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Read the book: «Verwehte Spuren», page 24

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»Der? O, der hat gemordet — nichts weiter.«

»Gottes Gerechtigkeit wird ihn schon ereilen.«

Es lag etwas Prophetisches in dem Ton, wie in der seltsamen Gestalt des Mannes, als er so sprach.

»Hoffentlich auch noch die der Menschen,« brummte Weller in sich hinein. »Die Spitzbuben gehen jetzt über den Mackinaw und ich habe das Nachsehen, wenn sie nach Kanada hinüberwechseln. Bleiben sie aber in den Staaten, so will ich auch ihre Fährte finden und — dann werden wir sehen.«

Unter solchen Gesprächen verging die Zeit. Der Abend des ereignisvollen Tages sank hernieder und alle die ermüdeten und abgespannten Männer ersehnten die Ruhe.

Unsre Freunde bereiteten sich ihr Lager im Sergeantenhause und bald lag alles, die verstärkten Wachen ausgenommen, in tiefem Schlafe.

Fünfzehntes Kapitel. Ernste Nachklänge

Der frühe Morgen sah bereits die Soldaten im Fort in erneuter Tätigkeit, um dasselbe vollständig in den früheren Zustand zu versetzen und alle Spuren der furchtbaren Ereignisse zu verwischen.

Blackwater, welcher nach Schuylers Tode als der älteste Offizier das Oberkommando hatte, befahl den nach Fort Jefferson kommandierten Truppen hier zu bleiben und sandte den Pottawatomie mit einem Briefe an den dortigen Befehlshaber, der ihm Kunde von den Ereignissen gab und die Ablösung für später in Aussicht stellte.

Soldaten hatten aus Brettern einen Sarg hergestellt und andre draußen am Walde auf einer leichten Erdanschwellung ein Grab ausgeworfen.

Der Oberst war dann eingesargt und seine letzte Wohnung mit der Flagge der Union bedeckt morden.

Für neun Uhr war die Garnison zum Begräbnis befohlen.

Athoree war vor Sonnenaufgang schon in den Wäldern gewesen und nach einigen Stunden zurückgekehrt, ohne irgend etwas Verdächtiges gewahrt zu haben.

Der Graf und Heinrich erschienen auf dem Walle; ihre Gefährten schliefen noch. Während sie langsam auf und ab schritten, sagte Edgar: »Ich fürchte, Heinrich, die Ereignisse der letzten Tage haben uns unser Ziel ferner als je gerückt.«

»Warum fürchten das der Herr Graf?«

»Unsre einzige Hoffnung, die Spuren der Verlorenen aufzufinden, beruhte darauf, diese Ottawas genannten Indianer willig zu machen, Auskunft zu erteilen, wie meine Schwester mit ihrem Kinde geendet hat. Wenig wollte es besagen, daß die Raubgier dieser Wilden mich um den Brief des Sekretärs und die für ihre Häuptlinge bestimmten Geschenke gebracht hat, beides wäre ja zu ersetzen, aber die ausgebrochenen Feindseligkeiten zwischen den Indianern und den Regierungstruppen machten jede Verbindung unmöglich.«

»Was glauben denn der Herr Graf, was wir beginnen sollen?«

»Ich will später mit Kapitän Blackwater reden. Bin ich einmal hier, so will ich das Aeußerste versuchen, um Gewißheit zu erlangen. Erklärt sich die bisherige Zurückhaltung der Indianer in Bezug auf Mitteilungen über das Schicksal meiner Schwester aus der naheliegenden Befürchtung, dafür noch nachträglich zur Rechenschaft gezogen zu werden, so wird es nach den jüngsten Vorgängen, die ihr Schuldkonto wesentlich bereichert haben, noch schwieriger sein, Aufklärung zu erlangen. Die Hoffnung, daß sie noch unter den Lebenden weile, ist mir längst geschwunden, aber der Gedanke will mich nicht verlassen, daß der Knabe, meiner Schwester Kind, noch atme. Aber wo und wie?«

»Es wird doch Mittel geben, irgend jemand von diesen Leuten zum Sprechen zu bringen, sei es durch Geschenke, sei es durch Drohungen?«

»Ich habe dir mitgeteilt, welche Anstrengungen der alte Baring und die Regierungsorgane gemacht haben, um Gewißheit über das Verbleiben meiner Lieben zu erlangen und daß alles dies vergeblich war. Der Kampf hat nun wohl jede Brücke abgebrochen, die zu einem Verständnis mit den Ottawas führen konnte.«

»Es ist aber der Fall nicht ausgeschlossen, daß sie jetzt, wo ihnen wahrscheinlich eine Züchtigung durch die Militärgewalt bevorsteht, gefügiger sind als früher.«

»Der Kapitän wird uns ja beistehen, wollen wir hören, was er meint. — Alles in Dunkel gehüllt, jede Spur der teuern Menschen verweht. Nach dem, was ich in diesen Tagen in diesen Wäldern erlebt habe, begreife ich wohl, wie jede Spur eines Menschendaseins hier für immer ausgelöscht werden kann. In welcher Wildnis mögen deine Gebeine ruhen, arme Luise?«

»Herr Graf, als wir in jenem Blockhause weilten, hatten wir die Hoffnung aufgegeben, mit dem Leben davonzukommen, und erfreuen uns heute doch noch des Daseins. Wollen wir die Hoffnung auch hier nicht aufgeben, das Schicksal Ihrer Frau Schwester aufzuklären.«

»Es ist wahr, Heinrich, unser Leben war verfallen, und wir atmen doch noch im rosigen Licht. Der tapfere Oberst hat mit seinem Herzblut unser Lösegeld bezahlt, der grause Scherge Tod war damit befriedigt und lieh uns entkommen. Mir kommt es vor, als ob ich dieses so errungene neue Dasein ohne Berechtigung führe, da es mit so edlem Blut erkauft worden ist.«

»Ja, ein heldenhafter, vornehmer Mann, dieser amerikanische Oberst, er schritt voran, als ob es zum Tanze ginge —«

»Und ging in den Tod. — Wie das arme Fräulein es nur tragen mag?«

»Eine sehr schöne Dame, Herr Graf.«

»Eine selten edle Schönheit, ein selten edles Mädchen. — Athoree und seine Mutter haben sie die weiße Rose getauft, diese Indianer entbehren doch nicht der Poesie.«

»O, das ist schön, Herr Graf: ›Weiße Rose‹. Das ist gut gewählt.«

»Weiße Rose,« wiederholte der Graf leise, »weiße Rose — wirst du je wieder im Hauche frischen, freudigen Lebens erblühen oder bist du gebrochen und entblättert für immer, wie meine arme Schwester?«

Er schwieg in trübem Sinnen, und Heinrich wagte das Gespräch nicht wieder aufzunehmen.

Der Konstabel trat aus dem Hause, warf einen Blick umher, und als der den Grafen traf, rief er ihm fröhlich zu: »Nun, Fremder, hat der Schlaf die traurigen Gedanken und die Erinnerung an gestern verscheucht? Ich habe geschlafen wie ein Rakoon im Winter, und meinetwegen könnte die Partie von neuem beginnen. Kalkuliere, bin der Mann dafür.«

»Ja, mein wackrer Mister Weller, ich glaube Euch das, habe nicht wenig Eure Kaltblütigkeit und Eure Laune inmitten der grimmigsten Gefahr bewundert.«

»Ist Gewohnheit, Mann, nur Gewohnheit — ist ein Fakt. Habe in den bunten Fährlichkeiten dieses Lebens gelernt, nie zu verzagen. Kommt die letzte Stunde einem jeden, dem früher, dem später. Muß es kaltblütig nehmen, kalkuliere, ist das richtige.«

»Gewiß, nur hat nicht jeder die Kraft, gleichmütig auch das Schlimmste hinzunehmen.«

»Bin als junger Bursche gegen die Miamis ausgezogen, am Sandusky, wißt Ihr. Waren damals in die Ansiedelungen gefallen, genau wie vor drei Jahren die Ottawas am Manistee. Zogen aus, mein alter Vater, Gott hab‘ ihn selig, wollte mich nicht mitnehmen, sei noch zu jung, war achtzehn Jahre, lief aber doch mit. Lachte der Alte, als er mich sah: ›Hab‘ mir‘s gedacht. Wär‘ auch nicht zu Hause geblieben.‹ Na, fochten mit den Roten, nahmen mich gefangen. Haben eine schöne Sitte, die Indianer, binden die Gefangenen an einen Baum und treiben Kurzweil mit ihnen, blutige Kurzweil, kann ich Euch sagen. Stand mit zwei andern am Marterpfahl, wie sie diese Vorrichtung nennen. War uns der Tod nah wie gestern. Kann Euch sagen, war mir arg wehleidig ums Herz, war zu jung, um zu sterben, hätte gern gemeint, schämte mich nur. Da sollte ich mein Sterbelied singen, wollten die Bursche haben. Betete da laut zu unserm alten Herrgott, sollte es gnädig machen mit mir und uns. Hatte kaum Amen gesagt, krachen Büchsen in den Büschen und die Miamis geben Fersengeld. Waren unsre Leute, war mein Alter, wollte seinen Jungen wieder holen.

»›Hast du die weiße Feder gezeigt, Bob?‹ war seine erste Frage.

»›Nein, Vater‹ sagte ich, wie es auch wahr, denn wenn ich auch Angst gehabt, gezeigt hatt‘ ich‘s nicht. Da löste er meine Bande und sagte: ›Bist mein Blut, Junge. Alles, nur nicht die weiße Feder zeigen. Kannst vor unserm Herrgott dich demütigen, aber vor keinem Menschen, am allerwenigsten vor solchem Abschaum.‹ Seht, Herr, seit dem Tage, der mir in höchster Not vom Tode half, hoffe ich bis zum letzten Augenblicke. Stehen alle in Gottes Hand, Mann, weiß es schon zu machen. Ist ein Fakt, Fremder.«

»Auch uns hat er wunderbar genug errettet.«

»Kalkuliere, tat so. Hält mich mein Vertrauen auf Gott aufrecht in schlimmster Stunde.«

Athoree kam herangeschlendert.

»Ah, da ist ja John. Freue mich, Bursche, daß du dich so tapfer gehalten hast.«

Der Indianer hatte, seitdem er sich als Wyandothäuptling zu erkennen gegeben, eine bisher an ihm ungewohnte Würde angenommen.

Er entgegnete jetzt: »Nicht John mehr, Athoree, Konstabel.«

»Na, meinetwegen, wenn du das vorziehst. Wie steht‘s denn mit dem Rum, Bursche? Ist selten in den Wäldern, wie?«

Gelassen entgegnete Athoree: »Kriegspfad, Konstabel; trinken nicht auf Jagd, nicht auf Kriegspfad. Nicht trinken,« wiederholte er nachdrücklich.

»Das wäre? Wenn ein Indianer sich einmal dem Rum ergeben hat, so macht er es wie eine Fliege im Zuckerglase und nascht so lange, bis er ein seliges Ende findet.«

»Nein, Konstabel, Athoree hat sich uns als tapferer Wyandotkrieger bewährt und auch siegreich den Rumteufel bezwungen.«

»Pfft!« pfiff der Konstabel zwischen den Zähnen hindurch, »also nun ist das Geheimnis heraus. Also ein Hurone bist du. Von wo? Von der Halbinsel oder aus den Kanadas?«

»Konstabel zu viel fragen, Athoree Wyandot, das genug.«

»Aber wie bist du denn an den Muskegon gekommen?«

»Gehen auf Mokassins hin,« entgegnete der Indianer mit trockenem Humor.

»Nun ja,« brummte Weller ärgerlich, »das konnte ich mir ungefähr denken. Aber warum bist du denn nicht bei deinem Volke geblieben?«

»Gefallen ihm am Muskegon besser.«

»So? Ja bringe einmal einer etwas aus einer Rothaut heraus, wenn sie nicht reden will. Und ich lasse mich hängen, wenn der Bursche da oben nicht etwas ausgefressen hat, was ihm den Aufenthalt bei seinem Stamm verleidet. Wird so sein, John, he?«

»Such du Spitzbuben, Konstabel, deine Sache. Warum Athoree nicht bei seinem Volke? seine Sache.«

»Nun wird er noch grob, immer besser. Also ein Hurone? Ist mir lieb, Ihretwegen, Herr Graf, denn die Huronen sind noch die zuverlässigsten und intelligentesten aller unsrer Indianer und haben vor allen Dingen keine Verwandtschaft mit den Chippeway-Völkern hier.«

Mit dem Tone warmer Anerkennung sagte Graf Edgar: »Athoree hat sich als treuer Freund und überaus tapferer Krieger gezeigt; was ihn auch von seinem Volke fern halten mag, nimmer glaube ich, daß es etwas Unehrenhaftes ist.«

»Hm, wird einen Skalp zur unrechten Zeit genommen haben.«

Ein so drohender Ausdruck zeigte sich in dem dunklen Gesicht des Wyandot, daß er den Konstabel sofort veranlaßte, einzulenken.

»Meine es ja nicht böse, John. Kommt ja vor bei Roten und Weißen, daß das Messer einmal etwas lose sitzt.«

Mit demselben finstern Ausdruck sagte Athoree: »Konstabel tut gut, nicht zu viel fragen. Athoree Wyandot, das genug.«

Damit entfernte er sich.

»Der Bursche hat da oben etwas auf dem Kerbholze, verlaßt Euch darauf. Fremder. Also ein Wyandot? So nennen sie sich nämlich selber, gemeinhin bezeichnet man sie als Huronen. Wir haben auf der nördlichen Halbinsel deren, welche dort auf ihrer Reservation hausen, als Nachbarn der Saulteux, eines Chippeway-Zweiges, der Hauptstamm aber sitzt in Kanada. Möchte doch wissen, ob der John aus Kanada kommt oder vom Machigumi?«

»Konstabel zu viel fragen,« wiederholte lächelnd der Graf, den Indianer nachahmend.

»Ja, ist mein Geschäft, Fremder, muß allerlei wissen.«

Der Posten über dem Tore rief die Wache an.

Eilig begab sich der Sergeant, welcher diese kommandierte, auf den Wall, kam gleich zurück und meldete dem eben aus dem Hause tretenden Blackwater: »Es kommen drei Indianer vom Walde her auf das Fort zu, Herr Kapitän.«

»So? Nehmen Sie sechs Mann, Sergeant, und stellen Sie die an die Schießscharten über dem Tore. Begehren die Leute Einlaß, herein mit ihnen, natürlich ohne Schießwaffen. Knüpfen sie an das Betreten des Forts irgend welche Bedingung, wird diese nicht gewährt. Wollen sie sich darauf entfernen, droht erst, sie niederzuschießen, und stehen sie nicht, schießt sie nieder.« Der Sergeant ging zurück.

»Guten Morgen, Herr Graf,« rief Blackwater diesem zu. »Wohl geruht nach sturmvollem Tage?«

»Danke, Kapitän, die Nacht war gut.«

»Freut mich. Mister Weller, wollen Sie nicht so freundlich sein und sich zum Tore begeben, um die Herren aus den Wäldern ein wenig zu mustern und allenfalls mit Ihrer Kenntnis des Ottawa-Dialektes auszuhelfen.«

»Mit Vergnügen, Kapitän,« und Weller schritt zum Tore.

Die durch die Schildwache signalisierten Indianer waren ruhig, die Büchsen im Arm, auf das Fort zugegangen.

Vor diesem standen sie still. Der Sergeant rief von oben herab: »Was wollt ihr?«

»Häuptling sprechen,« entgegnete der eine von ihnen.

»Stellt eure Büchsen ab, dann will ich euch hereinlassen.«

Die Leute legten hierauf die Waffen nieder.

Der Sergeant schärfte den Soldaten noch ein, sie fest im Auge zu behalten und bei der ersten verdächtigen Bewegung Feuer zu geben. Dann ging er hinab und öffnete das Tor.

Die Indianer traten ruhig herein. Kapitän Blackwater stand, von seinen Offizieren umgeben, in der Nähe seines Hauses.

Der Sergeant führte die roten Männer vor ihn, während die sechs Soldaten ihnen folgten.

Mit finsterm Blick und drohend gerunzelter Stirne empfing der Befehlshaber die Wilden, die sich unachtend dessen mit ruhiger Würde vor ihm verbeugten.

»Wer seid ihr?«

Der mittlere der drei entgegnete: »Ich bin Kitate, das Haupt des Ottawa-Volkes.«

»Und was führt das Haupt des Ottawa-Volks zu mir?«

»Ein Vogel hat in mein Ohr gesungen, daß der stammlose Häuptling die Krieger des großen Vaters in Washington bekämpft habe.«

»Der Vogel wird wohl schon lange vorher davon gesungen haben, aber Kitate wird etwas taub sein, vermute ich.«

Mit gleicher Ruhe fuhr der Indianer fort: »Er flüsterte mir ferner zu, der große Vater in Washington könne glauben, es seien seine Kinder, die Ottawas, welche die Streitaxt ausgegraben haben. Nun kommt Kitate, um dir zu sagen, daß die Ottawas nichts mit den Stammlosen gemein haben. Kitate wohnt mit seinem Volke friedlich in seinen Dörfern, und mit Schmerz hat er erfahren, daß die Stammlosen die jungen Männer der Langmesser erschlagen haben.«

»So, mein guter Mann, das hast du mit Schmerz erfahren? Konntest es natürlich nicht verhindern? Wen willst du denn mit deinem Geschwätz täuschen?« fragte mit drohendem Blicke der Kapitän. »Peschewa, euer Haupt, griff im tiefsten Frieden dieses Fort verräterisch an, du wirst ja hernach sehen, was mit ihm geschieht.«

»Peschewa nicht Haupt der Ottawas, er stammlos.«

»Nun, mein braver Kitate, wir wollen uns nicht um Worte streiten, der große Vater in Washington wird wohl wissen, was er zu tun hat, ich fürchte, er wird den seinen Unterschied zwischen dem Ottawa-Stamm und stammlosen Ottawas ebensowenig zu machen wissen, wie ich. Ich danke dir für deinen Besuch, der mir so wertvoll ist, daß ich dich einladen muß, längere Zeit hierzu verweilen.«

Eine flüchtige Bewegung in den Zügen des Häuptlings zeigte, daß er diese Wendung sehr gut verstanden habe.

»Kitate,« sagte er dann, »ist vertrauensvoll zu dem großen Häuptling des Forts gekommen, er ließ meinen jungen Mann seine Worte in mein Ohr singen, darum kam Kitate.«

»Der Häuptling ist tot, Indianer, erschlagen von deinen mörderischen Schurken. Niemand hat dich eingeladen zu kommen, nun du aber da bist, wollen wir dich festhalten, bis der große Vater in Washington gesprochen hat, und wenn du dann ungehangen davon kommst, kannst du von großem Glücke sagen. Legt die Kerls in Eisen.«

»Das Volk der Ottawas wird seinen Häuptling vermissen und vielleicht nach ihm suchen,« sagte Kitate mit höflicher Ruhe zwar, aber mit hinreichend verständlicher Drohung.

»Desto besser, ich wollte, ich hätte alle deine heulenden Hunde vor diesen Wällen, so brauchten wir sie nicht aufzusuchen.«

Handschellen wurden gebracht, den Indianern ihre kleinen Streitäxte und Messer genommen und sie dann in Fesseln gelegt.

»Untersuchen Sie die Leute sorgfältig, Sergeant, und sperren Sie sie dann ein, aber nicht mit den andern zusammen.«

Ruhig ließen sich Kitate und seine Gefährten fesseln und abführen.

»So, Herr Diplomat, nun können Sie ein wenig über stammlos und nicht stammlos nachdenken. Hat einer von den Herren hierzu etwas zu erwähnen?« wandte er sich an die um ihn stehenden Offiziere.

Niemand hatte gegen das Verfahren Blackwaters, für welches er ja auch allein die Verantwortung trug, etwas einzuwenden. Kapitän Percy bemerkte: »Ich hätte dasselbe getan, Räuber und Mörder müssen als solche behandelt werden.«

Mittlerweile war die Stunde herangekommen, wo das Begräbnis des Obersten stattfinden sollte.

Blackwater ließ die Sergeantin zu sich bitten und fragte sie nach dem Befinden von Miß Schuyler.

»Ach, Herr Kapitän, sie hat, wie ich von der alten Indianerin höre, die ganze Nacht am Tische gesessen, bewegungslos wie eine Bildsäule. Sie hat nicht einmal geweint.«

»Und jetzt?«

»Ach, sie sitzt ja noch so.«

»Hm, hm. Schlimm, schlimm,« murmelte der bärbeißige Kapitän, der unter seiner rauhen Außenseite ein fühlendes Herz barg. »Was denn nun beginnen? Ohne Miß Schuylers Einwilligung können wir doch nicht zum Begräbnis schreiten. — Ob ich einmal zu ihr gehe?«

»Ich will zu ihr gehen und mit ihr reden,« sagte Johnson, welcher sich der Gruppe um den Kapitän zugesellt hatte.

»Ihr, Herr? Wer seid Ihr?«

»Ein Mann, Kapitän, neben dessen Leid der jungen Lady das ihrige klein erscheinen wird.«

Johnson ging, und während ihm Blackwater noch nachsah, trat Edgar auf ihn zu, um ihn über dessen Person aufzuklären.

In dem kleinen Stübchen saß Frances, wie die Sergeantin es geschildert hatte, bewegungslos, das schöne Haupt in die Hand gestützt, starr vor sich hinblickend; das herrliche Haar hing ungeordnet um das marmorbleiche Antlitz hernieder.

In einer Ecke kauerte die alte Sumach. Lange sah Johnson des Obersten Tochter an, dann sagte er mit sanfter Stimme: »Miß Schuyler.«

Keine Antwort. Der Schall war am Ohr der Trauernden vorübergegangen.

»Miß Schuyler, der Oberst wartet auf seine Tochter, daß sie ihn zum Grabe geleite.«

Ein Zittern überflog des Mädchens Leib und ein Klagelaut hallte durch das Zimmer, dann saß sie wie vorher.

»Sich seinem Schmerz zu sehr hingeben, junge Dame, heißt mit Gott hadern.«

Nur ein leises Stöhnen war die Antwort.

Nach einer kurzen Weile, während man nur die Atemzüge der drei Menschen hörte, fuhr Johnson in einem Tone fort, der tiefe innere Erregung verriet: »Ich kannte einst einen Mann, der froh und glücklich der Heimat zueilte, um sein gutes Weib, seine teuren Kinder zu umarmen, die er am Morgen in der Fülle blühenden Lebens verlassen hatte — er fand sie in ihrem Blute — erschlagen von roher Mörderfaust.« —

Langsam hob Frances die Augen auf Johnson, der ruhig auf seine Büchse gelehnt, vor ihr stand. Die seltsame Erscheinung, das lange, weiße Haar, der Bart des Mannes, das für einen Hinterwäldler bleiche Antlitz, aus dem die guten blauen Augen trauernd auf sie blickten, machten ihr den Eindruck einer Prophetengestalt.

In der Aufregung der früheren Stunden hatte sie ihn nicht beachtet, kaum bemerkt, jetzt zum erstenmal wirkte sein absonderliches Aeußere, welches ihm von den Indianern den Namen »der tote Mann« verschafft hatte, mit um so größerer Gewalt auf sie, als er fast wie ein Bote aus einer andern Welt vor ihr stand.

Ihr Auge erweiterte sich, als es die ehrwürdige Erscheinung betrachtete.

Leiser fuhr dieser fort: »Der Mann, der das erduldet hat, steht vor Ihnen, Miß, ruhig und gottergeben.«

Sie sah ihn noch immer aufmerksam an.

Dann kam es schwach und vernehmbar von ihren Lippen: »Armer, armer Mann!«

»Soll der Oberst, der für uns gestorben ist, noch länger auf sein Kind warten? Oder soll er, ohne daß es ihm das letzte Geleit gibt, zu Grabe gehen?«

Sie strich mit der Hand über das Haar, über die Augen, erhob sich langsam und sagte dann: »Ich bin bereit, Sir, kommen Sie.«

Sie gingen. Draußen wartete Kapitän Blackwater und bot Frances schweigend seinen Arm.

Sie schritten hinaus in den inneren Raum des Forts.

Die Truppen standen in Paradestellung, dem Kommandantenhause gegenüber, die Geschütze waren bemannt.

Blackwater gab ein Zeichen, und sechs Sergeanten begaben sich ins Haus.

Von ihnen getragen erschien der Sarg, der des Obersten sterbliche Hülle einschloß.

»Achtung! Präsentiert das Gewehr!«

Die Waffen rasselten unter gedämpftem Trommelwirbel, die Truppen präsentierten.

Kapitän Percy kommandierte die Leichenparade.

Eine Sektion schwenkte ab und marschierte mit dem Tambour, der leise das gedämpfte Spiel rührte, voran.

Dann kam, von den Sergeanten getragen, der Sarg, eingehüllt in das gestreifte Sternenbanner.

Obenauf lag des Obersten Degen und Hut, ein Gewinde von grünem Laub umschlang ihn.

Hinter ihm schritt Blackwater, die wankende Frances führend, einher. Es folgten die Offiziere und unsre Freunde.

Eine Sektion der Besatzung schloß den kleinen Leichenzug.

Langsam bewegte er sich nach dem offenen Grabe, welches von einer alten Eiche überschattet wurde, zu.

Langsam sank der Sarg hinab, der Staub zum Staube.

Kapitän Blackwater gab Frances‘ Arm an Edgar und trat ans offene Grab.

Aus einem Buche las er ein Gebet, einfach, ergreifend, der derbe Soldat war selbst ergriffen.

»Amen.«

Dann sagte er noch: »Kameraden, unser Oberst starb wie ein Held, vorangehend im Kampfe, opferte er sein Leben für andre, ein leuchtendes Beispiel jenes hohen Mutes, welcher in Erfüllung der Pflicht den Tod nicht fürchtet, ein leuchtendes Beispiel für die Armee, welcher er angehörte. Kameraden, nicht die Armee, nicht wir werden ihn vergessen, unser Oberst starb im Dienste des Landes.«

Kapitän Percy hob den Degen.

Dreimal entluden sich die Musketen, dreimal krachten von den Wällen die Geschütze über das Grab eines tapferen Soldaten hin.

Bald war der Hügel gehäuft, die Soldaten schmückten ihn mit Grün, und zurück ging der Zug zum Fort, Frances wiederum geführt von Blackwater.

Stumm und bleich hatte das Mädchen der feierlichen Handlung beigewohnt, als sie jetzt langsam ihr Zimmer betrat, zu welchem der Kapitän sie geleitet hatte, brach sie in einen unaufhaltsamen Strom von Tränen aus.

Blackwater hörte es vor der Türe und sagte leise: »Das ist gut. ›Gram, der nicht spricht, raunt leise zu dem Herzen, bis es bricht.‹ Weine, armes Mädchen, auch deine Tränen werden milder fließen.«

Den Offizieren, welche ihn unten erwarteten, sagte er: »In einer Stunde zum Kriegsgericht, ihr Herren, wir wollen heute auch noch mit Herrn Peschewa fertig werden.«

Auch Michael, Johnson, der Konstabel standen dort ernst beisammen. Michael war sichtlich gerührt von der einfachen Trauerfeier.

»Seine Gnaden der Herr Oberst waren ein vortrefflicher Mann, ich werde ihn nie vergessen.«

»Niemand, der ihn gekannt hat,« sagte der Konstabel, »einen Oberst Schuyler vergißt man nicht.«

»Gott hatte ihn lieb, er fand ein glückliches Ende, im edelsten Aufschwung der Seele, vorangehend im Kampfe, nahte ihm der Tod. Wohl dem, der ein gleiches findet,« ließ Johnson sich vernehmen.

»Ist recht, Alter, ist recht. Sterben müssen wir alle, aber beneidenswert ist solch ein Tod.«

Edgar trat zu ihnen.

»So wäre das Trauerspiel vollendet, der Held von Fort Jackson ruht im Grabe.«

»Wenn mich nicht alles täuscht, wird gleich noch ein andres Trauerspiel zu Ende gehen,« äußerte Weller und blickte nach dem Wall am Tor hin, wo ein Dutzend Soldaten im Begriffe waren, einige Balken aufzurichten.

Sie schauten der emsigen Tätigkeit der Soldaten einige Augenblicke zu, dann fragte Edgar: »Was gedenken Sie nun zu tun, Mister Weller?«

»Mich wieder auf die Suche nach meinen Burschen zu machen. Kann nur allein nicht fort, wäre sonst schon hinter ihnen her. Muß abwarten, was der Kapitän beschließt. Ist auch das arme Mädchen hier, kann ja auch nicht im Fort bleiben, wird uns Blackwater nach der Küste geleiten lassen müssen. Aber was gedenkt Ihr zu tun. Fremder?«

»Ich behalte meinen Zweck fest im Auge, Konstabel, und erwarte ebenfalls Kapitän Blackwaters Entschließungen.«

»Will Euch was sagen. Mann, wird das Ottawa-Volk wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm sein, wenn sie dort erfahren, daß ihr Häuptling hier in Eisen liegt. Lungern sicher einige von dem Gezücht hier herum, kommt nicht allein, der Kitate. Werden die Ottawas es bald wissen und dann dürfte es für jedes weiße Gesicht gefährlich sein, sich im Walde zu zeigen.«

»Lassen wir den Kapitän erst seine Geschäfte erledigen, dann wird es Zeit sein, seinen Rat und seine Willensmeinung einzuholen.«

»Meiner Seele,« ließ Michael, welcher aufmerksam der Tätigkeit der Soldaten auf dem Walle gefolgt war, sich vernehmen, »meiner Seele, ein Gevatter Dreibein, ganz wie er in Leitrim aufgerichtet wurde, wenn ein lustiger Bursche ein Pferd gestohlen hatte.«

»So, stehlen die Irländer auch Pferde?« fragte Weller.

»Nun, kommt vor.«

»Aber hängen auch die Liebhaber von Pferdefleisch, he?«

»Jetzt nicht mehr, seit Jim O‘Flanagan nicht mehr. Gehen jetzt übers Wasser.« Nach Australien.

»Schade. Also Jim O‘Flanagan hat das abgebracht?«

»Gewissermaßen, ja, er war der letzte, der wegen eines jämmerlichen Gaules baumeln mußte, und er lebte vielleicht noch, wenn er den Johannistrunk nicht ausgeschlagen hätte.«

»O, wie ist das? Erzähl doch einmal, Bursche, höre gerne solche Sachen.«

»Nun, Sir, Jim O‘Flanagan war der munterste Bursche in Leitrim, hatten ihn alle gern, war lustiges, fröhliches Gemüt, und schwang seinen Shillalah, daß es eine Freude war.«

»Hatte wahrscheinlich nur eine große Vorliebe für Pferdefleisch?« fragte der hartnäckige Konstabel.

»Nun, Sir, war nicht zu leugnen, hatte Unglück, der Bursche. Nahm ihn eines Tages der Sheriff fest, sollte dem Müller den Fuchs gestohlen haben. Jim sagte, wäre ihm‘ auf der Landstraße begegnet, der Fuchs, hätte ihn nur festgehalten, um ihn dem Müller zurückzubringen.«

»Das glaubte man natürlich.«

»Nein, Herr, leider glaubte man ihm nicht.«

»Merkwürdig.«

»Und der arme Jim sollte hängen. Nun, war nichts zu machen, mußte den Sprung von der Leiter tun. Hatte immer geahnt, der arme Jim, daß es einmal so kommen würde, hatte deshalb mit seinem Freunde Patrick O‘Connor, dem Spielmann, abgemacht, und hatte ihm dieser auch fest versprochen, wenn er, Jim, einmal hinausgefahren würde, sollte Patrick dem Wagen vorausspielen, alle die schönen Lieder, die sie zusammen gesungen hatten. War fest versprochen.«

»Ist doch ein fröhliches Volk, das Irenvolk,« meinte Weller.

»Als nun der Tag kam, wo Jim fahren sollte, war Patrick nicht da. Wurde der Jim doch sehr verdrießlich, als er nirgends den lustigen Pfeifer erblickte, und sprach kein Wort mehr. Sah sich überall auf dem Wege um, aber kein Patrick kam. Lag zur Zeit betrunken irgendwo in einem Graben und schlief seinen Rausch aus, hätte sonst nimmer sein Wort gebrochen. Aber war gerade Johannistag, hatten eben gezecht, die Burschen. Als nun der Zug zum Wirtshause vor Dumfries kam, war gerade die Hälfte des Weges zum Galgen, kam die Wirtin heraus, um dem Delinquenten den letzten Trunk zu reichen, war Sitte so damals.

»Jim aber war so verdrießlich über das Ausbleiben seines Freundes, daß er den Trunk unwirsch zurückwies.

»Ist Johannistag,‹ Jim sagte die Wirtin, ›schlag keinen Johannistrunk aus, bringt Unglück das.‹

»›Nein, will nicht,‹ sagte dieser, ›ärgere mich zu sehr über Patrick. Vorwärts!‹

»Und weiter ging‘s, und Jim mußte baumeln.

»Kaum war‘s geschehen, kommt ein Reiter mit der Begnadigung angesprengt, sollte übers Wasser geschickt werden, der Jim. Hätte er den Trunk genommen, wäre der Reiter zur rechten Zeit gekommen, und Jim lebte heute noch. Seit dem Tage schlägt kein Ire einen Johannistrunk mehr aus, bringt Unglück.«

»Kalkuliere, täten‘s ohne deinen Jim O‘Flanagan auch nicht.«

»Kann sein!«

»Ist denn die Geschichte nun auch wahr. Mann?«

»War nicht dabei,« lachte Michael, »wird von den Alten so erzählt.«

»Eine echt irische Geschichte, Fremder, könnt da etwas lernen, oder habt ihr auch so vergnügte Galgengeschichten in eurem Lande?«

»Ich glaube nicht, wenigstens entsinne ich mich keiner solchen, aber dies wird‘s wohl sein, was man recht eigentlich Galgenhumor nennt.«

»Ist ein absonderlicher Humor.«

Auf dem Tisch neben dem Kommandantenhause wurde Papier und Tinte aufgestellt und die Offiziere versammelten sich dort.

Dann erschien Kapitän Blackwater. Er nahm an dem Tisch Platz, ersuchte einen der jüngeren Offiziere, ein Protokoll aufzunehmen, und befahl dann, die Gefangenen vorzuführen.

Hierauf wurden Peschewa und die beiden mit ihm gefangenen Indianer gebunden vor ihn gebracht.

Der Ottawahäuptling, dessen zerschmetterte Schulter der Chirurg verbunden hatte, mußte gewiß furchtbare Schmerzen leiden, gab aber durch kein Zucken seiner Muskeln Kunde davon.

Mit einem Gesicht von eherner Unbeweglichkeit trat er vor die Kriegsrichter.

»Wie heißest du?« redete ihn Blackwater an.

Peschewa gab nicht Antwort.

»Wir haben keine Zeit, uns mit indianischen Finessen und indianischer Verstocktheit aufzuhalten. Schreiben Sie: Peschewa, erster Häuptling der Ottawa-Nation; da er Auskunft verweigerte, wurde seine Person festgestellt — von — wer kennt ihn, Leute?«

Edgar, Johnson, der Konstabel, Michael waren als Zeugen anwesend.

Der Konstabel trat vor: »Ich, Kapitän.«

»Dieser rote Mann ist also?«

»Peschewa, der Häuptling der Ottawas.«

»Seine Person festgestellt,« fuhr kaltblütig Blackwater fort, »durch Mister Weller, Konstabel im Dienste der Regierung.«

Johnson bezeugte die Persönlichkeit ebenfalls.

Auch seine Aussage wurde zu Protokoll genommen.

Age restriction:
12+
Release date on Litres:
30 August 2016
Volume:
670 p. 1 illustration
Copyright holder:
Public Domain

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