Read the book: «Das Auge des Feinschmeckers»
Winter
Das Auge des Feinschmeckers
Schottland-Krimi mit Rezepten
Frank Winter
Das Auge des Feinschmeckers
Schottland-Krimi mit Rezepten
Haftungsausschluss: Die Rezepte dieses Buchs wurden von Verlag und Herausgeber sorgfältig erwogen und geprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Die Haftung des Verlags bzw. des Herausgebers für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
© 2012 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des
Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Britta Gerloff
Umschlag: Thorsten Hartmann
unter Verwendung eines Fotos von wragg/istockphoto.com
Rezepte: Frank Winter
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-941895-26-3
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhalt
Die Personen
Mexiko ist hier nicht
Das Unglück beginnt
James Bond lässt grüßen
Herr Doktor / Frau Doktor
Die Qual der Wahl
Alles, was Sie mit Scotch kochen können – Teil 1: Cullen Skink
India, warum?
Liebe etc.
Francis Drake ist kein Sir
Eine Hausärztin hilft am besten
Alles, was Sie mit Scotch kochen können – Teil 2: Marinierte Kipper Fillets
Hyckill im Einsatz
Mrs Sinclair in Portobello
Unterschiedliche Pflichten
Gleich und Gleich
Zwei Detektive im Einsatz
Irgendwo in der Ferne
Mister Brodie leidet
Die Hebriden sind eine Reise wert
Die Spur verdichtet sich
Land in Sicht
Alles, was Sie mit Scotch kochen können – Teil 3: Warme Whisky-Sahne
Männer der Kirche und des Schwerts
Tradition verpflichtet
Tag der Tat
Finale
Warum das Leben ein großer Butterkeks ist / Rezept für Shortbread
Frittierte Pilze
Cullen Skink
Marinierte Kipper Fillets
Warme Whisky-Sahne
Glossar schottischer Begriffe
Die Personen
Angus Thinnson MacDonald
wird nicht nur bei Shortbreadkeksen und Single Malt Whisky schwach. Edinburghs gewichtigster Gourmet hat seine Passion zum Beruf gemacht. Ein höchst merkwürdiges Stück Fleisch in einem mexikanischen Restaurant zwingt ihn zu ausgedehnten Nachforschungen. Er ist fest entschlossen, für die Verteidigung des guten Essens alles zu wagen.
Alberto Vitiello
ein vor Jahrzehnten nach Edinburgh übergesiedelter Italiener.
»Take life as a joke« lautet seine Philosophie. Wenn er nicht gerade seinem besten Freund Angus bei den Ermittlungen hilft, führt er mit seiner Frau Maria sehr fidel ein Guest House.
Dr. Karen Miller
MacDonalds Leibärztin und eventuell zukünftige Dame seines Herzens rät ihm ebenso häufig wie dringend zum Abnehmen.
Leonard Hyckill
leidgeprüfter Forscher, der auch im gesetzten Alter noch bei seiner Frau Mutter wohnt. Führt seine Art von Leben, weil er nichts anderes kennengelernt hat.
Francis Drake
englischer Restaurant-Besitzer, der nur seine Geschäfte und keine Skrupel kennt.
Mrs Sinclair
eine reizende ältere Dame, deren Gesellschaft MacDonald zu schätzen weiß. Sie backt herausragende Butterkekse.
Father Michael
ein weiser Mann der Kirche, der entscheidende Hinweise liefert.
Herbert Mitchell
ein dubioser Geschäftspartner Drakes aus Glasgow.
… sowie einige weitere Personen in und um Schottlands Hauptstadt.
»Was erwarten Gäste mehr als alles andere, wenn sie ein Restaurant betreten? Aufmerksamkeit. Sie wollen ein Lächeln sehen, Anerkennung, ein freundliches Willkommen. Und das durchschnittliche Restaurant ist verdammt schlecht, wenn es um diese einfache Form der Höflichkeit geht.«
Gordon Ramsay in seinem Buch »Playing with Fire«
Mexiko ist hier nicht
Am allermeisten auf der Welt hasste MacDonald lieblos zubereitetes Essen. Der Edinburgher formte ein vulkangleiches Gesicht, aus dem ein zusammengepresster Mund eine Flut glühender Beschimpfungen auszustoßen drohte. Auf der Stirn tummelten sich Schweißperlen. Sein dichtes, graues Haar begann die Onduliertheit zu verlieren. Und die drei Zentner seines zwei Meter langen Körpers vibrierten. Wäre ein Katastrophenexperte zugegen gewesen, hätte er die nähere Umgebung evakuieren lassen. Das, was auf seinem Teller herumlag, war das Schlechteste seines bisher 43-jährigen schottischen Lebens, die Dosenmakkaroni an Chips mitgerechnet. Sie hatten sich trotz des Klebstoffkäses bemüht, aufreizend zu erscheinen. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, hätte man das schwarze Etwas auf seinem Teller vielleicht einer fehlgeschlagenen Salve des großen mexikanischen Revolutionärs Zapata zuschreiben können, dem MacDonald ohne Zögern zugejubelt hätte – nicht unbedingt im Restaurant, sicherlich jedoch auf der Straße oder einem öffentlichen Platz. Aber er befand sich nicht im historischen Mexiko, sondern in Edinburgh, und einmal mehr verhängte er imaginär die Todesstrafe für schwerwiegende Küchenverbrechen. Obwohl das Restaurant behauptete, authentische Küche zu servieren, verpasste die Masse auf seinem Teller, »Fried Mushrooms« genannt, dem lateinamerikanischen Land eine eklatante Backpfeife. Der gewaltige Kulinarier konnte sich nicht darüber klar werden, was schlimmer war: eine derartige Schurkerei zu braten oder zu servieren. Versuche, der Sache etwas Gutes abzugewinnen, sprach er sich Mut zu, hob vorsichtig die Pilze und entdeckte zu seiner Überraschung in der Tat unversehrte Teile. Wahrscheinlich hatten diese nach dem Verlassen der Dose wenig Bekanntschaft mit der Hitze der Pfanne gemacht. Die Schandtat lümmelte auf fettigen Salatblättern, die jedes Kaninchen empört abgelehnt hätte. Er machte sich große Vorwürfe, denn als ausgewiesener Feinschmecker, Träger der »Goldenen Bratpfanne« und Food Journalist hätte er es besser wissen müssen. »Welcome to TexMex« ließ nicht gerade auf einen lateinamerikanischen Besitzer schließen. Kein Mexikaner hätte Gringos in seinen Restaurantnamen integriert, genauso wenig wie ein Schotte sein Restaurant »EnglishScot« getauft hätte. Das Leben war zu kurz für missraten Gebratenes! Am liebsten hätte er diesen Ort der Unwirtlichkeit stante pede verlassen, doch mahnte er sich zu gastronomischer Gerechtigkeit. Jeder Koch durfte hin und wieder verliebt sein und die Pilze verkohlen. Eine rechte Hand mit dem Hauptgang näherte sich bereits zwei Minuten später dem Tisch, um den hungrigen Gourmet eines Besseren zu belehren. Verhängnis Nummer zwei hieß »Alabama Fried Steak«. »Wünscht der Herr ein Steakmesser?«, fragte der satanische Kellner. MacDonalds Mund formte ein ›Ja‹, das nicht von seinen Lippen weichen wollte. Er löste die Panade und entdeckte ein Stück Fleisch, dem Charlie Chaplin seine Stiefel vorgezogen hätte. Seine mächtigen Finger umklammerten das Messer, todesmutig wie William Wallace und seine Mannen einst den Engländern entgegengetreten waren. Noch nie, selbst wenn er die in Öl ausgebackenen Schlangenhautspiralen in Vietnam in Betracht zog, war ihm ein derartiges Wesen auf den Teller gelegt worden. »Das ist unerhört!«, protestierte er und schlug mit der Faust weitaus zügiger auf das zarte Bistro-Tischchen, als man es bei seiner Körpermasse erwarten durfte. Die blasse Großfamilie am Nachbartisch hörte auf, ihr vorgezogenes Sonntagsessen zu bearbeiten. Angriffslustig schaute er zurück und drückte bebend die Handflächen auf die Oberschenkel. Sein spontaner Stoßseufzer, der sich ungefähr wie »hiehär« anhörte, versetzte ihn in die Realität zurück. Der Kellner schritt so langsam wie möglich heran.
»Wenn Sie mich umbringen wollen, dann tun Sie es bitte mit einer Gallone Talisker in Fassstärke!«
»Verstehe ich Sie richtig, Sie möchten auch unseren Hauptgang nicht essen?«, fragte der Ober in einem Ton, den er für freundlich hielt.
»Sie haben es erfasst, eine solche Untat werde ich meinem Organismus unter keinen Umständen aufbürden! Weder Mensch noch Tier haben so etwas in ihren schlimmsten Alpträumen verdient, geschweige denn in wachem Dasein. Wo bloß haben Sie dieses Ex-Lebewesen aufgetrieben, im Tierkrematorium?« Die Managerin hatte die Szene bereits von weitem missbilligt. Jetzt paradierte sie heran, nicht im Mindesten bemüht, ihre abgrundtiefe Verachtung zu verbergen. Sie baute ihre windschlüpfigen Einmeterundfünfzig vor MacDonalds Tisch auf und stemmte die schmalen Arme in die kaum breiteren Seiten. Ihre Fingerkuppen reflektierten gelb im Schein der Deckenlampen. Das Gesicht drückte eine tiefe Unzufriedenheit mit dem Leben aus, welches zu führen sie offensichtlich enorme Mühe kostete. Ein Ring an ihrem Finger bewies, dass auf Schottlands Boden noch eine andere Person wandelte, die schwer an ihr zu tragen hatte. »Warum stellt sich das dicke Ungetüm so an?«, las der Gast ihre Miene. Es war schwer vorstellbar, dass diesem Mund nach Erwerb des Sprachvermögens jemals ein gutes Wort entschwunden war, weder absichtlich noch aus einem Missgeschick heraus. MacDonald hatte es mit einem besonders stupiden Exemplar der menschlichen Spezies zu tun, dessen einzige Form von Spaß darin bestand, andere, am liebsten sich beschwerende Kunden, zu verhöhnen. Er nahm sich vor, wenigstens dem Wortgefecht etwas Schabernack abzugewinnen. »Die Pilze waren völlig in Ordnung, ebenso wie das Fleisch«, startete sie ihren Versuch, den bedeutendsten Feinschmecker Schottlands von seiner Unverfrorenheit zu überzeugen.
»Pilze haben nicht verbrannt zu sein, wenn sie serviert werden«, polterte das vermeintliche Scheusal aus der Tiefe seines Bauches, so heftig, dass die Kasserollen in der Küche zu zittern begannen. »Mögen Sie Science-Fiction-Filme, meine Dame?«
»Wie bitte?«, rief sie auf MacDonald hinab.
»Est-ce que vous aimez ... rede ich vielleicht spanisch oder sehe ich aus wie der Dalai Lama? Ob Sie Zukunftsfilme mögen? Sie klingen wie ein Roboter. Ich frage mich, ob Sie in irgendeinem Studio vermisst werden. Sie essen Ihre Peinigungen am besten selbst. Für diesen Abhub der Küchenwelt werde ich nicht einen Penny hinlegen!«
»Aber ...«
»Kein aber, halten Sie einfach nur Ihren Mund, denn Sie besitzen nicht das geringste Verständnis von Küche, Essen oder Gastfreundschaft. Ich bin verblüfft, dass mich Ihr Besteck nicht gebissen hat. Sie werden noch von mir hören. Verlassen Sie sich darauf! Kochverbrechern wie Ihnen lege ich das Handwerk!« Was MacDonald noch mehr als das rüde Benehmen der Managerin verblüffte, war die Tatsache, dass die anderen Gäste den gastronomischen Unrat überhaupt nicht registrierten. Zufrieden aßen sie zwischen Pappmaché-Wänden, der Imitation von mexikanischen Steinmauern, und tranken große Schlucke aus ihren Margarita-Gläsern, die jeden vorhandenen Rest von Geschmackssinn abtöteten. Er schleppte sich ins Freie und schnappte röchelnd nach Luft, froh, bei dem schrecklichen Anschlag mit dem blanken Leben davongekommen zu sein. Sein Magen drückte Verständnislosigkeit gegenüber der Leichtfertigkeit des Versorgers aus. MacDonald überlegte eingeschüchtert, wie er ihm am schnellsten etwas Gutes tun konnte. Glücklich über Henderson’s flexible Öffnungszeiten, überquerte er die Hanover Street, über die um neun Uhr abends nur noch wenige Autos glitten. Im Tempel der Vegetarier schlossen in seinem Magen folgende Köstlichkeiten Freundschaft: ein Sellerie-Apfel-Haselnusssalat, gefüllte Auberginen mit Wildpilzsauce und ein majestätischer Früchtetrifle. Mit einer Tasse starken, schwarzen Kaffees lehnte er sich zurück, entschlossen, alle drei Gänge demnächst exakt nachzuzaubern. Der Edinburgher Himmel hatte es sich in der Zwischenzeit nicht nehmen lassen, eine Vielzahl von dunklen Blautönen zu gruppieren. Und die Straßenlaternen tauchten die Backsteinhäuser in ein gutmütiges Braun. Besänftigt nach dem ekelhaften Erlebnis, überquerte er die Princess Street. Wieder einmal nickte er anerkennend zum Castle, das wie ein satter Wal auf seinem Felsen thronte, und zu den benachbarten Gebäuden der Old Town, die fast zu schön waren, um real zu sein. Es gab keinen Ort der Welt, an dem er lieber gelebt hätte als in Edinburgh. Eine Stadt, welche die einen »Athen des Nordens«, die anderen »Reykjavik des Südens« nannten. Den Rest des Weges sollte der Doppeldecker besorgen. Um zehn Uhr abends saßen die meisten Schotten zu Hause oder im Pub, und wer außer ihm dachte an die armen Familien der Busfahrer? Angetan von seiner karitativen Ader, beförderte er das nötige Kleingeld aus der Hosentasche und kullerte es in die Box. Der Bus verströmte den vertrauten Geruch nach Gummi. Er faltete die Hände vor dem mächtigen Bauch, glücklich wie ein Mönch, der gerade zum Wohle des Herrn einen Hektoliter süffigen Bieres gebraut hat. Zu seinem Bedauern endete die Fahrt schon nach wenigen Minuten. MacDonald lebte in Dean Village, einem Stadtteil mit dörflichem Charakter. Von seinem Haus aus verfügte er über einen bezaubernden Blick auf Water of Leith, jenes schmale Flüsschen, das sich mit erstaunlicher Beharrlichkeit durch die Stadt schlängelte. Kollegen vom Kontinent glaubten MacDonald nicht so recht, dass man hier auf dem Lande leben und dennoch in fünf Minuten zur Innenstadt gelangen konnte. Fast alle Nachbarn hatten sich bereits ins Reich der Träume begeben. Nur die Musikstudentin schräg gegenüber war wach. Sie musste wohl am nächsten Tag eine Prüfung haben, denn nur dann übte sie so spät noch. Er wurde überschwänglich begrüßt von seinem Mitbewohner Robert the Bruce . Der fuchsrote, nicht unkluge Kater erhoffte sich durch seine Courtoisie ein Dessert für die Nacht, sozusagen als Anerkennung für die kleine Maus mit den spitzen Zähnen, die er in den Flur gelegt und welche offensichtlich schon Stunden zuvor zum letzten Mal gequiekt hatte. Sein Herrchen verwarf diese Interpretation, sodass selbst überlautes Brummen keinen Erfolg zeitigte. MacDonald zog es vor, schnurstracks zu seiner Bar zu wandeln, um sich einen geeigneten Schlummertrunk zu genehmigen. Unerfreulicherweise musste er feststellen, dass Mister Talisker mit vollem Körper der Flasche entwichen war. Die Vorbereitung für seine neue Fernsehserie hatte eine gute Menge an Treibstoff gefordert. Weil er kein Verlangen spürte, Wasser des Lebens zu trinken, das weniger oder mehr nach Torf schmeckte als dieser Scotch, goss er sich zum Wohle seiner Leber sowie seines Zahnarztes ein Milchglas randvoll mit Irn Bru ein, unsicher, ob er damit nicht einen eklatanten Regelbruch beging, denn die Limonade, welche ihn leuchtend und blubbernd zum Trinken lockte, wurde in der Regel als Kater-Kur am Morgen danach eingesetzt. Angenehm prickelte die süß-orange Essenz im Mund. Mit einer zweiten Füllung nahm er vor dem Fernseher Platz. Robert folgte ihm, zog es aber vor, sich auf den Boden zu legen. Als natürlicher Begleiter des zuckersüßen Getränks bewährte sich immer wieder ein Shortbread von Jenners. MacDonald schob einen der Butterkekse in den Mund und kaute genüsslich. Was war das nur für ein eigentümliches Fleisch gewesen heute Abend! Ganz und gar nicht einzuordnen. Mit freundlicher Unterstützung des besten Fernsehens der Welt, gemeinhin als BBC bekannt, fand er schon nach einer Viertelstunde zu Träumen, die ihm ganz und gar nicht behagten. Alpdrücke von skurrilen Tieren, die über eine Klippe getrieben wurden und in einem gewaltigen Kessel landeten.
»Ich kann mich nicht mehr darüber wundern, dass die Edinburgher zu poetischer Schwärmerei neigen. Gestern schweifte ich über Brücken und durch Calton Hill in einer verzauberten Stimmung. Ich habe währenddessen kein einziges öffentliches Gebäude besucht, sondern mich nur voller Staunen und Schwärmerei der romantischen Szenerie hingegeben.«
Washington Irving, Historiker und Schriftsteller, 1817
Das Unglück beginnt
Gegen zehn Uhr geruhte MacDonald aufzuwachen. Er reckte sich wie ein Murmeltier nach dem Winterschlaf, während der Fernseher weiter vor sich hinplapperte. Mit der Fernbedienung entzog er der Wetterfee die nötige Energie für ihre Prognose. Empört klappte sie den Mund zu. Der Sessel kommentierte das aus dem Grund seines hölzernen Gestells mit menschlichem Ächzen. Das Modell Churchill hatte er noch in seiner Studentenzeit gekauft und sich trotz dessen offensichtlicher Altersschwäche nie von ihm trennen können, denn wahre Liebe hielt sich nicht mit Äußerlichkeiten auf. Er streichelte die rechte Lehne des ehemaligen Premiers und dachte an seine Jugend, die sich aus finanziellen Erwägungen heraus kulinarisch bescheiden gestaltet hatte. Die Woche über hatte er sich wie ein Asket ernährt, um am Sonntag vom ersparten Geld in einem guten Restaurant ein Schlemmermahl zu sich zu nehmen. Einen Anfall von Schwermut, der sich spontan formierte, verscheuchte er mit lautem Händeklatschen. In der Küche würde er sich nach dem gestrigen Dinnerschreck ein passables Frühstück bereiten. Darunter verstand er Porridge, zwei Spiegeleier, vier Scheiben Schinken, feine Pilze, ein gegrilltes Tomätchen, Würstchen, Baked Beans und Black Pudding. Großzügig hievte er gesalzene Butter in eine Pfanne und beobachtete, wie sich die Enden des Schinkens unter dem Einfluss der blaugelben Gasflamme zu krümmen begannen. Zufrieden mit dem Garzustand, nahm er die Scheibchen aus der Pfanne und hielt sie im Backofen warm. Getreu den Weisungen seiner verstorbenen Mutter ließ er die Pfanne kurz abkühlen, um dann die Eier zu braten. Kochen lernte er vor dem Sprechen. Als Topf, Pfanne und Bratenwender noch auf der Höhe seiner Augen lagen, wurde er mit den Mysterien der guten Küche vertraut gemacht. Seine Mum zeichnete das potenzielle Verhängnis mit dem Finger in die Luft. »Angus, es ist ganz einfach. Wenn du die Eier in eine zu warme Pfanne gibst, dann brennt das Eiweiß an und wird sofort zäh. Brätst du aber den Toast, hat die Butter so heiß wie möglich zu sein, denn sonst saugt das Weißbrot sie zu schnell auf! Kannst du mir folgen?« Klein-Angus bewegte eifrig den Kopf von oben nach unten, denn mit dem Essen verstand Mrs MacDonald keinen Spaß. Ohne ihre Hilfe wäre es ihm niemals gelungen, eine Karriere als Journalist einzuschlagen. Als er genüsslich in eine Ecke des Dreispitztoastes biss, ärgerte er sich wieder über das eigentümliche Fleisch, das man ihm am Abend zuvor serviert hatte. Eilig beendete er sein Breakfast und erklomm die Treppe. Die Bibliothek im oberen Stockwerk beherbergte gut 5.000 Bücher. Wie viele es genau waren, wusste niemand, am allerwenigsten der Besitzer. Nach der Küche war sie ihm der zweitliebste Platz auf der Welt. Die Hälfte der Werke widmete sich Essen und Trinken. Im Laufe der Jahre hatte er Kochbücher, Weinbücher, Bierbücher, gewichtige Lexika und beleibte Anthologien versammelt. Von jedem Land der Erde fand sich mindestens eine Rezeptsammlung. Inmitten seiner papiernen Freunde konnte er vorzüglich entspannen, aber auch arbeiten. Um von der Außenwelt nicht abgelenkt zu werden, zog er die schweren Vorhänge zu und spannte einen Bogen hellgelbes Papier in seine Schreibmaschine, die mehr Jahre auf dem Buckel hatte als er. Sie benutzte er ausschließlich für fürchterliche Verrisse, denn die Tasten seines Computers hätten den hämmernden Fingern kaum Paroli bieten können. Das Grauen nistete noch so frisch in Gehirn und Magen, dass es ihm überaus leicht fiel, die Restaurant-Kritik für den »Scotsman« zu Papier zu bringen. »Schlimmer als jede Polizei erlaubt« lautete die Headline. »Edinburgh hat eine furiose Folterkammer bekommen. Das Kabinett des Grauens nennt sich ›Welcome to TexMex‹ und gibt vor, mexikanische Küche zu servieren. Nie hat sich ein Anspruch so weit von der Realität entfernt wie in diesem Fall. Wenn Sie jemals vorhatten, Ihren Gaumen mit etwas wirklich Außergewöhnlichem zu verwöhnen, dann sind Sie hier fehl am Platz. Alles, was Sie erhalten, ist ein vergraulter Magen. Geben Sie lieber Senf auf ihre Fish and Chips. Das verspricht und hält mehr, als es diese Stätte der Ungastlichkeit je tun wird. Ich bin gestern Abend noch einmal lebend davongekommen. Falls Sie mir nicht glauben und sich dennoch in diesem sogenannten Restaurant einfinden, dann probieren Sie bitte weder die fettigen Pilze noch das Alabama Fried Steak, das einen abartigen Fleischgeschmack bietet. Derartig miserabel wurde ich noch an keinem Ort der Erde behandelt, und ich habe schon an unzähligen Plätzen gespeist. Hier ist tatsächlich alles misslungen, das Personal eingeschlossen.« MacDonald zog den Bogen aus der Maschine und schwelgte in süßen Erinnerungen. Wie exquisit hatte er bei seinem Aufenthalt in Mexiko gespeist: cremige Maissuppe, Fisch in vielerlei Variationen und nicht zu vergessen der Mandelmilchpudding aus Morelos, eine Köstlichkeit, die er sich in der Zwischenzeit schon häufig kredenzt hatte. Das Leben konnte so herzhaft sein, wenn sich die Köche und Sauciers nur ein bisschen Mühe gaben. »Töpfe und Pfannen aller Länder, vereinigt euch gegen miserables Essen!« Mit energischen Ausrufezeichen beendete er seinen Artikel. Der erste Schritt zur Verbrechensbekämpfung war getan. Eher früher als später würde er nun herausfinden, was es mit dem so genannten Fleisch beim Pseudo-Mexikaner auf sich hatte.
»Ich bin, was ich immer gewesen bin, ein Schotte, vielleicht ein bisschen introspektiv. Ich erzähle keine Lügen und bin aufrecht.«
Sean Connery, Schauspieler