Keine Nachricht für Schroeder

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Keine Nachricht für Schroeder
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Keine
Nachricht
für
Schroeder

von Fred Feining

Keine Nachricht für Schroeder

Zwanzig Jahre lang hat Schroeder in Spanien gelebt. Als dort die Beziehung mit seiner Lebensgefährtin zerbricht, beschließt er nach Deutschland zurückzukehren. Inzwischen Mitte fünfzig, lässt er sich in der Stadt seiner Studentenzeit, in Berlin, nieder.

Mehr und mehr erfolglos in seinem eigentlichen Beruf als Reisejournalist, schaut er sich nach Arbeit um. Er hofft, trotz seines Alters, einen passablen Job zu finden, der ihm ein Auskommen in der Hauptstadt sichert. Nicht nur die allgemeinen Verhältnisse findet er nach seiner Rückkehr in der Heimat verändert vor, auch hinter den wenigen Job Angeboten verbergen sich für ihn neue, unbekannte Welten.

Neben der mühevollen Suche nach einem Job, gelingt es Schroeder nur schwer sich in ein neues Leben einzurichten. Eine ehrenamtliche Tätigkeit scheitert genauso, wie die Etablierung einer Beziehung zu seiner alten Freundin Carola. Mit jedem Tag verliert Schroeder Hoffnung und Glauben an eine Wende seiner Situation.

Bis sich eines Tages das Blatt wendet.

Alle hier genannten Personen, Namen, Handlungen und Geschehnisse sind frei erfunden. Übereinstimmungen mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Impressum

Keine Nachricht für Schroeder

Fred Feining

Copyright © 2013 Fred Feining

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6223-0

Die Rückkehr

Niemand hatte ihn erwartet. Er zog die Schultern ein, die Novemberkälte kroch durch die dünne Jacke. Er besaß keine Winterkleidung. Nur diese Jacke aus dem spanischen Sommer. Der schien Jahre zurück zu liegen. Dabei hatte er noch vor einem halben Tag auf einer Terrasse am Hafen von Barcelona gefrühstückt. Schroeder war zurückgekehrt. Wieder in Berlin.

Unerwartet schnell fand er eine Wohnung in Kreuzberg. Dort lag er einstweilen auf dem neuen Bett, erwartete den Anruf der Spedition, die ihm die Umzugskartons aus Spanien bringen würde.

Schon einmal hatte er in Kreuzberg gelebt, damals, vor dreißig Jahren. Studienzeit, Marketing und Werbung standen auf dem Plan. Kreuzberg war das richtige Pflaster für einen wie Schroeder, der an der Küste groß geworden war: laut, aufregend, ungeregelt, billig und Party ohne Ende. Anarchische Zeiten für einen Jungen vom Lande.

Einen Moment lang empfand er die Rückkehr zum Ort der Studentenzeit als Schmach. Inzwischen hatte er die Welt gesehen, auf dem Fahrrad die Golden Gate Bridge passiert, sich über Anden und durch Amazonas Urwald geschlagen und den Ayers Rock in der Rekordzeit von 32 Minuten bestiegen.

Nun Kreuzberg. Dreißig Jahre älter, mittellos wie ein Student, die alten Freunde irgendwo anders, nur nicht hier.

Dann, in einem Moment des Wohlbefindens fragte er sich, hatte er wirklich einen Schritt zurück getan? Er kam zu dem beruhigenden Schluss: Es würde nur eine Übergangsphase werden. Noch einmal ein paar Jahre Geld verdienen, danach wieder Dampf aufmachen und zurück in den Süden!

Wenn er es genau betrachtete, Berlin schien ihm sogar günstiger als anderswo, um mit Reisereportagen noch einmal herauszukommen. Stoff hatte er genug, und Zeitungs- und Magazinverlage waren nun in Telefonreichweite. Die Stadt war Medienhauptstadt geworden. Ein Heimspiel, würde es werden, und er sortierte die Gedanken für Zukünftiges.

Nun lebte er auf einem Hinterhof, im dritten Stock eines Seitenflügels. Zur Linken gab es jeweils zwei Fenster pro Stockwerk, dazwischen lagen die Milchglasfenster eines Treppenhauses. Rechts von ihm das Gleiche. Dort hatte er den angeschnittenen Einblick in eine Wohnung. Es standen nur Bücher an den Wänden. Einem Treppenhausgerücht zufolge wohnte dort ein Dichter. Der ward allerdings nie gesehen.

Anders gegenüber. Genau auf seiner Höhe, lebte ein älterer Mann mit einem Jungen. Manchmal sah er beide in der Küche hantierten. Schroeder empfand Bedauern. Der Alte war offensichtlich einer jener allein erziehenden Väter, die ihren Sprösslingen Kochen, den Start ins Leben beibringen und deren Handygebühren zahlen mussten.

Darunter, im zweiten Stock, wurde es interessanter. Auch dort hatte er Einblick in eine Küche. IKEA, auf ganzer Linie. Schnörkellose Ordnung. Praktisch, und alles super aufgeräumt. Wenn nicht gekocht wurde, lagen weiße Schutzabdeckungen auf den Herdplatten. In einer Ecke leuchtete eine Flasche Rotwein. Als sei sie vergessen worden, war sie dort als roter Leuchtturm zu sehen. Es gab einen mit einer Patrone betriebenen Sprudelzubereiter. Eine Kaffeemaschine, Typ schwedischer Druckkaffee. Eine Schale, gefüllt mit Obst. Ein Topf mit etwas Grünem darin. Wahrscheinlich Basilikum. Das gab es jetzt in allen Haushalten, war Schroeder aufgefallen. Seit dem die Deutschen im Urlaub in südlichen Gefilden auf den Geschmack gekommen waren und die Fernsehkochs der Nation so taten, als sei ihnen die Entdeckung des Jahrhunderts geglückt, wurde Basilikum auch bei Lidl in Plastiktöpfen verkauft. Das täuschte Mittelmeerambiente vor, bis die Pflanzen die trüben Tage Berlins nicht mehr aushielten und die Köpfe hängen ließen.

Dann war da noch ein Brett zu sehen, ein Brotmesser lag daneben. Es strahlte nur so von hygienischem Glanz. Der General von Procter und Gamble hätte seine Freude daran gehabt.

In diesem Strahlen tauchte mitunter eine junge Frau auf. Er konnte sie nur von oben schräg sehen, bis zur Hüfte. Den Rest schnitt die schräge Perspektive ab. Die Frau war eher dünn und kam ihm sehr blass vor. Meistens trug sie einen farbig geringelten Pulli, der die bescheidenen Maße ihres Oberkörpers betonte. Sie hatte halblange, blonde Haare. Er würde sie Zebra nennen. Wegen des Ringelpullis.

Das Gesicht dieser Frau sah er nie. Stets schaute sie nach unten, war beschäftigt mit der Zubereitung eines Müslis oder dem Schnitzeln von Karotten. Nicht dass sie einmal hoch schaute, dabei mit geschürzten Lippen die Haare aus dem Gesicht zu blasen. Auch nicht, dass sie sich einmal reckte, aus dem Fenster schaute oder sogar zu ihm, Schroeder, den Blick nach oben richtete! Nichts da. Ihr gesenkter Blick eilte zwischen Kochtopf und einem auf der Anrichte aufgeschlagenen Kochbuch hin und her. Ein einziges Mal nur sah er eine Person in ihrer Umgebung. Sie kam ihm vor wie eine Waise, eine von aller Welt Vergessene.

Die ersten Wochen in Berlin, damals. U-Bahnlinien studierend, Großstadtleben, Vorbeieilende Menschen. Busfahrergeraunze. Telefonloses Leben. Einsame Diskobesuche und noch einsamere Heimkehr. Dosensuppen, die einen zum Schwitzen brachten. Studienkollegen, die ihn belächelten, weil er nicht rechtzeitig in die geteilte Hauptstadt gekommen war um den Militärdienst zu vermeiden. Ho Chi Minh war keine tropische Frucht, sondern Straßenprogramm. Erste Berlinliebe. Claudia machte das Leben hell und Liebe nur im Dunkeln. Der erste Tripper erschreckte den Jungen vom Lande.

Schroeders Wohnung war hell, trotz Hinterhoflage. Der Fußboden abgezogen, der einzige Hinweis auf die derzeitige Mode Erscheinung. Dabei waren die Dielen nur aus billigem, mit zahlreichen Ästen durchsetztem Kiefernholz. Darin hatten einst Würmer ihre weit verzweigten Jagdgründe angelegt.

In seinem Treppenaufgang gab es noch drei andere Wohnungen. Als er sich bei den Mitmietern vorstellen wollte, traf er nur auf einen mürrisch wirkenden Alten im Parterre. Nach guter Berliner Art duzte er Schroeder von Anfang an und Schroeder, sich noch immer viel auf gute Manieren einbildend, stimmte nur zögerlich mit ein.

Riedemeier lebte alleine, hatte jedoch eine 35 Jahre jüngere, schwachsinnige Freundin. Er war bemüht sie unter Verschluss zu halten. Auf der Straße ging er wie ein Orientale stets vor diesem armen, ihm ausgelieferten Geschöpf. Gerade so, als würde es nicht dazugehören. Er verließ schon um sechs Uhr das Haus – wat denkste denn, bin mein janzet Leben früh uffjestannen - machte seinen Rundgang, um gegen neun zurückzukehren.

Just in dem Moment, wenn Schroeder aus der Wohnung trat. „Biste ooch schon uff!“, wurde er bei dieser Gelegenheit von Riedemeier angefahren, und dann standen beide noch eine Weile zusammen. Riedemeier erzählte wie immer die Geschichte, wie er vor elf Jahren in diesen, von einem Alkoholiker und dem Geliebten der Hauswartsfrau bewohnten Seitenflügel gezogen, weil seine frühere Wohnung „diesen Scheiß Nachwendespekulanten“ zum Opfer gefallen war.

Schroeder hatte einen anderen Weg als Riedemeier. Es lag ihm wenig an seinem lauten Nachbarn und manchmal wechselte er die Straßenseite, wenn er diesen von Ferne entgegenkommen sah. Zum Glück war Riedemeier kurzsichtig, so dass er Schroeders Ausweichen nicht bemerkte.

Nur einmal fühlte sich Schroeder verpflichtet, sich um den Mann zu kümmern. Als der nämlich für längere Zeit unsichtbar war, klingelte Schroeder an dessen Tür. Vielleicht lag der inzwischen mit offenem Mund auf dem Küchenfußboden? Nach mehrmaligem Klingeln, die schlimmsten Befürchtungen schienen sich schon zu bewahrheiten, brüllte Riedemeier von innen: „Mensch, wer is denn da?“ – „Dein Nachbar!“ war die Antwort, und Riedemeier schrie zurück, dass er keinen Nachbarn habe. Damit war immerhin klar, dass er noch lebte und Schroeder konnte beruhigt zurücktreten.

Während also der eine in die billigen Kaffeestuben rund um den Hermannplatz wanderte, zog es Schroeder an den Landwehrkanal. Dort ging er zu einem türkischen Bäcker jenseits der Admiralsbrücke und kehrte nach kurzem Spaziergang zurück, die Tüte mit duftenden,

warmen Brötchen unter dem Arm.

Morgens saßen wenige Leute auf dem Gras rund um den Kanal. Zu dieser Stunde roch es noch nicht nach Haschisch. Die Jungs, die sich später an Bongos und exotischen Schlaginstrumenten versuchen würden, schliefen noch. Nur ein paar Jogger zogen ihre Kreise. Auch die Hundehalter waren schon unterwegs. Aus dem Grün frühlingshaften Grases ragten zahlreich die braunen Kegel frischer Hundescheiße. Ein gigantisches Freiluft Scheißhaus, und immer wenn Schroeder jemand mit einem Hund an der Leine entgegen kam, fluchte er murmelnd „Scheißköter“.

 

Neu war auch, dass einige Leute den scheißenden Hunden den Kampf ansagten. In den Straßen, besonders in den Fenstern der Cafés, klebten Schilder: „Hundebesitzer, achten Sie darauf, dass Ihre Hunde ihr Geschäft nicht auf dem Gehsteig erledigen!“ Mit diesem Begriff aus der Kaufmannssprache umschrieb man, wenn sich ein Hund in die Hocke begab, mit unschuldigem Blick und unter Verdrehungen des Rückgrates die Verdauungsrückstände von Schappi und Brekkies abdrückte.

Die ersten Tage durchwanderte Schroeder die Straßen, fand einiges, das er noch nicht kannte. Das Kino gegenüber der Wohnung, wo er früher gelebt hatte, war jetzt ein Teppichladen. Der Landwehrkanal, so schien ihm, war nun ein einladender Fluss. Wegen der vielen Sonnenbadenden am Ufer. Das war ihm früher nicht aufgefallen.

Seit seinen Studienjahren hatte sich die türkische Bevölkerung in diesem Viertel verzigfacht. Überall gab es nun Dönerbuden und Gemüseläden, in denen Kopftuch tragende Frauen Billigtomaten und Gurken betasteten. Über den Läden prangte das Schild „Halal“, hier gab es Lebensmittel, zubereitet nach muslimischen Richtlinien. Schroeder hatte Schwierigkeiten ein Frauengesicht zu finden, das er anlachen konnte. Bei Kopftuch tragende Frauen hätte das leicht zu Missverständnissen führen können.

Überhaupt musste er den in Spanien angeeigneten Flirtspaß drosseln. Während dort an den Supermarktkassen mit „mein Schöner“, „meine Königin“ und anderen, das Herz erwärmende, Harmlosigkeiten der Einkauf zu einem kleinen Fest wurde, war dies hier ein anderes Pflaster. Einmal bewunderte Schroeder die gestylte Brille einer Supermarktkassiererin und ließ sich in spanischer Manier dazu hinreißen, der Dame seine Aufwartung zu machen. Es endete damit, dass er sich gezwungen fühlte, eine Entschuldigung auszusprechen. Seit dem wurden Schroeders Gunstbezeugungen seltener.

So viel Neues gab es, dass Schroeder sich wie in einem fremden Land vorkam. Zum Beispiel die Stammkneipe aus der Studentenzeit, die „Kleine Weltlaterne“. Daraus war ein griechisches Suvlaki Restaurant geworden. Zu seiner Zeit verkehrten hier die Kreuzberger Künstler mit ihren schönen Musen im Schlepptau. Schroeder war zwar weder Künstler noch Muse gewesen, aber er hatte die Kneipe oft noch vor dem Schlafengehen zu einem letzten Bier aufgesucht.

Mit Wehmut erinnerte er sich nun an einen noch im Greisenalter aufstrebenden Maler. Der war ein Namensvetter von ihm, nur ohne oe dafür mit dem märchenhaften Zusatz „Sonnenstern“. Schröder Sonnenstern litt unter schizophrenen Schüben und schmückte sich mit den selbst verliehenen Titeln „Geheimrat Prof. Dr. phil. Eliot J. von Sonnenstern, Fachpsychologe für Universitätswissenschaften“. Die Kneipe stand Kopf, wenn er, nur mit einem wehenden Nachthemd bekleidet hereinrauschte um seine farbstarken Phantasien gegen Bier einzutauschen.

Die andere Kneipe, die „Henne“, existierte weiterhin. Dort schien es wie immer: Der Schankraum verräuchert, die Grillhähnchen als alleiniges Gericht, das Bild des Kneipengründers über dem Tresen. Als seien die Jahre spurlos vorübergegangen. Nur, dass jetzt der Laden mit Touristen gefüllt war, die neben den Hähnchengericht den Reiseführer mit dem Insidertipp liegen hatten.

Die Mauer, die damals direkt vor der Tür der „Henne“ die Grenze gezogen hatte, gab es nicht mehr. Wie oft hatte Schroeder seinerzeit nach durchzechtem Abend dagegen gepinkelt! Nun war der Blick frei, hinüber nach Osten, wo man inzwischen die Plattenbauten mit Farbe und Balkonkästen aufgemöbelt hatte.

Endlich kam sein Umzugsgut. Was er beim Auspacken entdeckte, ließ sein Herz hüpfen: Die Kaffeemaschine. Jetzt war Schroeder nicht mehr auf das seichte Gebräu der umliegenden Cafés angewiesen. Die Sammlung der Zigarrenabschneider. Unumgängliche Werkzeuge für sein, wie er glaubte, einziges Laster.

Als Krönung tauchte eine ungeöffnete Kiste kubanischer Zigarren auf, „Flor de Juan Lopez“. Von Juan Lopez, einst Hoflieferant des spanischen Königshauses. Die Kiste mit der Abbildung eines kubanischen, ländlichen Ambientes, eingerahmt von den zahlreichen Medaillen aus den Hauptstädten dieser Welt. Mit dem spanischen Wappen neben kubanischen Palmen. Ein Rauchgenuss der leichten Art, mit der Corona von 142 mm Länge. Und einem Deckblatt aus Kubas bester Tabakregion, der Vuelta Abajo. Natürlich handgedreht. Schroeder schluckte vor Verlangen, die Kiste zu öffnen.

Als Schroeders Kisten kamen, begann eine neue Zeitrechnung.

Das Jobwunder

Schroeder machte Kasse. Da waren noch ein paar Aktien und Fondspapiere. Ihr Wert hatte sich in den letzten vier Jahren um dreißig Prozent vermindert. Die Hälfte einer unbedeutenden Barschaft war für die Umzugsspedition draufgegangen. Zu seiner Überraschung entdeckte er fast zweitausend Euro Außenstände für zwei noch in Spanien verfasste Artikel über Istanbul und den Bosporus sowie über die Aserbaidschanische Ölmetropole Baku. Dorthin war seine letzte Reise gegangen, die er mit dem Umweg über Alexandria und die Wüstenoase Siwa gekrönt hatte.

Alexandria. Ein herunter gekommenes Hotel aus vorrevolutionären Zeiten. Blick auf die Corniche. Gegurgele von Wasserpfeifen, süßer Tee mit Pfefferminze. Verstohlene Blicke unter Kopftüchern hervor. Rotes Mittelmeer im Abendlicht. Früher Ruf der Imame von den Moscheen der Stadt. Florence aus Paris, herausfordernd gurrend. Ihr BH anderntags zwischen spitzen Fingern des triumphierenden Hoteldieners, als Schroeder vom Frühstück zurückkam.

Auf der Festplatte seines Computers lagerten noch einige Themen. Schroeder begann mit der Arbeit. Sie bestand darin, roh verfasste Reisereportagen ins Reine zu schreiben, den Themen einen aktuellen Anstrich zu verpassen und sie schließlich verschiedenen Magazinen anzubieten. Meistens endete es mit Absagen. Kamen keine Absagen, konnte er weiter hoffen. Bis er nach Wochen aufgab, denn viele Redaktionen gaben sich nicht die Mühe eine Nachricht zu senden, was auch eine Absage bedeutete. Schroeder, dem nichts lieber war als korrektes Geschäftsgebaren, war ob solcher Ignoranz gekränkt.

Er gab jedoch nicht auf. Er verlegte seine Aktionen in den Bereich der so genannten Kundenzeitschriften. „Lenz“, eine Zeitschrift, die ihre Seniorenleser davon überzeugen will, dass das Leben trotz künstlichen Hüftgelenks und Schwerhörigkeit lebenswert ist. Oder „an Bord“, ein Magazin für betuchte Kreuzfahrer, oder „zu Tisch“, die Kundenzeitschrift des Kücheneinrichters Miele, der mit Hilfe glanzvoller Artikel über Gewürze und Olivenöle seine Heißluftöfen an die Frau bringen will.

Diesen Blättern bot er seine Artikel an, in der Hoffnung, dass seine vielen unbekannten Kollegen noch nicht auf die gleiche Idee gekommen waren. Fehlanzeige. Auch diese Zeitschriften kämpften gegen die Wellen der Manuskripteinsendungen an.

Völlig erfolglos blieb er nicht. Einige seiner Reportagen waren speziell genug, dass sie genommen wurden. Hinzu hatte er jedes Jahr einen Reiseführer über die Costa Brava zu aktualisieren, was ihm einerseits erlaubte, auf Kosten des Verlages vor Ort zu reisen, und ihn andererseits für einige Wochen über Wasser hielt.

Einstweilen ließ es sich sorglos leben. Sein erstes Frühjahr in der Stadt glänzte mit blauem Himmel, blühenden Kastanienbäumen und einigen Zufallsbekanntschaften in den Straßencafés seines Kiezes. Materielle Sorgen lagen noch hinter einem frühlingshaften Horizont. Es hätte immer so weitergehen können, wenn sich nicht diese nomadische Unruhe eingestellt hätte. Schroeder kannte das. Kaum war er einigermaßen eingerichtet, befiel ihn, wie ein Heer kribbelnder Ameisen, erneute Unruhe. Der Anlass konnte nichtig sein: eine Reportage über Indien in der Wochenendausgabe der Zeitung, ein Roadmovie im Kino. Gründe genug, um sein Bündel zu schnüren, neuen Ufern entgegen.

Ihm wurde allmählich klar, er war dabei, seine frühere Leichtigkeit einzubüßen. Die Stadt und seine desolate Finanzlage bremsten ihn aus. Schroeder redete sich ein, zunächst einmal seinem Leben finanzielle Stabilität geben zu wollen. Eine innere Stimme flüsterte ihm zu: „such dir einen Job!“ Schließlich legte er sich einen neuen, mittelfristig gültigen Masterplan zurecht. Er begann, Stellenangebote in den Berliner Tageszeitungen zu lesen.

Zunächst wollte er sich einen Überblick über den Markt verschaffen. Er wusste nicht, nach welchem Job er Ausschau halten sollte. Wichtig war, es musste etwas mit freier Zeiteinteilung sein. Vor 25 Jahren hatte er zum letzten Mal eine feste Stellung gehabt. Von neun bis siebzehn Uhr. Mit Urlaub, Gehaltssteigerungen, Sozialabgaben. Er war Angestellter einer Werbeagentur gewesen und hatte einen Haarwasserhersteller, eine Fertiggerichte Firma und einen japanischen HiFi Produzenten in Fragen der Werbung beraten. Es war ein durch die Uhr bestimmtes Arbeitsleben gewesen. Nicht dass er darunter gelitten hätte, doch nun, 25 Jahre später, war er von den Freiheiten eines Freiberuflers verdorben, um sich abermals in eine starre Zeiteinteilung einengen zu lassen. Der neue Job durfte zwar regelmäßig, nicht aber in einem festen Zeitrahmen eingebunden sein.

Auf den ersten Anschein bot der Stellenmarkt der Zeitung Viel Versprechendes. Schroeder war zu neu im Jobsuche Geschäft, um sogleich die Spreu vom Weizen trennen zu können. Er konzentrierte sich auf die Rubriken Nebenverdienst, Sammelangebote und Marketing. Damals ahnte er noch nicht, dass er den Kreis erweitern würde, dass exotische Tätigkeitsgebiete wie Sicherheitsdienst Kaufhausdetektive, Kurierdienst und Heimarbeit in den Suchradius rücken würden.

Die Angebote der Rubrik „Nebenverdienst“ klangen verheißungsvoll. Da wurden Leute gesucht, die nichts weiter tun sollten als testen: Urlaub, Essen, Handy und Kosmetik. Dafür bot die Firma „Allestester“ bis zu 600 Euro! Man musste allerdings erst einmal 100 Euro Aufnahmegebühr zahlen. Außerdem, man suchte junge Leute. Die kannten sich besser mit elektronischen Medien aus, klar.

Jung musste auch sein, wer diese Jobs haben wollte: Ein Gruselkabinett suchte Studenten zum Leute erschrecken, und diverse callcenter hatten ihr Angebot für 30 jährige limitiert. Obwohl Schroeder fand, er habe eine astreine Telefonstimme. Einige Frauen in früheren Beziehungen waren jedenfalls dieser Meinung gewesen.

Da stieß Schroeder auf eine Anzeige, die ihn fettgedruckt fragte: Mit 40 schon zu alt? Weiter hieß es: Mit Arbeit von zu Hause aus 798 bis 6898 Euro und mehr möglich. Es folgte eine lange Telefonnummer mit unbekannter Vorwahl und die web Adresse www.erfolgsziel.de. Das war es! Selbst 798 Euro könnten ihn einen Schritt weiter in Richtung Unabhängigkeit von unwilligen Redaktionen bringen. Schroeder eilte zu seinem Laptop, tippte die Adresse ein und war überrascht.

Nach einigen einleitenden küchenphilosophischen Gedanken über ein Leben im Wohlstand, erschienen etwa ein Dutzend Fotos glücklich dreinschauender Menschen. Da war ein pensionierter Polizeibeamter, der nicht bereut hatte, diesen Weg gegangen zu sein. Eine Hausfrau berichtete, dass sie auf einem Schlag alle ihre Schulden habe bezahlen können, seit dem sie sich zu diesem Job entschieden hatte. Eine junge Kleinfamilie gab zu Protokoll, dass sie nun endlich genug Geld hätte, um sich ein Haus im Grünen bauen zu können. Und so ging es immer weiter, zufriedene, ja glückliche Menschen hatten den eingeschlagenen Weg nicht bereut. Und einen Haufen Geld verdient.

Um welchen Weg, um welche neue Möglichkeit Geld zu verdienen handelte es sich eigentlich? Das erfuhr man zunächst nicht. Schroeder las zwischen den Zeilen, dass er mit nur 1000 Euro Eigenkapital am Netmarketing teilnehmen könne. Also irgendwelche Kosmetik an den Mann bringen, zunächst in der Familie, der Tante und Cousine Hautcremes und Antifaltenwässer verkaufen, weitere Subvertreiber anwerben, aufsteigen zum Vertriebsassi, dann mit noch mehr Subunternehmern zum örtlichen Manager undsoweiter. Solange der Schneeball rollt. Er suchte Abstand von dem aufreibenden Studium schwachsinniger Angebote.