spaß treiben. Das Leben ist viel zu ernst.“

„Man sieht’s an deinem Gesicht. Aber bitte, du wolltest ja sterben, nicht ich.“

„Davon hab ich nichts gesagt.“

„Hast es aber angedeutet.“

„War doch nur ein Scherz“, entgegnete Mac reichlich lahm.

„Mit so was soll man keinen Spaß treiben“, sagte der Profos. „Dazu ist das Leben viel zu ernst.“

Der Kutscher warf den beiden kopfschüttelnd einen Blick zu und grinste verstohlen. Die hatten wieder mal ein Thema drauf, daß es einem die Stiefel ausziehen konnte.

Alle Arwenacks wandten ihre Aufmerksamkeit jetzt der Karawane zu, die sich dem Hafen näherte und den Dschungel hinter sich ließ. Insgesamt waren es sieben Elefanten.

Auf einem von ihnen, in einem riesigen mit einem Baldachin ausgestatteten Sänfte, saß der Sultan von Golkonda.

Auf der anderen Seite des Hafens begann sich bereits das Volk zu versammeln, um dem Sultan aus der Ferne zu huldigen.

„Bin richtig erleichtert, wenn ich den guten Mann sehe“, sagte Gary Andrews zu Luke Morgan. „Hoffentlich nimmt er uns die Mühe ab, nach Bombay zu segeln. Der Törn würde mir wirklich stinken.“

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