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Ein stilistisches Unikat bildete das Empfangsgebäude in Wilhelmshöhe, indem hier zu den sonstigen typischen Gestaltmerkmalen ein gleisseitig angeordneter Balkon in der ersten Etage der zurückspringenden Mittelfront hinzugefügt wurde – wohl als Anpassung an das an Schloss- und Parkanlagen reiche Umfeld.30


6: Die Strecken wurden anfangs kreuzungsfrei nebeneinander in Kassels Bahnhof eingeführt; Zeichnung Lutz Münzer


7: Wesentlich schlichter gehalten als die Empfangsgebäude waren die übrigen Hochbauten wie dieses „Bahnwarts- und Waschhaus“ in Karlshafen; Hacault, Edmund: Der Eisenbahn-Hochbau, dargestellt in einer Sammlung ausgeführter Entwürfe von Bahnhöfen und den dazu gehörigen Baulichkeiten. Erste Abtheilung. Kurfürst-Friedrich-Wilhelms-Nordbahn, Main-Weser-Bahn. Berlin 1855 – Tafel 4, „Station Carlshafen“

An örtlichem Personal stand auf den Stationen neben den Vorstehern eine je nach Größe erheblich variierende Anzahl weiterer Arbeitskräfte zur Verfügung. So gab es 1853 bei der KFWN an Personal, welches den Verkehrs- und Betriebsdienst auf den Bahnhöfen wahrnahm, neben 20 Stationsvorständen 34 Weichensteller, 14 Nachtwächter, vier Portiers- und Zimmerwärter, zwei Perronwärter, einen Telegraphisten. Deutlich größer war die Anzahl derjenigen, die im Fahrdienst tätig waren mit über 60 Personen. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Festangestellten bildeten die 215 Bahnwärter, denen neben der Sicherung der Bahnübergänge auch die Signalisierung für die Züge oblag.31


Abb. 8: Um Wagen zum Be- und Entladen an den Weserkai in Karlshafen zu stellen, bedurfte es der Benutzung von Drehscheiben; Slg. Lutz Münzer

3. Bescheidene erste Jahre

Die frühen Fahrpläne weisen aus heutiger Sicht bescheidene Bedienungshäufigkeiten auf: Zwei bzw. drei Zugpaare rollten 1850 über die ersten Streckenabschnitte. Genau drei Stunden betrug die Fahrzeit von Gerstungen nach Kassel, entsprechend einer Reisegeschwindigkeit von 26 km/​h – aus heutiger Sicht langsam, aber gegenüber den Geschwindigkeiten der Postkutschenkurse, die zwischen 6 und bestenfalls 10 km/​h lagen, ein enormer Fortschritt. Zugfrequenz und Fahrpreise standen einer Nutzung der Bahnen im Nahverkehr grundsätzlich entgegen, sie dienten in erster Linie dem Regional- und Fernverkehr.32 Dieser entwickelte sich zunächst schleppend: In den Jahren 1853 bis 1856 stagnierte die Beförderungsleistung bei der KFWN im Personenverkehr, um sich dann bis 1864 auf 280 Personen pro Kilometer und Tag zu verdoppeln. Anders beim Güterverkehr: Zwar hatte es hier 1853 sogar noch einen Einbruch gegeben, aber bis 1864 trat eine Verzehnfachung der Beförderungsleistung auf 565 Tonnen pro Kilometer und Tag ein.33 Beim Güterverkehr brachte offenbar die Vollendung der Strecke der Westfälischen Eisenbahn Richtung Ruhrgebiet den Durchbruch. Vier Zugpaare zwischen Kassel und Warburg sowie fünf zwischen Gerstungen und Kassel, darunter jeweils ein Schnell- und ein Güterzugpaar – wobei letzteres auch Reisende beförderte – enthielt der Fahrplan des Jahres 1856. Auf der Carlsbahn verkehrten im Winter zwei, im Sommer drei Zugpaare. Ungenügende Auslastung des im Sommer fahrenden Zugpaares – 15 Reisende pro Fahrt – gab Anlass dazu, im Sommer 1858 diesen Zug zu streichen.34 Insgesamt war man enttäuscht von der Entwicklung auf der Carlsbahn. Der Anschluss Hannovers an den Deutschen Zollverein hatte 1851 die Zollgrenze zwischen diesem Land und Kurhessen beseitigt, sodass der Weserhafen Hann. Münden für Hessen an Bedeutung gewann, umso mehr nach Fertigstellung der Bahnverbindung nach Kassel.35

Da vor allem der Güterverkehr zunahm, beschränkte sich die Beschaffung neuen, zusätzlichen Rollmaterials in den Jahren bis 1866 bei der FWNB auf Lokomotiven und Güterwagen. Die Zahl ersterer stieg von 18 im Jahr 1849 auf 40 im Jahr 1866. Der Bestand an Güterwagen nahm von 207 im Jahr 1851 auf 337 im Jahr 1866 zu.

Ähnlich dürfte die Entwicklung bei der MWB gewesen sein, wobei hier sich der Güterverkehr eher schwächer entwickelte. Die Rentabilität beider Bahnunternehmen ließ anfangs zu wünschen übrig – die Verzinsung des Anlagekapitals betrug 1853 nur 1,62 % bei der KFWN bzw. 3,39 % bei der MWB. Zum Vergleich: Die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn erreichte im gleichen Jahr den Spitzenwert von 12,88 %36. Die unzulängliche Rentabilität wog umso schwerer, weil die Anlage der Bahnen in Kurhessen reichlich Kapital band. So betrug das Anlagekapital der KFWN Ende der 50er Jahre 34 Mio. Taler, während sich für die Jahre 1858 bis 1860 die Staatseinnahmen und -ausgaben Kurhessens auf je ca. 15 Mio. Taler beliefen.37

Größere bauliche Veränderungen an den Bahnen unterblieben, jedoch erhielt die MWB in der ersten Hälfte der 60er Jahre auf ganzer Länge ein zweites Gleis.

Bei der Lokomotivbeschaffung kam die Firma Henschel gut ins Geschäft: Die erste Lokomotive überhaupt, der „Drache“, wurde 1848 an die KFWN geliefert.38 Der Mut der Bahn, dem Neuling im Lokbau zu vertrauen, hat sich offenbar bewährt: 1853 stammten bereits acht der damals 26 Lokomotiven von Henschel, die übrigen von verschiedenen Herstellern, darunter vier von Stephenson. 1868 waren 23 der nun 38 Lokomotiven Henschelfabrikate.39 Auch bei der MWB vermochte Henschel zu überzeugen: Schon 1853 stammten neun der 20 Lokomotiven von hier, in den nächsten Jahren folgten weitere Lieferungen.40

4. Neue Strecken, große Ausbauten, gewandelte Strukturen: 1866 bis 1881
4. 1. Die direkte Verbindung Halle – Kassel kommt

Als Folge des ‚Deutschen Krieges‘ von 1866 annektierte Preußen die Staaten Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Der Fortfall der Landesgrenzen hatte unmittelbar Konsequenzen: Seit den 50er Jahren waren, ausgehend u. a. von den Städten des Eichsfeldes, Bestrebungen im Gange, doch eine Bahn von Halle nach Kassel durch diesen Landstrich anzulegen. 1857 begannen Verhandlungen zwischen der Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn und dem preußischen Staat über den Bau der Strecke. 1862 kam es zu einer vertraglichen Regelung – der preußische Staat hatte angesichts der ungewissen Rentabilität des Vorhabens eine Zinsgarantie für das Baukapital geben müssen. Drei Jahre später wurde vertraglich zwischen der Eisenbahngesellschaft und Kurhessen der Streckenbau auf kurhessischem Territorium ermöglicht. Um eine Berührung von hannoverschem Gebiet zu vermeiden, war auf hessischer Seite die topographisch anspruchsvolle und betrieblich problematische Linienführung über Witzenhausen durch den Meißner ins Lossetal nach Kassel vorgesehen. Schon am 8. September 1866 – der offizielle Anschluss Kurhessens an Preußen war noch nicht erfolgt – beantragte die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn beim preußischen Staat, von dieser Linienführung Abstand nehmen zu dürfen zugunsten einer Trassierung ab Witzenhausen im Werratal bis Hann. Münden mit Anschluss an die Strecke von Hannover. Am 24. Mai 1869 wurde die Konzession für diese Linienführung erteilt, 1872 ist die Strecke vollendet worden.41


9: 1870 war mit der Bahn vom Eichsfeld nach Kassel noch über Göttingen zu fahren; Zeichnung Lutz Münzer

Damals stand bereits seit fast fünf Jahren eine durchgehende Bahnverbindung zwischen Halle und Kassel durch das Eichsfeld zur Verfügung: Die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn hatte den Bahnbau Richtung Kassel von Halle ausgehend vorangetrieben. 1863 war es zu einer Einigung zwischen Hannover und Preußen über den Bau einer Strecke von Göttingen über Friedland nach Arenshausen, einem zukünftigen Stationsort an der Bahn Halle – Kassel gekommen. Diese kurze Verbindungsstrecke wurde am 1. August 1867 vollendet. Da bereits seit dem 9. Juli 1867 von Halle bis Arenshausen gefahren werden konnte, stand nun eine durchgehende Eisenbahnverbindung zwischen Halle und Kassel, jedoch mit Fahrtrichtungswechsel in Göttingen, zur Verfügung. Sie stellte mehr als nur ein Provisorium dar. Es hat Fahrplanabstimmungen im Bahnhof Göttingen im Interesse einer Verbesserung der Verbindung Kassel – Halle gegeben, und im Deutsch-Französischen Krieg war gerade der Abschnitt Arenshausen – Göttingen – Kassel durch Militärtransporte derart hoch belastet, dass die Wiederaufnahme des zivilen Verkehrs hier länger auf sich warten ließ als auf manchen anderen Strecken der Hannoverschen Staatsbahn.42

Zurück zur direkten Strecke Halle – Kassel: 1866 waren die Planungen für die neue Strecke im Stadtgebiet von Kassel nicht abgeschlossen. Mit der Genehmigung der Anbindung in Hann. Münden an die Strecke Kassel – Hannover waren folgende Auflagen für die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahngesellschaft verbunden:

• Verlegung des zweiten Streckengleises auf ihre Kosten auf der hannoverschen Südbahn zwischen Hann. Münden und Kassel,

• Anlage eines eigenen Güterbahnhofes in der Kasseler Unterstadt,

• Anlage einer Zweigbahn von dem zukünftigen Bahnhof in der Unterstadt nach Helsa.

Den ersten beiden Verpflichtungen kam die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahngesellschaft bis zur Fertigstellung der durchgehenden, direkten Strecke Halle – Kassel mit der Eröffnung des Abschnittes Arenshausen – Eichenberg – Hann. Münden am 13. März 1872 nach. Anfangs verkehrten zwei durchgehende Zugpaare zwischen Kassel und Halle zuzüglich weiterer lediglich auf Teilstrecken eingesetzter Kurse. Etwa 6 1/​2 Stunden betrug die Fahrzeit für die 217 Kilometer lange Verbindung, entsprechend einer Reisegeschwindigkeit von 33 km/​h.43 Die kurze Stichbahn zum Güterbahnhof Kassel Unterstadt wurde am 24. April 1872 eröffnet. Von der Firma Henschel führte zeitgleich oder zumindest zeitnah ein Anschlussgleis zu diesem Bahnhof, sodass die zuvor nötigen beschwerlichen und auch gefährlichen Transporte neuer Lokomotiven auf von Pferden gezogenen Transportwagen zum Hauptbahnhof entfielen. Andere Firmen folgten mit der Anlage eigener Anschlüsse zu der Strecke in die Unterstadt.44

4. 2. Die Waldkappeler Bahn

Am 30. November 1872, acht Monate nach der Vollendung der Strecke Halle – Kassel, legte die preußische Staatsregierung dem Landtag den Entwurf eines Gesetzes vor, in dem u. a. die Bereitstellung der Baumittel für eine Bahn von Berlin nach Wetzlar beantragt wurde. Begründet wurde die Vorlage damit, dass die einzelnen, zum Teil nur wenige Strecken umfassenden Eisenbahnnetzelemente des Staates im Osten und im Westen bisher durch Privatbahnen miteinander verknüpft seien. Nun sollten sie durch eine staatseigene Bahn miteinander verbunden werden, diese neue Linie würde Abkürzungen gegenüber vorhandenen Verbindungen ermöglichen und ließe erhebliches eigenes Aufkommen erwarten. Schließlich gab es, was angesichts der mittlerweile großen Bedeutung der Eisenbahn für die Kriegführung nicht überraschen konnte, nachvollziehbare militärische Gründe für den Bau. Da diese neue Strecke die beiden Endpunkte möglichst direkt miteinander verbinden sollte, kam eine Führung über Kassel nicht in Frage. Stattdessen sollte zwischen Leinefelde im Eichsfeld und Treysa an der MWB der Weg über Eschwege – Niederhone – Waldkappel – Burghofen – Malsfeld – Homberg (Efze) eingeschlagen werden. Die Gesetzesvorlage fand im folgenden Jahr die Zustimmung des Parlamentes.


10: Zuerst war die Waldkappeler Bahn als Zubringer zur Strecke Leinefelde – Treysa konzipiert; Zeichnung Lutz Münzer

Das Projekt der Berlin-Wetzlarer Bahn löste zahlreiche Eingaben aus, welche auf die Modifizierung der Linienführung im Interesse nahe gelegener Orte abzielten. So petitionierten die Städte Hessisch Lichtenau und Großalmerode bei der Regierung dahingehend, die neue Linie über Hessisch Lichtenau zu führen oder wenigstens, wenn schon das nicht in Betracht käme, Sorge dafür zu tragen, dass das Projekt Kassel – Helsa der Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn vorankäme. Die Gesellschaft hatte sich zwar 1870 des Projektes angenommen, verzögernd wirkte aber die voraussichtlich unzulängliche Rentabilität des Bahnbaus. Hinzu kam, dass die Wirtschaftlichkeit der Gesamtstrecke Halle – Kassel zu wünschen übrig ließ. Der preußische Staat war bereits für die erwähnte Zinsgarantie (vgl. S. 17) finanziell in Anspruch genommen worden. Unter diesen Umständen wies die Regierung die staatseigene Eisenbahnverwaltung an, eine Verbindungsstrecke zwischen dem an der zukünftigen Berlin-Wetzlarer Bahn gelegenen Ort Waldkappel und Kassel über Hess. Lichtenau und Helsa zu planen. Damit erübrigte sich das Vorhaben einer Nebenbahn von Kassel Unterstadt nach Helsa. Stattdessen kam es im Frühjahr 1874zur Bewilligung des Baues einer Strecke von Waldkappel nach Kassel, anzulegen als Bahn mit zweigleisigem Unterbau, aber zunächst nur einem Streckengleis. Begründet wurden die Aufwendungen dafür mit der Verpflichtung des Staates, für die wenige Jahre zuvor versprochene Bahnanbindung von Helsa zu sorgen und mit der Notwendigkeit einer Zubringerlinie für die Berlin – Wetzlarer Bahn als Teil einer neuen durchgehenden Verbindung Berlin – Kassel. Verwiesen wurde in der Gesetzesbegründung auch auf „lokale Interessen“, auf umfangreiche Holzbestände sowie große Basalt- und Sandsteinlager, deren Ausbeutung durch die neue Bahn erleichtert würde. Vorgesehen war die Führung der Bahn in weitem Bogen um Kassel herum mit einer Station östlich des Bahnhofes Kassel-Wilhelmshöhe und der Einführung in den Hauptbahnhof. Die maximalen Neigungen sollten 1 : 90 betragen.45 In der am 17. Juni 1874 bewilligten Form ist die Strecke, später als ‚Waldkappeler Bahn‘ bezeichnet, nicht gebaut worden, genauso wenig wie die Berlin-Wetzlarer Bahn. Bei einzelnen Abschnitten dieser hatte der Bau schon begonnen, als sich der preußische Staat dazu entschloss, zum Staatsbahnsystem überzugehen, d. h. unter Rückgriff auf einen entsprechenden Paragraphen im preußischen Eisenbahngesetz von 1838 die Privatbahngesellschaften aufzukaufen.46

Eines der ersten ‚Opfer‘ dieser neuen Politik bildete die Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger Eisenbahn. Am 25. März 1876 legte die preußische Regierung dem Landtag den Entwurf eines Gesetzes vor, welches u. a. die Übernahme der Strecke Halle – Nordhausen – Kassel durch den Staat vorsah. Begründet wurde das damit, dass so ein Verbindungsglied zwischen den östlichen und westlichen Netzteilen der Staatseisenbahnverwaltung in die Hände des Staates gelange. Die ursprünglich auf längeren Abschnitten östlich von Leinefelde vorgesehene parallele Führung einer privaten und einer staatseigenen Strecke (der Berlin-Wetzlarer Bahn) erübrige sich dadurch. Das sei umso mehr im staatlichen Interesse, weil der Staat für seine Zinsgarantie für das Kapital der privaten Strecke schon mehrfach in Anspruch genommen worden war. Das Vorhaben erhielt am 7. Juni 1876 Gesetzeskraft. Nun zeichnete sich doch ab, dass der Fernverkehr auch zukünftig von Halle über Kassel geführt würde. Die im Bau begriffene Strecke Leinefelde – Waldkappel – Treysa büßte an Verkehrswert ein und damit auch die als Zubringerstrecke vorgesehene, zwar genehmigte, aber noch nicht gebaute Strecke von Waldkappel nach Kassel. Sie wurde in abgespeckter Form mit Neigungen von 1 : 60 und minimalen Radien von 300 m gebaut. Von Anfang an fanden die 1878 erlassenen Bestimmungen für den Nebenbahnbetrieb auf sie Anwendung. Angebunden an das Streckennetz wurde die neue Linie im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Im Sommer 1880 verkehrten auf der Nebenbahn drei Reisezugpaare, davon eines nur zwischen Kassel und Hess. Lichtenau. Reine Güterzüge wird es vermutlich noch nicht gegeben haben.47 Die Hochbauten dieser neuen Strecke unterschieden sich markant von denen der bisher gebauten: Schmuckloses, mit Ziegeln ausgemauertes Fachwerk war für die Empfangsgebäude und Güterschuppen typisch, Dienstwohngebäude wurden, gleichfalls schmucklos, als Ziegelbauwerke ausgeführt.48

4. 3. Unverwirklichte Ausbauplanungen im Norden der Region

Als Folge der Annexion Kurhessens und der Freien Stadt Frankfurt wurde Preußen 1866 Eigentümer von deren Anteilen an der MWB. Auf die KFWN nahmen die neuen Landesherren Einfluss, indem sie hier in einer Generalversammlung der Aktionäre am 27. Dezember 1866 folgende Beschlüsse durchsetzten:

• Die Gesellschaft änderte ihren Namen in „Hessische Nordbahn“.

• Vorbehaltlich der Unterstützung seitens der lippischen Landesregierung sollte die Bahn den Bau einer Strecke von Karlshafen über Detmold – Herford nach Lemförde anstreben. In Lemförde hätte Anschluss an die in der Planung befindliche Strecke Osnabrück – Bremen – Hamburg der Köln-Mindener Eisenbahn bestanden, sodass eine einigermaßen direkte Nord-Süd-Verbindung zwischen Nordhessen und Bremen entstanden wäre.

• Das Direktorium wurde ermächtigt, die Verwaltung und den Betrieb der preußischen Regierung zu übertragen.


11: Bahnstrecken und bei Streckenplanungen wichtige Orte nördlich von Kassel im Jahr 1870; Zeichnung Lutz Münzer

Nach Fremdling, Federspiel und Kunz, Eisenbahnstatistik (wie Anm. 2), Tab. B.I.4 und B.I.5

Tab. 2: Streckenlänge und Streckenbelastung der Deutschen Eisenbahnen zwischen 1856 und 1937

Am 1. April 1867 übernahm der preußische Staat tatsächlich die Verwaltung der Hessischen Nordbahn und errichtete dafür in Kassel eine Eisenbahndirektion. 1868 ging die Nordbahn in das Eigentum der vom Staat verwalteten Bergisch-Märkischen Eisenbahn (BME) über.49 Diese war seit einigen Jahren mit der Planung einer Strecke von Hagen durch das obere Ruhrtal zum Anschluss an die KFWN befasst.50 Durch die Ergebnisse des Krieges von 1866 wurde es ihr nun nicht nur möglich, in Warburg an deren Strecke Anschluss zu gewinnen, sondern schließlich auch das Unternehmen selbst zu erwerben. Außerdem hatte die Gesellschaft angestrebt, von dieser von Hagen ausgehenden Strecke einen Zweig nach Holzminden im Herzogtum Braunschweig zum Anschluss an die dortige, über Kreiensen Richtung Berlin führende Bahn anzulegen. 1869 erhielt die BME die Genehmigung zur Ausführung von Vorarbeiten für eine Strecke von entweder Helmarshausen oder Karlshafen nach Kreiensen. Aus den Vorarbeiten resultierte am 19. Dezember 1872 die Konzession für die Anlage je einer Strecke von dem in Westfalen gelegenen Ort Scherfede und von Karlshafen nach Beverungen. Dort sollte es weitergehen nach Kreiensen. Lediglich die Verbindung Scherfede – Beverungen – Kreiensen kam zustande. 1878 erklärte die BME, aus Geldmangel vom Bau der Strecke Karlshafen – Beverungen Abstand zu nehmen. Der Entschluss dazu dürfte dadurch erleichtert worden sein, dass bereits 1873 die Westfälische Eisenbahn die Konzession für eine zweite, Karlshafen berührende Strecke, nämlich die Linie Ottbergen – Northeim, bekommen hatte, durch die erhebliches Verkehrspotential in Karlshafen abgeschöpft werden musste. Diese Strecke, die bald zu einer außerordentlich bedeutenden Ost-West-Magistrale für den Güterverkehr avancierte, wurde 1878 vollendet, verlief bei Karlshafen auf dem anderen Weserufer, erhielt dort einen Bahnhof und bekam nie eine Verbindung zur Carlsbahn. Um Verwechslungen zwischen den beiden Bahnhöfen Karlshafens zu vermeiden, wurde dem der Carlsbahn später der Zusatz „linkes Ufer“, abgekürzt „l. U.“, dem der Strecke Ottbergen – Northeim der Zusatz „rechtes Ufer“, abgekürzt „r. U“, hinzugefügt. Dass die BME als neue Fernverbindung die außerhalb der Region Kassel gelegene Bahn Scherfede – Holzminden baute statt den Weg über Hümme unter Nutzung der bereits vorhanden Abschnitte Scherfede – Warburg (seit 1873) und Warburg – Hümme sowie der Carlsbahn einzuschlagen, erklärt sich damit, dass entweder in Hümme ein Fahrtrichtungswechsel oder eine Verbindungskurve zwischen der Hauptstrecke von Westfalen und der Carlsbahn erforderlich gewesen wäre. Hinzu kam die Trassierung letzterer als Nebenbahn mit engen Gleisradien.51


12: Mit nur geringfügigen Änderungen entsprach der Aufbau des Rangierbahnhofes 1881 dieser schematischen Darstellung; Zeichnung Lutz Münzer