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Read the book: «Der Letzte vom "Admiral"», page 10

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»Det freut mir ooch«, meinte der Schneider, »et is doch nischt, wenn eener keenen Namen nich hat. Paß mal uff, Hamburger, det wilde Menschenkind wird noch een janz jebildeter Mensch, wenn wir weiter mit ihm umjehen. Der Mann, weeste, is durch die Einsiedlerei herabjekommen un muß nu wieder Politur annehmen. Ich werde en bißcken an ihm rumschleifen, weeßte, wir Berliner haben so det Feine an uns. Jotte doch, Hamburger, wenn ick mir en paar Jahr uff die olle Insel hätte alleene rumtreiben müssen, ick wär ooch meschugge jeworden, un ick bin doch aus die Stadt von die Intelljenz. Mit det wilde Karlchen wird sich det noch machen.«

Ein indischer Fürstenhof

Der Pik von Lombok, der sich bis zu viertausendzweihundert Meter erhebt, stieg höher und höher aus dem Meer empor, den Scheitel umwallt von Dampfwolken, Zeichen seiner vulkanischen Tätigkeit. Bald lag die felsige Südküste vor ihnen, und zwischen Bali und Lombok, in die nach letzterm benannte Straße einlaufend, trafen sie noch vor Sonnenuntergang auf der Reede von Ampanan ein.

Da die Einfahrt bei Nacht gefährlich war, ging der »Arang« vor Anker. Der Prinz blieb an Bord, und nur zwei der Offiziere begaben sich im Boot nach der Stadt, von denen der eine den Fürsten von dem auf seinen Sohn gerichteten Angriff unterrichten sollte, während dem andern befohlen war, sofort Vorbereitungen für eine kriegerische Expedition nach der Insel zu treffen, um sich der dort befindlichen Malaien zu versichern.

Den Abend verbrachten unsere Freunde in der Gesellschaft des liebenswürdigen und gastfreien balinesischen Fürstensohnes. Nach Sonnenaufgang segelte der Schoner nach Ampanan. Der Hafen der malerisch an Höhenzügen gelegenen Stadt zeigte, als sie näherkamen, trotz der frühen Stunde reges Leben; indische und chinesische Fahrzeuge ankerten dort in großer Zahl, und auch am Ufer ward lebhafte Tätigkeit entfaltet.

Mr. Blake ließ die Flagge des Prinzen aufziehen und die Kanonen donnern. Alsbald flogen auf allen Schiffen bunte Wimpel empor, und zwei Batterien, welche, gut mit Geschützen besetzt, die Hafeneinfahrt deckten, erwiderten den Gruß. Mit frischem Wind kam der »Arang« ein.

Henrik und Fritz standen an Deck und blickten auf die im Sonnenschein glänzende Stadt mit ihren niedrigen Häusern, auf das bunte Gewirr der ostasiatischen Fahrzeuge und Boote mit ihrer farbigen Bemannung. Zu ihrem Leid sahen sie kein europäisches Schiff.

Vorn stand der Einsiedler Karl Steffen und schaute mit einem Ausdruck fast des Schreckens auf das rege Treiben.

Bald legte der »Arang« an einem gutgebauten Quai an.

Am Ufer hielten einige mit schönen Pferden bespannte Wagen, unter denen eine elegante Equipage auffiel.

Soldaten, wohl in der Stärke eines unserer Bataillone, waren erschienen, um den Prinzen zu empfangen. Mit Erstaunen sah Henrik sie in gut ausgerichteten Reihen aufgestellt und einheitlich uniformiert. Rote Jacke, weißes Kopftuch und die Sarong, das blaue weite Beinkleid, gaben ihnen im Verein mit den dunkeln, bärtigen Gesichtern ein orientalisch malerisches Gepräge. Bewaffnet waren sie mit krummen Seitengewehren und schönen englischen Büchsen; sie zeigten eine Haltung, die fast an europäischen Drill erinnerte.

Jetzt erschien auch Anak Madé an Deck, begleitet von den noch an Bord anwesenden Offizieren. Er war in prachtvolle seidene Gewänder gekleidet, im Schnitt ähnlich der militärischen Tracht. Sein weißes Kopftuch zierte eine glänzende Diamantagraffe. An der Seite trug er einen mit Gold und Edelsteinen reich gezierten Säbel in rotsamtener Scheide. Er war eine fürstliche Erscheinung.

»Du, Hamburger«, flüsterte Fritz, »unser gelber Prinz hat sich aber gehörig rausgemausert.«

»Still!«

Henrik begrüßte ihn mit einer Verbeugung, und Anak Madé sagte freundlich: »Ihr werdet mir folgen, meine Diener werden für euch Sorge tragen.«

Henrik ging zu Steffen und sagte: »Wirst du mit uns an Land kommen, Steffen?«

Dieser, der von dem Treiben ringsum wie betäubt schien, entgegnete, den Kopf schüttelnd: »Besser, Bord – viele Menschen.«

Da Henrik es gleichfalls für das beste hielt, daß Steffen auf dem Schiff blieb, folgte er ohne diesen mit Fritz dem Prinzen, der bereits mit seinen vornehmsten Begleitern in der Equipage Platz genommen hatte.

Diener führten sie zu einem der andern Wagen von indischer Bauart, und in diesem folgten sie dem Prinzen, während die Soldaten die Gewehre präsentierten und eine Musikbande mit Pfeifen, Trommeln und Becken einen ohrenbetäubenden Lärm erhob. Sassaker, Chinesen, Malaien, Balinesen waren herbeigeströmt, um den Prinzen zu sehen und begrüßten ihn in der sklavischen Weise der Asiaten.

Die Wagen brachten sie auf guter Straße rasch nach einem kleinen, in indischem Stil errichteten Lustschloß, einem Holzbau mit reichem Bildwerk, welcher inmitten eines schön gepflegten Gartens lag.

Henrik und Fritz wurden in die untern Gemächer geführt und dann eingeladen, in besonders dazu hergerichteten Räumen zu baden. Dies geschah in der luxuriösen Weise des Orients. Hernach kleidete man sie in prachtvollere Gewänder als ihre bisherigen und brachte ihnen Frühstück, ähnlich den Mahlzeiten, welche sie an Bord eingenommen hatten.

»Wie kommst du dir denn nu ejentlich vor, Hamburger?« fragte Fritz, als er seinen nicht unerheblichen Appetit befriedigt hatte. »Mir ist det Janze so wie'n Traum, weeßte.«

»Ja, du hast recht; die Begebenheiten der letzten Woche sind märchenhaft, traumartig.«

»Wenn sie mir man nur nich uff ne unanjenehme Weise uffwecken.«

»Fürchte das nicht, wir sind Gäste eines vornehmen Mannes.«

»Ja, det muß wahr sind, der Prinz Exzellenz is 'n janz feiner Kunde, so uff seine Art. Jloobst du denn nu, dat so wat vor't Knopploch vor mir abfallen wird, Hamburger?«

Henrik lachte über das wiederholt sich äußernde Ordensbedürfnis des Schneiders.

»Na, wat is denn da zu lachen?« sagte Fritz verdrießlich. »Ick habe doch den wilden Mörder jefangen, un bei uns kriegt manch eener 'n Orden vor weniger.«

»Nur ruhig, Fritz, es wird schon eine Belohnung für deine Tapferkeit kommen.«

»Na, ick bin bejierig.« – Nach einiger Zeit sagte er: »Uff welchen Erdteil sin wir denn nu hingeraten, weeßt du da wat von?«

»Ich weiß nur, daß wir auf Lombok sind, einer der kleinern Sundainseln.«

»Hab ick noch nie von jehört.«

»Glaube ich wohl, diese Gebiete sind den Europäern überhaupt wenig bekannt.«

»Dann jebe ick, wenn ick wieder nach Haus komme, eene Reisebeschreibung heraus: ›Fritze Fischer uff de wilden Inseln‹, da jibt et aber Moos vor.«

»Ja, das tue, das wird Aufsehen machen, ich nehme die ersten zwanzig Exemplare.«

»Un unser juter, armer Robinson, der wird sich uff det olle Schiff aber mopsen.«

»Es ist besser, er bleibt dort und gewöhnt sich erst nach und nach wieder an Menschen.«

»Der kann ooch 'n Buch schreiben von wilde Inseln.«

»Ich glaube auch«, erwiderte Henrik und dachte an den entsetzlichen Zustand, in welchem sie Steffen aufgefunden hatten, an die noch so dunkle Begebenheit, welche ihn in jene Wildnis geschleudert.

Mr. Blake ließ sich einführen und berichtete, daß er den jungen Leuten als Dolmetscher beigegeben sei, da der Prinz sich nicht mehr in bisheriger Weise um sie bekümmern könne. Auch forderte er sie auf, sich zum Ritt nach der Hauptstadt Mataram bereit zu machen, da Anak Madé aufbrechen wolle.

»Wat is det? Reiten? Na nu is aber det Ende von weg. Det tu ick nich, uff so 'n Beest setze ick mir nich; eenmal hat mir eens abgefeuert, aber feste! Mir tun noch die Knochen weh, wenn ick an denke. Ne, det tu ick nich«, äußerte Fritz nachdenklich, als er von dieser Art der ihm zugemuteten Fortbewegung erfuhr. »Warum können wir denn nich in de Equipage fahren? Daran bin ick jewöhnt.«

Mr. Blake erklärte, daß der Gebrauch eines Wagens untunlich sei und die Reise zu Pferd gemacht werden müsse, da verschiedene unüberbrückte Gewässer den Weg kreuzten.

Henrik, der auch sehr gut im Sattel zu Haus war, freute sich des bevorstehenden Rittes und sagte ermunternd zu Fritz: »Aber, Sohn der Metropole, Kind der Stadt der Intelligenz, du wirst doch das bißchen Reiten fertigbringen? Wenn du das nicht kannst, dann, so leid es mir tut, sinkt meine Hochachtung vor dir erheblich!« Henrik begleitete diese Aufmunterung mit so bedeutsamen Blicken, daß der so bei seinem Selbstbewußtsein, seinem Stolz auf die Berliner Abkunft gefaßte Schneider schwankend zwischen der Erinnerung an unliebsame Erfahrungen und dem Drang, seine angeborene Würde aufrechtzuerhalten, zögernd entgegnete: »Ja, ick könnte 't ja woll riskieren – det heeßt – dat muß denn aber ooch 'n jutes Pferd sind – wat 'n sanftmütigen Charakter hat, so mit tückische Beesters lasse ick mir nich in.«

»Es ist doch selbstverständlich, daß unser Prinz nicht nur die besten und ruhigsten Pferde besitzt, sondern daß man dir auch ein lammfrommes Roß geben wird; das Tier, dem es gelungen ist, dich abzuwerfen, war gewiß nur ein gemeiner Karrengaul.«

»Det stimmt.«

»Nun, siehst du? Und was würde Seine Durchlaucht denken, wenn du dich weigern wolltest zu reiten, nachdem du so hervorragende Heldenwerke verübt hast – und – was einen möglichenfalls in Aussicht stehenden Orden anbelangt – ja – man kann nicht wissen – wie – ja, wie das alles noch wird.«

»Ick reite mit, Hamburger«, erwiderte Fritz sehr lebhaft, »ick werde mir schon festklammern, wenn det Tier eklich wird – ick reite mit.«

»Ich wußte ja, daß dein angeborener Mannesstolz dir nicht erlaubt, zurückzubleiben.«

Sie gingen mit Mr. Blake hinaus und fanden eine große Reiterschar vor, wie es schien, Soldaten. Eine stattliche Anzahl der kleinen, aber dauerhaften Pferde wurde von diesen gehalten.

Gleich nach ihrem Erscheinen führte man den drei Europäern Rosse vor, die nach indischer Art gesattelt waren. Diese hat Ähnlichkeit mit der arabischen.

Fritze betrachtete sich den ihm zugedachten Braunen mit Mißtrauen.

»Wenn det Vieh die Ohren spitzt, denn setz ick mir nich uff – det kenn ick schon.«

Aber der Braune spitzte die Ohren nicht, und Henrik half dem Schneider in den Sattel, der Diener übergab ihm die Zügel, und Fritz Fischer war beritten.

Henrik schwang sich leicht auf den Rücken seines schönen Grauschimmels.

»Wenn der Racker sich man nur anständig ufführt!« äußerte Fritz nicht ohne Besorgnis.

»Nur Mut, ihr Berliner seid ja die geborenen Reiter.«

»Det woll, det hat schonst der olle Ziethen jesagt – aber –«

Anak Madé erschien mit einigen Begleitern, alle Indier verneigten sich tief, die Stirn mit der Hand berührend. Er bestieg sein Tier und gab das Zeichen zum Aufbruch, es bildete sich ein Zug von orientalischem Gepräge.

Eine Schar bewaffneter Reiter eröffnete ihn, dann folgte der Prinz, hinter sich ein Gefolge von vornehmen Balinesen und Offizieren, in deren letzten Reihen Mr. Blake und unsere jungen Freunde ritten. Dienerschaft folgte, und eine zweite bewaffnete Reiterschar schloß den Zug, der wohl hundertfünfzig Pferde zählen mochte. Ampanan ward umritten, und bald befanden sie sich auf einer breiten, gut gebauten und von wilden Feigenbäumen eingefaßten Landstraße, welche in gerader Linie nach dem etwa eine Stunde entfernt liegenden Mataram führte.

Wohlbebaute Reis- und Maisfelder zeigten sich rechts und links auf der weit ausgedehnten, hie und da von kleinen Hainen durchsetzten Ebene, dazwischen anmutig gelegene Dörfer im Schatten von Palmen. Fernhin erhob sich das Gebirge, gekrönt von dem himmelanstrebenden Pik, den die Eingeborenen Gunung Rindjani nennen. Mataram selbst war eines niedern Hügelzuges wegen nicht zu gewahren.

Die Kavalkade bewegte sich im Schritt, und Fritz Fischer befand sich ganz behaglich im Sattel, wenngleich er dem Tier etwas mit dem Zaumzeug zusetzte.

»Wie nehm ick mir denn aus, Hamburger, als reitender Kavallerist?« fragte er.

»Als wenn du im Sattel aufgewachsen wärest.«

»Ick jloobe ooch, ick kann et, der Jaul kriegt mir nich runter.«

Und mit viel Selbstgefälligkeit reckte er sich im Sattel.

Nach einiger Zeit fragte er, auf den Gipfel des Pik deutend: »Wat is denn det vor'n Rauch uff den Berg, jibt et da Fabriken?«

»Das ist ein gewaltiger Vulkan, ein feuerspeiender Berg, der Schwefeldämpfe in die Höhe sendet.«

»Een feuerspeiender Berg? Willst du mir uzen?«

»Du kannst dich ja von seiner Tätigkeit überzeugen, wenn wir die Erlaubnis erhalten, ihn zu ersteigen.«

»Ick werde mir hüten un uff so een Ding ruffklettern, nee – vor so Sachen bin ick nich.«

Sie hatten einen kleinen Fluß, welcher den Weg kreuzte, durchritten, und dem Beispiel des Prinzen folgend, setzte sich alles in Galopp.

»Ach Jotte doch, Hamburger, det Beest jeht durch!« schrie Fritz und klammerte sich an den Sattelknopf.

»Sitze nur ruhig, das Pferd ist sanft.«

»Wenn er mir absetzt, reiten mir die andern tot. Brr! Brr! Hü! Hott! Brr!«

»Sei still und blamiere uns nicht.«

»Du hast jut reden. Ach, du lieber Jott!«

»Nimm ihn fest zwischen die Knie.«

»Ja woll – o brr! Is det ne tückische Canaille.«

Henrik, der sich über ihn ärgerte, gab ihm einen Puff in die Seite: »Halt den Mund und sitz ruhig, es kann dir nichts geschehen.«

»Oh, du meine Jüte – det jeht noch über de Menschenfresser –«

Blaß vor Angst klammerte sich Fritz ohne Rücksicht auf den Zügel an Mähne und Sattelknopf, obgleich das Pferd in der Tat einen so sanften Galoppging, daß er wie in einer Wiege saß und nur seine Furcht ihn Gefahren sehen ließ, die gar nicht vorhanden waren. Ein neuer Flußübergang gebot Schritt, und Fritz kam wieder zu sich.

Als sie langsam weiter ritten, sagte er: »Ick habe mir aber jut jehalten, nich wahr, Hamburger?«

»Und wie! Wenn dein Ritt in Berlin bekannt wird, stecken sie dich sofort unter die Gardedragoner.«

»Da jeh ick ooch bei, jetzt hab ick et schon so ziemlich weg.«

Die Reiter hatten eben einen dünnen Waldsaum durchmessen, als sie die Stadt Mataram nahe vor sich sahen.

Von einem gewaltigen Bambuszaun umgeben, in welchem eine breite Toröffnung sichtbar war, zeigten sich die niedrigen, mit Atapoder Alang-Alang gedeckten Tonhäuser der Stadt, zwischen denen sich Gebangpalmen erhoben. Einige tempelartige Gebäude fielen auf, alles aber wurde von des Radscha Palast überragt, auf welchen die breite Straße gerade zuführte.

Sie ritten durch das Tor, an welchem einige Kanonen standen. Die Stadt machte einen überaus seltsamen Eindruck. Rechtwinklig sich durchschneidende Straßen – die durch dieselben gebildeten Vierecke von Tonmauern umgeben – die Häuser ohne Fensteröffnungen – das Ganze nur verschönt durch blühende Pflanzen und einzelne Palmen, das war es, was ihr Auge erblickte. Dennoch mußte die Bevölkerung Matarams nicht unbeträchtlich sein, denn an den Zug Anak Madés drängten sich zahlreiche Scharen von Männern, Frauen und Kindern, die sehr verwundert auf die weißen Gesichter Henriks und Fritzens starrten.

Sie kamen am Palast, einem stattlichen, in indisch-arabischem Stil gehaltenen, aus Backsteinen errichteten Bauwerk, das inmitten Matarams auf einem freien Platz lag, vorbei und verließen die Stadt auf der entgegengesetzten Seite. Anak Madé wurde von der Bevölkerung, welche vorwiegend aus Balinesen bestand, freundlich und ehrfurchtsvoll begrüßt.

Der Eindruck, welchen Mataram machte, war so fremdartig, so von allem verschieden, was europäische oder auch orientalische Städte kennzeichnet, daß selbst der Berliner erstaunt war und sich zu der Bemerkung aufraffte: »Det is aber ne putzige Jegend.«

Dicht vor dem andern Tor umfing die Reiter ein herrlicher Wald, der bald in künstliche Anlagen auslief, in deren Mitte Gunung Sari, das Lustschloß des Radscha und seine eigentliche Residenz, ein in indischem Stil errichtetes Prachtgebäude sich erhob. Während Anak Madé sich zum Hauptgebäude wandte, um seinen Vater zu begrüßen, wurden Mr. Blake, Henrik und Fritz zu einer der weiter zurückliegenden Behausungen geführt und dort einquartiert. In der Anlage des Parkes, mit seinen von Wasservögeln belebten Teichen, den Wohnungen, Stallungen und Wirtschaftsgebäuden, den Scharen von Dienern zeigte sich die ganze Pracht eines indischen Fürstenhofes.

»Det is aber fein hier«, meinte Fritz in einer aufrichtigen Bewunderung, welche Henrik vollkommen teilte.

Sie verbrachten den Tag, die heißen Stunden der Mittagszeit ausgenommen, damit, sich unter Mr. Blakes Leitung alle Herrlichkeiten Gunung Saris anzusehen, soweit das möglich war, ohne den Fürsten zu belästigen. Das prächtige Schloß enthielt in seinen Zimmern und Sälen nicht nur große Kostbarkeiten an indischen Geweben, Porzellanen, Schnitzereien aus Elfenbein und edeln Holzarten, schön verzierten Waffen und künstlerisch geformten Gefäßen aus Gold und Silber, sondern die große Vorhalle zeigte auch eine Reihe kostbarer Gemälde, welche Szenen aus dem altindischen Epos, dem Mahabharata, darstellten. Hierüber erstaunte Henrik am meisten.

Überraschend waren die künstlichen Wasserwerke des Parkes; Kaskaden, Fontänen, Wasserfälle, alles umrahmt von herrlicher tropischer Vegetation, boten reiche malerische Abwechslung.

»Det is noch scheener als unser Tierjarten«, gestand Fritz unter der Fülle von Eindrücken.

»Ja«, sagte Henrik, »das ist orientalische Pracht, von der wir zu Hause nur träumen.«

Nach Dunkelwerden waren Schloß und Park feenhaft durch bunte Laternen beleuchtet, dazwischen brannten in Kandelabern wohlriechende Hölzer.

Der Prinz sandte jetzt einen Diener und ließ seine jungen Gastfreunde zu sich bitten, um sie seinem Vater vorzustellen. Er entschuldigte sich, daß er sich nicht habe um sie bekümmern können, doch hätten ernste Geschäfte ihn davon abgehalten. Dann führte er sie zu einem Saal im Erdgeschoß des Schlosses, dessen weite Fensteröffnungen auf den Park hinausgingen.

In der gedämpften Beleuchtung sahen sie einen stattlichen, etwas beleibten Herrn vor sich, der im Kleid des vornehmen Inders in einem Lehnsessel ruhte. Das gut geformte, obwohl fleischige Gesicht, in welchem große dunkle Augen funkelten, drückte bedächtige Klugheit und zugleich Wohlwollen aus. Das war Ratu Nghura Agung Asem, der Radscha von Bali und Lombok.

Anak Madé nahte sich ihm mit tiefer Ehrfurcht.

Henrik verbeugte sich sehr respektvoll, und Fritze wäre beinahe hingefallen, so tief bückte er sich vor der vornehmen Person des Fürsten.

Der Prinz stellte die Jünglinge vor, und des Radschas Auge ruhte mit Wohlgefallen auf Henriks edler Erscheinung. Er sprach zu ihnen freundliche Worte, welche Anak dahin übersetzte: »Mein Vater dankt euch für den Beistand, den ihr mir geleistet habt, und heißt euch willkommen. Ihr seid seine gerngesehenen Gäste, so lang es euch gefallen wird, hier zu weilen.«

Der Fürst ließ an die jungen Leute noch einige Fragen über ihre Stammesangehörigkeit, heimischen Verhältnisse und nächste Absichten richten, die Henrik bescheiden beantwortete.

Ratu Asem entließ sie, indem er sich verabschiedend neigte, mit der Zusage, daß sie, um einen Hafenplatz zu erreichen, der ihrer Heimkehr förderlich sei, sich seines Beistandes versichert halten könnten.

Draußen fragte Fritz, der erst jetzt wieder zu sich kam: »Det war wohl 'ne Audienz, wie man det nennt?«

»Ja, so ungefähr.«

»Sehr nobel war die jelbbraune Durchlaucht, janz wie 'n Sekretar uff det Bureau, det muß ick sagen. Hat er nischt fallen lassen von so 'n Bändchen oder 'n kleenen Papagei; hier werden et ja woll Papageis statt Adler sind, in det Knopfloch vor mir?«

Henrik mußte verneinen, was Fritz sehr verstimmte.

Sie wurden in den Park geführt, wo sich schon zahlreiche, zum Hofstaat gehörige Personen eingefunden hatten, und wohnten der Aufführung von Waffentänzen junger Balinesen und den überaus geschickten und überraschenden Produktionen von privilegierten Gauklern bei, welche ihnen die höchste Bewunderung abnötigten. Mr. Blake geleitete sie dann nach Beendigung der Aufführungen zu ihrem Schlafgemach.

Als Fritz Fischer am andern Morgen erwachte und die noch verschlafenen Augen auf seine nächste Umgebung richtete, malte sich ein nicht geringes Erstaunen in seinen Zügen, welches erst mit dem aufdämmernden Bewußtsein, das ihm die Gegenwart zurückrief, wich.

»Ick habe et bloß geträumt«, murmelte er vor sich hin, »jetzt weeß ich et, aber et war zu natürlich. Die liebe Olle mit's Kaffeebrett un de Schrippen, un de Line ans Klavier, ick sah ihnen vor mir. Ick bin aber noch in die indische Jegend, un wie et nu weiter jehen wird, det weeß der liebe Jott. Mein juter Hamburger liegt noch in Morpheusens Armen, wie man sich jebildet ausdrückt.« Er warf einen Blick auf den unweit ruhenden und noch fest schlafenden Henrik. »Et is man jut, det wir von die olle Insel weg sind, ick halte et doch mit eene halbwegs jebildete Jegend. Et is hier janz propper, det muß man sagen, wenn't ooch 'n bißchen türkisch is oder so.«

Er ließ seinen Blick über das luftige Gemach streifen, das den beiden jungen Leuten als Schlafraum angewiesen war. Die großen Fensteröffnungen waren durch Gehänge von dünnen Bambusstäben geschlossen, die aber doch Luft und ein behagliches Dämmerlicht einließen. Außer den niedrigen Ruhestätten zeigte das geräumige Zimmer indische Rohrsessel und Diwans. Wo nicht Holzschnitzereien die Wände zierten, waren sie mit farbigem Musselin bekleidet. Teppiche von köstlicher Arbeit deckten den Fußboden. Einige Gefäße aus Metall und Porzellan waren in geschmackvoller Anordnung an den Wänden aufgestellt, und auf einem niedrigen runden Tisch stand ein Becken mit einem kleinen Metallstab daneben. »Ja, et is recht hübsch, wenn ick nur allens mitnehmen könnte.« Er betrachtete dann die Kleider, die vor seinem Bett lagen und des Gebrauchs harrten, und nahm das weiße Obergewand und die Sarong, die als Beinkleid diente, in die Hand, unwillkürlich die Beine kreuzend und unterschlagend und sich so in die Stellung bringend, in der die Schneider zu nähen pflegen.

»Der Stoff is jut«, murmelte er, »da is nischt jejen zu sagen, vier Mark fünfzig der Meter bei siebzig Zentimeter Breite. Is ooch jut jenäht, vor Handarbeit sehr jut; der braune Kollege hier versteht et ooch, det seh ick schonst. Aber ick jloobe, die haben hier von die freie Arbeit un von Handwerkerstolz keene Ahnung un am Ende ästimieren sie mir nich mehr, wenn sie wissen, det ick Schneider bin.«

Er versank, immer in seiner Stellung verharrend, in Nachdenken. »Nun, Fritz, willst du dich hier als Marchand tailleur niederlassen?« erklang Henriks Stimme, der halbaufgerichtet auf seinem Ruhebett lag und mit muntern Augen zu Fritz herüberschaute. Flink streckte Fritz seine gekreuzten Beine aus und ließ die Kleider, die er in der Hand hielt, fallen.

»Bist du schon bei der Hand, Hamburger?«

»Jawohl, mein lieber Schneidermeister in spe, ich bewundere den Kennerblick, mit dem du deine orientalische Kleidung betrachtest.«

»Als Maskeradenjarderobe mag det Zeug ja anjehn, aber et is ne janz unvernünftige Tracht.«

»Landessitte, Landesart; unser schwarzer Schwalbenschwanz und wunderlicher Zylinder würden einen seltsamen Gegensatz zu Palmen und indischen Häusern bilden. Mir will es scheinen, als ob du mit deiner Haltung und deinem ausdrucksvollen Angesicht für diese malerische Tracht geboren wärest.«

Fritze warf ihm einen Blick zu, der nicht ganz frei von Mißtrauen war, sagte aber doch: »Meenste?«

»Unzweifelhaft.«

Nach einer Weile sagte Fritz: »Du, Hamburger, ick will dir mal wat sagen.«

»Nun?«

»Siehste, et is ja natürlich, daß die jelben Menschen hier uns für etwas Reputierliches halten –«

»Selbstverständlich, besonders dich als geborenen Berliner.«

Ohne der Unterbrechung zu achten, fuhr Fritz fort: »Und et könnten sich ja noch allerlei Folgen dran knüpfen.«

»Hoffentlich«, erwiderte Henrik, der nur mit Mühe den Ausbruch heiterster Laune zügelte.

»Wenn die Leute hier nu erfahren, det ick man bloß von die Schneiderakademie bin, nich als ob ick mir etwa schäme, det brauchst du nich zu jlooben, ick bin stolz uff mein Metier, aber so 'n richtigen Handwerkerstand haben sie hier doch nich mit Zunft und Lade und Fahne – dann –« Fritz hielt zögernd inne.

»Nun, schieß nur los.«

»Ick meene, weil sie doch hier keenen richtigen Verstand von haben, wat unsereins bedeutet.«

»Nun ja, nur weiter.«

»Wenn sie nu erst wissen, det ick Schneider bin, am Ende könnten mir die Exzellenzen un Durchlauchten nich mehr jehörig ästimieren, un –«

»Weiter – weiter – ?«

»Deshalb brauchst du den Prinzen det nich gerade auf die Nase zu binden, det könnte meine jejenwärtige Stellung gefährden.«

»Das ist richtig. Der Fürst schien dich mit großem Wohlgefallen zu betrachten und wird dich wohl nächstens zum Geheimrat ernennen, vorausgesetzt, daß du dich gelb anstreichen lässest.«

»Mit dir is gar kein vernünftiges Wort zu reden«, sagte Fritz sehr verstimmt.

»Nein, sei nur ruhig – ich sage kein Wort von deiner akademischen Würde«, lachte Henrik, »mögen sie dich für einen abendländischen Prinzen halten.«

»Brauchst dich gar nich lustig zu machen, man hat doch seinen Pli un feines Benehmen –«

»Ja, ja.«

»Un ick habe mir doch ooch in die Schlachten honorig aufgeführt.«

»Der alte Derfflinger ist ein Hase gegen dich –«

»Der war ooch Schneider«, sagte Fritz sehr nachdrücklich.

»Darum erwähne ich ihn ja.«

»Und hat den Schweden det Maß mit eiserner Elle bei Fehrbellin genommen.«

»Richtig.«

»Un Napolium ooch –«

»Was?«

»Der war ooch Schneider.«

»Wer?« schrie Henrik auf.

»Na, der jroße Napolium mit Leipzig un Waterloo.«

Mit grenzenlosem Erstaunen starrte ihn Henrik an.

»Der war – ?«

»Ick sag et dir ja – der war ooch Schneider.«

»Hahaha!« Das Gemach dröhnte von dem Ausbruch von Henriks Heiterkeit. »Hahaha! Fritze, Schneiderseele, Marchand tailleur, willst du mich denn durch Lachkrämpfe umbringen: Napoleon, Schneider? Hahaha!«

»Ja, in die Bücher steht da nischt von, det hat er alles wegstreichen lassen, weil er sich später der Profession geschämt hat, aber Schneider war er.«

»Junge, woher hast du denn diese überraschende historische Kunde?«

»Det hat uns der Altgeselle mehr als einmal auf der Werkstatt erzählt. Napolium oder Bonaparte, wie er eigentlich hieß, war Geselle in Marseille und ein sehr feiner junger Mensch. Da sagte eines Tages ein General, der ihm jut leiden mochte, zu ihm: ›Hören Sie mal, kleiner Bonaparte, Sie sollten auch lieber Offizier werden, als sich mit der Nadel zu quälen, Sie haben so was Militärisches an sich.‹ Da sagte Napoleon: ›Wenn Sie meinen, kann ick ooch Offizier werden, det sagt mir sehr zu‹, und da wurde er Offizier und ein Jahr drauf war er schon General und gewann janz alleene die jrößten Schlachten.«

»Fritz, wenn du die Geschichte durch diese überraschende Neuigkeit bereicherst, wirst du schon allein dadurch berühmt.«

»Ach, ick erzähle et ja man nur, damit de weeßt, daß aus 'n richtigen Schneider allens werden kann.«

»Ich zweifle nicht, ich zweifle nicht und werde mich auch nicht verwundern, wenn du nach deiner bisherigen kriegerischen Tätigkeit auch schließlich noch Heere kommandierst und mindestens Feldmarschall wirst.«

»Meenste nich? Wenn ick mir man nur ordentlich uff det Geschäft lege, ick bringe et ooch fertig, so jut wie der Derfflinger.«

»Fritz, seitdem ich erfahren habe, daß Napoleon Schneider war, ehe er sich aufs Kriegshandwerk legte, halte ich alles für möglich. Aber diese Morgenunterhaltung hat mir einen Appetit verursacht, der dringend nach Befriedigung verlangt.«

»Jeht mir ooch so. Aber ick habe dir det allens nur jesagt, damit du mir nich unnötig in der Achtung dieser Menschen herabsetzest, die vor Gesellen von die Schneiderakademie von Pietsch nich den jehörigen Respekt haben könnten.«

»Nein, künftiger Generalissimus, von mir erfährt es kein Mensch, daß du statt des Schlachtschwertes bisher die Nadel geführt hast. Deine kriegerischen Neigungen gaben sich übrigens auch darin kund, denn es war immerhin Stahl, was du in der Hand führtest.«

»Mach dir nur lustig«, entgegnete Fritz, der von der Zusicherung Henriks sehr befriedigt war, »auf dem ollen Schiff habe ick die Menschenfresser doch jehörig zugesetzt.«

»Ja, das ist für alle Zeit aufgezeichnet.«

»Ohne von die jelben Mörder, die ick uff der Robinsoninsel injefangen habe, zu reden.«

»Ja, Fritz, in dir stecken mehrere Derfflinger, mindestens ein Napoleon und nebenher noch ein Freiherr von Münchhausen.«

»Wie meenst du det?«

»Ah, daß du einer der wahrheitsliebenden Menschen bist.«

Fritz wollte etwas entgegnen, aber Henrik unterbrach ihn mit einem »Genug, ich habe Hunger«.

»Is denn hier keen Kammerdiener nich oder so, der einem 'n bißchen uffwartet?«

»Warte, wollen mal sehen, ob wir deinen Kammerdiener nicht herbeizaubern können, ich bemerke doch, daß du etwas vom Grandseigneur in dir hast.«

»Von wat?«

»Das will ich dir später erklären, zukünftiger Napoleon.«

Henrik nahm das Stäbchen und schlug damit auf das metallene Becken, dem er dadurch einen hellen, lang anhaltenden Ton entlockte.

Wie er vermutete, rief dieser Laut Dienerschaft herbei, denn gleich darauf traten zwei braune Burschen ein, die sich tief verbeugten.

Henrik und Fritz Fischer wurden durch Gebärden eingeladen, zu folgen.

Man hing ihnen Mäntel von Baumwollenstoff um und führte sie in ein nahegelegenes Badezimmer, kleidete sie nach erfrischendem Bad an und geleitete sie in einen andern luftigen Raum, dessen großes offenes Fenster den Blick in einen Teil des Parkes freigab, wo ein nach indischer Sitte angerichtetes reiches Frühstück ihrer harrte.

Mit dem besten Appetit sprachen die jungen Leute den schmackhaft bereiteten Speisen, dem trefflichen Tee zu.

Nach beendetem Mahl ließen sie die aufwartenden Diener abtreten und setzten sich an das Fenster, mit tiefem Behagen die köstliche duftgeschwängerte Luft einatmend und sich an dem zwar beschränkten, aber lieblichen Anblick, den das kleine Stück Park dem Auge bot, erfreuend.

»Det is recht hübsch hier«, meinte Fritz, »det is so wie in't Palmenhaus bei uns.«