Die Ex-Prinzessin

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KAPITEL ACHT


ABBIE GLITT VON STARGAZER herunter und ging um ihn herum, um ihm in die Augen zu blicken. Das war überraschend schwer bei einem Pferd, da seine Augen auf jeweils einer Seite seines Kopfes waren. Sie legte sich auf ein Auge fest.

»Hast du gerade gesagt: ›Das ist eine Schande‹?«, fragte sie.

»Ja, ich vermute das habe ich«, erwiderte er.

»Wann hast du gelernt wie man spricht? Und wichtiger, wie hast du gelernt wie man spricht?«

Er ließ seinen langen, schwarzen Schweif herumschnellen. »Ich glaube das war, als wir durch diesen elektrisierten Vorhang gegangen sind. Ich hatte bereits all die Wörter in meinem Kopf, bevor ich herausgefunden habe, dass ich sie benutzen konnte. Ziemlich unüblich.«

»Muss dir da zustimmen«, sagte Abbie kopfschüttelnd. Sprechende Pferde. Natürlich würde es sprechende Pferde geben. »Vorhang … du musst den Schleier meinen.«

»Wenn du das sagst, Knödel.«

Abbie hob eine Augenbraue. »Ich würde es vorziehen, wenn du mich Abbie nennst.«

»Oh? Mein vorheriger Besitzer hat mich immer Knödel genannt. Ich habe angenommen, dass es ein allgemeines Wort für Bekanntschaften in höflicher Konversation wäre. Ich bitte um Entschuldigung, Abbie.«

»Eigentlich ist es eine Art von Essen und ein Kosename.«

»Ich verstehe. Leckeres Essen?«

»Ja, aber eine Stunde später wirst du wieder Hunger haben.«

Abbie ging zum Rand des Kamms in der Richtung, aus der sie gekommen waren, während Stargazer seine neuen Informationen zu bedenken schien. Eventuell könnte sie Anzeichen von Rubald und Rutha entdecken. Den Schleier aus diesem Winkel zu sehen ließ das Tal aussehen, als ob es in einem wässrigen Würfel eingeschlossen war, der sich zum oberen Rand der Troposphäre ausdehnte. Seine Barrieren waren schärfer, als sie es sich vorgestellt hatte. Seine Vollkommenheit schien durch die Vögel, die durch ihn hindurchflogen, unbeeinflusst zu sein. Ein marmorierter Schimmer bewegte sich über seine Oberfläche, welcher weniger durchscheinend als der Rest davon war.

»Abbie?«, sagte Stargazer hinter ihr. »Ich bin durstig.«

Sie seufzte. »Jaah, ich auch.« Sie starrte den Hügel herunter, schaute nach einem Anzeichen von Bewegung. Sie horchten beide. »Ich kann nichts hören. Das Protokoll besagt, dass man an einem Ort bleibt, wenn man sich verirrt hat … aber ich habe keine Zeit fürs Protokoll. Gleichwohl werde ich es niemals ohne die Jerrinsons rechtzeitig nach Fairisle schaffen, um das Schiff anzutreffen. Ich habe offensichtlich keine Ahnung was hier vor sich geht … angesichts dessen, dass ich mit meinem Pferd rede.«

Stargazer nickte mit seinem riesigen Kopf, warf dabei seine Mähne herum. »Es ist ein verfängliches Rätsel.«

»Richtig.« Abbie stakste herüber zu Stargazer und schwang sich in den Sattel hoch. »Lass uns zurückgehen und sehen, was passiert. Aus welcher Richtung sind wir gekommen?«

»Ich bin nicht sicher …« Stargazer schwang seinen Kopf von einer Seite zur anderen. »Aus dieser Richtung vielleicht?«

»Dann dieser Weg.« Stargazer bewegte sich nicht und Abbie schaute zu ihm herunter. Sie räusperte sich. »Entschuldige, ich fühle mich jetzt unwohl dabei dir einen Stoß zu geben … kann ich dich einfach darum bitten loszugehen?«

»Oh, das. Das spüre ich kaum. Du bist im Vergleich zu mir ziemlich schwach, weißt du. Ich fasse es als ein Klopfen auf die Schulter auf.«

Abbie lächelte, schnalzte dann mit ihrer Zunge, um ihn vorwärtszutreiben. Sie folgten dem Kamm für eine halbe Meile, bevor sie einen Pfad fanden, nicht wissend, ob es derjenige war, den Rutha und Rubald benutzen würden. Während sie ihm hinabfolgten, konnten sie fließendes Wasser hören. Sie ließ Stargazer seinen Willen und er führte sie an seinen Ursprung, einem tröpfelnden Bach, umgeben von struppigem Gras und niederen Büschen. Als sie sich umblickte, erkannte sie, dass dies wahrscheinlich nicht der beste Ort wäre, um sich aufzuhalten, für den Fall, dass Rubald den Bär tatsächlich nicht getötet hatte. Es war alles so friedlich, es war schwer zu glauben, dass sie gerade beinahe von einem wilden Tier attackiert worden waren. Abbie stieg ab, um auch etwas zu trinken, und bemerkte einen schmalen, gut genutzten Pfad, welcher die Anhöhe hoch ging, wo nahe der Spitze eine Hütte lag.

»Bleib hier«, sagte sie zu Stargazer, »ich werde sehen, ob sie in diese Richtung gegangen sind. Wenn einer von ihnen verletzt ist, haben sie vielleicht dort nach Hilfe gesucht.«

Er legte seine Ohren flach gegen seinen Kopf. »Eigentlich komme ich mit«, sagte Stargazer, »es ist gruselig hier alleine.«

»Wie du willst, aber es ist ziemlich eng.«

»Ich bin Schlimmeres hoch. Habe ich dir jemals von der Wanderung erzählt, die ich mit Susan durch das Bluebrook Gebirge gemacht habe?«

»Nein«, sagte Abbie, begann den Hügel hochzugehen. Sie beschloss die Tatsache, dass er bis vor ein paar Stunden noch nicht sprechen konnte, nicht anzusprechen.

»Oh, nun, es war eine ziemliche Erfahrung, lass dir sagen–«

»Ich würde gerne davon hören … später.«

»Oh. Nicht jetzt?«

Abbie versuchte ein Grinsen zu verstecken. »Nein, nicht jetzt, Star. Genau genommen, lass uns weitergehen und deine Fähigkeit zu sprechen für den Moment verstecken.«

»Oh, ich verstehe.«

Abbie blickte ihn über ihre Schulter an und er lächelte, zeigte dabei alle seiner großen gelben Zähne. Sie lachte, nicht in der Lage es nicht zu tun.

»Wer ist da?«

Abbie drehte sich bei der Kinderstimme um. Ein dünnes Mädchen, das ein zu kleines T-Shirt und abgeschnittene Jeansshorts trug, spähte hinter einer Gelb-Kiefer hervor. Zwei dünne rote Flechtzöpfe, die schlaff an den Seiten ihres Kopfes hingen, umrahmten ihr sommersprossiges Gesicht.

»Ich bin Abbie. Ich suche nach ein paar—nach meinen Eltern.« Verdammt, sie hatte ihren wirklichen Namen genannt. Das war dumm, dachte sie, während sie das Kind anlächelte.

Das Mädchen trat hinter dem Baum hervor. »Hab niemandes Eltern gesehen. Mit wem redest du?«

»Nur mit mir. Redest du nie mit dir selbst?«

Das Mädchen zeigte ein kleines Lächeln, aber schüttelte ihren Kopf. »Du kannst gerne kommen und auf die Veranda sitzen und dich ein wenig ausruhen. Du kannst meine Schwester kennenlernen.«

»Sicher. Ich danke dir.« Es ist mitten in der Woche, dachte Abbie. Warum ist sie nicht in der Schule?

Das Mädchen drehte sich um und huschte den rutschigen, mit Kiefernadeln bedeckten Berghang hinauf. Die Sonne begann sich seitwärts durch die Bäume zu neigen, erleuchtete den Staub, der sich hinter ihr erhob wie Dampf von einem See im Morgengrauen. Das Haus war aus Holz mit einem Wellblechdach; die Konstruktion war stark nach links geneigt, und sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, wie um alles in der Welt sie die Vordertüre öffnen konnten, wenn sie nicht in einem rechten Winkel war. Als das zweite Mädchen aus dem ebenerdigen Fenster auf die Veranda kletterte, war ihre Frage beantwortet.

»Hallo, ich bin Abbie«, sagte sie. Die zwei Mädchen setzten sich jeder auf ein Ende der Schaukel, lasen Steine aus den Bohnen und warfen heimliche Blicke auf sie, also setzte sie sich zwischen sie. »Gehört dieser Ort euren Eltern?«

Die Mädchen schüttelten ihren Kopf. »Eltern vor einer Weile gestorben. Wir wohnen jetzt bei Tantchen Marie.«

»Arbeiten für sie, meinst du«, murmelte das zweite Mädchen.

»Ruhe, Fadline. Wegen dir werden wir noch hinausgeworfen.« Die Rothaarige drehte sich Abbie zu. »Tantchen ist gerade nicht da; sie wird bald zurück sein. Ich bin Theresas.« Abbie bot eine Hand und das Mädchen gab ihr einen festen, staubigen Handschlag. Als Abbie ihre Hand zurückzog, packte das Mädchen fester zu, starrte genauer in ihr Gesicht. »Du bist ein … Funkler?«

»Was ist das?«, fragte Abbie, während sie behutsam versuchte ihre Hand aus Theresas’ unnachgiebigem Griff zurückzuziehen.

»Sapperlot, du hast Recht, Schwester«, sagte Fadline, während sie näher zu Abbie kam. Es misslang ihr dem Finger, den Fadline in ihren Wangenknochen stieß, auszuweichen. »Schau, es ist sogar in ihren Haaren!« Beide Mädchen begannen ihre Finger durch Abbies Pferdeschwanz zu kämmen, die Bohnen vergessen.

»Entschuldigt, aber könnt ihr mir sagen, worüber ihr redet? Bitte? Und mir ein bisschen persönlichen Freiraum geben?« Beide Mädchen hörten auf sie zu hätscheln, aber es war eindeutig, dass sie deswegen außer sich waren.

»Wir haben gehört, dass Menschen in der Box die Sterne in ihrer Haut haben … Ich wusste, dass es wahr ist!«

Abbie schüttelte ihren Kopf. »Meine Haut ist die Gleiche wie eure.«

Theresas riss ihren Arm herüber, schob ihren langen Ärmel hoch und hielt ihn zum Vergleich neben ihren eigenen Arm und Abbie keuchte. Ihre Haut schillerte, leuchtete mit einem Schimmer, wie der, der sich über die Oberfläche des Schleiers bewegte. Sie rieb an ihrer Haut, aber der Schimmer leuchtete nur heller.

Abbie versuchte die Panik aus ihrer Stimme zu halten. »Entschuldigt mich, Mädels, ich muss das abwaschen.«

Die Mädchen lachten. »Es geht nicht weg, Dummerchen, es ist ein Teil von dir. Du kannst es in der Box nur nicht sehen.«

Abbie blickte zu Stargazer, der am Rand des Hofs Gras mampfte. Er wippte mit dem Kopf in ihre Richtung, aber sie konnte nicht sagen, ob er damit irgendetwas meinte. Ihr Verstand drehte sich.

»Es tut mir leid, Mädels. Ich sollte weiter nach meinen … meinen Eltern suchen.«

»Tantchen Marie war unterwegs; vielleicht hat sie sie gesehen. Möchtest du, dass wir sie anrufen?«

Abbie erinnerte sich plötzlich daran, ausnahmsweise einmal, dass sie auch ein Handy hatte. Sie beeilte sich zu ihrer Tasche zu kommen, zog es heraus und schaltete es an. Dreißig verpasste Anrufe. Junge, dieser Edward war allerdings hartnäckig—auf keinen Fall würde sie ihn miteinbeziehen, außer sie wäre verzweifelt. Rubald hatte sein Wort gehalten: er hatte ihre Nummer nicht. Die Integrität zahlte sich bis jetzt nicht aus.

 

Ohne Warnung ging die Sonne aus.

»Oh, sapperlot«, murmelte Theresas in die Schwärze.

»Na ja, das war’s dann. Wir können heute Abend nichts mehr tun.« Abbie fühlte, wie sich die Schaukel nach hinten kippte, als sie sich hinüber lehnten, um ihre Körbe zum Bohnen sortieren mit genauso schweren Seufzern fallen ließen.

Abbie schüttelte mit donnerndem Herzen ihren Kopf. »Was passiert hier?«

»Oh, die Sonne ist ausgegangen. Wir sind fertig mit arbeiten«, sagte Fadline, als ob es völlig normal war das zu sagen.

»Aber ich muss heute Abend meine Eltern finden!«

Theresas und Fadline kicherten, ihre Gesichter plötzlich im Licht ihrer Handybildschirme erleuchtet. Abbie überkreuzte ihre Arme und versuchte nicht hörbar zu schnauben.

»Wann kommt denn … die Sonne wieder?«

Fadline lächelte und nickte. »Wie viele Sterne sind am Himmel?«

Theresas stieß sie mit dem Ellbogen an und sagte: »Oh, ich hab’ einen—wann werden die Berge in das Meer sinken?«

Fadline klatschte in die Hände. »Oh! Wir wär’s damit: Wie oft muss man lecken, um in die Mitte von einem—«

»Was tut ihr?«, fragte Abbie, nicht in der Lage die Verbitterung aus ihrem Tonfall zu halten.

Theresas blickte nicht von ihrem Handy auf. »Wir tun, was du tust. Das Unbeantwortbare-Fragen-Spiel spielen.«

Abbies Gesicht wurde rot und sie war vorübergehend dankbar für die Dunkelheit. »Meine Frage war ernsthaft. Ich habe es ernst gemeint.«

Theresas und Fadline kicherten wieder, wurden dann sachlich. Theresas räusperte sich. »Entschuldige, Schwester. Meine Mama hat immer gesagt, dass der König Bogenschützen hat, die ständig brennende Pfeile auf die Sonne feuern, in der Hoffnung sie sehr schnell wieder anzustecken.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Abbie. »Das ist unmöglich.«

»Ich habe gehört«, schob Fadline ein, unbeeindruckt von Abbies fassungsloser Skepsis, »dass sie Sonne selbst uns vor Sternschnuppen beschützt, die uns sonst alle umbringen würden, und das ist, was die Sonne wieder anzündet. Ist es dann das?«

»Natürlich nicht!«, schrie Abbie, verlor ihre Beherrschung, und die Mädchen zuckten zusammen, schauten auf den Boden und krümmten ihre Schultern in beinahe perfektem Einklang. Es gab etwas Beunruhigendes an diesen Schwestern, etwas … etwas Argwöhnisches, ungeachtet ihres Kicherns und ihren kindlichen Spitzen Abbies Unwissenheit gegenüber. »Es tut mir leid, Mädels, ich wollte euch keine Angst machen. Aber die Sonne ist nie so ausgegangen, als ich—«

»In der Box gelebt hast?«, fragte Theresas sacht. »Ja, ich weiß. Aber Schwester … du bist jetzt unter dem freien Himmel.«

»Ist es nicht dieselbe Sonne?« Schulter an Schulter fühlte sie, wie sie mit den Schultern zuckten. Es kam ihr in den Sinn, dass es einen eindeutigen Grund für ihre alarmierende Unwissenheit geben könnte. »Solltet ihr nicht in der Schule sein? Es ist Freitag, oder?«

»Tantchen und Onkel sagen, dass wir unsere Arbeit nicht schnell genug machen.«

Fadline fügte leise hinzu: »Tantchen sagt vielleicht nächstes Jahr, wenn wir artig sind.«

Abbie glitt herunter, ließ ihren erschöpften Kopf an der Rückseite der Schaukel ruhen, starrte dabei hoch auf die Sterne, welche plötzlich ebenfalls erschienen waren. Die Erkenntnis überkam sie, dass es alle möglichen Arten von Gefängnissen gab, die keine Gitter oder Ketten benötigten, nur einen meisterhaften Manipulator und ein Opfer ohne die Mittel zu gehen.

»Solltest das nicht tun«, sagte Fadline, während sie auf ihr Handy starrte.

»Was tun?«, fragte Abbie niedergeschlagen.

»Hochschauen.«

»Warum nicht?«

»Wenn die Sonne sich wieder entzündet, wird sie dich blind machen. Und man weiß nie—«

»Richtig. Man weiß nie, wann das sein wird.«

KAPITEL NEUN


IM DUNKELN SITZEND, wählte Fadline die Nummer der Tante der Mädchen, und Abbie räusperte sich nervös, als es klingelte.

»Fadline, was zur Jersey machst du am Telefon? Ich schwöre, wenn das Unkraut im Garten nicht gejätet ist, bis wir zurückkommen, Sonne oder keine Sonne, wirst du nicht—«

»Ja, hallo, mein Name ist Abbie und ich bin in den Wäldern vom Weg abgekommen. Ihre Nichten waren nett genug, um mich ihr Handy benutzen zu lassen.« Peinliche Stille folgte, also holte Abbie tief Luft und füllte sie. »Jedenfalls, ich bin bei einem Bärenangriff von meinen Eltern getrennt worden und ich weiß, dass Sie auf dem Weg zurück hierher sind … ich dachte möglicherweise haben Sie sie gesehen.«

»Meine Güte, du armes Schätzchen, das ist aber eine Geschichte«, gurrte die Frau, stellte ihren harschen Tonfall von der Begrüßung in etwas Schmeichlerisches um. »Ich fürchte wir haben sie nicht gesehen, aber ich kann eine Nachricht bei meinen Nachbarn hinterlassen, dass sie ein Auge offen halten sollen. Sind die Mädchen höflich zu dir gewesen, Schätzchen? Wir werden auf die Poutine-Hochzeit gehen, wenn wir zurück sind, aber du kannst dich gerne zu uns gesellen.«

Abbie versteifte sich. Je mehr Menschen sie sahen, je länger sie sich herumdrücken musste, desto wahrscheinlicher würde sie erkannt werden.

»Oh, das ist so nett von Ihnen, aber das könnte ich Ihnen nicht aufbürden.«

»Kein Problem—wir bestehen darauf. Zudem bringt es Glück. Ich werde dir ein Kleid leihen, wenn du eines brauchst. Wird eine Menge gutes Essen geben.«

Abbie schluckte ihre Einwände herunter, nicht willens die wahrscheinlich einzige Person zu kränken, die zwischen ihr und heute Nacht alleine im Wald zu schlafen stand. »Ich danke Ihnen so sehr Mrs. …?«

»Rogier. Marie Rogier.«

»Mrs. Rogier, ich schätze das sehr und bitte richten Sie meinen Dank ebenfalls Ihrem Ehemann aus.«

Die Mädchen kicherten und Abbie fragte sich, was sie dieses Mal falsch verstanden hatte.

»Ich werde deinen Dank sicherlich meinem Mann ausrichten. Wir sehen euch bald.« Sie legte auf.

Fadline stupste Abbie an. »Tantchen und Onkel sind nicht verheiratet, Dummerchen. Sie sind zu arm dafür.« Sie nahm ihr Handy zurück und trug ihre angezündete Lampe zur Rückseite des Hauses, wo Abbie gerade noch einen großen Gemüsegarten ausmachen konnte. Mit einem Seufzer sank Fadline neben Theresas auf die Knie, spähte zwischen die grün geblätterten Pflanzen, um die fehlerhaften Setzlinge auszukundschaften.



ABBIE HATTE NICHT BEABSICHTIGT in der Schaukel zu dösen, aber es war ein ziemlich langer Tag und der Schlaf vorige Nacht war ein wenig, nun, steinig gewesen. Das behutsame Schwingen, die Nähe der Mädchen, der Chor der Zikaden, welche beschlossen haben zu singen, ungeachtet der Tatsache, dass es erst drei Uhr nachmittags war, das fehlende Mittagessen …

Sie wachte durch Kichern und Selfies auf, von denen sie nicht wusste, dass sie gemacht wurden. Dieses Haut-Phänomen muss eine ziemliche Attraktion gewesen sein, wenn sie Bilder von ihr im Schlaf machen wollten. Sie blinzelte und kniff die Augen zusammen. Die Sonne war wieder da … äh, wieder entzündet. Die Mädchen hatten ihre vorige Arbeit wieder aufgenommen, Weidenkörbe auf dem Schoß. Stargazer wieherte leise eine sachte Warnung und sie schaute auf. Ein Paar kam auf Pferden näher und Abbie versuchte zu sehen, ob es Rubald und Rutha waren, ohne zu verzweifelt auszusehen, aber sie waren es nicht. Wo zur Jersey waren sie? Ihre Sorge um sie stieg rapide und sie mussten krank vor Sorge um sie sein … sollte sie losgehen und nach ihnen suchen? So fixiert sie auch darauf war diesen Frachter anzutreffen, es war es nicht wert dafür jemand anderen zu opfern. Sie selbst eingeschlossen.

Das Paar, das der krummen Hütte näherkam, schien die Tante und der Onkel zu sein, deren Veranda sie belegte. Ihre Ankunft schickte ihre Nichten in ein Gestöber der Aktivität, das Tor öffnen, die Pferde zur Rückseite führen, Hand für Hand mit einem alten Margarinebehälter Wasser aus dem Brunnen schöpfen, welcher in der harten Erde nahe dem Garten eingebettet war. Wie kaltes Wasser für eine durstige Seele, so sind gute Nachrichten aus einem fernen Land. Seit Rubald diese alten Sprichwörter erwähnt hatte, kamen sie zurück zu ihr getrieben, wie Luft verlierende Ballons, die auf einer Brise ritten, welche sie nicht länger tragen konnte. Woz weiß, dass sie versuchte sie oben zu halten, schlug sie weg, versuchte dieses Kapitel ihres Lebens für immer zu beenden. Aber sie brauchte jetzt gute Nachrichten. Sie hatte es selten mehr gebraucht.

»Abbie? Willkommen! Lass uns dich umziehen«, sagte Mrs. Rogier lächelnd. Obwohl sie so weiß wie die Mädchen war, endeten die Ähnlichkeiten dort: sie hatte eine kurvige Sanduhr-Figur, ihre langen dicken Haare in einem unnatürlichen Blond gefärbt und ihre Kleidung passte ihr gut. Sie hielt ihren Arm aus dem offenen Fenster, durch das Abbie klettern sollte. »Warst du jemals auf einer Hochzeit außerhalb der Box?«

Abbie lächelte und schüttelte ihren Kopf, duckte sich in das Haus. Sie erwartete sägeraue Möbel, zusammengeworfen aus Überbleibseln, so krumm im Innern wie außen. Stattdessen trat sie auf gewachste Holzböden, der im Licht des niederen Feuers schimmerte. Bänke mit hohen Rückenlehnen standen um einen langen Tisch herum, und als sich ihre Augen anpassten, erkannte sie, dass die Rückseiten nicht nur mit Mustern verschönert waren, sondern mit ganzen Bildern. Bären mit offenen Kiefern über einem kauernden Farmer, dem seine Heugabel aus der Hand fiel. Berglöwen, die von niederen Zweigen nach Soldaten schlugen, die rittlings auf ihren Rössern saßen. Wildpferde, die über flache Flüsse galoppieren … Abbie streckte sich, um die komplizierten Details der Wassertröpfchen, welche durch die Pferdehufe aufgespritzt werden, zu berühren, und Mrs. Rogier räusperte sich.

Abbie zog schnell ihre Hand zurück und stand auf. »Es tut mir leid«, begann sie, aber die Frau winkte abweisend mit ihrer Hand.

»Es ist schön zu sehen, dass ein Funkler seine Arbeit bewundert. Marc hat ein Talent für die Handwerkskunst, aber wenige bemerken es.« Abbie wollte fragen, warum er nicht all diese Fähigkeiten dazu benutzt hatte, um am Gerüst seines Hauses zu arbeiten, hielt aber ihren Mund. Sie folgte Marie in das Schlafzimmer, welches mit einem Kopfteil auftrumpfte, das die gleichen beeindruckenden Details aufwies, nur dass dieses Mal Marc und Marie, kaum bekleidet, horizontal und sich umarmend, das Thema waren. Jahre mit Kunsterziehungsunterricht bedeuteten, dass sie von Nacktheit nicht einfach peinlich berührt wurde, aber sie bekämpfte ganz gleich den Drang wegzublicken und die Frau kicherte und wandte sich einem kleinen Kleiderschrank zu.

Sie zog ein Stretchkleid aus Polyester mit einem türkis-weißen-Zickzackdruck heraus und hielt es Abbie hin. Es war schulterfrei, kurz und sehr figurbetont. Abbie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.

»Du hast eine nette sexy Figur, Süße, das sollte funktionieren«, sagte Marie freiheraus.

»Ähm … Es tut mir leid, dass ich wählerisch bin, aber ich sehe wirklich besser mit Ärmeln aus.«

Die Frau schüttelte ihren Kopf. »Nein, das wirst du nicht. Dieses Kleid wird wundervoll an dir sein. Probier es an und lass es mich sehen.«

Laune, Laune, Laune, ermahnte sie ihr Herz mit jedem Schlag. Das ist kein Streit wert. Trag das Kleid. Krieg ihre Hilfe. Finde deine Begleiter. Mach weiter. Abbie legte ein falsches Lächeln auf und nahm das Kleid, drehte sich dann, um ein Badezimmer oder auch nur einen Platz hinter einer Türe zu suchen … nur um Marie vorzufinden, die ihre Arme über ihrer Mitte gefaltet hatte und genervt aussah.

»Wir sind bereits zu spät.«

»Es tut mir leid«, murmelte sie, drehte sich um, so dass sie zumindest Marie nicht dabei beobachten musste, wie sie sie anstarrte. Sie knöpfte ihr Hemd auf und versuchte ihre Wanderstiefel von sich zu schleudern.

»Oh, du wirst auch Schuhe brauchen, oder?«

»Ja, ich schätze. Vielen Dank noch mal, dass Sie mich mit einschließen.«

Marie winkte wieder mit ihrer Hand. »Kein Problem. Wie wäre es mit diesen?«

Abbie drehte sich um und Marie reichte ihr ein Paar acht-Zentimeter Pumps in silber. Abbie starrte sie an, entgeistert. »Wie reite ich denn in denen?«

Marie warf ihren Kopf zurück und lachte so laut, dass es in dem beengten Raum widerklang. »Mädchen, du reitest in denen kein Pferd! Wir nehmen das Fuhrwerk, so dass wir nicht zerzaust werden. Du kannst dein Pferd hier lassen.« Sie fuhr fort, bevor Abbie protestieren konnte. »Du hast Glück, dass du zu uns gekommen bist, bevor manche der anderen in der Gegend dich entdeckt haben. Deren Gemeine Sprache ist nicht so gut wie unsere.« Sie plusterte sich auf, als sie aufhörte zu sprechen, die Augen voller Stolz.

 

Abbies Augenbrauen hoben sich. »Wirklich? Sogar so nah an der … Box?«

Marie nickte. »Viele sprechen gerade so viel, dass sie ›Gib mir einen Dollar‹ sagen können«, lachte sie. »Nicht viele Reisende überqueren die Grenze auf diesem Weg … außer denjenigen, die nicht bemerkt werden wollen.« Sie blickte aus ihrem Augenwinkel auf Abbie, als diese sich umdrehte, um das Kleid über ihre Brust herunterzuziehen. Abbie glitt mit ihren Fingern durch ihr Haar und versuchte beschwichtigend zu lächeln, ignorierte dabei die Andeutung im Ton der Frau.

»Das ist interessant. Meine Eltern und ich sind auf dem Weg, um meinen Bruder in Fairisle in Empfang zu nehmen; er kommt gerade erst aus der Navy. Wir wollten eine angenehmere Reise durch die entzückenden, kühlen Wälder, anstatt der staubigen Landstraße.«

»Ich verstehe«, sagte sie. »Marc!«, rief sie durch die Türöffnung, »gehst du morgen nicht nach Fairisle?«

»Sicher, so hatte ich es vorgehabt«, kam die Antwort.

Marie zuckte mit einer Schulter. »Siehst du? Problem gelöst. Marc kann dich morgen mitnehmen und wir werden eine Nachricht bei jedem auf der Hochzeit lassen, dass deine Eltern wissen, dass sie dich dort treffen sollen. Sie werden die Nachricht bekommen.«

»Oh, ich schätze Ihr Angebot, aber ich kann nicht ohne meine Eltern gehen.«

»Sicher kannst du das. Es ist kein Problem. Marc geht sowieso.«

»Nein, kann ich nicht.« Ihre wahren Gefühle waren für einen Moment an die Oberfläche gebrodelt und sie trat sich selbst dafür, wie scharf sie gesprochen hatte. Marie schaute fragend vom Schnallen ihrer eigenen unvernünftig hohen Schuhe hoch.

»Warum nicht?«

»Sie sind … sie sind betagt, verstehen Sie. Ich befürchte, dass ihnen etwas zustoßen wird. Ich kann nicht gehen, bis ich weiß, dass sie sicher sind. Ich habe Angst, dass die Bärin sie erwischt hat.«

»Wer, Betsy? Sie ist harmlos, es wird ihnen gut gehen. Sie haben so lang gelebt, oder nicht? Denk nicht, dass sie dumm sind, Mädchen.« Damit drehte Marie sich um und verließ das Schlafzimmer, rief Fadline und Theresas zu, dass sie in das Fuhrwerk steigen sollen. Abbie folgte eine Grimasse ziehend. Betsy?

Sie manövrierte sich vorsichtig mit dem Kopf voraus durchs Fenster, ließ dann ihre Knie zusammen hindurch schlüpfen, um das abscheuliche Kleidungsstück, welches sie trug, nicht zu zerreißen. Sie stopfte ihre Kleidung in Stargazers Satteltasche und löste sie, um sie mit sich zu schleppen.

»Mädchen! Auf geht’s!«, rief Marc von der Rückseite her. Abbie versuchte bei der Wahl der Anrede des Mannes nicht hochzugehen.

»Komme gleich!«, rief sie zurück, dann sagte sie leiser zu Stargazer: »Folge uns. Lass sie dich nicht sehen.« Er wippte mit dem Kopf und sie lächelte und tätschelte seinen starken Hals. Dann beeilte sie sich, so sehr wie man es in acht-Zentimeter-Absätzen einen schmalen Erdpfad hinab konnte, um zu ihren seltsamen Gastgebern aufzuholen.