Seewölfe - Piraten der Weltmeere 560

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 560
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-967-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Überfall im Morgengrauen

Als das Schiff aus der Nebelbank auftaucht, ist die Überraschung perfekt

Die Kneipe trug den sinnigen Namen „Pirilom koßti“, was soviel wie „Knochenbrecher“ bedeutete. Der Wirt selbst hatte sie in einem Anflug von Galgenhumor so genannt.

Im „Knochenbrecher“ verkehrten Fischer, Herumtreiber, Beutelschneider und hauptsächlich jene Kerle, die für den beziehungsreichen Namen gesorgt hatten: Zwei Dutzend Russen, die in regelmäßigen Abständen die Küstenorte überfielen und die kleineren Häfen terrorisierten.

Wenn sie hier in Varna, an der bulgarischen Schwarzmeer-Küste, auftauchten, war immer die Hölle los. Üble Schlägereien waren an der Tagesordnung, Plünderungen, und manchmal raubten sie auch ein paar Frauen.

Verschwanden sie dann wieder mit ihrer Dubas, dann atmeten die Leute erleichtert auf, selbst die ausgekochten und abgebrühten Türken, die das Land beherrschten.

Der einzige, der sich über ihren Besuch die Hände rieb, war der Wirt Mirko, denn die Kerle ließen immer viel Geld da …

Die Hauptpersonen des Romans:

Der Kutscher – Der Koch der Arwenacks ist der Anlaß, daß die ganze Crew auf Wildschweinjagd geht.

Edwin Carberry – Der Profos sieht sich unvermittelt zwei wütenden Keilern gegenüber und muß die Flucht antreten.

Igor Samoilow – hält sich für unbesiegbar und will mit den Arwenacks das Deck seiner Dubas aufwischen.

Broz – er ist der Steuermann von Samoilow und hat keine Nase mehr – dafür ist er um so tückischer.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf hat eine glorreiche Idee und setzt sie im Morgengrauen in die Tat um.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Varna, Bulgarien – Oktober 1597.

Vom Osten her blies ein kühler Wind über das Schwarze Meer. Die Fischerboote im Hafen schaukelten und zerrten an den Leinen, mit denen sie vertäut waren. Der Ostwind wühlte das Wasser auf und ließ kleine Wellen aufschäumen.

Die Kerle, die auf dem Weg zur Kneipe waren, juckte das nicht. Sie hatten ihre Dubas gut vertäut, außerdem waren ein paar Kerle an Bord zurückgeblieben.

Aus dem „Knochenbrecher“ war Lärm zu hören: Gesang und das schrille Kreischen und Kichern von Hafenhuren. Offenbar ging es da wieder einmal hoch her.

Der Kerl, der als erster auf die Schenke zusteuerte, grinste wie ein hungriger Wolf. Er war ein stiernackiger blonder Bulle mit wasserhellen Augen und einem groben Gesicht. Er war der Anführer der anderen Hitzköpfe und hieß Igor Samoilow.

Sein Name war an der Schwarzmeerküste berüchtigt. Sein Erscheinen jagte den meisten Menschen Angst und Schrecken ein. Das bezog sich auch auf seine Kerle, dreiundzwanzig an der Zahl, die für ihre Wildheit und Hitzköpfigkeit genauso berüchtigt waren.

Mit dem Stiefel stieß Samoilow die Tür zur Kneipe auf. Sie war aus Eiche, und als sie an die Wand donnerte, hörte es sich wie eine gewaltige Detonation an.

Breitbeinig grinsend stand der Russe dann im Türrahmen. Hinter ihm lauerten die Gesichter seiner Schnapphähne, die neugierig und lüstern in die Schenke spähten.

Ein Windstoß pfiff herein, der den Weindunst, den Biergeruch und die anderen üblen Düfte nach allen Seiten verteilte und auseinanderblies.

„Tür zu!“ brüllte ein Kerl von der Theke her.

„Halt’s Maul!“ schrie Samoilow grob. „Erst muß man ja mal drin sein, du Affe!“

Seine Kerle drängten jetzt nach. Der Brüller an der Theke schwieg verdattert, als er sah, wer sich da durch die Tür schob.

Da war ein Kerl dabei, dessen Visage einmal Bekanntschaft mit einem Türkensäbel geschlossen hatte. Die Klinge hatte ihm die Nase abgeschnippelt und zwar auf eine derart häßliche Art, daß man ihm fast in den Hals blicken konnte. Der Brüller zuckte zurück, als sich dieses furchterregende Monstrum an ihm vorbeischob und ihn dabei hart streifte.

Der Kerl blieb auch noch stehen, als erwarte er einen Protest. Als der nicht erfolgte, ging er achselzuckend weiter.

In der Kneipe wurde es still. Der Wirt, der mit einem schmierigen Lappen die schmierige Theke abwischte, hielt in dieser Tätigkeit inne und schluckte erst einmal. Erst dann rieb er weiter, und auf seinem knochigen Gesicht erschien ein beflissenes Grinsen.

Die Horde steuerte auf einen Tisch zu, an dem nur drei Zecher vor ihren Humpen saßen. Eine der Hafenhuren entfernte sich schweigend, als die Kerle vor dem Tisch standen.

Samoilow blickte die drei Zecher hinterhältig an. Dann räusperte er sich nachdrücklich und herausfordernd, wobei er die drei provozierend musterte.

Die Zecher, es waren Fischer mit harten Gesichtern, blickten finster in ihre Humpen. Sie verstanden die stumme Aufforderung, zu verschwinden, doch sie reagierten nicht. Mit unerschütterlicher Ruhe blieben sie am Tisch hocken.

„Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten“, sagte Samoilow. „Ihr könnt euch an einen anderen Tisch setzen. Oder ihr haut ganz einfach ab und verpißt euch aus dieser Kneipe.“

Die rumänischen Fischer waren rüde Umgangsformen gewohnt. Sie waren auch harte Kerle, alles was recht ist. Aber sie waren nur zu dritt, während ihnen fast ein Dutzend gegenüberstand.

Einer von ihnen blieb gelassen und ruhig. Die anderen kriegten kantige Gesichter und schmale Lippen. In ihren Augen begann es unheilvoll zu funkeln.

„Wir waren zuerst hier“, erklärte der Fischer kalt. „Also haben wir auch das Recht, an diesem Tisch zu sitzen. Außerdem sind wir Einheimische – und ihr nicht! Ihr dürft aber trotzdem Platz nehmen, der Tisch ist groß genug.“

Der Russe wurde von einem heiseren Lachen geschüttelt. Seine wulstigen Lippen verzogen sich, er stemmte die Fäuste in die Hüften. Seine unrasierten Kumpane grinsten amüsiert.

„Fischerknechte“, sagte Samoilow verächtlich. „Stinkende Bastarde, die mit vergammelten Fischen hausieren. Ihr stinkt hundert Werst gegen den Wind. Mit so was kann man doch nicht an einem Tisch sitzen.“

„Nachher stinken wir genauso“, sagte der Kerl, dem die Nase fehlte. Wenn er grinste, sah er aus wie ein Totenschädel.

Die Fischer wurden mit höhnischen Bemerkungen bis zur Weißglut gereizt. Es bereitete den Schnapphähnen Spaß, sie zu provozieren. Trotzdem blieben die Fischer sitzen. Der Wortführer von ihnen hob sogar noch seinen Humpen und trank, auch wenn ihm der Schluck fast im Hals steckenblieb.

Als er ihn wieder absetzte, spie Samoilow grinsend in den Humpen. Der Kerl ohne Nase prüfte gleichzeitig, ob das Bier kühl genug war, indem er die ganze Hand in einen anderen Humpen steckte. Und ein dritter Kerl warf den nächsten Humpen mit einem Fingerschnippen um. Die Brühe lief über den Tisch den Fischern auf die Hosen.

Der Wirt sah das anfangs mit grämlichen Blicken, aber dann zuckte er wieder mit den Schultern und tat so, als ginge ihn das nichts an.

Die drei Fischer sprangen wutentbrannt auf. Einer von ihnen griff mit einem mörderischen Blick zum Messer.

Samoilow schlug ihm von hinten die Faust mit einem gewaltigen Hieb auf den Schädel. Mit der anderen schlug er sofort nach.

Der Rumäne sackte zusammen. Sein Kopf fiel auf die Tischplatte, von der die Brühe floß. Seine Augen wurden glasig, als er halb zur Seite kippte.

Die beiden anderen waren noch nicht richtig hoch, als auch schon von allen Seiten Fäuste auf sie zuflogen. Nicht einen einzigen Schlag konnten sie anbringen. Unter den harten Fäusten sackten sie augenblicklich zu Boden.

Samoilow gab dem einen Fischer einen Stoß mit dem Ellenbogen, bis auch er vom Tisch sackte und auf den Dielen liegenblieb.

„Warum nicht gleich so?“ fragte der stiernackige Bulle. Seine wasserhellen Augen musterten die anderen Zecher. „Hat vielleicht jemand etwas dagegen einzuwenden?“

Augenpaare wandten sich ab. Selbst ein paar robust aussehende Kerle blickten verlegen zu Boden und taten so, als hätten sie nichts gehört und nichts gesehen.

„Schmeißt die Kerle vor die Tür!“ befahl Samoilow. „Und du, Freundchen“, wandte er sich mit lauter Stimme an den Wirt, „bringst uns ganz schnell etwas zu schlucken. Schwing die Hufe, Junge!“

Die Angst vor diesen Rüpeln beflügelte auch den Wirt. Verlegen grinsend sah er zu, wie die Kerle sich die Fischer schnappten, über die Dielen zur Tür zerrten und sie hinauswarfen. Dann kehrten sie händereibend zurück und nahmen an dem Tisch Platz.

 

Ein paar Augenblicke herrschte noch Schweigen in der Pinte, dann setzte das Gemurmel langsam wieder ein. Es verstummte jedoch sofort, als der blonde Bulle sich erhob und die anderen ansah. Seine Blicke waren begehrlich auf die Frauenzimmer gerichtet.

Aber die waren nicht mehr allein und hatten schon ihre Freier. Den Stiernackigen störte das jedoch nicht. Er zeigte auf eine dunkelhaarige Frau mit langen schwarzen Haaren und winkte sie mit dem gekrümmten Zeigefinger heran.

„Du da“, sagte er laut, „du gefällst mir. Wie heißt du?“

„Joschika“, sagte die Schwarze leise.

„Ein schöner Name. Setz dich zu mir.“

Die Schwarze erhob sich zögernd. Der Freier, der neben ihr saß, legte seinen Arm um sie, als wollte er sie nicht hergeben, aber er zog ihn schnell wieder zurück, als Samoilow zwei Schritte in seine Richtung tat und die Augen zusammenkniff.

„Du wirst doch wohl nichts dagegen haben, du Würstchen?“ erkundigte sich der Russe gefährlich leise.

Der Freier kannte diese Kerle zur Genüge, die nur erschienen, um zu saufen und Streit anzufangen. Er hatte schon einmal von ihnen Senge bezogen, und so zog er verschüchtert das Genick ein.

„Aber nein doch, nicht doch – äh …“

„Braves Schaf“, sagte nickend der Russe. Er deutete mit dem Daumen auf seine Kumpane und dann in die Runde. „Wenn ihr auch Weiber haben wollt – da sitzen noch mehr. Aber seid anständig und fragt höflich und in aller Form, so wie ich das immer tue. Es könnte ja sein, daß einer der Herren nicht einverstanden ist.“

Die Kerle hieben sich auf die Schenkel und grölten. Es bereitete ihnen höllischen Spaß, den anderen die Frauenzimmer wegzunehmen. Keiner traute sich an sie heran, und so fühlten sie sich als die absoluten Herren im „Knochenbrecher“.

An der „heiteren“ Stimmung änderte sich auch nichts, als zwei Stunden später eine türkische Patrouille hereinschaute.

Es waren drei Männer, die die Tür aufstießen und in die Kneipe blickten. Da waren die meisten Zecher schon stark angetrunken, und das Gegröle und Gebrüll war immer lauter geworden.

Ein türkischer Hauptmann musterte die Galgenvögel um Samoilow einen nach dem anderen, bis der Anführer grinsend aufstand.

„Ah, die Efendis“, höhnte Samoilow. „Mit wie vielen Efendis seid ihr denn heute auf Patrouille?“

Das Gesicht des Hauptmannes war verkniffen. Er war mit dieser Bande von Galgenstricken schon mehrmals aneinandergeraten. Dabei hatten sich seine Leute meist blutige Nasen geholt. Viel anders würde es heute auch nicht werden, wenn der Russe wieder Stunk anfing.

„Vier Mann“, sagte er und verkniff das Gesicht noch mehr.

„Schaut doch mal wieder rein, wenn ihr zwölf seid oder mehr“, riet Samoilow höhnisch. „Bei vier Efendis lohnt sich der Aufwand nicht. Broz frißt euch ja ganz allein.“ Er deutete auf den Kerl ohne Nase, der einen gewaltigen Haß auf die Türken hatte. Der Totenkopf rollte furchterregend mit den Augen.

Der Hauptmann hatte zwar die Hand am Säbel, aber ein Held war er auch nicht. Sie waren nur eine Handvoll Männer in Varna, aber sie kamen gegen die Russen nicht an.

Er schoß einen feindseligen Blick ab, nickte seinen Männern kurz zu und donnerte hinter sich die Tür ins Schloß.

Brüllendes Gelächter begleitete den Abgang der Türken. Diesmal brüllten sogar die Rumänen mit, denn sie waren auf die Türken ebenfalls nicht gut zu sprechen.

Die wilde Orgie ging weiter bis zum nächsten Morgen. Aber da bestand die Inneneinrichtung der Kneipe fast nur noch aus einem Trümmerhaufen. Samoilow hatte wieder mal gründliche Arbeit geleistet.

2.

Bei den Arwenacks ging es wieder nach Süden.

Constanta lag hinter ihnen, und damit auch der vermeintliche Griechen-Schatz, der sich als Schlag ins Wasser entpuppt hatte.

„Jetzt geht es wieder nach Süden“, sagte Old O’Flynn, „und dann wird es auch nicht mehr lange dauern, bis wir diesen Ententeich gerundet haben. Mann, was bin ich froh, wenn wir erst wieder im Mittelmeer sind.“

Der Decksälteste Smoky dämpfte seinen Eifer.

„Erstens einmal kannst du das Schwarze Meer nun wirklich nicht als Ententeich bezeichnen, Donegal, und zweitens ist das mit dem Mittelmeer immer noch so eine Sache. Bis jetzt weiß kein Mensch, ob es da einen Durchlaß gibt.“

„Aber ich weiß das“, behauptete Old Donegal. „Ich habe nämlich davon geträumt. Da war so eine Art Kanal, und ehe wir’s uns recht versahen, sind wir da auch schon durchgeflutscht.“

„Wie ein Aal, was?“ Smoky grinste breit.

„So ähnlich. Es ging jedenfalls schwuppdiwupp.“

Auf der Dubas war „Klönstunde“, jene Zeit, in der es nicht viel zu tun, aber viel zu reden gab. Und so klönten sie jetzt und sprachen über den Weg, der ins Mittelmeer führen sollte. Über den hatten sie sich in letzter Zeit ohnehin die Mäuler fransig geredet.

„Träume sind Schäume“, sagte der Profos, der ziemlich gelangweilt zuhörte. „Außerdem flutscht kein Schiff, und mir ist auch keins bekannt, das schwuppdiwupp mal so eben von einem Meer ins andere flutscht. Stuß ist das Gelaber.“

Old O’Flynn setzte nachdrücklich sein Holzbein auf die Planken. Bei der Eichenbeplankung der Dubas gab das einen dumpfen Ton. Der Profos drehte sich irritiert um.

„Was war das?“

„Mein Holzbein war das, und das besagte punktum und paletti. Ich habe das jedenfalls geträumt, und sehr oft haben sich meine Träume bewahrheitet. Das war schon auf der alten ‚Empress‘ so, und auf dieser Dubas ist es genauso. Wir finden den Weg.“

„Amen und silentium“, sagte der Profos. „Jetzt geht das wieder mit dem alten Pesteimer los, auf dem Gottvater Old O’Flynn über alle Weltmeere geflutscht und geschwuppdiwuppt ist.“

Die Arwenacks grinsten. Der Profos schien heute etwas grummelig zu sein, oder er ärgerte sich über Donegals Träume. Den Alten focht das jedoch nicht an, er war – im Gegensatz zu Ed – recht guter Laune und voller Zuversicht, daß sie den Weg fanden.

„Ha, Pesteimer“, sagte er verächtlich. „Bei uns wurde die Pest mit Rum bekämpft. Da soff jeder am Tag eine Buddel, und alle blieben gesund und munter. Da war die Pest so weit weg wie der Mond. Nach so einer Buddel habe ich nicht einmal gemerkt, daß mich ein Köter gebissen hatte.“

„Wo hat er dich denn gebissen?“ fragte Smoky.

„Na, ins Bein natürlich. Meist beißen die Köter dahin, weil das am besten zu erreichen ist.“

„Wenn du das nicht gemerkt hast“, sagte Carberry sarkastisch, „dann wundert mich das keineswegs. Entweder warst du besoffen, oder die Töle hat in dein Holzbein gebissen.“

Old O’Flynn nickte tiefsinnig.

„Genau, der Köter hat in mein Holzbein gebissen.“

„Und was ist daran so komisch?“ fragte der Profos verdrossen.

„Das ist eine lange Geschichte. Damals hatte ein fürchterlicher Sturm gerade die beiden Beiboote der ‚Empress of Sea‘ zerschlagen, und genau zu diesem Zeitpunkt biß mich der Köter ins Holzbein. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden schwoll es an, immer mehr, immer stärker, bis ich nicht mehr laufen konnte. Es schwoll so dick an, daß sie mich der Schiffslänge nach an Deck legen mußten. Der Feldscher konnte mir nicht mehr helfen, er war hilflos. Aber zum Glück hatten wir noch den Schiffszimmermann. Der hat dann Bretter und Planken aus dem Holzbein geschnitten, und das reichte genau aus, um daraus zwei neue Beiboote zu bauen. Danach war alles wieder normal, ja, so war das damals auf dem Schiff, das du als Pesteimer bezeichnet hast.“

Edwin Carberry erstickte fast an seinem Hustenanfall. Er schluckte hart und mußte erneut husten, bis er knallrot anlief.

„Um Himmels willen“, stöhnte er entgeistert. „Jetzt kommt aber Nebel auf, mein lieber Mann. Hat die Welt denn so etwas schon mal gehört?“

Smoky starrte den Alten ganz verdattert an. Paddy Rogers, der neben ihm stand, hielt den Mund geöffnet und blickte auf Donegals Holzbein.

Der Kutscher seufzte nur entsagungsvoll.

„Das ist doch wohl nicht möglich“, sagte Smoky voller Zweifel. „Wie kann ein Holzbein denn durch einen Biß anschwellen?“

„Ja, die Erklärung würde ich auch gern hören“, höhnte der Profos. „Aber da hat er natürlich keine, weil er wieder mal das Blaue vom Himmel heruntermogelt.“

Das alte Schlitzohr O’Flynn ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er grinste reichlich überlegen.

„Ist doch ganz klar“, stöhnte er, „geradezu logisch. Durch den Biß dringt Feuchtigkeit ins Holz, und wenn Holz feucht wird, dann fängt es an zu quellen, oder?“

Ein paar Arwenacks nickten zustimmend. Carberrys höhnisches Grinsen erstarrte so langsam und wurde zur Grimasse.

„Na also, so quoll es immer mehr auf. Was gibt’s daran zu zweifeln, ihr Töpfer? Wenn ihr das mit dem Holz nicht glaubt, dann könnt ihr ja Ferris fragen, der wird gern bestätigen, daß feuchtes Holz nach einer Weile quillt.“

„Kann ich bestätigen“, sagte Ferris, „das weiß schließlich jeder Dackel. Nur an dem Umfang scheiden sich die Geister. Aber auf der braven ‚Empress‘ war ja schließlich alles möglich.“

„Schade, daß es nicht noch für einen Mast gelangt hat“, bedauerte Carberry lebhaft. „Der hätte dir dann auf die Birne fallen müssen.“

Old O’Flynn grinste wie ein Faun. Da hatte er den Kerlen wieder mal eine feine Geschichte aufgetischt!

Carberry, der sich mächtig verschaukelt fühlte, wandte O’Flynn demonstrativ den Rücken zu und betrachtete angelegentlich die Küste, die etwa eine Meile entfernt war.

Die Dubas segelte auf Südkurs fast raumschots und lief gute Fahrt.

Hin und wieder war an Land ein schmaler heller Sandstreifen zu sehen. Dahinter begann Wald, der mit niedrigen Vegetationszonen abwechselte. Dann wieder tauchten kleine Wäldchen voller Olivenbäume auf.

Einmal entdeckten sie dicht am Wald ein Rudel Wildschweine. Ein gewaltiger Keiler mit mächtigen Hauern wühlte in einer Schlammsuhle, umgeben von vier Sauen mit mehr als zwanzig Frischlingen.

Der Abstand zur Küste hatte sich verringert. Sie waren nur noch drei, vier Kabellängen entfernt, weil an Backbord immer wieder dunkle Schatten aus dem Wasser wuchsen, die auf Untiefen deuteten.

Big Old Shane lief das Wasser im Mund zusammen, als er die Wildschweine sah. Er fuhr sich grinsend mit der Hand durch seinen dichten grauen Bart.

„Das wäre mal was für uns“, sagte er lüstern. „Vor Anker gehen und eine kleine Sauhatz veranstalten. Dazu ein Lagerfeuer mit gebratenem Wildschwein und süffigem Bier.“ Er geriet richtig ins Schwärmen, der Ex-Schmied von Arwenack. „Das gab es früher auf der Feste Arwenack“, erzählte er, „beim alten Killigrew. Sie tafelten, daß sich die Tische bogen.“

Shanes Erzählung und sein lüsterner Blick auf die Wildschweine wirkten auf die anderen ansteckend. Selbst auf den Kutscher, der nach Profos-Art die Arme in die Hüften stemmte und ebenfalls interessiert und neugierig zum Land blickte.

Dort tauchten immer mehr Wildschweine auf, ganze Rudel trieben sich da herum.

„Ja, das wäre was“, sagte er begeistert. „So ein paar Schweinchen, die sich am Spieß drehen, schön knusprig und kroß sind, mit einer herrlicher Soße dazu, vielleicht einer Cumberlandsoße, die sich zu Wild ganz besonders eignet.“

Big Old Shane schluckte ganz unbewußt.

„Das hört sich gut an“, sagte er heiser. „Was ist denn eine Cumberlandsoße?“

„Die gab es bei Doc Freemont zu Wild oder Geflügel. Dazu braucht man Marmeladengelee, ein bißchen Senf, ein bißchen Rotwein, eine feingehackte Zitronenschale und …“

„Haben wir doch alles an Bord“, warf Shane ein, der in Gedanken bereits vor einem Wildschweinbraten mit Cumberlandsoße hockte und kräftig die Zähne reinhieb.

„Bloß die Wildschweine nicht“, sagte der Kutscher betrübt. „Die laufen da draußen rum und suhlen sich im Dreck.“

„Könnten sich bei mir im Magen viel besser suhlen“, sagte Shane. Der sonst so ruhige Mann sah heute aus wie ein hungriger Wolf. Und als der Kutscher dann noch von Koriandersoße, Pilzen und Bohnen sprach, da begann sein Magen hörbar zu knurren.

Inzwischen hatten die Kerle alle hungrige Augen und stierten so intensiv zum Land, als wollten sie die Wildschweine herbeizaubern.

Paddy Rogers war schon ganz krank. Er leckte sich über die Lippen, schluckte und hing mit gierigen Blicken an des Kutschers Lippen, als der das alles so richtig ausmalte.

Die Kerle stöhnten verzückt.

 

Der Profos blies die Backen auf und kriegte ebenfalls prompt Hunger.

Die Kunde von dem leider noch imaginären Essen verbreitete sich im Nu bis zum Achterdeck der Dubas. Sofort kam auch Old O’Flynn angehumpelt und verklarte den Mannen, daß Wildschwein am Spieß das Größte sei, außer vielleicht noch eine fette Gans, für die er ganz besondere Vorliebe hegte, mit Rotkraut und so. Aber da es hier keine Gänse gab, war Wildschwein vielleicht noch besser.

Auf dem Achterdeck konnte Hasard sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. Er wollte es auch gar nicht, er staunte nur über die Kerle, die wieder mal ganz aus dem Häuschen waren, seit Shane die Wildschweine gesichtet und davon geschwärmt hatte.

Er blickte Don Juan an, dann Ben Brighton und schließlich Dan O’Flynn und stellte zu seinem Erstaunen fest, daß die auch plötzlich den hungrigen und schwärmerischen Blick drauf hatten. O’Flynn griff sogar zum Spektiv, um die Suhler besser betrachten zu können. Anschließend stieß er einen begeisterten Pfiff aus.

„Man könnte glauben“, sagte Hasard bedächtig, „daß am Strand hundert aufregende Ladys versammelt seien, so sehnsüchtig stiert ihr hinüber.“

„Der Kutscher hat gesagt, was er alles tun würde, wenn wir …“

„Ich weiß, ich höre verdammt gut, und ich weiß auch, daß ihr jetzt nichts anderes mehr im Sinn habt, als auf Sauhatz zu gehen. Wenn wir dort jedoch ankern und an Land gehen, werden wir bestenfalls noch die Spuren der Wildschweine sehen, weil sie dann nämlich längst verschwunden sind. Es hat keinen Zweck.“

„Dann müssen wir meutern“, sagte der Profos düster. „Wir haben sowieso schon lange nicht mehr gemeutert. Wir müssen dich dann leider deines Postens entheben und absetzen, Sir.“

„Ich ahnte es“, sagte Hasard, „das ist ja die Tragik. Jetzt wird schon wegen einer Wildsau gemeutert. Zeiten sind das!“

„Gut“, sagte Carberry. „Ich bin der Profos, und ich sage, daß wir die Schiffsführung gefangennehmen und absetzen. Hoch lebe die Meuterei!“

Paddy Rogers musterte den Profos von der Seite ganz entsetzt.

„Ist das dein Ernst, Mister Profos?“ fragte er verstört. „Oder, oder soll das nur so’n komischer Scherz sein? Wir können doch nicht so einfach meutern.“

„Klar können wir das!“ Mac Pellew kicherte, zog ein ungewöhnlich langes und spitzes Messer aus dem Hosenbund und blickte sich mit grimmigem Gesicht um. „Hiermit wird gemeutert. Das nennt man auch Bestechung, verstehst du?“

Paddy Rogers verstand gar nichts mehr. Er war sehr im Zweifel. Aber die anderen verstanden auch Mac Pellew nicht.

„Was ist denn mit dir los?“ fragte der Profos. „Seit wann hast du denn Humor?“

„Seit gemeutert wird“, sagte Mac und grinste wild. „Ich will endlich auch zu Ruhm und Reichtum gelangen, und deshalb meutere ich mit.“

Erst das dröhnende Gelächter schreckte Paddy wieder hoch. Sehr erleichtert sah er sich um, daß nun doch nichts aus der Meuterei wurde.

Der Seewolf blickte den Kutscher an und lächelte knapp.

„Und du bringst tatsächlich eine Cumberlandsoße zustande?“ erkundigte er sich.

„Mein Wort darauf, Sir, auch eine Koriandersoße. Wir haben ja alle Zutaten an Bord, auch die erforderlichen Gewürze. Wir werden die Schweinchen in ein Speckhemd wickeln und sie schön saftig und kroß brutzeln. Ein Humpen Rotwein würde den kulinarischen Genuß noch beträchtlich verschönen. Dazu vielleicht ein paar feine Pilze, die es in den Wäldern sicher zu finden gibt.“

Hasard stellte sich die Szene ebenfalls bereits vor. Der Kutscher verstand es ausgezeichnet, Appetit zu erregen.

Warum eigentlich nicht? überlegte er. Weit und breit war keine Ansiedlung und kein Mensch zu sehen. Sie würden niemanden stören und konnten in aller Ruhe …

„Wir segeln zum Land“, sagte er, „vorausgesetzt, daß keiner dagegen Einwendungen hat. Vielleicht mögen einige ja kein Wildschwein.“

Augenzwinkernd sah er in die Runde, aber da blaffte der Profos schon den Rudergänger Pete Ballie an.

„Hast du nicht gehört, was der Kapitän befohlen hat, du Keiler? Ab zum Land, aber sofort!“

Pete Ballie riß mit seinen großen Flossen fast die Ruderpinne ab, so eilig hatte er es plötzlich.

Ein eventueller Zuschauer hätte sich jetzt vielleicht gewundert oder wäre zumindest erstaunt gewesen.

Da lehnten doch tatsächlich an die drei Dutzend Kerle am Schanzkleid und hatten einen Hunger in den Augen, als beabsichtigten sie, das ganze Land zu fressen.

Etwas Ähnliches mochten auch die Wildschweine spüren. Da rückte eine freßsüchtige Horde an, die es auf sie abgesehen hatte. Der große Keiler hatte den Schädel gesenkt und grunzte einmal laut. Dabei scharrte er wie ein wütender Bulle im Sand.

Anschließend stob die ganze Saufamilie in die Wälder.

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