Seewölfe - Piraten der Weltmeere 599

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 599
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-013-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Das Tor zum Hades

Ein Preßkommando schnappt vier Arwenacks – und holt sich den Teufel an Bord

April 1598 – London.

Der Sturm heulte in schaurigen Tönen. Er orgelte mit Urgewalten heran und trieb das fast schwärzliche Themsewasser zu mächtigen Wellen auf. Die Schiffe, die an den Piers vertäut lagen, knarrten und ächzten unter dem Ansturm der wilden Gesellen, als hauchten sie jeden Augenblick ihre Seelen aus.

Ein Orkan braute sich zusammen. Der Himmel war an diesem Nachmittag fast schwarz, mit tiefhängenden, drohenden Wolken. Dreck und Staub fegten durch die Straßen und Gassen und verscheuchten die letzten Müßiggänger, die eilig in ihre Häuser zurückhasteten.

Mit jeder Minute nahm der Sturm an Stärke zu, bis die Luft von wildem Heulen, Tosen und Brausen erfüllt war. Die Themse schien zu kochen, als schwele tief unter ihr ein gewaltiges Höllenfeuer.

Ein paar Augenblicke später deckte der Sturm die ersten Dächer ab …

Die Hauptpersonen des Romans:

Old O’Flynn – sein Holzbein geht wieder einmal zu Bruch – und das wird die Rettung für ihn und drei Arwenacks sein.

Ferris Tucker – der Schiffszimmermann hat eine prächtige Idee und setzt sie sofort in die Tat um.

Big Old Shane – der Ex-Schmied von Arwenack Castle hilft ihm bei der Ausführung der Idee in bewährter Weise.

Edwin Carberry – hat auch eine Idee, nämlich die Kneipe „Das Tor zum Hades“ mit einem Besuch zu beehren – was sich als schlechte Idee entpuppt.

Doc Freemont – der alte Freund besucht seine Arwenacks und löst ein Geheimnis.

Blair – der Kapitän eines Seelenverkäufers ahnt nicht, daß er einen Fehlgriff getan hat.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Die Schebecke der Seewölfe war gut vertäut, dennoch tanzte sie wild von einer Seite zur anderen, knallte hart an die Holzpier und zitterte in allen Verbänden. Immer wieder rumpelte es kurz und hart.

„Wir bringen noch zwei Festmacher aus“, sagte der Seewolf. „Eine Vor- und eine Achterspring. Dieses entsetzliche Gerumpel ist ja nicht zum Aushalten.“

Der Kutscher pflichtete Hasard bei.

„Ganz recht, Sir. Die harten knallenden Stöße sind wie eine Ramming und hauen mir jedesmal die Töpfe auf dem Herd durcheinander. Mac ist schon von oben bis unten mit Suppe bekleckert.“

Mac Pellew, der ebenfalls an Deck erschienen war, bewies das nicht nur durch sein grämliches Gesicht. Er wirkte so niedergeschlagen, als sei gerade seine eigene Beerdigung fällig.

„Eine Sauerei ist das“, beklagte er sich. Er zeigte auf seine besudelten Plünnen. Erbsensuppe war ihm in den Kragen gelaufen, dann weiter übers Hemd, die Hose und bis zu den Stiefeln. „Wie sehe ich denn jetzt aus?“

„Wie ein gelabsalbter Schlickrutscher“, stellte der Profos nach einem kritischen Blick fest. „Oder wie Schwester Eulalia nach einem mißglückten Essen.“

In der Tat waren in der Kombüse zwei Kessel hart zusammengeknallt, so daß ihnen eine Fontäne entstiegen war. Mac, der Pechvogel, hatte natürlich gerade in diesem Augenblick in den einen Kessel gelinst.

„Blöde Antwort“, knurrte Mac noch grämlicher. „Da schindet man sich in der Kombüse ab, und dann reißt dieses Monster auch noch faule Witze über unsereinen.“

„Unsereiner muß auch seinen Kürbis nicht immer in die Kessel stecken“, meinte der Kutscher. „Das war ja vorauszusehen.“

„Unsereiner“ wirkte jetzt völlig verbiestert. Die Haare flatterten ihm wild im Wind. Der Sturm fetzte an seiner besudelten Kleidung. Er hatte mittlerweile eine Stärke erreicht, daß man nur noch in gebückter Haltung an Deck stehen konnte.

„Jetzt regt euch nicht wegen der Suppe und der paar Plünnen auf“, sagte Hasard entschieden. „Bringt die Festmacher aus, und du, Mac, wechselst die Klamotten. Es sind ja nicht deine einzigen.“

„Wollte damit nur andeuten, welche Opfer man zum Wohl aller bringen muß, obwohl das ja nie anerkannt wird. Da steht man still und bescheiden im Hintergrund und rührt in der Suppe, und dann knallt einem dieser Scheißorkan Erbsensuppe auf die Klüsen.“

Smoky, Ed, Blacky und Bill hörten schon nicht mehr hin, wie Mac Pellew in anklagendes Selbstmitleid verfiel. Er brabbelte noch herum, als ein mächtiger Stoß die Schebecke von vorn bis achtern erzittern ließ. Sogar die Masten wackelten bedrohlich.

Mac war auf diesen neuerlichen harten Stoß nicht vorbereitet, und so landete er plötzlich auf dem Hosenboden. Seine Stimmung wurde noch übler, und er fluchte wie ein Rohrspatz.

Carberry grinste anzüglich und fuhr sich mit dem Zeigefinger bezeichnenderweise an die Stirn, aber das sah Mac nicht. Er rappelte sich auf und fluchte weiter.

Sie mußten sich jetzt schon gegen den Sturm stemmen, so sehr tobte er über London hinweg.

Als die Arwenacks die Leinen ausbrachten, gab es einen scharfen, peitschenden Knall.

Hoch über ihren Köpfen orgelten Schindeln und kleine Holzstücke durch die Luft. Eine Wolke aus Dreck und Staub folgte. Der Wind riß sie in einem gewaltigen Sog mit sich und trug sie hoch hinauf. Dort verteilte sich der Dreck nach allen Richtungen und wurde mit unvorstellbarer Gewalt weitergetrieben.

Bei einem alten, ohnehin schon windschiefen Haus war das Dach explosionsartig davongeflogen. Jetzt standen nur noch Mauerwerk und die Holzsparren auf einem mageren Gerüst, und in die hieb der Wind jetzt wütend seine scharfen Zähne. Die Angriffsfläche hatte sich vergrößert.

„Heiliger Tower“, sagte Smoky. „Nun seht euch das mal an!“

Das Haus war offenbar eine Bäckerei, denn aus dem Innern rannten aufgeregt brüllend drei hellgekleidete Männer heraus und auf die Straße.

Eine weiße Wolke stob zum Himmel – feines Mehl und Schrot, das sich nach allen Seiten verteilte. Der harte Sturm nahm es mit, und er nahm gleich noch mehr mit. Eine der Außenmauern stürzte krachend zusammen.

Der Bäcker brüllte wie am Spieß, sein Altgeselle schrie Zeter und Mordio und bekreuzigte sich fortwährend, wobei der Wind ihm fast die Haare vom Schädel riß. Der Gehilfe, ein kleiner Ladenschwengel von etwa zehn Jahren, tanzte von einem Bein auf das andere und fand das alles sehr aufregend. Dafür kriegte er vom erbosten Altgesellen eine gescheuert. Das Bürschchen brüllte jetzt ebenfalls laut los und begann in wilder Flucht davonzurennen.

Inzwischen zerlegte der Sturm die Bäckerei und fetzte sie restlos auseinander. Eine blattlose große Linde gab der Bäckerei endgültig den Rest. Ihre Wurzeln brachen aus dem Boden. Dann blieb sie schräg wie ein angeschossener Mast stehen und fiel schließlich mit ungeheurem Getöse auf die Reste des Hauses.

Unter ihrem donnernden Aufprall ging auch die letzte Mauer zu Bruch. Was sich in der Backstube befunden hatte, wurde mit gewaltiger Kraft davongefegt. Die Backtröge samt Inhalt überschlugen sich auf der Straße und rasten, wie von Geisterhänden gezerrt, davon, bis sie krachend an eine Hauswand schlugen.

Die beiden Bäcker rannten davon, als sei der Satan hinter ihnen her.

Aber es passierte noch mehr, und die Sache mit der Kutsche entbehrte trotz der dramatischen Situation nicht einer gewissen Komik.

Sie bog gerade mit ziemlicher Fahrt in die Straße ein. Zwei aufgeregt schnaubende braune Pferde, von dem Sturm, dem Heulen und Brüllen verängstigt, drohten durchzugehen. Der dicke Kutscher auf dem Bock hatte alle Hände voll zu tun, um sie zu halten. Seine Peitsche hatte er verloren, und er bückte sich ängstlich zur Seite, wo ein sehr beleibter Mann mit dickem und rotem Gesicht seinen Kopf aus dem Fenster streckte und auf den Kutscher einbrüllte.

Der Sturm fetzte ihm die Worte von den Lippen, und der Dicke brüllte und schrie auf eine komische, lautlose Art wie ein Pantomime. In seinem feisten Gesicht zuckte es wild. Er hatte ein Tüchlein aus seiner Weste gezerrt und betupfte sich damit die nasse Stirn.

Offenbar war der Kutscher nicht in der Lage, die verstörten Gäule anzuhalten.

Mit scharfer Fahrt jagte die Kutsche weiter.

Smoky schloß krampfhaft die Augen, denn jetzt mußte die Kutsche mit fürchterlicher Wucht auf das Hindernis prallen – die gefällte Linde, die die ganze Straße versperrte.

Kurz davor scheuten die Gäule und stiegen wild schnaubend und wiehernd hoch.

Der Kutscher flog vom Bock, mit einer Wucht, als sei er aus einer Kanone abgefeuert worden. Er landete in den Überresten der Bäckerei und donnerte in einen aufgeplatzten Mehlsack. Im nächsten Augenblick ähnelte er einem weißlichen zappelnden Gespenst.

 

Die Kutsche flog mit einem lauten Poltern um und legte sich auf die Seite. Holz barst. Die verschreckten Gäule zogen wieder an, und aus dem zersplitterten Fenster schob sich quäkend und heulend der Dicke hervor. Seine Fettleibigkeit ließ jedoch nicht zu, daß er zu dem Fenster hinausgelangte. Außerdem zerrten die Pferde den Trümmerhaufen immer noch weiter und über die gefällte Linde hinweg.

Erst dort zerbrach die Kutsche, und der Dicke war frei. Er kullerte in einer grotesken Bewegung über die Straße.

Dort rappelte er sich auf, verdreckt, staubig und schauerlich fluchend. Dann humpelte er zu der Hausruine, wo der andere sich aus dem Mehl befreite, und begann lautstark mit ihm zu schimpfen. Mit einem kleinen Spazierstock schlug er dabei auf den unschuldigen Kutscher ein.

Auf der Schebecke war wiederum kein Wort zu verstehen, nur die wilde Gestik, mit der sich die Kontrahenten bedachten, sprach deutlich von schlimmem Ärger.

Die Arwenacks sahen zu, wie der Dicke den Kutscher verprügelte und dann schnaufend und rot vor Wut, davonhinkte. Auch der Kutscher rappelte sich auf und folgte dem Dicken in respektvoller Entfernung.

Die Gäule rannten weiter. Sie hatten nur noch ein paar armselige Trümmer zu schleppen.

Nach wenigen Augenblicken verschwand der Spuk um die nächste Ecke.

„Wahnsinn“, murmelte Smoky verblüfft. Sie hatten die Springs jetzt ausgebracht. Das Gerumpel und Geknalle ließ nach und hörte schließlich ganz auf. Verhältnismäßig ruhig lag die Schebecke an der Pier.

An Deck aber wurde es immer ungemütlicher, denn der Sturm nahm auch weiterhin an Heftigkeit zu. In der Luft war ein Klagen und Heulen, Jaulen und Jammern, das alle anderen Geräusche übertönte. Dazwischen jagten Dreckwolken zum Himmel. In großer Höhe bildeten sich wirbelnde Trichter, die den Dreck und Staub wie mit einem Schlauch ansaugten.

Hasard sah sich besorgt um.

„Da braut sich ein ausgewachsener Orkan zusammen“, sagte er. „Es wird ein Sturm, wie London ihn lange nicht erlebt hat.“

„Und es werden noch eine Menge Dächer abgedeckt werden“, prophezeite Ben Brighton. „Das ist erst der Anfang. Ich denke, wir gehen besser unter Deck. Hier oben können wir nichts weiter tun. Der Sturm fegt uns sonst noch über Bord.“

„Und dabei wollte ich Doc Freemont suchen“, sagte der Kutscher betrübt. „Aber das ist bei diesem Unwetter wohl aussichtslos.“

„Warte ab, bis es sich gelegt hat“, riet Hasard. Als er sich umdrehte, um ebenfalls unter Deck zu gehen, sah er das Boot.

Es war ein größeres Fischerboot, das auf der Themse in den Sturm geraten war und jetzt zu kentern drohte, Drei Mann kämpften verzweifelt um ihr Leben.

Das Boot war zur Hälfte mit Wasser gefüllt, hing stark gekrängt zwischen den Wellen und schluckte den nächsten Brecher. Der brüllende Sturm trieb es auf das westliche Ufer zu.

In diesem Augenblick ging einer der Männer über Bord. Die beiden anderen waren nicht in der Lage, ihm zu helfen. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um sich selbst festzuhalten.

„Auch das noch“, sagte Al Conroy. „Entweder sind die Kerle tollkühn oder ganz einfach verrückt.“

„Oder sie sind vom Sturm überrascht worden und hatten gehofft, noch rechtzeitig nach Hause zu gelangen.“ Jeff Bowie sagte das und starrte mit offenem Mund auf das wie irrsinnig tanzende Boot.

Hasard überlegte fieberhaft; wie er den Männern helfen konnte. Die Jolle konnten sie nicht benutzen. Sie wäre ebenfalls umgeschlagen und hätte die eigene Besatzung in höchste Gefahr gebracht.

„Nehmt Taue und lange Leinen mit“, sagte er kurz entschlossen. Er mußte brüllen, weil der Sturm ihm die Worte von den Lippen riß. „Versucht es unten vom Ufer aus. Aber beeilt euch.“

Die Arwenacks handelten. Hasard ärgerte sich, weil sich auf einem anderen Schiff ganz in der Nähe, keine einzige Hand rührte, um Hilfe zu bringen. Ein paar Kerle standen auf dem Quarterdeck einer Galeone und sahen untätig zu, wie die Männer um ihr Leben kämpften. Sie stierten nur, aber sie unternahmen nichts.

In aller Eile schnappten sich die Arwenacks ein paar Leinen und rannten los.

Sie hörten die Fischer brüllen. Der eine, der über Bord gegangen war, verschwand gerade unter einem Brecher und streckte hilfesuchend die Arme aus. Der Brecher drückte ihn unter Wasser, und dann war er verschwunden.

Das Boot kenterte bei der nächsten Welle und begrub die beiden anderen Fischer unter sich.

Dan O’Flynn und Hasard langten als erste am Ufer an. Es hatte ganz den Anschein, als könnten die Kerle nicht schwimmen. Zwei tauchten wieder auf und versuchten, das kieloben treibende Boot zu erreichen. Von dem dritten Mann war jetzt die Hand zu sehen, die sich verzweifelt aus dem Wasser reckte.

Hasard schlang sich hastig eine Leine um die Hüften. Das andere Ende reichte er Big Old Shane.

„Du willst doch dort nicht hinein!“ brüllte Shane entsetzt. „Das ist der reinste Höllenschlund.“

„Halt den Tampen fest!“ schrie Hasard. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Noch bevor jemand etwas sagen konnte, stürzte sich der Seewolf mit einem wilden Sprung in die brodelnde und reißende Themse.

Big Old Shane fierte die Leine nach und sah schluckend, wie Hasard unterging und gleich wieder auftauchte. Er war oberhalb des Bootes ins Wasser gesprungen, um nicht zu weit abzutreiben.

Die beiden Fischer hatten jetzt das Boot erreicht. Sie schrien und brüllten und klammerten sich mit letzter Kraft fest.

Carberrys Versuch, eine Leine hinüberzuschleudern, schlug fehl. Der. Wind peitschte sie wie eine Schlange durch die Luft. Der Profos fluchte lauthals.

Von Hasard war kaum etwas zu sehen. Nur hin und wieder tauchten seine schwarzen Haare sekundenlang auf. Dann überrollte ihn der nächste Brecher.

Das Wasser war um diese Jahreszeit eisigkalt. Dazu kamen der orgelnde Sturm, der Schaum, der übers Wasser peitschte sowie das Heulen und Toben der Elemente. Um ihn her war ein Getöse, als brüllten tausend Höllenhunde in den höchsten Tönen. Er kämpfte sich vorwärts und sah für einen kurzen Moment das Boot mit den beiden völlig verängstigten Fischern. Nacktes Grauen stand in ihren Gesichtern – Todesangst, die sie erstarren ließ.

Eine Welle warf ihn an das Boot und drehte ihn um seine Achse. Der Anprall war bretthart und schüttelte ihn von oben bis unten durch.

„Haltet euch fest“, schrie er, „ihr treibt auf das Ufer zu! Sie werden euch Seile zuwerfen, aber klammert euch fest!“

Er wußte nicht, ob sie ihn verstanden hatten. Er sah sie nur in einer Wolke aus Schaum und Brechern verschwimmen. Verzweifelt hielt er nach dem dritten Mann Ausschau.

Da sah er wieder die Hand. Sie ragte wie die eines Toten aus dem Wasser.

Mit eisenhartem Griff packte er zu und hielt die Hand fest. Der Mann zappelte in wilder Todesangst und versuchte sich zu wehren. Er wußte nicht, was er tat, er war fast wahnsinnig vor Angst.

Der Seewolf spürte den kräftigen Ruck an der Leine. Er hatte jetzt den Ellenbogen des Fischers umklammert und faßte weiter zur Schulter nach, damit der Mann den Kopf aus dem Wasser kriegte. Big Old Shane zog die beiden Hand über Hand näher ans Ufer.

Inzwischen war es auch dem Profos und Dan gelungen, den beiden anderen Fischern Leinen zuzuwerfen. Alle beide klammerten sich verzweifelt daran fest.

„Na, dann haben wir die Kerlchen ja endlich“, brummte Carberry. „Hoffentlich lassen sie jetzt nicht los.“

„Die Kerle halten sich außerdem noch am Boot fest“, sagte Dan. „Zieh nicht so kräftig, Ed, sonst liegen sie wieder im Bach.“

Die Fischer, kräftig gebaute Kerle, hatten immer noch Angst. Einer hielt mit einer Hand die Leine fest, mit der anderen klammerte er sich ans Boot. Der andere hatte sich die Leine über die Schulter gelegt und hielt sich mit beiden Händen an den Planken fest. Für die Arwenacks war es schwierig, Boot und Fischer zugleich an Land zu ziehen.

Hasard befand sich inzwischen am Ufer. Er stand da und pumpte Luft in seine Lungen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Kerle von der Galeone untätig, aber interessiert zu ihnen blickten.

Der Fischer lag auf dem Boden und keuchte. Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten voller Entsetzen auf den brodelnden und reißenden Fluß, dem er gerade noch entkommen war. Er war unfähig, etwas zu sagen. Völlig erschöpft lag er da.

Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich um den Mann, bis er Wasser erbrach und fast erstickte.

„Bringt ihn an Bord“, sagte der Seewolf heiser. „Der Kerl ist fast ersoffen.“

„Du solltest auch schnell an Bord gehen, Sir“, riet der Kutscher. „Das Wasser ist verdammt kalt. Da kann man sich leicht etwas holen.“

„Das kurieren wir nachher mit schottischem Whisky.“

Der Sturm heulte und jaulte immer noch in den wildesten Tönen. Die Wogen der Themse rannten schäumend und donnernd gegen das Ufer an.

Als die nächste Welle das Boot erwischte, war der Stoß so hart, daß die beiden Fischer losließen. Sie fanden keinen Halt mehr.

„Na endlich“, knurrte Dan, „jetzt geht es leichter.“

Hand über Hand holten sie die beiden ebenfalls an Land, bis sie schnaufend und keuchend am Ufer waren.

Das Boot trieb weiter. Eine große Welle warf es etwas später umgedreht ans Ufer, wo es liegenblieb.

Sie brachten die Fischer an Bord, tauschten ihre nassen Plünnen gegen trockene und ließen sie ausruhen. Alle drei waren erschöpft, kraftlos und matt vom Kampf mit Sturm und Wellen.

Hasard hatte inzwischen ebenfalls seine Kleidung gewechselt. Der Profos reichte ihm grinsend den „Schottischen“.

Er gluckerte einen Streifen weg, spürte wie die Wärme in ihm hochstieg und reichte die Buddel weiter. Es dauerte nicht lange, dann war der Schottische gelenzt und eine zweite Buddel ging reihum.

Die Fischer bedankten sich.

„Ohne eure Hilfe wären wir jämmerlich ersoffen“, sagte der eine. „Wir können alle drei nicht schwimmen, haben es nie gelernt.“

„Vielleicht könnt ihr es ja noch nachholen“, entgegnete Hasard. „Es gibt immer wieder Situationen, in denen das Leben davon abhängt und niemand in der Nähe ist.“

Oben heulte und pfiff der Sturm sein wüstes Lied. In der Takelage knarrte und ächzte es. Wellen schlugen klatschend und donnernd an den Rumpf der Schebecke. Unter Deck aber war es gemütlich.

Die Fischer erzählten, daß der Sturm sie überrascht habe. Sie hätten noch versucht, ein Stück die Themse hinaufzugelangen, doch dann sei es plötzlich passiert.

„Eure Ausrüstung ist natürlich auch zum Teufel gegangen“, sagte der Seewolf. „Im Boot war jedenfalls nichts mehr.“

Die drei nickten bedrückt.

„Ja, alles fort. Wir haben nicht viele Fische gehabt, aber unsere Netze sind weg, und das ist bitter.“

Ben Brighton, der in jungen Jahren selbst einmal das harte Brot der Fischer verdient hatte, griff schweigend in die Tasche. Er brachte drei Goldmünzen zum Vorschein und drückte sie dem älteren Fischer in die Hand.

„Das – das können wir nicht annehmen, Herr“, stammelte der. „Ihr habt uns das Leben gerettet. Das ist mehr als man verlangen kann.“

„Ohne Netze kein Brot“, sagte Ben. „Mein Vater war selbst Fischer, ich weiß, wie mühsam das ist. Euer Boot hat sicherlich auch etwas abgekriegt. Ihr werdet es reparieren müssen.“

Edwin Carberry, der Kerl aus Eisen, bewies wieder einmal, daß er ein weiches Herz hatte. Als er in die Hosentasche griff, holte er eine mattschimmernde Perle hervor, die er dem Fischer vorsichtig in die Hand drückte.

„Eigentlich wollte ich die versaufen“, sagte er grinsend. „Aber bei dem Sturm ist ja nichts los in London. Nehmt sie noch dazu und kauft euch ein richtiges Boot. Mit eurer alten Schwarte ist ja doch nichts mehr los.“

„Ihr beschämt uns“, sagte der Ältere sehr verlegen.

„Jaja“, sagte der Profos trocken, „nun nuckelt mal noch einen kleinen Schottischen weg. Wer säuft, braucht sich nicht dauernd zu bedanken. Sonst kriegt er zuwenig in den Hals, was, wie?“

Eine Stunde später zogen die drei Kerle hochbeglückt ab. Sie konnten noch gar nicht fassen, was ihnen da widerfahren war.

Die Arwenacks sahen ihnen von Bord aus nach. Die Fischer winkten, bis sie um die nächste Ecke verschwunden waren.

„Mann, das wird ja schlimmer mit dem Sturm“, sagte Carberry. „Da drüben zerbläst er schon wieder ein Haus in Einzelteile.“

 

Neben ihm stand Old O’Flynn. Seine Haare flatterten wie eine Fahne im Wind. Er konnte kaum gerade stehen.

Schindeln und Holzlatten flogen durch die Luft. Die Bretter krachten in andere Häuser. Fensterläden knallten gegen Hauswände, und der Sturm drückte ein paar Scheiben ein. Selbst die Masten auf der Schebecke bogen sich unter dem Ansturm des wilden Gesellen. Auf der Galeone weiter achteraus kreischten die Rahen. Es hörte sich an, als gehe die Welt unter.

„Gehen wir wieder nach unten“, sagte Old O’Flynn. „Dort können wir ein bißchen klönen und den Rest des Tages gemütlich verbringen.“

Daraus wurde jedoch nichts mehr.

Old O’Flynn riß das Schott auf. Er hatte den Knauf noch in der Hand, als eine wilde Bö über die Decks der Schebecke tobte. Das Schott wurde mit Urgewalt aufgerissen. Es gab einen dumpfen Schlag, dem ein erstickter Schrei folgte.

Carberry wollte noch zugreifen. Es gelang nicht mehr. Das Schott knallte mit fürchterlicher Gewalt auf den Alten zu. Er hob noch geistesgegenwärtig die Hand und schob das Holzbein ein wenig vor.

Da krachte und splitterte es auch schon. Der „Admiral“, wie ihn seine Enkel immer nannten, flog wie eine Puppe über Deck und landete am Schanzkleid.

Carberry war mit einem Satz bei ihm und half ihm auf die Beine.

„Auch das noch“, murmelte er erschüttert. „Da wird sich Ferris aber wieder mal freuen.“

„Was ist denn los?“ fragte Donegal. „Mir ist das verdammte Schott an den Schädel geknallt.“

„Das war nicht dein Schädel, sondern dein Holzbein. Oder ist dein Schädel vielleicht aus Holz?“

„Ihr behauptet das jedenfalls.“

Als der Alte einen Schritt gehen wollte, rutschte er wieder aus. Aber Carberry hatte schon vorsorglich seinen Arm um seine Schulter gelegt.

Old O’Flynn sah an sich hinunter.

Sein Holzbein war durch den Anprall in Längsrichtung bis zum Knie aufgesplittert. Als er auftrat, brach der vordere Teil weg und lag jetzt wie ein langer Span an Deck. Der Sturm blies es weg und trug es spielerisch über Bord. O’Flynn blickte dem Überrest verdattert nach.

„Verdammt noch mal!“ brüllte er durch den Sturm. „Jetzt hat es der Teufel geholt! Und dabei war es beste englische Eiche. Jetzt kann ich wieder auf Krücken humpeln.“

„Wird wohl nicht zu ändern sein, wenigstens vorerst nicht. Aber du mußt ja immer für Beschäftigung sorgen, old Man.“

„Kann ich etwas dafür?“ ereiferte sich Old O’Flynn. „Das Mistding hätte genausogut an dein Amboßkinn fliegen können, und dann müßte Ferris dir eine Kinnprothese basteln.“

„Kinnprothese, so’n Quatsch“, sagte der Profos. „Das gibt’s auf der ganzen Welt nicht. Stütz dich jetzt auf meine Schulter, sonst landest du wieder irgendwo an einem Schott.“

Knurrig und verärgert, daß ihm wieder mal das Malheur mit dem Holzbein passiert war, stützte sich Old O’Flynn beim Profos auf.

Carberry befand sich gerade auf der ersten Stufe und zog das Genick ein, als hinter ihm das Schott zudonnerte. Er verzog das Gesicht, als sei ihm ein Siebzehnpfünder ins Kreuz gefahren.

Den Alten halb im Arm, flog der Profos die restlichen vier Stufen hinunter, und beide landeten fluchend auf den Dielen.

Die Arwenacks, die sich unten in dem Raum aufhielten, nahmen das zum Anlaß eines wilden Gelächters. Nur Carberry und Old Donegal fanden das überhaupt nicht lustig.

„Sein Holzbein ist wieder mal den Weg alles Irdischen gegangen“, sagte der Profos. „Wir sollten den alten Zausel am besten gleich ganz aus Holz schnitzen wie ’ne Galionsfigur, dann brauchen wir nicht dauernd Holzbeine anzufertigen.“

Wieder wurde leise gelacht.

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